Lukacs - Die weltanschaulichen Grundlagen des Avantgardeismus

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  • 5/11/2018 Lukacs - Die weltanschaulichen Grundlagen des Avantgardeismus

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    Wzde r d en m i} Sv er sta nd en en R ea lism us

    CLAASSEN HAMBURG

  • 5/11/2018 Lukacs - Die weltanschaulichen Grundlagen des Avantgardeismus

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    DeI ' O r i g jna l ti r c ]. \usgabe den Tire! \j?ider den miKverstandenen Realismus gewahlc.

    "Die Gegemvartsbedeutung des kritischen Realismus e

    Alle deutschen Rechte vorbehalren Claassen Verlag GmbH., Hamburg 1958Druck F. L. \\/agener, Lemgo. Primed in Germany

    ist im Herbst 1955 als Grundlage zuDer Vortrag fand zuers t in der Deutschen lU.adlnll'Januar 1956 start, wurde dann in der

    in Warschau, an den Universitaten ROnl,,JJV1Ul'."

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    fes tgestel lren Pole niemals s tarr einander gegeniibers tehende Enti-tiiten se in konnen , sondern Pole im wort lichen Sinne : auBerste Zu-spitzungen von Tendenzen, die im allgemeinen sehr gemischt, imste ren Kampf mi te inander, ine inander i ibergehend sich zu auBernpflegen. Und esware cine Vereinfaehung der Sachlage, diesen Kampfder Tendenzen blof a is den von Richtungen oder Per sonl ichkei renanzusehcn. Nein. Diese Ubergange und Widersprii che t reten sehrh~iufig audi innerhalb einer Einzelpersonlichkeir auf , und zwar nichtnur als Verschicdcnhciten ihrer Entwicldungsphasen, sondern auehirn selben Zeitpunkt als jene Widerspriiehliehkeit eines Menschen, dieseine gegenwartige Entwicklungshohe am besten charakterisiert,\Vie stets im Laufe der Geschichts - und Gesellschaf tskenntnis erhelltaueh hier die Gegenwart die Vergangenheit. Heme erst sehen wir,daG das, was heme gesch ieht , eine Aufgipfe lung langst wi rksamerKrattc ist. Nach dern groGen Realismus der ersten Halfce des 19.jahrhunderts trat e in Abebben in seiner Mi tte , naeh der Revolution1848, insbesondere in der Periode Napoleons IlL, in den An-fangen de r dritten Republik, in der Vietorianischen Periode etc.Und wir sehen erst heme, dag die Zuspitzung der okonomisdienEntwicklung, die irnperial is tische Periode einen neuen Aufsehwungdes Realismus ergab: den der humanist ischen Revolte gegen den Irn-perialisrnus. Die natiorialen Wurzeln sind dabei augerst verschiedene:die Sti ltendenzen vielleieht noeh mehr. Urn so auffallender erscheint- von der \Varte unserer Gegenwart betrachtet - die ideelle Z

    eben das, was wi r hurnanisti sche Revol te genann tauf Anatole France und Romain Rolland, auf

    auf Heinrich und Thomas Mann hinzuweisen, urntendenz ie ll Verwaridte kla r zu erbli cken. Der heutigeRealismus isr -objektiv-gesellschaftlich angesehen- einedieses wobei einzelne der wichtigen VertreterTendenz noch in unser er Per iode wirksam waren.

    weltanschaulichen Grundlagen des Avantgardeismusim Wesen der Sache, daf auf der Oberflache des literarischen

    auch heute die antirealistischen, avantgardeistischen Tendenzenorherrschenden zu sein scheinen. Es ist deshalb nur allzu ange-

    mit unseren Betrachtungen hier anzukniipfen: aus der Kritikdie Gesichtspunkte fur die Moglichkeiren des

    Realismus polemisch-dialektisch zu entwickeln. Es ist des-""'''5

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    so wird man in ihnen sehr leicht das Erscheinen derselben IiterarischenTendcnz wahrnehrnen, was einige Bernerkungen Thomas Manns tiber

    und seine Schreibweise zu bestatigen seheinen.Vom Standpunkt des wi rkli ehen Stil s ist kein groBere r Gegensatzdenkbar als diese belden Rornane; auch in den von uns angefiihrtenahnlichcn Szenen, Nicht der sofor t auffaIlende geist ige Niveau-unterschied ist das Ausschlaggebende. Vielmehr die Tatsache, dafs beiJ oyee die Teehnik des freigelassenen Assoziationsverlaufs keine blofseTechnik der Schreibweise ist , sondern zugleich d ie innere Form der

    Darstel lung von Situationen und Charakteren; also als asthe-t isches Aufbauprinzip des Ulysses- betrachret etwas kiinstlerischLetztcs. Bei Mann dagegen ist das freie Spiel der Assoziationen wirk-li ch bloBe Techn ik, die dazu benutzt wird, urn etwas weit tibe r des-sen Unmittelbarkeit Hinausgehendes aufzudeck.en und sinnfallig zumachen: narnlich die Gestalt Goethes in seinen vielsei tigen und hier-archiseh geglieder ten Beziehungen zu seiner sozialen und geist igenUmwelt. Dabei werden diese Beziehungen keinen Augenblick als bloBmornentane oder gar statische dargestellt, sondern als die tief-s ten Entwicklungstendenzen seiner Personlichkeit, mit denen er s ichhier in Hins icht auf Vergangenheit , Gegenwart und Zukunfl ausein-anderzusetzen hat und sich auseinandersetzt. Darum ist das freieFlutcn von Assoziationen riur scheinbar, nur auf dem Niveau derblofscn Unmittelbarkeit frei: in Wahrheit ist aIles aufs aIlerstrengstedurchkornpon iert , und zwar sowohl im Nache inander, das immertiefer ins Wesentliche hineinf iihrr, was zur Folge hat , daB jeder ein-zclne auftauchende und wieder unter tauchende Gegenstand (Person,Begebcnheit etc.) erst in diesem bewegten Zusammenhang seineStel lung und scin spezif isches Gewicht erhalt, aIs auch demzufolgedern und der Dauer nach, so daB jede EinzeIheit ausschliefslich

    dicse r ihre r subjektiven wie ob jekt iven Wich tigkeit im Er-hellen des Wesentlichen ins Licht geriickt wird, Die Komposition istalso - ihrem wahren Gehalt und wahren Wesen nach - eine echt

    die die dynamischen Ubergange, deren Steigerungen undRetardationcn ganz nach den Gesetzen der traditionellen Epik, f rei-lich in origineller Erscheinungsform, gestaltet.Man wiirde den kiinstlerischen Absichten und der schrifl:stellerischenPotcnz von Joyce unrecht tun, wenn man se in konsequentes Haflenan dcr am Fliichtig-Momentanen, jene Gedanken- und Ge-14

    die sein Roman als Ganzes zeigt , als Versagen, aIs Nicht-des Gewollten interpret ieren wiirde. Nein. Al l dies ha t

    erstrebt und mit se inen spezi fischen tedmischen Mi tte ln ad-verwirklicht. Joyce will eben das Entgegengesetzte dessen, was

    Mann will. Episch angesehen entsteht bei Joyce aus deroszillierenden Bewegtheir aller Details, aus deren permanen-

    aber z iel - und richtungslose r Dynamik e in Ganzes, das in se inerstat isch ist , das eine reine Zustandlichkeir aIs Gesamtaus-

    zur Dars tellung bringen will und bringt.hier in Erscheinung tretende Gegensatz von Entwick.lung oder

    der Werke als Ganzheiten ist fur die hier beabsich-Kontrastierung sowichtig, daB wir auf ihn noch mehrmals zuriick.-

    rniissen. Diese einleitende Gegenuberstellung sollre nur denerhellen, daB gerade in dieser Frage ein In-den-Vorder-

    UHU-~-U'-'''< 'Jder rein formalen, der darstellerisch-technischen Pro-ein Vorbeigehen am Spezifischen der kiinstlerischen Eigenart

    betreffenden Werke und Schrifl:steller notwendig mit sich fiihrt.hangr jedoch dann der wirkliche Stil eines Werks ab? Wo-

    bes timrnt sich seine Intention in dieser oder in jener Richtung?k t: wir sprechen hier von der im Werk gesta lt eri sch zum

    gelangten Intention, d ie sich n icht unbed ingt mi t der be-Absicht des Autors oder mi t se ine r Meinung iiber das Werkrnufs. ) Der Unterschied, der Gegensatz, der nunmehr hervor-

    i st also nicht mehr der der Technik des Schre ibens, de r Form -manstiscnem Sinn genommen -, vieImehr der der dichter ischen

    der des zu gestal tenden Wel tbi lds im Werk, derStel lungnahme des Schri fl:st ell ers zu d iese r seiner Vision der

    ".U\..U"\..'L, der der Bewertung des so erfa fit en Weltbilds. Im Be-ein solches Weltbild in der Totali ta t seiner objektiven und

    Bestimmungen mit schrifl:stellerischen Mitteln adaquat'pnrn,nll'7" ent steh t die fur uns in Bet racht kommende Inten-

    sie ist die Grund lage der echten Formf ragen der Werke, je tz tnicht mehr in formal isti schem Sinne, sondern als Form, die ausWesen des lctzten Gehalts entspringt, die die spezifische Formspezifischen Gehalts ist,

    de r Kern dieses formbestimmenden Geha lts i st aberimmer der Mensch. Was immer der direkte Ausgangspunkt,

    'VUi"-! 'CLt: Thema, der unrnittelbare Zweck. etc. eines Iiterarischen15

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    Gebildcs auch sein mag, sein tiefs tes Wesen dri .ickt sich in der Frageaus: was ist der Mensch?Dami t sind wir zurn Punkte angelangt, wo die Scheidel inie deutl ichsichtbar wid. Fasscn wir diese Frage auf der hochsten Stufe einervernUnfl:igen Verallgemeinerung, also - vorlaufig - noch unabhangigvon allen Formfragen der Literatur, sokommen wir fur die Wirklichkeit(und selbstredend auch fUr die Literatur) der einen Tendenz zu der Be-stimrnung von Aristoteles, die ebenfalls unabhangig von asthetisehenFragen entstanden ist: er nennt den Menschen ein ~wov JtOALTLXOV,cin gese ll schafl :l ichesT ier, und gib t dami t fUr d ie auf ihn fo lgendeWeltbetrachtung eine konkrcte Richtschnur . Zugleich ber iihr t er je-doch auch die Zentralfrage eincr jcden groen realistischen Literatur.Ob Achil les oder Werther, Oedipus oder Tom Jones, An tigone oderAnna Karcnina, Don Quijote oder Vaut rin: das Gese llschafl :li ch-Geschichtl iche, mit allen Kategorien, die daraus folgen, lat s ich vonihrer Wirklichkeit, im Sinne Hegels, von ihrem Sein an sich, vonihre r ontologischcn Wesensart , urn e inen modischen Terminus zugebrauchen, nicht ablosen. Die rein menschliche, die zutiefs t indivi-duelle und typische Eigenart dieser Gestalten, ihre ki.instlerische Sinn-fall igkc it i st mit ihre rn konkreten Verwurzel tsein in den konkre thistorischen, rnenschlichen, gesellschafl:lichen Beziehungen ihres Da-seins untrcnnbar verknupft.Vollig entgegengesetzt ist die ontologische Intention, das mensch-liche Wesen ihrer Gestalten zu bestimrnen, bei den fiihrenden Schrift-stel l ern der avantgardei stischen Li te ratur, Kurz gefat: fii r si e i stdcr Mensch: das von Ewigkeit her , seinern Wesen nach einsame, ausallen menschlichen und erst recht aus allen gesellschaf l: lichen Bezie-hungen hcrausgelos te - ontologisch - von Ihnen unabhangig exist ie-rende Individuum. Del' fruh verstorbene, hochbegabte amerikanischeRomancier Thomas Wolfe macht z: B. folgendes Bekenntnis: MeinLebensgefUhl grunde t sich auf die Ieste Uberzeugung, da die Ein-samkeit keineswegs etwas Seltenes und Merkwiirdiges ist , etwas nurmil ' und einigcn anderen einsarncn Menschen Eigentiimliches, son-dern die unausweichliche, zentrale Tatsache des menschlichen Da-seins. Ein solches Individuum kann eventuell , aber jedenfalls - on-

    angeschen - ers t nachtraglich, im tiefs ten Sinne auer lichmi t anderen Individuen in Beziehung t reten; diese sind

    abel' ihrem \ 'Vesen nach letzthin ebenso einsarn, exist ieren ebenso in16

    Unabhangigkeit von menschlichen Beziehungen;verwechsle die hier ent stehende -Menschen nicht mit einzelnen Einsamkeitsgestaltungeniln~

