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Luxationen des Ellbogengelenks stel- len beim Erwachsenen die zweithäu- figste Verrenkung dar. Der in der Regel hyperextendierende Unfallmechanis- mus führt überwiegend zu einer dorso- radialen Luxation im Ellbogengelenk. 30–50% aller Verrenkungen weisen Zu- satzverletzungen an den gelenkbilden- den knöchernen Strukturen auf. Diese Zusatzverletzungen gewinnen entschei- denden Einfluß auf das therapeutische Verfahren. Anatomie des Ellbogengelenks Der anatomische Aufbau des Ellbogen- gelenks bedingt eine formschlüssige Kongruität der Gelenkpartner, die eine hohe Gelenkstabilität allein aufgrund der knöchernen Gelenkführung gewähr- leisten. Darüber hinaus tragen die ra- dialen und ulnaren Kollateralbänder sowie in Abhängigkeit von der Ge- lenkposition Anteile der Gelenkkapsel dazu bei, den Gelenkflächenkontakt zu sichern. Als dynamische Stabilisatoren des Ellbogengelenks kommt der Beu- ge- und Streckmuskulatur Bedeutung zu. Das ulnare Lig. collaterale setzt sich aus 3 Teilzügeln zusammen. Durch die- se anatomische Aufteilung der Teilzü- gel ist in jeder Gelenkstellung ein Teil des Seitenbands zur Sicherung des Ge- lenks angespannt. Auch das radiale Kollateralband weist eine unter funk- tionellen Gesichtspunkten ebenfalls vor- teilhafte fächerförmige Grundstruktur mit 3 Teilzügeln auf. Zur Verstärkung der Gelenkkapsel finden sich ventral longitudinale und schräge Faserzügel. Dorsal verlaufen in der Kapselwand transversale und longitudinale Faser- zügel. Diagnose der Ellbogenluxation Die Diagnose einer Ellbogenluxation ist sowohl klinisch als auch radiolo- gisch einfach zu stellen. Zur Dokumen- tation genügt die Röntgendarstellung in den 2 Standardebenen. Auf periphe- re Durchblutungsstörungen ist zu ach- ten. Ein orientierender neurologischer Status muß in jedem Fall erhoben wer- den. Therapie Die Ellbogenverrenkung stellt einen unfallchirurgischen Notfall dar und be- darf der dringlichen Reposition. Das schonende Repositionsmanöver erfolgt in zuverlässiger Analgesie und Mus- kelrelaxation. Die anschließende Rönt- genkontrolle ist unerläßlich, da Zusatz- verletzungen häufig erst nach Reposi- tion des Ellbogengelenks zur Darstel- lung kommen. Nachweisbare osteo- kartilaginäre Abschlagfragmente oder knöcherne Bandausrisse beeinflussen Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] : S65–S66 © Springer-Verlag 2000 Luxationen und Bandverletzungen Wann operieren wir, wie behandeln wir nach? U. Heitemeyer Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Allgemeines Krankenhaus Harburg Dr. U. Heitemeyer, Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Allgemeines Kran- kenhaus Harburg, Eißendorfer Pferdeweg 52, D-21075 Hamburg Tel.: 040-79212531, 040-79212542, Fax: 040-79213080 S65 Zusammenfassung Die Kapsel-Band-Verletzungen am Ellbogengelenk ohne osteokartila- ginäre Zusatzverletzungen werden vorwiegend konservativ behandelt. Die frühfunktionelle Bewegungs- therapie aus der Gipsschale ge- währleistet überwiegend sehr gute Behandlungsergebnisse. Indikatio- nen zur operative Therapie betref- fen Sekundärinstabilitäten, die nach rein ligamentären Verletzungen am Ellbogengelenk sehr selten auftre- ten. Schlüsselwörter Luxationen des Ellbogengelenks · Rein ligamentäre Verletzungen · Konservative Therapie · Frühfunk- tionelle Übungsbehandlung ELLBOGENVERLETZUNG

Luxationen und Bandverletzungen

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Page 1: Luxationen und Bandverletzungen

Luxationen des Ellbogengelenks stel-len beim Erwachsenen die zweithäu-figste Verrenkung dar. Der in der Regelhyperextendierende Unfallmechanis-mus führt überwiegend zu einer dorso-radialen Luxation im Ellbogengelenk.30–50% aller Verrenkungen weisen Zu-satzverletzungen an den gelenkbilden-den knöchernen Strukturen auf. DieseZusatzverletzungen gewinnen entschei-denden Einfluß auf das therapeutischeVerfahren.

