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medienbrief Medienzentrum für die Landeshauptstadt Düsseldorf 01/2011 LVR-Zentrum für Medien und Bildung Schülerinnen und Schüler werden aktiv - Medieneinsatz im Deutschunterricht

LVR-Zentrum für Medien und Bildung medienbrief · Roy Lichtenstein (1923-1997) ist mit seinen durch die Werbung angeregten Punkterastern und satten Farbtö-nen zum Inbegriff der

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medienbrief Medienzentrum für dieLandeshauptstadt Düsseldorf

01/2011

LVR-Zentrum für Medien und Bildung

Schülerinnen und Schüler werden aktiv -

Medieneinsatz im Deutschunterricht

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vorwort

Michael Thessel,

Leiter des LVR-Zentrums für Medien und Bildung

Foto: Dominik Schmitz, LVR-Zentrum für Medien und Bildung

Erfolgreiches Lernen und Leben in unserer Gesellschaft basiert zu einem erheblichen Anteil auf der Fähigkeit, in der deutschen Sprache kommu-nizieren zu können. Wissenschaftliche Untersuchungen über den Zusam-menhang von sprachlicher Kompetenz und Bildung machen deutlich, dass Defizite in der Kommunikationsfähigkeit ursächlich für Benachteiligungen in unserem Bildungssystem sind.

Vor diesem Hintergrund ist es umso dramatischer, dass selbst nach 10 Jah-ren Schulzeit annähernd 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen nicht über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen.

Deutsch lernen wird damit zu der größten Herausforderung aller Schulen, übrigens auch aller Fächer und damit aller Lehrerinnen und Lehrer.

Der neue Medienbrief, den Sie in den Händen halten, will helfen, bei der me-thodischen Gestaltung des Fachunterrichts die Chancen und Möglichkeiten der digitalen Medien stärker zu berücksichtigen.

Das kommt den Wünschen der Schülerinnen und Schüler entgegen und ent-spricht gleichzeitig den Erwartungen der meisten Lehrerinnen und Lehrer. Dies jedenfalls ist ein Ergebnis der neuen Untersuchung der Landesanstalt für Medien zur Medienkompetenz in der Schule.

Momentan stellt es sich statistisch an den nordrhein-westfälischen Schulen so dar, dass mehr als 50 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer häufiger als einmal in der Woche digitale Medien in ihrem Unterricht einsetzen. Diese Zahl macht deutlich, dass die Nutzung digitaler Medien in der Schule noch nicht selbstverständlich ist.

Viele Möglichkeiten, Unterricht zeitgemäß, effektiver und für die Schülerin-nen und Schüler interessanter zu gestalten, bleiben somit ungenutzt.

Ich denke, hier liegt noch ein großes Entwicklungspotential. Nehmen sie nur ein Beispiel: Recherchieren, Strukturieren, Kooperieren, Produzieren und Präsentieren – wichtige Lern- und Methodenkompetenzen – ohne digitale Medien? In der heutigen Zeit: nahezu undenkbar!

Lassen Sie sich von den in diesem Heft vorgestellten Praxisbeispielen anre-gen!

Viel Spaß beim Lesen!

Schlüsselkompetenz Deutsch Das Fundament für gleiche Bildungschancen

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Kurzinfos

aktuelles

Wikimedia-SchulprojektWikimedia Deutschland hat ein Referentennetzwerk aus Mitarbeitern und Medienpädagogen aufgebaut und bietet deutschlandweit Schüler-Aktionstage und Leh-rerschulungen an. Das Angebot richtet sich an Schüle-rinnen und Schüler sowie an Lehrkräfte der Mittel- und Oberstufe aller Schulformen. Eine Veranstaltung dauert in der Regel vier Schulstunden, lässt sich jedoch an die individuellen Bedürfnisse der Schule anpassen.

[email protected]

Roy Lichtenstein: posters and more

Roy Lichtenstein (1923-1997) ist mit seinen durch die Werbung angeregten Punkterastern und satten Farbtö-nen zum Inbegriff der amerikanischen Pop Art gewor-den. Comic-Blondinen und Zeitungsanzeigen dienten ihm ebenso als Vorlage wie die Werke von Matisse und anderen namhaften Künstlern. Er entwickelte einen un-verwechselbaren Stil, der bis in seine späten Landschaf-ten spürbar ist. Dabei beschäftigte er sich als einer der ersten Amerikaner in besonderer Weise mit dem Plakat.

Noch bis zum 1. Mai zeigt die LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen Werke des Künstlers.

Nähere Informationen zu dem die Ausstellung beglei-tenden museumspädagogischen Angebot für Kinder, Jugendliche und Erwachsene unter www.ludwiggalerie.de.

Roy Lichtenstein, Crying Girl, Leo Castelli Gallery, New York, 1963, 45,8 cm x 61 cm, Offsetlithografie

© VG Bild-Kunst, Bonn 2011 Fotografie: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Leseschule NRW - Materialien zur Leseförderung online

Im Rahmen des bundesweiten KMK-Projekts „ProLesen“ haben 9 Teams aus Schulen und Bibliotheken in NRW ihre Zusammenarbeit im Rahmen der Leseförderung konkretisiert und systematisiert. Als Ergebnis dieser Projektarbeit liegt nun das gemeinsame Gesamtkonzept

„Leseschule NRW” vor.

www.medienberatung.schulministerium.nrw.de

„Bildungspartner NRW - Gemeinsam Schule stärken“ – eine Planungshilfe für Schulen

Die Schrift will insbesondere Schulleitungen dazu animieren, Kooperationen mit kommunalen Bildungs- und Kultureinrichtungen gezielt in ihre Überlegungen zur Unterrichts- und Schulentwicklung einzubeziehen und in schulinterne Konzepte aufzunehmen. Sie gibt Anregungen, Argumente und Hilfen zur konkreten Umsetzung. Im Fokus stehen Kooperationen mit Archiven, Bibliotheken, Medienzentren, Museen, Musikschulen und Volkshochschulen. Zu jeder Bildungseinrichtung gibt es ein eigenes Kapitel, das exemplarisch die Kooperationsmöglichkeiten vorstellt.

Gedruckte Exemplare können – solange der Vorrat reicht – kostenlos bei der Medienberatung NRW bestellt werden: [email protected]. Au-ßerdem steht das Heft zum Download bereit:

www.medienberatung.schulministerium.nrw.de/publi-kationen/bildungspartner+nrw_gemeinsam_schule_sta-erken.htm

KuLaDig - Kultur. Landschaft.Digital.

Spuren der Geschichte: Eine alte Stadtmauer. Ein Schloss. Eine stillgelegte Fabrik. Stumme Zeugnisse der Vergangenheit. KuLaDig bringt sie zum Sprechen: Mit dem Informationssystem über die historische Kul-turlandschaft und das landschaftliche kulturelle Erbe werden sie im World Wide Web per Mausklick lebendig. (KuLaDig ist ein Angebot der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe und zunächst nur für Nordrhein-Westfalen entwickelt.)

www.kuladig.de

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Inhaltsverzeichnis

02 Vorwort 03 Aktuelles Kurzinfos

Schülerinnen und Schüler werden aktiv – Medieneinsatz im Deutschunterricht

06 Editorial

08 Lehrende und Lernende auf einer Wellenlänge

12 Wie geht es weiter? Fünftklässler schreiben eine digitale Geschichte

14 Wir im Netz Eine vierte Grundschulklasse präsentiert sich mit eigener Homepage im Internet

16 Web-Reportage: Was ist denn das?

19 Mit Podcasts fit für's Abi!

20 Radio aus der Telefonzelle

22 Bilder sehen lernen

24 Leseschule NRW öffnet ihre Türen im Netz Materialien zur Leseförderung jetzt online

25 Literarisches Lernen mit Computerspielen – geht das?

28 Komm, wir essen Opa Zeichensetzung als Filmthema

30 Medienberatung NRW learn:line NRW neu aufgestellt

32 EDMOND NRW Hörbücher und Hörtexte bei EDMOND NRW Ein Fundus für den Deutschunterricht – von der Grundschule bis zum Abitur

33 Aus der Schulpraxis Wie kommt die Story in die Zeitung? Medienerziehung im Deutschunterricht der Grundschule

35 Net News Kinder entdecken Filme

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inhaltsverzeichnis

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36 Wettbewerb 10 Jahre ExaMedia NRW Ein Wettbewerb feiert Geburtstag

37 Partner im Verbund Das Goethe-Institut Deutsche Sprache und Medienbildung in unmittelbarer Nähe

39 Filmtipp Goethe! Zwischen Sturm und Drang

40 Vor-, nach-, quergedacht Deutsch – eine Liebeserklärung

45 Besprechungen Die Deutsche Sprache. Eine schöne, verführerische, aber schwierige Diva

47 Günters neues Buch eine Liebeserklärung von Grass an Grass

49 Deutsch – Biografie einer Sprache

50 Filmbildung Filmkunde als Puzzle

52 LVR-ZMB Neue Spielfilme im Verleih des LVR-ZMB Medienverleih 54 Nacht und Nebel (Nuit et brouillard) Dokumentarfilm von Alain Resnais, Frankreich 1955

56 Ist „Die Farbe der Milch“ gerade ausleihbar?

57 Neues aus dem Zwischen Hoffen und Bangen LWL-Medienzentrum DVD beleuchtet das Schicksal jüdischer Familien in Münster

59 Termine Veranstaltungskalender

60 Lernen und Kultur Tanzen im Glaskasten... und Chillen über dem Thoraschrein Die Wiedereröffnung der Alten Synagoge in Essen

62 Elefantenreich – eine Fossilwelt in Europa

63 Impressum

inhaltsverzeichnis

Wir sind bemüht, in unseren Beiträgen Aspekte des „Gender Mainstream“ zu beachten und nach Möglichkeit sowohl die weibli-che als auch die männliche Form zu nutzen. Aus Gründen der Vereinfachung und besseren Lesbarkeit wird dies nicht von allen Autorinnen und Autoren konsequent so gehandhabt. Das möchten wir respektieren, legen jedoch Wert auf den Hinweis, dass in der Regel das jeweils nicht erwähnte Geschlecht mit einbezogen ist. Die Redaktion

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Lesen, Schreiben, Zuhören – das waren schon im-mer wichtige Elemente im Deutschunterricht und sie werden es auch bleiben. Dennoch gibt es Veränderun-gen. Wir lesen nicht mehr ausschließlich in Büchern oder in der Zeitung sondern mehr und mehr auch im Internet. Wir schreiben in unterschiedlicher Form – Geschäftsbriefe und E-Mails, Romane und SMS, Tagebücher in Blogs oder Kommentare in Foren. Eine adressatengerechte Nutzung der verschiede-nen Textsorten will geübt sein. Wir hören nicht mehr nur dem direkten Gesprächspartner zu, sondern wir verfolgen Radio-, Film- und Fernsehbeiträge und nehmen die Informationen über audio-visuelle Kanäle auf. Die Medienwelt, die uns umgibt, muss sich auch im Deutschunterricht widerspiegeln, wenn Schüle-rinnen und Schüler sich kompetent darin bewegen sollen.

Der Schwerpunkt der vorliegenden „Medienbrief“-Ausgabe zum Thema „Schülerinnen und Schüler wer-den aktiv – Medieneinsatz im Deutschunterricht“ zeigt die ganze Bandbreite des möglichen Medieneinsatzes in einem schüleraktivierenden Deutschunterricht auf. Von der Förderschule bis zur gymnasialen Oberstufe lassen sich für alle Leistungsniveaus Lernszenarien einrichten, die den Schülerinnen und Schülern Frei-raum geben, um mediengestützt mit der Sprache zu experimentieren und dabei sowohl fachliche als auch überfachliche Kompetenzen zu erwerben.

Wenn Lehrende und Lernende auf einer Wellenlänge unterwegs sind, kommen sie miteinander ins Ge-spräch und können voneinander profitieren. Dass dies insbesondere beim Umgang mit digitalen Medien von zunehmender Bedeutung ist, zeigt der einführende Artikel.

Hypertextstrukturen bestimmen die Texte im Internet und erfordern von den Nutzern eine besondere Form der Lesekompetenz. Am besten lernt man, sich in nicht-linearen Texten zurechtzufinden, indem man sie selbst erstellt und dabei verschiedene Möglich-keiten der Verlinkung erprobt. Die Artikel „Wie geht’s weiter?“, „Wir im Netz“ und „Web-Reportage: Was ist denn das?“ zeigen beispielhafte Zugänge hierzu für unterschiedliche Altersstufen.

Editorial Medieneinsatz im Deutschunterricht

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Schreiben für das Hören ist etwas anderes als Schrei-ben für das Lesen und auch das betonte Sprechen will geübt sein. Einen besonderen Anreiz hierfür bietet ein „echtes Publikum“ und das findet man regelmäßig beim Projekt „Radio aus der Telefonzelle“.

Materialsammlungen für die schulische Konzeptar-beit und die Unterrichtsvorbereitung erleichtern den Arbeitsalltag von Lehrerinnen und Lehrern enorm. Gleich drei gute Adressen hierfür werden in diesem Heft präsentiert: In der neuen „learn:line“ finden sich inzwischen bereits ca. 14.000 Bildungsmedien, die über eine einfache Suchfunktion zugänglich gemacht werden. Da ist für alle Unterrichtszwecke etwas dabei. Auf der Website „Leseschule NRW“ finden Sie Konzeptentwürfe und Materialien, die jede Schule unterstützen können, die sich auf den Weg macht, zur Leseschule zu werden. Direkte Materialien für Schü-lerinnen und Schüler, speziell zur Vorbereitung auf das Abitur, werden in „Abicast“ vorgestellt.

Ein zunehmender Anteil des Deutschunterrichts beschäftigt sich mit der Filmbildung. „Bilder sehen lernen“ liefert Grundlagen für eine „visuelle Alphabe-tisierung“ in der Schule, während „Komm, wir essen Opa“ ein Beispiel für die aktive Filmarbeit beschreibt.

Die Analyse von Charakteren und Erzählsträngen in Romanen und Filmen gehört zu den gängigen The-men des Deutschunterrichts. Ein neuer Ansatz ist die literarische Bildung auf der Grundlage von Compu-terspielen – ist das überhaupt möglich – und schließt sich damit vielleicht der Kreis zu einer „gleichen Wellenlänge“ von Lehrenden und Lernenden?

Beim Thema „Deutsch“ liegt es nahe, dass sich auch in den Artikeln außerhalb des Themenschwerpunkts an vielen Stellen Anknüpfungspunkte finden lassen.

Nehmen Sie die vielfältigen, erprobten Anregungen auf und lassen Sie sich für einen kreativen Unterricht inspirieren!

Dagmar Missal

Fotos: Dominik Schmitz, LVR-Zentrum für Medien und Bildung

Medieneinsatz im Deutschunterricht

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Lehrende und Lernende auf einer Wellenlänge

Gudrun Marci-Boehncke

Was hier aktuell klingt, ist bereits einige Schülerge-nerationen alt: Mit der Überschrift „Medienpädagogik in die Schule – Plädoyer für ein (fachspezifisches) Curriculum – jetzt!“ erschien 1996 ein Aufsatz in der Zeitschrift „Medien Praktisch“ (Gast/Marci-Boehncke 1996). Inzwischen sind 15 Jahre vergangen, die Zeit-schrift gibt es nicht mehr, aber das, was damals noch wie ein Ruf in der Wüste klang, ist jetzt nicht mehr nur Forderung, sondern hat Früchte getragen - auch wenn es immer noch nicht bei allen unumstritten ist. Und schon gar nicht in der Terminologie! „Medien-pädagogik“, „Medienerziehung“, „Medienbildung“, „Medienkompetenzförderung“, „Mediendidaktik“: in wissenschaftlichen Kontexten grenzt man diese Be-griffe nach wie vor – manchmal vielleicht auch etwas haarspalterisch – gegen einander ab (vgl. Schorb 2009; Spanhel 2010; Moser 2010; Tulodziecki 2010; Frederking/Krommer/Maiwald 2008). Allen terminolo-gischen Unterscheidungen und Ab- und Ausgrenzun-gen zum Trotz, allen gemein ist jedoch das „Material-objekt“ (Marci-Boehncke/Rath 2009), – im Mittelpunkt steht der medial tätige Mensch, besonders eben der jugendliche, medial tätige Mensch. Dessen Kompe-tenz, sich in der Medienwelt zu orientieren, gilt es auszubilden - darin ist man sich zumindest einig.

In die Lehr- und Bildungspläne der Kultusminister-konferenz KMK und der Bund-Länder-Kommission BLK bzw. seit 2008 der Gemeinsamen Wissenschafts-konferenz GWK hat diese Forderung nach Entwick-lung kindlicher und jugendlicher Medienkompetenz als Aufgabe der Schulen inzwischen auch Eingang gefunden. Der erweiterte Textbegriff (Kallmeyer u.a. 1974, S. 45), der auch nicht schriftsprachliche Medieninhalte als Text begreift, ist zumindest in der Theorie akzeptiert und bietet somit auch eine wissen-schaftliche Basis für Medienbildung im Unterricht. Die Umsetzung in einer „integrierten“ Medienbildung (vgl. Wermke 1997) hängt aber nach wie vor von der einzelnen Lehrkraft ab. So geben 84 % der Schüle-rinnen und Schüler zwischen 14 und 19 Jahren in einer repräsentativen Umfrage des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (vgl. Bitkom 2010) den Wunsch an, elektroni-sche Medien sollten stärker im Unterricht eingesetzt werden. Noch mehr, nämlich 92 %, sind der Meinung, dass Medien den Unterricht spannender machen, und

79 % finden, dass Medien das Lernen erleichtern. Doch die Umsetzung von KMK-/BLK-Forderungen und Schülerpräferenzen kann noch nicht überall rea-lisiert werden: So berichten die Schüler der Bitkom-Studie, dass bei 43 % von ihnen der Computer gar nicht oder seltener als einmal wöchentlich eingesetzt wird. Immer noch fehlt es in vielen Schulen an aus-reichender Ausstattung. Und es mangelt Lehrkräften – so eine andere, größere, allerdings nicht repräsen-tative Umfrage auf der Online Plattform schülerVZ mit etwa 6000 Schülern – vor allem an Erfahrung und Interesse. Nur 39 % der Schüler halten Zeitmangel für den Grund, weswegen ihre Lehrkräfte sich mit Medien nicht so gut auskennen (vgl. Keilhauer 2010).

Warum stimmt dieses Ergebnis nachdenklich? Es gibt ja keine „objektive Wirklichkeit“ wieder – die Daten sind nicht belastbar. Hier bildet sich doch nur Schü-lermeinung ab, die von all denen, die hier im Heft veröffentlichen – und vielen anderen Kolleginnen und Kollegen an Schulen aller Formen –, widerlegt wird. Das Ergebnis stimmt darum nachdenklich, weil die Meinung der Schüler über ihre Lehrkräfte– wie auch umgekehrt – das Klima bestimmt, in dem Unterricht stattfindet. Und hier zeigt die schülerVZ-Umfrage, dass Schüler glauben, wenn Lehrkräfte medial breiter orientiert wären, könnten Lehrer und Schüler „auf der gleichen Wellenlänge“ sein und es gäbe bei Medieneinsatz „mehr Alternativen zum Frontalunter-richt“ (Eisemann u.a. 2010, S. 5). Medien sind somit nicht nur eine Instanz zur Vermittlung von Lernstoff, sondern können auch als emotionaler Transmitter begriffen werden: die gleiche Wellenlänge, die gleiche Sicht auf die Welt. Denn Jugendliche wollen „mit Leh-rerinnen und Lehrern häufiger darüber (...) sprechen, ‚[w]ie das alles funktioniert. Der ganze Medienrum-mel und so weiter‘“ (ebd., S. 2). Medien in der Bildung – eine Zumutung? Nein!

Bildung hat immer nur medial funktioniert. Auch das Buch ist ein solches Medium – eines von vielen. Die Medienwelt heute ist von elektronischen Me-dien dominiert. Die Einführung der Druckerpresse mit Gutenberg, die Entstehung des Tonfilms und die Einführung privater TV-Sender waren Meilensteine sowohl der Medien- als auch der Bildungsgeschich-te – mit den Möglichkeiten des WEB 2.0 hat sich aber eine neue Dimension eröffnet: die Trennung zwischen

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Sender und Empfänger löst sich auf. Unmittelbar, intuitiv erlernbar und ökonomisch weitgehend un-beschränkt für alle Milieus nutzbar, kann jeder nicht nur mediale Angebote rezipieren, sondern auch selbst weltweit publizieren. Das WEB 2.0 hat damit – so sieht es der amerikanische Medienwissenschaftler Henry Jenkins – eine Kultur der Teilhabe („participatory cul-ture“) eröffnet, die auch politische Bedeutung besitzt. Schülerinnen und Schüler agieren in dieser Kultur – technisch häufig sehr souverän von Anfang an.

Bereits im Vorschulalter können Kinder heute den Computer nutzen und haben Vorstellungen vom In-

ternet, nicht zuletzt aufgrund der konvergenten, also Mediengrenzen überschreitenden Verweise der Medi-en aufeinander – etwa auf die Website zur Kindersen-dung oder -zeitschrift. Merchandising-Produkte lo-cken zu nahezu allen Medienthemen – solche, die aus der klassisch-schriftsprachlichen Literatur entstam-men, eingeschlossen. Eine medienfreie Kindheit war nie und ist auch heute nicht möglich – denn Kinder können sich der medialen Umgebung genau so wenig entziehen wie dem Wetter. Und wie bei Wind und Wetter kommt es darauf an, angemessen vorbereitet zu sein und auch den richtigen Schutz zu haben – hier

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wünschen sich die Kinder und Jugendlichen aller-dings explizit mehr Unterstützung durch die Lehren-den. Denn sie, die Lehrenden, könnten doch inhaltlich reflektieren und analysieren, sie könnten Kriterien zur Bewertung zugänglich machen und systematisie-ren – auch wenn sie nicht immer technisch auf dem allerneuesten Stand sind. Solches Strukturwissen der Pädagoginnen und Pädagogen können Kinder und Jugendlichen für ihren Umgang mit Medien nutzen. Nun mag es auch vereinzelt funktionieren, wenn man solches Wissen an traditionellen Medien ausprobiert, vor allem am Schrifttext. Aber das bleibt dann so praxisnah wie das Erlebnis von Schnee in der Diashow oder Trockenschwimmen.

Ulrich Hermann, Geschäftsführer der Wolters Kluwer Deutschland GmbH und im Vorstand von D21 – einer Initiative, die seit 1999 versucht, als Partnerschaft zwischen Politik und Wirtschaft eine digitale Spaltung der Gesellschaft zu verhindern – sieht im Bildungs-system besondere Herausforderungen: „Eine moder-ne Volkswirtschaft benötigt eine Bevölkerung auf ho-hem Bildungsniveau. Dabei ist die digitale Kompetenz von gleicher Bedeutung wie Lesen, Schreiben oder Rechnen. (...) Das Bildungssystem steht hier in der Verantwortung, allen Bevölkerungsschichten maßge-schneiderte Angebote bereitzustellen und die digita-len Medien als selbstverständliches Lernwerkzeug in die Wissensvermittlung zu integrieren.“ (Initiative D21 2010)

Deshalb ist es wichtig und richtig, in allen Schulfä-chern – und auch schon in den Kitas – die Medien in ihrer Alltagspräsenz zu thematisieren. Kinder und Jugendliche gehen mit Medien um – Jugendliche verbringen fast den ganzen Tag vernetzt, rechnet man ihre Erreichbarkeit auf dem Mobile Phone mit dazu (vgl. JIMPlus 2009). Das gilt auch in der Schule, auch während des Unterrichts – Verbote sind hier völlig zwecklos. Wichtig ist für die Jugendlichen im Internet und auf dem Handy die Kommunikation. Mit den Freunden verbunden zu sein, ist ihre wichtigste Nutzungsmotivation, wie die Daten schon seit Jahren und auch aktuell (vgl. JIM 2010) zeigen. Sie chatten zusammen, simsen, telefonieren, spielen und schrei-ben sich. Und sie informieren sich im Netz über Lerninhalte, lesen Zeitung, auch diskursiv. Aber viele werden auch mit Problemen konfrontiert: Cyber-

mobbing, Happy Slapping, Bullying, Belästigung durch radikale Anfragen in Netzwerken, aber auch die, jugendlich verständliche, Lust zum Grenzübertritt, im Netz scheinbar anonym Seiten aufzurufen, von deren ethischer Problematik man eigentlich vorher weiß – und wo man dann eben doch Spuren hinterlässt, die zur Bedrückung werden. Hier wollen Schüler und Schülerinnen Unterstützung, hier brauchen sie Vertraute.

Eltern sind als Begleiter wichtig – aber eben auch nicht überall gleichermaßen erreichbar. Lehrkräfte sollen mit ihrer Kompetenz Sicherheit geben. Sie kön-nen Hilfe zur Selbsthilfe leisten – und damit „Bildung“ ermöglichen. In allen Fächern geht es dabei immer noch um die Kompetenzen, wie sie Dieter Baacke be-reits in den 1990er Jahren umschrieben hat: Medien-gestaltung, Medienkunde, Mediennutzung und Me-dienkritik (vgl. Baacke 1996). Mit diesen vier Feldern – die in der wissenschaftlichen Diskussion gern auch erweitert und begrifflich neu formuliert wurden, ohne jedoch grundsätzlich in Frage gestellt zu werden – hat man eine gute Leitlinie dafür, was man im Blick be-halten sollte, wenn man in medialen Welten agiert. Es geht darum, Wissen darüber zu erwerben, wie Medien institutionell, technisch und ästhetisch strukturiert sind und funktionieren, und darum, sie anwenden zu können – sowohl technisch als auch inhaltlich, gestal-tend und genießend. Medienkompetenz meint, die ei-gene Nutzung zu reflektieren und sie kriteriengestützt zu bewerten und darüber auch kommunizieren zu können. Medienkompetenz soll auch eine verantwort-liche Einstellung zum Medienhandeln umfassen – und ist damit „Bildung“ im ganzheitlichen Sinn.

