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Lukas Neuhaus | Oliver Käch (Hrsg.) · von Profession, Institution und Organisation Zeitgenössische Bedingungen gelingender Professionalität Oliver Käch und Lukas Neuhaus 14 Professionelles

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Lukas Neuhaus | Oliver Käch (Hrsg.) Bedingte Professionalität

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Lukas Neuhaus | Oliver Käch (Hrsg.)

Bedingte Professionalität Professionelles Handeln im Kontext von Institution und Organisation

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Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme. Dieses Buch ist erhältlich als: ISBN 978-3-7799-3648-0 Print ISBN 978-3-7799-4643-4 E-Book (PDF) 1. Auflage 2018 © 2018 Beltz Juventa in der Verlagsgruppe Beltz · Weinheim Basel Werderstraße 10, 69469 Weinheim Alle Rechte vorbehalten Herstellung: Hannelore Molitor Satz: text plus form, Dresden Druck und Bindung: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza Printed in Germany

Weitere Informationen zu unseren Autor_innen und Titeln finden Sie unter: www.beltz.de

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Inhalt

Einleitung 7

Teil I Allgemeine theoretische Bestimmungen zum Verhältnis von Profession, Institution und Organisation

Zeitgenössische Bedingungen gelingender Professionalität Oliver Käch und Lukas Neuhaus 14

Professionelles Handeln und Kreativität. Von einer Leerstelle im Professionsdiskurs Sozialer Arbeit zu einem aus dem Pragmatismus handlungstheoretisch fundierten Substrat Patrick Oehler 44

Teil II Multiprofessionelle Kooperation und das Problem der Zuständigkeit

Organisationale Rahmungen multiprofessioneller Zusammenarbeit Petra Bauer 80

Disziplinarität, Interdisziplinarität, Transdisziplinarität. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde als organisationaler Rahmen für professionelle Profilierung Julia Emprechtinger und Peter Voll 101

Teil- und zugleich Allzuständigkeit? Rekonstruktionen zu Zuständigkeitsfigurationen und Positionierungen pädagogischer Berufsgruppen in der Organisation Schule Mirja Silkenbeumer, Katharina Kunze und Sylke Bartmann 130

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Teil III Die politische Steuerung professionellen Handelns

Reduktion von Bildungsungerechtigkeit durch Ganztagsschulen? Sozialpädagogische Deutungen zur Realisierbarkeit eines politisch vorgegebenen Leitziels Nina Thieme 160

Handeln nach gesetzlicher Vorgabe: Soziale Arbeit zwischen Schutz und Selbstbestimmung. Empirische Analysen am Beispiel der Reform des schweizerischen Erwachsenenschutzrechts Roland Becker-Lenz, Oliver Käch, Silke Müller-Hermann und Lukas Neuhaus 176

Teil IV Die Technisierung professionellen Handelns

Komplizen wider Willen. Möglichkeiten und Grenzen der Steuerung ärztlicher interaktiver Arbeit im Krankenhaus Jonathan Niehaus und Maximiliane Wilkesmann 208

Fallsoftware als digitale Dokumentation. Zur Unterscheidung einer Arbeits- und Organisationsperspektive auf digitale Dokumentation Stefanie Büchner 239

Die Autor*innen 269

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Einleitung

‚Bedingte Professionalität‘: Das liest sich zunächst als Verlustdiagnose, als Fest-stellung, dass Professionalität nur bedingt möglich oder realisierbar ist, oder gar als Ausdruck eines wehmütigen Bedauerns über die verlorene Strahlkraft der einst stolzen Professionen. Für einige der in diesem Band vorgestellten berufli-chen Handlungsfelder scheint es indes immer schon so gewesen zu sein, dass sie nur bedingt zu den Professionen zählen: Das Handeln der Sozialen Arbeit, der Lehrkräfte und der Pflege wird – um eine klassisch gewordene Bestimmung von Etzioni (1969) zu bemühen – als „semi“-professionell oder im optimisti-schen Fall als „professionalisierungsbedürftig“ (Oevermann 1996; 2013) be-zeichnet. Die Verlustdiagnose ist denn auch nur eine mögliche Lesart für den Titel ‚Bedingte Professionalität‘, denn im vorliegenden Sammelband soll es um beides gehen: um die Bedingtheit ebenso wie um Bedingungen für Professiona-lität. Professionelles Handeln ist stets bedingt durch vielerlei Kontexte und Ebe-nen: Die personalen Voraussetzungen gehören dazu, aber auch organisationale und institutionelle Bedingungen können als Rahmenbedingungen professionel-ler Tätigkeit näher bestimmt werden.

Der Sammelband basiert auf einer Tagung zum Thema „Professionalität im Kontext von Institution und Organisation“, die im Januar 2016 von der Hoch-schule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten (Schweiz) veranstaltet und von renommierten Forschenden aus unterschiedli-chen disziplinären Feldern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz be-sucht wurde. Die Tagung thematisierte Professionalität als eine Eigenschaft des Handelns von Fachkräften, die neben personalen Faktoren (Wissen, Kompe-tenz, Berufsauffassung etc.) auch an organisationale und institutionelle Voraus-setzungen gebunden ist. Zu diesen Voraussetzungen zählen auf der Organisa-tionsebene beispielsweise eine hierarchische Struktur, die Handlungsspielräume für die Fachkräfte bietet, angemessen geregelte Zuständigkeiten im Rahmen ei-ner Kooperation verschiedener Berufe oder diverse organisationale Verfahrens-vorschriften und Settings, die das professionelle Handeln zu unterstützen ver-mögen. Auf der institutionellen Ebene sind es z. B. Gesetze und Berufskodizes, Finanzierungsmodalitäten, Marktregulierungen oder Erwartungen vonseiten der Öffentlichkeit. Die Bedeutung der verschiedenen Ebenen (Fachkräfte, Or-ganisation, Institutionen) wird in der Professionssoziologie unterschiedlich ein-geschätzt und es differieren auch die Ansichten über das Zusammenwirken der Ebenen. Beispielsweise neigt die systemtheoretisch ausgerichtete Professions-theorie dazu, die Bedeutung der Organisation hoch einzuschätzen (z. B. Stich-weh 1996, S. 50), die strukturtheoretische und interaktionistische Professions-

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theorie betont demgegenüber die Bedeutung der Kompetenz der beteiligten Fachkräfte (etwa Oevermann 1996; Schütze 1992). Auch die Funktion von In-stitutionalisierungen wie z. B. der Professionsethik wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. Das Zusammenwirken der verschiedenen Ebenen ist zwar vor al-lem in der klassischen Professionstheorie und in deren Revidierung durch die strukturtheoretische Professionstheorie von Bedeutung, wird jedoch eher selten untersucht.

Die Herausgeber haben die unterschiedlichen Beiträge, die im Nachgang der Tagung zusammengetragen worden sind, vier Themenbereichen zugeord-net: (1) In einem ersten, allgemein-theoretischen Teil soll es um die Frage ge-hen, unter welchen Bedingungen professionelles Handeln (heute) zu gelingen hat und wie das Zukunftsoffene, Unbestimmte dieses Handelns begrifflich ge-fasst werden könnte. (2) Der zweite Themenblock widmet sich der multiprofes-sionellen Kooperation und der Frage nach der Teilbarkeit von professioneller Zuständigkeit. (3) Im dritten Teil werden die Auswirkungen politischer Steue-rung auf professionelles Handeln thematisiert, während der letzte, (4) vierte Themenblock sich mit dem Phänomen der Technisierung auseinandersetzt und die Auswirkungen jüngerer technischer Entwicklungen auf das professionelle Handeln beleuchtet.

Die Beiträge im Einzelnen

(1) Ganz im Sinne der Programmatik des Bandes greifen die Herausgeber, Oli-ver Käch und Lukas Neuhaus, in ihrem einführenden Beitrag die Frage nach den institutionellen und organisationalen Bedingungen professionellen Han-delns im 21. Jahrhundert auf: Mit welchen institutionalisierten Anforderungen und Erwartungen haben sich Professionelle heute auseinanderzusetzen? In wel-chem Typus von Arbeitskraft finden zeitgenössische Professionsangehörige Ent-sprechung? Vor dem Hintergrund professionstheoretischer Reflexionen neh-men die Autoren eine ‚zeitgeistkritische‘ Hinführung zu den institutionellen und organisationalen Kontexten zeitgenössischer professioneller Tätigkeit vor und veranschaulichen damit, was es unter heutigen Bedingungen bedeutet, profes-sionell zu handeln.