Anatomie des Ellbogengelenks

Der anatomische Aufbau des Ellbogen-gelenks bedingt eine formschlüssigeKongruität der Gelenkpartner, die einehohe Gelenkstabilität allein aufgrundder knöchernen Gelenkführung gewähr-leisten. Darüber hinaus tragen die ra-dialen und ulnaren Kollateralbändersowie in Abhängigkeit von der Ge-lenkposition Anteile der Gelenkkapseldazu bei, den Gelenkflächenkontakt zusichern. Als dynamische Stabilisatorendes Ellbogengelenks kommt der Beu-ge- und Streckmuskulatur Bedeutungzu.

Das ulnare Lig. collaterale setzt sichaus 3 Teilzügeln zusammen. Durch die-se anatomische Aufteilung der Teilzü-

gel ist in jeder Gelenkstellung ein Teildes Seitenbands zur Sicherung des Ge-lenks angespannt. Auch das radialeKollateralband weist eine unter funk-tionellen Gesichtspunkten ebenfalls vor-teilhafte fächerförmige Grundstrukturmit 3 Teilzügeln auf. Zur Verstärkungder Gelenkkapsel finden sich ventrallongitudinale und schräge Faserzügel.Dorsal verlaufen in der Kapselwandtransversale und longitudinale Faser-zügel.

Diagnose der Ellbogenluxation

Die Diagnose einer Ellbogenluxationist sowohl klinisch als auch radiolo-gisch einfach zu stellen. Zur Dokumen-tation genügt die Röntgendarstellungin den 2 Standardebenen. Auf periphe-re Durchblutungsstörungen ist zu ach-ten. Ein orientierender neurologischerStatus muß in jedem Fall erhoben wer-den.

Therapie

Die Ellbogenverrenkung stellt einenunfallchirurgischen Notfall dar und be-darf der dringlichen Reposition. Dasschonende Repositionsmanöver erfolgtin zuverlässiger Analgesie und Mus-kelrelaxation. Die anschließende Rönt-genkontrolle ist unerläßlich, da Zusatz-verletzungen häufig erst nach Reposi-tion des Ellbogengelenks zur Darstel-lung kommen. Nachweisbare osteo-kartilaginäre Abschlagfragmente oderknöcherne Bandausrisse beeinflussen

Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] : S65–S66 © Springer-Verlag 2000

Luxationen und BandverletzungenWann operieren wir, wie behandeln wir nach?

U. HeitemeyerAbteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Allgemeines Krankenhaus Harburg

Dr. U. Heitemeyer, Abteilung für Unfall- undWiederherstellungschirurgie, Allgemeines Kran-kenhaus Harburg, Eißendorfer Pferdeweg 52,D-21075 HamburgTel.: 040-79212531, 040-79212542, Fax: 040-79213080

S65

Zusammenfassung

Die Kapsel-Band-Verletzungen amEllbogengelenk ohne osteokartila-ginäre Zusatzverletzungen werdenvorwiegend konservativ behandelt.Die frühfunktionelle Bewegungs-therapie aus der Gipsschale ge-währleistet überwiegend sehr guteBehandlungsergebnisse. Indikatio-nen zur operative Therapie betref-fen Sekundärinstabilitäten, die nachrein ligamentären Verletzungen amEllbogengelenk sehr selten auftre-ten.

Schlüsselwörter

Luxationen des Ellbogengelenks ·Rein ligamentäre Verletzungen ·Konservative Therapie · Frühfunk-tionelle Übungsbehandlung

ELLBOGENVERLETZUNG

Page 2: Luxationen und Bandverletzungen

entscheidend die Indikation zur kon-servativen oder operativen Therapie.Gehaltene Aufnahmen des Ellbogen-gelenks nach erfolgter Reposition ha-ben keine therapeutische Konsequenzund sind daher überflüssig.

Die Therapie der reinen ligamen-tären Verletzung nach Verrenkung desEllbogengelenks ist bevorzugt konser-vativ.

