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MATHEMATIK I ur Informatiker und Ingenieure 2018/2019 Patrick Dondl Original von Ernst Kuwert Abteilung f¨ ur Angewandte Mathematik Universit¨ at Freiburg

M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

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Page 1: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

M A T H E M A T I K Ifur Informatiker und Ingenieure

20182019

Patrick Dondl

Original von Ernst Kuwert

Abteilung fur Angewandte Mathematik

Universitat Freiburg

Inhaltsverzeichnis

1 Grundlegende Strukturen 111 Aussagen 112 Mengen und Aussageformen 213 Aussagen in der Mathematik 314 Abbildungen 315 Zahlen 516 Vollstandige Induktion 817 Geometrie im Rn 1318 Die komplexen Zahlen 18

2 Funktionen Grenzwerte Stetigkeit 2121 Reelle Funktionen 2122 Polynome und rationale Funktionen 2223 Kreisfunktionen 2624 Zahlenfolgen und Grenzwerte 3025 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen 38

3 Differentialrechnung fur Funktionen einer Variablen 4231 Die Ableitung Definition und Regeln 42

i

Kapitel 1

Grundlegende Strukturen

11 Aussagen

Als Aussage im Mathematischen Sinne bezeichnen wir ein sprachliches Gebilde dem entwederder Wahrheitswert wahr (w) oder falsch (f) zugeordnet werden kann

Mittels einer Wahrheitstabelle lassen sich einfache Zusammenhange zwischen Aussagen Aus-sagen gut darstellen

Aussage wahrfalsch

ArdquoEs sind mehr als 10 Personen im Rundbauldquo w

BrdquoEs sind weniger als 20 Personen im Rundbauldquo f

Aus gegebenen Aussagen lassen sich neue Aussagen generieren AB seien Aussagen

1 Nicht A (rdquonotAldquo) ist die Negation von A

A notAw ff w

2 A oder B (rdquoA or Bldquo) ist wahr genau dann wenn mindestens eine der Aussagen A B

wahr ist A und B (rdquoA and Bldquo) ist wahr genau dann wenn beide Aussagen A B wahr

sindA B A orB A andB

w w w wf w w fw f w ff f f f

3 Aus A folgt B (rdquoA rArr Bldquo) ist wahr genau dann wenn die Aussage A die Aussage B

impliziert A ist aquivalent zu B (rdquoA hArr Bldquo) ist wahr genau dann wenn die Aussage A

die Aussage B impliziert und die Aussage B die Aussage A impliziert

Bemerkung 111 Um A rArr B zu zeigen kann man annehmen dass A wahr ist und mussdann B folgern

1

12 Mengen und Aussageformen

Mengen Die Frage was eigentlich genau eine Menge ist ist schwer zu beantworten Wirbegnugen uns damit die Existenz einiger bestimmter Mengen anzunehmen und daraus neueMengen zu generieren

Die Objekte nennen wir Elemente der Menge Die Notation a isin M bedeutet dass a einElement der Menge M ist andernfalls schreiben wir a isin M Die Entscheidung ob irgendeinObjekt a Element vonM ist oder nicht muss mithilfe der Beschreibung vonM immer moglichsein

Endliche Mengen lassen sich durch Aufzahlung ihrer Elemente beschreiben wir schreibenA = 1 3 15 32 als die Menge welche die Zahlen 1 3 15 und 32 als Elemente enthalt Wirschreiben 1 isin A fur

rdquoDie Menge A enthalt das Element 1ldquo

Beispiel 121 Das griechische Alphabet ist die Menge

M = αβ γ δ 983171 ζ η θ ικλ micro ν ξ oπ ρσ τ υφψχψω

Die Elemente sind die einzelnen Buchstaben und wir haben M durch Aufzahlen aller Ele-mente angegeben Die Menge M bleibt gleich wenn wir die Reihenfolge in der Aufzahlungandern Oft werden die Elemente nur unvollstandig aufgezahlt in der Erwartung dass mansich den Rest denken kann M = α ωBeispiel 122 Eine (erstaunlich) wichtige Menge ist die leere Menge empty welche keine Elementeenthalt

Eine Menge M heiszligt Teilmenge der Menge N wenn jedes Element von M auch Element vonN ist (Notation M sub N) Gibt es auszligerdem mindestens ein Element von N das nicht zu Mgehort so ist M eine echte Teilmenge von N

Beispiel 123 Beispiel unter den Studierenden der Mikrosystemtechnik bilden diemannlichen eine echte Teilmenge das heiszligt es gibt mindestens eine Studentin

Statt M sub N schreiben wir manchmal auch N sup M also N ist Obermenge von M Es giltA = B falls A sub B und B sub A

Aussageformen Es sei nun M eine Menge und E eine Eigenschaft von der fur jedesElement in M uberpruft werden kann ob die Eigenschaft fur dieses Element zutrifft Wirnennen dann E ist eine

rdquoAussageformldquo und schreiben auch E(x) um die Abhangigkeit von x

in M zu unterstreichen E(x) ist dann eine Aussage

Man kann nun aus M eine Teilmenge mit den Elementen erzeugen welche die Eigenschaft Ebesitzen Wir schreiben

X = x isin M E(x)

Aus gegebenen Mengen lassen sich auch auf andere Art neue Mengen erzeugen X und Yseien Mengen Die Vereinigung X cup Y ist die Menge der Elemente welche in X oder in Y(oder in beiden) sind Der Schnitt X capY ist die Menge der Elemente welche sowohl in X alsauch in Y sind Falls X sub Y so ist die Differenzmenge Y X die Menge der Elemente welchein Y aber nicht in X enthalten sind Ist A eine gegebene Grundmenge und X sub A so nennenwir XC = A X das Komplement von X Das Komplement hangt von der Grundmenge Xab die Aussage ich trinke alles auszliger Ganter hat verschiedene Bedeutung je nachdem ob siesich auf die alle badischen Biere bezieht oder auf alle alkoholischen Getranke

2

Bemerkung 124 Auszliger der Vereinigungsmenge lassen sich die oben eingefuhrten abgeleite-ten Mengen auch mithilfe von Aussageformen darstellen so ist beispielsweise

X cap Y = x isin X x isin Y = x isin Y x isin X

Wir benotigen weiters die sogenannten Quantorenforall a isin A E(a) fur alle a isin A gilt Eigenschaft E(a)exist a isin A E(a) es gibt ein a isin A mit Eigenschaft E(a)

Aus Grunden der Lesbarkeit werden wir andornot nicht verwenden und forall exist sowie hArr ehersparsam

13 Aussagen in der Mathematik

Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin aus einigen fundamentalen Aussa-gen welche als wahr angenommen werden (sogenannten Axiomen) moglichst viele weiterenutzliche und wahre Aussagen abzuleiten (und deren Wahrheit durch Aneinanderreihungelementar nachvollziehbarer Schritte zu beweisen) Eine solche bewiesene wahre Aussage be-zeichnet man als Satz Als Lemma oder Proposition bezeichnet man kleinere Satze welchezum Beweis eines wichtigen Satzes benotigt werden (im Wesentlichen dient dies nur zurStrukturierung eines Beweises im Sinne eines leichteren Verstandnisses)Eine noch nicht bewiesene Aussage in der Mathematik von deren Wahrheit aber viele Mathe-matiker uberzeugt sind nennt man Vermutung Ein Beispiel dazu ist die sogenannte Collatz-Vermutung

14 Abbildungen

Seien XY Mengen Eine Abbildung von X nach Y (gleichbedeutend eine Funktion auf Xmit Werten in Y ) schreiben wir in der Form

f X rarr Y x 983041rarr f(x)

Jedem x isin X wird genau ein Bildpunkt (Funktionswert) f(x) isin Y zugeordnet Die MengeX heiszligt Definitionsbereich von f Mit dem Bild von f meinen wir die Menge der Bildpunkte(Menge der Funktionswerte)

f(X) = f(x) x isin X sub Y

Das Urbild einer Menge B sub Y unter f ist die Menge

fminus1(B) = x isin X f(x) isin B

Verkleinern des Definitionsbereichs ergibt eine Einschrankung von f Fur A sub X ist

f |A A rarr Y983043f |A

983044(x) = f(x) fur alle x isin A

Beispiel 141 Sei X die Menge aller Waren in einem Supermarkt und Y die Menge allermoglichen Preise in Euro Ordnen wir jeder Ware x isin X einen Preis f(x) isin Y zu so habenwir eine Funktion f X rarr Y Das Urbild der Menge 0 99 ist die Menge der Waren die0 99 kosten Betrachten wir statt aller Waren nur die Menge W der Wurstwaren so ergibtsich die Einschrankung f |W

3

Eine naheliegende Abbildung ist idX X rarr X idX(x) = x die Identitat oder identischeAbbildung auf X Die Verkettung (oder Hintereinanderschaltung) von Abbildungen f X rarrY und g Y rarr Z ist

g f Xfrarr Y

grarr Z (g f)(x) = g(f(x))

Eine aus der Schule bekannte Moglichkeit sich Funktionen bzw Abbildungen vorzustellenbietet der Graph Dazu bilden wir das kartesische Produkt

X times Y = (x y) x isin X y isin Y

Es gilt (x y) = (xprime yprime) genau wenn x = xprime und y = yprime Der Graph von f ist die Teilmenge

Gf = (x f(x)) x isin X sub X times Y

Als nachstes drei Begriffe zum Abbildungsverhalten f X rarr Y heiszligt

injektiv wenn gilt aus f(x) = f(xprime) folgt x = xprime

surjektiv wenn gilt zu jedem y isin Y gibt es ein x isin X mit f(x) = y (also Y = f(X))

bijektiv wenn f injektiv und surjektiv ist

Ordnen wir jedem Kind seine Mutter zu so erhalten wir eine Abbildung von der Menge Kaller Kinder in die Menge F aller Frauen Diese Abbildung ist nicht surjektiv denn nichtjede Frau ist Mutter Sie ist auch nicht injektiv denn es gibt Mutter mit mehr als einem Kind

Fur die Gleichung f(x) = y mit y isin Y gegeben bedeuten die Begriffe Folgendes finjektiv heiszligt die Gleichung hat hochstens eine Losung f surjektiv heiszligt es gibt mindestenseine Losung Ist f X rarr Y bijektiv so hat die Gleichung genau eine Losung Indem wirjedem y isin Y die jeweilige Losung zuordnen erhalten wir eine Abbildung g Y rarr Xy 983041rarr g(y) mit

f(g(y)) = y fur alle y isin Y also f g = idY

Wahlen wir in der Gleichung als rechte Seite y = f(x) so ist x die Losung das heiszligt

g(f(x)) = x und damit g f = idX

Es ist leicht zu sehen dass g Y rarr X ebenfalls bijektiv ist (Ubungsaufgabe) Wir nennen g =fminus1 die zu f inverse Abbildung oder Umkehrfunktion Fur den Graphen der Umkehrfunktionsehen wir indem wir y = f(x) substituieren