Während im ersten Beitrag vor allem auf die Einschränkungen der institu-tionellen und organisationalen Kontexte für die professionelle Tätigkeit hinge-wiesen wird, hebt Patrick Oehler im zweiten Beitrag dieses Themenblocks die kreative Dimension des professionellen Handelns hervor, die nicht zuletzt auch in der Gestaltung organisationaler und institutioneller Rahmenbedingungen zur Entfaltung gebracht werden kann. Im Zuge einer Tour d’Horizon über die für die Soziale Arbeit zentralen professionstheoretischen Positionen arbeitet der Verfasser heraus, dass das kreative Moment des professionellen Handelns in

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den einschlägigen Theoriepositionen nicht hinreichend betont wird, obwohl Kreativität, wie anschließend aus pragmatistischer Perspektive verdeutlicht wird, der professionellen Tätigkeit inhärent ist. Der pragmatistische Beitrag zur Professionstheorie erschöpft sich aber nicht in der Herausstellung des profes-sionellen Handelns als kreative Tätigkeit, sondern eröffnet zugleich eine neue Perspektive auf die institutionellen und organisationalen Rahmenbedingungen: Durch die Hervorhebung der Wechselseitigkeit von Handlung und Struktur werden auch Gestaltungspotenziale sichtbar gemacht.

(2) Die in der professionalisierten und professionalisierungsbedürftigen Be-rufspraxis immer bedeutsamer werdende und nicht nur in machttheoretischer Hinsicht relevante Arbeitsform der multiprofessionellen Zusammenarbeit kon-stituiert den zweiten Themenbereich des Bandes. Dieser Themenbereich stellt sich aus empirisch begründeten Beiträgen aus den Arbeitsfeldern Psychiatrie, Kindes- und Erwachsenenschutz und Schule zusammen. Wenn – wie in den letzten Jahrzehnten zu beobachten – der wissenschaftliche Diskurs zu einer Idealisierung von Interdisziplinarität tendiert, dann wird es nicht überraschen, dass auch die Erwartung an die Professionen steigt, sich interdisziplinär auszu-richten.

Petra Bauer nimmt in ihrem Beitrag die Bedeutung der Organisation für die multiprofessionelle Zusammenarbeit in den Blick. Ausgehend von der An-nahme, dass in multiprofessionellen Settings ein gemeinsames Fallverständnis immer nur im Spannungsverhältnis von professioneller Autonomie und wech-selseitiger Abhängigkeit, von fachbezogener Differenzsetzung und settingspezifi-scher Integration erfolgen kann, zeigt sie exemplarisch anhand einer multipro-fessionellen Fallbearbeitung eines kinder- und jugendpsychiatrischen Teams, dass der organisationalen Rahmung im Kontext multiprofessioneller Koopera-tion keineswegs eine marginale Bedeutung zukommt.

Auch Julia Emprechtinger und Peter Voll nehmen in ihrem Beitrag die Frage nach dem Einfluss der Organisation auf die multiprofessionelle Zusammen-arbeit auf. Am Beispiel der mit der Reform des schweizerischen Zivilgesetz-buches im Jahr 2013 eingeführten Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) wird der Zusammenhang von organisationaler Rahmung und multi-professioneller Kooperation beleuchtet. Die Kindes- und Erwachsenenschutz-behörden sind entweder als Gerichts- oder als Verwaltungsbehörde organisiert und konstituieren schließlich ein neues, weitestgehend von Jurist*innen und Sozialarbeiter*innen dominiertes Praxisfeld. Angesichts erster Ergebnisse aus unterschiedlichen Studien zur Einführung der KESB werden insbesondere die Profilierungsmöglichkeiten der Sozialen Arbeit innerhalb der beiden strukturell an die zwei unterschiedlichen Behördentypen gebundenen multiprofessionellen Zusammenarbeitsformen in Gestalt der inter- bzw. transdisziplinären Koopera-tion diskutiert.

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Im Zusammenhang mit der zunehmenden Überlagerung der Zuständig-keitsbereiche der pädagogischen Berufe in der Organisation Schule nehmen Mirja Silkenbeumer, Katharina Kunze und Sylke Bartmann entlang eines Tran-skripts eines Netzwerktreffens zwischen Sonder- und Sozialpädagog*innen im exemplarischen Sinne eine rekonstruktive Analyse der Positionierungs- und Aushandlungspraktiken der involvierten Berufsgruppen hinsichtlich (Nicht-) Zuständigkeiten vor. Die Positionierungen und Zuständigkeitsfigurationen der pädagogischen Berufsgruppen, die die Organisation Schule konstituieren, mar-kieren auf der Folie des der Untersuchung zu Grunde liegenden Organisations-begriffs ein organisationsstrukturierendes Moment. In empirischer Hinsicht verdeutlichen sich auf der Ebene der Organisation sodann Zuständigkeitspro-blematiken, deren Verortung die Autorinnen auf der vorgelagerten institutio-nellen Ebene vermuten. Entsprechend wird das Zuständigkeitsproblem schließ-lich vor dem Hintergrund gesellschaftlich institutionalisierter Zuständigkeiten professionstheoretisch reflektiert.

(3) Neben dem organisationalen Erfordernis und der gesellschaftlichen Erwar-tung, interdisziplinär zusammenzuarbeiten, ist das Handeln von Professionen regelmäßig auch Gegenstand politischer Steuerung. Dies betrifft in den vorlie-genden beiden Beiträgen dieses Themenblocks die Organisation Ganztages-schule, für die ein bildungs- und sozialpolitisches Leitziel formuliert (um nicht zu sagen: verordnet) wird, sowie das Feld des Erwachsenenschutzes in der Schweiz, das mit der Revision des entsprechenden Gesetzes vor kurzem eine Neuordnung erfahren hat.

Der neo-institutionalistisch inspirierte Beitrag von Nina Thieme zeigt an-hand der Rekonstruktion eines Interviews mit einem an einer Ganztagesschule tätigen Sozialpädagogen, wie ein politisch vorgegebenes und wirkmächtiges Leitziel – in diesem Fall die Reduktion von Bildungsungerechtigkeit – individu-ell aus professioneller Perspektive gedeutet wird. Es zeigt sich, dass die politi-sche Erwartung, dass die Soziale Arbeit Bildungsungerechtigkeit zu reduzieren habe, beim interviewten Sozialpädagogen eine Rechtfertigungshaltung evoziert und er die Handlungsmöglichkeiten der Professionellen an der Schule als be-grenzt ausweist. Dies, obwohl durchaus zu erwarten wäre, dass gerade die So-ziale Arbeit als normativ begründete Profession auf spezifische Weise Stellung bezieht zu Fragen der sozialen Gerechtigkeit.

Der zweite Beitrag im Themenblock ‚Politische Steuerung‘ nimmt sich der Frage an, welche Routinen und Handlungslogiken sich im politisch neu geord-neten Feld des Erwachsenenschutzes in der Schweiz ausbilden. Roland Becker-Lenz, Oliver Käch, Silke Müller-Hermann und Lukas Neuhaus erörtern anhand von Materialrekonstruktionen, wie sich die Soziale Arbeit in diesem neuen Pra-xisfeld positioniert und ob sie ihre Expertise überhaupt einzubringen vermag. Eine genuin sozialarbeiterische Perspektive innerhalb der Behörde erweist sich

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als kaum feststellbar, zumal die sozialarbeiterisch relevanten Tätigkeiten (Ab-klärung von Gefährdung bzw. Führen von Beistandschaften) aus Ressourcen-gründen in der Regel delegiert werden.

(4) Der vierte und letzte Themenblock des Bandes widmet sich der Frage, in-wiefern sich professionelles Handeln unter dem Eindruck neuer technischer Möglichkeiten wandelt. Auch Veränderungen auf der Ebene der Technik brin-gen neue Erwartungen mit sich, die für Professionen nicht hintergehbar sind. Um gesellschaftliche Legitimität zu erreichen – so zumindest die gängige neo-institutionalistische Annahme –, versuchen Organisationen, ihr Handeln in die gesellschaftlich vorherrschenden Vorstellungen rationalen Handelns einzupas-sen (vgl. Hasse/Krücken 2005, S. 13). Mit der Technisierung wiederum verbun-den ist eine Vorstellung von Rationalität, die sich am Kriterium der Effizienz orientiert.

Jonathan Niehaus und Maximiliane Wilkesmann zeigen anhand der Einfüh-rung des DRG-Fallpauschalensystems als Abrechnungsmethode, welche Auswir-kungen Standardisierung und Technisierung auf das Handeln professioneller Fachkräfte hat und inwiefern sich durch die Neuerungen auch das Verhältnis zu benachbarten Berufsgruppen verändert. Die beabsichtigte Effizienzsteige-rung durch die Vorstrukturierung der Abläufe wird im Alltag einerseits unter-laufen durch die Individualität und Widerspenstigkeit der Fälle und durch Taktiken der Komplizenschaft, sie führt aber andererseits auch zur Vermeidung interaktiver Arbeit mit den Patient*innen – also letztlich derjenigen Arbeit, die den Kern des professionellen Fallzugangs ausmacht.