    'UU>I-''';U Litera tur. In dieser handel t es s ich urn e ine - nteh r odel"vori.ibergehende, eventuell sogar standig gewordene ...Sittul'"

    eines Menschen, die von seinem Charakter , von den UmsrandenLebens oder von der Wechselwirkung beider konkret bedingt

    Eine dera rtige Einsarnke it kann re in auerl ich se in, wie die desdie ode Insel Lemnos ausgesetzten Philoktetes bei Sophokles; s ieder Abschluf einer inner lich notwendigen Entwicklung sein, wieFlauber tschen Freder ic Moreau in Education sentimentalegar beim Iwan Iljitsch von Tolstoj, Sie ist aber immer: Teil,

    Zuspitzung, Aufgipfelung etc. im konkreten gesellschaft-Zusammenleben und Aufe inanderwirken kon-

    Menschen. Ihre Notwendigke it ist - hochstens - das typischebesc immter Typen unte r ebenfa ll s konkret besti rnmten

    Urnstanden. Neben diesen Gestal ten.urn sie, in stete r Wechselbeziehung zu ih rer Einsamkeit geh t das

    L~"1 1.11t"1"LJI~Il, das Aufeinander-Einwirken der anderen Menschenweiter. Mit einem Wort: diese Einsamkeic ist ein beson-

    gesellschaftliches Schicksal, niemals eine allgemeine oder ewigeOVllUiC1VU humaine.

    d iese Auffassung ist jedoch fur die Denker und Dichte r de l"diarakteristisch. Hier soIl rnoglichst wenig von Philosophie

    Rede sein, es ist aber schwer, an dem pragnanten und pit toreskenvon Heidegger vorbeizugehen, der die menschliche Exi -

    als Geworfenheit ins Dasein definiert und dami t die bestedieser ontologischen Einsarnkeit des menschlichen Indi-

    gegeben hat . Denn mit der Geworfenheit ins Dasein istnur das Leben und das Wesen e ines jeden einze lnen Menschen

    einsames, als aus Zusarnmenhangen und Beziehungenherausge . .bestimmt, sondern auch die prinzipielle Unerkennbarkeitdesund des Wohin? einer jeden solchen Existenzistausdemeiner solchen Weltauffassung prinzipiell abgeleitet.folgt vor allem die Geschichtslosigkeit eines solchen Daseins.

    Heidegger selbst eine eigentliche Geschichtlichkeit in seinembehandelt , ber iihr t diese Betrachtungen nicht . Der Verfasser

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    dieser Zeilcn hat ariderswo gezeigt, daB bei Heidegger die wirklicheals vulga re deprezie rr wird, wah rend die eigent-l iche His torizirar objektiv mit der hier beschr iebenen Geschichts-

    identisch ist.) Diese erscheint nun fur die [irerarische Gestal-tung in doppelter Form. Erstens beginnt und ender der Ablauf, derfur den Menschen jeweils in Betraeht kommt, mit seiner eigenenpcrsonlichcn Existenz, Es gibt fur ihn und darum fur den ihnavantgardeisrisch gestalten den Schriflsteller - kein mit seinem Leben,mit seinem \vesen verbundenes , es modifizierendes oder von ihmmodifiziertes Dasein VOl'oder nach seinem Auftreten. Zweitens istabel' auch dieses Dasein fur sich genommen ohne inn ere Geschichte,Das Wesen des Menschen ist eben - sinnlos und unergr iindbar _ indie Welt geworfen; es kann sich nicht in lebend iger Wechse lbe-ziehung, in lebendigen Widerspri.ichen zu ihr entfalten, sie for-men oder von ihr geformt werden, in ihr wachsen oder entarten, Diehodiste die hier moglich ist , ist ein Enthiillen dessen, wasdas Wesen des Menschen an sich, von Ewigkei t her gewesen ist , al socine Bewegung des betrachtenden Subjekts, niche der betrachrerenWirklimkeit seIbst.Natur lich Jaih s ich ein solches Prinzip nur in der abstraktes ten Philo-sophie mit voll ige r Konsequenz durchfi ihren, auch dort nur sophi-

    rabulistiseh. Ist ein Schrifl:steller, mit so ausgepragten avant-Ubcrz.eugungcn, kiinstlerisdi begabt , so driickt sein

    Gestaltctes bis zu cinem gewissen Grade stets auch ein konkreteshie et nunc aus, So wird bei Joyce Dublin, so bei Kafka und Musildie Habsburger Monarchie als Atrnosphare des Geschehens fiihlbar.Nur ist dies bei ihnen - mehr oder weniger - ein sekundares Neben-produkt, nicht ein integriercndes Moment des kiinsderisch Wesent-limen.Eine solche AuHassung vorn Wescn des Menschen rnuf sich auf allenGebieten der kiinstl erischcn Gestal tung in einer besonderen Weisedurchsetz en, alle Prinzipien des Iiterarischen Forrnens tiefgehend be-einflusscn. Indern wir je tzt auf eine Charakte ristik der wicht igstenhier z ur gelangenden Eigentumlichkeiren eingehen, miissen

    mit einer Kategorie beginnen, die irn Lebenaller Mensehen und darum in dcr l iterar ischen Widerspiegelung ihresLebens cine ausschlaggebende Rol le spiel t: mit de r Kategorie der

    und zwar mi t cleren Differenzie rung in abstrakre und18

    (bei Hegel reale) Moglidikeit. Zusammengehorigkeit , Un-und Gezensarz diese r beider Kategorien ist vor a llem einedes Lebens selbs t. Moglichkeit ist - abs trakt, bzw. subjektiv

    - i rn rner reicher als die Wirklimke it ; Tausende und aberMoglichkeiten scheinen fUr das menschliche Subjekt offenzu-

    deren verschwindend geringer Prozentsatz verwirklicht wer-Und der moderne Subjektivisrnus, de r in diesem Sche in-

    die echte Fiille der menschlichen Seele zu erblick.en vermeint,ihr gegenuber e ine mi t Bewunderung und Sympath ie ge-

    Melancholie , wahrend der Wirkl imkeit , die die Erf iil lungMoglichkeit versagt, mit einer ebenfalls rnelancholischen Ver-entgegengetreten wird. So spricht Hofmannsthals Sobeide

    der ers ten Generation, die von diesem Erlebnis beherrsdit

    der immer wieder durchgedachten,jetzt schon toten Moglichkeir . ..

    sind jedodi solche Moglichkeiten konkret oderreal? Sieja blof in der subjektiven Vorstel lung , se i d iese nun

    Tagtraum, Einfal l, Assoziationskette etc. Faulkner, bei demivellierung der Moglichkeir ins rein Subjektive und darumeine sehr grofle Rolle spie lr, hat zuwei len e ine klar e Ein-

    in den Tatbestand, daf dadurch die Wirklimkeit vollig sub-und willkiirl ich gemacht wird. Uber eine episodische Szene

    : Sie redeten aIle durcheinander, ereiferten, erregten, strittenaus einer Unwirklichkeir eine Moglichkeit , dann eine

    dann e ine unumstofsl iche Tatsache , wie es dieeben machen, wenn sie ihre Wiinsme Wort werden lassen.

    ist auch das fur jedes Individuum mehr oder wenigerwelche von solchen Moglichkeiten und wie, mit wel-Wiederholungskrafl :, Intensi tat etc. in ihm auftau-

    AnzahI grenz t aber, prakt isch angesehen, audi in derPersonlichkeir ans Unendliche, es kann also nichtdiese - von ihrem realen Schicksal gar nicht zu reden - als

    soIcheMoalichkeiten konturiert gedacht werden, Ihr abstrakter" .auBert sich gerade darin, daf sie ohne entscheidende~J:llL."H - Stimmung, auch die t iefs te und aufrichtigst ergrei-

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    ergibr niche reale Deterrninanten des Lebens - fiir die Ent-del' Personlichkeir sein kann. Diese ist im allgemeinen von den

    angeborenen Anlagen, von ihrem Wachstum und Verkiirn rnern imbisherigen Leben, von au~eren und inneren Schicksalen bestimrnt.Das Leben kann aber neue konkrete Moglichke iten in Wirk lichkei tverwandeln. D. h., eskonnen Situationen entstehen, der Mensch kannvor cine Wahl gestellt werden, bei welcher seine echte Personlichkeitin einer oft ihrn selbsr t iberraschenden Weise zum Ausdruck kommt.Die inneren Peripetien der Dichtung, vor allem der Drarnatik, habenzumeist ein solches Zur-Wirklichkeit-Durchbrechen einer realen aberdurch Umstande, durch die bisherige Entwicklung zuriickgedrangtenMogl ichkei t zum Gegenstand. Ihr Charakter a ls rea le Moglichke itbewahrt sich darin, da~ sie nunmehr die Basis zur Existenz der be-treffenden Personlichkeir wird, auch dann, wenn diese Existenz s ichauf einen tragischen Untergang konzentrier t. Im voraus, rein von derSubjektivitar der Personlichkeir aus betrachtet, kann diese konkreteund rea le Mogl ichkeir von den unzahligen abst rakten nicht unte r-schieden werden ; ja , es g ibt sogar Fa ile, in denen sie so tie f ge lagert

    da~ sie vor der Schicksalswende nicht einrnal als abs trakte Mog-l ichkei t irn Subj ekt auftaucht , da~ dieses se lbst nach Wahl und Ent-sche idung keine Bewufsrhei r t ibe r se ine eigenen Motive besi tz t. Sobekennt Richard Dudgeon, der Teufelsschiiler in Shaws gleichnamigerKornodie, nachdem er sich als Pastor Andersen aufgeopfert hat, nichtsdari .ibe r zu wissen: Ich habe mich danach immer wieder se lbst ge-Fragr, und ich kann keinen rechten Grund dafiir finden, da~ ich ge-handelt habe, wie ich es ta t. Und dennoch ist es ein Entschluji , de rsein ganzes Leben auf e ine vdllig neue Grundlage ste llt . Nat ii rlichist das ein extrerner Fall. Aber der Sprungcharakter , der der Per ipetieinnewohnt, ein Sprung, du rch welchen Einhe it und Kontinuitat derIndividualirar zugleich aufgehoben und aufbewahrt werden, la~t s ichnierna ls mit Sicherhei r aus dem Komplex der abstrakten Mogl ich -keiten eines Subjekts eindeutig herauslosen und als konkret demandcrcn klar gegcnuberste ll en. Erst in der Entscheidung und durchsic konstituiert sich Untcrschied und Cegensatz.Es ist also selbsrverstandlich, da~ die realist ische Literatur, als treueWiderspiege lung der objektivcn Wirkl ichkeit , die abst rakten undkonkreten Moglichkeiten der Menschen in einer solchen realen Ver-bundenheit und Entgegensetzung darstellt. Das Inerscheinungtreten20

    Moglichkeir eines Menschen entlarvt die abs traktenvorhandene aber als innerl ich unwahre. So schildert z . B.