Gfminus1 = (y fminus1(y)) y isin Y = (f(x) x) x isin X sub Y timesX

Der Graph ergibt sich also durch ldquoSpiegelung an der Winkelhalbierendenrdquo

Beispiel 142 Bezeichne mit p1 p2 die Projektionen von X times Y auf die Faktoren gewisser-maszligen die Koordinaten Also

p1 X times Y rarr X p1983043(x y)

983044= x p2 X times Y rarr Y p2

983043(x y)

983044= y

4

Ist f X rarr Y eine Funktion so ist die Abbildung

F X rarr Gf F (x) = (x f(x))

bijektiv die Umkehrabbildung ist p1|Gf Gf rarr X Es folgt fur f die Darstellung

f = p2 (p1|Gf)minus1

Die Funktion f ist also durch ihren Graph Gf bestimmt

15 Zahlen

Aus der Schule kennen wir die Zahlen N sub Z sub Q

N = 1 2 3 naturliche ZahlenZ = minus2minus1 0 1 2 ganze ZahlenQ = p

q |q isin N p isin Z rationale Zahlen

Die reellen Zahlen R fassen wir als Punkte auf der Zahlengeraden auf Anstatt eine abstrakteKonstruktion von R durchzufuhren stellen wir im Folgenden die Regeln (Axiome) in Rzusammen Die Gesetze der Addition und Multiplikation lauten wie folgt

+ bull

Assoziativgesetz (a+ b) + c = a+ (b+ c) (a middot b) middot c = a middot (b middot c)

Kommutativgesetz a+ b = b+ a a middot b = b middot a

Neutrales Element a+ 0 = a a middot 1 = a

Inverses Element a+ (minusa) = 0 a middot 1a= 1 falls a ∕= 0

Distributivgesetz a middot (b+ c) = a middot b+ a middot c

Alle bekannten Rechenregeln wie zum Beispiel (minusa)(minusb) = ab konnen daraus hergeleitetwerden Wir erwahnen die Nullteilerfreiheit

Aus a middot b = 0 folgt a = 0 oder b = 0

Denn ist a ∕= 0 so folgt

b =

9830611

amiddot a

983062middot b = 1

amiddot (a middot b) = 1

amiddot 0 = 0

Den Punkt bei der Multiplikation lassen wir meistens weg Auch die Regeln der Bruchrech-nung lassen sich aus den Korperaxiomen herleiten wir listen sie hier auf

Satz 151 (Bruchrechnung) Fur a b c d isin R mit c d ∕= 0 gilt

(1)a

c+

b

d=

ad+ bc

cd(Gleichnamig machen von Bruchen)

5

(2)a

cmiddot bd=

ab

cd(Multiplikation von Bruchen)

(3)ac

bd=

ad

bc falls zusatzlich b ∕= 0 (Division von Bruchen)

Als nachstes erklaren wir die Anordnung von R Die Ungleichung a lt b bedeutet auf derZahlengeraden dass a links von b liegt bzw aminus b links von Null Offenbar gilt genau eine derRelationen a lt b a gt b oder a = b Hier einige Regeln

- Aus a b gt 0 folgt a+ b gt 0 und a middot b gt 0

- Aus a gt b b gt c folgt a gt c (Transitivitat)

- Aus a gt b und c gt d folgt a+ c gt b+ d (Addition von Ungleichungen)

- Aus a gt b folgt

983083ac gt bc falls c gt 0

ac lt bc falls c lt 0(Multiplikation mit einer Zahl)

Wir wollen diese und weitere Regeln nicht herleiten Eine wichtige Konsequenz ist Quadratein R sind nichtnegativ denn

a2 =

983083a middot a gt 0 im Fall a gt 0

(minusa) middot (minusa) gt 0 im Fall minus a gt 0

Definition 152 Der Betrag einer Zahl a isin R ist

|a| =983069

a falls a ge 0minusa falls a lt 0

(11)

Auf der Zahlengeraden ist |a| der Abstand zum Nullpunkt Die Definition des Betrags hatfolgende Konsequenz Wenn Sie ein Betragszeichen beseitigen mochten mussen Sie eine Fall-unterscheidung machen

Satz 153 (Rechnen mit Betragen) Fur a b isin R gelten folgende Aussagen

(1) |minus a| = |a| und a le |a|

(2) |a| ge 0 aus Gleichheit folgt a = 0

(3) |ab| = |a| middot |b|

(4) |a+ b| le |a|+ |b|

(5) |aminus b| ge ||a|minus |b||

Beweis Aus Definition 152 folgt

|minus a| =983069

minusa falls minus a ge 0minus(minusa) falls minus a le 0

=

983069minusa falls a le 0a falls a ge 0

= |a|

Weiter folgt (2) aus

|a|minus a =

9830690 falls a ge 0minusaminus a ge 0 falls a le 0

6

In (3) bleiben die linke und rechte Seite gleich wenn wir a durch minusa ersetzen dasselbe giltbezuglich b Also konnen wir a b ge 0 annehmen und erhalten |ab| = ab = |a| middot |b| wie verlangtFur (4) schatzen wir mit (1) wie folgt ab

|a+ b| = plusmn(a+ b) = plusmna+ (plusmnb) le |a|+ |b|

Schlieszliglich gilt |a| = |aminusb+b| le |aminusb|+|b| nach (4) also |aminusb| ge |a|minus|b| Durch Vertauschenvon a und b folgt (5)

Alle bis jetzt zusammengestellten Regeln gelten auch fur die rationalen Zahlen Das folgendeBeispiel zeigt aber dass wir mit den rationalen Zahlen nicht auskommen werden Wir sehenhier ein typisches Beispiel fur einen indirekten Beweis

Beispiel 154 Es gibt kein x isin Q mit x2 = 2 Angenommen doch dann konnen wir x gt 0annehmen (ersetze x durch minusx) und weiter nach Kurzen x = pq mit p q isin N nicht beidegerade Aber dann folgt

p2

q2= 2 rArr p2 = 2q2 rArr p = 2pprime rArr 4(pprime)2 = 2q2 rArr q = 2qprime

Also sind p q doch beide gerade ein Widerspruch Wir haben benutzt dass fur p ungeradeauch p2 ungerade ist Die Quadrate von ungeraden Zahlen haben nur die Endziffern 1 9 5

Der Unterschied zwischen Q und R ist die Vollstandigkeit das heiszligt in R konnen wirbeliebige Grenzprozesse durchfuhren Zum Beispiel konnen wir Schritt fur Schritt die Ziffernder Dezimalentwicklung von

radic2 = 1 4142 bestimmen Im ersten Schritt ist 12 lt 2 und

22 gt 2 also nehmen wir die 1 Im zweiten Schritt ist 1 42 = 1 96 zu klein 1 52 = 2 25zu groszlig also kommt die 4 Auf diese Weise erhalten wir eine Folge die die irrationale Zahlradic2 approximiert (in welchem Sinne das genau zu verstehen ist sehen wir in Abschnitt 24)

Wir wollen nun eine Version der Vollstandigkeit von R genauer formulieren und fuhrengleichzeitig einige Begriffe ein

Fur a b isin R mit a lt b definieren wir die Intervalle

(a b) = x isin R a lt x lt b offenes Intervall

[a b] = x isin R a le x le b abgeschlossenes Intervall

[a b) = x isin R a le x lt b rechtsseitig offen linksseitig abgeschlossen

(a b] = x isin R a lt x le b linksseitig offen rechtsseitig abgeschlossen

|I| = bminus a fur ein Intervall I Intervalllange

Es ist praktisch +infin und minusinfin als offene Intervallgrenzen zugelassen zum Beispiel ist(minusinfin 1] = x isin R minusinfin lt x le 1 Beachten Sie plusmninfin sind keine reellen Zahlen

Definition 155 Die Menge M sub R heiszligt

nach oben beschrankt hArr exist b isin R mit x le b fur alle x isin M

nach unten beschrankt hArr exist a isin R mit x ge a fur alle x isin M

Die Zahl b heiszligt dann obere Schranke (a untere Schranke) Weiter heiszligt M beschankt wennM nach oben und unten beschrankt ist

7

Beispiel 156 Die Menge [0 1) ist nach oben beschrankt eine obere Schranke ist zum Beispielb = 2012 Es gibt in [0 1) aber kein groszligtes Element denn es gilt

x isin [0 1) rArr x+ 1

2isin [0 1) und

x+ 1

2gt x

Unter den oberen Schranken von [0 1) gibt es aber eine kleinste namlich die Zahl 1

Die folgende Eigenschaft ist nun fur die reellen Zahlen charakteristisch

Vollstandigkeitsaxiom Jede nach oben beschrankte Menge M sub R hat eine klein-ste obere Schranke

Die Aussage dass S isin R kleinste obere Schranke von M ist bedeutet zwei Dinge

(1) S ist eine obere Schranke von M das heiszligt x le S fur alle x isin M

(2) S ist kleinstmoglich das heiszligt fur alle Sprime lt S gibt es ein x isin M mit x gt Sprime

Wir bezeichnen die kleinste obere Schranke mit S = supM (Supremum von M) Ist M nichtnach oben beschrankt so definieren wir supM = +infin Analog ist das Infimum infM diegroszligte untere Schranke definiert

Wie liegen nun die rationalen Zahlen in R drin Die naturlichen Zahlen N sind nichtnach oben beschrankt denn andernfalls haben diese ein Supremum S isin R Dann ist S minus 1keine obere Schranke das heiszligt es gibt ein n isin N mit n gt S minus 1 oder n+ 1 gt S Damit istS keine obere Schranke Widerspruch Es folgt weiter

Zu jedem x isin R mit x gt 0 gibt es ein n isin N mit1

nlt x

Denn sonst ware N durch 1x nach oben beschrankt Dies bedeutet weiter dass in jedem

nichtleeren Intervall (a b) rationale Zahlen liegen Dazu wahlen wir n isin N mit 1n lt b minus aEin ganzzahliges Vielfaches von 1n muss dann im Intervall (a b) liegen

16 Vollstandige Induktion

Es sei E(n) eine Aussageform die durch einsetzen einer beliebigen naturlichen Zahl n zueiner Aussage wird Wir mochten nun Aussagen der Form

Fur alle n isin N gilt E(n)

beweisen

Beispiel 161 Wir definieren

sn = 1 + 3 + 5 + middot middot middot+ (2n+ 1)

Alternativ konnen wir auch eine Rekursionsformel schreiben

s1 = 4

sn = snminus1 + (2n+ 1)

8

Es ergibt sich damit

s1 = 4

s2 = 9

s3 = 16

s4 = 25

etc

Das legt die Vermutung nahe dass es sich bei den Zahlen sn fur jedes n um eine Quadratzahlhandelt In der Tat gilt der folgende

Satz 162 Fur alle n isin N giltsn = (n+ 1)2

Das Beweisverfahren der vollstandigen Induktion beruht auf folgendem Prinzip

Sei E(n) eine Folge von Aussagen fur n isin N Es gelte

(1) E(1) ist wahr

(2) E(n) ist wahr rArr E(n+ 1) ist wahr

Dann sind alle Aussagen E(n) fur n isin N wahr

Ein Induktionsbeweis funktioniert immer in zwei Schritten Erst wird die Aussage E(n)fur den Fall n = 1 verifiziert (Induktionsanfang) Im zweiten Schritt wird vorausgesetztdass E(n) fur ein n isin N richtig ist (Induktionsannahme) und daraus E(n + 1) gefolgert(Induktionsschluss dh Beweis der Induktionsbehauptung)