In diesem Sinn offen für die Medienwirklichkeit und ihre Chancen und Gefahren, mit den Schülerinnen und Schülern als Lehrkraft in einem Boot ohne Sorge vor eigenen medialen Rückständigkeiten, mit Mut zum „kulturellen Austausch“ zwischen den Generationen und im Vertrauen auf die eigenen Strukturkompeten-zen, die Orientierung bieten, braucht es ein offenes und flexibles Curriculum für Medienerziehung – ein starr festgeschriebenes würde die Berücksichtigung der weiteren Medienentwicklung nur erschweren. Es hilft, Leitlinien zu haben, die die Vielfalt dessen, was Medien heute bieten, transparent machen und schulisch aufbereiten. Es ist aber darüber hinaus an

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der Zeit, dass Lehrkräfte offensiv zeigen, dass sie als Bildungsprofis den Anforderungen der Medienwelt aufgeschlossen und situationsgerecht gegenüber stehen. Auch, damit sich das Vorurteil der Schüle-rinnen und Schüler ändert. Es mangelt nicht mehr grundsätzlich an Material und Ideen – wie auch die Beispiele in diesem Heft zeigen. In den Berufsver-bänden ist Medienbildung seit langem integriert. Stellvertretend sei auf die AG Medien im Symposi-on Deutschdidaktik verwiesen, die seit 14 Jahren regelmäßig wissenschaftliche und praxisorientierte Tagungen veranstaltet und in Jahrbüchern Beispiele und aktuelle Informationen zu Medien im Deutsch-unterricht gibt. Auch eine Internetplattform existiert – und wird weiter ausgebaut. Und das ist nur ein Beispiel von vielen.

Im März 2011 werden in Berlin Pädagoginnen und Pädagogen aus unterschiedlichen Bildungsbereichen über die Initiative „Keine-Bildung-ohne-Medien“ in größerem Stil an die Öffentlichkeit treten und auch politisch Unterstützung suchen (vgl.www.keine-bildung-ohne-medien.de). Medienkompetenz ist eine Basiskompetenz, deren Erwerb das ganze Leben lang anhält – die Schule ist in jedem Fall gefragt, weil man eben auch medial nicht nicht kommunizieren kann. Die Beiträge hier zeigen, mit wie viel Kreati-vität und Spaß Medien in den Lernprozess integriert werden können. Und die Schüler können dazu sicher noch weitere Dimensionen – auch im WEB als aktive Macher – erkunden oder zeigen.

Gudrun Marci-Boehncke, Professorin für Neuere Deutsche Literatur/elementare Vermittlungs- und Anwendungsaspekte an der TU-Dortmund, arbeitet im Bereich Lese- und Medien-förderung und Kinder- und Jugendliteratur. Sie ist Leiterin der Forschungsstelle Jugend-Medien-Bildung und Vorsitzende der AG-Medien im Symposion Deutschdidaktik.

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Wird ein Konflikt friedlich oder gewaltsam gelöst? Findet das verliebte Paar zueinander oder wird es eine Trennung geben? Oftmals gibt es in einer Ge-schichte Schnittstellen, die den weiteren Fortgang bestimmen und manchmal möchte man als Leser insgeheim gerne an diesen Stellschrauben drehen, um dem Verlauf eine andere Wendung zu geben. Doch ein Buch hat (in der Regel) nur einen Anfang und ein Ende.

Die Hypertextstruktur von Webseiten macht es jedoch leicht möglich, einzelne Stränge einer Geschichte auf unterschiedliche Art weiterzuerzählen, miteinander zu verknüpfen und dem Leser tatsächlich eine Aus-wahlmöglichkeit zu lassen.

In einem Schreibprojekt erprobten Schülerinnen und Schüler diese Art des nicht-linearen Schreibens und erstellten eine interaktive Geschichte, die in Form eines Hypertextes abgebildet wurde. Dabei lernten sie gleichzeitig die Verlinkungen auf Webseiten und eine sinnvolle Navigation durch verschiedene Unterseiten kennen.

Die Lerngruppe bestand aus 14 Schülerinnen und Schülern aus sechs verschiedenen Klassen des 5. Jahrgangs, davon fünf Jungen und neun Mädchen. Sie trafen sich in dieser Konstellation einmal wöchentlich in einer Fördergruppe Deutsch. Bei zwei Schülerinnen zeigte sich eine ausgeprägte Lese-Rechtschreib-schwäche. Insgesamt war die Gruppe aber sehr moti-viert, aufmerksam und kooperationsbereit.

Die Geschichte entsteht Schritt für Schritt

Als roten Faden für die Geschichte einigten sich die Schülerinnen und Schüler auf die Erlebnisse eines Schülers, der in eine fremde Stadt gezogen ist und sich nun dort in neuer Umgebung und an einer neuen Schule zurechtfinden muss. Der Schauplatz Schule gab den Autorinnen und Autoren die Möglichkeit, das eigene Schulumfeld, das für sie ja auch noch recht neu war, mit in die Handlung einzubeziehen und dabei vorzustellen. Protagonisten sollten die Mitglieder der Lerngruppe sein und die Hauptfigur war schnell ge-funden – ein türkischer Junge, der gut in die Gruppe integriert war.

Nachdem das Setting geklärt und eine gemeinsame Einleitung formuliert war, bildeten sich Kleingrup-

pen, die an unterschiedlichen Erzählsträngen arbei-ten wollten. Interessanterweise formierten sich die Jungen zu der einen und die Mädchen zu der anderen Gruppe. Die Mädchen wollten einen „Freundschafts-strang“ entwickeln, in dem der türkische Junge sich mit einem deutschen Mädchen anfreundet, die Jun-gen hatten eher einen „Konfliktstrang“ vor Augen, in dem es um eine Mobbingproblematik gehen sollte.

Alle Webseiten sollten den gleichen Aufbau haben, nämlich mit einem Text beginnen und anschließend in drei Alternativmöglichkeiten münden. Außerdem soll-ten sie durch ein Foto illustriert werden. Zum Entwurf der Seiten stand eine Mustervorlage zur Verfügung. Aus den ursprünglich zwei Arbeitsgruppen bildeten sich Paare, die jeweils eine Seite entwickelten. Die handschriftlich vorbereiteten Texte wurden anschlie-ßend auf dem Boden in Form eines Baums mit vielen Verzweigungen ausgelegt, so dass die Struktur deutlich wurde. Bei manchen Verzweigungen hatten die Schülerinnen und Schüler auch Schleifen einge-baut, indem sie beispielsweise Informationen über die Hobbys der Hauptperson einfügten von denen aus man dann wieder zu der Geschichte zurück gelangte. Durch das Auslegen auf dem Boden wurde deutlich, dass manche Übergänge noch nicht ganz stimmig wa-ren und angepasst werden mussten. Einzelne weitere Seiten mussten auch noch ergänzt werden.

Damit es wirklich gut wird – eine Schreibkonferenz!

Im Anschluss an die erste Texterarbeitungsphase fand eine Überarbeitung statt. Die Schülerinnen und Schüler trafen sich wiederum in Kleingruppen und besprachen die Texte nach der Methode der Schreib-konferenz. Dabei stand die inhaltliche Überarbeitung im Vordergrund. Interessant war zum Beispiel die Situation, in der der türkische Junge bei den Mäd-chen las, dass er sich mit seiner neuen Freundin in der Mensa treffen und eine Currywurst essen sollte. Er legte vehement Einspruch ein und wies darauf hin, dass ein gläubiger Moslem keinesfalls Schwei-nefleisch essen dürfe. Die Geschichte wurde dem-entsprechend abgeändert und es wurden auch einige Fakten über die Regeln im Islam integriert.

Nachdem alle Texte fertiggestellt waren, wurden Motive für die illustrierenden Fotos überlegt und aufgenommen. Die meisten Fotos wurden in der

Wie geht es weiter?Fünftklässler schreiben eine interaktive Geschichte

Dagmar Missal

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Mittagspause im Schulgebäude aufgenommen, einige Aufnahmen machten die Schülerinnen und Schüler auch am Nachmittag und brachten sie zur nächsten Stunde mit.

Wie kommt der Text ins Netz?

In einem letzten Schritt wurden die Texte von den Schülern in ein Textverarbeitungsprogramm getippt und einer Rechtschreibprüfung unterzogen. Zunächst war geplant gewesen, sie in die Webseite der Schule zu integrieren. Wegen technischer Schwierigkeiten entschied die Gruppe sich letztendlich dazu, eine eigene, kostenlose Webseite zu erstellen. Die Über-tragung der Texte und Bilder in das Content Manage-ment System der Webseite wurde von einer Klein-gruppe übernommen.

Als Fazit kann man sagen, dass die Unterrichtsein-heit sehr positiv verlaufen ist. Es ist gelungen, eine Geschichte mit zwei in sich abgeschlossenen Erzähl-strängen zu entwerfen. Die Schülerinnen und Schüler haben die Struktur eines Hypertextes verstanden und gingen beim Schreiben ihrer Texte nicht linear vor, sondern bauten auch Umwege und Querverbindun-gen zwischen Textteilen ein. Somit wurde sowohl ihre Schreibkompetenz gefördert als auch Medienkompe-tenz vermittelt. In ihrer Themenwahl orientierten sich

die Schülerinnen und Schüler stark an ihrer realen Schulsituation. Sie griffen authentische Situationen und reale Alltagsproblematiken auf und entwickelten unterschiedliche Lösungsmuster. Die Schülerinnen mit der Lese-Rechtschreib-Schwäche trugen an einigen Stellen besonders interessante Ideen bei und wurden durch die Mitschülerinnen und Mitschüler bei der Umsetzung unterstützt.

Sehr positiv wurde auch die Veröffentlichung der Seite im Internet bewertet. Die Schülerinnen und Schüler freuten sich über die Endfassung ihres Projekts und über die positiven Einträge im Gästebuch der Seite. Während des Projekts stellte die Erstellung einer Webseite noch eine kleine Hürde dar. Inzwischen könnte ein ähnliches Projekt auch in einer Wikium-gebung durchgeführt werden, wodurch sowohl die Überarbeitung als auch die Veröffentlichung der Texte noch leichter möglich ist.

Die interaktive Geschichte „Der Neue“ kann auf der Seite www.beepworld.de/members81/derneue2004/index.htm angesehen werden.

Dagmar Missal ist pädagogische Mitarbeiterin der Medienberatung NRW.

Schreibende Hände, Foto: Dominik Schmitz, LVR-Zentrum für Medien und Bildung Poster „Der Neue“: Manfred Kremers

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Wir im NetzEine vierte Grundschulklasse präsentiert sich mit eigener Homepage im Internet

Gerti Wißing

„Das ist toll, wir erstellen eine Homepage über uns, über unsere Klasse! Wir können alles präsentieren, was uns ausmacht und uns wichtig ist…“. Die Be-geisterung der Viertklässler war sehr hoch und jeder wollte sich beteiligen.

Eine Klassenhomepage verbindet, schweißt zu-sammen und hält viele schöne Erinnerungen der gemeinsamen Schuljahre fest. Sie kann in zwei Varianten erstellt werden: entweder als Online-Klas-senhomepage, die über die Schuljahre hinweg stets aktualisiert und gepflegt wird, oder als Offline-Klas-senhomepage, die einmalig erstellt wird und vielmehr der Erinnerung an die gemeinsame Zeit dient. Für alle Kinder der Klasse wird die Offline-Version auf eine CD Rom gebrannt.

Im Rahmen meines ersten Staatsexamens entwickel-te, erprobte und evaluierte ich hierzu ein Unterrichts-konzept mit einem 4. Schuljahr an einer Grundschule. In der Unterrichtseinheit sammelten die Kinder Erfahrungen mit dem Aufbau und der grundlegenden Bedienung eines Computers und wurden mit den vie-len Nutzungsmöglichkeiten eines Textverarbeitungs-programms vertraut.

Die Lerngruppe

Das Projekt „Klassenhomepage“ soll grundsätzlich von allen Kindern der Klasse geplant und mitbestimmt werden, denn es ist ihr Projekt! Die Auswahl der Inhalte wird gemeinsam im Klassenverband besprochen und jedes Kind erhält die Möglichkeit, eigene Texte zu verfassen. Wichtig ist es, dass alle Kinder am Computer arbeiten dürfen. Ein Teil der Feinarbeiten kann aber an eine „Expertengruppe“ innerhalb der Klasse delegiert werden. Die Kinder dieser Gruppe sollten über eine gute mündliche und schriftsprachliche Ausdrucksfähigkeit verfügen, darüber hinaus sollten sie Spaß daran haben, Geschichten zu erzählen und aufzuschreiben. Sie sollten selbstständig, fantasievoll, sensibel, kreativ und ehrgeizig sein und strukturiert arbeiten können. Aus pädagogischen Gründen empfiehlt es sich, auch mindestens ein Kind in die Gruppe einzubinden, das aus einem schwierigeren familiären Umfeld stammt und/oder im Unterricht eher auffällig ist. Im Rahmen der Arbeit hat es die

Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und so sein Selbstwertgefühl zu stärken.

Bausteine des Konzepts

Die Unterrichtseinheit besteht aus sechs Bausteinen, die je nach Vorwissen der Klasse mehr oder weniger umfangreich ausgestaltet werden können.

Vereinbarung von Projektregeln und Handhabung 1. der Hard- und Software

Festlegen der Inhalte der Homepage (zum Bei-2. spiel Steckbriefe, Interviews, Erinnerungen an Klassenfahrten usw.)

Erlernen des Umgangs mit einem Textverarbei-3. tungsprogramm

Verfassen der Texte4.

Gestalten der Texte5.

Aufbau der Hypertextstruktur und Umsetzung für 6. das Web

Empfehlungen zur Durchführung

Es ist sinnvoll, die einzelnen Arbeitsschritte per •Beamer zu demonstrieren! Als Erinnerungsstütze sollten die Arbeitsschritte zusätzlich an der Tafel visualisiert werden.

Insbesondere in den Einführungsphasen können •sich die Kinder zu zweit an einen Computer set-zen, um sich gegenseitig zu unterstützen.

Im Hinblick auf unterschiedliche Interessen und •die benötigte Zeit können die Kinder die Eintei-lung der zu verfassenden Texte überwiegend selbstständig übernehmen

Alle Texte sollten zunächst in einem einheitlichen, •vorgegebenen Format verfasst werden, denn die Kinder sollen sich auf das Schreiben der Texte und nicht auf das Layout konzentrieren.

Das Konzept sieht vor, den Kindern viele Mög-•lichkeiten zur Gestaltung der Homepage-Seiten zu bieten. Es ist aber darauf zu achten, dass die Seiten nicht zu bunt, zu voll oder durch zu helle Schriftarten unleserlich gestaltet werden.

Der Prozess des Verlinkens ist sehr komplex und •benötigt viel Konzentration und Ruhe. Zu Beginn

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sollten die Texte ausgedruckt und ihre Verbindung zueinander im Klassenraum visualisiert werden. Das erleichtert den Prozess des Verlinkens am Computer.

Wenn die Klassenhomepage im Internet veröf-•fentlicht werden soll, muss vorab das Einver-ständnis der Eltern zur Veröffentlichung der Daten und Fotos der Kinder eingeholt werden. Mit der Veröffentlichung von persönlichen Daten soll-te grundsätzlich sensibel umgegangen werden.

Bei der Einbindung von Bildern und Musik muss •das Urheberrecht beachtet werden.

Wer mag, kann ein Gästebuch einrichten. Die •Kinder haben sehr viel Arbeit in die Klassen-homepage investiert und könnten durch nette und lobende Einträge belohnt werden! Wichtig ist hierbei, dass die Einträge stets im Hinblick auf Beleidigungen, Spams etc. kontrolliert werden.

www.homepage-der-klasse-4a.de.vu

Gerti Wißing ist Grundschullehrerin. Derzeit arbeitet und promo-viert sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Duisburg-Essen an der Fakultät für Bildungswissenschaften.

Das Konzept „Wir erstellen unsere Klassenhomepage“ erprobte sie an der Neuessener Schule in Essen-Altenessen (www.neuessenerschule.de).

Foto: Gerti Wißing

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Direkt vorweg: Es gibt nach meiner Kenntnis bislang keine mustergültige Definition einer Web-Reportage, gerade im deutschsprachigen Bereich nicht. Tatsäch-lich geistert der Begriff geradezu inflationär durch das Netz, also dem Medium, das diese journalistische Form überhaupt erst hervorgebracht hat.

Der erste Treffer bei einer Google-Suchanfrage ist die Seite einer PR-Agentur, die für Unternehmen „Web-Reportagen“ als Unternehmens-Porträt anbietet. Dahinter verbirgt sich eigentlich eine so genannte Audio-Slide-Show, also eine von Sprache und viel-leicht Musik begleitete Abfolge von verschiedenen Fotos und unter Umständen Texteinblendungen.

Seit meiner Veröffentlichung von „Web-Reportagen im Deutschunterricht“ auf www.lehrer-online.de im Sommer 2007 scheint sich der zugegebenermaßen schwammige Begriff zunehmend als Bezeichnung für Audio-Slide-Shows zu etablieren. Dass der Begriff Web-Reportage im Bereich der PR als eine kosten-günstige und effektive Form der Unternehmensdar-stellung im Netz gebraucht wird, zeigt, dass eine Loslösung einer bestimmten medialen Form von der Funktion nicht gerade unproblematisch ist; eine Web-Reportage ist schließlich per se immer noch eine Reportage.

An dieser Stelle kann das Wesen der Reportage in ihren Einzelheiten natürlich nicht dargestellt werden, wichtig sind aber folgende Grundzüge:

Die Reportage ist eine journalistische Darstel-•lungsform.

Sie besteht im Gegensatz zum Bericht oder zur •Nachricht aus eigenen beziehungsweise individu-ellen Ansichten, lebt geradezu von ihnen.

Sie ist „nah dran“, erlaubt das Mit-, bezie-•hungsweise Wiedererleben des Dargestellten. Der Reporter berichtet über das selbst erlebte Geschehen.

Das zugrunde liegende Medium der Reportage ist dabei zunächst nicht näher bezeichnet. So gibt es zum Beispiel Fotoreportagen, die allein durch das Bild das Dargestellte erlebbar machen.

Dementsprechend ist eine Web-Reportage zunächst einmal eine im Web veröffentlichte Reportage, die die Gegebenheiten ihres Mediums einsetzt, um das der

Reportage eigene „Nah-Dran-Sein“ zu bewerkstelli-gen.

Eine Web-Reportage ist multimedial, das heißt, sie besteht aus mehreren, meist digitalen Medien wie beispielsweise Text, Grafik, Fotografie, Audio, Video, Animation...

Ein weiteres entscheidendes Unterscheidungsmerk-mal ist neben der Multimedialität der interaktive As-pekt. Dem Betrachter 1 werden multimediale Inhalte angeboten, die er durch sein Navigieren in eine eige-ne Reihenfolge bringt, die er, je nach persönlichem Bedürfnis, aufruft oder überspringt. Web-Reportagen haben demnach in der Regel eine netzartige Struktur und sind nicht linear aufgebaut. Diese Hypertextuali-tät oder vielmehr „Hypermedialität“ ist eine weitere Besonderheit.

Web-Reportage – vertraute Form in neuem Gewand

Die Web-Reportage ist im Grunde eine uns vertraute Form in neuem Gewand. Natürlich muss man einen erweiterten Textbegriff zugrunde legen, aber das ist ja auch – spätestens, seit die Filmanalyse glücklicher-weise fester Bestandteil des Deutschunterrichtes ist – keine Neuheit. Letztlich gelten für diskontinuierli-che Texte, in denen reiner Text vielleicht sogar eher in den Hintergrund tritt, ähnliche Gestaltungsprinzipien wie für herkömmliche Texte. Denn gerade, wenn der Betrachter (im Gegensatz zum Leser) am roten Faden einer Reportage selbst mitknüpfen kann und soll, muss man ihn durch eine klare Struktur und durch eine sehr gute „Leserführung“ dazu befähigen.

Zwei entscheidende „Grundregeln“ für die Web-Re-portage:

Das geschlossene System

Eine Web-Reportage sollte grundsätzlich eher ge-schlossen als offen gestaltet sein und die Anzahl der Hyperlinks sollte begrenzt werden. Verlasse ich einen Ausgangstext über einen Hyperlink und finde in dem neuen Text wiederum viele Hyperlinks, entferne ich

1 Die Bezeichnung „Betrachter“ ist unzulänglich, zumal er durch die Interaktivität ein Stück weit ja sogar Mitgestalter der Reportage wird. Bislang konnte ich aber noch keine geeignetere Bezeichung finden, die den Rezipienten, der etwas anderes als ein „Leser“ oder „Zuschauer“ ist, treffend umschreiben würde.

Web-Reportage: Was ist denn das?Karsten Wenner

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mich mit großen Schritten vom eigentlichen Thema. Die Hyperlinks sollten daher so eingebaut werden, dass man sich nie mehr als zwei oder drei Schritte vom ursprünglichen Thema entfernen kann und mög-lichst viele Rückführschleifen eingebaut werden. Im Grunde sollte also dafür gesorgt werden, dass jeder Baustein beziehungsweise jedes Modul (ob nun Text, Bild, Audio oder Film) mit jedem anderen nachvoll-ziehbar verknüpft ist, somit ein in sich geschlossenes System entsteht. Die Hyperlinks, die auf externe, weiterführende Seiten verweisen, sollten eindeutig als solche gekennzeichnet werden.

Eine nachvollziehbare Navigation/Struktur/Map

Vor allem ist aber wichtig, dass der Betrachter mit der Navigation durch die einzelnen Module nicht überfordert ist, er immer weiß, wo er sich befindet. Dies kann zum einen durch eine ausführliche, per-manent präsente Navigationsleiste, die eine gewisse Linearität beibehält, gewährleistet sein, wie man sie von klassischen Homepages kennt. Zunehmend fin-den sich auf Homepages auch die den Usern vertrau-ten „Tabs“ beziehungsweise „Reiter“.

Eine andere stärker assoziativ und vernetzt geprägte Möglichkeit wären zum Beispiel so genannte „Tag

Clouds“, die aufzeigen, welche Stichworte mit dem aktuell aufgerufenen Modul wie sehr verwandt sind (relevantere Stichworte sind dabei größer, weniger relevante kleiner geschrieben).

Oft ist auch eine „Sitemap“ hilfreich, eine Art hier-archisches Inhaltsverzeichnis, das manchmal sogar einer Mindmap ähnlich ist. Außerdem hilft das Einbin-den von Suchfunktionen (Google bietet die Möglich-keit, auf eine Website beschränkt zu suchen).

Mittlerweile sind Verlinkungen sogar durch Flash-Animationen in Filmen möglich, dies sieht man zu-nehmend in „ YouTube”-Videos, sodass Hypertextua-lität auch ausgehend von Audio-Slide-Shows möglich wird. „ YouTube“ selbst bietet diese Möglichkeit nur für „YouTube“-interne Links an, aber Services wie www.linkedtube.com ermöglichen auch das Einbet-ten externer Links.

Verschiedene mögliche Formen einer Web-Reportage

Die Web-Reportage kann letztlich durch die Vielzahl von medialen Möglichkeiten im Internet sehr viele unterschiedliche Erscheinungsformen annehmen. Die folgende Aufstellung einiger dieser Möglichkei-ten ist so angeordnet, dass sie von der „klassischen“

Über dieses Symbol erreicht man ein hierarchisches Inhaltsverzeichnis der gesamten Seite, eine einfache Form der Sitemap.

Die Suchfunktion ermöglicht das zielgerichtete Suchen nach Stichworten.

Über eine Tag-Cloud werden die unterschiedlich relevanten Stichworte der Seite dargestellt. Jedes ist ein Hyperlink und gibt bei Klicken eine Liste relevanter Artikel (per Suchfunktion) aus.

Die Tabs genannten Reiter sind dem User bei der Navigation in Browsern bekannt.

Die klassische Navigationsleiste hilft bei der Orientierung, da sie zunächst einmal linear aufgebaut ist. Durch die Unterthemen wird aber auch hier die Mehrschichtigkeit deutlich. www.wdr.de/wissen/wdr_wissen/themen/schule_beruf/index.php5

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linearen Form ausgehend zunehmend vernetzter und assoziativer wird.

Multimedial aufbereiteter Fließtext• Der Text ist grundsätzlich absolut linear gestaltet, die Multimedia-Elemente sind an klar definierten Textstellen in den Text eingefügt. Die Interaktivität beschränkt sich darauf, dass der Betrachter ent-scheidet, welche Audio- beziehungsweise Video-Elemente er abspielt und welche er unbeachtet lässt. www.wintermaerchen2010.com/

Audio-Slideshow• Die Audio-Slideshow ist zwar eine zunächst medial zumindest ungewohnte „Textform“, sie ist aber im Grunde trotzdem vollkommen linear und würde erst durch das Einbetten von Links in den linear ablaufenden Prozess komplexer und assoziativer. Das Interaktive entsteht durch das „Hinzudenken“ von Handlungsabläufen zwischen den einzelnen Fotos 2 http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzei-gen/505413

Fließtext mit Hintergrundinformationen• Hierbei handelt es sich im Grunde um eine klas-sische textbasierte Webseite, die Links aufweist, die auf weiterführende Hintergrundinformationen verweisen. Die Hyperebene ist zunächst eindi-mensional, neben dem Haupttext gibt es nur eine weitere Hierarchiestufe, es sei denn, von dieser aus wird wiederum weiterverlinkt. www.br-online.de/wissen/umwelt/ecuador-re-genwald-tropenwald-ID1294230682791.xml

„Web-Collage“• Als Web-Collage möchte ich eine Form der Web-Reportage bezeichnen, die sich aus mehreren unterschiedlich medialen Modulen zusammen-setzt, die zusammen genommen eine Reportage ergeben. Es gibt keinen „Haupttext“ mehr, der Eindruck der Reportage ergibt sich vielmehr aus der Zusammensetzung der Einzelelemente. http://afrika.arte.tv/

2 vgl. http://rufposten.de/weblog/Journalismus/Theorie/video_vs_ass_vermittlung_ereignisse.html

Komplexität als Chance für kooperatives Lernen

Ist es das Ziel, Schülerinnen und Schüler in Einzelar-beit eine komplette Reportage erarbeiten zu lassen, bieten sich sicherlich eher linearere Formen der Web-Reportage an, da hier weniger die Gefahr besteht, aufgrund der hohen Komplexität das „große Ganze“ aus den Augen zu verlieren. Dazu ist es nicht einmal nötig, eine Homepage zu gestalten, Textverarbei-tungsprogramme bieten inzwischen unkomplizierte Möglichkeiten, Mediendateien in den Fließtext einzu-arbeiten.