    Moravia im Roman Die Gleichgi ilt igen- den j ungen Sohnverkommenen Bourgeoisfamilie, Michel. Dieser will den Ver-se ine r Schwester to ten . Nach gefafstem Vorsatz, in der Vor-

    des Anschlags werden die abstrakren Moglichkeiten Michelssubjektiven Farbigkeit und Moralitat ausfiihrlich geschildert.

    aber, zu seinem Unglilck, doch zur Ausfuhrung, und inin allen ihren erniedrigenden Details, erscheint sein Charakterwas er wirklich ist , als wiirdiges Mitglied des Milieus, dem er

    aus dem er sich - als einsames Subjekt - zeirweilig ein-moralisch heraustreten zu konnen.

    a lso die abst rakte Moglichke it si ch blofs im Subj ekt aus-kann, hat die konkrete Moglichkeit dessen Wechselwirkung

    den objektiven Tatsachen und Kraflen des Lebens zur Voraus-Diese haben aber notwendig immer einen objektiv gese ll -

    Charakter. D. h., die literarische Darstellungkonkreten Moglichke it se tz t eine konkrete Darstel lung kon-

    Menschen in konkreten Beziehungen zur AuBenwelt voraus.in e iner lebendigen und konkre ten Wechse lwirkung von Men-und Umwelt kann die konkre te Moglichke it eines Menschen

    der schlechten Unendlichkeit seiner abs trakten Moglichkeicenund sich a ls die best immende konkre te Moglichke it

    dieses Menschen auf gerade dieser Entwicklungsstufe erwei-Das ist das al le inige Prinzip der Auswahl des Konkre ten aus der

    von Abstraktionen.Ontologie, die der Auffassung des Menschen in der dekadenten

    zugrunde liegt, schliefst ein solches Auswahlprinzip a limineWird das auf sich selbs t ges tell te , einsame, aus den gesellschaf l-

    Menschenbeziehungen herausgeloste Individuum als identischdem wirklichen, echten, t iefs ten Wesen der Wirklid1keit gefaBt,

    hort fi ir e ine solche Konzept ion der Unter schied von abst rakterkonkrete r Moglichke it au f. Sie werden zu einer prinzip iel len

    verfalscht, Cesare Pavese bemerkr r ichtig bei Dob-und Dos Passos ein Pendeln zwischen oberfladilichem Verismusund abstrakter expressionistischer Konstruktion.

    fordert - Dos Passos gegeniiber - das Schaffen von Personen, in-man sie auswahlt, und indem man ihre Zi.ige auswahlt (die

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    Charakterzeichnungen von Dos Passes abel' konnen von einer Personauf die andere ilbertragen werden). Ohne die Frage der abstrak tenMoglichke it hie r aufzuwerfen, beschreibt Pavese sehr richtig diekiinstler ischen Folgen. Die ontologische Degradation der objektivenWirklichkeit del ' AuBenwelt des Menschen, die entsprechende Exal-tation seiner Subjektivitat fiihren notwendigerweise zu einer solchenVerzerrung auch in der dynamischen Struktur des Subjekts .Es handelt sich hier urn ein Weltanschauungsproblem der avantgar-deistischen Literatur irn Fruher angegebenen Sinn; d. h. urn eine fun-damentale Stellungnahme zur Wirklichkeit, die jedoch - falls dasBediirfnis einer rheoretischen Begriindung iiberhaupt entsteht - mit denvcrschiedensten, ja entgegengesetzten Gedankengangen unterbaut wer-den kann und dementsprechend auch literarisdi in den verschiedenstenForrr ien zu erscheinen pflegt, ohne damit die gemeinsame weltan-schauliche- Grundlage aufzugeben. Es ist also von diesem Standpunktaus nicht entscheidend, ob eine solcheAuflosung der objektiven Formin Subjektivirat als eine Technik des reinen Assoziationsf lusses er-sche int wie bei Joyce und se inen Nachfolgern , ob, wie be i Musil , dieaktive Passivitat, das Existieren ohne Eigenschaflen- proklamiertwird, ob - scheinbar - ins Entgegengesetzte umschlagend den abstrak-ten Moglichkeiten eine Pseudorealisierung zugesprochen wird, wie inde l' action gra tuit e von Gide, etc. Wie im Leben den Menschen dascharakreri si ert , wohin er sich im Fal le e ine r se in Dasein aufs Spielsetzenden Entscheidung wenden wird, welchc seiner konkreten Mog-lichkcitcn sein Wesen wirldich ausdriickt, so auch in der IiterarischenWiderspiegelung. Das Verlorengehen des Unterschieds zwischen ab-strak ten und konkreten Moglichkeiten, das Herunternivellieren derInnenwelt des Menschen auf cine abstrakte Subjektivitat f iihr t untera llen Umstanden mi t sich, daf sich d ie Konturen der mensch lichenPersonlichkeit tief auflosen.Mit richtiger Selbsterkenntnis sagt T. S. Eliot tiber diese Art dermenschlichen Gestalt:

    Shape without form, shade without colour,Paralysed force, gesture without motion.

    Dieser Auflosung der Personlichkeit entspricht die Welt losigkeit derLiterarur . In bes timmtem Sinne handel! ess ich urn eine einfache Kon-22

    . der eben geschilderten Konstellation, denn die Gleichsetzungabstrakter und konkreter Moglichkeit im Menschen setzt die

    . der objektiven Wirklichkeit der Welt des Men-voraus, Und die theoretisch denkenden, Hihrenden Schriflsteller

    Avantgarde ziehen mit voller Bewulitheit solche Folgerungen, ja,in rnanchen Fallen schwer zu en tsche iden, ob es sich nicht hie r

    die prirnare weltanschauliche Position handelt, der gegenilber dieder Subjektivitat zu einer blofsen Folgeerscheinung wird.

    Koordination ist j edenfalls klar vorhanden, So erklart Gottf riedmit grofser Entschiedenheit , daB es diese Wirklichkeit nicht; es gibt keine Wirklichkeit, es gibt das menschliche Bewulst-das unaufhorl ich aus seinem Schopferischen Welten bildet, urn-

    verarbeiter, erleidet, geistig pragt, Musi l gib t, wie immer,soger ichteten Gedanken cine moralische Wendung. Der Heldgro lsen Romans, Ul rich, antworte t auf die Frage , was er tunwenn das Wel tregiment in seinen Handen ware: Es wi irde

    nichts ubr igbleiben, als die Wirklichkeit abzuschaffen. DaB dieWirklichkeit von der Seite der AuBenwelt ein Komple-

    zur subjektiven Existenz ohne Eigenschaften i st , bedarfausfuhrlichen Erorterung.Abschaffen der Wirkl ichkei t wird na ti irli ch nicht immer sotheoret isch formuliert wie bei den - untere inander seh r ver-

    ._""", ",,,"'- Benn oder Musil . Es bi lde t aber das Grundmotiv derDarstel lung. Wenn etwa Musil den Gegenstand

    grofsen Romans in einem Gesprach als d ie Ze it von 1912 bisbezeichnet, so beeil t er s ich, cine derar t konkrete Bestimmungzu beschranken: Wenn ich dabei den Vorbehalt machen darf,

    nen his torischen Roman geschrieben zu haben. Die reale Erkla-des realen Geschehens interessier t mich nicht . .. Die Tatsacheniiberdies immer vertauschbar. Mich interessiert das geistig Typi-ich rnochte geradezu sagen: das Gespenstische des Geschehens.Wort gespenstisch- verdient dabei hervorgehoben zu werden.esbezeichnet eine der wichtigsten Richtungen, die zur mehr oder

    vollstandigen Auflosung der Wirklichkeit in den dichterischWelten fiihrt. Kafka, der in se inen Deta il s tmmer auBer-packend real ist, konzentriert aIle seine Kunstmitteldar-

    seine Angstvision vorn Wesen der Welt ais die WirklichkeitAusdruck zu bringen, also urn in seiner besonderen Weise eben-

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    falls die Wirklichkeit aufzuheben. Dadurch verwande1n sich die reali-stischen Details in Elernente, in Trager einer gespenstischen Unwirk-lichkeit, einer Welt als Alpdruck, die eben deshalb ihren Weltcharak-ter verlieren muE, die nur als Medium des Angstevozierens im Subjekteine Rcalitat haben kann. So verwandelr sich die Wirklichkeit insTraurnhafle, und diese kiins tler ische Tendenz bleibt bestehen, auchwenn das Zerflattern, das Zerfliefsen der Wirklichkeit mit einer sozial-kri tischen Tendenz verbunden wird, wie im Treibhaus von Koep-pen. Eine solche Auflosung der Wirklichkeit liegt naturgemaf auch derAssoziationsf1ut von Joyce zugrunde. Sie erfahrr eine gewaltige Stei-gerung, wo die monologis ierenden Subjekte zu einzigen Tragern derdargestel lten "Wirklichkeit gemacht werden, insbesondere in jenenAufgipfelungen dieser Tendenz, wo diese Subjekte als vollendete oderhalbe Idioren zur Erscheinung gebracht werden, deren verschworn-mcnc, haltlose, unverbundene Vorstellungen das einzige Medium seinsollten, die dem Leser die "Welt der Dichtung vermitteln. So imersten Teil von Faulkners The sound and the fu ry, so konsequen tzu Ende gefiihr t in Becketts Molloy,Auf losung der Welt und Auflosung des Menschen gehoren al so zu-sammen, s teigern, verstarkcn s ich gegenseit ig , Ihre Grundlage ist dasobjckrive Fehlen einer Einhcitlichkeit im Menschen, seine Verwand-lung in ein regelloses Nacheinander von augenblicklichen Erlebnis-fetzen und demzufolge seine prinzipielle Unerkennbarkeit sowohlf iir s ichselbst wie f iir die anderen, In der Cocktail Party von Eliotdriickt dieses Weltgefiihl die dem Dichter nachststehende Figur so aus:Ah, aber wir sterben fi. ireinander jeden Tag.Was wir von anderen wissen,Ist nur unsere Erinncrung an Mornente,In dencn wir sic kannten. Und seirdem haben sie sichverandert.Anzunehmen, sic und wir seien dieselben,Isr cine niitzliche und bequeme gesellschaftliche Konvention,Die manchmal durchbrochen werden muE. Uns sollte ste ts gewartig sein,DaG wir bei jeder Begegnung einen Fremden treffen.Die Auflosung der Person lichkei t, die sich i rn Gle ichse tzen von ab-straktc r und konkre te r Mogl ichkei t gewisserrnafsen spontan vo ll-zogen hat, erhebt sich in der Selbstreflexion zu einem bewufstenSystem. Nicht umsonst nennt Berm sein theoretisches Buch Doppel-24

    fi ihrt dort die Auflosung des Menschen zu e iner schizo-Spaltung, die sich von jedem neuen Aspekt aus erneut

    Es gibt im Menschen keinen Zusammenhalt, keine SyntheseEigenschaften oder Verhaltungsweisen. Erstens ist das

    und der immer nackter sich sublimierende Gedanke un-Zweitens isr die Einheit von Denken und Handeln eine

    Idee. Drittens sind Denken und Sein volligWesenhei ten. Vie rtens ist der Mensch entweder mora-

    denkerisches Wesen, beides zusammen ist unmoglich.: von wo immer man es betrachtet: jedes Leben ist ein Dop-ist in sich unaufhebbar zerspalten.

    sich hier nicht urn private Gedankenspielerei eines Exzen-So sehr diese Gedanken Fri ichte des spezifi sch Bennschensind, sind sie t ief und vie lfa ltig mi t der Entwicklung der Ge-

    der Dekadenz verbunden. Es i st mehr al s hundert JahreKierkegaard - einer der Stammvater und Klassiker derDekadenz - die Polemik gegen die Hegel sche DialektikUnd in diesem Kampf war e ine der Zent ralfragen Kierke-

    gegen die Hegelsche Auffassung, daB das Innere undin der obj ekt iven Wirkl ichkeit und darum auch im Men-

    dialektische Einheit bilden, d. h . bei allen Differenzen, diezu e iner Gegensarzl ichkeit zuspi tzen konnen, sich doch in