Kommen wir zuruck zum Beispiel Der angegebene Satz lasst sich damit wie folgt beweisen

Beweis von Satz 162 Induktionsanfang Fur n = 1 gile s1 = 4 = 22 = (1+1)2 Die Aussageist also fur n = 1 offensichtlich korrektInduktionsschritt Nun gelte die Aussage fur n isin N also sei sn = (n + 1)2 Wir mussenfolgern dass dann auch gilt sn+1 = (n+ 1 + 1)2 Das kann man nachrechnen

sn+1 = sn + (2(n+ 1) + 1) (nach der Rekursionsformel oben)

= (n+ 1)2 + (2(n+ 1) + 1) (dank Induktionsvoraussetzung)

= (n+ 1)2 + 2(n+ 1) + 1

= ((n+ 1) + 1)2

= (n+ 1 + 1)2

womit die Induktionsbehauptung gezeigt ist Damit ist der Satz nach dem Prinzip dervollstandigen Induktion bewiesen

Statt bei n = 1 kann die Induktion auch bei n0 isin N starten die Aussage gilt dann fur n ge n0Damit zeigen wir folgende nutzliche Ungleichung

9

Satz 163 (Bernoullische Ungleichung) Fur x isin R x ge minus1 und n isin N0 gilt

(1 + x)n ge 1 + nx

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 gilt nach Definition (1 + x)0 = 1 =1 + 0 middot x Wegen 1 + x ge 0 folgt weiter

(1 + x)n+1 = (1 + x) middot (1 + x)n

ge (1 + x) middot (1 + nx) (nach Induktionsannahme)

= 1 + (n+ 1)x+ nx2

ge 1 + (n+ 1)x

Viele weitere Aussagen lassen sich durch vollstandige Induktion beweisen

Satz 164 (Geometrische Summe) Sei x isin R x ∕= 1 Dann gilt fur alle n isin N0

1 + x+ + xn =

n983131

k=0

xk =1minus xk+1

1minus x

Beweis Wir zeigen das wieder durch vollstandige Induktion wobei wir bei n = 0 beginnen

0983131

k=0

xk = x0 = 1 =1minus x0+1

1minus x

Jetzt gelte die Formel fur ein n isin N Dann folgt

n+1983131

k=0

xk =

983075n983131

k=0

xk

983076+ xn+1 E(n)

=1minus xn+1

1minus x+ xn+1 =

1minus x(n+1)+1

1minus x

womit die Behauptung gezeigt ist

Wir wollen als nachstes die Elemente gewisser Mengen zahlen Als erstes zeigen wir dassman beim Verteilen von 4 Briefen auf 3 Briefkasten in mindestens einen Briefkasten mehr alseinen Brief stecken muss

Satz 165 (Schubfachprinzip) Ist f 1 m rarr 1 n injektiv mit mn isin N sofolgt m le n

Beweis Wir fuhren Induktion nach n isin N Fur n = 1 haben wir f 1 m rarr 1injektiv das geht nur furm = 1 Sei nun eine injektive Abbildung f 1 m rarr 1 n+1 gegeben wir mussen zeigen dass m le n + 1 ist Hat die Zahl n + 1 kein Urbild so isttatsachlich f 1 m rarr 1 n und nach Induktion gilt sogar m le n Andernfallshat n+ 1 genau ein Urbild Wenn wir dieses rausschmeiszligen und neu nummerieren erhaltenwir eine Abbildung

f 1 mminus 1 rarr 1 n injektiv

Nach Induktion folgt mminus 1 le n bzw m le n+ 1 wie gewunscht

10

Definition 166 (Machtigkeit von Mengen) 1 Zwei Mengen M und N heiszligengleichmachtig wenn eine bijektive Abbildung zwischen M und N existiert

2 Falls eine Menge M und die Menge 1 n fur ein n isin N gleichmachtig sind so heiszligtM endlich und n = M ist die Anzahl ihrer Elemente Die leere Menge ist ebenfallsendlich mit empty = 0

Dass die Zahl der Elemente eindeutig definiert ist folgt aus dem Schubfachprinzip Wir setzen

n =

n983132

k=1

k = 1 middot 2 middot middot n (n-Fakultat)

Per Dekret ist 0 = 1 (vgl Vereinbarung zum leeren Produkt) Der folgende Satz beantwortetdie Frage nach der Anzahl der moglichen Anordnungen (oder Umordnungen oder Permuta-tionen) von n Dingen

Satz 167 (Zahl der Permutationen) Fur n isin N sei Sn die Menge der bijektiven Abbildungenσ 1 n rarr 1 n Dann gilt Sn = n

Beweis Wir zeigen die Behauptung durch Induktion wobei der Induktionsanfang n = 1offensichtlich ist Sei Sn+1k die Menge der Permutationen von 1 n+1 die die Nummerk auf n+1 abbilden Da die restlichen n Nummern beliebig bijektiv auf 1 n abgebildetwerden hat Sn+1k genau n Elemente nach Induktion Es folgt durch Summation

Sn+1 =

n+1983131

k=1

Sn+1k = (n+ 1) middot n = (n+ 1)

Definition 168 (Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N setzen wir983061α

k

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k sowie

983061α

0

983062= 1

Lemma 169 (Additionstheorem fur Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N erfullendie Binomialkoeffizienten die Formel

983061α+ 1

k

983062=

983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062

Beweis Fur k = 1 ist leicht zu sehen dass die Formel richtig ist Fur k ge 2 berechnen wir983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k +α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2)

1 middot 2 middot middot (k minus 1)

=α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2) middot (αminus k + 1 + k)

1 middot 2 middot middot k

=(α+ 1) middot α middot middot ((α+ 1)minus k + 1)

1 middot 2 middot middot k

=

983061α+ 1

k

983062

11

Im Fall α = n isin N0 erlaubt Lemma 169 die rekursive Berechnung der Binomialkoeffizienten983043nk

983044nach dem Dreiecksschema von Blaise Pascal (1623-1662)

n=0 1n=1 1 1n=2 1 2 1n=3 1 3 3 1n=4 1 4 6 4 1n=5 1 5 10 10 5 1n=6 1 6 15 20 15 6 1

Ebenfalls fur α = n isin N0 folgt durch Erweitern der Binomialkoeffizienten mit (n minus k) diealternative Darstellung

983061n

k

983062=

n

k (nminus k)fur n isin N0 k isin 0 1 n (12)

und daraus weiter die am Diagramm ersichtliche Symmetrieeigenschaft983061n

k

983062=

983061n

nminus k

983062fur n isin N0 k isin 0 1 n (13)

Satz 1610 (Zahl der Kombinationen) Sei n isin N0 und k isin 0 1 n Dann ist dieAnzahl der k-elementigen Teilmengen von 1 n gleich

983043nk

983044

Beweis Es gilt983043n0

983044= 1 nach Definition und die einzige null-elementige Teilmenge von

0 1 n ist die leere Menge Also stimmt die Aussage fur alle n = 0 1 und k = 0 Diek-elementigen Teilmengen von 1 n+ 1 mit k ge 1 zerfallen in zwei Klassen

Klasse 1 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1 nicht

Klasse 2 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1

Klasse 1 besteht genau aus den k-elementigen Teilmengen von 1 n Klasse 2 ergibtsich durch Hinzufugen der Nummer n + 1 zu jeder der (k minus 1)-elementigen Teilmengen von1 n Nach Induktion folgt fur die Gesamtzahl der Elemente mit Lemma 169

983061n

k

983062+

983061n

k minus 1

983062=

983061n+ 1

k

983062

womit der Satz bewiesen ist

Satz 1611 (Binomische Formel) Fur a b isin R und n isin N gilt

(a+ b)n =

n983131

k=0

983061n

k

983062akbnminusk (14)

Beweis Ausmultiplizieren des n-fachen Produkts (a+b)n = (a+b)middot(a+b)middot middot(a+b) mit demDistributivgesetz und Ordnen nach dem Kommutativgesetz liefert Terme der Form akbnminusk furk isin 0 1 n Die Haufigkeit eines solchen Terms ist gleich der Anzahl der Moglichkeitenaus den n Klammern k Klammern auszusuchen in denen a als Faktor genommen wird inden restlichen Klammern muss dann der Faktor b gewahlt werden Nach Satz 1610 kommtakbnminusk also genau

983043nk

983044mal vor

12

17 Geometrie im Rn

Im folgenden sei n isin N zum Beispiel n = 2 oder n = 3 Wir bezeichnen mit Rn das n-fachekartesische Produkt Rtimes times R also die Menge aller n-Tupel

Rn =983153x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 | xi isin R983154

Wir nennen die Elemente von Rn auch Vektoren Zwei Vektoren x y isin Rn sind genau danngleich wenn xi = yi fur alle i = 1 n wenn also alle Koordinaten gleich sind Wir konnenVektoren addieren und mit reellen Zahlen multiplizieren (zum Beispiel strecken)

x+ y =

983091

983109983107x1 + y1

xn + yn

983092

983110983108 λx =

983091

983109983107λx1

λxn

983092

983110983108

In diesem Zusammenhang nennt man die Zahl λ auch einen Skalar und spricht von Skalar-multiplikation Die Standard-Einheitsvektoren sind

ei =

983091

983109983109983109983109983109983109983107

010

983092

983110983110983110983110983110983110983108i fur i = 1 n

Mit ihnen ergibt sich fur jeden Vektor x isin Rn die Darstellung

x =

n983131

i=1

xiei

Die Vektoraddition und Skalarmultiplikation erfullen folgende Regeln die alle direkt aus denDefinitionen folgen

(1) (983187x+ 983187y) + 983187z = 983187x+ (983187y + 983187z)

(2) 983187x+9831870 = 983187x fur alle 983187x mit 9831870 = (0 0) (Nullvektor)

(3) Es gilt 983187x+ (minus983187x) = 9831870

(4) 983187x+ 983187y = 983187y + 983187x

(5) (λ+ micro)983187x = λ983187x+ micro983187x

(6) (λmicro)983187x = λ(micro983187x)

(7) λ(983187x+ 983187y) = λ983187x+ λ983187y

(8) 1 middot 983187x = 983187x

13

Im drei-dimensionalen Raum kann jede Gerade mit R1 = R jede Ebene mit R2 und derRaum selbst mit R3 identifiziert werden indem ein kartesisches Koordinatensystem gewahltwird Wir wollen das erklaren indem wir den Begriff des Euklidischen Raums aus derAnschauung verwenden das heiszligt der Euklidische Abstand zwischen zwei Punkten seianschaulich gegeben Ebenso setzen wir den Begriff der Orthogonalitat fur sich schneidendeGeraden anschaulich voraus

