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MARKETING & KOMMUNIKATION 21 S pricht man in der Schweiz von Werbung, kommt man um die Rangliste der grössten Werbeauftraggeber nicht herum. Seit Jahren führen bekanntlich immer wieder die gleichen zwei Player dieses Ranking an: Migros und Coop. Kein Wunder, denn kaum ein Bedürfnis ist grundlegender als die Nahrungsbeschaf- fung. Das Protzen um den grössten Etats bringt zwar Mediaagenturen ins Schwärmen, ist aber für die Konsumenten irrelevant. Denn die wollen eben ihre Bedürfnisse so günstig wie möglich befriedigen. Oder nicht? Mag sein, dass das mal so war. Aber spä- testens seit dem Aufkommen der Social Me- dia haben sich die Erwartungen verändert. Der Konsument will nicht nur schnell und günstig einkaufen, nein, er kann sich nun seine eigene Meinung bilden und will sogar mitreden. Das Cluetrain Manifesto erkannte 1999: Schon jetzt erreichen Unternehmen, die mit der Stimme des Marktschreiers re- den, niemanden mehr. Wer annimmt, die Online-Märkte seien dieselben Märkte, die einst die TV-Spots im Fernsehen erduldet haben, macht sich etwas vor.» Die Frage ist, ob sich dadurch das Verhalten des Schweizer Detailhandels verändert hat. Ein Player, die Migros, ist in diesem Be- reich besonders aktiv. Immer wieder zeigt der orange Riese Ideenreichtum, wenn es um So- cial Media geht. Zentrum der Aktivitäten der Migros ist die berühmt-berüchtigte Plattform www.migipedia.ch, auf der seit Juni 2010 Kunden zu gut 10 000 Produkten ihre Mei- nung sagen, Wünsche äussern oder Fragen stellen können. Die Website ist zwar noch in der Beta-Version, wurde aber 2011 bereits als beste Schweizer Website (Best of Swiss Web) ausgezeichnet. Migipedia ist aber nur die Spit- ze des Eisbergs. Denn Duttis Erben sind auf praktisch allen Social Media (mit der Dach- marke sowie mit den Subbrands) fleissig un- terwegs. Sei dies www.facebook.com/Migros, www.twitter.com/migros oder www.youtube. com/user/MigrosTVSpots. Und die Migros wird für dieses Engagement reichlich belohnt. Mit 52 000 Fans auf Facebook, 2800 Followers auf Twitter und 870 000 Views auf Youtube. Dies sind aber nur die oberflächlichen Zahlen. Viel wertvoller ist der Dialog, der da- durch entsteht. Und der fruchtet. Weil man den Kunden die Möglichkeit gibt, mitzure- den und mit zu gestalten. Zum Beispiel vor sechs Monaten, als nach einer Idee für eine neue, junge Konfi-Sorte gesucht wurde. Ins- gesamt 1102 Ideen gingen ein. Die 20 besten Rezepte wurden schliesslich gekocht und bei einer professionellen Degustation zusam- men mit Vertretern der Migros-Community getestet. Über 4300 Migros-Kunden gaben bei der finalen Umfrage auf Migipedia ihre Stimme ab. Und jetzt stehen die beiden Pro- dukte, gekennzeichnet mit dem neuen Sti- cker «Von Kunden entwickelt», in den Rega- len. User Generated Products. So weit, so gut bei der Migros. Aber was machen die anderen Mitbewerber? Die Ant- wort ist einfach: Nix. Nada. Zero. Traurig, aber wahr. Gerade die Branche, die direkten Kontakt mit dem Konsumenten pflegen soll- te, dessen Erfolg und Misserfolg der Grad- messer für unsere Wirtschaft ist, ignoriert den Kunden, wenn es um Social Media geht. Denner hat zwar vom populären Bündner- fleisch-Lachanfall von Bundesrat Merz profi- tiert und, dank einer Nacht-und-Nebel-Akti- on, kurzfristig Facebook-Fans generiert. Was mit den knapp 29 000 Fans gemacht wird, ist aber bis heute unklar. Alle anderen Detail- händler befinden sich sogar noch im dunkels- Manuel P. Nappo, Studienleiter CAS Social Media Management HWZ. Detailhandel Schweiz Nicht verboten ist das Inserieren im Beobachter! Profitieren Sie von noch mehr Lesern in der grössten Publikumszeitschrift der Schweiz. E335483 ten Mittelalter. Egal ob sie Lidl, Aldi, Spar oder Coop heissen. Gerade Migros’ grosser Gegenspieler Coop ist nicht nur einen, son- dern mehrere Schritte zurück. Zwar wird der User aufgefordert, die Inhalte der Website zu teilen, aber von einem Dialog ist weit und breit keine Spur. In keinem Netzwerk. Sogar der Kundendienst ist (Montag bis Freitag von 9.00 bis 18.30 Uhr) schlechter erreichbar als der Twitter-Account des Mitbewerbers. In meinem Kurs Social Media Manage- ment an der HWZ (Hochschule für Wirtschaft Zürich) sage ich immer, dass es ein No-Go sei, wenn man sich über jemanden lustig macht, der seine Erfahrungen im Social Web sam- melt. Was wir hier aber erleben, ist die Negie- rung des Dialogs. Dafür habe ich kein Ver- ständnis. Da erscheint einem die Tag-Cloud auf der Startseite ein plumper Marketinggag. Schade eigentlich, denn indem die Schweizer Detailhändler Bedürfnisse und Wünsche der Kunden ignorieren, verpassen sie Chancen, ihre Produkte zu verbessern, und sie verlieren wertvolle Zeit, um Erfahrungen zu sammeln. Und obwohl wir einen orangen Leuchtturm haben, gilt für den Schweizer Detailhandel das Prädikat #fail. Denn, «Unternehmen, die nicht zu einer diskursiven Gemeinschaft ge- hören, werden aussterben». werbewoche 21 | 18.11.2011