    Zusammenhang befinden. Kierkegaard leug-solche Verbindung zwischen KuBerem und Innerem. Jeder

    lebt, nach seiner Theorie, in einem fiir andere Menschendurch ke ine menschl iche Kraft durch-

    Inkognito.llllJ>UUl,L~J.lt: Position ist nach dem zweiten Weltkrieg zu

    grofsen Popular itat gelangt , als Beweis daf iir, daB selbsttheoretische Aufstellungen oft wichtige gesellschaft-ausdri icken. Nacheinander haben sich Heidegger,

    C. Schmitt , Benn und andere leidenschaft lich zum ewigender menschlichen Personlichkeit bekannt, zum schicksal-

    erstecktbleiben-Milssen ihrer wahren Motive inmitten der,{{"rl;.,j.,,,n Taren. Die Begebenheiten, hinter denen diese My-des Inkognito briiten, konzentrierten sich verstandlicherweiseBeteil igung der erwahnten Autoren am Hider-Regime, auf

    Verherrli chung Hiders al s Rektor der Fre iburger Uni -25

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    auf Schmitts Rcchtstheorien und Rechtspublizistik im Dienstder Hitlcrschen Aggressionen usw. Die Tatsachen waren zu bekannt,urn glatt verleugnet werden zu konnen. Wenn aber das undurch-dringliche Inkognito die entscheidende condit ion humaine ist , werkarin es ob in diesern Inkognito - Heidegger oder Schmittnicht gluhende Gegner Hiders waren, wah rend sie ihn in der Weltder AuBerlichkeit unterst ii tz ten? Das offen zynische BekenntnisE . von Salomons in dem Fragebogen iiber seine prinzipienlose An-passung an das Hitler-Regime (mit kritischen Vorbehalten unterzwei , hochstcns vie r Augen) gibe e ine wohltuende Entlarvung derpompos-pathetischen Inkognitoideologie, vor allem der Ernst Jiingers.Dieser kurze Exkurs mufste gemacht werden, u rn an einern krassenBeispiel den sozialen Sinn der ontologi sch-ewigen Kategor ien einwenig zu illustrieren. Fiir die Literatur selbsr haben die Posit ionendes des Inkognitos etc. eine ausschlaggebende Bedeu-tung indern alle Faden, die die Entfaltung der mensch-lichen Personlichkeir in Wechselwirkung mit ihren Mitmenschen, mitder in der sie wirkt, von der sic beeinflufsr und geformtwird, die sie zu formen hi1f t,zerr issen und die schon dadurch hervor-gcrufcne Zerstorung ih res Kerns und ih rer Konturen von innen hero-p':l"",o-p,t haben . Als Kontrast se i nur auf die Fruchcbarke ir solcherWiderspriichc fiir die reale Entwicklung des Menschen hingewiesen.In groGen rca listischen Dichtung vom Achilles Homers bis zuAdrian Lever k iihn in Manns Dok tor Faustus, bis zu Grigo rij Mel-jekow in Scholochows Stil len Don ist das lebendige Wechselspielvon jeweiligen zcntralen Widerspri ichen das letzthin bes timrnendePrinzip des Wesens und dcr Entwicklung der dichter isch ges taltetenMenschen. Wir haben bercits gezeigt, wie verheerend das Annullierendes Unterschicds von abst rakter und konkrerer Mogl ichkei t auf dieGrundlagen des kiinst lerischen Charakter isierens eingewirkr hat .Je tz t scl ien wi t, daG die Lebendigke ir und die Wirkungskr

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    lehnung ihrer Niedertrachtigkeit, und das Pathologische hat s ich auseiner poetischen Zier, aus einern belebenden Farbenfleck in diesem Grau-in-Grau zu einern moralischen Protest gegen diese Niedertrachtigkeitverfestigt. Bei dieser entwicklungsbestimmten Bestirnmtheir bleibt alsoder gcmeinsame soziale Grund sichtbar, und sowohl Verherrlichen wieTrennen bilden wichtige Momenre der die Gestaltung determinierendenWeltanschauung.Bei Musil - und bei vie len anderen Schrift stel le rn der Gegenwart _wird a lso das Pathologische zu einern Terminus ad quem der dichte -rischen Kornposition. Diese Zielsetzung enthiillt eine doppelte Schwie-rigkeir, die aus der allgemeinen Weltanschauung soldier Schriftstellerentspringt: einerseits die Unbes timrntheir , die unaufhebbar in einersolchen Zielsetzung eingeschlossen ist. Denn der Protest, den die Fluchtins Pathologische ausspricht, ist vollig abstrakt und leer, verurteilt dieWirklichkeit , aus der gef lohen wird, rein summarisch und allgemein,sagt mit dern Protest nichts konkret Kritisches i iber diese aus. Und dieFlucht ins Parhologische selbst ist notwendig eine solche, deren Rich-tung ebenfalls die Leere, letzten Endes ein Nihil ist . Andererseits ist escine Illusion der Vertreter soldier Weltanschauungen, zu glauben, ihreProtestbewegung ware ein wirkliches bewegendes Prinzip fiir die lite-rarische Gestaltung. Wenn gegen einekonkrete, gesellschaftlich-geschicht-l iche Wirklichkeit ein konkrerer Aufstand proklamiert wird, so ist j aauch s tets diese Wirklichkeit der lerzthin bewegende Faktor ; der biir-gerliche Aufstand gegen die feudale Gesellschaftsordnung, der prole-tar ische gegen die biirger liche nimrnt notwendigerweise seinen Aus-gangspunkt aus der Kritik der alten Formation. Er hat jedoch _ ausdieser herauswachsend - einen sehr konkreten Terminus ad quem: dieneue Formation. Mogen deren Konturen, Struktur , Inhalt etc. vorerstnoch so verschwommen sein, s ie enthalten in sich doch implici te eineTendenz zur Klarung und Konkretisat ion. Ebenso ist die Lage bei derhumanistisdien Revolte gegen den Imperialismus.Ganz anders im je tz t behandel ten Fall . Der Terminus a quo , die Nie -der trachtigkeir der Zeit , muf in diesem Fall der allein bewegende Fak-tor sein, da der Terminus ad quem, die Fluchr in die Krankheir, ihrnichts Konkretes gegeniiberzustellen vermag, da ihre Bewegung vomDaseienden weg eine Bewegung ausschlieiilich innerhalb des Subjektsist . S ic hat also vom Standpunkt der dynamischen Beziehungen zwi-schen Mensch und Umwelt weder Inhalr noch Richtung. Diese Leere28

    nnamosigxert wird noch durch den Charakte r des Terminus addas Pathologische, gesteigert. Denn dieser driickt - blo!3 schein-Positive und Inhaltliche gewendet - ein abstrakt-inhaltloses

    yom unaufhebbar Gegebenen aus; ein Wegstreben, das sichnicht in Tat umsetzen kann, dessen Wesen darin besteht, sich

    das Niveau des Unbehagens, des Ekels, des Wunsches, deretc. erheben zu konnen. Sein Inhalt (seine essentielle Inhale-ist dadurch umschrieben, daB eine solche Weltanschauung fiir

    Leben kein Wohin? und darum keine Bewegung in e ineRichtung kennen kann. Unter diesen Umstanden ist es nur

    da!3 der Schriftsteller die Krankhafligkeir als gegebenenbetraditet, als einzigen fes ten Punkt, wo er l iterar isdi das

    und das Typische seiner Stellung zu verankern imstande ist.weltanschauliche Bevorzugen des Pathologisdien geht als Zeit-

    wei r iiber die Lite ratur hinaus. In der Methodo logie der inPeriode so einflul ireichen Psychologie Freuds linden wir eine

    analoge Tendenz. Nur au!3erlich ist die Fragestellung erwasgearte t al s in der Lite ratur. Freud geht zwar vom Alltag, vonall taglichen FehIleis tungen, vom Traum etc. aus , aber der Weg

    Erklarung fi ihrt ihn in die Pa thologie hinein. 'So sagt er z. B.Vorlesungen iiber Widers tand und Verdrangung: Unserf iir die Psychologie der Symptombildung muB eine au!3er-Steigerung erfahren, wenn die Aussicht besteht, durch das

    pathologischer Verhaltnisse AufschluB iiber das so gut ver-seelische Geschehen zu bekommen. Es ist hieraus, sowie

    ''''llH~;ll anderen Stellen offensichtl ich, daB Freud in der Psy-des Abnormalen, des kranken Menschen den Schli issel zum. des Normalen zu linden meint , Vielleicht noch deutl icher

    Tendenz in der Typologie von Kretschmer zu sehen, die eben-aufgebaut ist, daB die seelischenAbnormalitaren, die TypenKrankheiten die normal en Anlagen, Temperamente etc.erklaren sollen. Die Stelle dieser - herrschenden - Ten-

    in der modernen Psychologie rii ckt e rst dann in die richtigewenn wir ihr die Typo logie des Materiali sten Pawlowder auf die von Hippokrates zuri ickg reift , urn die

    Erkrankungen als Abweichungen vom normalen Seelenlebenaus seinen eigenen Gesetzmafsigkeiten zu begreifen.es handelt sich hier weder urn eine einzelwissenschaftliche

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    Frage noeh um ein technisehes Problem der Literatur. Dieser ganzeKomplex ist weltansehaulich verwurzelr. Seine GrundIinien folgenl10twendig aus der ol1tologisehen Auffassung der prinzipiellen Einsam-keir des Menschen. Die Literatur, die die Aristotelische Konzeption des

    JtO).lTlXOV zur weltansehauIichen GrundIage hat, bringt das Typen-schaffen gleiehzeitig mit der Verscharfung der Widerspri iche in dengesellschafl:lichen Bestimmungen und mit der WiderspriichIichkeit imvoIlcntfalteten Individuum in einen organischen, unaufIosbaren Zu-sammenhang. Darum konnen in ihr gerade Gestaltungen der extrem-sten individuellen Leidenschafl:en cine geselIschafl:Iieh norrnale Typikreprasentieren (Shakespeare, Balzac, Stendhal). Das Alltagsleben, derDurchschnittsmensch erscheint von dieser Warte aus aIs ein Abschwa-

    e in Abstumpfen sowohl der objektiven wie der subjektivenWidcrspriiche, die Exzcntrizitat als eine geseIlschafl:Iichbedingte Ver-zerrung. Dabei rnuf festgehalten werden, daB die extremen Leiden-schaf l:en grof er und typischer Gestal ten nichts mit Exzentr izitat imengeren, irn e igentl ichen Sinne zu tun haben. Adrian Leverki ihn i stnichr exzentrisch, wohl abel' Christian Buddenbrook.Die Ontologie der Geworfenheit des einsamen Individuums hat f iirdie Litcra tur zur Folge, daE d iese beirn Verschwinden des wi rkli chTypischen blofs den abstrakten Gegensatz, die abs trakten Extreme:All tagsdurchschnit t und Exzentr izitat kennen und darsrel len kann.Die Grunde, weshalb das Extreme, das in der realist ischen Literatur

    Erganzung und Steigerung der gesellschafl:lichnormaien,von gewaltigen Leidenschafl:en getriebenen Gestalten

    in der Dekadenz irnrner starker ins eigentlich Exzemrische, letztenEndes ins Fathcloaische treibt, haben wir berei ts ausgefi ihrr , Darink0l11111tum Ausdruck, daB hier das Exzentrische eine _ ungewollt _

    Erganzung, Polar itar zurn Durchschnit tl iehen bildet undin dieser Polaritat samtlidie Moglichkeiten des Mensehseins zufcn ist. Das hat naturgcmaB das Leugnen einer jeden

    im Dasein lind in den Wechselbeziehungen der "V>Cl ,LH:lJzur wcltanschaulichen Voraussetzung. \Vie tief diese Bewegung. sic mit der der Gestaltung zugrunde liegenden Wverkni. ipfl : ist , zeigt ein interessanter Ausspruch in

    Roman. Er lautcr: \1{/enndie Menschheir aIs Ganzesmi.iBte Moosbrugger entstehen. Dieser Moosbrugger ist

    Lustmorder.