Auf einer Geraden g wahlen wir einen Punkt O den Ursprung (origin) Dann bestehtgO aus zwei Halbgeraden Wir erhalten eine Koordinate x auf g indem wir auf einer derHalbgeraden fur x den Abstand zu O wahlen auf der anderen Halbgeraden den negativenAbstand zu O Die Koordinate x ist eindeutig bestimmt durch die Wahl des Ursprungs Ound die Entscheidung welche Halbgerade die positive ist

In einer Ebene E wahlen wir wieder einen Ursprung O und weiter zwei zueinanderorthogonale Geraden g h durch O Auf g h bestimmen wir jeweils Koordinaten x y wieoben beschrieben Jeder Punkt p isin E kann jetzt auf g und h orthogonal projiziert werdendies liefert fur p die beiden Koordinaten (x y) Die Frage nach der Eindeutigkeit ist nunschon schwieriger Wir nehmen an dass der Ursprung fest ist und betrachten ein zweitesPaar gprime hprime zueinander senkrechter Geraden genauer soll gprime hprime aus g h durch Drehung umeinen Winkel α hervorgehen Dann sieht man (Bild)

x = (cosα)xprime minus (sinα) yprime xprime = (cosα)x+ (sinα) y

y = (sinα)xprime + (cosα) yprime yprime = minus(sinα)x+ (cosα) y

Wir kommen schlieszliglich zur Wahl kartesischer Koordinaten im drei-dimensionalen RaumWieder wahlen wir einen Ursprung O und nun drei zueinander senkrechte Geraden g h ℓSeien x y z die Koordinaten auf den drei einzelnen Geraden wie oben erklart Jeder Punktp im Raum wird auf die drei Geraden orthogonal projiziert und liefert so die Koordinaten(x y z) Die Frage nach der Eindeutigkeit bzw der Umrechnung in ein anderes Koordina-tensystem ist etwas schwieriger wir kommen spater in der Vorlesung darauf zuruck

Indem wir R2 mit einer Ebene bzw R3 mit dem Euklidischen Raum identifizieren(wie oben beschrieben) erhalten wir eine anschauliche Darstellung der VektoradditionVektorsubtraktion und Skalarmultiplikation (Bild)

Die oben benutzten Begriffe Lange und Winkel wollen wir noch genauer erklaren DieEuklidische Lange (oder der Betrag) eines Vektors ist definiert durch

|983187x| =983059 n983131

i=1

x2i

983060 12

fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108

Fur n = 2 ist |983187x| =983155

x21 + x22 dies entspricht also dem Satz von Pythagoras (Bild) Furn = 3 haben wir |983187x| =

983155x21 + x22 + x23 Dies lasst sich ebenfalls mit Pythagoras begrunden

indem der Punkt (x1 x2 0) betrachtet wird (Bild) Offenbar gilt fur 983187x isin Rn λ isin R

|983187x| ge 0 (Gleichheit nur fur 983187x = 9831870)

|λ983187x| = |λ||983187x|

14

Der Euklidische Abstand ist

dist(983187x 983187y) = |983187xminus 983187y| fur 983187x 983187y isin Rn

Insbesondere ist der Betrag gleich dem Abstand zum Nullpunkt ie |983187x| = dist(983187x9831870) Eineweitere nutzliche Groszlige ist das Skalarprodukt zwischen Vektoren im Rn

〈983187x 983187y〉 =n983131

i=1

xiyi fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 983187y =

983091

983109983107y1yn

983092

983110983108

Statt mit Klammern wird das Skalarprodukt oft in der Form 983187x middot983187y geschrieben also mit einemPunkt Wir bleiben aber bei den Klammern Folgende Regeln ergeben sich direkt aus derFormel wobei 983187x 983187y 983187z isin Rn und λ micro isin R

〈983187x 983187y〉 = 〈983187y 983187x〉 (Symmetrie)

〈λ983187x+ micro983187y 983187z〉 = λ〈983187x 983187z〉+ micro〈983187y 983187z〉 (Bilinearitat)

〈983187x 983187x〉 = |983187x|2 ge 0 (Positivitat)

Um nun die Definition des Winkels zu motivieren appellieren wir an das Schulwissen undbetrachten die gleichformige Kreisbewegung

983187c R rarr R2 983187c(t) =

983061cos tsin t

983062

Es gilt |983187c(t)| =983155

(cos t)2 + (sin t)2 = 1 und 983187c(0) = (1 0) Der Punkt 983187c(t) durchlauft den Kreisentgegen dem Uhrzeigersinn mit konstanter Absolutgeschwindigkeit Eins

983187cprime(t) =

983061minus sin tcos t

983062und damit |983187cprime(t)| =

983155(minus sin t)2 + (cos t)2 = 1

Der Einheitskreis hat die Gesamtlange 2π = 6 2831 Als Maszlig fur den Winkel nehmen wirdie Lange des kurzeren Einheitskreisbogens zwischen c(t1) und c(t2) also

ang(983187c(t1)983187c(t2)) = |t1 minus t2| falls |t1 minus t2| le π

Die Bedingung |t1 minus t2| le π garantiert dass der von 983187c(t) auf [t1 t2] durchlaufene Bogenhochstens ein Halbkreis ist Erhalte mit dem Additionstheorem des Kosinus

cosang(983187c(t1)983187c(t2)) = cos |t1 minus t2| = cos t1 cos t2 + sin t1 sin t2 = 〈983187c(t1)983187c(t2)〉

Definition 171 (Winkel zwischen Vektoren) Seien 983187x 983187y isin Rn mit 983187x 983187y ∕= 9831870 Dann definierenwir den Winkel φ = ang(983187x 983187y) isin [0π] durch die Gleichung

cosφ =

983071983187x

|983187x| 983187y

|983187y|

983072

Spezialfall 983187x 983187y sind zueinander senkrecht (orthogonal) genau wenn 〈983187x 983187y〉 = 0

Es ist noch zu begrunden dass die Gleichung in der Definition eine und nur eineLosung φ besitzt Die Funktion Kosinus ist auf dem Intervall [0π] streng monoton fallendmit cos 0 = 1 und cosπ = minus1 (Bild) Sie nimmt daher jeden Wert in [minus1 1] genau einmalan Es bleibt also zu zeigen dass die rechte Seite in der Definition des Winkels im Intervall[minus1 1] liegt Dies ergibt sich aus folgender Ungleichung

15

Satz 172 (Ungleichung von Cauchy-Schwarz) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt

|〈983187x 983187y〉| le |983187x| |983187y|

Gleichheit gilt genau dann wenn 983187x 983187y parallel sind

Beweis Fur Vektoren 983187a983187b mit |983187a| = |983187b| = 1 schatzen wir ab

1plusmn 〈983187a983187b〉 = 1

2

983059|983187a|2 + |983187b|2 plusmn 2〈983187a983187b〉

983060=

1

2|983187aplusmn983187b|2 ge 0

Fur 983187x 983187y ∕= 9831870 beliebig wenden wir das an mit 983187a =983187x

|983187x| 983187b =

983187y

|983187y|

|〈983187x 983187y〉| = |983187x| |983187y| |〈983187a983187b〉| le |983187x||983187y|

Bei Gleichheit gilt fur die Einheitsvektoren

0 = 983187aplusmn983187b =983187x

|983187x| plusmn983187y

|983187y|

das heiszligt 983187x und 983187y sind parallel

Die Definition des Winkels ergibt trivial denKosinussatz in dem von 9831870 983187x 983187y gebildeten Dreieckfolgt namlich (Bild)

|983187xminus 983187y|2 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2〈983187x 983187y〉 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2|983187x||983187y| cosang(983187x 983187y)

Eine Konsequenz der Cauchy-Schwarz Ungleichung ist folgende Eigenschaft des Betrags

Satz 173 (Dreiecksungleichung) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt die Ungleichung

|983187x+ 983187y| le |983187x|+ |983187y|

mit Gleichheit genau wenn 983187x 983187y gleichsinnig parallel sind

Beweis Aus der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt

|983187x+ 983187y|2 = |983187x|2 + 2〈983187x 983187y〉+ |983187y|2 le |983187x|2 + 2|983187x||983187y|+ |983187y|2 = (|983187x|+ |983187y|)2

Durch Wurzelziehen folgt |983187x + 983187y| le |983187x| + |983187y| wie behauptet Bei Gleichheit mussen 983187x und 983187yparallel sein nach Satz 172 Es muss aber auch 〈983187x 983187y〉 ge 0 sein also sind 983187x 983187y gleichsinnigparallel

Statt auf die Koordinatenachsen konnen wir einen Vektor 983187x auch auf eine beliebige Ur-sprungsgerade g projizieren Wird g durch den Einheitsvektor 983187v isin Rn erzeugt das heiszligtg = λ983187v | λ isin R so lautet der Projektionspunkt

983187xg = 〈983187x983187v〉983187v

Denn 983187xg liegt auf der Geraden g und 983187xminus 983187xg steht senkrecht auf g

〈983187xminus 983187xg983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈〈983187x983187v〉983187v983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈983187x983187v〉 〈983187v983187v〉983167 983166983165 983168=1

= 0

16

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

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Inhaltsverzeichnis

1 Grundlegende Strukturen 111 Aussagen 112 Mengen und Aussageformen 213 Aussagen in der Mathematik 314 Abbildungen 315 Zahlen 516 Vollstandige Induktion 817 Geometrie im Rn 1318 Die komplexen Zahlen 18

2 Funktionen Grenzwerte Stetigkeit 2121 Reelle Funktionen 2122 Polynome und rationale Funktionen 2223 Kreisfunktionen 2624 Zahlenfolgen und Grenzwerte 3025 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen 38

3 Differentialrechnung fur Funktionen einer Variablen 4231 Die Ableitung Definition und Regeln 42

i

Kapitel 1

Grundlegende Strukturen

11 Aussagen

Als Aussage im Mathematischen Sinne bezeichnen wir ein sprachliches Gebilde dem entwederder Wahrheitswert wahr (w) oder falsch (f) zugeordnet werden kann

Mittels einer Wahrheitstabelle lassen sich einfache Zusammenhange zwischen Aussagen Aus-sagen gut darstellen

Aussage wahrfalsch

ArdquoEs sind mehr als 10 Personen im Rundbauldquo w

BrdquoEs sind weniger als 20 Personen im Rundbauldquo f

Aus gegebenen Aussagen lassen sich neue Aussagen generieren AB seien Aussagen

1 Nicht A (rdquonotAldquo) ist die Negation von A

A notAw ff w

2 A oder B (rdquoA or Bldquo) ist wahr genau dann wenn mindestens eine der Aussagen A B

wahr ist A und B (rdquoA and Bldquo) ist wahr genau dann wenn beide Aussagen A B wahr

sindA B A orB A andB

w w w wf w w fw f w ff f f f

3 Aus A folgt B (rdquoA rArr Bldquo) ist wahr genau dann wenn die Aussage A die Aussage B

impliziert A ist aquivalent zu B (rdquoA hArr Bldquo) ist wahr genau dann wenn die Aussage A

die Aussage B impliziert und die Aussage B die Aussage A impliziert

Bemerkung 111 Um A rArr B zu zeigen kann man annehmen dass A wahr ist und mussdann B folgern