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Kolumne "Like / Dislike" in der Werbewoche zum Thema "Detailhandel Schweiz"

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MARKETING & KOMMUNIKATION 21

S pricht man in der Schweiz von Werbung, kommt man um die Rangliste der grössten

Werbeauftraggeber nicht herum. Seit Jahren führen bekanntlich immer wieder die gleichen zwei Player dieses Ranking an: Migros und Coop. Kein Wunder, denn kaum ein Bedürfnis ist grundlegender als die Nahrungsbeschaf-fung. Das Protzen um den grössten Etats bringt zwar Mediaagenturen ins Schwärmen, ist aber für die Konsumenten irrelevant. Denn die wollen eben ihre Bedürfnisse so günstig wie möglich befriedigen. Oder nicht?

Mag sein, dass das mal so war. Aber spä-testens seit dem Aufkommen der Social Me-dia haben sich die Erwartungen verändert. Der Konsument will nicht nur schnell und günstig einkaufen, nein, er kann sich nun seine eigene Meinung bilden und will sogar mitreden. Das Cluetrain Manifesto erkannte 1999: Schon jetzt erreichen Unternehmen, die mit der Stimme des Marktschreiers re-den, niemanden mehr. Wer annimmt, die

Online-Märkte seien dieselben Märkte, die einst die TV-Spots im Fernsehen erduldet haben, macht sich etwas vor.» Die Frage ist, ob sich dadurch das Verhalten des Schweizer Detailhandels verändert hat.

Ein Player, die Migros, ist in diesem Be-reich besonders aktiv. Immer wieder zeigt der orange Riese Ideenreichtum, wenn es um So-cial Media geht. Zentrum der Aktivitäten der Migros ist die berühmt-berüchtigte Plattform www.migipedia.ch, auf der seit Juni 2010 Kunden zu gut 10 000 Produkten ihre Mei-nung sagen, Wünsche äussern oder Fragen stellen können. Die Website ist zwar noch in der Beta-Version, wurde aber 2011 bereits als beste Schweizer Website (Best of Swiss Web) ausgezeichnet. Migipedia ist aber nur die Spit-ze des Eisbergs. Denn Duttis Erben sind auf praktisch allen Social Media (mit der Dach-marke sowie mit den Subbrands) fleissig un-terwegs. Sei dies www.facebook.com/Migros, www.twitter.com/migros oder www.youtube.com/user/MigrosTVSpots. Und die Migros wird für dieses Engagement reichlich belohnt. Mit 52 000 Fans auf Facebook, 2800 Followers auf Twitter und 870 000 Views auf Youtube.