Es ist aber auch denkbar, eine komplexe, eher in Richtung der „Web-Collage“ gehende Web-Reportage gemeinsam zu einem Oberthema beziehungsweise mit einer gesamten Klasse, einem gesamten Kurs anzugehen. Jede(r) Beteiligte würde sich dann um ein Modul kümmern, das zu dem Oberthema passt und dabei die Medien wählen, mit denen er/sie gut umge-hen kann. Manche würden eher redaktionelle Arbeit betreiben und für sinnvolle Verknüpfungen sorgen, wieder andere wären Spezialisten für die technische Umsetzung. Es ist immer wieder verwunderlich, wie selbstverständlich die „digital natives“ 3 mit den neuen Medien umgehen, so wird sich in jedem Kurs jemand finden, der technische Dinge möglich macht, die wir „Immigranten“ im Schulkontext so nicht für möglich gehalten hätten. Und am Ende lernen alle etwas dabei.

Konkrete Unterrichtsentwürfe zu Web-Reportagen unter www.lehrer-online.de > Unterricht > Sekundarstufen > Deutsch > Unterrichtseinheiten > kreative Medienarbeit > Web-Reportagen

Karsten Wenner ist Lehrer für Musik und Deutsch an der Erzbischöflichen Liebfrauenschule Köln. Schwerpunkte seiner Arbeit sind offene und selbst gesteuerte Arbeitsformen und Projektunterricht, immer auch unter kritischer Berücksichtigung der digitalen Medien.

3 Definition auf: http://de.wikipedia.org/wiki/Digital_Native

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Seit der Einführung des Zentralabiturs, von dem sich Experten eine bessere Vergleichbarkeit und höhere Transparenz bezogen auf die Prüfungsleistungen versprechen, müssen Schülerinnen und Schüler zur Vorbereitung auf die für sie entscheidenden Prüfun-gen alle dieselben Texte lesen und dieselben Auf-gaben im Abitur bewältigen. Vielleicht haben sie in den entscheidenden Unterrichtsstunden gefehlt oder schlichtweg nicht aufgepasst – auf jeden Fall haben viele Nachholbedarf. Genau hier setzt www.abicast.de an: Auf dem Podcast-Portal können sich Schülerinnen und Schüler (natürlich auch andere Bildungsinteres-sierte) kostenfrei MP3-Dateien zum Literaturunter-richt downloaden, die vieles beinhalten, was im Abitur gefordert wird. So bekommen sie beispielsweise zu „Emilia Galotti“ von Gotthold Ephraim Lessing nicht nur den Inhalt des Stückes vorgetragen, sondern es wird auch die Theatertheorie zu Lessings Zeiten

Mit Podcasts fit für’s Abi!

Karsten Schillies

verständlich erklärt. Die Hauptpersonen des Stückes werden ausführlich charakterisiert und es wird darauf eingegangen, warum „Emilia Galotti“ als Beispiel für den Epochenumbruch gesehen wird.

Alle Beiträge sind als Einzelepisode oder ganzer Podcast abrufbar und entsprechen laut den Autoren den Anforderungen des NRW-Schulministeriums zum Zentralabitur. Durch das Überspielen der Podcasts auf den eigenen MP3-Player kann sich jeder User die Beiträge dann anhören, wenn er Zeit und Lust dazu hat – zum Beispiel zuhause auf dem Sofa, unterwegs im Bus oder sonstwo. – Zunächst sind unter www.abicast.de Podcast-Beiträge für das Fach Deutsch on-line – ein überschaubares, aber qualitativ sehr gutes Angebot. Beiträge für weitere Fächer sind geplant.

Karsten Schillies ist Lehrer an der Hardenbergschule in Velbert und Mitglied in den Kompetenzteams Mettmann und Düsseldorf.

www.abicast.de/

Traumnovelle (Arthur Schnitzler)

Effi Briest (Theodor Fontane)

Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (Robert Musil)

Kassandra (Christa Wolf)

Dantons Tod (Georg Büchner)

Don Karlos (Friedrich von Schiller)

Der Vorleser (Bernhard Schlink)

Emilia Galotti (Gotthold Ephraim Lessing)

Irrungen Wirrungen (Theodor Fontane)

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Alle zwei Wochen geht Radio 14,6 on Air. Der Name leitet sich von der Hausnummer der Overbergschule, einer Förderschule in Viersen, ab. Die Sendungen sind immer 20 Minuten lang und werden im Vorfeld komplett produziert. Die Schnittplätze, der Regieplatz und die Sprecherkabine (eine umfunktionierte Tele-fonzelle) wurden von den Schülerinnen und Schülern und ihrem Lehrer selbst entworfen. Das technische Equipment wurde mit Hilfe des Fördervereins und einer Förderung durch die Landesanstalt für Medien NRW angeschafft. Gesendet wird über die Schulan-lage – in allen Klassen, Fluren und sogar auf dem Schulhof kann man Radio 14,6 hören.

Wer sind die Macher?

Hinter Radio 14,6 stehen Lehrer Burkhard Welter-mann und sein festes Radio-Team von acht Schüle-rinnen und Schülern. Routiniert und in entspannter Atmosphäre produzieren sie inzwischen regelmäßig ihre Sendungen. Die Aufgaben sind nach Neigung und Können verteilt. Jugendliche mit Schwierigkeiten im Bereich Lesen und Sprechen kümmern sich zum Bei-spiel vor allem um die Technik, um die kreativen Auf-gaben, um Soundsuche und Schnitt eines Beitrags. Schülerinnen und Schüler, die gut im Lesen sind, übernehmen beispielsweise die Rolle einer Nachrich-tensprecherin bzw. eines Nachrichtensprechers.

Wie sind die Radiosendungen aufgebaut?

Die Sendungen von Radio 14,6 bestehen aus festen Elementen. Die ersten zehn Minuten der Sendung sind immer informativ, die hören die Schülerinnen und Schüler noch in ihren Klassen. Neben Nachrich-ten und einem Interview, in dem meist eine Lehrkraft vorgestellt wird, hat auch das Radiorätsel seinen Platz. Dafür wird zu jeder Sendung ein neuer Teilnah-mezettel produziert, auf dem zum Beispiel fünf Tiere zu sehen sind. In der Sendung sind zwei Tiere zu hö-ren, diese müssen erkannt werden. Die Lösungszettel wandern in den Briefkasten der Radiowerkstatt und das Radio-Team zieht die Gewinnerinnen und Gewin-ner, die sich über einen goldenen Taler, ein Gutschein für den Schülerkiosk, freuen dürfen. Und damit die Chancen gleich verteilt sind, gibt es ein leichtes Ra-diorätsel für die Unterstufe – und ein etwas schwieri-geres für die Mittelstufe.

Es folgen zehn Minuten Unterhaltungsprogramm mit den aktuellen Chart-Hits, die in der Pause zu hören sind.

Neben der eigenen Schulradiosendung haben die Schülerinnen und Schüler der Radiowerkstatt 14,6 auch Beiträge für den Bürgerfunk und für Schüler-wettbewerbe produziert und damit auch schon Preise gewonnen, zum Beispiel

„Alkoholprävention“– drei Berichte zum Themen-•schwerpunkt

„Heimat im Ohr“ – drei einstündige Bürgerfunk-•sendungen mit Krimi-Hörspielen

„Ehrenamt, ja klar“ Bericht über unsere Schüler-•firma „Altenheim“

Castingshow-Bericht zu „Deutschland sucht den •Superstar“ (DSDS) und Co.

Radiomachen als Thema für den Deutschunterricht

Radioarbeit bietet sich als Unterrichtseinheit im Deutschunterricht an, weil Schülerinnen und Schü-ler viele grundlegende Kompetenzen erwerben. Sie lernen, im Internet oder auch in anderen Quellen zu recherchieren und die Ergebnisse adressatengerecht aufzuarbeiten. Für erfolgreiche Interviews müssen sie entsprechende Fragestellungen anwenden, deren Eignung sich im Ergebnis sofort zeigt. Lautet die Ant-wort nur „ja“ oder „nein“, ist sie oft für einen Beitrag nicht zu verwenden. Beim Interview muss man genau und konzentriert zuhören, um die wichtigsten Infor-mationen zu erfassen. Bei der späteren Umsetzung in einen Radiobeitrag übt man das betonte, sinngebende Sprechen. Die aufgezeichneten Beiträge können im-mer wieder angehört und so lange verbessert wer-den, bis sie wie im „richtigen Radio“ klingen.

Radio aus der TelefonzelleBurkhard Weltermann

Die Overbergschule ist eine Förderschule für Schülerinnen und Schüler mit Lernproblemen. In diesem Schuljahr wird sie von 135 Schülerinnen und Schülern besucht, die von 15 Lehrerinnen und Lehrern unterrichten werden.

Die Schule wurde ausgewählt, am EU-Schulobstprogramm NRW teilzunehmen. Noch bis zum Ende des Schuljahres 2010/2011 bekommen 60 Kinder täglich frisches Obst und Gemüse. In vielen Projekten werden sie sich mit dem Thema „Gesunde Ernährung“ beschäftigen

www.overbergschule-duelken.de/index.htm .

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Patrick (16):

Mir gefällt das Schneiden. Ich kannte dieses Programm noch nicht, aber

ich habe schon Erfahrungen mit dem Computer.

Kevin (14):

Mir gefällt es sehr gut, die Nachrichten aus dem Netz zu laden und dann selbst einzu-

sprechen. Das hört ja dann jeder. Es ist schon komisch, dass alle uns hören. Besonders die

Kleinen und die Mittelstufe freuen sich immer sehr auf die Sendung. Manchmal gibt’s auch

Kritik, aber damit kann ich leben.

Fabian (17):

Ich schneide die Fehler der Sprecher aus den Sachen raus, das gefällt mir besonders gut. Hier am Arbeitsplatz stehen das Mischpult, die Sprecher-

kabine, die Boxen und der PC.

Annika (14):

Mir gefällt, dass ich mit tollen Menschen zusammenar-

beiten kann und dass ich im Schulradio zu hören bin.

Benedikt (15):

Ich male gerade ein Bild, was über die Tür zu unserer Radiowerkstatt an die Scheibe

soll. Ich schneide sonst eigentlich immer die Herzfragen, damit die etwa eine Minute lang sind. Wir haben da ein spezielles Programm, Cubase, und da muss ich darauf achten, dass

die Texte Sinn ergeben, wenn was rausge-schnitten wird.

Burkhard Weltermann ist Lehrer an der Overbeck-Schule in Viersen-Dülken.Foto: Matthias Felling

Stimmen aus der Redaktion

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Schule soll Bildung vermitteln, Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern erziehen oder ganz allgemein auf das (erwachse-ne) Leben vorbereiten. So gehen wir viele Jahre zur Schule und die wesentlichen Dinge, die wir dort in aller Regel lernen, sind das Lesen und Schreiben, der Umgang mit Büchern und Texten. Und dann verlas-sen wir eines Tages die Schule und stellen fest, dass wir uns in einer Welt befinden, die nicht durch Texte und Bücher, sondern hauptsächlich durch (bewegte) Bilder bestimmt ist. Die Auseinandersetzung mit An-deren und Anderem findet im Wesentlichen über die Symbolik der Bilder statt. So funktioniert heute die Verortung der Welt, die Aneignung von Weltwissen. Dabei sind Bilder suggestiver als Worte, weil sie uns in einer komplexen Weise auf einer bewussten, aber auch unbewussten Ebene ansprechen können. Doch den Umgang mit all diesen (Bewegt-) Bildern haben wir in der Schule kaum gelernt. Eine visuelle Alpha-betisierung ist also zwingend notwendig.

Was bedeutet das für den Deutschunterricht?

Es gibt an kaum einer Schule das Fach Film oder Medien, weil die Vermittlung von Film- bzw. Medien-kompetenz als Querschnittsaufgabe angesehen wird. Filmdidaktik ist daher meistens schwerpunktmäßig im Deutschunterricht angesiedelt. Allerdings findet diese in der Regel als Beschäftigung mit „Literatur-verfilmung“ statt, als Filmanalyse, bei der das Krite-rium der Werktreue im Vordergrund steht und damit die Inhaltsanalyse. Film als eigenständige Gattung, die mit spezifischen Gestaltungs- und dramatur-gischen Mitteln arbeitet, tritt in den Hintergrund. Aber es ist gerade das Wissen um diese (filmischen) Gestaltungsmittel, das zum Verständnis von (Film-) Bildern und des Gesamtwerkes (seiner Ästhetik, sei-ner Dramaturgie) notwendig ist und das „Bilder sehen lernen“ ermöglicht. Wie eben auch das Wissen um die Grammatik und Rechtschreibung einer Sprache notwendig ist, um sich mit ihr auseinanderzusetzen. Das Verstehen von (bewegten) Bildern ist neben dem Verstehen von Schrift zur zentralen Tätigkeit bei der Informationsverarbeitung und bei der Urteilsbil-dung geworden. Daher muss neben die Schreib- und Lesekompetenz die visuelle Kompetenz treten, als ergänzender, gleichbedeutender Faktor. Erst das Zu-

Bilder sehen lernenEine Aufgabe für den Deutschunterricht

Ines Müller

sammenspiel beider Kompetenzen wird das Weltver-stehen ermöglichen.

Wie sollte die visuelle Kompetenz oder Bildkompetenz vermittelt werden?

Wichtig ist zunächst zu akzeptieren, dass die Lektüre eines Buches nicht per se wertvoller ist als das Be-trachten eines Films. Wohl wissend, dass damit das bürgerliche Bildungsideal in Frage gestellt wird, kann nur so eine visuelle Kompetenzvermittlung im Un-terricht glaubhaft gelingen. Als Basisqualifikationen müssen den Schülerinnen und Schülern zunächst die Bedeutung der visuellen Gestaltungsmittel – Einstel-lungsgröße, Kameraperspektive, Kamerabewegung und Kadrierung für visuelle Kommunikationsprozesse – nahe gebracht werden. Von ebenso großer Bedeu-tung für den Verstehensprozess bewegter Bilder sind die Montageformen, mit denen Filmsequenzen zu Gesamtwerken zusammengefügt werden. Montage und Kamerastil sind letztlich verantwortlich für den filmischen Erzählstil und die filmische Ästhetik. Und bei allen fiktionalen Formaten spielt auch das Farb- und Soundkonzept für den emotionalen Zugang eine große Rolle.

Aktive Medienarbeit unterstützt das Verstehen

Diese Basisqualifikationen lassen sich nicht aus-schließlich theoretisch vermitteln. Um die Wirkung einzelner Gestaltungsmittel nachhaltig zu erfahren, müssen sie nicht nur an Beispielen erläutert, son-dern auch praktisch angewandt werden. Soll heißen: Die Bedeutung der Kameraperspektive für die Aus-sage eines Bildes lernen Schülerinnen und Schüler am besten dadurch kennen, dass sie Mitschülerin-nen und Mitschüler aus Untersicht (dann wirken sie groß, bedrohlich) und Aufsicht (dann wirken sie klein, ängstlich) fotografieren; oder Hierarchien in Beziehungskonstellationen (Eltern-Kinder, Chef-Angestellter usw.) abbilden. Auf diese Art wird ihnen auch zu vermitteln sein, dass sie es sind – als Produ-zenten des Fotos –, die dem Betrachter den Blick auf die abgebildete Person vorschreiben. Dieses Prinzip der praktischen Aneignung gilt natürlich auch für die Vermittlung der anderen Gestaltungsmittel bis hin zur Montage. Die Bedeutung der Reihenfolge der Bilder für die Aussage einer Sequenz lässt sich gut

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an dem erwachenden Löwen aus Eisensteins Film „Panzerkreuzer Potemkin“ demonstrieren. Sieht man zunächst den schlafenden Löwen, der im zweiten Bild kurz aufblickt, um im dritten Bild hoch aufgerichtet seine Präsens zu zeigen, erwacht er für die Zuschau-erinnen und Zuschauer. Dreht man die Bilderfolge um, dann schläft er ein – eine völlig andere Aussage mit den gleichen Bildern. Auch diese Wirkung lässt sich für die Schülerinnen und Schüler am besten daran verdeutlichen, dass sie eine ähnliche Situation selbst mit einer digitalen Fotokamera nachstellen (digital deshalb, weil damit die Ergebnisse sofort am Bildschirm betrachtet werden können).

Die Vermittlung dieser Basisqualifikationen zum Bild-verstehen ist vergleichbar mit dem Erlernen von Le-sen und Schreiben, nicht unbedingt in ihrer Methodik, aber in ihrer Bedeutung. Und da es sich bei beiden Vermittlungsprozessen um jeweils eine Alphabetisie-rung handelt, die sich auch noch ergänzen, sind sie beide auch gut im Deutschunterricht aufgehoben.

Ines Müller ist pädagogische Mitarbeiterin von FILM+SCHULE NRW und Oberstudienrätin am Hans-Böckler-Berufskolleg in Marl.

Panzerkreuzer Potemkin ist ein Stummfilm des Regisseurs Sergei Eisenstein aus dem Jahr 1925. Er wurde am 21. Dezember 1925 im Moskauer Bolschoi-Theater als offizieller Jubiläumsfilm zur Feier der Revolution des Jahres 1905 uraufgeführt.

Eisenstein testete in diesem Film, der absichtlich im Stil kommunistischer Propaganda gehalten ist, seine Theorien der Film-montage, wobei die Praxis auch in die Theoriebildung zurückwirkte. In der extremen, bis ins kleinste Detail gehenden Durch-

dringung von Form und Inhalt geht der Film letztlich weit über simple Propaganda hinaus. Die frühen russischen Filmemacher der Kuleschow-Schule experimentierten mit der Wirkung von Filmen auf das Publikum, und Eisenstein schnitt den Film in einer Weise, die eine möglichst starke emotionale Reaktion hervorrufen sollte. Ziel war es, Sympathie für die rebellischen

Matrosen und Antipathie gegenüber den tyrannischen Vorgesetzten zu vermitteln. Wie in Propaganda üblich, ist die Handlung sehr einfach gehalten, um dem Publikum klar vor Augen zu halten, mit welchen Handlungsträgern es sympathisieren solle.

(Quelle: Wikipedia)

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„Lesen muss auch Spaß machen. Um Spaß am Lesen haben zu können, müssen Schülerinnen und Schüler zunächst Techniken erlernen“, lauten die Worte Sylvia Löhrmanns, Ministerin für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein Westfalen zum Thema „Lesen als Schlüsselkompetenz“. Unter dieser Prämisse startete das Land Nordrhein-Westfalen, initiiert von der Kultusministerkonferenz (KMK), im Jahr 2008 das Projekt „ProLesen – auf dem Weg zur Leseschule“ und beauftragte die Medienberatung NRW mit der Projektkoordination. Den Schwerpunkt des bundes-weiten Projektes bildete in NRW die „Leseförderung im gesamt- und außerschulischen Kontext”. Daran beteiligt waren neun ausgewählte Schulen verschie-dener Schulformen der Primar- und Sekundarstu-fe sowie Bibliotheken aus gesamt NRW. Bis 2010 wurden, mit wissenschaftlicher Unterstützung des Schreib-Lese-Zentrums des Germanistischen Ins-tituts an der Universität Münster, deren schulische und außerschulische Materialien zur Leseförderung gesichtet und weiterentwickelt. Ziel war ein gemein-sames Gesamtkonzept zur Leseförderung, um das allgemeine Leistungsniveau im Lesen anzuheben.

Acht Handlungsfelder auf dem Weg zum Ziel

Die Ergebnisse aus Schulen und Bibliotheken wurden systematisiert unter dem Titel „Leseschule NRW“ zusammengeführt und sind seit kurzem als Leitfaden und Materialsammlung auf der Webseite der Medien-beratung NRW einzusehen und zu nutzen. Sie richten sich an Lehrerinnen und Lehrer aller Fachrichtungen sowie an weitere an Leseförderung interessierte Personen und Institutionen. Acht thematische Hand-lungsfelder der Zusammenarbeit zwischen Biblio-theken und Schulen bilden die Matrix des Konzeptes. Unter den Titeln „Konzept“, „Koordination“, „Eltern“, „Diagnose“, „Methoden“, „Animation“, „Recherche“ und „Leseort“ sind die Beiträge der Schule und des Bildungspartners Bibliothek zum entsprechenden Handlungsfeld aufgelistet. Es werden Anleitungen gegeben, die wesentliche prägende (Lern-) Bereiche umfassen. Unter dem Schlagwort „phonologische Bewusstheit“ beziehen sie zum Beispiel auch das Elternhaus und die frühkindliche Förderung mit ein.

„Leseschule NRW“ öffnet ihre Türen im NetzMaterialien zur Leseförderung jetzt online

Christin Arens

Die Grenzen sind fließend

Besondere Akzentuierung findet der Ansatz, Lese-förderung nicht ausschließlich im Deutschunterricht anzusiedeln. Obwohl der Erwerb von Lesekompetenz zentraler Bestandteil des Deutschunterrichts ist, sieht das Konzept von Leseschule NRW ein fächer-übergreifendes Lesecurriculum vor. So sind alle Fach-richtungen dazu aufgerufen, zur Weiterentwicklung und Festigung des Lesens beizutragen, da das Lesen-Können auch außerhalb des Deutschunterrichts viele Türen zu Bereichen des Lernens öffnet, vom Verste-hen einer Textaufgabe im Mathematikunterricht bis hin zur Auswertung einer Quelle für Geschichte. Dar-über hinaus sollte Konsens über Prinzipien und Ziele der Leseförderung bestehen und Lesekultur auch in den unterrichtsfreien Zeiten sichtbar werden.

Leseschule konkret – Material und Orientierung

Die Materialien, die als PDF-Download auf der In-ternetseite der Medienberatung NRW zu finden sind, geben wertvolle Hinweise und Anregungen für die eigene schulische Leseförderung. Neben Konzept-entwürfen und Hintergrundinformationen sind auch Checklisten erhältlich, die eine Schule dabei unter-stützen können, sich auf den Weg zur Leseschule zu machen. Die Leseschule NRW ermuntert, dem Beispiel der Schulen zu folgen, die bereits jetzt die Bi-bliothek als kompetenten Partner bei der Leseförde-rung nutzen. Sie leitet an, motiviert und belegt, dass durch Synergieeffekte nicht nur Leseveranstaltungen gestaltet werden können, sondern dass Bibliotheken auch in Methoden der Leseförderung wirksam un-terstützen. Ergänzend zu der Materialiensammlung, die bereits jetzt zur Verfügung steht, sind Videoclips in Planung, die ab Sommer 2011 ebenfalls auf den Internetseiten der Medienberatung NRW hinterlegt sein werden. Ihr Ziel ist, in lebendiger Bildsprache Impressionen einer Leseschule zu vermitteln, die bei allen Beteiligten Spaß am Lesenlernen weckt.

www.bildungspartner.schulministerium.nrw.de

Christin Arens gehört als Referentin für die Bereiche Bildungspart-ner NRW – Bibliothek und Schule sowie VHS und Schule zum Team der Medienberatung NRW.

Fotografik: Rolf Maibaum

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Computerspiele haben in der Lebenswelt von Schüle-rinnen und Schülern eine große Bedeutung. Seit 2008 sind sie sogar als Kulturgut anerkannt, dennoch wer-den sie als Unterrichtsmedium weitgehend ignoriert. Worauf führen Sie das zurück?

Die Gründe hierfür sehe ich in der unterschiedlichen medialen Sozialisation von Schülern und Lehrern. Das Medium Computerspiele ist sehr jung, in größe-rem Ausmaß erst seit etwa 20 Jahren verbreitet. In der Medienwelt der Lehrer ist es daher noch nicht so stark verankert, dass sie sich als kompetent einschät-zen, mit diesem neuen Gegenstand zu arbeiten.

Nun fällt einem beim schulischen Einsatz von Com-puterspielen nicht als erstes der Literaturunter-richt ein. Sie sagen aber, dass solch ein Einsatz gut geeignet sei, um grundlegende Kompetenzen zu erwerben.

Ja, natürlich. Computerspiele erzählen Geschichten. Und um diese zu verstehen, braucht man die gleichen Kompetenzen, die man benötigt, um auch Literatur zu verstehen – von Lesekompetenz einmal abgesehen.

Literarisches Lernen mit Computerspielen – geht das?Interview mit Jan Boelmann

Software „BIOSHOCK“ von 2k Games

Gerade im Bereich der literarischen Kompetenzen sind hier die gleichen Fähigkeiten gefragt wie auch beim Verstehen von Literatur.

Das ist aber sicherlich nicht bei allen Computerspie-len so?

Das ist richtig. Es gibt durchaus viele Spiele, die po-pulär sind und bei denen es nicht primär um die Nar-ration geht, wie zum Beispiel das Online-Rollenspiel „World of Warcraft“ oder auch „Counter Strike“. Aber in verschiedenen anderen Genres, wie bei Adventure-Rollenspielen, bei vielen Ego-Shootern, aber auch Strategiespielen ist immer eine Geschichte dabei.

Jürgen Fritz, Professor für Spielpädagogik, Interak-tionspädagogik und komplexe Kommunikation an der FH Köln, sagte einmal, dass sich einige Spiele auf dem literarischen Niveau von Groschenroma-nen bewegen, da hat er durchaus recht. Es gibt aber gleichzeitig eine – mittlerweile gar nicht so kleine – Avantgarde von Spielen, die durchaus komplexe Geschichten erzählen. Ein schönes Beispiel ist das mit dem diesjährigen deutschen Entwicklerpreis aus-

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Jan Boelmann

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Literaturdidaktik (Didak-tik der Germanistik) der Ruhr Univer-sität Bochum und Projektleiter des von der „Universitätsallianz Metropole

Ruhr“ (UAMR) geförderten eLearning-Seminars Literaturverfilmungen.

Im Zentrum seiner Forschung stehen Compu-terspiele als Medien literarischen Lernens. Sie werden als narrative Medien verstanden, an denen literarisches Lernen vollzogen werden kann, bzw. mit denen es möglich und sinnvoll ist, Teilkompe-tenzen literarischen Lernens zu fördern.

Ziel der Arbeit ist es, die in Computerspielen ent-haltenen literarischen Lernpotenziale herauszuar-beiten, für den Deutschunterricht im Rahmen einer integrierten Medienerziehung nutzbar zu machen und die Wirkung dieses Konzeptes mittels qualita-tiv-empirischer Verfahren anhand von Schülerlern-prozessen nachzuweisen.