1

12 Mengen und Aussageformen

Mengen Die Frage was eigentlich genau eine Menge ist ist schwer zu beantworten Wirbegnugen uns damit die Existenz einiger bestimmter Mengen anzunehmen und daraus neueMengen zu generieren

Die Objekte nennen wir Elemente der Menge Die Notation a isin M bedeutet dass a einElement der Menge M ist andernfalls schreiben wir a isin M Die Entscheidung ob irgendeinObjekt a Element vonM ist oder nicht muss mithilfe der Beschreibung vonM immer moglichsein

Endliche Mengen lassen sich durch Aufzahlung ihrer Elemente beschreiben wir schreibenA = 1 3 15 32 als die Menge welche die Zahlen 1 3 15 und 32 als Elemente enthalt Wirschreiben 1 isin A fur

rdquoDie Menge A enthalt das Element 1ldquo

Beispiel 121 Das griechische Alphabet ist die Menge

M = αβ γ δ 983171 ζ η θ ικλ micro ν ξ oπ ρσ τ υφψχψω

Die Elemente sind die einzelnen Buchstaben und wir haben M durch Aufzahlen aller Ele-mente angegeben Die Menge M bleibt gleich wenn wir die Reihenfolge in der Aufzahlungandern Oft werden die Elemente nur unvollstandig aufgezahlt in der Erwartung dass mansich den Rest denken kann M = α ωBeispiel 122 Eine (erstaunlich) wichtige Menge ist die leere Menge empty welche keine Elementeenthalt

Eine Menge M heiszligt Teilmenge der Menge N wenn jedes Element von M auch Element vonN ist (Notation M sub N) Gibt es auszligerdem mindestens ein Element von N das nicht zu Mgehort so ist M eine echte Teilmenge von N

Beispiel 123 Beispiel unter den Studierenden der Mikrosystemtechnik bilden diemannlichen eine echte Teilmenge das heiszligt es gibt mindestens eine Studentin

Statt M sub N schreiben wir manchmal auch N sup M also N ist Obermenge von M Es giltA = B falls A sub B und B sub A

Aussageformen Es sei nun M eine Menge und E eine Eigenschaft von der fur jedesElement in M uberpruft werden kann ob die Eigenschaft fur dieses Element zutrifft Wirnennen dann E ist eine

rdquoAussageformldquo und schreiben auch E(x) um die Abhangigkeit von x

in M zu unterstreichen E(x) ist dann eine Aussage

Man kann nun aus M eine Teilmenge mit den Elementen erzeugen welche die Eigenschaft Ebesitzen Wir schreiben

X = x isin M E(x)

Aus gegebenen Mengen lassen sich auch auf andere Art neue Mengen erzeugen X und Yseien Mengen Die Vereinigung X cup Y ist die Menge der Elemente welche in X oder in Y(oder in beiden) sind Der Schnitt X capY ist die Menge der Elemente welche sowohl in X alsauch in Y sind Falls X sub Y so ist die Differenzmenge Y X die Menge der Elemente welchein Y aber nicht in X enthalten sind Ist A eine gegebene Grundmenge und X sub A so nennenwir XC = A X das Komplement von X Das Komplement hangt von der Grundmenge Xab die Aussage ich trinke alles auszliger Ganter hat verschiedene Bedeutung je nachdem ob siesich auf die alle badischen Biere bezieht oder auf alle alkoholischen Getranke

2

Bemerkung 124 Auszliger der Vereinigungsmenge lassen sich die oben eingefuhrten abgeleite-ten Mengen auch mithilfe von Aussageformen darstellen so ist beispielsweise

X cap Y = x isin X x isin Y = x isin Y x isin X

Wir benotigen weiters die sogenannten Quantorenforall a isin A E(a) fur alle a isin A gilt Eigenschaft E(a)exist a isin A E(a) es gibt ein a isin A mit Eigenschaft E(a)

Aus Grunden der Lesbarkeit werden wir andornot nicht verwenden und forall exist sowie hArr ehersparsam

13 Aussagen in der Mathematik

Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin aus einigen fundamentalen Aussa-gen welche als wahr angenommen werden (sogenannten Axiomen) moglichst viele weiterenutzliche und wahre Aussagen abzuleiten (und deren Wahrheit durch Aneinanderreihungelementar nachvollziehbarer Schritte zu beweisen) Eine solche bewiesene wahre Aussage be-zeichnet man als Satz Als Lemma oder Proposition bezeichnet man kleinere Satze welchezum Beweis eines wichtigen Satzes benotigt werden (im Wesentlichen dient dies nur zurStrukturierung eines Beweises im Sinne eines leichteren Verstandnisses)Eine noch nicht bewiesene Aussage in der Mathematik von deren Wahrheit aber viele Mathe-matiker uberzeugt sind nennt man Vermutung Ein Beispiel dazu ist die sogenannte Collatz-Vermutung

14 Abbildungen

Seien XY Mengen Eine Abbildung von X nach Y (gleichbedeutend eine Funktion auf Xmit Werten in Y ) schreiben wir in der Form

f X rarr Y x 983041rarr f(x)

Jedem x isin X wird genau ein Bildpunkt (Funktionswert) f(x) isin Y zugeordnet Die MengeX heiszligt Definitionsbereich von f Mit dem Bild von f meinen wir die Menge der Bildpunkte(Menge der Funktionswerte)

f(X) = f(x) x isin X sub Y

Das Urbild einer Menge B sub Y unter f ist die Menge

fminus1(B) = x isin X f(x) isin B

Verkleinern des Definitionsbereichs ergibt eine Einschrankung von f Fur A sub X ist

f |A A rarr Y983043f |A

983044(x) = f(x) fur alle x isin A

Beispiel 141 Sei X die Menge aller Waren in einem Supermarkt und Y die Menge allermoglichen Preise in Euro Ordnen wir jeder Ware x isin X einen Preis f(x) isin Y zu so habenwir eine Funktion f X rarr Y Das Urbild der Menge 0 99 ist die Menge der Waren die0 99 kosten Betrachten wir statt aller Waren nur die Menge W der Wurstwaren so ergibtsich die Einschrankung f |W

3

Eine naheliegende Abbildung ist idX X rarr X idX(x) = x die Identitat oder identischeAbbildung auf X Die Verkettung (oder Hintereinanderschaltung) von Abbildungen f X rarrY und g Y rarr Z ist

g f Xfrarr Y

grarr Z (g f)(x) = g(f(x))

Eine aus der Schule bekannte Moglichkeit sich Funktionen bzw Abbildungen vorzustellenbietet der Graph Dazu bilden wir das kartesische Produkt

X times Y = (x y) x isin X y isin Y

Es gilt (x y) = (xprime yprime) genau wenn x = xprime und y = yprime Der Graph von f ist die Teilmenge

Gf = (x f(x)) x isin X sub X times Y

Als nachstes drei Begriffe zum Abbildungsverhalten f X rarr Y heiszligt

injektiv wenn gilt aus f(x) = f(xprime) folgt x = xprime

surjektiv wenn gilt zu jedem y isin Y gibt es ein x isin X mit f(x) = y (also Y = f(X))

bijektiv wenn f injektiv und surjektiv ist

Ordnen wir jedem Kind seine Mutter zu so erhalten wir eine Abbildung von der Menge Kaller Kinder in die Menge F aller Frauen Diese Abbildung ist nicht surjektiv denn nichtjede Frau ist Mutter Sie ist auch nicht injektiv denn es gibt Mutter mit mehr als einem Kind

Fur die Gleichung f(x) = y mit y isin Y gegeben bedeuten die Begriffe Folgendes finjektiv heiszligt die Gleichung hat hochstens eine Losung f surjektiv heiszligt es gibt mindestenseine Losung Ist f X rarr Y bijektiv so hat die Gleichung genau eine Losung Indem wirjedem y isin Y die jeweilige Losung zuordnen erhalten wir eine Abbildung g Y rarr Xy 983041rarr g(y) mit

f(g(y)) = y fur alle y isin Y also f g = idY

Wahlen wir in der Gleichung als rechte Seite y = f(x) so ist x die Losung das heiszligt

g(f(x)) = x und damit g f = idX

Es ist leicht zu sehen dass g Y rarr X ebenfalls bijektiv ist (Ubungsaufgabe) Wir nennen g =fminus1 die zu f inverse Abbildung oder Umkehrfunktion Fur den Graphen der Umkehrfunktionsehen wir indem wir y = f(x) substituieren

Gfminus1 = (y fminus1(y)) y isin Y = (f(x) x) x isin X sub Y timesX

Der Graph ergibt sich also durch ldquoSpiegelung an der Winkelhalbierendenrdquo

Beispiel 142 Bezeichne mit p1 p2 die Projektionen von X times Y auf die Faktoren gewisser-maszligen die Koordinaten Also

p1 X times Y rarr X p1983043(x y)

983044= x p2 X times Y rarr Y p2

983043(x y)

983044= y

4

Ist f X rarr Y eine Funktion so ist die Abbildung

F X rarr Gf F (x) = (x f(x))

bijektiv die Umkehrabbildung ist p1|Gf Gf rarr X Es folgt fur f die Darstellung

f = p2 (p1|Gf)minus1

Die Funktion f ist also durch ihren Graph Gf bestimmt

15 Zahlen

Aus der Schule kennen wir die Zahlen N sub Z sub Q

N = 1 2 3 naturliche ZahlenZ = minus2minus1 0 1 2 ganze ZahlenQ = p

q |q isin N p isin Z rationale Zahlen

Die reellen Zahlen R fassen wir als Punkte auf der Zahlengeraden auf Anstatt eine abstrakteKonstruktion von R durchzufuhren stellen wir im Folgenden die Regeln (Axiome) in Rzusammen Die Gesetze der Addition und Multiplikation lauten wie folgt

+ bull

Assoziativgesetz (a+ b) + c = a+ (b+ c) (a middot b) middot c = a middot (b middot c)

Kommutativgesetz a+ b = b+ a a middot b = b middot a

Neutrales Element a+ 0 = a a middot 1 = a

Inverses Element a+ (minusa) = 0 a middot 1a= 1 falls a ∕= 0

Distributivgesetz a middot (b+ c) = a middot b+ a middot c

Alle bekannten Rechenregeln wie zum Beispiel (minusa)(minusb) = ab konnen daraus hergeleitetwerden Wir erwahnen die Nullteilerfreiheit

Aus a middot b = 0 folgt a = 0 oder b = 0

Denn ist a ∕= 0 so folgt

b =

9830611

amiddot a

983062middot b = 1

amiddot (a middot b) = 1

amiddot 0 = 0

Den Punkt bei der Multiplikation lassen wir meistens weg Auch die Regeln der Bruchrech-nung lassen sich aus den Korperaxiomen herleiten wir listen sie hier auf

Satz 151 (Bruchrechnung) Fur a b c d isin R mit c d ∕= 0 gilt

(1)a

c+

b

d=

ad+ bc

cd(Gleichnamig machen von Bruchen)

5

(2)a

cmiddot bd=

ab

cd(Multiplikation von Bruchen)

(3)ac

bd=

ad

bc falls zusatzlich b ∕= 0 (Division von Bruchen)

