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22 MARKETING & KOMMUNIKATION Manuel P. Nappo, Studienleiter CAS Social Media Management an der HWZ, Chief Networking Officer bei Centralway. www.about.me/mpn Mein Haus! Mein Auto! Mein Blutdruck! S haring is caring, but sometimes I don’t really care.» Das ist sicherlich für niemanden was Neu- es, aber für mich seit Kurzem etwas, das meine Blut- druckmesswerte in die Tiefe sacken lässt. Grund dafür ist akutes Desinteresse, wenn in meiner Time- line gerannt und gelaufen wird und Kilometer, Ka- lorien und Zeiten verglichen werden. Wer mir auf Twitter folgt oder mein Freund auf Facebook ist, weiss, dass ich wie ein Weltmeister teile. Gerne auch Inhalte über mich selber, wo ich bin, was ich höre, was ich schaue und überhaupt. Wenn ich eine Bar besuche, checke ich mich auf Foursquare ein. Schaue ich einmal mehr meine Lieb- lingsserie «Friday Night Lights», erfahren das meine Social-Web-Freunde dank der GetGlue-App. Und an und wann landet auch der Sushi Toni aus San Fran- cisco auf Instagram. Das stillt den Hunger. Den Hunger sein Befinden kundzutun. Was nach dem leeren Teller kommt, will ich nicht mehr wissen. Ich will nicht wissen, wer sie wann wo und wie abtrainiert. Nicht mein Käse – um beim kulinarischen Wortschatz zu bleiben. Apps wie Run- keeper, Gadgets wie das Nike Fuelband und die High-Tech-Personenwaagen von Withings zwingen mich jedoch dazu. Mit Runkeeper in meiner Timeline hat es ange- fangen. Ich habe erfahren, wann einer meiner Freunde zum Jogging aufgebrochen ist, welche Rou- te er rannte, wie schnell und wie unglaublich fit er war. Seither rennt, schwimmt und läuft es sich rauf und runter in meiner Timeline. Letzer Eintrag: XY just completed a 1.49 km walk. Ich applaudiere. Das kann man übrigens tatsächlich. Es gibt ein Live Tra- cking, wo man die Sportler mit einem Klick anfeu- ern kann. Wer beim Rennen zu sehr um Luft ringen muss- te, hat sich mittlerweile aufgemacht in den nächsten Kampf: Nike Fuelband, ein Armband, welches die tagtäglichen Bewegungen aufzeichnet, diese in Fu- el-Punkten ausweist und mit Freunden im Social Web vergleicht. Dies scheint tatsächlich einige Leu- te anzuspornen, sich mehr zu bewegen. Ein spieleri- sches Gadget, das einige frustriert und den anderen bestätigt, dass sie körperlich aktiv sind. Also eigent- lich etwas, das niemand wirklich braucht. Wer nicht nur mitteilen möchte, wie fit er ist, kann auch seine Gesundheit mit anderen teilen. Der Hersteller Withings hat sowohl eine Personenwaage wie auch ein Blutdruck-Messgerät mit Wi-Fi auf dem Markt. Die Werte werden direkt auf den PC, das Smartphone oder Tablet übertragen und können von dort aus mit der ganzen Welt geteilt werden. Aus medizinischer Sicht dürfte sicherlich das Blutdruck- Messgerät interessant sein. Im Social Web habe ich bisher von meinen Freunden weder das aktuelle Ge- wicht noch den Blutdruck erfahren. Ich warte ei- gentlich nur darauf, dass es in Kürze Rankings von den besten Blutdruckwerten der Community gibt. Ich habe jetzt rund 3 000 Zeichen geschrieben, was einem nicht nennenswerten Kalorienverbrauch entspricht. Gleich werde ich mich für eine unbe- kannte Anzahl von Kilometern aufs Laufband bege- ben. Wer möchte, darf vorbei schauen und mich vom Laufbandrand aus anfeuern. Ich werde nicht auf das Display meines Nachbars schielen, um mich mit ihm zu vergleichen. Mein Blutdruck wird unweigerlich ansteigen, und der Zeiger der Personenwaage schweigt über das, was nur er und ich wissen. Foto: Keystone A469498 werbewoche 12 | 22.06.2012

Like / Dislike "Mein Haus! Mein Auto! Mein Blutdruck!"