Die Erfüllung von (antizipierten oder in Form von Gesetzgebung verschrif-teten) Erwartungen kann auch die Art und Weise verändern, wie Professionen ihre Handlungen dokumentieren. Während die Dokumentation des professio-nellen Handelns sich bis anhin typischerweise an andere Professionsangehörige richtete, soll dieses Handeln nun vermehrt auch Fachfremden und Laien ver-ständlich gemacht werden können. Dass bei der Umstellung von der analogen auf digitale Dokumentation im Rahmen der Einführung von Fallsoftware mut-maßlich auch qualitativ Entscheidendes verloren geht, zeigt Stefanie Büchner in ihrem Beitrag. Mit ihrer Unterscheidung von Arbeits- und Organisationsper-spektive auf das Phänomen der digitalen Dokumentation macht sie darauf auf-merksam, dass es sich bei technischen Verfahren nicht nur um nicht-interak-tionsgesättigte (also im engeren Sinne nicht-professionelle, da standardisierba-re) Formen von Arbeit handelt, sondern dass sie auch als Teil der Organisation analysiert werden können. Als besonders folgenreich erweist sich Fallsoftware u. a. bezüglich der Frage, wie Professionen Fälle herstellen und darstellen und wie Organisationen mit Fehlern umgehen.

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Literatur

Etzioni, Amitai (Hrsg.) (1969): The Semi-Professions and Their Organization. Teachers, Nurses, Social Workers. New York: The Free Press.

Hasse, Raimund/Krücken, Georg (2005): Neo-Institutionalismus. 2. Aufl. Bielefeld: transcript. Oevermann, Ulrich (1996): Theoretische Skizze einer revidierten Theorie professionalisierten

Handelns. In: Combe, Arno/Helsper, Werner (Hrsg.): Pädagogische Professionalität. Un-tersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. S. 70–182.

Oevermann, Ulrich (2013): Die Problematik der Strukturlogik des Arbeitsbündnisses und der Dynamik von Übertragung und Gegenübertragung in einer professionalisierten Praxis von Sozialarbeit. In: Becker-Lenz, Roland/Busse, Stefan/Ehlert, Gudrun/Müller-Hermann, Sil-ke (Hrsg.): Professionalität in der Sozialen Arbeit. 3. Aufl. Wiesbaden: VS. S. 119–148.

Schütze, Fritz (1992): Sozialarbeit als „bescheidene Profession“. In: Dewe, Bernd/Ferchhoff, Wilfried/Radtke, Frank-Olaf (Hrsg.): Erziehen als Profession. Opladen: Leske + Budrich. S. 132–170.

Stichweh, Rudolf (1996): Professionen in einer funktional differenzierten Gesellschaft. In: Combe, Arno/Helsper, Werner (Hrsg.): Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. S. 49–69.

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Teil I Allgemeine theoretische Bestimmungen zum Verhältnis von Profession, Institution und Organisation

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Zeitgenössische Bedingungen gelingender Professionalität

Oliver Käch und Lukas Neuhaus

Dieser einführende Beitrag geht der Frage nach, unter welchen gesellschaftli-chen Bedingungen professionelles Handeln heute zu gelingen hat. Dabei sollen insbesondere die Auswirkungen jener Rationalisierungsprozesse erörtert wer-den, die gemeinhin als ‚Ökonomisierung‘ bezeichnet werden und von denen eine massive Tragweite anzunehmen ist, da sie mutmaßlich die Gesamtheit der sozialen Arrangements fundamental umstrukturieren. Nicht nur auf der Ebene der Organisationen, in denen professionelles Handeln verortet ist, auch in Be-zug auf institutionalisierte gesellschaftliche Erwartungen haben sich die Bedin-gungen für Professionalität verändert. Dies betrifft nicht nur die genannte Öko-nomisierung weiter Bereiche; auch beispielsweise in Bezug auf das Kompe-tenzgefälle und den Stellenwert von wissenschaftlicher Expertise ist von einer Veränderung auszugehen. Das Beispiel der Arzt-Patienten-Beziehung kann hierbei als Illustration dienen. Bei Parsons (1958) etwa schien die Ausgangslage diesbezüglich noch klar: Ein Arzt1, unangefochtene Autorität auf dem Gebiet der Medizin und Experte in Gesundheitsfragen, geht ein Arbeitsbündnis (in Parsons’ Terminologie heißt das allerdings noch nicht so) mit dem Patienten ein, wobei er eine gemeinnützige und nicht-gewinnorientierte Grundhaltung einnimmt. Der Patient wiederum muss aufgrund seines Wissensdefizits Ver-trauen in den Arzt haben, da sonst das Bündnis dysfunktional würde, was sich nachteilig auf die Genesungsaussichten auswirken würde. Im Gegensatz dazu haben es Ärzt*innen heute mit informierten Patient*innen zu tun, die über ihre Symptome bereits informiert sind und grundsätzlich weniger bereit scheinen, einen Vertrauensvorschuss zu leisten. Ob sich die Patient*innen mit diesem Verhalten nun selber schaden oder nicht, soll an dieser Stelle gar nicht weiter erörtert werden. Zentral ist: Professionelles Handeln hat heute unter anderen Voraussetzungen zu erfolgen als zu Parsons’ Zeiten.

Zunächst soll geklärt werden, was in diesem Beitrag unter Professionalität und professionellem Handeln (innerhalb und außerhalb von Organisationen) überhaupt verstanden wird.

1 Auch die Geschlechterordnung erschien noch verbreitet als unhinterfragbar, weshalb an dieser Stelle ganz bewusst das generische Maskulinum verwendet wird. Was den Rest des Aufsatzes betrifft, sind die Autoren darauf bedacht, alle Geschlechter zu berücksichtigen.

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1 Profession und Organisation – Einleitende Erwägungen

An Bestimmungen von Professionalität und von professionellem Handeln man-gelt es in der einschlägigen professionssoziologischen Literatur nicht. Typisie-ren lassen sich die unterschiedlichen Traditionen jeweils nach der sie leitenden Systematik. So erkennt Schmeiser (2006) im Wesentlichen drei Hauptrichtun-gen der Professionssoziologie: Das Merkmalskatalogverfahren (ebd., S. 301–303), bei dem es darum geht, bestimmte Berufe aufgrund spezifischer, geteilter Merkmale als Professionen auszuweisen; die strukturtheoretische Perspektive (ebd., S. 303–305), bei dem die strukturell widersprüchlichen Handlungsproble-me im Zentrum stehen, mit denen Professionen typischerweise konfrontiert sind; sowie eine machtorientierte Perspektive (ebd., S. 306–309), die davon aus-geht, dass Professionen mit unterschiedlichen Mitteln und Strategien versu-chen, einen Deutungsanspruch über einen bestimmten gesellschaftlichen Bereich zu monopolisieren. Wie auch immer die professionssoziologische Bestimmung ausfällt2, ein über alle Unterschiede geteiltes Merkmal sämtlicher Professionen bzw. professionalisierungsbedürftigen Tätigkeiten scheint deren Autonomie-streben zu sein, das sich vorrangig in der Frage manifestiert, welche Instanzen legitimerweise über die Angemessenheit des Handelns urteilen dürfen. Obwohl Professionen also ihr Mandat im weitesten Sinne von ‚der Gesellschaft‘ bezie-hen, regeln sie zentrale Fragen der Berufsausübung professionsintern in Form einer spezifischen Ethik.

Die von Parsons schon in den 1940er Jahren skizzierte und professionssozio-logisch bis zum heutigen Tag ausgiebig analysierte „Arzt-Patienten-Beziehung“ ist als idealtypisches professionstheoretisches Modell nach wie vor äußerst wirkmächtig, wenn es darum geht, sich professionelles Handeln in seiner mi-krosoziologischen Verortung situativ zu vergegenwärtigen. Was darob zuweilen vergessen geht, ist die institutionelle und organisationale Rahmung dieser Be-ziehung. Gerade weil das professionelle Handeln in „Arbeitsbündnissen“ (vgl. Oevermann 1996; Becker-Lenz/Müller 2009) aber strukturell von hoher Unge-wissheit geprägt ist, ist es für professionell Tätige von Bedeutung, ob sie für ihr Handeln von Seiten der Organisation Sicherheit vermittelt und Unterstützung angeboten bekommen. Wer die Erfahrung macht, bei riskanten, aber professio-nell vertretbaren Eingriffen von der Organisation im Regen stehen gelassen zu werden, wird bei nächster Gelegenheit auf ähnliche Manöver verzichten. Die

2 Der Einfachheit halber werden hier auch jene Berufsgruppen, deren Status als Profession im professionstheoretischen Diskurs nicht unumstritten ist – typisches Beispiel ist die So-zialarbeit, die von Schütze (1992) als „bescheidene Profession“, von Etzioni (1969) als „Semi-Profession“ und von Oevermann (2009) schließlich als professionalisierungsbedürf-tiger Beruf eingeschätzt wird –, zu den Professionen gezählt.