Als nachstes erklaren wir die Anordnung von R Die Ungleichung a lt b bedeutet auf derZahlengeraden dass a links von b liegt bzw aminus b links von Null Offenbar gilt genau eine derRelationen a lt b a gt b oder a = b Hier einige Regeln

- Aus a b gt 0 folgt a+ b gt 0 und a middot b gt 0

- Aus a gt b b gt c folgt a gt c (Transitivitat)

- Aus a gt b und c gt d folgt a+ c gt b+ d (Addition von Ungleichungen)

- Aus a gt b folgt

983083ac gt bc falls c gt 0

ac lt bc falls c lt 0(Multiplikation mit einer Zahl)

Wir wollen diese und weitere Regeln nicht herleiten Eine wichtige Konsequenz ist Quadratein R sind nichtnegativ denn

a2 =

983083a middot a gt 0 im Fall a gt 0

(minusa) middot (minusa) gt 0 im Fall minus a gt 0

Definition 152 Der Betrag einer Zahl a isin R ist

|a| =983069

a falls a ge 0minusa falls a lt 0

(11)

Auf der Zahlengeraden ist |a| der Abstand zum Nullpunkt Die Definition des Betrags hatfolgende Konsequenz Wenn Sie ein Betragszeichen beseitigen mochten mussen Sie eine Fall-unterscheidung machen

Satz 153 (Rechnen mit Betragen) Fur a b isin R gelten folgende Aussagen

(1) |minus a| = |a| und a le |a|

(2) |a| ge 0 aus Gleichheit folgt a = 0

(3) |ab| = |a| middot |b|

(4) |a+ b| le |a|+ |b|

(5) |aminus b| ge ||a|minus |b||

Beweis Aus Definition 152 folgt

|minus a| =983069

minusa falls minus a ge 0minus(minusa) falls minus a le 0

=

983069minusa falls a le 0a falls a ge 0

= |a|

Weiter folgt (2) aus

|a|minus a =

9830690 falls a ge 0minusaminus a ge 0 falls a le 0

6

In (3) bleiben die linke und rechte Seite gleich wenn wir a durch minusa ersetzen dasselbe giltbezuglich b Also konnen wir a b ge 0 annehmen und erhalten |ab| = ab = |a| middot |b| wie verlangtFur (4) schatzen wir mit (1) wie folgt ab

|a+ b| = plusmn(a+ b) = plusmna+ (plusmnb) le |a|+ |b|

Schlieszliglich gilt |a| = |aminusb+b| le |aminusb|+|b| nach (4) also |aminusb| ge |a|minus|b| Durch Vertauschenvon a und b folgt (5)

Alle bis jetzt zusammengestellten Regeln gelten auch fur die rationalen Zahlen Das folgendeBeispiel zeigt aber dass wir mit den rationalen Zahlen nicht auskommen werden Wir sehenhier ein typisches Beispiel fur einen indirekten Beweis

Beispiel 154 Es gibt kein x isin Q mit x2 = 2 Angenommen doch dann konnen wir x gt 0annehmen (ersetze x durch minusx) und weiter nach Kurzen x = pq mit p q isin N nicht beidegerade Aber dann folgt

p2

q2= 2 rArr p2 = 2q2 rArr p = 2pprime rArr 4(pprime)2 = 2q2 rArr q = 2qprime

Also sind p q doch beide gerade ein Widerspruch Wir haben benutzt dass fur p ungeradeauch p2 ungerade ist Die Quadrate von ungeraden Zahlen haben nur die Endziffern 1 9 5

Der Unterschied zwischen Q und R ist die Vollstandigkeit das heiszligt in R konnen wirbeliebige Grenzprozesse durchfuhren Zum Beispiel konnen wir Schritt fur Schritt die Ziffernder Dezimalentwicklung von

radic2 = 1 4142 bestimmen Im ersten Schritt ist 12 lt 2 und

22 gt 2 also nehmen wir die 1 Im zweiten Schritt ist 1 42 = 1 96 zu klein 1 52 = 2 25zu groszlig also kommt die 4 Auf diese Weise erhalten wir eine Folge die die irrationale Zahlradic2 approximiert (in welchem Sinne das genau zu verstehen ist sehen wir in Abschnitt 24)

Wir wollen nun eine Version der Vollstandigkeit von R genauer formulieren und fuhrengleichzeitig einige Begriffe ein

Fur a b isin R mit a lt b definieren wir die Intervalle

(a b) = x isin R a lt x lt b offenes Intervall

[a b] = x isin R a le x le b abgeschlossenes Intervall

[a b) = x isin R a le x lt b rechtsseitig offen linksseitig abgeschlossen

(a b] = x isin R a lt x le b linksseitig offen rechtsseitig abgeschlossen

|I| = bminus a fur ein Intervall I Intervalllange

Es ist praktisch +infin und minusinfin als offene Intervallgrenzen zugelassen zum Beispiel ist(minusinfin 1] = x isin R minusinfin lt x le 1 Beachten Sie plusmninfin sind keine reellen Zahlen

Definition 155 Die Menge M sub R heiszligt

nach oben beschrankt hArr exist b isin R mit x le b fur alle x isin M

nach unten beschrankt hArr exist a isin R mit x ge a fur alle x isin M

Die Zahl b heiszligt dann obere Schranke (a untere Schranke) Weiter heiszligt M beschankt wennM nach oben und unten beschrankt ist

7

Beispiel 156 Die Menge [0 1) ist nach oben beschrankt eine obere Schranke ist zum Beispielb = 2012 Es gibt in [0 1) aber kein groszligtes Element denn es gilt

x isin [0 1) rArr x+ 1

2isin [0 1) und

x+ 1

2gt x

Unter den oberen Schranken von [0 1) gibt es aber eine kleinste namlich die Zahl 1

Die folgende Eigenschaft ist nun fur die reellen Zahlen charakteristisch

Vollstandigkeitsaxiom Jede nach oben beschrankte Menge M sub R hat eine klein-ste obere Schranke

Die Aussage dass S isin R kleinste obere Schranke von M ist bedeutet zwei Dinge

(1) S ist eine obere Schranke von M das heiszligt x le S fur alle x isin M

(2) S ist kleinstmoglich das heiszligt fur alle Sprime lt S gibt es ein x isin M mit x gt Sprime

Wir bezeichnen die kleinste obere Schranke mit S = supM (Supremum von M) Ist M nichtnach oben beschrankt so definieren wir supM = +infin Analog ist das Infimum infM diegroszligte untere Schranke definiert

Wie liegen nun die rationalen Zahlen in R drin Die naturlichen Zahlen N sind nichtnach oben beschrankt denn andernfalls haben diese ein Supremum S isin R Dann ist S minus 1keine obere Schranke das heiszligt es gibt ein n isin N mit n gt S minus 1 oder n+ 1 gt S Damit istS keine obere Schranke Widerspruch Es folgt weiter

Zu jedem x isin R mit x gt 0 gibt es ein n isin N mit1

nlt x

Denn sonst ware N durch 1x nach oben beschrankt Dies bedeutet weiter dass in jedem

nichtleeren Intervall (a b) rationale Zahlen liegen Dazu wahlen wir n isin N mit 1n lt b minus aEin ganzzahliges Vielfaches von 1n muss dann im Intervall (a b) liegen

16 Vollstandige Induktion

Es sei E(n) eine Aussageform die durch einsetzen einer beliebigen naturlichen Zahl n zueiner Aussage wird Wir mochten nun Aussagen der Form

Fur alle n isin N gilt E(n)

beweisen

Beispiel 161 Wir definieren

sn = 1 + 3 + 5 + middot middot middot+ (2n+ 1)

Alternativ konnen wir auch eine Rekursionsformel schreiben

s1 = 4

sn = snminus1 + (2n+ 1)

8

Es ergibt sich damit

s1 = 4

s2 = 9

s3 = 16

s4 = 25

etc

Das legt die Vermutung nahe dass es sich bei den Zahlen sn fur jedes n um eine Quadratzahlhandelt In der Tat gilt der folgende

Satz 162 Fur alle n isin N giltsn = (n+ 1)2

Das Beweisverfahren der vollstandigen Induktion beruht auf folgendem Prinzip

Sei E(n) eine Folge von Aussagen fur n isin N Es gelte

(1) E(1) ist wahr

(2) E(n) ist wahr rArr E(n+ 1) ist wahr

Dann sind alle Aussagen E(n) fur n isin N wahr

Ein Induktionsbeweis funktioniert immer in zwei Schritten Erst wird die Aussage E(n)fur den Fall n = 1 verifiziert (Induktionsanfang) Im zweiten Schritt wird vorausgesetztdass E(n) fur ein n isin N richtig ist (Induktionsannahme) und daraus E(n + 1) gefolgert(Induktionsschluss dh Beweis der Induktionsbehauptung)

Kommen wir zuruck zum Beispiel Der angegebene Satz lasst sich damit wie folgt beweisen

Beweis von Satz 162 Induktionsanfang Fur n = 1 gile s1 = 4 = 22 = (1+1)2 Die Aussageist also fur n = 1 offensichtlich korrektInduktionsschritt Nun gelte die Aussage fur n isin N also sei sn = (n + 1)2 Wir mussenfolgern dass dann auch gilt sn+1 = (n+ 1 + 1)2 Das kann man nachrechnen

sn+1 = sn + (2(n+ 1) + 1) (nach der Rekursionsformel oben)

= (n+ 1)2 + (2(n+ 1) + 1) (dank Induktionsvoraussetzung)

= (n+ 1)2 + 2(n+ 1) + 1

= ((n+ 1) + 1)2

= (n+ 1 + 1)2

womit die Induktionsbehauptung gezeigt ist Damit ist der Satz nach dem Prinzip dervollstandigen Induktion bewiesen

Statt bei n = 1 kann die Induktion auch bei n0 isin N starten die Aussage gilt dann fur n ge n0Damit zeigen wir folgende nutzliche Ungleichung

9

Satz 163 (Bernoullische Ungleichung) Fur x isin R x ge minus1 und n isin N0 gilt

(1 + x)n ge 1 + nx

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 gilt nach Definition (1 + x)0 = 1 =1 + 0 middot x Wegen 1 + x ge 0 folgt weiter

(1 + x)n+1 = (1 + x) middot (1 + x)n

ge (1 + x) middot (1 + nx) (nach Induktionsannahme)

= 1 + (n+ 1)x+ nx2

ge 1 + (n+ 1)x

Viele weitere Aussagen lassen sich durch vollstandige Induktion beweisen

Satz 164 (Geometrische Summe) Sei x isin R x ∕= 1 Dann gilt fur alle n isin N0

1 + x+ + xn =

n983131

k=0

xk =1minus xk+1

1minus x

Beweis Wir zeigen das wieder durch vollstandige Induktion wobei wir bei n = 0 beginnen

0983131

k=0

xk = x0 = 1 =1minus x0+1

1minus x

Jetzt gelte die Formel fur ein n isin N Dann folgt

n+1983131

k=0

xk =

983075n983131

k=0

xk

983076+ xn+1 E(n)