Nach erfolgreicher Reposition wirddas Ellbogengelenk in einer dorsalenOberarmgipsschiene immobilisiert.Nach einer initialen Immobilisations-

phase von 5 Tagen wird mit geführtenBewegungen des Ellbogengelenks durchden Arzt begonnen. Der Arm wird da-zu aus der Gipsschiene genommen. DerChirurg stabilisiert mit der einen Handvon dorsal das Ellbogengelenk. Die an-dere Hand umfaßt von streckseitig dasHandgelenk. In dieser manuell stabili-sierenden Position wird das Ellbogen-gelenk 10- bis 15mal flektiert und ex-tendiert. Die Bewegung an sich, nichtdas Bewegungsausmaß, ist am Beginnder frühfunktionellen Übungstherapiewichtig. Ein initialer Bewegungsum-fang von etwa 30° ist somit ausrei-chend. Anschließend wird die Ober-armgipsschale erneut angewickelt. Die-se bewegungstherapeutische Anwen-dung erfolgt jeden 2. Tag. Nach 3 Wo-chen wird das Ellbogengelenk frei ge-geben, und es erfolgt der Übergang vongeführten zu selbsttätigen Bewegungs-übungen. Unter Berücksichtigung in-dividueller Sicherheitsbedürfnisse kanndie Oberarmgipsschale nachts angelegtwerden.

Die Frage nach operativen Maß-nahmen stellt sich dann, wenn nachdurchgeführter Reposition das Ellbo-gengelenk sofort erneut reluxiert. Einderartig instabiles Gelenk ist nicht zu-verlässig in der Oberarmgipsschiene zuimmobilisieren. Liegen keine opera-tionspflichtigen Zusatzverletzungenvor, bietet die unilaterale gelenküber-brückende externe Fixation therapeuti-sche Vorteile. Der Fixateur wird überSchanz-Schrauben in Humerus und Elle montiert. 2 achsiale Rohrstangenverbinden die Schanz-Schrauben, wo-bei die beiden Rohrstangen auf Höhedes Ellbogengelenks über eine Rohr-zu-Rohr-Backe verbunden werden.Nach initialer Ruhigstellung von 5–7 Tagen erfolgt die frühfunktionelleÜbungstherapie wie oben dargestelltjeweils nach Abnahme der Rohr-zu-Rohr-Backe. Nach 5 Wochen sind Ell-bogengelenke mit primär hochgradiger

posttraumatischer Instabilität stabil, sodaß die externe Fixation aufgehobenwerden kann. Verbleibende Instabilitä-ten sind nach diesen geschilderten The-rapieverfahren die Ausnahme.

Die primäre Operation mit Band-nähten kann aufgrund der guten Be-handlungsergebnisse nach konservati-ver Therapie bei rein ligamentären Ver-letzungen nach Verrenkungen des Ell-bogengelenks nicht empfohlen werden.Bei offenen Verletzungen stellt die ex-terne Fixation in Verbindung mit einemWunddébridement die Methode derWahl dar. Rekonstruktive operativeMaßnahmen an den Bandstrukturensind bei offenen Verletzungen einerspäteren Behandlungsphase bei gege-bener Indikation vorbehalten.

Spätschäden

Wesentliche Unfallfolgen verbleibennach Ellbogenluxationen ohne Zusatz-verletzungen nicht. Bei einem Bewe-gungsausmaß von 0–30–130° könnenalle funktionell wichtigen Greifformendurchgeführt werden. Bei freier Suppi-nation und Pronation wäre die MdE beieiner derartigen Bewegungseinschrän-kung mit 100 einzuschätzen. Hiernachrichtet sich die Einschätzung einer ggf.verbleibenden höheren MdE z. B. nachposttraumatischen periartikulären Ver-kalkungen.

Literatur

1. Izbicki W, Neumann N, Spohr H (1992) Un-fallbegutachtung. de Gruyter, Berlin NewYork

2. Kapandij IA (1992) Funktionelle Anatomieder Gelenke. Enke, Stuttgart

3. Morrey BF (1997) Complex instability of theelbow. J Bone Joint Surg Am 460

4. Morrey FB, An K-N (1983) Articular and lig-amentous contributions to the stability of theelbow joint. Am J Sports Med 11:315

5. Rüter A, Trentz O, Wagner M (1995) Un-fallchirurgie. Urban & Schwarzenberg, Mün-chen Wien Baltinore

S66

ELLBOGENVERLETZUNG

Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] : S65–S66© Springer-Verlag 2000

Operation and treatmentof dislocations and ligament injuries

U. Heitemeyer

Abstract

As a rule, injuries to the articularcapsule of the elbow without addi-tional osteocartilaginous insult aretreated conservatively. Beginningfunctional physical therapy as ear-ly as possible after removal fromfixation most often produces verygood results. Operative therapy isindicated only for secondary insta-bilities, which rarely appear withinjuries involving only ligamentsto the elbow joint.

Key words

Dislocation · Purely ligament in-juries · Conservative therapy · Ear-ly functional physical therapy