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Angehörigen der akademischen Profession werden bei der Beurteilung studen-tischer Arbeiten auf angemessene, aber strenge Urteile künftig verzichten, wenn sie die Erfahrung machen müssen, bei einem allfälligen Rekurs von der Hoch-schule im Stich gelassen zu werden. Der Hochschullehrer – und es darf ange-nommen werden: jeder ‚Professional‘ – ist zwar „seinem Beruf stärker ver-pflichtet als der Organisation, in der er ihn ausübt, und er kämpft gegen das bürokratische Milieu, das ihn zwingt, sich um des Erfolges willen so zu verhal-ten wie der Typ des Aufsteigenden“, so Mayntz (1966, S. 325 f.) mit Bezug auf die klassische Typologie von Presthus (1966). Das heißt nun aber nicht, dass die Hochschullehrer*innen die organisationale Einbettung ihrer Berufstätigkeit gänzlich ignorieren könnten.

Die Tragfähigkeit und Wirksamkeit des Arbeitsbündnisses ist wesentlich mitbestimmt durch die Art und Weise seiner organisationalen Einbettung. Für die Soziale Arbeit, die – im Unterschied zu anderen Professionen, bei denen die freie Berufsausübung zwar rein quantitativ nicht die Regel ist, aber doch als paradigmatisch gilt (z. B. Ärzt*innen, Anwält*innen, Architekt*innen) – durch ihr Mandat immer schon in Organisationen des Wohlfahrtsstaates eingebun-den ist, beschreibt Burkhard Müller die enge Verzahnung wie folgt: „Ein Sozial-arbeiter, der als Person Zuwendung und Hilfe verspricht, die er als Funktions-träger in einer Dienstleistungsorganisation nicht einlösen kann, wird kaum in der Lage sein, tragfähige Arbeitsbündnisse zu schaffen.“ (Müller 2013, S. 252) Für Lehrkräfte der obligatorischen Schule gilt – jedenfalls unter den gegenwär-tig geltenden Bedingungen der allgemeinen Schulpflicht, die freiwillige Arbeits-bündnisse im Prinzip von vornherein ausschließt (vgl. Oevermann 2003) – das-selbe.

Die Professionstheorie hat sich bis anhin nicht nur mit der Frage nach der Charakteristik von Professionen beschäftigt – d. h. mit der Frage, was der Ge-genstand dieser besonderen Berufe ist, in welcher Weise sie ihre Handlungs-probleme bearbeiten, welche gesellschaftliche Funktion sie erfüllen etc. (etwa Parsons 1958; Schütze 1992, S. 135–141; Oevermann 1996; Stichweh 1996), also damit, wie Professionalität begründet ist –, sondern hat gleichzeitig stets auch betont, dass professionelles Handeln äußerlichen Bedingungen unterliegt. So bleibt in der professionstheoretischen Debatte beispielsweise nicht unbeachtet, dass professionelles Handeln im Regelfall in Organisationen stattfindet und entsprechend wird auch das konfliktuöse Verhältnis von professioneller Hand-lungslogik und Organisationsratio seit geraumer Zeit thematisiert (Schütze 1996, S. 221–226).

Professionelle sind – wie bereits ausgeführt – immer zugleich in Organisa-tionen und in die Profession eingebunden. Diese doppelte Einbindung führe zwangsläufig zu Problemen, weil die bürokratische Logik der Organisation mit der professionellen Logik konfligiere, so lautet eine gängige Diagnose.

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„Formale Organisationen und Profession stellen – jedenfalls aus funktionaler Sicht – unterschiedliche Mechanismen der Absorption von (Umwelt-)Ungewissheit dar. Formale Organisationen greifen […] auf ‚gesatzte‘ Regeln, Professionen dagegen auf eine Kombination von szientifistischen und intuitiv-fallverstehenden Entscheidungs-prämissen zurück. Obwohl im Hinblick auf die […] Verarbeitung von Ungewissheit funktional äquivalent, erweisen sich administrative und professionelle Selektions-regeln also als durchaus (mehr oder weniger) inkompatibel – ihre ‚Versöhnung‘ kann erhebliche Probleme aufwerfen.“ (Olk 1986, S. 218)

Das Organisationsmodell allerdings, das die klassische Professionssoziologie geprägt habe, sei das „Weber’sche Bürokratietheorem“, das unreflektiert auf Sozialbürokratien übertragen worden sei, so Merten (1997, S. 153). In der Folge sei implizit von der strukturellen Dominanz der Bürokratie ausgegangen wor-den, die quasi zwangsläufig zu Konflikten mit dem Autonomiestreben der Pro-fessionen führen musste. In der Tat stellt denn auch die Bürokratie, nicht die Organisation an sich, für das professionelle Handeln ein Ärgernis dar: „Der Im-port der professionellen Organisationsweise in eine Bürokratie verursacht Pro-bleme, weil das unabhängige, selbstbestimmte professionelle Handeln Beiträge zur Erfüllung auch der lokalen Systembedürfnisse und -ziele nicht gewährleis-tet. Denn im Unterschied zum bürokratischen ‚local‘ ist der Professionelle ‚cosmopolitan‘, dessen Loyalität dem Berufsstand und nicht der Organisation gelten.“ (Gouldner 1957 nach Klatetzki/Tacke 2005, S. 14) Es sind folglich mo-tivationale und strukturelle Dysfunktionen zu erwarten, die sich als Ineffizienz, Streit, Unzufriedenheit oder Ängstlichkeiten äußern können. Wenn es der Or-ganisation indes gelingt, Autonomiebereiche für das professionelle Handeln zu-zulassen, kann die doppelte Einbindung in Profession und Organisation durch-aus gelingen. Empirisch habe sich gezeigt, dass „administrativen Variablen […] eine eher nachgeordnete Bedeutung“ zukomme (Merten 1997, S. 154). Der Ty-pus der sozialen Organisation sei durch eine lose Koppelung von eher zweck-rationalen und eher wertrationalen Bestandteilen geprägt. Diese Bestandteile können relativ unabhängig voneinander koexistieren (ebd., S. 154 f.). Gemischte Formen sind nicht zwingend instabil und erzwungen, sondern können durch-aus funktional integriert sein, denn das Handeln von Fachkräften kann offenbar zugleich professionell und bürokratisch motiviert sein (Klatetzki/Tacke 2005, S. 14). „Administrative und professionelle Selektionsstile können […] selbst noch einmal intern variieren. So lassen sich etwa die real vorfindlichen Varian-ten administrativer Steuerung des sozialarbeiterischen Handelns idealtypisch auf einem Kontinuum eintragen, welches zwischen den Extrempolen bürokrati-scher Organisation auf der einen Seite und situativer Organisation auf der an-deren Seite angesiedelt ist.“ (Olk 1986, S. 219) „Einen unvermeidlichen Konflikt zwischen beiden Strukturmustern zu unterstellen, ist ja nur plausibel, wenn man die idealisierte Vorstellung einer ‚old-established‘ profession einer Organisa-

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tionsstruktur gegenüberstellt, die sich am Weber’schen Bürokratiemodell orien-tiert.“ (ebd., S. 37) Es wäre dann also verkürzt, eine kategorische Unvereinbar-keit zwischen der Rationalität des professionellen Handelns und der (zumeist ohne konkreten empirischen Aufweis unterstellten) bürokratischen Rationalität der Organisationen anzunehmen. Es funktionieren ja nicht alle Organisationen durchgängig bürokratisch (vgl. auch Busse et al. 2016b). Und schon Parsons hat auf den latenten Widerspruch hingewiesen, dass Mediziner zwar „eifersüchtig“ ihre Unabhängigkeit gegenüber Außenstehenden zu wahren trachten und folg-lich jegliche Art von „Bevormundung durch Laien“ prinzipiell ablehnen (Par-sons 1958, S. 46), sie aber nie auf den Gedanken kämen, gegen die fachfremde Führung der Organisationen, in denen sie tätig sind, zu protestieren (ebd., S. 57). Offenbar stören die administrativen Abläufe und Strukturen der Organi-sation die tägliche Praxis der Professionen nicht sonderlich, sogar wenn sie ei-ner bürokratischen Logik folgen.