Dies sind aber nur die oberflächlichen Zahlen. Viel wertvoller ist der Dialog, der da-durch entsteht. Und der fruchtet. Weil man

den Kunden die Möglichkeit gibt, mitzure-den und mit zu gestalten. Zum Beispiel vor sechs Monaten, als nach einer Idee für eine neue, junge Konfi-Sorte gesucht wurde. Ins-gesamt 1102 Ideen gingen ein. Die 20 besten Rezepte wurden schliesslich gekocht und bei einer professionellen Degustation zusam-men mit Vertretern der Migros-Community getestet. Über 4300 Migros-Kunden gaben bei der finalen Umfrage auf Migipedia ihre Stimme ab. Und jetzt stehen die beiden Pro-dukte, gekennzeichnet mit dem neuen Sti-cker «Von Kunden entwickelt», in den Rega-len. User Generated Products.

So weit, so gut bei der Migros. Aber was machen die anderen Mitbewerber? Die Ant-wort ist einfach: Nix. Nada. Zero. Traurig, aber wahr. Gerade die Branche, die direkten Kontakt mit dem Konsumenten pflegen soll-te, dessen Erfolg und Misserfolg der Grad-messer für unsere Wirtschaft ist, ignoriert den Kunden, wenn es um Social Media geht.

Denner hat zwar vom populären Bündner-fleisch-Lachanfall von Bundesrat Merz profi-tiert und, dank einer Nacht-und-Nebel-Akti-on, kurzfristig Facebook-Fans generiert. Was mit den knapp 29 000 Fans gemacht wird, ist aber bis heute unklar. Alle anderen Detail-händler befinden sich sogar noch im dunkels-

Manuel P. Nappo, Studienleiter CAS Social Media Management HWZ.

Detailhandel Schweiz

Nicht verboten ist das Inserieren im Beobachter! Profi tieren Sie von

noch mehr Lesern in der grössten Publikumszeitschrift der Schweiz.

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ten Mittelalter. Egal ob sie Lidl, Aldi, Spar oder Coop heissen. Gerade Migros’ grosser Gegenspieler Coop ist nicht nur einen, son-dern mehrere Schritte zurück. Zwar wird der User aufgefordert, die Inhalte der Website zu teilen, aber von einem Dialog ist weit und breit keine Spur. In keinem Netzwerk. Sogar der Kundendienst ist (Montag bis Freitag von 9.00 bis 18.30 Uhr) schlechter erreichbar als der Twitter-Account des Mitbewerbers.

In meinem Kurs Social Media Manage-ment an der HWZ (Hochschule für Wirtschaft Zürich) sage ich immer, dass es ein No-Go sei, wenn man sich über jemanden lustig macht, der seine Erfahrungen im Social Web sam-melt. Was wir hier aber erleben, ist die Negie-rung des Dialogs. Dafür habe ich kein Ver-ständnis. Da erscheint einem die Tag-Cloud auf der Startseite ein plumper Marketinggag. Schade eigentlich, denn indem die Schweizer Detailhändler Bedürfnisse und Wünsche der Kunden ignorieren, verpassen sie Chancen, ihre Produkte zu verbessern, und sie verlieren wertvolle Zeit, um Erfahrungen zu sammeln. Und obwohl wir einen orangen Leuchtturm haben, gilt für den Schweizer Detailhandel das Prädikat #fail. Denn, «Unternehmen, die nicht zu einer diskursiven Gemeinschaft ge-hören, werden aussterben».

werbewoche 21 | 18.11.2011