=1minus xn+1

1minus x+ xn+1 =

1minus x(n+1)+1

1minus x

womit die Behauptung gezeigt ist

Wir wollen als nachstes die Elemente gewisser Mengen zahlen Als erstes zeigen wir dassman beim Verteilen von 4 Briefen auf 3 Briefkasten in mindestens einen Briefkasten mehr alseinen Brief stecken muss

Satz 165 (Schubfachprinzip) Ist f 1 m rarr 1 n injektiv mit mn isin N sofolgt m le n

Beweis Wir fuhren Induktion nach n isin N Fur n = 1 haben wir f 1 m rarr 1injektiv das geht nur furm = 1 Sei nun eine injektive Abbildung f 1 m rarr 1 n+1 gegeben wir mussen zeigen dass m le n + 1 ist Hat die Zahl n + 1 kein Urbild so isttatsachlich f 1 m rarr 1 n und nach Induktion gilt sogar m le n Andernfallshat n+ 1 genau ein Urbild Wenn wir dieses rausschmeiszligen und neu nummerieren erhaltenwir eine Abbildung

f 1 mminus 1 rarr 1 n injektiv

Nach Induktion folgt mminus 1 le n bzw m le n+ 1 wie gewunscht

10

Definition 166 (Machtigkeit von Mengen) 1 Zwei Mengen M und N heiszligengleichmachtig wenn eine bijektive Abbildung zwischen M und N existiert

2 Falls eine Menge M und die Menge 1 n fur ein n isin N gleichmachtig sind so heiszligtM endlich und n = M ist die Anzahl ihrer Elemente Die leere Menge ist ebenfallsendlich mit empty = 0

Dass die Zahl der Elemente eindeutig definiert ist folgt aus dem Schubfachprinzip Wir setzen

n =

n983132

k=1

k = 1 middot 2 middot middot n (n-Fakultat)

Per Dekret ist 0 = 1 (vgl Vereinbarung zum leeren Produkt) Der folgende Satz beantwortetdie Frage nach der Anzahl der moglichen Anordnungen (oder Umordnungen oder Permuta-tionen) von n Dingen

Satz 167 (Zahl der Permutationen) Fur n isin N sei Sn die Menge der bijektiven Abbildungenσ 1 n rarr 1 n Dann gilt Sn = n

Beweis Wir zeigen die Behauptung durch Induktion wobei der Induktionsanfang n = 1offensichtlich ist Sei Sn+1k die Menge der Permutationen von 1 n+1 die die Nummerk auf n+1 abbilden Da die restlichen n Nummern beliebig bijektiv auf 1 n abgebildetwerden hat Sn+1k genau n Elemente nach Induktion Es folgt durch Summation

Sn+1 =

n+1983131

k=1

Sn+1k = (n+ 1) middot n = (n+ 1)

Definition 168 (Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N setzen wir983061α

k

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k sowie

983061α

0

983062= 1

Lemma 169 (Additionstheorem fur Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N erfullendie Binomialkoeffizienten die Formel

983061α+ 1

k

983062=

983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062

Beweis Fur k = 1 ist leicht zu sehen dass die Formel richtig ist Fur k ge 2 berechnen wir983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k +α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2)

1 middot 2 middot middot (k minus 1)

=α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2) middot (αminus k + 1 + k)

1 middot 2 middot middot k

=(α+ 1) middot α middot middot ((α+ 1)minus k + 1)

1 middot 2 middot middot k

=

983061α+ 1

k

983062

11

Im Fall α = n isin N0 erlaubt Lemma 169 die rekursive Berechnung der Binomialkoeffizienten983043nk

983044nach dem Dreiecksschema von Blaise Pascal (1623-1662)

n=0 1n=1 1 1n=2 1 2 1n=3 1 3 3 1n=4 1 4 6 4 1n=5 1 5 10 10 5 1n=6 1 6 15 20 15 6 1

Ebenfalls fur α = n isin N0 folgt durch Erweitern der Binomialkoeffizienten mit (n minus k) diealternative Darstellung

983061n

k

983062=

n

k (nminus k)fur n isin N0 k isin 0 1 n (12)

und daraus weiter die am Diagramm ersichtliche Symmetrieeigenschaft983061n

k

983062=

983061n

nminus k

983062fur n isin N0 k isin 0 1 n (13)

Satz 1610 (Zahl der Kombinationen) Sei n isin N0 und k isin 0 1 n Dann ist dieAnzahl der k-elementigen Teilmengen von 1 n gleich

983043nk

983044

Beweis Es gilt983043n0

983044= 1 nach Definition und die einzige null-elementige Teilmenge von

0 1 n ist die leere Menge Also stimmt die Aussage fur alle n = 0 1 und k = 0 Diek-elementigen Teilmengen von 1 n+ 1 mit k ge 1 zerfallen in zwei Klassen

Klasse 1 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1 nicht

Klasse 2 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1

Klasse 1 besteht genau aus den k-elementigen Teilmengen von 1 n Klasse 2 ergibtsich durch Hinzufugen der Nummer n + 1 zu jeder der (k minus 1)-elementigen Teilmengen von1 n Nach Induktion folgt fur die Gesamtzahl der Elemente mit Lemma 169

983061n

k

983062+

983061n

k minus 1

983062=

983061n+ 1

k

983062

womit der Satz bewiesen ist

Satz 1611 (Binomische Formel) Fur a b isin R und n isin N gilt

(a+ b)n =

n983131

k=0

983061n

k

983062akbnminusk (14)

Beweis Ausmultiplizieren des n-fachen Produkts (a+b)n = (a+b)middot(a+b)middot middot(a+b) mit demDistributivgesetz und Ordnen nach dem Kommutativgesetz liefert Terme der Form akbnminusk furk isin 0 1 n Die Haufigkeit eines solchen Terms ist gleich der Anzahl der Moglichkeitenaus den n Klammern k Klammern auszusuchen in denen a als Faktor genommen wird inden restlichen Klammern muss dann der Faktor b gewahlt werden Nach Satz 1610 kommtakbnminusk also genau

983043nk

983044mal vor

12

17 Geometrie im Rn

Im folgenden sei n isin N zum Beispiel n = 2 oder n = 3 Wir bezeichnen mit Rn das n-fachekartesische Produkt Rtimes times R also die Menge aller n-Tupel

Rn =983153x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 | xi isin R983154

Wir nennen die Elemente von Rn auch Vektoren Zwei Vektoren x y isin Rn sind genau danngleich wenn xi = yi fur alle i = 1 n wenn also alle Koordinaten gleich sind Wir konnenVektoren addieren und mit reellen Zahlen multiplizieren (zum Beispiel strecken)

x+ y =

983091

983109983107x1 + y1

xn + yn

983092

983110983108 λx =

983091

983109983107λx1

λxn

983092

983110983108

In diesem Zusammenhang nennt man die Zahl λ auch einen Skalar und spricht von Skalar-multiplikation Die Standard-Einheitsvektoren sind

ei =

983091

983109983109983109983109983109983109983107

010

983092

983110983110983110983110983110983110983108i fur i = 1 n

Mit ihnen ergibt sich fur jeden Vektor x isin Rn die Darstellung

x =

n983131

i=1

xiei

Die Vektoraddition und Skalarmultiplikation erfullen folgende Regeln die alle direkt aus denDefinitionen folgen

(1) (983187x+ 983187y) + 983187z = 983187x+ (983187y + 983187z)

(2) 983187x+9831870 = 983187x fur alle 983187x mit 9831870 = (0 0) (Nullvektor)

(3) Es gilt 983187x+ (minus983187x) = 9831870

(4) 983187x+ 983187y = 983187y + 983187x

(5) (λ+ micro)983187x = λ983187x+ micro983187x

(6) (λmicro)983187x = λ(micro983187x)

(7) λ(983187x+ 983187y) = λ983187x+ λ983187y

(8) 1 middot 983187x = 983187x

13

Im drei-dimensionalen Raum kann jede Gerade mit R1 = R jede Ebene mit R2 und derRaum selbst mit R3 identifiziert werden indem ein kartesisches Koordinatensystem gewahltwird Wir wollen das erklaren indem wir den Begriff des Euklidischen Raums aus derAnschauung verwenden das heiszligt der Euklidische Abstand zwischen zwei Punkten seianschaulich gegeben Ebenso setzen wir den Begriff der Orthogonalitat fur sich schneidendeGeraden anschaulich voraus

Auf einer Geraden g wahlen wir einen Punkt O den Ursprung (origin) Dann bestehtgO aus zwei Halbgeraden Wir erhalten eine Koordinate x auf g indem wir auf einer derHalbgeraden fur x den Abstand zu O wahlen auf der anderen Halbgeraden den negativenAbstand zu O Die Koordinate x ist eindeutig bestimmt durch die Wahl des Ursprungs Ound die Entscheidung welche Halbgerade die positive ist

In einer Ebene E wahlen wir wieder einen Ursprung O und weiter zwei zueinanderorthogonale Geraden g h durch O Auf g h bestimmen wir jeweils Koordinaten x y wieoben beschrieben Jeder Punkt p isin E kann jetzt auf g und h orthogonal projiziert werdendies liefert fur p die beiden Koordinaten (x y) Die Frage nach der Eindeutigkeit ist nunschon schwieriger Wir nehmen an dass der Ursprung fest ist und betrachten ein zweitesPaar gprime hprime zueinander senkrechter Geraden genauer soll gprime hprime aus g h durch Drehung umeinen Winkel α hervorgehen Dann sieht man (Bild)

x = (cosα)xprime minus (sinα) yprime xprime = (cosα)x+ (sinα) y

y = (sinα)xprime + (cosα) yprime yprime = minus(sinα)x+ (cosα) y

Wir kommen schlieszliglich zur Wahl kartesischer Koordinaten im drei-dimensionalen RaumWieder wahlen wir einen Ursprung O und nun drei zueinander senkrechte Geraden g h ℓSeien x y z die Koordinaten auf den drei einzelnen Geraden wie oben erklart Jeder Punktp im Raum wird auf die drei Geraden orthogonal projiziert und liefert so die Koordinaten(x y z) Die Frage nach der Eindeutigkeit bzw der Umrechnung in ein anderes Koordina-tensystem ist etwas schwieriger wir kommen spater in der Vorlesung darauf zuruck

Indem wir R2 mit einer Ebene bzw R3 mit dem Euklidischen Raum identifizieren(wie oben beschrieben) erhalten wir eine anschauliche Darstellung der VektoradditionVektorsubtraktion und Skalarmultiplikation (Bild)

Die oben benutzten Begriffe Lange und Winkel wollen wir noch genauer erklaren DieEuklidische Lange (oder der Betrag) eines Vektors ist definiert durch

|983187x| =983059 n983131

i=1

x2i

983060 12

fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108

Fur n = 2 ist |983187x| =983155

x21 + x22 dies entspricht also dem Satz von Pythagoras (Bild) Furn = 3 haben wir |983187x| =