Software „Lost Horizon“ von Koch Media GmbH

gezeichnete Adventure-Spiel „Lost Horizon“, bei dem es um die Klimakatastrophe geht. Es ist ein Spiel, das eine ausführliche Geschichte mit einer großen Tragweite erzählt und eine starke Anknüpfung an die Lebenswelt der Schüler hat.

Jetzt könnte man doch sagen, ein Computerspiel ist auf Interaktivität angelegt, dadurch kann der Spieler auf die Geschichte Einfluss nehmen und diese viel-leicht auch verändern. Ich habe also gar nicht – wie in einem Buch – eine klare Geschichte mit Anfang und Ende. Ist das nicht ein entscheidender Unter-schied?

Die Entwickler müssen uns natürlich glauben ma-chen, dass wir frei handeln können. Dem ist aber nicht so. Alles, was in einem Computerspiel ge-schieht, muss vorher auch so programmiert werden, damit die Geschichte – gerade bei narrativen Com-puterspielen – schon vorher entsteht. Der Spieler hat dann zwar die Illusion, er entscheide selber, was gemacht werden könne, aber in Wirklichkeit hat er nur die Möglichkeit, den Regeln des Spiels zu folgen oder alternativ das Spielen einzustellen.

In nahezu allen Spielen geht es darum, Probleme zu lösen. Vielleicht muss man Informationen von einer Person bekommen, die sie uns erst einmal nicht ge-ben will oder man muss sich aus einem abgeschlos-senen Raum befreien. In einigen wenigen Spielen hat der Spieler hierzu die Möglichkeit, verschiedene Wege zu wählen, dieses Problem zu lösen. Aber nachdem diese Schwierigkeit überwunden ist, geht das Spiel für alle Spieler mit der gleichen nächsten Aufgabe weiter.

Um bei Adventure-Spielen das Rätsel zu lösen, gibt es immer nur eine richtige Möglichkeit der Kombination von Personen und Gegenständen bzw. Gegenständen miteinander. Man hat also gar nicht die Wahl, wie man sich verhält. Auch bei einem Ego-Shooter kann man nicht spontan sagen, ich wähle jetzt doch mal

den Weg des „Ich verstecke mich jetzt und warte bis das Schlimmste vorbei ist“, sondern man muss direkt handeln.

Und diese Handlung würde man dann ähnlich analy-sieren oder interpretieren wie die Handlung in einem Roman?

Genau, weil vorher schon klar ist, welche Handlung es geben muss, damit die Geschichte weitergeht. Solan-ge der Spieler nicht die vom Programm erwünschte Handlung erbringt, kann das Spiel nicht weitergehen bzw. wird auch die Narration nicht fortgesetzt.

Wie muss man sich das in der Unterrichtssituation vorstellen? Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Nehmen wir „Ceville“, das ist ein Adventure-Spiel. In einer märchenhaften Welt spielt man einen kleinen König, der – weil er ungerecht ist – von seinem Volk abgesetzt wurde und nun versucht, zurück an die Macht zu kommen. Hierfür muss entsprechend der Schwierigkeiten von Ceville agiert werden. Ceville ist klein, ein bisschen böse und gehässig. Und er hat Spaß daran mit Gehässigkeit seine Ziele zu erreichen. Man hat ihm eine kleine Fee zur Seite gestellt, die

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Software „World of WarCraft“ von Blizzard Entertainment

sehr freundlich ist. Man muss nun in der Geschichte immer wieder mal aussuchen, mit wem von beiden man spielt. Dann muss gemäß den Charakteren dieser beiden Figuren gehandelt werden. Man muss natürlich zunächst erkennen, welche Charaktere die Figuren haben, damit sie eine entsprechende Hand-lung vollziehen können. Es gibt zum Beispiel die Situation, dass man eine Wache ablenken soll. Die kleine Fee hat eine kleine Steinschleuder und die Wa-che hat einen riesigen metallischen Helm. Wenn man diese Figur nun anweist, sie solle einen kleinen Stein vor den Helm schießen, würde sie das nicht tun und sagen „das hier ist kein Ego-Shooter und so etwas würde ich nie tun“. Der König hingegen kann anders vorgehen. Er weiß, dass die Wache sehr eitel ist und hat keine Probleme, ihr Läuse in den Kamm zu tun, damit sie dann doch abgelenkt wird. Um das Spiel richtig spielen zu können, muss also eine Figurencha-rakterisierung gemacht werden.

Welche Aufgabe würden Sie daraus für den Deutsch-unterricht ableiten?

Eine klassische Aufgabe ist zum Beispiel „Charakte-risiere die Figuren“ oder auch „Analysiere die Hand-lung“. Alle Aufgabenstellungen, die die Handlung und die Figuren betreffen, lassen sich sehr gut einbringen. Und genau das sind ja auch die Kernelemente von Literatur. Andere Möglichkeiten sind Inhaltsanga-ben, das Verfassen alternativer Enden, Betrachtung der Dramaturgie des Spiels, also auch viele kreative Schreibaufgaben. Hier hat man sehr viele Methoden, die im Unterricht zum Einsatz kommen und dann allerdings an schüleraffine Medien gebunden sind.

Glauben Sie, dass es einen Vorteil hat, literarisches Lernen statt am Buch am Medium Computerspiel einzuführen und zu üben? Kann man vielleicht auch schwächere Schüler damit tatsächlich besser errei-chen?

Ja. Ich denke, dass zwei Zielgruppen ganz besonders interessant sind: Die eine sind leseschwache Schüler über 14 Jahre. Die Lesesozialisationsforschung sagt ja, dass sich ab dem 14. Lebensjahr entschieden hat, ob jemand zum Leser oder Nichtleser wird. Gerade die Schüler, die sich entschieden haben, Nicht-Leser zu werden, denen kann man mit der Arbeit am litera-rischen Computerspiel nochmals literarische Kompe-tenzen vermitteln. Das wäre zu diesem Zeitpunkt am Medium Buch ungemein schwierig.

Betrifft das vor allem Jungen?

Natürlich, insbesondere Jungen, weil sie deutlich computerspielaffiner sind und auch in größerem Maße Leseschwächen aufweisen – ich denke, da waren Pisa und Co. eindeutig. Gerade die Schüler mit großem Leseproblem werden also gut erreicht.

Was aber schnell übersehen wird: Auch Schüler der Oberstufe haben ein Medium, in das sich viele Ele-mente übertragen lassen, die man an der Literatur bereits gelernt hat. Man denke an Spiele wie zum Beispiel „Bioshock“, das sich auch auf der Inhaltse-bene kritisch mit totalitären Systemen und am Ende – den Handlungen der Spieler während des Spiels angepasst – mit der Schuldfrage von Akteuren dieser Systeme auseinandersetzt. Gleichzeitig arbeitet die-ses Spiel in einem hohen Maße mit metaphorischen und symbolischen Elementen, die wiederum sehr viele Anknüpfungspunkte für den Unterricht bieten: Wofür stehen die klingenden Namen? Wofür steht die Symbolhaftigkeit der Spielewelt? Wie lässt sich das im Hinblick auf den Sinn und die Aussage des Spiels deuten? Hier gibt es wirklich Möglichkeiten, auf ei-nem sehr hohen Niveau zu arbeiten.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Dagmar Missal.

Software „Counter Strike“ von Activision Blizzard

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Korrektur der ersten Deutsch-Klausur in einer 11. Klasse: ein spannendes Unterfangen. Neue Schüler: neues Glück – alte Problemstellungen!

Wie befürchtet tauchten auch in dieser Lerngruppe die bekannten Schwächen in den Bereichen Recht-schreibung, Grammatik, Zeichensetzung, Ausdruck usw. auf. Für eine Lerngruppe auf dem Weg zum Ab-itur führen Defizite dieser Art zu Punktabzügen – und das nicht nur in der Abiturklausur!

Was tun? Arbeitsblätter und Online-Übungen zu diesen Themen hatten wir zu Beginn des Schuljah-res schon durchgearbeitet, das Ergebnis lag nun in Form der Klausuren vor mir. Die Schüler und Schü-lerinnen in ihrer Erfahrungswelt abzuholen, schien eine treffliche Idee. Film und Fernsehen, gleichsam Medien in unterschiedlichster Form, spielen im Alltag der Kinder und Jugendlichen eine prioritäre Rolle, warum diesen Interessensbereich also nicht nutzen? Selbst einen Film über diverse Basiskompetenzen des Deutsch-Unterrichts zu drehen, der gleichzeitig als kurzes Lehrwerk für die Mitschülerinnen und Mit-schüler dient, sollte zugleich zielführend und motiva-tionsfördernd sein.

Von der Idee zur Umsetzung

Jede Schülerin und jeder Schüler hat individuelle Stärken und Schwächen, eine leistungsheterogene Zusammensetzung der einzelnen Arbeitsgruppen bot sich folglich an. Zunächst wurde die Klausur als Diag-noseinstrument herangezogen: Günter beherrscht die Groß- und Kleinschreibung, geht hingegen im Bereich Zeichensetzung nach dem Minimalismus-Prinzip vor. Ursula würde am liebsten ausschließlich den unter ihrer Würde befindlichen kreativen Einsatz des „Pommesbuden-Konjunktivs“ pflegen, entpuppt sich jedoch gleichzeitig als Koryphäe auf dem Gebiet der Zeichensetzung. Der Unterschied zwischen Inhaltsan-gabe und Textanalyse konnte sich Karl-Heinz offenbar bisher nicht erschließen, aber er weiß genau, dass das „dass“ anders zu verwenden ist als das „das“. Was kann Karl-Heinz von Ursula lernen und wie kann Günter Ursula unterstützen?

An Stärken und Schwächen anknüpfen

Eine Tabelle über Stärken und Schwächen der ein-zelnen Schülerinnen und Schüler gab darüber Auf-schluss und diente als Grundlage für die binnendif-ferenzierte Gruppenzusammensetzung. Jede Gruppe erhielt ein von der Lehrkraft festgelegtes Thema und setzte sich aus Schülern und Schülerinnen zusam-men, die das Thema gut beherrschten, respektive Schwächen aufzuarbeiten hatten. Arbeitsblätter gaben Informationen zu den zeitlichen und inhalt-lichen Abläufen des Projekts sowie zu filmischen Besonderheiten wie Kameraperspektiven und Einstel-lungsgrößen. Die Erstellung von Storyboards und Ex-posés gehörte zu den Teilaufgaben, Beispiele hierfür rundeten den theoretischen Teil ab. Projektbegleitend wurden die Arbeitsphasen und Fortschritte des auf ca. vier Wochen angelegten Projekts protokolliert oder in Lerntagebüchern dokumentiert. Die Zeitspanne war knapp bemessen, daher war ein hohes außerschuli-sches Engagement erforderlich: Hausaufgaben der besonderen Art.

An die Arbeit!

Die unterschiedlichen Gruppen waren während der Planung, Produktion und Überarbeitung der Filmse-quenzen nicht nur im Bereich der Medienkompetenz

Komm, wir essen OpaZeichensetzung als Filmthema?

Katja Täuber

Foto: © Rainer Sturm, www.pixelio.de

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und Filmbildung, sondern insbesondere auch in ihrer Sozialkompetenz stark gefordert. Zunächst war es jedoch unerlässlich, sich mit den fachlichen Inhalten auseinanderzusetzen. Die Nachwuchs-Regisseure und -Schauspieler mussten sich ihren individuel-len Schwächen stellen. Hier standen Mitglieder der Peer-Group zur Seite, die auf kollegialer Ebene ohne Hierarchien unterstützend tätig waren. So weihte Ur-sula beispielsweise Günter ganz ohne Leistungsdruck zwanglos in die Mysterien der Zeichensetzung ein und sie versuchten gemeinsam mit Spaß und Kreativität, die wichtigsten Regeln in Bild und Ton umzusetzen. Doch es waren nicht nur die fachlichen Inhalte, die gefordert und gefördert wurden. Es galt festzulegen, wann, wo und durch wen welche Arbeiten erledigt werden sollten. Wenn Karl-Heinz seinen Text immer noch nicht drauf hat und Ursula wiederholt vergisst, die Dreiersteckdose rechtzeitig zu besorgen, führt dies zu Unstimmigkeiten. Hier waren hohe soziale Kompetenzen gefordert, die Bildung und Förderung von Soft Skills war schwerlich vermeidbar. Die meis-ten Differenzen ließen sich gruppenintern lösen und waren am mit Spannung erwarteten Präsentations-termin vergessen.

Das Ergebnis

Sieben Filme über Basis-Kompetenzen des Deutsch-Unterrichts waren entstanden und wollten nun evalu-iert werden. Neu zusammengesetzte Beobachtungs-gruppen genossen in einem Museumsgang an sieben Notebooks die Filmvorführungen. Durch zuvor von den Schülerinnen und Schülern erstellte Bewertungs-bögen voller möglichst objektiver Kriterien wurde die Grundlage für ein später zu erfolgendes Ranking gelegt. Schließlich sollten am Ende des Projekts die Plätze eins bis drei und vier vierte Plätze vergeben werden.

Die Präsentation wurde ein großer Erfolg, Spaß und Kreativität standen im Vordergrund, alle Komplika-tionen waren vergessen, wie einige Beispiele des fertigen Handlungsprodukts zeigen: „Komm, wir essen Opa“ – ohne Komma vor „Opa“ eine irrefüh-rende Äußerung! Dies dachten sich offenbar auch die Zeichensetzungs-Experten, die eine mit allen Klischees behaftete Schein-Streberin inklusive Brille die Wichtigkeit von Punkten und Kommata erklären

ließ. Allein die Zeichnung dieser Figur lässt das Herz eines Charakteristik-Verfassers höher schlagen. So wird uns die Streberin als Einstieg in die Figurenana-lyse bestimmt noch einmal einen Unterrichtsbesuch abstatten…

Die „das und dass“-Crew hatte Kronen aus gebo-genen Pfeifenputzern gebastelt und personalisierte damit die beiden kleinen Wörter, die so manchen Schreiberling in den Wahnsinn treiben. Ohne Scheu tanzten und sangen die poppig-rappenden Pfeifen-putzer-Kronprinzen, um einer hilflosen Schülerin während eines Tests beizustehen. Nachdem sie ihre lehrreichen Reime zum Besten gegeben hatten, ge-lang es der Mitschülerin – zumindest im Film – ihren Test mit einer Eins zu bestehen.

Erfreulich ist, dass die Filmsequenzen nicht nur mit großem Stolz und vielen Kommentaren auch auf einem Internet-Video-Portal präsentiert werden, son-dern dass eine am Ende des Projekts durchgeführte Evaluation tatsächlich messbare Leistungssteige-rungen zeigte. „Denk an Günter mit der Krone“ oder „Komm, wir essen Opa“ ließ es sich vor der schrift-lichen Überprüfung kichernd aus dem Klassenraum vernehmen.

Beispiele unter:

www.youtube.com/watch?v=Pp_aQLwsMd4&feature=related

www.youtube.com/watch?v=1XyrKkHCLJw

www.youtube.com/watch?v=9pq5qQrHgkY

Katja Täuber unterrichtet Deutsch und Englisch am Hans-Böckler-Berufskolleg in Marl.

Foto: © Rainer Sturm, www.pixelio.de

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Lehrkräfte brauchen für die Schule gut konzipierte Lern- und Bildungsmedien. Diese müssen für den Lernprozess didaktisiert sowie aufbereitet sein und dürfen nicht alle Antworten auf die aufgeworfenen Fragen liefern. Gesucht werden Medien, mit denen sich üben lässt und die in ihrer Zusammenstellung die Unterrichtsvorbereitung der Lehrkräfte entlasten.

Mit den gängigen Suchmaschinen ist „googeln“ einfach und oft der schnellste Weg – zumindest zur ersten Information. Manchmal sind Treffer für den Unterricht dabei, oft aber auch nicht – die normalen Suchmaschinen sind eben nicht auf schulische Lern-prozesse ausgerichtet.

Die besondere Qualität von EDMOND-Medien der kommunalen Medienzentren wurde in Schule NRW (09/10, Seite 445 ff und Pinnwand 09/10) ausführlich beschrieben. Auch der WDR und andere öffentlich-rechtliche Sender unterhalten spezielle Redaktionen zur Unterstützung schulischen Lernens. „Lehrer-Online“ bietet Materialien von und für Lehrkräfte.

Welche Angebote schätzen Lehrerinnen und Lehrer?

Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Da-tenbanken mit Lerninhalten und Hintergrundtexten, Linklisten und aktuelle Informationen von Lehrkräf-ten sehr geschätzt werden. Der Blick auf lehrer- und schulspezifische Online-Angebote zeigt, dass die bekanntesten und am meisten genutzten Angebote vor allem große, zentrale Portale und Plattformen des Bundes und der Länder sind – so das Ergebnis

einer Untersuchung zur Nutzung digitaler Angebote bei Lehrkräften des MMB-Institutes für Medien- und Kompetenzforschung in Essen. Um sich in der Vielzahl unterschiedlicher Quellen zu orientieren, bevorzugen Lehrerinnen und Lehrer ihnen bekannte Adressen und Quellen.

Vor diesem Hintergrund bietet die neue „learn:line NRW“ allen Lehrerinnen und Lehrern des Landes eine maßgeschneiderte Serviceleistung. „learn:line NRW“ fügt die Beschreibungen (Metadaten) der Lern- und Bildungsmedien verschiedenster Quellen in einer zentralen Datenbank zusammen. Die Sortierung und Qualitätssicherung dieser Datenbank mit Be-schreibungen von Medienanbietern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz (Metadaten nach dem Re-ferenzstandard „LOM – Learning Objects Metadata“) übernimmt das Medieninstitut der Länder in München (FWU).

Lernmittelsuche nach Unterrichtskriterien

Lehrkräfte, die Unterrichtsmaterial zur Vorbereitung suchen, haben somit einfach und direkt Zugang zu Lern- und Bildungsmedien ausgesuchter Anbieter. Das Suchfenster der „learn:line NRW“ ist in der An-wendung ebenso einfach wie andere bekannte Such-maschinen. Die Suchergebnisse enthalten aber – dies ist von Vorteil – ausschließlich Lern- und Bildungs-medien und die Suche selbst folgt den Anforderungen von Lehrkräften.

Foto: Dominik Schmitz, LVR-Zentrum für Medien und Bildung

neu aufgestellt

Lothar Palm / Wolfgang Vaupel

medienberatung nrw

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Nach der üblichen Einfachsuche mit einem beliebigen Begriff erlaubt die erweiterte Suche den Zuschnitt der Trefferliste aus schulischer Sicht. Zur Auswahl stehen:

Schulstufen unter „Schul-/Bildungsbereich“•

Unterrichtsfächer unter „Fächer“•

bestimmte Pools unter „Herausgeber“.•

Besonders praktisch und hilfreich ist das „Stöbern“: Querverbindungen zu dem eingegebenen Suchbegriff werden angezeigt und lassen sich zur weiteren geziel-ten Suche nutzen.

Alle gefundenen Lern- und Bildungsmedien können von Lehrerinnen und Lehrern in Nordrhein-Westfalen umgehend genutzt werden, direkt online oder nach einem Download. Die Lern- und Bildungsmedien wer-den von den Anbietern selbst, wie etwa bei „Planet Schule“ vom WDR, kostenlos angeboten. Teilweise werden sie – wie bei EDMOND NRW – von den kom-munalen Medienzentren im Auftrag des Schulträgers eingekauft, finanziert und den Schulen ohne Kosten zur Verfügung gestellt. Zur Nutzung lizenzgeschützter Angebote ist im Anschluss an die „learn:line“-Suche eine Anmeldung beim Anbieter als registrierter Nut-zer erforderlich.

Phase I des Umbaus abgeschlossen

Die erste Phase der technischen Umsetzung der „learn:line NRW“ ist mit der beschriebenen offenen Suche nach Lern- und Bildungsmedien abgeschlos-sen und kann nun genutzt werden. Hinweise auf Feh-ler oder Vorschläge zur Weiterentwicklung der Suche werden gerne entgegen genommen ([email protected]).

Mit den derzeit verfügbaren Lern- und Bildungsme-dien, auf deren Metadaten die Suche zugreift, ist ein Anfang gemacht. Die Medienberatung NRW bietet allen qualifizierten Anbietern eine Aufnahme in die „learn:line“-Suche an.

Phase II erlaubt Zugriff auf lizenzgeschützte Lernmedien

Nach Abschluss der zweiten Umsetzungs-Phase wird es möglich, das „learn:line“-Suchfenster in die Lern-plattform der Schule zu integrieren. Gefundene Lern-

mittel können dann direkt für die Unterrichtsstunde oder als Hausaufgaben weiter verarbeitet werden.

Zum Hintergrund: Ohne Identifikation als Nutzer einer Lernplattform (der x-Schule in der y-Stadt) kann kein direkter Zugriff auf Medien erfolgen, die nur für Lehrerinnen und Lehrer einer Schule lizenziert sind. So dürfen die von den Medienzentren erworbenen Lizenzen nur von berechtigten und angemeldeten Lehrkräften heruntergeladen werden.

Geplant ist deshalb, die Anmeldung bei der schul-eigenen Lernplattform mit der Anmeldung für den Download von lizenzgeschützten Inhalten zu ver-knüpfen. Hierdurch müssen sich Lehrkräfte nur ein einziges Mal anmelden („single sign on“). Damit ist auch eine wichtige Voraussetzung für den einfachen und direkten Zugang zu Angeboten von Schulbuchver-lagen erfüllt – erworbene Lizenzen können berechtig-ten Lehrkräften wie auch Schülerinnen und Schülern über einen auf der schulischen Lernplattform hinter-legten Berechtigungsschlüssel zugänglich gemacht werden.

Ziel für 2011 ist eine in schulische Lernplattformen integrierte „learn:line NRW“ als Komfort-Suche nach Lern- und Bildungsmedien mit einer einzigen An-meldung – exklusiv für Lehrerinnen und Lehrer aus Nordrhein-Westfalen.Lothar Palm ist pädagogischer Mitarbeiter, Wolfgang Vaupel ist Geschäftsführer der Medienberatung NRW

Zum Weiterlesen:

Lutz P. Michel, Hayo Werner, Lutz Goertz, Berit Baeßler, Axel Wolpert. Digitale Schule – wie Lehrer Angebote im Internet nutzen. Essen, MMB-Institut für Medien- und Kompetenzforschung, 2008.

Der Erstdruck dieses Artikels erschien bei „Schule NRW, Amts-blatt des Ministeriums für Schule und Weiterbildung“, Ausgabe 12/10. Der Abdruck geschieht mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

medienberatung nrw

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Hörbücher und Hörtexte bei EDMOND NRW

ein Fundus für den Deutschunterricht – von der Grundschule bis zum Abitur

Joachim Paul

EDMOND NRW

Landesmedienzentren und kommunale Medienzentren sowie Landesinstitu-te kooperieren über die Ländergrenzen hinweg – auch bei der Erschließung wertvoller Medien für den Schulunterricht. So muss es sein. Die Frucht einer solchen, hier bilateralen Kooperation zwischen dem Sächsischen Bildungsin-stitut, das das sächsische EDMOND, den Dienst MeSax, betreibt und EDMOND NRW steht nun online und landesweit in NRW zur Verfügung: weit über 400 Hörbücher und Hörtexte inklusive der Texte zum Mitlesen, von den Fabeln Aesops über Märchen von Andersen, Hauff oder aus 1001 Nacht, Lyrik, unter anderem von Bettina von Arnim, Hölderlin, de Montaigne bis hin zu Belletris-tik, es ist für jedes Unterrichtsinteresse etwas dabei. Hermann Botes Eulen-spiegel, Wilhelm Buschs Fabeln oder Satiren von Kurt Tucholsky gewinnen – von professionellen Sprecherinnen und Sprechern, oft auch von Studentinnen und Studenten des Schauspielfachs, vorgetragen – eine zusätzliche sinnliche Dimension für das Textverständnis.

EDMOND NRW – Medienart Online-Audio, Signaturnummerngruppe 295

Wir danken dem Leipziger Verlag www.vorleser.net für die lizenzkostenfreie Bereitstellung ihrer Produktionen.

Dr. Joachim Paul ist wissenschaftlicher Referent im LVR-Zentrum für Medien und Bildung.

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Laut der JIM-Studie 2010 sieht die Nutzung von Bü-chern und anderen Printmedien bei Jugendlichen im Alter zwischen12 und 19 Jahren wie folgt aus:

Weniger als die Hälfte der Jugendlichen nutzt Print-medien wie Tageszeitung, Bücher oder Zeitschriften. Interessant ist der Umstand, dass mit zunehmen-der Bedeutsamkeit des Internets die Beliebtheit des Fernsehens bei Jugendlichen abnimmt. Hierbei spielt sicherlich die Möglichkeit des interaktiven und kreativen Umgangs mit Informationen im Internet eine Rolle. Im Internet bestimmt der geübte Nutzer selbst, welche Informationen er erhalten möchte und in welcher Form er sie antizipiert. Dabei spielen der Zeitfaktor und die Präferenzen für einen bestimmten Sinneskanal beim Rezipienten natürlich eine Rolle: Der Internet-Nutzer kann selbst auswählen, ob er die Informationen visuell (Text lesen) oder auditiv (einen Tonbeitrag anhören) oder audio-visuell aufnehmen möchte. Bei allen drei Arten hat er die Möglichkeit, das Aufnahme-Tempo selbst zu bestimmen bzw. sich bestimmte Stellen wiederholt anzuhören/anzusehen. Diese mögliche Individualisierung der Informations-aufnahme ist für Jugendliche hoch attraktiv.

Daraus lässt sich folgern, dass audiovisuelle Beiträge in digitaler Form zur individuellen Nutzung durch Ju-gendliche sehr geeignet zu sein scheinen, um Lern-prozesse anzustoßen.

Aber wie ist das bei Kindern im Grundschulalter? Sind sie nicht viel zu unerfahren, zu klein für den Einsatz solcher Medien? Sollte man sie nicht erst in „wichtigeren“ Dingen fit machen, bevor man sie auf die „neuen“ Medien loslässt? Müssen sie nicht erst einmal lernen, die Kulturtechniken (Lesen, Schreiben, Rechnen) sicher zu beherrschen?

Die Erfahrungen im Alltag an der Klever Karl-Leisner Grundschule haben gezeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Kinder einer 4. Klasse bereits ein Handy zur Verfügung hat. In der Regel sind es Geräte, die bei den Eltern durch Vertragsverlängerung „frei“ wurden und mit einer Prepaid-SIM-Karte für das Kind be-stückt wurden. Nahezu alle Kinder der Klasse haben daheim Zugang zum Internet, manche von ihnen sogar in ihrem eigenen Zimmer. Alles das zeigt, wie sehr elektronische Medien bereits die Lebenswirk-lichkeit von Grundschulkindern prägen.