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    . Musil als gewissermaBen weltanschauliche Begriindung einesTypenschaffens auftr it t, urn die Flucht in die Neurose als Pro-

    die niedertrachtige Wirklichkeit darzustellen, erscheint beiavantgardeistischen Schrifl:stellern aIs die naturgegebene con-humaine, aIs vollendere, unabanderliche Tatsache, als Zentral-der dichterischen Gestaltung. Der eben zitierre Aussprueh Musils

    hier sein Wenn und erscheint als die selbs tverstandliche,vorhandene Wirklichkeit. Die berei ts hervorgehobene Welt-

    der Darstel lung erhalr hier ihre extreme, aber in ihrer Grund-adaqua te Form, indem die Real it at zum Alpdruck, womog-verschwommenen Bewufstsein eines Idioten, reduziert wird.

    dieser Tendenz konnen wir in Becketts Roman Mol-Die Neuerung von Joyce , die Wel t a ls prinz ipiel l unge-

    dahinfIieBender BewuBtseinsstrom aufgefaBt~ beginnt bereitseinen solchen Charakter des idiotischen Alpdrucks zu

    Beckens Komposition beruht auf einer Verdoppelung unddieses Weltbilds: zuerst die allertiefste pathologische

    des Menschen irn Dahinvegetieren eines Idioten, dann, alseiner unbekannt bleibenden Ins tanz - geholfen werden soll ,

    der Helfer in denselben Zustand der Idiotie. Beide Parallel-werden in Form des Assoziat ionss troms des vollendetenIdioten erzahlt.

    einfachcn Darstcllung des PathoIogischen, der Perversitar,aIs typischer Form der condition humainc tritt ebenso-

    offene VerherrIichung. So in Montherlants Pasiphae, wo. die Ieidenschafl: liche Liebe der Heldin zu einem Stier,

    Hingabe an ihn al s he idn isches Idea l, a lsRiickkehr zur Natur, als Durchbruch des echten ver-

    Wesens des Menschen aus der Versklavtheit in gesellschafl:-. dargestellt wird. Der Chor, also die Stimme dess tellr die - als selbstvers tandlirh bejahte - rhetorische

    . Si l'absence de pensee et l'absence de morale ne contribuenta l a dignire des betes, des plantes et des eaux ... ? Der

    ja verdrangr soziale Protestcharakter der Pathologie, ihrRousseauismus, ihre Antigesellschafl:lichkeit kommt hiermoralischen und emotionalen Akzenten ebenso deutlich

    wie bei Musil. Ihre genereIle, herrschende Bedeutungavantgardeistischen Literatur konnte man neben den bis-

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    der menschlichen Personlichkeit behandelt. Das Patho-jedoch als die Flucht ins Nichts aus dieser Verzerrung ist eben-

    Verzerrung, wenn auch mit entgegengesetztem Vorzeichen.Gestaltung muf also die eine Verzerrung an der anderen ge-

    Es entsteht eine Universalitat des Verzerrtseins. Dennnirgends eine Kraft , eine Tendenz, die dieser Universal itat

    . konnte , keinen Mafsstab, de r die einfach spief ibii rger-die exzentrisch-pathologische Verzerrtheit relativieren, an

    sozialen Ort versetzen wlirde. 1m Gegenteil . Die hierStromungen gehen alle in der Richtung zu ihrer Verabsolu-So erscheint die Verzerrtheit als Normalzustand des Menschen,

    Prinzip, als einzig angemessener Inha lt de r

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    her angefiihr ten mit unzahligen Beispielen erhar ten. Es geniigt viel-lcicht, ein kleines Gedicht Benns hierher zu setzen:0 daB wir unscre Ururahnen warcn,Ein Kli.impchen Schleim in einern warmen Moor.Leben und Tod, Befruchten und Gebarenglitte aus unser en sturnmen Saflen vor .Ein Algenblatt oder ein Duncnhiigel,vorn \Vind gcformtes und nach unten schwer.Schon ein Libellenkopf, ein Mowenfliigclware zu wcit und litre schon zu schr.Auf der Oberf lache ist hier nicht von Pathologic oder Perversi tatRcde, wie bei Beckett und Monther lant , die in ihnen Urformen, Ideal-typen des wesentlich Menschlichen erblicken, etwas, was ohne ihrerische Entlarvung von der Gesellschaftlichkeit als Vorurteilgeblieben ware. Irn Appell an solche Urformen bewegen sie sichauf derselben Linie mit Benn, Die Richtung auf ein jeder ut:sel.1Sc![lar,-lichkeit starr gegeniibergestelltes Urtiimliches - man mag dabeisophisch an den Versuch Heideggers, das soziale Leben als Daszu diffamieren, an das Ausspielen der Seele gegen den Geist beiges und nicht zuletzt an die Rosenbergsche Mythentherorie denkeninvol viert notwendig in s ich eine Intention zur Verherr lichungAbnormalen; einen Antihumanismus.Ist nun cine dichterisdie Welt geschaffen, deren Bdurch die falschen Extreme des biirgerlichen Durchschnittspathologischen Exzcntrizitat umschrieben ist, so entsteht daraustan das sr il ist ische Bevorzugen der Verzerrung. Diese gehortebenso notwendig zum echten, erschopfenden Abbild der W'wie die Exzentrizi tat, wie auch das Pathologische. Die Dichtungabel' eine gesellschaftlich-menschlich klare Vorstellung vom Nbesitzcn, um die Verzerrtheit an ihre r ichtige Stel le , in ihrenZusammenhang etc. setzen zu konnen, d. h. urn sie als Verzerrunghandeln zu konnen. Eine solche Auffassung ist j edoch hier urunuzucdcnn die bis jetzr geschilderte dichterische Weltanschauunga llcs Normale aus dem Bereich der Gegenstandigkei t in LebenLiteratur aus. Del' kapitalistische Alltag, der biirgerlichewird - mit weitgehendem Recht - als Verzerrung (als Ers tarrung,

    weitgehende Konkretisierung der weltanschaulichen Grund-avantgardeist ischen Literatur maeht uns moglich, in diesernoch weiter zu gehen. Der nachste Schritt ware nun , zu er -

    daB unter den bereits angegebenen Voraussetzungen soIcheunmoglich eine Perspektive haben konnen. Darin ist na-

    niehts Oberrasehendes; gerade so bewufste und scharf denkende. wie Kafka, Benn oder Musil, wiirden die an-

    Forderung, eine Perspektive zu gestalten, entriistet oder ver-zurlickweisen. Wir werden sparer ausfl ihrl ich auf die-klinstlerische Bedeutung der Perspektive zuriickkom-

    sei vorwegnehmend nur so viel bemerkt, daB nur sie imda sie Inhal t und Form des Abschlusses unmit telbar be-

    da in jeder zeitl ichen Kunst die Linienfuhrung dar in gipfelndas Ganze das Prinzip der letzthinnigen Auswahl zwischen

    und oberf lachlidi , entscheidend und episodisch, wichtigetc. bilden mufs. Die literarisch gestalteten Menschen

    s ich daher in einer durch die Perspektive determinier tenjene Zlige, Eigenschaf ten etc. werden an ihnen hervorge-

    die diese Entwicklung entscheidend fordern oder hemmen. Je. solehe Perspektive ist , desto sparsamer und doch schlagen-

    die Auswahl der Details sein. (Griechen, Moliere.)Literatur hat dieses Auswahlprinzip verloren, subjektivverworfen oder, was au fs g Ieiche hinauslaufl, du rch den

    auf eine ewige, prinzipiell unveranderl iche condit ion ersetzt. (Wir erinnern an unsere friiheren Ausfiihrungen iiber

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    Geschichte und damit natiirl ich einer jeden Perspektiveals Kennzeichen der Einsicht in das Wesen der Wirklichkeit.deutlicheren Illustration moge die folgende Strophe dienen:

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    abstrakte oder konkre te Moglichke it .) Da rum muf die hier entstehendeStiltendenz ihrem Wesen nach eine naturalistische sein. Diese Sachlage,die, wie wir glauben, die ganze dekadente Kunst zumindest des letz-ten halbcn Jahrhunderts kennzcichnet, wird von der s ie "peh~rrlden Kr it ik ve rdeckt , indern sie stilistische, formalistische Probleme inden Mittelpunkt der Analyse riickt, die technischen AuEerlichkeitendel' Schreibweisc vom dichtcrischen Gehalt isolier t und mafslos iiber-schatzt, wahrc nd sie sich dem sozialen und kiinstlerischen WesenGehalrs gegeniiber vollig unkritisch verhalt. Dadurch verschwindetwirkliche Scheidelinie zwischen Realismus und Naturalismus auschen asthetischen Betrachtungen: das Vorhandensein oder FehlenHierarchie in den gestalreten menschlichen Ziigen und Situationen.Darin driickr sich ein grundlegendes asthetisches Prinzip aus, daseiner wirklichen Trennung der Wege fiihrt. Die formalendel' Schreibweise haben daneben cine blof sekundare Bedeutung. Dar-urn karin man von einer naturalistischen Grundtendenz dergardeistischen Literatur sprechen, kann, mit Recht , darin denrischen Ausdruck fiir cine Kontinuitat in der weltanschaulichenwicklung erblicken. Und im Lichte einer solchen Gemeinsamkeitnaturalistischen Tendenz als stilistische Grundlage erscheinen diemalistisch-stilistischen Anderungen, Cegensatze, Neuerungen,tungskam pfe vom Standpunkr einer Charakteristik der ganzenal s unwichtig. Das schliefst Freilich n ic ht a us , daE jede dieserdenzen cine Widerspiegelung von Anderungen in der lO:"t:ll'Ul'''-lLlH:Ut:1Struk tur de r Periode sei. Es liegt deshalb nichts Entscheidendesob dieses Prinzip der naturalistischen Wahllosigkeit, das FehlenHierarchic aIs Macht des Milieus (erster Naturalismus), als Snmmuns(sparer Naturalismus, Impressionismus, auch Symbolismus), alstage von rohen Wirklichkeitsstiicken (neue Sachlichkeit), als I1"()/.acionsstrom (Surrealismus) etc. zum Ausdruck kommt,Die s ti li st is ch e E i nh e it all dieser - Ietzthin natural is tischentungen tritt noch deutlicher hervor, wenn wir an die kiinstlerischetung der Zustandlichkeit als Darstel lungsprinzip denken, derendeutung wir berei ts fri ihe r gest rei ft haben. DaE diese Frage mi tder Perspektive im engsten Zusammenhang steht, ist leichr t:UJlLUt:llt:lJNicht umsonst wi rd diese Tendenz von Got tfri ed Benn mitProgramrnarik betont, Er nennt einen wichtigen GedichtbandSratische Cedichte, und er betrachtet das Leugnen jeder Entwidclunz

    einer dichterischen wie denkerischen Beziehung zur Zu-also fur Benn das Kriterium der Weisheit. Aber auch

    des Avantgardeismus, die Geschichte, Entwick-nicht mit dieser Schroffheit ablehnen, die sogar die Absicht

    die Gegenwart oder die unmittelbare Vergangenheit literarischverwandeln das gesellschaftlich-geschichtliche Geschehen

    Art von Zustandlichkeit, machen aus seiner Bewegtheit etwasliches, wobei esf iir die Literatur wenig bedeutet, ob dieses

    Ewiges oder ais Zwischenzustand, von plotz lichen Katastro-aufgefaEt wird. (Es sei hier nur beilaufig daran erinnert,

    der ers te Naturalismus die allgemeine Zustandlidikeit oftplotz lichen Katastrophen umrahmt dargestellt hat, ohne damitt:,C:llLJllU't:ll Charakter zu verandern.) So sagt z. B. Musil in

    Der Dichter und diese Zeit: Ebensowenig weif manEinesteils versteht sich das von selbst wie immer, weil

    Gegenwart zu nah ist; anderenteils darf man aber in demFal l auch sagen, daE wir in dem Heute, in das wir fast

    zwei Jahrzehnten hineingefal len s ind, ganz besonders t ief Einer lei, wieweit s ich Musil auf die Philosophie Heid-

    ~m~~t:lass;t:nhat, ist hier die Konzeption der Geworfenheitihren Konsequenzen deutlich sichtbar. Und die weiteren Ge-

    zeigen deutl ich, wie nach Musils Auffassung in diesenDauerzus tand eine plorzliche Katastrophe mit 1914

    (Mit einemmal war die Gewalt da ... ; die europaischehatteplotzl ich einen RiE erhalten . .. usw.) Kurz gefaEt: dietdlichkei als Form der l iterar isch gestal teten Wirklichkeit ist

    vor iibe rgehende art isti sche Mode, sondern ist tie f in derl>Ul,,"UlUlJ.l. der avantgardeistischen Schriftsteller begriindet.