Dennoch: „Professionelle sind ‚schwierige‘ Organisationsmitglieder – ob es sich nun um Ärzte oder Sozialarbeiter, um Lehrer oder Juristen handelt.“ (Schi-mank 2005, S. 144) Professionsangehörige sind – strukturell – hin- und herge-rissen zwischen zwei konfligierenden Loyalitäten: Identifikation (mit der Pro-fession) und Interesse (als Arbeitnehmer*in ein Einkommen zu erzielen). Dieser strukturell angelegte Konflikt ist nun allerdings nicht bewusstseinspflichtig – ein Umstand, der zur Erklärung einer allfälligen latenten Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen beitragen könnte. Es scheint eine Frage der Internali-sierung einer professionsethischen Haltung zu sein, inwieweit professionell Tä-tige ihr Handeln an organisationalen Regeln ausrichten und sich gewissermaßen organisationsseitig vorschreiben lassen, wie sie zu handeln haben. „Zwischen dem Organisationsregulativ und dem Professionsregulativ kann es im günsti-gen Fall größere Überschneidungen geben, im ungünstigen Fall ergeben sich Konflikte oder ein Überwiegen organisationaler Regelungen und Konditional-programme, die die erforderliche fallbezogene Autonomie bis auf einen kleinen Rest eliminieren“, so Pantuček-Eisenbacher (2015, S. 30), der daraus folgert, dass eine Profession wie die Sozialarbeit dann unprofessionell handelt, „wenn sie das tut, was man von ihr verlangt. Um das zu erreichen, was von ihr erwartet wird, muss sie anderes tun, als von ihr verlangt wird.“ (ebd., S. 33) Die Frage bleibt, ob und in welcher Hinsicht dieser Freiraum besteht und inwiefern er durch gesellschaftliche Erwartungen und Technisierungsbestrebungen bedroht und gefährdet ist (vgl. zu diesen Fragen auch Becker-Lenz et al. 2015).

Wenn sich Profession und Organisation nicht a priori ausschließen, so wirft das die Frage auf, wie erfolgreiche ‚professionelle Organisationen‘ eigentlich funktionieren. „Formale Regeln und Prozeduren zur Sicherung der Arbeitsqua-lität erübrigen sich; sie erscheinen sogar kontraproduktiv, weil sie die notwen-dige Autonomie der Professionellen untergraben und den bürokratisch-profes-sionellen Konflikt auslösen würden.“ (Klatetzki/Tacke 2005, S. 17) Der Konflikt

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ist nun also nicht zwischen Organisation und Profession strukturell angelegt, sondern allenfalls zwischen Bürokratie und Profession (vgl. auch Busse et al. 2016b). In Organisationen, die nicht mit den professionellen Ansprüchen kon-fligieren, gelingt es den Professionellen, durch Kompetenz und internalisierte Werte eine Selbstkoordination der Professionellen zu garantieren (dies ent-spricht dem von Mintzberg formulierten „mutual adjustment“, vgl. Klatetzki/ Tacke 2005, S. 17). Eine erfolgreiche professionelle Organisation zeichnet sich im Wesentlichen dadurch aus, dass sie über kein ausgeprägtes Machtzentrum verfügt, dafür ein hohes Maß an Dezentralisierung aufweist. Im Vergleich zu den hierarchisch geführten Unternehmen der 1950er Jahre haben sich Organi-sationen inzwischen grundlegend verändert: Auch der zeitgenössische Arbeits-kraftunternehmer als „Leittypus der gesellschaftlichen Formung von Arbeits-kraft“ (Pongratz/Voß 2004, S. 10) arbeitet nicht mehr in rigide strukturierten und regulierten Betrieben, sondern verfügt über vergleichsweise viel Autono-mie. Er nähert sich also – so könnte man als These formulieren – derjenigen Handlungsweise an, die für Professionen immer schon konstitutiv war.

Vor dem Hintergrund der Gegenwartsdiagnose der „Organisationsgesell-schaft“ (Schimank 2007, S. 239–246), in der „juristische Personen“, d. h. nicht durch Personen, sondern Positionen konstituierte „korporative Akteure der neuen Art“ in Gestalt von „formalen Organisationen“ ihren „unaufhaltsamen Aufstieg“ erleben und das Individuum infolge seiner Austauschbarkeit unter-graben würden, sowie der These von Stichweh (1996, S. 50), dass Organisatio-nen im Sinne eines „Brückenprinzips“ die Professionen miteinander verbinden und „in ihrem internen Prozessieren die Grenzen zwischen Professionen auflö-sen“, was den „Verdacht eines Bedeutungsverlusts der Professionen“ stütze, liegt es auf der Hand, dass dieses Spannungsverhältnis von professionstheoreti-schem Interesse geblieben ist (vgl. dazu auch Hanses 2007, S. 310 f.). Die Ent-gegensetzung von Organisation und Profession ist somit etwa im professionali-sierungstheoretischen Diskurs in der Sozialen Arbeit – denn gerade sozialpäd-agogische und sozialarbeiterische Praxis findet nach wie vor fast ausschließlich in Organisationen statt – bis heute von herausragender Bedeutung (vgl. Busse et al. 2016a).

Im professionstheoretischen Diskurs wird aber nicht nur der Widerstreit von professioneller und (bürokratisch-)organisationaler Handlungslogik in An-schlag gebracht, sondern auch, dass professionelles oder professionalisierungs-bedürftiges Handeln in ein institutionelles Arrangement eingebettet und da-durch u. U. institutionellen Rahmenbedingungen unterworfen ist, die mit der professionellen Rationalität konfligieren.3 So wird z. B. die gesetzliche Schul-

3 Die Begriffe Organisation und Institution verwenden wir, obwohl beide auf die Regelung von sozialem Handeln abzielen, nicht synonym, sondern grenzen sie entlang der Inten-

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pflicht unter arbeitsbündnislogischen Gesichtspunkten als zentrales Professio-nalisierungshindernis in der Pädagogik identifiziert (Oevermann 1996) oder der Strukturkonflikt von Hilfe und Kontrolle in der Sozialarbeit, genauer: der auf ihre ausgeprägte staatsbürokratische Eingebundenheit zurückgehende hohe Anteil an Kontrollaufgaben ebenfalls in Hinblick auf die Gestaltung von Ar-beitsbündnissen als Professionalisierungserschwernis erkannt, weshalb unter professionalisierungstheoretischen Gesichtspunkten die Notwendigkeit einer systematischen Trennung von Kontroll- resp. Sanktionierungspraktiken auf der einen und Hilfe- und Unterstützungsleistungen auf der anderen Seite postuliert wird (Oevermann 2009; auch Schallberger/Schwendener 2016).

Da Professionen im Zuge der Erbringung ihrer Dienstleistungen an organi-sationale und institutionelle Voraussetzungen gebunden sind, die dabei sowohl unterstützend als auch hinderlich sein können, kommen in ihrem Handeln auch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen zum Ausdruck. Die Manifestation des gesellschaftlichen Moments im professionellen Handeln ist doppelt begrün-det: einerseits indirekt vermittelt durch die jeweilige ‚Rationalität‘ der Organisa-tion, andererseits im unmittelbaren Sinne im Zentralwertbezug der Professio-nen. Professionen sind auf der einen Seite wie gesehen auf Organisationen verwiesen, deren Ziel aus neo-institutionalistischer Perspektive nicht zuletzt die Sicherstellung von gesellschaftlicher Legitimität ist. Institutionen gelten im Neo-Institutionalismus als dauerhaft angelegte, verbindliche und für das Han-deln maßgebliche soziale Regeln (vgl. Senge 2006, S. 43 f.), die auch Organisa-tionen „entscheidend beeinflussen“ (ebd., S. 35). Organisationen sind zwecks ihrer Entwicklung und ihres Erhalts nicht lediglich darauf ausgerichtet, die or-ganisationsinternen Kommunikations- und Handlungsprozesse zu regeln, zu steuern und nötigenfalls zu optimieren, sondern vor allem auch den gesell-schaftlich institutionalisierten Repräsentationen von Vernunft zu entsprechen (Böhnisch/Funk 2013, S. 136 f.). Der das gesellschaftliche Moment auf direktem Wege im professionellen Handeln abbildende Zentralwertbezug der Professio-nen auf der anderen Seite ist aus professionstheoretischer Sicht unbestritten; er

tionalität der Regelung dahingehend voneinander ab, dass eine Organisation ein – unter Zusammenlegung von Ressourcen auf der Basis gemeinsamer Interessen (Schimank 2007, S. 242) – bewusst hervorgebrachtes rationales Zweckgebilde darstellt, während eine Insti-tution – dem Erhalt der normativen Ordnung einer Gesellschaft verpflichtet – vielmehr einem historisch auf der Grundlage menschlicher Praxis gewachsenen System von sozia-len Regeln entspricht, das sich weitgehend verselbständigt hat (vgl. dazu Abels 2009, S. 174). Aus neo-institutionalistischer Perspektive sind Institutionen als dauerhafte und verbindliche, d. h. hochgradig institutionalisierte „soziale Regeln für Handlungen“ zu be-greifen, die in ihrer handlungsgenerierenden Funktion zwar nicht deterministisch wir-ken, aber „maßgeblich“ für das Handeln sind (Senge 2006, S. 43 f.). Das Verhältnis von Institution und Organisation ist im Neo-Institutionalismus dadurch bestimmt, dass Insti-tutionen die Organisationen „entscheidend beeinflussen“ (ebd., S. 35).