Wie kommt die Story in die Zeitung?Medienerziehung im Deutschunterricht der Grundschule

Silke Herrenbrück

In Zeiten, in denen Grundschulkinder als „Digital Natives“ aufwachsen, scheint es wichtig, sie auf die Vielzahl verschiedener Medienarten und somit auch auf Printmedien aufmerksam zu machen sowie sie an das effektive Beherrschen des jeweiligen Mediums heranzuführen. Kinder sollen erfahren, dass jedes Medium seine Vor- und Nachteile hat. Das gemütliche Stöbern in einer Zeitung kann kein anderes Medium wettmachen, dafür ist das Printmedium längst nicht so aktuell wie eine Internetseite.

Der Kernlehrplan Deutsch für die Grundschule nennt folgende Kompetenzerwartungen am Ende der vier-ten Klasse:

„Die Schülerinnen und Schüler

nutzen Angebote in Zeitungen und Zeitschriften, •in Hörfunk und Fernsehen, auf Ton- und Bildträ-gern sowie im Internet und wählen sie begründet aus.

recherchieren in Druck- und elektronischen •Medien zu Themen oder Aufgaben (zum Beispiel in Kinderlexika, Sachbüchern, Suchmaschinen für Kinder).

nutzen Medien als Anreiz zum Sprechen, Schrei-•ben und Lesen.“1

Medienerziehung ist also bereits in der Grundschule im Lehrplan Deutsch verankert.

Wie wird dieses Ziel im Schulalltag erreicht? Dazu soll das Beispiel der Klasse 4b (Jahrgang 2009/10) der Karl-Leisner Grundschule in Kleve beschrieben werden. In dieser Schule gibt es Klassen mit „Ge-meinsamem Unterricht“, in denen auch Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet werden. Deshalb wird die Klassenlehrerin in den Kernfächern durch eine Sonderpädagogin im Unter-richt unterstützt, den sie in der Regel auch gemein-sam planen.

Alljährlich im Herbst nehmen die Viertklässler am Projekt ZeusKids der NRZ (Neue Rhein/Ruhr-Zeitung) teil. Jedes Kind bekommt zwei Wochen lang ein Exemplar der aktuellen Tagesausgabe und

1 aus: Ministerium für Schule und Weiterbildung des Lan-des Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Richtlinien und Lehrpläne für die Grundschulen in Nordrhein-Westfalen, 1. Auflage 2008, Ritterbach-verlag, Frechen

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aus der schulpraxis

darf darin eine bestimmte Zeit lang schmökern. Anschließend berichten die Kinder im Stuhlkreis über ein Ereignis, das sie behalten haben. Dazu wird ein großer Schaumstoff-Würfel herumgereicht, auf dem verschiedene Satzanfänge zu lesen sind. Diese sollen dem jeweiligen Kind helfen, sich sprachlich zu artikulieren. In einer Schule wie der Karl-Leisner Schule mit einem hohen Anteil an Kindern mit Migra-tionshintergrund sind solche Hilfsmittel unerlässlich und dienen der integrativen Sprachförderung sowie der Sicherung des Fachvokabulars. Nach der Aus-tauschrunde bekommen die Kinder Zeit zur indivi-duellen Arbeit innerhalb des Arbeitsheftes „Meine Reporterschule“, welches ebenfalls von ZeusKids zur Verfügung gestellt wird. Auf diese Weise erfahren sie zum Beispiel wie eine Zeitung aufgebaut ist und welche Informationen sie wo finden können.

Aber wie entsteht eine Zeitung, wie wird sie herge-stellt? Diese Fragen konnte den Kindern zum Teil eine Redakteurin beantworten, die die Klasse im Unter-richt besuchte. Vieles blieb jedoch außerhalb der kindlichen Vorstellungskraft. Um ihnen dazu mög-lichst interessante und anschauliche Informationen liefern zu können, recherchierte das Lehrerinnen-Team bereits bei der Planung des Unterrichtsprojek-tes, ob es zu dem Thema einen ansprechenden Film gibt. Die Recherche bei EDMOND NRW ergab, dass es einen passenden Film aus der Reihe „Willi will's wissen“ mit dem Titel „Wie kommt die Story in die Zeitung?“ gibt, welcher direkt heruntergeladen wer-den konnte. Die Lehrerinnen beschlossen, dass dieser Film nicht frontal gezeigt werden sollte, sondern dass die Kinder ihn sich in Partnerarbeit an den Rechnern im Gruppenarbeitsraum anschauen können. Der Film wurde auf die Klassen-PCs geladen und dort mit einem Media-Player abgespielt. Da die Kinder diesen bereits bedienen können, gab es für sie die Möglich-keit, jederzeit im Film hin und her zu springen. Auf

diese Weise konnten sie in ihrem individuellen Tempo den Film anschauen. Dazu bekam jedes Paar ein Arbeitsblatt mit Fragen, die es nach aufmerksamer Filmsichtung beantworten konnte. Natürlich hatte die Lehrerin über dieses Arbeitsblatt hervorragende Möglichkeiten zu differenzieren: Leistungsstärkere Kinder bekamen anspruchsvollere Fragen gestellt, leseschwache Kinder erhielten mehr Bilder.

Die Filmrezeption in Partnerarbeit lief parallel zur individuellen Arbeitszeit im Reporterheft, so dass jedes Kind seine Aufgaben in einem angemessenen Zeitrahmen und in einer offenen Unterrichtsform bearbeiten konnte. Die Lehrerinnen standen in dieser Phase beratend zur Seite.

Den Kindern hat dieses Projekt sehr viel Spaß ge-macht. Sie lernten zum Einen, dass es viele unter-schiedliche Arten von Medien gibt, welche jeweils ihre Stärken haben. Zum Anderen hatten sie etwas über die Entstehung einer Zeitung, vor allem über den Weg durch die Druckerei erfahren, da dieser Vorgang sehr anschaulich und auch witzig im Film durch Willi dargestellt wurde.

Falls Sie durch diesen Artikel Lust bekommen haben, ein solches Projekt auch einmal mit Ihrer Klasse durchzuführen, so recherchieren Sie doch in EDMOND NRW nach dem Medium „EDMOND NRW – Aus der Praxis für die Praxis“ mit der Nummer 5555555 und schauen Sie sich das Unterrichtsbeispiel „Medienmo-dul und Arbeitsblatt – Deutsch (8:35 min)“ an, in dem das Projekt ebenfalls ausführlich erklärt wird.

Silke Herrenbrück, Lehrerin für Sonderpädagogik im GU an der Karl-Leisner Schule, KGS, Medienberaterin, KT Kleve

„Illustrirte Zeitung“ vom 27.4.1844 - Foto: lizenfrei (Quelle: Wikimedia)

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Ende des Jahres gab Bundesfamilienministerin Kristina Schröder vor über 200 begeisterten Kindern im Kino Arsenal in Berlin den Startschuss für www.Kinderfilmwelt.de. Damit ist erstmals in Deutschland eine multimediale, kostenlose und werbefreie Infor-mations- und Lernplattform online, die speziell für die jüngsten Filmfans entwickelt wurde. Verantwort-lich für die Konzeption und Redaktion ist das Kinder- und Jugendfilmzentrum in Deutschland (KJF).

Aktuell und werbefrei: kindgerechte Filmsuche und Filmtipps

Kinder finden auf www.kinderfilmwelt.de Informatio-nen zu allen Filmen, die aktuell in deutschen Kinos zu sehen sind und sich speziell an sie richten. Ebenfalls berücksichtigt werden Veröffentlichungen auf DVD. Neben kindgerechten Rezensionen, Trailern und Sze-nenfotos bietet das Portal fundierte Altersempfehlun-gen. Kinderfilm.de orientiert sich bei seinen Empfeh-lungen an den alterstypischen Wahrnehmungsweisen, Interessensgebieten und Vorlieben. Filmfachleute und Medienpädagogen, bewerten unabhängig, objektiv und kritisch, für welches Alter sich ein Film beson-ders eignet und ob er überhaupt sehenswert ist. Au-ßerdem haben Kinder die Möglichkeit, eigene Bewer-tungen abzugeben und Filme weiterzuempfehlen.

„Kinderfilmwelt.de ist die erste Anlaufstelle, wenn sich Kinder für Filme interessieren,“ sagt Dr. Eva Bür-germeister, Leiterin des KJF: „Wir bieten ihnen einen kostenlosen Service, der genau auf ihre Altersgruppe zugeschnitten ist. Außerdem wollen wir ihnen dabei helfen, die besten Filme für sich zu entdecken und ihre besondere Machart besser zu verstehen. Kinder sollen ein Bewusstsein entwickeln für Qualität und Vielfalt der Filmkultur. Und sie sollen dabei unter-stützt werden, sich selbstständig in der Medienwelt zurecht zu finden.“ Interessieren sie sich etwa für Abenteuer- oder Trickfilme, gibt das Portal passende Tipps. Ob „Blockbuster“ oder „Kinderfilmperle“ – ganz einfach lässt sich herausfinden, ob ein Kino in ihrer Nähe den gesuchten Film gerade zeigt.

Filmstudio und Filmlexikon – auch für Eltern

Wie ein Film entsteht, erleben Kinder in der Rubrik „Filmstudio“. In Videoclips, Bild und Text zeigen ihnen Filmschaffende, was bei Dreharbeiten am Set alles bewegt wird. Es gibt Einblicke in Maske und Kostüm,

ein Regisseur und ein Kameramann verraten, was bei ihrer Arbeit besonders wichtig ist. Ein Blick hinter die Kulissen eines Trickfilms gehört ebenso zum Ange-bot. Auch Berufe „beim Film“ werden vorgestellt. Ein umfassendes Film-ABC erklärt zudem die wichtigsten Begriffe aus der Filmwelt – von Abspann bis Zoom.

Auch Eltern sind willkommen auf dem neuen Portal. Sie erhalten Tipps bei der Auswahl der besten Filme für den Nachwuchs, dazu Anregungen und Hinweise für den Medienalltag sowie Hintergrundinformationen zu Fragen der Medienerziehung.

Kinder-Tipps für die Entwicklung des Portals / Avatar „Klappi“ hilft jungen Filmfans

Auch jüngere Kinder, die noch nicht so gut lesen kön-nen, sollen sich schnell auf der Seite orientieren kön-nen. Deswegen kommen viele Symbole zum Einsatz. Die Altersempfehlungen werden per Handzeichen mit Hilfe der Finger gegeben. Das „Gesicht“ von Kinder-filmwelt.de ist der Avatar „Klappi“. Per Mausklick gibt die sprechende, animierte Filmklappe Tipps zum sicheren Surfen auf dem Portal.

Kinder entdecken FilmeManfred Kremers

Serengeti

Wunderschöne Aufnahmen geben Einblicke in den harten Alltag der wilden Tiere. Viel näher als im Zoo! – Foto:

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36„Erfolgsrezepte für digitalen Medieneinsatz im Unter-richt gesucht!“, so lautet seit zehn Jahren das Motto des Wettbewerbs ExaMedia NRW. Angesprochen, an diesem Wettbewerb teilzunehmen, sind Studentinnen und Studenten, Lehramtsanwärterinnen und Lehr-amtsanwärter sowie Referendarinnen und Referenda-re, die in ihren Staatsarbeiten zum 1. und 2. Staatsex-amen für das Lehramt Wege aufzeigen, wie sich der Einsatz digitaler Medien in den Unterricht sinnvoll, gleichzeitig innovativ einbinden lässt.

Computer und Internet sind zwar längst keine „neu-en“ Medien mehr, doch werden ihre Möglichkeiten oft noch zu wenig für den Unterricht genutzt. Dabei kann mit ihnen das Lernen lebendiger und effektiver sein – beispielsweise wenn per E-Mail in der Fremd-sprache kommuniziert, Lernergebnisse per Podcast vorgestellt oder naturwissenschaftliche Phänomene am digitalen Modell erforscht werden. Es ist erfreu-lich zu sehen, wie experimentierfreudig, souverän und professionell sich zunehmend mehr junge werdende Lehrerinnen und Lehrer mit – auch ausgefallenen – Medientechniken auseinandersetzen, sie gleichzeitig ganz selbstverständlich als Werkzeuge sowohl für die Unterrichtsvorbereitung als auch für den Unterricht selbst nutzen. Der Wettbewerb soll dazu dienen. sich die eingereichten Arbeiten unter diesem Aspekt anzu-schauen. Er kann einen hohen Motivationscharakter haben, vom „pädagogischen Nachwuchs“ zu lernen. Gleichzeitig werden die hervorragenden Beispiele über die Examenssituation hinaus publik gemacht.

Im vergangenen Jahr vergab die hochkarätig besetzte Jury den ersten Preis in der Kategorie „1. Staatsex-

10 Jahre ExaMedia NRW –ein Wettbewerb feiert Geburtstag

Manfred Kremers

amen“ an Christian Finke, dessen Arbeit „Die Ge-staltung einer Lernplattform als ergänzendes Ar-beitsinstrument zu einem eingeführten Lehrwerk im Geometrieunterricht der Klasse 8 eines Gymnasiums“ zum Thema hatte. In der Kategorie „2. Staatsexamen“ ging der erste Preis an Gerti Wißing, die sich einem Thema mit hoher Grundschulrelevanz widmete: „Ich weiß etwas über dich, was du nicht weißt! Entwick-lung und Erprobung eines Konzepts zur Prävention von Gefahren im Umgang mit dem Internet“. Übri-gens: In diesem „Medienbrief“ können Sie die Jung-lehrerin, die zur Zeit an ihrer Promotion arbeitet, auch als Autorin kennen lernen („Wir im Netz – Eine vierte Grundschulklasse präsentiert sich mit eigener Schul-homepage im Internet).

Alles Wissenswerte zum Wettbewerb finden Sie im Netz: www.examedia.nrw.de

Hier der Gewinner des ersten Preises in der Kategorie „1. Staatsexamen“, Christian Finke, und die

Gewinnerin des ersten Preises in der Kategorie „2. Staatsexamen“ beim ExaMedia NRW-Wettbewerb 2010,

Gerti Wißing. Fotos: Dominik Schmitz, LVR-Zentrum für Medien und Bildung

wettbewerb

Foto: Katharina Bahl, LWL-Medienzentrum für Westfalen

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Das kleine, unscheinbare Klingelschild am Hochhaus auf der Immermannstaße gegenüber des Düssel-dorfer Hauptbahnhofs lässt nicht vermuten, welches Institut sich hier in hochmodernen Räumen auf der sechsten Etage mit weitem Blick über die Landes-hauptstadt befindet: das Kulturinstitut der Bundes-republik Deutschland, das Goethe-Institut. Dieser gemeinnützige Verein mit Hauptsitz in München hat seit 1951 die Aufgabe, die deutsche Sprache und das Deutschlandbild im Ausland zu fördern, ob durch Kur-se, Seminare oder durch Kulturveranstaltungen. Das Düsseldorfer Institut ist eines von 13 in der Republik und 150 weltweit.

Von Afghanistan bis China, von Italien bis Kasachstan werden in den Instituten auf den unterschiedlichsten Ebenen und für viele Zielgruppen Sprachkurse und -prüfungen durchgeführt, u.a. „Start Deutsch“, „Fit in Deutsch“ oder „Deutsch für Jugendliche“ und Spe-zialangebote für den Beruf, für Wirtschaftsdeutsch sowie das „kleine und große Sprachdiplom“. Neben den Kursgebühren finanziert sich das Goethe-Institut hauptsächlich über Zuwendungen aus dem Bundes-haushalt.

Nach seinem Aufenthalt in Washington leitet Ste-fan Brunner nun das Düsseldorfer Institut und sagt nicht ganz ohne Stolz, dass jeden Monat Kursteil-nehmerinnen und Kursteilnehmer aus über dreißig Nationen das Haus in Düsseldorf besuchen. „Beson-ders spannend war in diesem Jahr ein Kurs für Ärzte aus Libyen, die in acht Monaten nicht nur Deutsch-Intensivkurse, sondern auch spezifische Angebote für den medizinischen Bereich wahrgenommen und erfolgreich mit einer Prüfung abgeschlossen haben“, so Brunner.

Ein Schwerpunkt der berufsunterstützenden An-gebote ist die Lehrerfortbildung, eine Art „train the trainer“ über Grenzen hinweg. In Düsseldorf werden beispielsweise vierzehntägige Kurse mit 60 Unter-richtseinheiten für Lehrerinnen und Lehrer, deren Muttersprache nicht Deutsch ist und die Deutsch als Fremdsprache in der Primar- und Sekundarstufe unterrichten, inklusive individuellem Lernen in der Mediothek, der Teilnahme an einem Kultur- und Freizeitprogramm, einem Tagesausflug am Wochen-ende, möglichen Hospitationen an Schulen sowie

Das Goethe-InstitutDeutsche Sprache und Medienbildung in unmittelbarer Nähe

Michael Troesser

Unterkunft in Einzelzimmern pauschal für 1400 Euro pro Person durchgeführt. Auch vermittelt das Institut Praktikumsstellen an deutschen Schulen.

Im Rahmen der Lehrerfortbildung werden auch Brücken hin zu medienunterstütztem Unterricht ge-schlagen, so zum Beispiel durch Seminare wie „Neue Technologien im Deutschunterricht“ oder „Web2.0“ für ausländische Lehrerinnen und Lehrer. Über die Lernplattform des Institutes kann man darüber hin-aus per Fernstudium den Multimedia-Führerschein in fünf Modulen erwerben und sich so als Lehrkraft für Deutsch als Fremdsprache qualifizieren.

partner im verbund

Bild des jungen Goethe aus dem Goethemuseum Weimar Foto: Josef Lehmkuhl

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Neben seinen Präsenzkursen hat das Goethe-Institut auch eine ganze Reihe von Online-Formaten im Angebot. „Second Life“ ist eine dreidimensionale Online-Plattform, auf der die Mitglieder der Goethe-Community per Tastatur oder Mikrofon und Kopfhörer miteinander kommunizieren können. Diese digitale Sprachinsel bietet viele Möglichkeiten: Der Kursraum kann individuell ansprechend gestaltet werden. In Rollenspielen oder Dialogübungen kann die deut-sche Sprache in der jeweiligen Umgebung begreifbar gemacht werden, so beispielsweise an einem virtuel-len Messestand oder an einem Schalter, an dem sich Lernende nach Zugverbindungen erkundigen können. Darüber hinaus ist es möglich, sich während eines täglichen Deutschlerntreffs mit erfahrenen Tuto-rinnen und Tutoren per Mikrofon und Kopfhörer zu unterhalten. Es gibt täglich ein neues Thema, das in einer kleinen Gruppe diskutiert wird. Beide virtuellen Angebote sind kostenlos.

Das Goethe-Institut arbeitet weltweit mit fast 700 Partnern zusammen. So wurde zum Beispiel gemein-sam mit dem Münchener Kunstverein in New York das „Goethe Art Institute“ eröffnet und mit seiner weltweiten Initiative „Kultur und Entwicklung“ ist das Goethe-Institut auch in der Entwicklungszusammen-arbeit tätig.

Aber auch in Deutschland und speziell in Düsseldorf zeigt sich einmal mehr der enge Kooperationswille des Institutes. Ein Partner in der Landeshauptstadt ist das Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW. In Zusammenarbeit mit dem Ministerium bietet das Goethe-Institut Jugendlichen mit Migrationshinter-grund an, den Sprachtest „Deutsch für Jugendliche“ abzulegen. In NRW nehmen bis dato sechs Schulen an dem Programm teil.

Das Goethe-Institut ist ebenfalls an der Initiative „Schulen: Partner der Zukunft“ (PASCH) beteiligt. Frank-Walter Steinmeier hat dieses weltumspannen-de Netz von 1.000 Partnerschulen ins Leben gerufen, an denen der Deutschunterricht eingeführt oder aus-gebaut werden soll. Das LVR-Zentrum für Medien und Bildung unterstützt als Partner des Goethe-Institutes „Schulen: Partner der Zukunft“ durch Medientage für Deutschlehrkräfte aus aller Welt. Aber auch einzel-ne internationale Kooperationen stärken die enge

Zusammenarbeit zwischen dem Goethe-Institut und dem LVR Zentrum, so der Studientag „Schule und Medien“, bei dem 21 französische Fachlehrer und -lehrerinnen aus Nancy ihre Deutschkenntnisse mit einem speziellen Medienthema auffrischen konnten oder durch das Angebot für den Bereich der beruf-lichen Kommunikation „Medien und Medientechno-logie“, bei der die moderne Technik des Hauses mit Sprache und Lernen verbunden wird.

Eine enge Kooperation des Goethe-Institutes be-steht auch mit der Landesanstalt für Medien (LfM) in Düsseldorf. Zum 12. Mal wird inzwischen das Fortbildungsprogramm „Antenne Deutsch/Land“ für ausländische Journalistinnen und Journalisten durchgeführt. Neben der Einführung in das komplexe deutsche Rundfunkwesen werden die Teilnehmenden vom Goethe-Institut mit speziellen Deutschangeboten unterstützt. Der Besuch unterschiedlicher Radio-Redaktionen steht ebenso auf dem Programm wie die Teilnahme an einer Bundespressekonferenz in Berlin. Inzwischen haben 120 Journalistinnen und Journa-listen aus 40 Ländern die Veranstaltung besucht – in diesem Jahr Radioschaffende aus Ägypten, Albanien, China, Kirgistan, Republik Moldau, Russland, Slowa-kei, Südafrika und den USA.

Jedes Jahr unterstützt das LVR-Zentrum für Medien und Bildung dieses Programm als Partner der LfM und dem Goethe-Institut Düsseldorf. Im professio-nellen Hörfunkstudio am Bertha-von-Suttner-Platz produzieren die jungen Journalistinnen und Jour-nalisten ihre abschießende Radiosendung, die an-schließend als „stream“ ins Netz gestellt wird und als Podcast abrufbar ist (www.antenne-d.de). In diesem Jahr reichten die Themen von großer Politik bis zum Nachtleben in der Düsseldorfer Altstadt.

„Weitere fruchtbare Kooperationen zwischen dem Goethe-Institut und dem LVR-Zentrum für Medien und Bildung auf der Schnittmenge zwischen Deutsch-lernen und Medien sind möglich“, so Brunner.

Das Goethe-Institut in Düsseldorf: ein starker Partner im Verbund zwischen Deutschlernen und Medienbil-dung.

Michael Troesser ist stellvertretender Leiter des LVR-Zentrums für Medien und Bildung.

partner im verbund

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Wie lebendig eine literarische Urgestalt sein kann, beweist der aktuelle Spielfilm GOETHE! – ein ebenso stürmischer wie berührender Film über den jungen Dichter.

Die Handlung ist allgemein bekannt und schnell er-zählt: Als der junge Goethe durchs Jura-Examen fällt, verbannt ihn der Vater zur Strafe in die Provinz. Dort verliebt sich Goethe unsterblich in die hübsche Lotte. Doch das junge Glück hat keine Zukunft, da Lotte bereits einem anderen versprochen ist. Goethe denkt zunächst an Selbstmord, verarbeitet seinen Liebes-kummer dann aber beim Schreiben des Briefromans „Die Leiden des jungen Werther“ und legt damit den Grundstein für seine literarische Karriere.

Doch weniger das dichterische Genie als vielmehr der Mensch steht im Mittelpunkt von GOETHE!. Der Film von Regisseur Philipp Stölzl zeichnet ein authenti-sches Bild vom jungen Goethe, ohne sich minutiös an historischen Details abzuarbeiten. Das Ergebnis ist daher kein „staubiges“ Geschichtsporträt, sondern ein temporeicher, frischer und mitreißender Spiel-film, der in und außerhalb der Schule funktioniert. Denn der Held ist ein junger Mann, der voller Lebens-lust auf die Erfüllung seiner Träume und Sehnsüchte drängt – in der Liebe, in der Dichtung und im wahren Leben. Ein junger Mensch, der seinen ganz persön-lichen Weg sucht und an seiner ersten unerfüllten Liebe leidet. Auf diese Weise wird Goethe zu einer zeitlosen Figur, mit der sich heutige Schüler sehr leicht identifizieren können.

Wie seinerzeit SCHILLER mit Matthias Schweighöfer verleiht GOETHE! mit Alexander Fehling einem großen Klassiker ein erfrischend lebendiges Gesicht. Darüber hinaus begibt sich das „Biopic“ auf die Spurensuche nach den biografischen Bezügen zu Goethes Erfolgs-roman „Die Leiden des jungen Werther“. Vor allem aber liefert GOETHE! große Emotionen und spannen-de Unterhaltung: leidenschaftliche Liebe, unendlichen Liebeskummer, sich duellierende Rivalen und tiefe Todessehnsucht; dazu witzige Dialoge, gespickt mit Zitaten aus Goethes späteren Werken. All das macht GOETHE! zu einem fesselnden Filmerlebnis, das Jung und Alt für den großen Klassiker begeistert.

GOETHE! ist ein MUSS für jede Schule und jedes Medienzentrum – und das nicht allein, weil Goethes

Werke fest im Abiturkanon verankert sind. Der Film ist vielmehr deshalb unverzichtbar, weil er auf ver-ständliche Weise eine ganze Fülle zeitloser Themen behandelt: Freundschaft, Liebe, Moral, Selbstmord, individuelle Freiheit, soziale Anerkennung und viele mehr. Damit ist GOETHE! vielfältig einsetzbar und kann sowohl im Deutschunterricht als auch in den Fächern Geschichte, Philosophie, Ethik, Religion und Sozialkunde wertvolle Dienste leisten. Entsprechen-des didaktisches Begleitmaterial steht kostenlos zur Verfügung.

Dr. Martin Kött ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Lingua-Video.com

Zwischen Sturm und Drang Der aktuelle Spielfilm über die Leiden des jungen Goethe

Martin Kött

Foto: © Warner Bros.

GOETHE!