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    la , wenn wir dies en grundlegenden Gegensatz zum Reali srnus,von Homer bis Thomas Mann und Gorki ste ts in Bewegungen,wicklungen den ureigenen Gegenstand der Literatur erblickt,begruriden wollen, so miissen wir im Aufdecken der weitanscnauucne,Fundamente 110chtiefer graben. Dostojewskij gibt in seinenrungen aus einern Totenhaus cine auBers t lehrreicheder Straf lingsarbeit. Wir sehen die Zwangsarbeiter - trotz derDisziplin - de facto miiBig herurns tehen, die Arbeit zum Scheinschlecht vcrrichtcn, his ein neuer Aufseher kommt und ihnen eine gabe gibt, nach deren Vollendung sie nach Hause gehen konnen,Aufgabe war groB, sagt Dostojewskij, aber - Himmel! - wie s iejetzr an die Arbeit machten! Wo war jetzt noch Faulheit und Unhe ir zu sehcn l . Und an e iner anderen Stel le faBt Dostoj ewskijhier gesammelten Erfahrungen so zusammen: Verliert derZiel und Hoffnung, so verwandelt er sich nicht selten vorLangeweile in ein Ungeheuer . .. Man sieht: wenn wir friiherProblem der Perspektive in der Literatur als Auswahlprinzip desscntl ichen behandelr haben, so liegt diesem - wie s tets bei "H.J"'"""*,,uden hagen der kiinstle rischen Gesta ltung - e in Lebensproblemgrunde, dessen veral lgemeinerte Widerspiegelung dieKompositionsweise ist. In diesem Fall handelt es sich darum, dafechte Bcwegtheir des Menschen zumindest die subjektive Si:"W""""6keit seiner Aktivi tat voraussetzt , wahrend das Fehlen des Sinnes,Sinnlosigkeit als \X7eltanschauung jede Bewegtheit zu einemSche in herabsetzt und dem Ganzen den Stempel der re inen Zlichkeit aufdriickt.Da es keine Li tera tur ohne wenigstens e inen Schein dergeben kann, darf diese Feststellung ebenfalls nicht metaphysischaufgefaBt werden. Haben wir doch selbst die Tendenz zumschen in der avantgardeistischen Literatur als ein Wegstreben vonniedertrachtigen Zeit, als eine Sehnsucht nach einern prinzipiellbestimmten Wohin? charakterisierr, Das beinhaltet j edoch hierabsolute, unwiderstehliche Suprema tie des Terminus a quo, des

    aus welchem weggestrebt wird; die Bewegung auf den Tad quem z u ist von vornherein zur Ohnmacht verurteilt. DaWeltanschauung dieser Schrifl:steller - bei allen personlichen undbedingten Verschiedenhei ten an der Unveranderbarkeij derriven Wirklichkeit Festhalr (auch wenn diese als bloBer

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    wird), muf die Handlungsmoglichkeir des MensdienOhnmacht verurteilt, sinnlos sein.Wel tge fiih l hat Kafka am konsequentesten und

    ausgedriickt. Wenn in seinem Roman Der Prozefs- dieJosef K., zur Hinrichtung gefiihrt wird, sagt er sehr

    Ihrn f ielen die Fliegen ein, die mit zerreii lenden Beinchenwegstreben. Diese Stimmung der vollendeten Un-

    der Gelahmtheir durch die uniibersichtl iche und uniiber-Macht der Umstande ist das Grundmotiv seiner ganzen

    Mag die Bewegung del' Handlung im Sdilofs eineunmittelbar entgegengesetzte Richtung einschlagen als irndie Stimmung, ja die Weltanschauung der gefangenen, derzappelnden Fliegen geht durch sein ganzes Werk hindurch.Weltanschauliche gesteigerte und erhobene Ohnmachrs-s ich bei Kafka zu einer erschii tternden Angstvision eines

    :H!;,"~,l1C llCl" und des vollstandigen Ausgeliefertseins des Men-unerklarbaren, undurchdringbaren und unaufhebbaren

    gegeniiber steigert, macht sein Lebenswerk zu einem Symbolmodernen Kunst . Denn es ballen s ich jene Tendenzen,

    art isti sch oder denkeri sch zur Form werden, h ier zu einemerfullten, elementaren platonischen Staunen iiber die demewig fremde und feindliche Wirklichkeit zusammen, und das

    Intensi tar der Verwunderung, der Ratlosigkeit und der Er-die ihresgle ichen in der Lite ratur sucht. So erscheint das. Kafkas: die Angst als Konzentra t del' ganzen moder-Kunst.h ier um ein al lgemeines Grunderlebnis handelt , mag an

    aus der Musikkririk, die in dieser Frage zuweilenprinzipieller auf tr it t als zumeist die Analysen der Litera-werden . Hans Eisler sagt iiber Schonberg: Er ha t lange

    der Bombenflugzeuge die Gefilhle der Menschen inausgedriick.t . Noch charakter is tischer ist , was

    seinem Aufsa tz Al tern der neuen Musik iiber die Ten-Stockens und des Niedergangs in der avantgardeistischenvom Standpunkt der Avantgarde, sagt: Die Klange

    Aber das Moment der Angst, das ihre grofsen Ur-pragre, hat man verdrangt. Und damit verliere sie die

    die e inz ig ihr noch Daseinsrecht verlieh, Die Musiker36

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    waren, nach diesen Ausfuhrungen, den Gefiihlsgrundlagen ihresnen Avantgardeismus nicht gewachsen, darum mulite die neueverfallen. Das heifst, eine Abschwachung der elementarenAngst als Grunderlebnis - mag ihr Grund sein, wie Adornodaf die Erlebnisfahigkeit vor der iiberwaltigenden Macht dieserversagt , oder, wie wir glauben, daf die his torische EntwicklungGipfelpunkt einer solchen Angst selbst in der dekadenten ~WC!JL1","HLobj ekt iv uberschrit ten hat fiihrt nach Adorno notwendig zumfall der Geflihlsgrundlage, des zentralen Gehalts der modernenund damit zum Verlust ihrer Authentizitat alsKunst.Damit ist die paradoxe Lage der avanrgardeist ischen Kunst -dor t, wo ihre Vertreter echte und tiefe Erlebnisse kiinst lerischAusdruck bringen - pragnant umschrieben, Je echter und tieferErlebnisse sind, desto energischer zerre if ien sie jene sinnlich-sinniEinheit, die Voraussetzung und Fundament jedes asthetischen \.T~IJllll"ist . Daf dieses Zerreilsen der den Gegenstanden, ihrer Verbindunzihrer Bewegrheit etc. zugrunde l iegenden Einheit nicht einecine blofse Erfindung experimentierender Kiinstler isr, zeigt sichdag d ie moderne Philosophie lange vor Literatur und KunstProblem ins Auge gefagt und begri fflich formul ie rt hat . Esdabe i auf das Problem der Zeit hinzuweisen, Der subj ekt ive Irnus hat langst die abstrakt aufgefafste Zeit von der I..:rE~genSl:anldllchkeluncl von cler Bewegung getrennt. Seit Bergson reicht aber dieserfiir die icleologischen Bedurfnisse der imperialistischen Periodemehr aus. Die eigentliche, die authentische- Zeit wird nunmehrrein subjektive Zeit , die Zeit der Erlebtheir, die sich damit volligder realen, objektiven, gegenstandlichen Welt ablest, obwohl siebe i Bergson (und bei al len anderen spateren Philosophen, dieTherna verschieden var iieren) mit dem Anspruch auftr it t, geradeWesen der Wirklichkeit, in die echteste (in die subjektive)einzufiihrcn. Diese Bewegung, auf deren rein philosophischewir hier nicht eingehen konnen, begann sich re lat iv frt ih auch inLiteratur zu au{\ern.Walter Benjamin beschreibt die gestal tete Welt und dieweise Prousts wie foIgt: "Man weili , dag Prous t nicht ein Leben,es gewesen in seinem Werke beschrieben hat, sondern einso wie der's erlebt hat, dieses Lebens erinnert. Und doch ist

    UlJ.~UJl"ll und bei weitern zu grob gesagt , Denn hier spiel t f li rAutor die Hauptrolle gar niche, was er erlebt hat,

    Weben seiner Erinnerung, die Penelope-Arbeit des Ein- Der Zusammenhang mi t Bergsons Ze itauffassung ist

    Wahrend aber in der Abstraktion der Philosophie beider - tri iger ische - Schein eines einheitlichen Weltbildes

    ze igt Benj amin - dem objek tiven Wesen nach, nichtsubj ekt iven Oberzeugung - das Zerfla tt ern einer jedeninfolge dieser kiins tler isch radikal zu Ende gefuhrten. Denn ein erlebtes Ere igni s i st endlich, zumindest in

    Sphare des Erlebnisses beschlossen, ein erinnertes schranken-Schli issel zu allern, was vor ihm, und zu allem, was nach

    sogleich der grofle Unterschied zwischen einem philosophi-einem dichterischen Weltbild klargelegt. Unabhangig davon,hi losophie schon lange un ter dem Einfluf des Ideal ismus

    Zeit von Gegenstandlichkeit und Bewegung begriff lichar deren sinnlich-sinnfallige Einheit die selbsrverstandlidie,Gestaltungsweise einer jeden realistischen Literatur. DaIS in

    Lite ratur die Subjektivie rung der Ze it auch die Dich-zeig t eine rseit s, dafs es sich in d ieser Frage urn etwas

    as sehr tief im gesellschafl:lichenSein der burgerlichen Intelli-imperia listi schen Periode verankert i st. Das infolge derdem gesellschafl:lich-geschichtlichen Geschehen der Zeit

    auf sich se lbst zuri ickgeworfene Subjekt kann zwar ge-diesen Zustand als Selbstspiegelung, als Rausch begeistertrnuf aber a lsbald das Unhe imliche daran, der Schrecken

    indem man das Werden der Welt nicht begrei fen kannmuISdas allein als Substanz ubriggebliebene Subjekt - bloISgegeniiberstehend, blof sich selbst reflektierend - die schreck-

    Ziige des Unbegreifbaren zeigen. Hofmannsthal hatAngst sehr frlih dichterisch erfaISt:

    eignes Id::t,durch nichts gehemmt,aus einem kleinen KindHund unheirnlich stumm und fremd.