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ist in deren Gemeinwohlorientierung eingeschrieben und impliziert die Ver-pflichtung zur Realisation gesellschaftlicher Zentralwerte wie z. B. Gesundheit, Gerechtigkeit, Seelenheil, Erziehung und Bildung, Autonomie (siehe z. B. Com-be/Helsper 1996, S. 9; Oevermann 1996, S. 88 ff.; 2009, S. 120 ff.; Schütze 1992, S. 141; 1996, S. 239; Stichweh 1996, S. 55 f.). Dass die gesellschaftlichen Reprä-sentationen dieser exemplarisch angeführten Zentralwerte historisch kontin-gent sind, verdeutlicht sich etwa – um nur einige Beispiele zu nennen – anhand der in der Geschichte der Pädagogik sich dokumentierenden Entwicklung der Vorstellungen von adäquater Erziehung (vgl. z. B. Kappeler 2010), vor dem Hintergrund des sich in der strafrechtlichen Historie abbildenden Wandels von straftheoretischen Leitmodellen bzw. Pönologien mit entsprechend unter-schiedlichen Täteranthropologien und Strafpraktiken sowie Strategien im Um-gang mit dem Verbrechen (Foucault 2004, S. 343–359; Krasmann 2007; 2012) oder angesichts der sich derzeit vollziehenden gerechtigkeitskonzeptionellen Veränderung von einer sozialen zu einer versicherungsmathematischen Ge-rechtigkeit, die sich immer deutlicher im Sozialrecht niederschlägt (Schmidt-Semisch 2012). Professionen haben die Bewältigung von Krisen zum Gegen-stand, und da Krisen strukturell an gesellschaftliche und wissenschaftlich fun-dierte Normalitätsdefinitionen gebunden sind (was z. B. gesund bzw. krank, vernünftig resp. integritätsschädigend, gerecht oder ungerecht ist), haben Pro-fessionen auch eine Restitutionsfunktion im Hinblick auf die geltende normati-ve Ordnung einer Gesellschaft (vgl. Oevermann 1996, S. 88 ff.; 2009, S. 120 ff.). Da die normative Ordnung einer Gesellschaft nicht universell ist, sondern in ei-nem spezifischen historisch-kulturellen Zusammenhang steht, sind Professio-nen damit zugleich „ein seismografisches Spiegelbild der kulturellen, sozialen […] Veränderungen der Gesamtgesellschaft und ihrer Teilbereiche […] und haben immer wieder massive Probleme der Anpassung an die gesellschaftlichen Veränderungen zu bewältigen“ (Schütze 1996, S. 196).

Angesichts des Anliegens des vorliegenden Sammelbandes, den Zusammen-hang von Institution, Organisation und Profession zu beleuchten, wird nun in einem einführenden Sinne gegenwartsdiagnostisch auf einige zentrale gesell-schaftliche Entwicklungslinien eingegangen, um die gesellschaftlichen Bedin-gungen zu skizzieren, denen die Professionen zum Beginn des 21. Jahrhunderts ausgesetzt sind und die auf sie wirken. Genauer betrachtet werden dazu (1) die durch Flexibilisierungs- und Rationalisierungsprozesse angestoßenen Verän-derungen der Arbeitsverhältnisse, (2) die Tendenz der Ökonomisierung und (3) die Orientierung am Konzept des Risikos, die die kontemporäre Politik der sozialen Sicherung und Sicherheit kennzeichnet und mit der eine „Art von po-litischem ‚double-bind‘“ (Foucault 1997, S. 28) von Individualisierung bei gleichzeitiger Abwendung vom Individuum einhergeht.

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2 Arbeitsverhältnisse im Spätkapitalismus

„Ausnahmslos jede […] Ordnung der gesellschaftlichen Beziehungen ist, wenn man sie bewerten will, letztlich auch daraufhin zu prüfen, welchem menschli-chen Typus sie, im Wege äußerer oder innerer (Motiv-)Auslese, die optimalen Chancen gibt, zum herrschenden zu werden.“ (Weber 1922, S. 479) Wird diese Frage auf die heutigen Arbeitsverhältnisse bezogen, kommen als Typen etwa die Projektmitarbeiterin, der Arbeitskraftunternehmer oder der Teamplayer in-frage. Es besteht begründeter Anlass zur Vermutung, dass die gesellschaftlich institutionalisierten Erwartungen, entsprechend diesen Typen zu handeln, un-hintergehbar und auch in der Rationalität der Organisation eingeschrieben sind.

Pongratz und Voß (z. B. 2004) haben den historisch neuen Typus des „Ar-beitskraftunternehmers“ prominent gemacht und darauf hingewiesen, dass der klassische, „verberuflichte“ Arbeitnehmer, der „unter hochregulierten Arbeits-bedingungen in weitgehend standardisierter Form Arbeitsaufträge nach Anwei-sung ausführt“ (ebd., S. 9), inzwischen zwar nicht völlig, aber doch zu einem wesentlichen Grad abgelöst ist durch einen Typus, der mit gestiegenen Ansprü-chen an die Selbstorganisation konfrontiert ist, und der der Erwartung genügen muss, die eigene Arbeitskraft gezielt zu entwickeln und zu verwerten (ebd., S. 9). Ohne an dieser Stelle das entsprechende Konzept des Arbeitskraftunter-nehmers im Detail zu wiederholen, lässt sich in Bezug auf die Professionen die These aufstellen, dass nunmehr eine Mehrzahl der Beschäftigten jene „eigen-verantwortlichen Strukturierungsleistungen“ (Kratzer 2001 zit. nach ebd.) er-bringen müssen, die von Professionen immer schon erbracht wurden. Letztere arbeiten ja seit jeher unter relativ gering regulierten Bedingungen und in einem nicht unwesentlichen Maße unstandardisiert (was sich professionalisierungs- bzw. strukturtheoretisch auch gut begründen lässt). Den Organisationen aller-dings ist eine Tendenz zur Regulierung und Standardisierung eingeschrieben. Wie lässt sich das vereinen bzw. wie gehen Professionelle (und Arbeitskraft-unternehmer) mit diesen widersprüchlichen Erwartungen um?

Ein in gewisser Weise gegenläufiger Trend wird von Sennett (2000) be-schrieben. Der heutige Arbeitnehmer sei durch Rationalisierungs- und Techni-sierungsprozesse, die ihm paradoxerweise die Arbeit erleichtern sollen, zuneh-mend von den sinnstiftenden Inhalten seiner Tätigkeiten entfremdet:4 „Dem Arbeitsablauf nach ist alles so einfach, emotional ist alles so unlesbar.“ (ebd., S. 87) Vom hier postulierten Wandel der Arbeitsverhältnisse sind Professionen

4 Ein Befund, der in der arbeitssoziologischen Diskussion eine lange Tradition hat (vgl. z. B. Friedmann 1959) und der an die klassische Entfremdungsdiagnose von Marx anschließt. Dass das Individuum sich in der zeitgenössischen Industriearbeit nicht nur entfremdet, sondern auch entfalten kann, zeigt bspw. Schumann (2003).

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wiederum mutmaßlich weniger betroffen, weil deren Arbeitsverhältnisse immer schon „unlesbarer“ und weniger voraussehbar waren. Professionelle haben – dem Strukturmodell nach – die Kompetenz und die (damit strukturell verbundene) Autonomie, sich aus dem Unlesbaren einen Reim zu machen, sofern sie denn die entsprechende „Kunstlehre“ (Oevermann 1996, S. 123) beherrschen bzw. über den einschlägigen professionellen Habitus verfügen (vgl. für die Soziale Arbeit z. B. Becker-Lenz/Müller 2009). Auch der von Sennett (2000) problema-tisierte ständige Wechsel der Arbeitsstelle, der durch die sich einstellende Ver-weigerung von Langfristigkeit auch den Charakter korrumpiere,5 wäre für Pro-fessionsangehörige, die neben der Loyalität zum Betrieb immer auch eine Lo-yalität zur Profession entwickeln, mutmaßlich weniger problematisch, da sie auch eine starke Zugehörigkeit und langfristige Identifikationsbasis in der Pro-fession finden. Ihre berufliche Identität ist folglich nicht auf eine bestimmte Organisation angewiesen und – vor allem – weniger von einem allfälligen Ver-blassen beruflicher Identitäten betroffen, das sich aus dem technischen Wandel ergibt. Professionelle werden – sofern das, was sie tun, professionalisierungs-bedürftig bleibt und als professionalisierungsbedürftig auch anerkannt wird – immer mehr als bloße Anwender*innen einer bestimmten (standardisierten) Technik sein.