D 2010, Regie: Philipp Stölzl, Farbe, 104 Min., FSK ab 6 Darsteller: Alexander Fehling, Miriam Stein, Moritz Bleibtreu, Henry Hübchen u. a. DVD mit vollem schulischem Vorführrecht erhältlich bei:Lingua-Video.com - Ubierstraße 94 - 53173 Bonn - Tel. 0228 / 85 46 95 - 0 www.lingua-video.com

filmtipp

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Ursprünge

Muttersprache, das Wort stammt wahrscheinlich, so sagen uns die Herkunftswörterbücher, aus dem La-tein des Hochmittelalters, Lingua materna. Aber wie nahe uns die Sprache geht, wie nah sie bei unserem Gefühl ist, als Ausdrucksmittel und als Gegen-Stand, demgegenüber man Empfindungen lebt, zeigt auch Folgendes: Im mitteleuropäischen, männlich gepräg-ten Familienverständnis des 19. Jahrhunderts achtet und respektiert man den Vater zunächst, erst dann kommt das Gefühl als nachgeordnetes Moment, die Mutter aber liebt man unmittelbar. Zudem ist in fast allen Sprachen der Welt zwar vom Vaterland, aber von der Muttersprache die Rede, als Ausdruck der klein-kindlichen ersten Nähe zur Mutter.

Für uns Deutsche – und solche, die es vielleicht wer-den wollen – spielt der Begriff eine besondere Rolle, ist er doch Gegenstand und Mittel eines jahrhunder-telangen Ringens um Einheit in der Mitte Europas. Dies drückt sich unmittelbar im Sprachbezeichner, im Glottonym „Deutsch“ aus, ein Wort, das als Adjektiv aus dem altgermanischen Wort „thioda“ für „Volk“ stammt. „thiodisk“ und „diutschiu“ bedeuten soviel wie „zum Volk gehörig“ und entwickelten sich zu einer Bezeichnung für die Sprache der germanischen Stämme Mitteleuropas, im Gegensatz zur Sprache der angrenzenden romanischen Bevölkerung und zum Latein. Das Wort „Deutsch“ als Bezeichner einer Identität ist also unmittelbarer Ausdruck einer kultu-rellen Grenzziehung, einer Differenz! „Qui Theutonica sive Teutisca lingua loquimur“ [1], „die wir Teutonisch oder Deutsch reden“ heißt es bei Notker im 883 entstandenen Gesta Karoli Magni, das als eines der schönsten Erzählbücher des deutschen Mittelalters gilt.

Historisch belegt ist, dass eine deutsche Hochsprache auf schriftlicher Ebene – mit festen Normen in Lexi-kon und Satzbau – sich erst um 1800 etabliert hat [2], weit später als beispielsweise bei unserer Schwester-sprache Englisch.

Weltsprache Deutsch

Deutsch gilt als Weltsprache. Sie wird zu den zehn

1 Notker, Gesta Karoli 1, 10, 24-252 Göttert, Karl-Heinz; Deutsch – Biografie einer Sprache, Berlin 2010, S. 19f

Deutsch – eine Liebeserklärungvon Joachim Paul

wichtigsten Sprachen der Welt gerechnet.[3 ] Vor-dergründig betrachtet hat dies seinen Grund in der Anzahl der Sprecher. Jüngste Schätzungen belaufen sich weltweit auf etwa 105 Mio Muttersprachler und weitere 80 Mio, die Deutsch als Zweitsprache erlernt haben. Allein 55 Millionen der Zweitsprachler leben in der Europäischen Union. Rechnet man die Minderhei-ten hinzu, dann wird Deutsch in 43 Ländern gespro-chen, in acht Ländern Europas: Belgien, Deutschland, Südtirol (Italien), Liechtenstein, Luxemburg, Öster-reich, der Schweiz und Vatikanstadt und der Europäi-schen Union ist Deutsch Amtssprache.

Darüber hinaus ist das Deutsche sogar die Basis für eine Kreolsprache[4] und eine Pidgin-Sprache[5], die echte Mischsprache „Unserdeutsch“ in Papua-Neuguinea und die reduzierte Sprachform „Küchen-deutsch – die heißt wirklich so! – in Namibia.

Der tiefere Grund für die Weltsprache Deutsch liegt aber in einem anderen Umstand. Das Deutsche besitzt den mit Abstand größten Übersetzungs-Text-korpus aller Sprachen überhaupt, und zwar in beide Richtungen. In keine andere Sprache wurden so viele Werke aus Literatur und Wissenschaft aus anderen Sprachen übersetzt wie ins Deutsche. Und aus keiner anderen Sprache wurden so viele Werke in andere Sprachen übersetzt wie aus dem Deutschen. Insofern spielt unsere Muttersprache eine gewichtige Rolle für das kulturelle Gedächtnis der Menschheit als Ganzes. Daher hat Deutsch international den Nimbus einer Bildungssprache. Es ist hier vielleicht sinnvoll, uns in Erinnerung zu rufen, dass zum Beispiel ein US-Amerikaner oder ein Brasilianer, der des Deutschen mächtig ist, unter den eigenen Landsleuten fast auto-matisch als gebildet gilt.

Buchmärkte und Rechte

Weltsprache Deutsch? Dabei gilt Deutsch allgemein als schwer zu erlernen. Es geht sogar die Mär um, dass sie neben Mandarin-Chinesisch für Nicht-Muttersprachler die am schwersten zu erlernende Fremdsprache überhaupt sei.

3 Weber, George; TOP LANGUAGES, The World's 10 most influential Languages, http://www.andaman.org/BOOK/reprints/weber/rep-weber.htm 4 http://de.wikipedia.org/wiki/Kreolsprachen5 http://de.wikipedia.org/wiki/Pidgin-Sprachen

vor-, nach-, quergedacht

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Größter Textkorpus? Woran liegt das? Bevor wir uns den Besonderheiten und Möglichkeiten der deutschen Sprache zuwenden, sei hier noch ein ganz pragma-tischer Grund angeführt. Jüngste Untersuchungen des Wirtschaftsjuristen Eckhard Höffner legen den Schluss nahe, dass der rasante Vormarsch des Deut-schen als Sprache von Wissenschaft und Technik im 19. Jahrhundert, als Innovationsmotor – also kurz nach der Ausbildung als Schrift-Hochsprache mit den bereits erwähnten Normierungen in Lexikon und Satzbau – am Nichtvorhandensein einer Urheber-rechtspraxis lag! Kurz, es wurde alles und jedes auf Teufel komm’ raus gedruckt. Die Ergebnisse von Höff-ners lange Zeiträume umfassenden empirischen Ana-lysen von Autorenhonoraren, Auflagen und Anzahlen der neuen Titel erlauben folgende Schlussfolgerung: Während der britische Buchmarkt mit Urheberrecht vor sich hindämmerte, entwickelte sich Deutschland ohne Urheberrecht zur weltweit führenden Buchnati-on, zum Land der „Dichter und Denker“. Seine steile These: Nur dank fehlenden Urheberrechts und eines blühenden Verlagswesens – nicht zuletzt für tech-nisch-wissenschaftliche Fachliteratur – konnte sich das Agrarland Deutschland, das an der Schwelle zum 18. Jahrhundert noch mit einem Fuß im Mittelalter stand, zur führenden Industrie- und Wissenschafts-nation entwickeln. Großbritannien, das Mutterland der Industrialisierung, verlor den Anschluss. Erst die Einführung des deutschen Urheberrechts sollte die Blüte des Buchdrucks beenden: Anzahl und Auflage von Neuerscheinungen sanken ebenso wieder wie die Autorenhonorare.[6]

Kleben und Beugen, Substantive und Verben

Innere Gründe liegen in den Möglichkeiten der deut-schen Sprache. Richtig verwendet erlaubt sie – ab-seits ihres durch deutsche Klassik und Romantik ent-wickelten poetisch-literarischen Potenzials – sowohl

6 Höffner, Eckhard; Geschichte und Wesen des Urheber-rechts, Band 1 u. 2, zus. 868 S. Verlag Europäische Wirtschaft, 2010

analytische als auch synthetische Welt- und Dingbe-schreibungen von gleichermaßen großer Präzision und Eleganz sowie die dialektische Verschränkung beider. Sie ist wissenschaftlich gesehen – und um Metaphern aus dem Tastsinn zu verwenden – Präzisi-onskleber und Seziermesser zugleich.

Die Kompositabildung, die Zusammenziehung, ist im Deutschen neben der Ableitung, der Derivation, die wichtigste Methode der Wortbildung, die hier allein durch über das Genitiv-S ausgedrückte Possessiv-kompositum und die Wortneuverbindung als Juxta-position grandiose Späße erlaubt. Der bekannteste ist wohl der Donaudampfschifffahrtsgesellschafts-kapitän, der sich problemlos zur Donaudampfschiff-fahrtsgesellschaftskapitänsführerhäuschentürklin-keninbusschraubenlegierungsmischung ausbauen lässt. Macht immer noch einen gewissen Sinn, oder? Welchen Wortwert hat das eigentlich bei „Scrabble“? Achso, Brett und Steine reichen nicht aus… Worte neu schaffen nach dem Motto „Deutsch ist wie Legobau-steine“ kann übrigens ein Kreativität, Intelligenz und Sprachkompetenz förderndes, Spaß machendes Spiel nicht nur bei Kindern sein…

Die bahnbrechende Arbeit zum Berechenbarkeitspro-blem des englischen Mathematikers Alan Turing aus dem Jahr 1937 trägt den Titel „On computable num-bers, with an application to the Entscheidungspro-blem“. Hier hat ein deutsches Kompositum Eingang in die internationale wissenschaftliche Terminologie gefunden, eines von vielen übrigens. Noch bunter wird’s in Physik und Mathematik, wenn man die Kompositabildung mittels Präfix mitbetrachtet. Dort ist im Englischen von „eigenvalue“, „eigenvector“ und „eigenspace“ die Rede. „it’s own value“ wäre ja auch ein bisschen sperrig, außerdem müsste man korrek-terweise auch dasjenige immer mit nennen, auf das sich das „it“ bezieht.

Bei manchen Fachbegriffen aus den Geisteswissen-schaften ist die Aufladung des deutschen Wortes so

Legende:

ORANGE: Amtssprache GELB: Verkehrssprache, Nationalsprache oder regionale Amtssprache

ROT: (Quadrate) Deutschsprachige Minderheiten Quelle: Wikipedia

GERMAN SPOKEN

vor-, nach-, quergedacht

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gewaltig, die Summe all seiner Konnotationen so groß, dass eine wortgetreue Übersetzung entweder keinen Sinn macht oder gar nicht möglich ist.

Especially in philosophical writing, if one treats the concept of „Dasein”, it is more fruitful to use the Ger-man term directly. „Being there” implies something completely different and is far away from precision. Dieser englische Absatz ist selbstverständlich Mar-tin Heidegger geschuldet, der den Begriff „Dasein” in seinem 1927 erschienenen Hauptwerk „Sein und Zeit” zu einem ganzen Denksystem ausbaute. Es verhält sich oft ähnlich wie der Umgang mit dem Altgriechischen. Philosophische Aufsätze, die etwas auf sich halten, verwenden auch hier den original-sprachlichen Begriff, oft noch in originaler Schreib-weise und nicht phonetisch transkribiert. Nebenbei bemerkt, es ist eine Leistung einer jeden Sprache, solche Einwanderungen auch zuzulassen! Und bei Kompositabildungen über Sprachgrenzen hinweg tut sich das Englische beispielhaft und besonders hervor, Unternehmerschaft heißt dort „entrepreneurship“! Ein Gebot zur Reinerhaltung des deutschen Biers ist sicher sinnvoll und begrüßenswert, jedoch eins zur Reinerhaltung der deutschen Sprache gelinde gesagt Mist!

Ein weiteres Moment ist durch die Wandlungsmög-lichkeiten der Wortarten gegeben. Das Deutsche ist besonders leistungsfähig bei der Wandlung von Verben in Substantive, sehr zum Ärger einiger Stil-berater, die oft von einer Sprachentzündung namens Substantivitis sprechen. Aber auch das Wandeln von Substantiven in Verben ist möglich, sogar in Extrem-fällen, wie gleich demonstriert. In einigen afrikani-schen Sprachen gilt das Prinzip der sich verdingen-den Handlung. Sinngemäß heißt es dort nicht „das Pferd galoppiert“, sondern „der Galopp pferdet“. Dass wir das auf Deutsch überhaupt ausdrücken können, verdanken wir der Umwandlung des Pferdes in ein Verb. Das Englische ist hier jedoch leistungsfähiger, „to bookmark“, „to email“ sind neuere englische Ver-ben, die aus Substantiven entstanden.

Allerdings ist das Englische unterwegs zur isolie-renden Sprache. Das Deutsche hingegen ist neben dem Niederländischen die am stärksten flektierende germanische Sprache.

Der Vogel fängt die Fliege. Die Fliege fängt der Vogel. Machen Sie das mal im Englischen.

The bird catches the fly. The fly catches the bird? Die Position eines Wortes im Satz ist nicht mehr variabel wie im Deutschen. Anders gewendet haben wir im Deutschen durch die Redundanz der Geschlechtsin-formation über Wort und zugehörigen Artikel zusätz-liche Möglichkeiten des nunancierten Hervorhebens der Bedeutung eines Wortes durch seine Position im Satz, die uns im Englischen aus prinzipiellen Gründen verwehrt sind.

Deutsch und das Verhältnis zu anderen Sprachen

Oft trifft man auf das Vorurteil, dass Ausdrucksreich-tum und -präzision einer Sprache wesentlich von der Anzahl der verfügbaren Worte, dem Wortschatz abhängen. Im Deutschen sind dies je nach Quelle und Zählweise 300.000 bis 500.000 Worte oder sogenannte Lexeme, das heißt unabhängige Einheiten im Wör-terbuch. Für das Englische ergeben Schätzungen bis zu 600.000 Wörter, das Französische, in dem Begriffe wesentlich anders aus mehreren Worten – zum Bei-spiel „purée de pommes de terre“ für Kartoffelbrei, bei uns ein eigenes Wort – gebildet werden, kommt lediglich auf etwa 300.000 Wörter.

So kennt das Arabische [7 ] vom Sichelmond bis zum Neumond acht verschiedene Worte für den Mond, dem zum Beispiel das Deutsche und auch das Eng-lische nur mit Adjektiven bzw. Kompositabildung be-gegnen können. Ist das Arabische deshalb präziser? Nein. Das spezielle Aussehen des Mondes über einer kargen Wüstenlandschaft ist dort anders als in euro-päischen Landschaften ein herausragendes Detail.

Jede Sprache „denkt“ anders. Die verwendete Spra-che in Wiederspiegelung meiner Erlebniswelt trifft also eine Vorauswahl darüber, was ich überhaupt denken und ausdrücken kann. Und wenn etwas nicht recht passen will, muss ich entweder die Sprache wechseln, wenn mir eine weitere zu Gebote steht, oder sie verändern. Die Sprachen selbst sind also gleichzeitig Mittel und Gegenstand von Veränderung. Der US-amerikanische Psychologe Julian Jaynes sagt

7 Die wirkliche Komplexität der arabischen Sprache liegt in der Vielfalt ihrer Verbformen und der daraus abgeleiteten Verbalsubstantive, Adjektive, Adverbien und Partizipien. http://de.wikipedia.org/wiki/Arabische_Sprache

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hierzu: „In Wahrheit und Wirklichkeit ist die Sprache ein Wahrnehmungsorgan und nicht einfach nur ein Kommunikationsmittel.“[8 ] Das ist zwar radikal, hat aber durchaus etwas für sich. Wahrnehmungsorgane müssen in der Lage sein, auch Neues, bisher noch nicht Erlebtes wahrzunehmen. Folglich würde - lax gesagt - Sprache ohne Veränderung gar nicht „funk-tionieren“, Veränderung ist ein Wesensmerkmal von Sprache.

Welche Auswirkungen die parallel verlaufenden Ent-wicklungsströme des Englischen und des Deutschen gehabt haben, schildert der Philosoph Gotthard Gün-ther, der 32 Jahre seines Lebens in den USA verbacht hat, in wenigen prägnanten Worten: „Es wird bei dem Vergleich zwischen europäischer und amerikanischer „Philosophie“ immer wieder vergessen, daß die deut-sche Sprache eine Entwicklung durchgemacht hat, an der das Englische nur wenig, de facto fast gar nicht, teilgenommen hat. Beide Sprachen sind einmal durch das Stadium der Aufklärung hindurchgegangen, und soweit hatte ihre geistige Prägung und philosophische Ausdruckskraft viel gemeinsam, und man konnte miteinander philosophieren. In der deutschen Spra-che aber wurde diese Entwicklung durch Sturm und 8 Jaynes, Julian; Der Ursprung des Bewusstseins durch den Zusammenbruch der bikameralen Psyche; Reinbek 1988; S. 67

Drang, den deutschen Idealismus mit seinem Auftre-ten des spekulativen Begriffs und schließlich durch die Romantik aus ihrem ursprünglichen Flußbett abgelenkt. Wie ungeheuer stark dieser Einfluß gewe-sen ist, das kann man an der Distanz messen, die die Sprache der Hegelschen Phänomenologie und Logik gegenüber dem Aufklärungsdeutsch gewonnen hat. Was Romantik und Lyrizismus anbetrifft, ist etwas davon auch nach Amerika gedrungen...“[9 ]

Infolgedessen sind viele geisteswissenschaftliche Texte des 19. Jahrhunderts gar nicht ins Englische übersetzt worden. Zur Ehrenrettung des Englischen darf aber nicht unerwähnt bleiben, dass diese Spra-che eine ungleich viel längere literarische Tradition und Entwicklungszeit besitzt, die, beginnend mit Shakespeare, Marlowe und Pope, über James Joyce bis hin zu Lawrence Norfolk und David Foster Wal-lace führt. Das Englische ist speziell im Prosabereich derart komplex mit einer Fülle an Lautmalereien und Metaphern durchsetzt, dass eine Übersetzung ins Deutsche, wenn überhaupt möglich, Jahrzehnte dauert. Das gilt für einige Vertreter des klassischen englischen Bildungsromans und insbesondere für die

9 Günther, Gotthard; Selbstdarstellung im Spiegel Ameri-kas; in L. J. Pongratz (Hrsg.), Philosophie in Selbstdarstellungen, Meiner Verlag, Hamburg, Bd. II, 1975, S. 1-76

Dass hier vorwiegend Deutsch gesprochen wird, überrascht niemanden. – Foto: Uwe Steinbrich, www.pixelio.de

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Werke James Joyces, speziell Ulysses und Finnegans Wake.

So trägt jede Sprache entsprechend ihrer Besonderheiten und Möglichkeiten zur Welt-kultur bei. Sprachen ergänzen sich, immer. Dafür sorgt schon unsere Biologie, die uns mit einem Gehirn ausgestattet hat, dass – je mehr synaptische Verknüpfungen entwickelt sind – das Potenzial für weitere, neue oder andere Verknüpfungen bereitstellt. Das führt dazu, dass uns das Erlernen einer Fremdsprache wie zum Beispiel des Englischen auch lehrt, den Wert der eigenen Muttersprache vom Standpunkt einer anderen Sprache aus neu zu erfahren, und darüber hinaus unser Vermö-gen bereichert, uns in unserer Muttersprache auszudrücken.

Wandernde Worte

Ausnahmslos alle Worte aller Sprachen ha-ben, wenn man’s genau überlegt und wie wir Menschen übrigens auch, einen Migrations-hintergrund. Jedes gesprochene und gehör-te Wort wandert schon vom Sprecher zum Hörer, das ist einer der Kerne von Sprache überhaupt. Wie Vilém Flusser bemerkte, ein Mensch ist ein Mensch und kein Baum. Dies war der Tatsache geschuldet, dass wir im Grunde alle Afrikaner sind.

Wussten Sie, dass das „id“ in V’id’eo – ein Fremdwort aus dem Lateinischen – dassel-be ist wie das in ‚Id’ee – ein Fremdwort aus dem Altgriechischen? „Id“ stammt aus dem altindischen Sanskrit und bedeutet Licht, hat also mit Sehen zu tun. Und unser „Hilfsverb“ „sein“ in der Beugungsform „ist“ leitet sich ebenso wie die englischen „am“ und „is“ von Sanskrit „asmi“, atmen her. (Ich) „bin“ und das englische „(to) be“ von „bhu“, wachsen. Wachsen oder nicht wachsen, das ist hier die Frage. Und das gilt für alle Sprachen. Wenn sie in öffentlichen Verkehrsmitteln türkische Jugendliche erleben, die mitten im Satz vom Türkischen ins Deutsche wechseln und zu-rück, lassen Sie sie einfach, sie leben.

Deutsch war über Jahrhunderte hinweg und ist noch immer eine Räubersprache, die sich bei anderen bedient hat und noch bedient. Beklagen Sie also nicht Anglizismen, sondern freuen sich über die Germa-nismen in anderen Sprachen, man kann sich wirklich wundern, wieviele es neben den wenigen hier be-kannten wie „Blitzkrieg“ und „Kindergarten“ wirklich gibt.

Der japanische Dirigent wird des Abends für den Beethoven seinem Orchester den „ainzattsu“ (Einsatz) geben und nach gelungenem Konzert vielleicht ein „kirushuwassa“ (Kirschwasser) trinken und mit sei-nem „konterabasu“-Spieler (Kontrabass) und seinem polnischen ersten Geiger über den „tsaitogaisuto“ (Zeitgeist, pol.!) diskutieren, der Worte hemmungslos umherwandern lässt. Und in einer anderen Ecke der Welt in Nairobi schimpft der schwedische Kongress-teilnehmer gerade über den „gulaschbaron“ (schwed. für Neureicher) vor ihm, der in seinem Mercedes verkehrt herum in den Kreisverkehr einfährt. „Waben-zi“ falsch im „keepi lefti“, wird der Swahili sprechende kenianische Polizist dazu bemerken. Der ungarische Kollege auf dem Beifahrersitz wird seinen „hózen-tróger“ (Hosenträger) zurechtrücken, und darauf insistieren, dass der Gulasch ja aus Ungarn komme und bemerken, dass er heute noch kein „früstök“ (Frühstück) gehabt habe. Der Finne auf dem Rücksitz ist mindestens für eine „kahvipaussi“ (Kaffeepau-se), auch gegen eine „bratwursti“ hätte er nichts einzuwenden. Was für ein „wihajster“ (wie heißt er, Dingsbums), wird die Polin neben ihm fragen, die den Finnen akustisch nicht ganz verstanden hat. Und das englische Ehepaar fliegt nach München, um das „al-penglow“ (Alpenglühen) zu bewundern, auch klettern wolle man, wenn nicht das „to abseil“ nachher so anstrengend wäre. Außerdem sei der German „dachs-hund“ (Dackel, Dachshund) ja ein so wunderbares Tier, ob man nicht einen „doppelgänger“ zurück mit nach England nehmen könne. Auch „muesli“ wolle man einkaufen. Und in Norwegen ärgert man sich über diesen Text, was für ein „besserwisser“, kein „fingerspitzgefühl“.

Dr. Joachim Paul ist wissenschaftlicher Referent im LVR-Zentrum für Medien und Bildung, Abteilung Medienbildung.

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Was ist gutes Deutsch? Sind Verben besser als Subs-tantive, was unterscheidet die Präposition vom Präfix? Wie entstand das Deutsche als eine der hervorra-gendsten Kultursprachen? Was haben Gregor Samsa und Josef Ackermann gemeinsam? Wie verändern Fernsehen, Computer, E-Mail und Blog unsere Spra-che?

In 33 Kapiteln und Exkursen führt uns Thomas Steinfeld, Literaturwissenschaftler und Feuilleton-chef der Süddeutschen Zeitung, in die Welt unserer Sprache mit dem hohen Anspruch: „Wer dieses Buch gelesen hat, wird in Zukunft vielleicht ein bisschen genauer lesen und ein bisschen besser schreiben“. Oft spielerisch und gleichsam hochkompetent entfal-tet Steinfeld zahlreiche Bereiche der Sprache, bietet Hintergründe und Deutungen des Deutschen, erklärt so manche Eigenart und öffnet einem tatsächlich das Auge für Wörter oder grammatikalische Besonder-heiten, die einem bisher noch nicht aufgefallen sind oder die man sich nicht erklären konnte.Vor allem aber koppelt er hierbei die Sprache mit dem, der sie spricht, dem Menschen: „Denn wie einer redet und auch wie einer schreibt, gehört ja zum In-

Die Deutsche Sprache:Eine schöne, verführerische, aber gleichzeitig schwierige Diva

nersten eines jeden Menschen. Die Sprache offenbart mehr, viel mehr von ihm als sein Gesicht oder seine Kleidung“.Er führt uns vor, wo sich zum Beispiel Substantive zu einem zwar alltäglichen, doch im eigentlichen Unsin-nigen verbunden haben: „Die Holztür ist aus Holz, der Holzbohrer ist es nicht. Ein Ledermantel ist ein Man-tel aus Leder, aber ein Regenmantel ist kein Mantel aus Regen, die Rinderwurst ist vom Rind, die Kinder-wurst nicht vom Kind“. Unzählige solcher Absonder-lichkeiten des Deutschen werden aufgezeigt, gram-matikalische Details abgeleitet, erklärt und zum Teil mit dem Englischen oder Französischen verglichen.

Das Deutsche konnte sich zur Kultursprache in seiner unbeschreiblichen heutigen Vielfalt und Komplexi-tät nur durch Kreativität und Können seiner Denker und Dichter entwickeln, von Goethe bis Lessing, von Kafka bis Büchner. Sie gaben der Sprache Rhythmus und Klang, neue Wörter und innovative Satzkonst-ruktionen, sie machten die Sprache zu dem, was sie heute ist: eine schöne und kraftvolle Diva (Göttin), die uns mit ihren Worten und Wendungen immer wieder überrascht und verführt.