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    Es ist s icher kein Zufall , daB gerade die von der Gegenstandswelt be-[reite Zeit auch die innere Welt des Ich in ein unheirnlich-unerkenn-bares, Iecr-abstraktes Fliefsen verwandelt und dadurch - sodies von einern rein formellen Aspekt auch erscheinen moge - zueiner schreckenauslosenden Erstarrtheit (Zustandlichkeir) fiihrt.Andererseits treten die auflosenden Konsequenzen einer solchen Posi-t ion in der Li ter atur mit e ine r ganz anders sichtbaren Wuchtals in der Philosophie selbs t. SobaId die l iterar ische GestaltungZeit sichvon den Cegenstanden und ihrer Bewegung loslosr und, alsSubjekr verlagert, sich selbstandig macht, muf die gestaltete Weltein Gcgencinander heterogener Teilwelten auseinanderklafTen. Das,wir fri ihcr von verschiedenen Gesichtspunkten als Zustandlichkei . .(Erstarrung), als Weltlosigkeit (Verlust der Cegensrandlichkeir,Tota litat) bezeichnet haben, gelangt hier - bei verschiedenenin ver schiedener Weise - jedoch im Prinzip einheit li ch zurDie Welt des Menschen der a ll einige, grofle Gegenstand dertung - bricht augenblicklich auseinander , sobald auch nur eineliche Aufbaukomponente aus dem tragenden ZusammenhaltTotali tat herausgebrochen wird. Wir haben soeben die Rolle derlierten, subjektiv gemachten Zeit in diesern Prozef geschildert. Siejedoch keineswegs die einzige Komponente, deren Herausfall den

    Schein einer zerf all enen Welt e rgibt . Es i st wiedermannstha l, de r die spatere Entwicklung vorwegnimmt. SeinChandos schreibt iiber seinen eigenen Fall: Es ist mir vollig diekeit abhanden gekommen, i iber irgend etwas zusammenhangenddenken oder zu sprechen.. \Vas daraus entsteht , i st e in ZustandStumpfhe it und Dumpfhe it , ab und zu unterbrochen von ~~"~'.Uc'~'Ekstasen. Der spatere Weg vorn Protest zur PathologieIdiotie) ist hier in einer noch romantisch glanzvoll schillerndenvorgezeichner. Es ist aber derselbe Zerfall.Wahrend nun die fri ihe re reali stische Lite ratur, selbst wenn sicscharfs te Kritik an der von ihr dargestel lren Welt aus iibte, diesetan als einheitlich und als dem Menschen notwendig zugehorigtete, also als Iebendige, untrennbare Einheit ihrerwahrend die bedeutenden Realisten unserer Tage die TendenzenZerfalls der Elemente, etwa das Subjektiv- und Selbscandig--Wder Zeit , als Beitrag zu exakter Charakter isr ik der Gegenwart inSchopfungsmethode aufnahmen, so jedoch, daB gerade dadurch

    Einheit zu einer bewuls ten wird (der Verfasser diesert an anderer Stelle nachgewiesen, daB die Doppelzeit in

    Manns Doktor Faustus- gerade zur s tarkeren Betonung derHistorizitar verwendet wird), ist eine solche zersprengende

    Menschen und mit ihr des Menschen selbs t gerade die t iefs te-kunstl eri sche Intent ion des Avantgarde ismus. Die

    wi r eben al s zentra les Welterleben geschi lde rr haben, inalle gestalterischen Fragen der Geworfenheit zutage treten,auslosend-ernotionelle Quelle im Erlebnis einer zerfallendenwird zum klins tler ischen Ausdruck, indem sie den Zerfalldes Menschen evoziert.nun die hier zutage tretenden Wesenszlige der avantgarde-

    Literatur zusammenfassen, so drangr sich von selbst die Be-der Allegoric und des Allegoris ierens auf . Denn gerade dieist jene - an sich freilich auBerst problematische - asthetischein welcher Weltanschauungen kunstlerisch zur Geltung ge-

    die eine Zerspaltenheit der Welt infolge der Transzen-Wesens und letzten Grundes, infolge des Abgrunds zwischen

    und Wirklichkeit konstituieren. Allegorisieren ist als asthetischedeshalb so tief problema tisch, weiI es die Diesseitigkeir alsWeltanschauung prinzipiell ablehnt, jene Immanenz des

    menschlichen Sein und in der menschlichen Tatigkeit , diesehr of t ohne als solche bewul lt zu werden , j a im Laufe dersehr oft unmi tt elba r an Vorstel lungen einer religiosen

    gebunden, also mit einem falschen asthetischen Bewulst-Grundlage einer jeden kiins tler ischen Praxis war und ist . Esdie Geschichte der mittelalter lichen Kunst zu denken, urn

    wie cine solche Diesseit igkeit (bei aller beibeha!tenen reii-) etwa ab Giotto das Allegorisieren der Anfangs-

    immer entschiedener iiberwindet.miissen bei Anwendung dieses Hinweises sogleich einige

    auftauchen. Erstens miissen wir den Unterschied zwischenKunst und Literatur hervorheben. Denn jene kann vielAllegorisieren insofern kiinstlerisch uberwinden, daB dervon der Transzendenz des Sinnes allegorisch be-

    egenstand eine - all erdings bloB dekora rive - asthet ischeerhalten kann, wodurch der RiB in der abzubildendenin einem bestirnmten (zuweilen Freilich auch begrenzten)

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    Literatur spricht, jenem die entscheidenden Merk-geistvoll unterschiebt und damit als ers ter eine philoso-

    der asthetischen Paradoxie des Avantgardeismus

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    Sinn dOCt1asthetisch aufgehoben wird; es geniigt , an viele Werke derbyzantinischcn Mosaikkunsr zu denken, urn diesen Tatbes tand zu er-fassen. Ein eigentliches asthetisches Kquivalent des dekorativen Prin-zips fehIt aber in der Litera tur ; es kann hochstens im IiberrragenenSinn, als untergeordnetes Moment eine gewisse Rolle spielen. Kunst-werke von so hohem Rang wie die allegorisch-dekorativen byzantini-schcn Mosaiken konnen also in del ' L iteratur nur Ausnahmeerschei-nungen sein, Zwei tens - und dies i st hier das wicht ige re Motiv - mugdie Untersuchung des Allegorisierens den an sich historischen Unter-schicd, ob die Herrschaf l der Transzendenz ein Nodi-niche den imma-nenten Tendenzen gcgeniiber bi lde t (Byzanz und Giot to) oder e inSchon-nicht, ein Nicht-rnehr, wie in unserem Fall, zum Ausgangspunktdel' asthetischen Betrachtung und Kritik machen.Es ist ohne weiteres klar, daf das Allegorisieren in der avantgarde-istischen Literatur zum Typus des Nicht-rnehr, des Schon-nicht gehort,daB ihre Transzendenz , mehr oder weniger bewufl t, e in Kl indigenjedcr moglichen Immanenz, jedes moglichen diessei tigen, der Weltselbst inncwohnenden Sinnes im Leben des Menschen, in seiner Wirk-lichkeir bcinhaltet. Die weltanschaulichen Grundlagen und einige derwichtigs ten literar ischen Folgen haben wir berei ts ins Auge gefagt.Wenn wir nun die Ergebnisse dieser Analyse in Richtung auf ein Fes t-stollen des allegorischen Charakters diesel' Literatur zu verallgernei-ne rn versuchen, so sind wir in del ' giinst igen Lage, uns au f dassehe \-Verk des bedeutendsten Kunstdenkers des Aberufen zu konnen. Nati irl idi ha t Wal te r Benjamin seine Studieasthetischen Rechtfertigung der Allegorie in unmittelbarer Bezozen-heir auf das deutsche Baroekdrama geschrieben. Eine naheretung seiner Hauptthesen zeigt jedoch mit voller Deutl ichkeit, dagan sichwenig bedeutsame deutsche Baroekdrama fiir Benjamin nur

    AnlaG war, urn die Ksthetik del'Allegorie zubessel' gesagt, urn das Sprengen der Ksthetik durch die irnren hervortretende Transzendenz klar zu formulieren. Diesemisrnus ent sp rechend ha t Benj amin die Allegorie in einemheutigen Sinn charakter is iert , und zwar nicht wegen bes timmter -sich blasser, von del' damaligen Mode aufierordenrlidi iiberschatzterAnalogien zwischen der behandelten Periode und unserer Zeit ,dern VOl' allem, wei] er mit grolser Kiihnheit und Entschiedenheitbei Gelegenheit des Barockdramas ziemlich unverhiillt iiber die

    sagt: ... li egt in del ' Allegorie die facies hippocra ti ca derals ers tarr te Urlandschaf t dem Betrachter VOl'Augen. Diein al lem, was sie Unzeit iges, Le idvol les, Ver fehltes vonhat, pragt sich in einem Antlitz - nein, in einem Toten-Und so wahr aIle -symbol ische- Freiheit des Ausdrueks,Harmonie del' Gestalt, alles Menschliche einem solchen

    spricht nicht nul' die Natur des Menschendaseins schlechthin,ie biographische Geschichtlidikeit eines einzelnen in diesel'

    Figur bedeutungsvoll als Ratself rage s ichist der Kern del ' allegor ischen Betrachtung, der baroeken,Exposition del' Geschichte als Leidensgeschichte der Welt;i st sie nur in den Sta tionen ih res Verfa lls. So vie l Bedeu-

    viel Todverfal lenheit, weil am tiefs ten del ' Tod die zaekigezwischen Physis und Bedeutung e ingrabt. Vonvollig konsequent kommt Benjamin immer wieder

    Zusammenhang von Vernichtung del' Geschichtlichkeit undals Darstellungsform zuriick: Und zwar pragt, so gestaltet,

    nicht als Prozef eines ewigen Lebens, vielmehr als Vor-11,,"L"",11I01 Verfalls s ich aus . Damit bekennt die Allegorievon Schonheit. Allegorien sind im Reiche del' Gedanken,im Reiche del ' Dinge. Benj amin z ieht hie r die asthet i-

    des ins Barockdrama projizierten Avantgarde-und folgerichtiger als aIle seine Zeitgenossen. Er s ieht

    nere Einheit von objektiver Zeit und Historismus (Entwick-Fortschr it t) und damit die Subjektivierung der Zeit als Be-

    zu Zerfal l und Dekadenz. Darum kann er zu den bedeutend-des Allegoris ierens im Baroekdrama - von diesem Stand-mit vollem Recht - eine grlindliche Ahnung von der

    del' Kunst zahlen; d. h. einerseits del' Kunst, die vorabsolute Transzendenz ausdriicken solI und deren spezifischegegeniiber versagen, andererseits einer auf diese gerichteten

    als getreuer Ausdruck eines Verwesungsprozesses, einesWirklichkeit gerade als Kunst zur Selbstauflosung getrie-muil, Darum erscheint bei ihm im Baroek eine ungeheure

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    widcrk iinstlcrische Subjektivitat, die sich mit der theologischenEssenz des Subjektiven vereint. (Wir werden gleich zeigen, was wiran anderem On in bezug auf Heideggers Philosophic naehgewiesenhaben, dar:, cin soldier religioser Arheismus- auch in der Literatureinen theologischen Charakter erhalten mufi.) Romantik und auf nochhohercm Niveau Barock haben diese Problematik erkannt und diesihr Wissen nieht nur theoretisch, sondern auch kiinstler isch (allegorisch)zur Dars te llung gebrach t. Das Bild, fiihrr Benjamin aus, im Feldclef allegorischen Intuition ist Bruchstiick, Rune. Seine symbolischeSchonhcir verfluchtigt sich, cia das Licht der Gottesgelahrtheit drauft ri ffi . De r f alsche Sche in der Totali tat geht aus. Denn das Eidos ver-l ischt , das Gleichnis geht e in, der Kosrnos da rinnen ve rt rockne t.All das hat [iir die kiinstlcrische Gestaltung die weitestgehendenKonsequenzen. Benjamin zieht sie auch mit unerschrockener Polge-richtigkeit. 'J ede Person, jed w e des Ding, jedes Verhaltnis kann einbeliebiges anderes bedeuten. Diese Moglichkeit spricht der profane nWelt e in vern ichtendes, doch ge rechtes Urtei l: sie wird gekennze ichneta ls c ine Welt , in der es aufs Detail so streng nichr ankommt. Natiir-lich ist sich Benjamin da riibcr vollig im klaren, dag diese Austausch-barkeit und Nichtigkeit des Details keineswegs desse n Nichtexistenzbedeuter. Irn Gegenteil. Gerade in der modernen Kunst, auf die seineBetrachtungen lctz thin zielen, haben die Details sehr oft eine auger-ordentlich starke suggestive sinnlichc Kraft; vor allem bei Kafka. Die sschlieGt jcdoch, w i e wir es bei dem in seine n bewullten Absichten kei-neswegs auf Allegorie orientierten Musil zeigten, eine permanente