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Kolumne "Like / Dislike" in der Werbewoche zum Thema "Fitness im Social Web"

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22 MARKETING & KOMMUNIKATION

Manuel P. Nappo, Studienleiter CAS Social Media Management an der HWZ, Chief Networking Officer bei Centralway. www.about.me/mpn

Mein Haus! Mein Auto! Mein Blutdruck!

S haring is caring, but sometimes I don’t really care.» Das ist sicherlich für niemanden was Neu-

es, aber für mich seit Kurzem etwas, das meine Blut-druckmesswerte in die Tiefe sacken lässt. Grund dafür ist akutes Desinteresse, wenn in meiner Time-line gerannt und gelaufen wird und Kilometer, Ka-lorien und Zeiten verglichen werden.

Wer mir auf Twitter folgt oder mein Freund auf Facebook ist, weiss, dass ich wie ein Weltmeister teile. Gerne auch Inhalte über mich selber, wo ich bin, was ich höre, was ich schaue und überhaupt. Wenn ich eine Bar besuche, checke ich mich auf Foursquare ein. Schaue ich einmal mehr meine Lieb-lingsserie «Friday Night Lights», erfahren das meine Social-Web-Freunde dank der GetGlue-App. Und an und wann landet auch der Sushi Toni aus San Fran-cisco auf Instagram. Das stillt den Hunger. Den Hunger sein Befinden kundzutun.

Was nach dem leeren Teller kommt, will ich nicht mehr wissen. Ich will nicht wissen, wer sie wann wo und wie abtrainiert. Nicht mein Käse – um beim

kulinarischen Wortschatz zu bleiben. Apps wie Run-keeper, Gadgets wie das Nike Fuelband und die High-Tech-Personenwaagen von Withings zwingen mich jedoch dazu.

Mit Runkeeper in meiner Timeline hat es ange-fangen. Ich habe erfahren, wann einer meiner Freunde zum Jogging aufgebrochen ist, welche Rou-te er rannte, wie schnell und wie unglaublich fit er war. Seither rennt, schwimmt und läuft es sich rauf und runter in meiner Timeline. Letzer Eintrag: XY just completed a 1.49 km walk. Ich applaudiere. Das kann man übrigens tatsächlich. Es gibt ein Live Tra-cking, wo man die Sportler mit einem Klick anfeu-ern kann.

Wer beim Rennen zu sehr um Luft ringen muss-te, hat sich mittlerweile aufgemacht in den nächsten Kampf: Nike Fuelband, ein Armband, welches die tagtäglichen Bewegungen aufzeichnet, diese in Fu-el-Punkten ausweist und mit Freunden im Social Web vergleicht. Dies scheint tatsächlich einige Leu-te anzuspornen, sich mehr zu bewegen. Ein spieleri-sches Gadget, das einige frustriert und den anderen bestätigt, dass sie körperlich aktiv sind. Also eigent-lich etwas, das niemand wirklich braucht.

Wer nicht nur mitteilen möchte, wie fit er ist, kann auch seine Gesundheit mit anderen teilen. Der Hersteller Withings hat sowohl eine Personenwaage wie auch ein Blutdruck-Messgerät mit Wi-Fi auf dem Markt. Die Werte werden direkt auf den PC, das

Smartphone oder Tablet übertragen und können von dort aus mit der ganzen Welt geteilt werden. Aus medizinischer Sicht dürfte sicherlich das Blutdruck-Messgerät interessant sein. Im Social Web habe ich bisher von meinen Freunden weder das aktuelle Ge-wicht noch den Blutdruck erfahren. Ich warte ei-gentlich nur darauf, dass es in Kürze Rankings von den besten Blutdruckwerten der Community gibt.

Ich habe jetzt rund 3 000 Zeichen geschrieben, was einem nicht nennenswerten Kalorienverbrauch entspricht. Gleich werde ich mich für eine unbe-kannte Anzahl von Kilometern aufs Laufband bege-ben. Wer möchte, darf vorbei schauen und mich vom Laufbandrand aus anfeuern. Ich werde nicht auf das Display meines Nachbars schielen, um mich mit ihm zu vergleichen. Mein Blutdruck wird unweigerlich ansteigen, und der Zeiger der Personenwaage schweigt über das, was nur er und ich wissen.

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werbewoche 12 | 22.06.2012