Fotografik: Rolf Maibaum

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Michael Troesser

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Der heutige Reichtum des Deutschen kommt von der stetigen Weiterentwicklung der Sprache über Gene-rationen und Jahrhunderte hinweg. Doch eigenartiger Weise endet diese Entwicklung für Steinfeld plötzlich in der Jetztzeit. So vermisst er bei Elfriede Jelinek, der er einen gesamten Exkurs widmet, Stil. Ihre Sprache sei reduziert auf eine Aneinanderreihung von Kalauern: „Es ist, als triebe eine fatale Witzelsucht diese Maschine an“ und dabei bleibt, so Steinfeld, die Sprache „beschädigt“ zurück. Und dann sind plötzlich die Medien an allem Schuld: „Die Literatur besitzt keine zentrale Bedeutung mehr, weder kulturell noch sozial, und eher, als dass etwas einzelnes anderes an ihre Stelle getreten wäre, wird ihre Funktion von diversen Medien wahrgenommen.“ So seien die Selbstdarstellungen bei „Facebook“ oder „Myspace“ eher von formalisierter Ökonomie als von Stil geprägt. „Die Literatur ist schon lange nicht mehr Lehrmeis-terin der Sprache – man brauchte sie für die Phase der Entwicklung und dann ging die gestalterische Kraft über auf die Zeitung, wovon Karl Kraus empört Zeugnis gibt, und heute ist vermutlich das Fernsehen die stärkste Kraft in der Gestaltung der Sprache oder vielleicht auch schon der Blog“. Zwar werde immer

noch gelesen und (auf der Tastatur) geschrieben, doch im Umgang mit elektronischen Medien habe sich das Bewusstsein durchgesetzt, es sei nicht mehr so wichtig, wie man etwas sage oder schreibe, Hauptsa-che man werde verstanden. Hier ziehen bei Steinfeld nun doch die dunklen Wolken des Sprachverfalls auf, wenn er schreibt, dass durch die Digitalisierung das Geschriebene zwar noch hunderte von Jahren konser-viert werden könne, doch diese Form der technischen Beständigkeit sei von einer anderen Art: „Der Geist ist ebenso wenig durch sie hindurchgegangen wie durch eine Fotokopie, die zwar nur scheinbar, dafür aber umso gründlicher das Exzerpt ersetzt. Und wie ist es erst beim Scannen oder bei „copy and paste“, wenn die Sprache aus dem einen elektronischen Dokument in das andere fließt, in unkontrollierten Mengen, und dazwischen „keinen Augenblick in einem Kopf ver-weilt, wo sie sich ordnen und eine Perspektive gewin-nen können.“Schade, dass Steinfeld moderne, elektronische For-men der Sprache als geistlos klassifiziert, anstatt diese auch als eine neue Weiterentwicklung des Deutschen zu sehen. Warum nur diese Angst? Die deutsche Diva hat in den letzten Jahrhunderten so mache Kritik überstanden und ist immer wieder kraftvoll aufgestanden – in einem jeweils schillernden und neuen Klangkleid.Daran werden weder die aggressiven Anglizismen noch die neuen digitalen Kreationen etwas ändern.

Fazit:Kein einfaches, aber dennoch lesenswertes Buch, das seinem hohen Anspruch, nämlich anders deutsch zu sprechen und schreiben, erfüllt. Vieles liest man tat-sächlich nach der Lektüre anders, versteht man neu, begreift, welches Gut wir zur Verständigung haben, wie fragil einerseits, mächtig, kraftvoll, schön und un-verzichtbar andererseits unsere Sprache ist. Schade nur, dass einmal mehr die mächtigen Medien es sind, die den Verfall vorantreiben. Spannend wäre es, das Buch in einhundert Jahren noch einmal zu lesen.

Dr. Michael Troesser ist stellvertretender Leiter des LVR-Zentrums für Medien und Bildung und Leiter der Abteilung Medienbildung.

Der Sprachverführer: Die deutsche Sprache: was sie ist, was sie kann

von Thomas Steinfeld

Carl Hanser Verlag München 2010, 272 Seiten, 17,90 Euro,

ISBN: 978-3446234161

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Günter Grass ist zweifellos ein Zauberer des Wortes, ein Autor, dem es gelingt, die gesamte Schwere der Welt in einer Geschichte zu erzäh-len, der virtuos die Klaviatur von Form und Inhalt mit innovativer Kraft beherrscht und so schon jetzt deutsche Literaturgeschichte maßgeblich mitgestaltet hat.

Bei seinem neuesten Werk hat Grass einmal mehr weit ausgeholt und auf über 350 Seiten ein Buch geschrieben, von dem man so recht nicht weiß, was es ist: Ein Roman (Dreiecksgeschichte zwischen zwei Grimms und einem Grass)? Eine historische Dokumentation über zwei Brüder? Die Autobiografie eines selbstverliebten Autors? Ein Buch voller Kurzge-schichten und Sprachakribien? Ein Lyrikband? Ein Fachbuch für Germa-nisten?

All das zusammen ist in neun, grafisch schön gestalteten Buchstaben-Kapiteln verwoben. Die ersten sechs sind nach den ersten Buchstaben des Alphabets von A bis F angeordnet und jeweils mit einem Titel verse-hen, die letzten drei Kapitel lauten K („Vom Friedhof zu endlosen Krie-gen“), U („Ungezählte Kuckucksrufe“) und schließlich Z („Am Ziel“).

Zu Beginn erzählt Grass die Geschichte der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm und deren Erschließung der deutschen Sprache in einem großen Wörterbuch, das erst 1960 endgültig fertig gestellt wird. Anhand gut recherchierter Fakten, eher brav, oft die Ebenen wechselnd und in einem

zum Teil sehr komplizierten, alter-tümlichen Deutsch führt uns Grass in das Thema ein. Hier verzeiht man ihm noch, wenn er sich mehrfach selbst in Beziehung zu den Grimms setzt, Parallelen zieht: „Indessen Brüderlein und Brüderchen am Rande des Tiergartens weiterhin den Diminutiv variieren und das Chamälionhafte des Buchstabens C als etwas Confuses, weil Unbe-stimmtes definieren, erinnere ich mich daran, vor vielen Jahren in der holsteinischen Wilstermarsch bei wechselhaftem Wetter nahe dem Stör- und Elbdeich in einem Dorf namens Wewelsfleth gelebt zu haben.“

Etwa ab der Mitte des Buches vollzieht Grass dann immer stärker den grundlegenden Ebenenwechsel, bleiben die Grimms mehr und mehr auf der Strecke: Bis zum Ende des

Günters neues Buch – eine Liebeserklärung von Grass an Grass

Michael Troesser

„Grimms Wörter – Eine Liebeserklärung“Steidl Verlag, GöttingenISBN 2010978-3-86930-155-629,80 EURO

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Werks wird Grimm nun zu Grass, wird die Dokumentation zur Autobiogra-fie, wortgewaltig und emotional, manchmal eitel. Hier werden die Buch-stabenkapitel plötzlich unterbrochen und es ist dann keine Liebeserklä-rung an die Wörter des Deutschen oder die Grimms mehr, sondern an ihn selbst. Hier erfahre ich akribisch genau persönliche Fakten, zum Beispiel seiner Reise nach Deutsch-Ostafrika („Mit uns reiset Werner Holzer, ein Journalist und leitender Redakteur der Frankfurter Rundschau“) . Will ich in „Grimms Wörter“ wirklich wissen, dass Mariechen Fotos von ihm „geknipst“ hat: „Ich offenen Mundes als Redner. Ich vor dem Plakat, drauf mein Es-Pe-Deh krähender Hahn. Ich in der Menge. Ich am Bahnstei-grand sitzend auf meinem Koffer, unterwegs wohin?“ Will ich wirklich wissen, dass er seine Olivetti-Zigaretten selbst drehte oder Ute ihn mit Pfeife zu Fuß in Calcutta „belichtet“ hat? Ist es wirklich von Belang, wenn Grass mit seinem Hund Minka „in Ermangelung eines Bruders“ am Elbe-Trave-Kanal entlang geht, dort: „mir selbst begegne“?

Zum guten Schluss dann, nachdem man sich die Brüder Grimm, den Halbbruder Grass mit Ute, Mariechen, Minka und viele andere Orte, Men-schen, Geschichten, Erlebnisse in ausholender Prosa, dazwischen immer wieder Gedichte, zu Gemüte geführt hat, kommt der Autor in der Jetzt-zeit an: „…halte aber geheim, dass zu meiner, der gegenwärtigen Zeit das Grimmsche Wörterbuch (zerzaust) digitalisiert worldwide ins Web gefüttert ist, damit jeder mit seinem Notebook…“ Ist das eine Wehmut über den Verlust der deutschen Wörter, ist es die Angst vor dem ewigen Wandel der Sprache? Deshalb vor allem auch unangebracht, da gerade die Brüder Grimm sich als sehr innovativ verstanden und den Quanten-sprung vom Analogen zum Digitalen sicher sofort in ihr Wörterbuch mit aufgenommen hätten.

Oder ist es in diesem wunderschön aufgemachten Buch eine Art Ab-rechnung und Auseinandersetzung mit dem Tod, der stimmungsvolle Abschied eines 83-Jährigen Nobelpreisträgers, wenn er schreibt: „Jetzt aber steht er mir bevor. Nach ihm wird nichts sein (...). Die geplante Au-gust-Bebel- Stiftung will auf den Weg gebracht, das wahrscheinlich letzte Buch für den Druck fertig werden, auch lasse ich ungern von meiner Frau, den Töchtern, Söhnen, den Enkeln, dem konfusen Zeitgeschehen, meinem Vergnügen, dem Achterbahnfahren und den Fußballergebnissen am Wochenende. Doch da mir, umringt von mehr und mehr Ungewißhei-ten, einzig der Tod gewiß ist, will ich ihn, wie Jacob es tat, als ungelade-nen, aber unumgänglichen Gast empfangen und allenfalls mit der Bitte belästigen: mach es kurz und schmerzlos. Noch fremdelt er, wird aber vertrauter mit jeder schlafarmen Nacht. Ich weiß, auf ihn ist Verlaß.“

Dr. Michael Troesser ist stellvertretender Leiter des LVR-Zentrums für Medien und Bildung und Leiter der Abteilung Medienbildung.

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In der Universitätswelt gehört es zum guten Ton, dass ein Lehrstuhlinhaber nach seiner Emeritierung seine Erkenntnisse und Ansichten noch einmal für eine breite Leserschaft in Form eines populärwissen-schaftlichen Buches zusammenfasst, ein anspruchs-volles Unterfangen, das nicht notwendigerweise auch von Erfolg gekrönt sein muss.

Ganz anders liegt jedoch der Fall bei dem Kölner Germanisten Karl-Heinz Göttert, der mit „Deutsch – Biografie einer Sprache“ 2010 ein Werk vorlegte, das in punkto Spannung die Qualitäten eines Thrillers aufweist. Dabei versteht es der Autor mit großem Geschick, eben nicht ein umfangreiches Vorwissen seiner Leserschaft im Bereich Sprachgeschichte vor-auszusetzen und dennoch zu keiner Zeit den wissen-schaftlichen Hintergrund seiner Darstellung aus den Augen zu verlieren.

Klar handelt es sich in einem weiteren Sinne um ein Geschichtsbuch, daher ist es zwingend chronologisch aufgebaut. Aber Göttert schlägt mit großem Witz und einer vollkommen ungezwungenen Darstellungsweise den Bogen der Entwicklung des Deutschen von seinen „indogermanischen Eltern“ über die Entstehung verschiedener Sprachgesellschaften, die von Karl dem Großen ausgegebene „Lizenz zum Verdeutschen“ (Göttert) bis hin zu dem unterschiedlichen Gebrauch der deutschen Sprache in den zwei deutschen Staaten im 20. Jahrhundert.

Wer zahlreiche Beispiele oder gar erläuterte Samm-lungen von Wortherkünften erwartet, geht fehl und ist möglicherweise mit dem Herkunftswörterbuch Band 7 der Dudenreihe besser bedient. Göttert geht es um die Darstellung der Entstehung der deutschen Spra-che sowohl als Transportmittel als auch als Gegen-stand der historischen Prozesse. Er arbeitet klar die Scheidewege und Kreuzungspunkte heraus und zeigt die Verwobenheit von Sprachentwicklung und histo-rischen Ereignissen. Dass er dabei beim Mittelalter, seinem Spezialgebiet, etwas länger verweilt als bei anderen Zeitabschnitten, kann man ihm verzeihen, ist es doch gerade das Mittelalter, dessen Geschehnisse für uns heute schwerer nachzuvollziehen sind.

Der Bedeutungen Luthers und Goethes für die Entwicklung der deutschen Sprache sind sich viele bewusst. Manche neigen jedoch dazu, sie zu über-

Deutsch – Biografie einer SpracheJoachim Paul

schätzen. Göttert stellt den Luther gewissermaßen wieder auf die Füße. Sein Verdienst bestand nicht in einer bloßen deutschen Bibelübersetzung, davon gab es zu seiner Zeit etwa 50, er bestand darin, die Übersetzung so ausgeführt zu haben, dass auch die Marktfrau und der Handwerker sie verstehen konn-ten. Göttert erzählt uns von den zahlreichen Kämpfen für eine Amtssprache des Reiches, bei denen es oft recht deftig zuging und für die es mindestens schon seit 1350 Ansätze gegeben hat.

Auch den Goethe demontiert er nicht, er wertet ihn in einem gewissen Sinn sogar auf, indem er ihm von Schlegel und Herder bis zu den Grimms zahlreiche Zeitgenossen, Verleger, Literaten und Enzyklopädis-ten im Bemühen um die Sprache „Deutsch“ an die Seite stellt, auch Kritiker und Gegner aus den Reihen der Aufklärer, die sich oft alles andere als begeistert von Werken wie „dem Werther“ zeigten.

Sprachentwicklung als Bewegung – auch und gerade in der Kontroverse – darzustellen, scheint Götterts Hauptanliegen zu sein. Mit großer Gelassenheit und der Souveränität desjenigen, der historische Zusam-menhänge überblickt, wendet er sich an diejenigen Zeitgenossen, die vor dem Eindringen der Anglizis-men und dem Verfall der deutschen Sprachkultur warnen. Das Deutsche hat nicht nur „einen großen Magen“, es hat auch schon ganz andere Stürme über-standen. Karl-Heinz Göttert bescheinigt dem Deut-schen eine große Zukunft.

Fazit: sehr lesenswert, nicht nur für Germanisten

Dr. Joachim Paul ist wissenschaftlicher Referent im LVR-Zentrum für Medien und Bildung.

Deutsch – Biografie einer Sprache

von Karl-Heinz Göttert

Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2010, 400 Seiten,

19,95 Euro

ISBN-10: 3550087780, ISBN-13: 978-3550087783

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„Werner darf bei diesem Fußballspiel zum ersten Mal im Tor stehen; von seiner heutigen Leistung wird es abhängen, ob er auch für das Endspiel aufgestellt wird. Gerade kommt ein gefährlicher Angriff auf sein Tor zu. Da – einer seiner Verteidiger hat den Mit-telstürmer gefoult. Abpfiff des Schiedsrichters für einen Elfmeter.“

So beginnt das Exposé eines einzigartigen film-kundlichen Lehrmaterials aus den 1950er Jahren. Im Treatment heißt es dann: „Die Kamera erfaßt die vorstürmenden Spieler der Gegenpartei; schwenkt mit, bis der Schiedsrichter auf Grund eines Fouls, das ein Verteidiger versucht hat, abpfeift. Die Spieler liegen am Boden. Der Schiedsrichter steht im Vorder-grund, mit dem Rücken zur Kamera…“ Anmerkung für die Schülerinnen und Schüler: „Jedoch sind die einzelnen Einstellungen noch nicht genau festgelegt, was dem Drehbuch überlassen bleibt“. Nach Exposé und Treatment wird die kleine Story nun in ein kon-kretes Drehbuch übersetzt, um schließlich daraus einen schwarzweißen Stummfilm zu machen – auch wenn der Begriff „Film“ bei dem Fotomaterial etwas übertrieben ist.

Von der Halbtotalen der Spielplatzhälfte geht es über „Halbnah“ zum Elfmeterpunkt, Zielrichtung sind die

gespreizten Beine des Torwarts, „Halbnah bis Halb-totale,“ der Zwischenschuss in das Publikum, das gespannt wartet, schließlich zum „Nah“ auf den Ball, der gerade vom Stürmer getreten wird.

Das Spannende an diesem historischen Lehrmaterial sind die zehn Fotosätze à 20 Bilder und 10 exempla-rische Texte, die wie eine Art Puzzle gehandhabt wer-den müssen. Im Beiblatt für „Lehrer, Lehrgangs- und Gruppenleiter“ heißt es: „Mit Hilfe der Fotos können manche Gestaltungsformen des Films verdeutlicht werden, auch wenn sie nur aus stehenden Bildern zusammengesetzt sind“. Es wird allerdings einge-standen, dass manche „spezifisch filmische Gestal-tungsformen“ nicht berücksichtigt werden können: Länge einer Einstellung, Schwenk, Kamerafahrt, Gummilinse und Überblendungen. Mit den bewegli-chen Fotos kann man allerdings genauso „manipu-lieren und den Sinn willkürlich verändern“. Sinn des Foto-Arbeitssatzes sei es, „wenn es zeitlich möglich ist“ als Anregung für eigene Zusammenstellungen zu dienen: „Vielleicht ergibt sich daraus ein ganz anderer Sinn“.

Arbeitsmaterial zur Filmkunde: Die Bildmontage, Quelle: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt – Landesbildstelle

Dr. Michael Troesser ist stellvertretender Leiter des LVR-Zentrums für Medien und Bildung und in der Einrichtung Leiter der Abteilung Medienbildung.

filmbildung

Filmkunde als Puzzle

Michael Troesser

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So, liebe Leserin, lieber Leser,

jetzt sind Sie an der Reihe: Wenn es Ihnen zeitlich möglich ist, schneiden Sie die Fotos aus. Schaffen Sie es, die Bildmontage so

zusammenzulegen, dass sie einen sinnvollen filmischen Zusammenhang ergibt?

Verändern Sie den Sinn willkürlich und erstellen Sie das Drehbuch einer kleinen neuen Fußballstory!

Viel Spaß und Erfolg!

filmbildung

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Alice im Wunderland (Alice in Wonderland) Regie: Tim Burton, 104 min f, USA 2010, (Signatur 46 43527)

Alles wieder gut Regie: Satu Siegemund, Kurzspielfilm 20 min f, Deutschland 2008, (Signatur 46 43522)

Boy A Regie: John Crowley, 102 min f, Großbritannien 2007 (Signatur 46 43518)

Filmriss Regie: Christoph Eichhorn, Kurzspielfilm 44 min f, Deutschland 2008, (Signatur 46 3523)

Die Fremde Regie: Feo Aladag, 114 min f, Deutschland 2010. (Signatur 46 43529)

Umay ist aus einem unglücklichen Eheleben in Istanbul ausgebrochen und will, zurück in Berlin, ein selbstbestimmtes Leben führen. Sie weiß, dass sie ihren Eltern und Geschwistern damit viel zumutet, hofft aber, dass die liebevolle Verbundenheit stärker ist als alle gesellschaftlichen Zwänge. Doch schon bald erkennt sie, dass ihre Familie die traditionellen Konventionen nicht einfach über Bord werfen kann.

Neue Spielfilme im Verleih desLVR-Zentrums für Medien und BildungIrena Piorecki

Die Friseuse Regie: Doris Dörrie, 102 min f, Deutschland 2010, (Signatur 46 43526)

Hexe Lilli – Der Drache und das magische Buch Regie: Stefan Ruzowitzky, 85 min f, Deutschland 2009, (Signatur 46 43293)

Hier kommt Lola Regie: Franziska Buch, 98 min f, Deutschland 2010, 43521)

Lola hat einen brasilianischen Vater, besucht die Klasse 3c und in ihren Träumen verwandelt sie sich in den Rockstar Jacky Jones. Am allermeisten sehnt sich die niedliche, aufgeweckte Schülerin aber nach einer besten Freundin. Klassenkameradin Flora könnte so eine sein, würde sie nicht so nach Fisch stinken. Und auch die schöne Annalisa scheint nicht die Richtige zu sein, mit der man durch dick und dünn gehen kann. Doch Lola hat eine Idee: Sie schickt ihren Herzenswunsch per Luftballon in den Himmel. Unerwartet erhält sie kurz darauf eine geheimnisvolle Flaschenpost.

Der kleine König Macius Regie: Sandor Jesse & Lutz Stützner, 80 min f, Deutschland, Frankreich Polen 2007, (Signatur 46 43520)

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Vorstadtkrokodile II Regie: Christian Ditter, 88 min f, Deutschland 2010, (Signatur 46 43424)

Das weiße Band Eine deutsche Kindergeschichte Regie: Michael Haneke, 145 min schwarz-weiß, (Signatur 46 43214)

Wo die wilden Kerle wohnen (Where the Wild Things Are) Regie Spike Jonze, 97 min f, USA 2009, (Signatur 46 43524)

Max ist ein Kind voller Wut und unkontrollierter Impulse, und doch eine sensitive Seele, die sich allein gelassen fühlt. Nach einem Streit mit seiner gutmütigen, aber überforderten Mutter flüchtet er in eine Traumwelt - auf eine Insel mit monströs wirkenden, im Grunde aber kindlichen Kreaturen, die den wilden Jungen als König akzeptieren. Einige Tage lebt und tollt Max mit den neuen Freunden, bis es auch hier zu Enttäuschungen und Streit kommt. Doch Max weiß, dass jemand auf ihn wartet, der ihn immer lieben wird. Bedingungslos. (Quelle: www.kino.de)

Küss den Frosch (The Princess and the Frog) Regie: John Clements, Ron Musker, 93 min f, USA 2009, (Signatur 46 43520)

Lippels Traum Regie: Lars Büchel, 101 min f, Deutschland 2009, (Signatur 46 43245)

Mullewapp – Das große Kinoabenteuer der Freunde Regie: Tony Loeser & Jesper Moller, nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Helme Heine, 73 min f, Deutschland, Italien, Frankreich 2009, (Signatur 46 43519)

Same Same But Different Regie: Detlev Buck, 101 min f, Deutschland 2010, (Signatur 46 43532)

Tintenherz Regie: Iain Softley, 102 min f, Deutschland, Großbritannien, USA 2008, (Signatur 46 43021)

Vincent will Meer Regie: Ralf Huettner, 90 min f, Deutschland 2010, (Signatur 46 43512)

Vorstadtkrokodile Regie: Christian Ditter, 98 min f, Deutschland 2009, (Signatur 46 43092)

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Nacht und NebelNuit et brouillardDokumentarfilm von Alain Resnais, Frankreich 1955 –

neu im Verleih des LVR-Zentrums für Medien und Bildung

Manfred Kremers

Der Filmtitel bezieht sich auf einen „Führererlass“ vom 7. Dezember 1941, der geheime Richtlinien für die Ver-folgung von Straftaten gegen das Reich oder die Besatzungsmacht in den besetzten Gebieten festschrieb. Seit den Nürnberger Prozessen wurde die Verfügung unter der Bezeichnung „Nacht-und Nebel-Erlass“ allgemein bekannt. Nach diesem Erlass wurden rund 7000 Menschen, mutmaßliche Saboteure, Partisanen oder Wider-standkämpfer, aus verschiedenen europäischen Ländern nach Deutschland verschleppt und dort heimlich ab-geurteilt, ohne dass ihre Angehörigen irgendwelche Informationen erhielten. In den Konzentrationslagern wur-den sie als „NN-Häftlinge“ (mögliche Deutung: „nullum nomen“ – ohne Namen, namenlos) gekennzeichnet.

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Bilder, die Geschichte machten

Es gibt Fotos, die – wenn man sie einmal gesehen hat – sich ins Gedächtnis prägen. So haben es einige Bilder zu einer traurigen, weltweiten Berühmtheit gebracht. Dazu gehört die Aufnahme von Jürgen Stroop, Befehls-haber der SS-, Polizei- und Wehrmachtseinheiten im „Dritten Reich“, die einen kleinen Jungen mit erhobenen Händen in einer Gruppe sich ergebender jüdischer Menschen bei der Liquidierung des Warschauer Ghettos zeigt. Zum ersten Mal öffentlich zu sehen war das Foto in dem so genannten „Stroop-Bericht“ („Das ehemalige jüdische Wohnviertel Warschau besteht nicht mehr.“). Auf 75 Seiten dokumentierte Jürgen Stroop akribisch die brutale Niederschlagung des Aufstandes im Warschauer Ghetto (19. April bis 16. Mai 1943), mit der er von Heinrich Himmler persönlich beauftragt worden war.

Jürgen Stroop wurde nach Kriegsende am 8. Mai 1945 von den Amerikanern festgenommen. Im Rahmen der Dachauer Prozesse wurde er von einem amerikanischen Militärtribunal, hier wegen seiner Beteiligung an der Ermordung alliierter Flieger, am 21. März 1947 zum Tode verurteilt. Dieses Todesurteil wurde nicht vollstreckt, Stroop jedoch nach Polen ausgeliefert, wo er nach einem zweiten Prozess erneut zum Tode durch den Strang verurteilt wurde. Vollstreckt wurde dieses Urteil am 6. März 1952 im Warschauer Gefängnis Mokotów.

Josef Blösche, SS-Unterscharführer, unter anderem ebenfalls an der Liquidierung des Warschauer Ghettos und an der Bekämpfung des Warschauer Aufstandes beteiligt, auf dem Foto rechts im Bild (mit Gewehr), lebte nach Kriegsende viele Jahre in seinem Heimatort Urbach in der ehemaligen DDR. Am 11. Januar 1967 wurde Blösche verhaftet, nachdem seine Wehrmachtsaktvitäten mehrere Jahre sorgfältig recherchiert wurden. Wäh-rend einer zweijährigen Untersuchungshaft gestand Blösche zahlreiche Kriegsverbrechen, von einzelnen Er-schießungen über Massenhinrichtungen bis hin zur Beteiligung an allen großen Deportationsaktionen aus dem Warschauer Ghetto. Er bezeugte auch seine Identität auf dem hier abgebildeten Foto. Nach seiner Verurteilung wurde Blösche am 29. Juli 1969 im Leipziger Gefängnis hingerichtet.

Aufstand im Warschauer Ghetto – Fotografie von Jürgen Stroop. Aus dem Stroop-Bericht an Heinrich Himmler von Mai 1943. Die originale Bildunterschrift lautet „Mit Gewalt aus Bunkern hervorgeholt“. Es ist eines der bekanntesten Fotos aus dem zweiten Weltkrieg – kurz auch eingeblendet in dem Film „Nacht und Nebel". Der Junge im Vordergrund wurde nicht zweifelsfrei wiedererkannt – rechts im Bild (mit Ge-wehr), SS-Unterscharführer Josef Blösche. (Das Foto ist lizenzfrei.)