    . der Tatsachen, ihre Willktir, ihre beliebige Austauschbar-kc it nicht aus, Und ge rade darni t meint die avantga rde is ti sche Li te ra tu rdas Wescntlichste ihres Weltbildes ausdriicken zu konnen, Abercine solche GestaItung der \Velt wird diese, wie Benjamin sagtwohl im Rang erhoben wie entwertet. Die UnaustauschbarkeitDe ta il s is t im Glauben an e ine letzrh inn ige immanente Vernunfl igke it ,Sinnhafligkeir der Welt, ihre Aufgeschlossenheit, Begreifbarkeir fiirden Menschen weltanschaulich begriinder. Darum ist jedes Detailder realistischen Literatur, untrennbar von seinem einmaligen,personlichen Wesen, zugleich typisch. Die moderne Allegoric undihr zugrunde liegende Weltanschauung hebt aber das TypischeIndem sic jeden imrnanenten Zusammenhang der Welt zerr eif st ,sie das Detail auf das Niveau einer blofsen Partikularitat herab.

    der Zusammenhang der ava ntgardeistisdien Literatur mitsichtbar.) Indem jedoch das Detail - jetzt schon in

    Austauschbarkeit - einen direkten, wenn auchZusammenhang mit der Transzendenz erhalt, verwandelt

    re in auf Transzendenz intendierte Abstraktion. Die Be-der avantga rde is ti schen Li te ra tu r e rsche in t in diesem Aspekr

    das konkret Typische durch eine abstrakte Partiku-

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    Bemerkungen, die freilich in ihren Konsequenzen und vorBewertungen bere it s t iber Benjamin hinauswe isen, ve r-essayistische Paradoxic in einen direkten Ausdruck der

    und Kritik, zielen alsp schon ganz direkt auf den A vant-. Damit ist aber sein Gedankengang, der - aus essayistischenmit entgegengesetzter Wertskala - denselben Gedanken

    np

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    Hoflnung genug, unendlich viel Hoffnung - nul ' n icht fUr uns . ?,iese\Vorte, die Benjamin in seinem interessanten Essay iiber Kafka zmerr,beleuchrcn die geist ige Lage, aus del ' seine Werke hervorgehen, sehrdeutlich: Das tiefs te Erlebnis ist die vollendete, die jede Hoffnung

    ""' "'' ''' ' Sinnlosigkeit unserer Welt , der Welt der Menschen, desMenschen del'Gegenwart. Insofern ist Kafka - gleichviel,

    ob er es - Atheist. Freilich: modern-blirgerlicher Pragung, in-dem er die Entfernung Gottes aus der Welt der Menschen nicht als

    wie Epikur oder die Atheisten des revolutionarensondern als Gottver lassenheit del ' Welt , als Herrschafldel' Trostlosigkcit des Lebens, de r Sinnlosigkeit aller menschlichenZielsetzungen in einer solchen Welt. Jacobsens Niels .Lyhne wa.r dererste Roman, del' diese Lage del' atheistischen blirgerhchen Intelligenzdichrer isch gcs taltet hat . Del ' heutige rel igiose Atheismus ~at seineideologischen Wurzeln einerseits darin, daG del' Unglaube sem gesell-schaflliches menschenbefl'eiendes Pathos verloren hat: del' leergewor-dene Himmel als Gegenstand der Trauer ist nur ein projiz ier tes Bilddel' jede Hoffnung auf Erneuerung verlorenen Menschenwelt. Anderer-sei ts al s diesel' Lage darin, da13die rel igiose Sehnsucht nach Tr?stund Erlosunz in de l' Welt ohne Got t unvermindert lebendig bleibtund ihre ganze In tens itat in das so ent standene Nichts einstromenla13t.Kafkas Gott, die hoheren Richter im ProzeG, die wirkliche ,'Ul1U,"-verwaltunz im ,,5ch1013reprase11tieren die Transzendenz der Kafka-SChC11lle~orien: das Nichts . Alles weist auf s ie, alles konnteSinn nul ' in Ihnen erhalten, j eder glaubt an ihre Existenz undaber nicmarid kcnnt s ie, niernand ahnt auch nul ' den Zugang zuWen11h ier ein Gott vorhanden ist, so ist er ein Gott des H;'.'F."V~.'Atheismus:Atheos absconditus. Was in del ' ges taltetenvorkommt ist ein widerwart iges Wimmeln niedr iger Organe:, unzerecht, blil'okratisch-pedantisch, aber zugleich ",.,'7,nTPY

    unvera~twortlich. Ein Bild der kapital is tischen(mit etwas osrerreichischem Lokalkolorit). Das Allegorischehier da13 das ganze Dasein diesel' Schicht und das del' vonAbhangigen, das ihrer wehrlosen Opfer nicht als ein~ konkr~t:lichkeit gestaltet wird, sondern als ze~tlo.serAbg~anzJe~es Nihil,Transz.endenz. , das - nichtseiend - em jedes Sein bes timmen soll.gewinnt del' verborgen-nichtseiende })Gott der Kafkaschen Welt

    Ko lori t daraus, da13 er a ls Nicht seiender del ' GrundSeienden ist: so wird die im Detail unheimlich echte Wirklichkeit. gespenstisch infolge des Schattens einer solchen Abhangigkeir,

    endenz - das unfa13bare nichtende Nichts - ist nul' dazudie gegebene Wirklichkeit als facies hippocratica des Zu-

    U>OJ.U"UC:JJ, del' Menschen zu diffamieren.e rreichr gerade bei Kafka die abstrakte Part ikulari rar al le s

    iiber welche wir als asthetische Folge des Allegorisierenssp rachen: ihren ?ipfelpunkt . Kafka beobachte r glanzend, jaals das : er ist von dieser Gespensterhaftigkeit del' Welt sotief affi-

    daB die einfachste Allragsszene bei ihm die Evidenz einer unheim-alpd~~ekhaften G:gen~artigk:it miterhalr, Er ist abel' zugleich

    Kunstler, del' sich mit del' emfachen Evokation von empfun-Lebenstatsachen del' unmitteIbar gegebenen Oberflache nicht

    Er ist sich del' Notwendigkeit einer klinstlerischen Verallge-stets bewufk Abel' was abstrahiert er? und wie? Die vonvon seinem Allegoris ieren, von seinem transzendenten

    Nichtigkeit entwerteten Momente des Alltagslebens. Unddies~r allegor ischen Transzendenz kann er nicht den Weg

    emsehlagen: das ihn so suggestiv affizierende Einzelnedes Typischen erheben. Im Gegenteil : gerade ihre

    . ihr von ihrn selbs t als nichtig erkanntes, par tikularesw~rdunmittelbar in die diinne Lufl einer vollig inhaltlosen,Nichts aus determinier ten Abstraktheit erhoben. Darum

    nicht - trotz seiner grofsen Evokationskrafl, trotz seiner hohenBewufstheir - wie del' Realismus die sinnvoll-sinnfalliO'e

    Einzelheit und Allgemeinheit erstreben. Er mug trach-Partikulare in seiner momentanen Partikularirar unmittelbar

    (ohne Verallgemeinerung des Gehalts) zur hochsten Ab-zu erhohen. Das ist eben die von dem Gehalt bedingre. .Seite del ' Allegorie. In diesel' Hinsicht ist Kafka para-

    fur den ganzen - dem Wesen naeh al legorischen _ Avant-unserer Zeit . Es kommt dabei nicht auf die unmittelbaren

    niche auf die spez.ifische artistisch-formelle Schreibweise anauf diese welranschauliehe letzte Position zu Form und Inhalr.Joyce , Musil oder Benn zeigen - jeder in seiner Weise _

    irecnenue Partikularitar.nun die bisher - aus Grlinden del' Klarheit - getrennt

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    Kafka oder ThomasMann?

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    untersuchten 110mcntc nicht mehr vcrcinzclt nimrnt, sondern eben alsMomente einer letzten Endes einheitlichen, wenn auch vielfach variier-ten Tendenz, so sieht man, dag sie n icht nul', wie verschiedene Rich-tungen meinren, die iiberlieferten Formen sprengen mulsten, sondernweit darLiber hinaus die literarischen Formen iiberhaupt. Das ist nichtnur bci J oyee, beim Expressionismus, beim Surl'ealismus, wo diese Lageoffenkundig ist, der Fall. Andre Gide will im Formellen gar nicht

    sein; der Gehalt seiner Weltanschauung drangt ihn abel'zum Sprengen der li te rarischen Formen iiberhaupt. Seine Fa lsch-miinzer sol1en ein Roman sein. Er hat abel' in seiner entscheidendenAnlage die avantgardeist ische Doppelbodigkeit , indem der Romanvorn Helden, der Schrifl:steller ist, im Roman selbst geschrieben wer-den 5011.Inhaltlich ist abel' Gide hier gezwungen, schrifl:stellerisch zuzeigen, dag auf diesem Boden kein Roman, kein asthetisch geformtesSchrifl:werk entstehen kann. Die Sclbstauflosung des Asthetischen,Benjamin schr verdienstvoll theoret isch aufzeigt, hat s ich hiertisch-literarisch verwirklicht.

    die Weltanschauungsgrundlage und die formal-kiinstle-Haupttendenzen der antirealistischen Bewegung unserer Zeit

    beschreiben und analysieren, weil nur so jenes Milieuwerden konnte, in welchem sichheute eine literarische

    de: biirger lichen Welt entwickeln kann. Es ware natiirl idiurn ihre gesellschafl:licheBasis konkreter aufzudecken - mehrnii tzlidi , diese Untersuchung auch auf die unli terarischeauszudehnen, denn gerade gewisse vom Sein aus bes timmte~eb.ensdarstellung treten in dieser vielleicht nodi pragnanter

    als m jener, Wenn z . B. vom Kul t des Abnormalen PerversenRede ist, so zeigen die Comics sehr deutlich, dag die TendenzPopular itat , zu ihrem Obergewicht aus dem Leben in die Lite-

    ist und nicht umgekehrt . Noch klarer ist diese LageVe~andlung der sogenannten Detektivgeschichten s iditbar,

    die al~e~~rzahlu~gen dieser Art, etwa der Conan~Doyle-Ze.itjSekur~tatsIde~lo?le get~age~ ware~, von einer VerherrIichung

    jener, die uber die Sidierheit des biirgerIichen.Lehenshier die An~st, die Unsicherheit des.Daseins,.dieMoglkh-der Schrecken jeden Augenblick in dieses. scheinbar abseitsdahinfliefiende Leben einbrechen und nul' durch gliick-

    ~bgewehrt werden kann. Natiirlich wird diesel' gliicklichem.Obergangsprodukten zwischen Literatur und Kolpor-eme~ Tag wie jeder andere von Hayes, gesellschafl:lich-

    a~f el~ Happy-End zugestutz t. Die Ablehnung solcherist emes der Unterscheidungszeichen zwischen editem

    und blolier Unterhaltungslektiire; obwohl es natiir-Kolportage der Angst gibt. Soverlockend abel' eine detail-

    des gleichen Inhalts und der versehiedenen Formender Ursachen des Unterschieds - zwischen Avantgar-

    moderns ter Kolportage ware, miissen wir , urn nicht all-unserem Thema abge tri eben zu werden, unsmi t diesen

    l.1Hn:u.LUI.IKen. begn~ge~. ~ie sollen nur auf die breitegesell-hinweisen, die die im Avantgardeismus zum Ausdruckerlebnishafl:en Inhalte besitzen.