In Anbetracht der vorangehenden Überlegungen ließe sich also die These formulieren, dass die Umstrukturierung der Arbeitswelt in Gestalt neuer Flexi-bilitäten und Autonomisierungen dem Selbstverständnis der Professionen eher entgegenkommt. Dies gilt allerdings nur, solange ihr Handeln genuin profes-sionell bleiben darf und nicht im Zuge der Standardisierungsbemühungen sei-nes professionellen Kerns beraubt wird. Hierzu gibt es nun zweierlei Tendenzen. Auf der Ebene der Organisationen, die sich mutmaßlich zunehmend flexibel und dezentral ausgestalten, was für die Angestellten also potenziell autonomi-sierend wirkt, zeigt sich für die Professionen eine neutrale bis begünstigende Tendenz. Auf der Ebene der Institution (in Gestalt von gesellschaftlichen Er-wartungen) indes wirken – wie weiter unten noch verdeutlicht wird – starke Tendenzen in Richtung Standardisierung, und die Erwartungen sind darüber hinaus geprägt von Misstrauen, Willkürverdacht und Kontrollwünschen. Von dieser Seite her sind also de-professionalisierende Auswirkungen zu erwarten. Es dürfte auch vermehrt zu Aushandlungen darüber kommen, was überhaupt zum Kernbestand des professionellen Handelns gehört und was nicht. Dieses ‚boundary work‘ (Gieryn 1983) legt die Grenzen zwischen dem Kernbestand der (wissenschaftsgestützten) Profession und dem, was übrigbleibt, aber eben-

5 „‚Nichts Langfristiges‘ desorientiert auf lange Sicht jedes Handeln, löst die Bindungen von Vertrauen und Verpflichtung und untergräbt die wichtigsten Elemente der Selbst-achtung.“ (Sennett 2000, S. 38)

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falls noch zu tun ist, immer wieder neu fest. Die Einführung von DRG (Diagno-ses Related Groups) für die Abrechnung und Prozessierung von Patient*innen in Krankenhäusern beispielsweise (vgl. den Beitrag von Niehaus/Wilkesmann in diesem Band) kann zu Differenzierungen und Spezialisierungen von Tätig-keiten führen, die bisher ausschließlich bei Ärzt*innen angesiedelt waren. Wel-che Teile der neu erforderlich gewordenen Kodierungsarbeiten anderen Berufs-gruppen übertragen werden können, wäre dann Bestandteil dieses ‚boundary work‘ im Rahmen einer zu bestimmenden Abgrenzung.6

3 Die Tendenz der Ökonomisierung – von der Universalisierung des Unternehmens

Aus governancetheoretischer Sicht kann die Tendenz der Ökonomisierung, die längst nicht-ökonomische gesellschaftliche Bereiche wie etwa Schulen, soziale Dienste, Gerichte, Verwaltungen erfasst und damit verbunden auch auf den Ebenen der Gemeinschaft (Vereine, Gruppen, Familien) sowie der Subjekte ih-ren Niederschlag gefunden hat, unter der Chiffre der „Ökonomisierung des So-zialen“ (Lemke/Krasmann/Bröckling 2012) gefasst und als Ausdruck einer spe-zifischen Form von Regierungsmacht – der „neoliberalen Gouvernementalität“ (Foucault 2004, S. 269) – gelesen werden.

Seinen politischen Sieg hat der Neoliberalismus dem im Anschluss an die Ölkrise in den 1970er Jahren grassierenden Problem der Arbeitslosigkeit zu ver-danken; die Krise des politischen Modells des Wohlfahrtstaates ist unmittelbar mit der Krise der Erwerbsarbeit verbunden. Dass das Angebot an Erwerbsarbeit in den hochentwickelten Industrienationen schwindet, liegt in der Struktur-logik des kapitalistischen Wirtschaftsordnung begründet: Weil die Unterneh-men zur Tiefhaltung der Produktionskosten gezwungen sind, um Konkurrenz-fähigkeit auf dem Markt bzw. ihren Fortbestand zu sichern, automatisieren bzw. standardisieren sie zwecks Produktivitätssteigerung die Herstellung der Waren und die Erbringung von Dienstleistungen soweit wie möglich, so dass die Nachfrage nach menschlicher Arbeitskraft abnimmt (vgl. Dahrendorf 1983, S. 29 f.; Maier 2008, S. 28; Vobruba 2007, S. 13). Über die Erzeugung von struk-tureller Arbeitslosigkeit hinaus verunmöglicht der systemimmanente Zwang zur betriebswirtschaftlichen Rationalisierung auch das Reüssieren der mittels Gewinnförderung auf die Erhöhung des Beschäftigungsvolumens abzielenden keynesianischen Makrointerventionen, denn aus unternehmerischer Perspektive

6 Allen (1997) wendet das Konzept der ‚negotiated order‘ in Anlehnung an Strauss et al. auf Abgrenzungsprozesse an, die zwischen dem medizinischen Feld und dem Feld der Pflege-fachkräfte beobachtbar sind.

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ist indiziert, den Mehrgewinn in betriebswirtschaftliche Rationalisierung zu in-vestieren, nicht in die Ausweitung des Beschäftigungsvolumens (Vobruba 2007, S. 19). Die keynesianische Stabilisierungspolitik vermochte sodann der Rezes-sion der 1970er Jahre tatsächlich nicht hinreichend entgegenzuwirken (vgl. Dahrendorf 1983, S. 27). Da ihr die voranschreitende Globalisierung endgültig die Grundlage entzogen hat (vgl. Kessl 2007, S. 205; Vobruba 2007, S. 125 f.) und sich im Gegenzug das Arbeitskraftangebot in den hochentwickelten Indus-triestaaten (z. B. durch erhöhte Zuwanderung, Zunahme von Einelternfamilien, emanzipativ motivierte Erwerbstätigkeit der Frauen) weiter erhöht hat (vgl. Maier 2008, S. 31), scheint die These vom Ende der Vollbeschäftigung besiegelt (z. B. Böhnisch/Funk 2013, S. 199 f.; Castel 2009, S. 27; Vobruba 2007, S. 152).

Das Ende der Vollbeschäftigung stürzt den Sozialstaat als politisches Mo-dell, also mitsamt seinem aus Professionen und Verwaltungsfunktionären be-stehenden Expertenwesen, in die Krise (Pieper 2007, S. 99; Ziegler 2005, S. 33 f.; 2006, S. 140 f.). Das wohlfahrtsstaatliche Modell wurde einerseits der Reproduk-tion sozialer Ungleichheiten und der Expertokratie im Sinne der Untergrabung der Individuen bezichtigt, andererseits wurden der finanzielle Mehraufwand durch die erhöhten Transferleistungen, die wuchernde Bürokratie und die In-effizienz der Wohlfahrtsproduktion moniert (Kessl 2007, S. 205; Lemke 2011, S. 234 f.; Rose 2012, S. 77 f.).

Die wohlfahrtstaatliche Regierungsrationalität wird von der neoliberalen Gouvernementalität verdrängt. Und die damit einhergehende „Ökonomisie-rung des Sozialen“ (Lemke/Krasmann/Bröckling 2012) drückt sich darin aus, dass sich die Regierung den Markt aneignet und mit ihm regiert, indem sie ihn zum zentralen Kontroll- und Steuerungsprinzip der Gesellschaft erhebt (De-mirovic 2013, S. 128; Lemke/Krasmann/Bröckling 2012, S. 15) und dadurch eine „Vervielfachung der Unternehmensform innerhalb des Gesellschaftskör-pers“ herbeiführt (Foucault 2004, S. 210). Die Ökonomisierung des Sozialen findet ihren Niederschlag auf zwei Ebenen, die für das professionelle Handeln von Relevanz sind: Zum einen (a) auf der Ebene der Subjekte bzw. der Klientel, zum anderen (b) auf der Ebene der kollektiven Akteure resp. der Organisatio-nen, in die professionelles Handeln eingebettet ist.

a) Die Ökonomisierung des Sozialen reagiert einerseits auf die Kritik am sozial-staatlichen Arrangement: Anstatt mittels frei vergebenen Transferleistungen die „erlernte Hilflosigkeit“ zu zementieren und damit Ungleichheiten zu reprodu-zieren, konzipiert die neoliberale Programmatik die Armen und Arbeitslosen als aktive Akteure im Hinblick auf die Bewältigung ihrer Notlage (vgl. Pieper 2007, S. 100). Das strategische Mittel der neoliberalen Regierung ist Aktivierung oder – analog dazu – „Responsibilisierung“; mit dieser taktischen Ausrichtung zielt sie auf die Förderung der Eigenverantwortung, Eigenständigkeit und Ei-geninitiative der Subjekte (Krasmann 2012, S. 198).