„Resnais Dokumentarfilm ist eines der wichtigsten filmischen Werke über die deutschen Konzentrations-lager. Mit größter stilistischer Zurückhaltung und einer äußerst sensiblen deutschen Fassung durch Paul Celan wird eine Darstellung des Grauens erarbeitet, in der die zeitgenössische Wirklichkeit von Ausch-witz/Birkenau mit den Dokumenten der Alliierten Wochenschau-Bilder konterkariert wird. Ein Film aus der Erinnerung des Nichtschilderbaren heraus: Er antizipiert die Unmöglichkeit, den Holocaust zu dra-matisieren und desavouiert alle wohlfeilen Versuche, die Geschichte dieser Monstrosität 'zu erzählen'.“ (Lexikon des Internationalen Films)

Abgesehen von den einprägsamen Bildern und der künstlerischen Ausdruckskraft der beiden Sprecher Jean Cayrol in der französischen und Paul Celan in der deutschen Fassung, beide Holocaust-Überlebende, ist die Filmmusik des österreichischen Komponisten Hanns Eisler hervorzuheben, die dem Film eine zusätzliche emotionale Dimension gibt.

Der Dokumentarfilm „Nacht und Nebel“ entstand 1955, zehn Jahre nach der Auflösung der Konzentrationsla-ger, und gilt bis heute als eines der bedeutendsten Zeugnisse zum Thema Nationalsozialismus .

Für unterrichtliche Zwecke enthält die DVD neben dem Dokumentarfilm auch vier Hörausschnitte des Holo-caust-Überlebenden Abba Naor, ein Audioporträt des Filmemachers Alain Resnais (54 min) und einen fünfmi-nütigen Filmausschnitt „Gedenkpädagogik: lebenslinien“. (Signatur: 46 42836)

Weitere empfehlenswerte Filme zum Thema Nationalsozialismus im Verleih:

„Gehorsam, Treue, Opfertod – Hitlerjungen im Dritten Reich“, ein Dokumentarfilm von Axel Bornkessel (BRD 1994, 30 min)

„Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte“, ein Film von Michael Haneke (145 min, sw)

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berichte

…es sind ja nicht durchweg immer die „klassischen“, didaktisch aufbereiteten Medien, mit denen der Un-terricht angereichert werden soll, zuweilen möchte man auch ja auch mal einen Spielfilm einsetzen, der längst nicht in jeder Videothek verfügbar ist. Und oft genug kommen dann die Medienzentren ins Spiel, die einzigen, die Lehrerinnen und Lehrern hier weiter-helfen können, aber auch für Privatpersonen offen stehen.

Der Verleih des LVR-Zentrums für Medien und Bil-dung (LVR-ZMB), ein Kernangebot als städtisches Medienzentrum, hat sich über die Jahre als gut ausgestattete Medienbibliothek in Düsseldorf etab-liert. Auf mehr als 20.000 ausleihbare Titel (VHS, DVD, CD-ROM, Software) ist der Bestand über die Jahre gewachsen. Allerdings haben sich in diesem Zeitraum auch die Anforderungen an den Verleih geändert: Wer erinnert sich nicht an die zahllosen großen und kleinen Filmrollen in der klassischen Aludose oder in der orangen Kunststoffdose, die in den Regalen große Flächen beanspruchten. Heute prägen VHS-Kassetten und immer mehr DVDs und Blue-rays das Bild – aber auch hier deutet sich bereits das Verschwinden des nächsten Trägermediums an…

Der Medienverleih im LVR-ZMB hat diesen Ver-änderungen Rechnung getragen, seine Bestände durchforstet und nach einer kurzen umbaubedingten Schließung im Januar 2011 wieder eröffnet – mit technisch neu ausgestatteten Sichtplätzen sowie neuen Präsentationsregalen behutsam modernisiert, aber mit den selben hilfsbereiten und kompetenten Mitarbeiterinnen.

Ergänzend zum Angebot des Medienverleihs bleibt weiterhin die Möglichkeit, sich für die Vorführung

der Medien entsprechende Geräte auszuleihen. Für die Technikausleihe steht Ihnen Herr Ünlü (Tel. 0211.27404-3185, [email protected]) zur Verfü-gung.

Aber nicht in jedem Fall können alle Ausleihwünsche sofort erfüllt werden – manchmal auch gar nicht! Deshalb ist für allgemein und berufsbildende Schulen bereits 2003 neben den Freihandverleih der Down-loadservice EDMOND NRW getreten, ein gemein-sames Angebot der beiden Landesmedienzentren Rheinland und Westfalen sowie aller kommunalen Medienzentren. Über EDMOND NRW stehen mitt-lerweile ca. 4.000 Medien – das Spektrum umfasst Natur- und Geisteswissenschaftliches, Literarisches ebenso wie Trick-, Dokumentar- und Spielfilme – zu (fast) allen Themenbereichen und für (fast) alle Schulformen und -fächer – zur Verfügung. Darüber hinaus werden lizenzkostenfreie Medien, Materia-lien der Landeszentrale für politische Bildung, alle Schulfernsehsendungen inklusive Begleitmaterial und die WDR-Radioreihe „Zeitzeichen“ zum Download bereitgestellt.

Öffnungszeiten: Montag bis Mittwoch 7:30-16:00, Don-nerstag 10:00-18:00 und Freitag 7:30-15:00 Uhr.

Telefonisch zu erreichen ist der Verleih unter den Rufnummern 0211.27404-3181 (Brigitte Syta/Verleih) oder 0211.27404-3145 (Linda Berger/Beratung).

Michael Jakobs ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit im LVR-Zentrum für Medien und Bildung.

Michael Jakobs

„Ist gerade ausleihbar?“

Der Medienverleih im LVR-Zentrum für Medien und Bildung – Medienzentrum für die Landeshauptstadt Düsseldorf

Die Farbe der Milch

Foto: Stefan Arendt, LVR-Zentrum für Medien und Bildung

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„Wir haben so oft an Sie gedacht und davon gespro-chen, wie richtig sie es gemacht haben, dass Sie so früh ausgewandert sind. Wir haben leider zu lange gewartet. Wir sind heute so weit, dass es uns einerlei ist, wohin wir kommen. Die Hauptsache ist nur mög-lichst bald.“ (Siegfried Gumprich 1939 in einem Brief an einen Freund)

Wie vollzog sich seit 1933 die Entrechtung der jüdi-schen Bevölkerung in einer ganz normalen deutschen Stadt? Wie erlebten die Betroffenen den Prozess der Ausgrenzung und Verfolgung? Und wie verhielten sich nichtjüdische Nachbarn und Freunde? Eine neue DVD des LWL-Medienzentrums für Westfalen nähert sich diesen unbequemen, aber für das Verstehen der Ge-schichte des Holocaust unverzichtbaren Fragen über einen lokalgeschichtlichen und biografischen Zugang. In drei verschiedenen Filmelementen zeichnet sie die Geschichte der Judenverfolgung in Westfalen am

Beispiel jüdischer Familien aus Münster nach. Sie rückt Menschen in den Blick, die bis 1933 fest integ-rierte Mitglieder der münsterschen Stadtgesellschaft waren, dann aber binnen weniger Jahre zu Opfern der antisemitischen Ideologie der NS-Diktatur wurden.

Im Mittelpunkt des Mediums, das das LWL-Medi-enzentrum mit Unterstützung des Geschichtsorts Villa ten Hompel und des Medienservice für Münster produziert hat, steht ein einzigartiges Filmdokument. Gedreht hat es der jüdische Kaufmann Siegfried Gumprich in den Jahren 1937 bis 1939. Die Filmauf-nahmen zeigen scheinbar unbeschwerte Momente des Familienlebens: Eltern und die beiden Kinder Brigitte (*1932) und Walter (*1933) beim Spiel im Gar-ten, beim Sonntagsspaziergang in der Altstadt, beim Sport und im Urlaub. Doch der Schein trügt. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen hatten die Gumprichs wie die übrigen Mitglieder der jüdischen Gemeinde schon mit schwersten Repressionen und Demütigungen zu kämpfen.

Neben den Gumprichs zeigen die Bilder auch den letzten Rabbiner Münsters, Dr. Julius Voos, der ge-meinsam mit seiner Frau Stephanie im Januar 1939 nach Münster kam. Julius Voos stand in Münster einer jüdischen Gemeinde vor, die im alltäglichen Le-ben von den anderen Münsteranern fast völlig isoliert und durch Zwangsverkäufe und Berufsverbote finan-ziell völlig ausgeplündert war. Für das Ehepaar Voos wurde Münster nach dem Scheitern seiner Emigrati-onspläne zur tödlichen Falle. Im März 1943 wurde das Paar mit seinem zweijährigen Sohn nach Auschwitz deportiert und umgebracht.

Diesem Schicksal entkam die Familie Gumprich nur knapp. Am 28. August 1939, drei Tage vor Kriegsbe-ginn, brachte ein befreundeter katholischer Pfarrer die Familie zur niederländischen Grenze, von wo sie buchstäblich in letzter Minute nach Großbritannien emigrieren konnte.

Auf diese Weise wurden auch Siegfried Gumprichs Filmaufnahmen vor der Vernichtung bewahrt. Im Besitz von Sohn Walter überdauerte das auf Normal 8 gedrehte Amateurfilmmaterial – insgesamt rund 40 Minuten – viele Jahrzehnte im fernen Kanada, wohin Walter Gumprich 1957 ausgewandert war. Auf Ver-mittlung der Historikerin Gisela Möllenhoff gelangten

Zwischen Hoffen und Bangen DVD beleuchtet das Schicksal jüdischer Familien in Münster

Markus Köster

aus dem lwl-medienzentrum

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die Aufnahmen nach Münster zurück. Ihre Wieder-entdeckung kam einer kleinen filmischen Sensation gleich, da privates Filmmaterial einer jüdischen Familie aus Nazi-Deutschland in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre bislang nicht bekannt war.

2003 verarbeitete der Filmemacher Markus Schrö-der im Auftrag des LWL-Medienzentrums die in ihrer Überlieferung wohl einmaligen Amateurfilmsequen-zen zu einem 20-minütigen Dokumentarfilm. Durch eine gewissenhafte Kommentierung sowie ergän-zende Standfotos ordnet dieser die Filmbilder in den historischen Kontext der Ausgrenzung und Verfolgung jüdischer Bürger in Deutschland ein. Für die aktuelle DVD-Edition wurde die Fassung von 2003 um einen englischen Kommentar ergänzt und aus lizenzrecht-lichen Gründen mit neuer Musik unterlegt. Walter Gumprich hat die Veröffentlichung der Aufnahmen ausdrücklich begrüßt. Nach seinem Wunsch sollen sie dokumentieren, dass die von den Nazis diffamier-ten Juden Menschen wie alle anderen waren.

Ein zweiter Film auf der DVD dokumentiert die Erin-nerungen von Hans Kaufmann, der 1925 als Sohn ei-nes angesehenen jüdischen Rechtsanwaltes in Müns-ter geboren wurde. In einem Gespräch mit Markus Schröder schildert der inzwischen 85-Jährige ohne jedes Pathos, aber mit großer Eindringlichkeit, wie er als Kind die immer stärkere Verfemung und Isolie-rung der jüdischen Bevölkerung Münsters erlebte, aber auch, wie seine Eltern ihm 1939 zur Flucht nach Dänemark verhalfen. Von dort entkam Hans Kauf-mann 1943 nach Schweden, seiner heutigen Heimat.

Den dritten Teil der DVD bildet ein von Jan Telg-kamp konzipierter filmanalytischer Baustein, der am Beispiel der Aufnahmen von Siegfried Gumprich jene Schritte filmischer Gestaltung vorführt – vom Schnitt

über den Off-Kommentar bis zur Vertonung –, die aus einem historischen Filmdokument einen historischen Dokumentarfilm machen. Der Baustein ermöglicht einen Einblick in diese Produktionsschritte. Anhand originaler Filmsequenzen lässt sich kontrollieren, welche Szenen entnommen und wie diese im Schnitt neu zusammengesetzt wurden. Des Weiteren lässt sich anhand ausgewählter Ausschnitte die Wirkung von Musik und Kommentar nachvollziehen. Auf diese Weise regt der Baustein zu einer reflektierten Be-schäftigung mit Film als Quelle und Geschichtserzäh-lung an.

So erfüllt die DVD einen doppelten Zweck: Exempla-risch und in anrührender Anschaulichkeit vermittelt sie, auf welche Weise sich Diskriminierung und Ver-folgung der deutschen Juden während des „Dritten Reiches“ vollzogen, aber auch, wie die Betroffenen versuchten, das ihnen aufgezwungene Schicksal in Würde zu meistern.

Zugleich bietet das Medium sich für einen metho-disch-reflektierten Einsatz im Geschichtsunterricht und auch für die Vermittlung kritischer Medienkom-petenz an. Dafür enthält sie in einem ROM-Teil und einem 50-seitigen Begleitheft zusätzliche Hinter-grundinformationen, Materialien und Unterrichts-tipps.

Dr. Markus Köster ist Leiter des LWL-Medienzentrums für Westfalen

Zum Preis von 14,90 Euro plus Versandkosten kann die DVD mit Begleitheft beim LWL-Medienzentrum für Westfalen erworben wer-den. Über EDMOND NRW steht sie allen Schulen demnächst auch kostenlos zur Verfügung.

oben: Hans Kaufmann, Jahrgang 1925, berichtet auf der DVD über Judenfeindlichkeit, das Novemberpogrom und seine Flucht aus Münster.

Foto: LWL-Medienzentrum für Westfalen

rechts: Siegfried Gumprich, hier mit seiner Familie 1946 in Schottland, hielt in den Jahren 1937 bis 1939 scheinbar unbeschwerte Momente des Familienlebens mit der Filmkamera fest.

Foto: Sammlung Möllenhoff/Schlautmann-Overmeyer

aus dem lwl-medienzentrum

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VeranstaltungskalenderChristiane Thomsa / Michael Jakobs

termine

Gemeinsam mit dem Ministerium für Schule und Weiterbildung und dem VdS Bildungsmedien e.V. veranstaltet die Medienberatung NRW am Samstag, den 12. März 2011, im Kongresszentrum Westfalenhallen in Dortmund einen großen Bildungskongress. Der Titel lautet „Lernen erfolgreich gestalten. Lernmittel – Lernräume – Lernkonzepte". Die Veranstaltung ist für Interessierte aller Schularten konzipiert und stellt das Thema Unterrichtsentwicklung in den Mittelpunkt.

Eröffnet wird der Kongress um 10.00 Uhr mit einem Grundsatzbeitrag von Schulministerin Sylvia Löhrmann. Im Anschluss können Besuche-rinnen und Besucher aus rund 50 Einzelveranstaltungen der Verlage sowie des Schulministeriums und der Medienberatung verschiedene Angebote wählen.

Begleitend findet ganztägig eine umfangreiche Lernmittelausstellung der Bildungsmedienverlage statt.

Die Teilnahme am gesamten Kongress ist kostenlos, eine Anmeldung jedoch dringend erforderlich.

Kongressprogramm und Anmeldeformular unter:www.vds-bildungsmedien.de/dortmund2011

Unter dem Motto „Vielfalt der Generationen“ feiert der Landschaftsver-band Rheinland am Samstag, 28. Mai 2011, von 10.00 bis 18.00 Uhr im LVR-Archäologischen Park Xanten den 14. „Tag der Begegnung“.Im vergangenen Jahr in Essen hatte das LVR-Zentrum für Medien und Bildung bei diesem Ereignis erstmalig eine barrierefreie Mitmach-aktion angeboten: Gemeinsam mit und für Menschen mit und ohne Behinderung wurden kurze Videofilme produziert: Kinder und Jugend-liche grüßten vor einer Greenscreen ihre Eltern, ihre Großeltern oder wen auch immer sie wollten. Diese kurzen Filmsequenzen wurden anschließend am Computer mit einer Hintergrundszene gemischt. Als Ergebnis entstand ein persönlicher Videogruß, den die kleinen und großen Akteurinnen und Akteure auf DVD mit nach Hause nehmen und – ganz wie es ihnen gefiel – nutzen konnten, sei es beispielsweise als Videosignatur an ihren E-Mails oder als Teil ihres Profils in ihren sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter.

Die positive Resonanz auf diesen besonderen Programmbeitrag hat das LVR-Zentrum für Medien und Bildung bewogen, dieses Angebot auch beim kommenden „Tag der Begegnung“ wieder anzubieten, weil nicht nur die „Schauspielerinnen und Schauspieler“ Mittelpunkt einer fröhlichen und ganz und gar nicht alltäglichen Mitmachaktion waren, sondern wirklich alle Beteiligten großen Spaß bei den Dreharbeiten hatten. – Weitere Infos: www.tag-der-begegnung.lvr.de/

12. 03.2011Bildungskongress 2011: Lernen erfolgreich gestalten

Foto: Dominik Schmitz, LVR-Zentrum für Medien und Bildung

28.05.2011Tag der Begegnung

Foto: Andreas Schiblon, LVR-Zentrum für Medien und Bildung

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Nach zweijähriger Umbauphase wurde am 13. Juli 2010 in Essen die Alte Synagoge als Zentrum für Jüdische Kultur wieder eröffnet. Wegen der um-fangreichen Baumaßnahmen und der völlig neuen Ausstellungskonzeption darf man getrost auch von einer Neueröffnung sprechen, zumal der Bau eine sehr wechselvolle Geschichte aufweist: 1913 geweiht, aber nur 25 Jahre – bis zur Reichspogromnacht 1938 – hat das Gebäude als Synagoge gedient. Den Krieg überstand die Synagoge im Vergleich zur Essener Innenstadt relativ unbeschadet, danach folgte ein langer Leerstand, anschließend die Nutzung als Aus-stellungsraum und ab 1980 als Gedenkstätte. Erst die Umgestaltung 2008-2010 erlaubt es, die ursprüngli-che architektonische Intention nachzuempfinden und das Haus als Ausstellungs- und Begegnungsstätte zu nutzen.

Tanzen im Glaskasten... und Chillen über dem ThoraschreinDie Wiedereröffnung der Alten Synagoge in Essen

Michael Jakobs

Foto: Jürgen Vogel, LVR-Zentrum für Medien und Bildung

Beim Betreten überwältigt zunächst der Raumein-druck: Die klare, wohl proportionierte Halle in sanf-tem Apricot ist ein Erlebnis, die hellblaue Kuppel wirkt fern wie der Himmel – der Blick schweift durch den Raum und findet Halt im majestätischen Tho-raschrein. Aber nicht nur wurde die Synagoge „ent-kernt“ und wurden die Ausstellungsbereiche völlig neu gestaltet, auch thematisch hat das Haus eine grundlegende Neuausrichtung erfahren. Die Ausstel-lung ist nun in fünf Themenbereiche untergliedert, deren Schwerpunkt auf der jüdischen Alltagskultur liegt: In der Abteilung „Jüdischer Way of Life“ – auf der Frauenempore – steht zwischen Kochbüchern und Kinoplakaten, Tanzstation und Bücherregal ein Touchscreen, auf dem sich Bilder von neun Metro-polen aufrufen lassen. Wenige Schritte entfernt, in

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Zu israelischer Volksmusik werden an der Tanzstation traditionelle Volkstänze lebendig. Eine Filmprojektion tanzender Menschen in Le-bensgröße lädt zum Mittanzen ein. (oben links)

Besucherinnen und Besucher können am Touchscreen-Tisch „Zentren jüdischen Lebens auf der Welt“ erkunden und Informationen über Synagogen, Kultureinrichtungen und Orte jüdischen Lebens in Berlin, New York oder Antwerpen entdecken. Zu den ersten Gästen gehörte LVR-Kulturdezernentin Milena Karabaic, die sich von Tom Lovens (LVR-Zentrum für Medien und Bildung) den Multitouchtisch erklären ließ. (unten links)

Hochleistungsbeamer projizieren in Rundfelder über dem Thoraschrein kreisförmige Bilder zur Geschichte der Synagoge. Die wechselnden Bildarrangements können in Ruhe von darunter platzierten Liegen aus betrachtet werden. (rechts)

Fotos: Jürgen Vogel, LVR-Zentrum für Medien und Bildung

einer Vitrine, liegen Kippot (Kippot: Plural von Kippa = jüdische Kopfbedeckung,) neben einem Superman-T-Shirt mit Davidstern und einer Baseballkappe mit dem Wappen von Israel. An den Seiten der Empore werden „Jüdische Feste“ illustriert, auf dem Mezza-nin wird die Geschichte der Gemeinde dokumentiert. Auf der Orgelempore über dem Thoraschrein wird die Geschichte des Hauses erzählt und im Seminar-raum darunter werden „Quellen jüdischer Tradition“ ausgebreitet.

Der besondere Reiz der Neugestaltung liegt darin, dass sich die großartige Architektur mit der moder-nen Ausstellungsgestaltung spannungsvoll ergänzt.

Verantwortlich für die Konzeption und Realisie-rung der gesamten Medienplanung und -produktion war das LVR-Zentrum für Medien und Bildung. Der Einsatz der unterschiedlichen Medieninstallationen

ermöglicht den Besucherinnen und Besuchern eine abwechslungsreiche Entdeckungsreise durch die jüdische Kultur mit vielen Überraschungen.

Alte Synagoge, Steeler Strasse 29, 45127 EssenÖffnungszeiten: Di - So, 10 - 18 Uhr.Der Eintritt ist frei, ein Audio-Guide kann kostenlos ausgeliehen werden.

Weitere Informationen auf der Webseite der Alten Synagoge: www.essen.de/Deutsch/Rathaus/Aemter/Ordner_45_9/Alte_Syna-goge/Start.asp?navibereich=as&O_highmain=1&O_highsub=0&O_highsubsub=0

Michael Jakobs ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit im LVR-Zentrum für Medien und Bildung.

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Ausgestorbene Giganten stehen ab dem 13. April im Mittelpunkt der neuen Sonderaus-stellung im LVR-LandesMuseum Bonn: Die Eurasischen Altelefanten aus Neumark-Nord.

Rund 200.000 Jahre alt ist der Schatz, den Archäologen während vieler Jahre vor den Schaufelradbaggern in der Braunkohlegru-be Neumark-Nord gerettet haben. In den fossilen Sedimenten blieben die Relikte eines ganzen Seebiotops erhalten, das die Vielfalt und die Fremdartigkeit einer längst vergangenen Urwelt zeigt.

Von Schmeißfliegen und kleinen Käfern bis hin zu Hyänen und Höhlenlöwen: Die extrem gut erhaltenen Reste von exotischen Tieren und sagenhaften 186 Pflanzenarten illust-rieren anschaulich die Vielfalt eines gera-dezu südländischen Ökosystems im Herzen Europas, das während einer Wärmephase des Eiszeitalters existierte.

Spektakulärste Funde der über mehr als zehn Jahre andauernden Ausgrabungen: Die Über-reste von 70 Eurasischen Altelefanten, die im und am See starben. Die Dimensionen dieser Kolosse waren überwältigend: Sie überragten mit mehr als vier Me-tern deutlich die Größe ihrer heutigen Artgenossen. Ihre gut erhaltenen Skelette bieten eine weltweit ein-zigartige Möglichkeit zur Erforschung der packenden Evolutionsgeschichte dieser für uns heute fremden Geschöpfe.

Die Seeuferzonen waren aber auch häufig aufgesuch-te Jagdreviere und verschiedene Werkzeuge belegen die Anwesenheit des Urmenschen – Vorläufer des Neandertalers.

Die Ausstellung zeigt in einzigartiger Fülle und Qua-lität den Reichtum und die Fremdartigkeit der Tier- und Pflanzenwelt einer längst vergangenen Urwelt. Höhepunkt sind die Fossilien – und die naturgetreue Rekonstruktion eines altsteinzeitlichen Elefanten.

Die Ausstellung im LVR-LandesMuseum Bonn wird durch zahlreiche rheinische Funde rund um das Origi-nal des Neandertalers und die neuesten Forschungen zu den eiszeitlichen Jägern aus dem LVR-Landes-

Michael Jakobs ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit im LVR-Zentrum für Medien und Bildung.

Elefantenreich – eine Fossilwelt in Europa

Michael Jakobs

Ausstellungsimpression © LDA Sachsen-Anhalt, Foto: Juraj Lipták

Museum ergänzt und bietet so einen einzigartigen Einblick in die faszinierende Welt vor 200.000 Jahren, als die Neandertaler in Europa Nashörnern, Büffeln, Elefanten und Höhlenlöwen begegneten.

Eine Ausstellung im LVR-LandesMuseum Bonn in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt/Landesmuseum für Vorgeschichte Halle an der Saale

13. April – 6. November 2011 Öffnungszeiten: Di., Do., Fr. und Sa.: 10.00 - 18.00 Uhr, Mi.: 10.00 - 21.00 Uhr, So.: 10.00 - 18.00 Uhr, Mo. geschlossen

Hinweise rund um die Ausstellung, zu Sonderveranstaltungen und weitere nützliche Informationen unter: www.lvr.de/kultur/museen/rheinisches_landesmuseum_bonn.htm

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Herausgeber: Landschaftsverband RheinlandLandeshauptstadt DüsseldorfLVR-Zentrum für Medien und Bildung Medienzentrum für die Landeshauptstadt DüsseldorfMedienberatung NRWSchulmanagement NRW

Gesamtredaktion Manfred Kremers

Verantwortlich für den Themenschwerpunkt: Dagmar MissalChristiane Thomsa

Autorinnen und AutorenChristin ArensProf. Dr. Gudrun Marci-BoehnckeJan BoelmannSilke HerrenbrückMichael JakobsDr. Markus KösterDr. Martin KöttManfred Kremers Dagmar MissalInes MüllerLothar PalmDr. Joachim PaulIrena PioreckiKarsten SchilliesKatja TäuberChristiane ThomsaDr. Michael TroesserWolfgang VaupelBurkhard WeltermannKarsten WennerGerti Wißing

Impressum

LVR-Zentrum für Medien und BildungMedienzentrum für dieLandeshauptstadt Düsseldorf

impressum

ISSN 1615-7257

Postanschrift: Postfach 103453, 40025 Düsseldorf

Besucheranschrift: Bertha-von-Suttner-Platz 1, 40227 Düsseldorf

Kontakt: Telefon: +49 (0) 211 27404-0Fax: +49 (0) 211 27404-3200E-Mail: [email protected] Internet: www.medien-und-bildung.lvr.de

Layout/Reinzeichnung: Manfred Kremers

Druck: Knipping Druckerei und Verlag GmbH, Düsseldorf Auflage: 6000

Der „Medienbrief“ erscheint zweimal jährlich und ist kostenlos.

Bildnachweis:Titelbild und Rückseite: Dominik Schmitz, LVR-Zentrum für Medien und Bildung

Signatur: DS 005175 Signatur: DS 004928

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ISSN 1615-7257

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Bertha-von-Suttner-Platz 1, 40227 Düsseldorfwww.medien-und-bildung.lvr.de