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Die der Responsibilisierungsstrategie zu Grunde liegende „Ethik des auto-nomen Selbst“ (ebd.), gemeinhin das neoliberale Konzept von Autonomie, re-kurriert auf den „Unternehmer seiner selbst“, der als Leitmodell der neolibera-len Politik fungiert (Bröckling 2012, S. 155; Foucault 2004, S. 314; Lemke/Kras-mann/Bröckling 2012, S. 15). Da das Paradigma der Responsibilisierung resp. Aktivierung auf die Realisation eben dieses Leitmodells hinwirkt, ist es zum anderen auch ein Respons auf die Sozialstaatskritik des rechten politischen La-gers.

Um die auf unternehmerische Rationalität reduzierte neoliberale Konzep-tion von Autonomie im vernünftigen Handeln umzusetzen, bedarf es einer Re-gierungsmacht, die mit dem Markt regiert und die antikonkurrenziellen Me-chanismen aushebelt (vgl. Foucault 2004, S. 172 ff.; Lemke 2011, S. 237 ff.). In dieser gesellschaftspolitischen Logik wird Arbeitslosigkeit nicht auf wirtschaftli-che und gesellschaftliche Strukturprobleme zurückgeführt und als soziales Ri-siko taxiert, sondern als Problem der individuellen Motivation und Qualifikation definiert und entsprechend als Konkurrenzverhältnis zwischen Arbeitskräften konzipiert (vgl. Schallberger/Schwendener 2016, S. 207; Pieper 2007, S. 101; Rose 2012, S. 103). Den Arbeitslosen wird im „Aktivierungsparadigma“ die in-trinsische Motivation zur Arbeit abgesprochen und entsprechend dieses Men-schenbildes wird ihnen mit einem „Vorschussmisstrauen“ begegnet, das dem Staatshandeln aufdrängt, sie zur Arbeit zu zwingen (Schallberger/Wyer 2010, S. 10 f.). Maßgeblich gestützt wird diese Form der Regierung der Arbeitslosen durch die Workfare-Programmatik, die auf der Grundlage des Konzepts der Gegenleistung auf die möglichst rasche Wiedereingliederung der Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt hinwirkt (vgl. Wyss 2009, S. 9). Mittels Integrationsmaß-nahmen, die auf die berufliche Qualifizierung oder zumindest den Erhalt ar-beitsmarktrelevanter Fähigkeiten ausgerichtet sind (vgl. Staatssekretariat für Wirtschaft SECO 2011), zielt das Gegenleistungsprinzip auf die Förderung der Arbeitslosen als „aktive[…] Wirtschaftssubjekt[e]“ (Foucault 2004, S. 311). Die Arbeitslosen werden mit „Technologien der ‚Freiheit‘“ regiert, indem sie als au-tonome, d. h. ökonomisch-rationale Subjekte begriffen werden, die ihre Wieder-eingliederung in den Arbeitsmarkt auf der Basis von zugestandenen Wahl- und Handlungsmöglichkeiten aktiv und eigenverantwortlich organisieren (Kras-mann 2007, S. 162; vgl. Pieper 2007, S. 102). Diese Wahl- und Handlungsfrei-heiten sind allerdings in ein Herrschaftsarrangement eingebettet, das von einem „institutionalisierten Misstrauen“ gegenüber Arbeitslosen geprägt ist (Schall-berger/Wyer 2010, S. 12): Im Gegenleistungsprinzip ist die Pflicht zur Mitwir-kung eingeschrieben, von deren Erfüllung die Aushändigung des Arbeitslosen- bzw. Sozialhilfegeldes abhängig ist. Gesetze sind Taktiken der Regierung, mit deren Hilfe sie das Verhalten der Individuen in die gewünschte Richtung lenkt (vgl. Foucault 2012, S. 54; Lemke 2011, S. 257). Die aktivierende Regierungs-macht agiert nicht nur mit Wahlmöglichkeiten, sondern auch mit Unterwer-

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fungspraktiken; nicht nur Technologien der Freiheit, sondern auch Disziplinar-techniken konstituieren die neoliberale Subjektivierungsstrategie7 (vgl. auch Lemke 2011, S. 307 f.; Pieper 2007, S. 102 f.; Webb 2009, S. 220). Im Konzept der Gegenleistung ist ein Zwang zur Erwerbsarbeit eingeschrieben, so dass dessen Einführung ebenso als Reaktion auf die erfolgreich problematisierten erhöhten Kosten infolge der gestiegenen Anzahl an Bezüger*innen von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zu begreifen ist. Insbesondere für die Sozialarbeit ist die Her-ausbildung des aktivierenden Sozialstaates aus professionalisierungstheoreti-

7 Im gouvernementalitätsanalytischen Sinne kann die Subjektivierungsstrategie einer poli-tischen Rationalität als der Modus der Umsetzung von deren Zielsetzungen verstanden werden. Im Hinblick auf den Subjektivierungsprozess wird governancetheoretisch zwi-schen zwei Formen der Verhaltenssteuerung unterschieden: Selbsttechnologien auf der einen und Fremdtechnologien auf der anderen Seite (vgl. dazu Lemke/Krasmann/Bröck-ling 2012, S. 38 f.; Lemke 2011, S. 257 ff.). Während Selbsttechnologien auf das Verhältnis des Individuums zu sich selbst hinweisen würden, seien Fremdtechnologien in den regie-rungsförmigen Machtstrukturen angelegt und kennzeichneten die äußere Seite der Steue-rung individuellen Verhaltens. Die beiden Formen der Verhaltenssteuerung stünden zwar nicht in einem monokausal-deterministischen, aber auch nicht in einem unsystemati-schen Verhältnis zueinander, denn die Regierungsmacht wirke auf die Beförderung von Selbsttechnologien hin, die mit den Fremdtechnologien korrespondieren. Das theoreti-sche Konzept der Selbsttechnologie entschärft die gegenüber gouvernementalitätstheore-tischen Arbeiten geäußerte Kritik der „Totalität der Macht“ (Kessl 2007, S. 215; vgl. auch Herrmann 2007, S. 299 f.): Der Kritik, dass das universelle Subjekt bzw. subjektive Auto-nomie negiert werde, indem alles menschliche Handeln in der Weise begriffen werde, dass es durch die in spezifische Machtstrukturen eingebetteten, vom institutionell abge-stützten Willen zur Wahrheit durchzogenen Diskursformationen konstituiert sei (hin-sichtlich der hier aufgeworfenen Fragen nach der Beschaffenheit und der Wirkmächtig-keit des Diskurses sowie dem Verhältnis von Subjekt und (politischer) Macht vgl. Foucault 1993, insb. S. 11–17 resp. Foucault 1997, S. 14 f., S. 22–28), steht die theoretische Figur der Selbsttechnologie gegenüber, die die selbstkonstitutive Seite von Subjektivität betont und das Subjekt nicht ausschließlich als „Funktion von Macht-Wissens-Komplexen“ verste-hen lässt (Lemke 2011, S. 258). Da der Subjektivierungsprozess so gesehen keiner herr-schaftlichen Determination entspricht – er vollzieht sich zwar in einem strategisch mit verhaltenssteuernden Reizen ausgestatten Feld und wird somit von außen mitgesteuert, aber den für ihn ebenso konstitutiven Selbsttechnologien liegt eine „relative Autonomie“ zu Grunde –, ist Widerständigkeit strukturell möglich (Lemke/Krasmann/Bröckling 2012, S. 28 f.; Lemke 2011, S. 257 ff.). Vor dem Hintergrund, dass das methodologische und me-thodische Programm der Gouvernementalitätsanalytik nicht so angelegt ist, dass es die selbstkonstitutive Seite von Subjektivität ins Zentrum stellt, sondern auf die Untersu-chung von programmatischen Texten zur Identifikation von Subjektformaten ausgerich-tet ist, sind die empirischen Subjekte nicht mit den dabei eruierten Modellen von Subjek-tivität zu verwechseln (vgl. Pieper 2007, S. 105). Die governancetheoretische Perspektive verfolgt keine „Philosophie des Subjekts“, sondern eine „Geschichte der Subjektivitäten“ (Lemke 2011, S. 258; vgl. Foucault 1997, S. 27 f.). Ein in politisch-programmatischen Schriften rekonstruiertes Leitmodell von Subjektivität bildet sodann gewissermaßen erst die analytische Basis, um zu untersuchen, inwiefern sich der machtvolle Diskurs in die empirischen Subjekte einschreibt resp. sich in deren Handeln niederschlägt.