983155x21 + x22 + x23 Dies lasst sich ebenfalls mit Pythagoras begrunden

indem der Punkt (x1 x2 0) betrachtet wird (Bild) Offenbar gilt fur 983187x isin Rn λ isin R

|983187x| ge 0 (Gleichheit nur fur 983187x = 9831870)

|λ983187x| = |λ||983187x|

14

Der Euklidische Abstand ist

dist(983187x 983187y) = |983187xminus 983187y| fur 983187x 983187y isin Rn

Insbesondere ist der Betrag gleich dem Abstand zum Nullpunkt ie |983187x| = dist(983187x9831870) Eineweitere nutzliche Groszlige ist das Skalarprodukt zwischen Vektoren im Rn

〈983187x 983187y〉 =n983131

i=1

xiyi fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 983187y =

983091

983109983107y1yn

983092

983110983108

Statt mit Klammern wird das Skalarprodukt oft in der Form 983187x middot983187y geschrieben also mit einemPunkt Wir bleiben aber bei den Klammern Folgende Regeln ergeben sich direkt aus derFormel wobei 983187x 983187y 983187z isin Rn und λ micro isin R

〈983187x 983187y〉 = 〈983187y 983187x〉 (Symmetrie)

〈λ983187x+ micro983187y 983187z〉 = λ〈983187x 983187z〉+ micro〈983187y 983187z〉 (Bilinearitat)

〈983187x 983187x〉 = |983187x|2 ge 0 (Positivitat)

Um nun die Definition des Winkels zu motivieren appellieren wir an das Schulwissen undbetrachten die gleichformige Kreisbewegung

983187c R rarr R2 983187c(t) =

983061cos tsin t

983062

Es gilt |983187c(t)| =983155

(cos t)2 + (sin t)2 = 1 und 983187c(0) = (1 0) Der Punkt 983187c(t) durchlauft den Kreisentgegen dem Uhrzeigersinn mit konstanter Absolutgeschwindigkeit Eins

983187cprime(t) =

983061minus sin tcos t

983062und damit |983187cprime(t)| =

983155(minus sin t)2 + (cos t)2 = 1

Der Einheitskreis hat die Gesamtlange 2π = 6 2831 Als Maszlig fur den Winkel nehmen wirdie Lange des kurzeren Einheitskreisbogens zwischen c(t1) und c(t2) also

ang(983187c(t1)983187c(t2)) = |t1 minus t2| falls |t1 minus t2| le π

Die Bedingung |t1 minus t2| le π garantiert dass der von 983187c(t) auf [t1 t2] durchlaufene Bogenhochstens ein Halbkreis ist Erhalte mit dem Additionstheorem des Kosinus

cosang(983187c(t1)983187c(t2)) = cos |t1 minus t2| = cos t1 cos t2 + sin t1 sin t2 = 〈983187c(t1)983187c(t2)〉

Definition 171 (Winkel zwischen Vektoren) Seien 983187x 983187y isin Rn mit 983187x 983187y ∕= 9831870 Dann definierenwir den Winkel φ = ang(983187x 983187y) isin [0π] durch die Gleichung

cosφ =

983071983187x

|983187x| 983187y

|983187y|

983072

Spezialfall 983187x 983187y sind zueinander senkrecht (orthogonal) genau wenn 〈983187x 983187y〉 = 0

Es ist noch zu begrunden dass die Gleichung in der Definition eine und nur eineLosung φ besitzt Die Funktion Kosinus ist auf dem Intervall [0π] streng monoton fallendmit cos 0 = 1 und cosπ = minus1 (Bild) Sie nimmt daher jeden Wert in [minus1 1] genau einmalan Es bleibt also zu zeigen dass die rechte Seite in der Definition des Winkels im Intervall[minus1 1] liegt Dies ergibt sich aus folgender Ungleichung

15

Satz 172 (Ungleichung von Cauchy-Schwarz) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt

|〈983187x 983187y〉| le |983187x| |983187y|

Gleichheit gilt genau dann wenn 983187x 983187y parallel sind

Beweis Fur Vektoren 983187a983187b mit |983187a| = |983187b| = 1 schatzen wir ab

1plusmn 〈983187a983187b〉 = 1

2

983059|983187a|2 + |983187b|2 plusmn 2〈983187a983187b〉

983060=

1

2|983187aplusmn983187b|2 ge 0

Fur 983187x 983187y ∕= 9831870 beliebig wenden wir das an mit 983187a =983187x

|983187x| 983187b =

983187y

|983187y|

|〈983187x 983187y〉| = |983187x| |983187y| |〈983187a983187b〉| le |983187x||983187y|

Bei Gleichheit gilt fur die Einheitsvektoren

0 = 983187aplusmn983187b =983187x

|983187x| plusmn983187y

|983187y|

das heiszligt 983187x und 983187y sind parallel

Die Definition des Winkels ergibt trivial denKosinussatz in dem von 9831870 983187x 983187y gebildeten Dreieckfolgt namlich (Bild)

|983187xminus 983187y|2 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2〈983187x 983187y〉 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2|983187x||983187y| cosang(983187x 983187y)

Eine Konsequenz der Cauchy-Schwarz Ungleichung ist folgende Eigenschaft des Betrags

Satz 173 (Dreiecksungleichung) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt die Ungleichung

|983187x+ 983187y| le |983187x|+ |983187y|

mit Gleichheit genau wenn 983187x 983187y gleichsinnig parallel sind

Beweis Aus der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt

|983187x+ 983187y|2 = |983187x|2 + 2〈983187x 983187y〉+ |983187y|2 le |983187x|2 + 2|983187x||983187y|+ |983187y|2 = (|983187x|+ |983187y|)2

Durch Wurzelziehen folgt |983187x + 983187y| le |983187x| + |983187y| wie behauptet Bei Gleichheit mussen 983187x und 983187yparallel sein nach Satz 172 Es muss aber auch 〈983187x 983187y〉 ge 0 sein also sind 983187x 983187y gleichsinnigparallel

Statt auf die Koordinatenachsen konnen wir einen Vektor 983187x auch auf eine beliebige Ur-sprungsgerade g projizieren Wird g durch den Einheitsvektor 983187v isin Rn erzeugt das heiszligtg = λ983187v | λ isin R so lautet der Projektionspunkt

983187xg = 〈983187x983187v〉983187v

Denn 983187xg liegt auf der Geraden g und 983187xminus 983187xg steht senkrecht auf g

〈983187xminus 983187xg983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈〈983187x983187v〉983187v983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈983187x983187v〉 〈983187v983187v〉983167 983166983165 983168=1

= 0

16

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 3: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Kapitel 1

Grundlegende Strukturen

11 Aussagen

Als Aussage im Mathematischen Sinne bezeichnen wir ein sprachliches Gebilde dem entwederder Wahrheitswert wahr (w) oder falsch (f) zugeordnet werden kann

Mittels einer Wahrheitstabelle lassen sich einfache Zusammenhange zwischen Aussagen Aus-sagen gut darstellen

Aussage wahrfalsch

ArdquoEs sind mehr als 10 Personen im Rundbauldquo w

BrdquoEs sind weniger als 20 Personen im Rundbauldquo f

Aus gegebenen Aussagen lassen sich neue Aussagen generieren AB seien Aussagen

1 Nicht A (rdquonotAldquo) ist die Negation von A

A notAw ff w

2 A oder B (rdquoA or Bldquo) ist wahr genau dann wenn mindestens eine der Aussagen A B

wahr ist A und B (rdquoA and Bldquo) ist wahr genau dann wenn beide Aussagen A B wahr

sindA B A orB A andB

w w w wf w w fw f w ff f f f

3 Aus A folgt B (rdquoA rArr Bldquo) ist wahr genau dann wenn die Aussage A die Aussage B

impliziert A ist aquivalent zu B (rdquoA hArr Bldquo) ist wahr genau dann wenn die Aussage A

die Aussage B impliziert und die Aussage B die Aussage A impliziert

Bemerkung 111 Um A rArr B zu zeigen kann man annehmen dass A wahr ist und mussdann B folgern

1

12 Mengen und Aussageformen

Mengen Die Frage was eigentlich genau eine Menge ist ist schwer zu beantworten Wirbegnugen uns damit die Existenz einiger bestimmter Mengen anzunehmen und daraus neueMengen zu generieren

Die Objekte nennen wir Elemente der Menge Die Notation a isin M bedeutet dass a einElement der Menge M ist andernfalls schreiben wir a isin M Die Entscheidung ob irgendeinObjekt a Element vonM ist oder nicht muss mithilfe der Beschreibung vonM immer moglichsein

Endliche Mengen lassen sich durch Aufzahlung ihrer Elemente beschreiben wir schreibenA = 1 3 15 32 als die Menge welche die Zahlen 1 3 15 und 32 als Elemente enthalt Wirschreiben 1 isin A fur

rdquoDie Menge A enthalt das Element 1ldquo

Beispiel 121 Das griechische Alphabet ist die Menge

M = αβ γ δ 983171 ζ η θ ικλ micro ν ξ oπ ρσ τ υφψχψω

Die Elemente sind die einzelnen Buchstaben und wir haben M durch Aufzahlen aller Ele-mente angegeben Die Menge M bleibt gleich wenn wir die Reihenfolge in der Aufzahlungandern Oft werden die Elemente nur unvollstandig aufgezahlt in der Erwartung dass mansich den Rest denken kann M = α ωBeispiel 122 Eine (erstaunlich) wichtige Menge ist die leere Menge empty welche keine Elementeenthalt

Eine Menge M heiszligt Teilmenge der Menge N wenn jedes Element von M auch Element vonN ist (Notation M sub N) Gibt es auszligerdem mindestens ein Element von N das nicht zu Mgehort so ist M eine echte Teilmenge von N

Beispiel 123 Beispiel unter den Studierenden der Mikrosystemtechnik bilden diemannlichen eine echte Teilmenge das heiszligt es gibt mindestens eine Studentin

Statt M sub N schreiben wir manchmal auch N sup M also N ist Obermenge von M Es giltA = B falls A sub B und B sub A

Aussageformen Es sei nun M eine Menge und E eine Eigenschaft von der fur jedesElement in M uberpruft werden kann ob die Eigenschaft fur dieses Element zutrifft Wirnennen dann E ist eine

rdquoAussageformldquo und schreiben auch E(x) um die Abhangigkeit von x

in M zu unterstreichen E(x) ist dann eine Aussage

Man kann nun aus M eine Teilmenge mit den Elementen erzeugen welche die Eigenschaft Ebesitzen Wir schreiben

X = x isin M E(x)

Aus gegebenen Mengen lassen sich auch auf andere Art neue Mengen erzeugen X und Yseien Mengen Die Vereinigung X cup Y ist die Menge der Elemente welche in X oder in Y(oder in beiden) sind Der Schnitt X capY ist die Menge der Elemente welche sowohl in X alsauch in Y sind Falls X sub Y so ist die Differenzmenge Y X die Menge der Elemente welchein Y aber nicht in X enthalten sind Ist A eine gegebene Grundmenge und X sub A so nennenwir XC = A X das Komplement von X Das Komplement hangt von der Grundmenge Xab die Aussage ich trinke alles auszliger Ganter hat verschiedene Bedeutung je nachdem ob siesich auf die alle badischen Biere bezieht oder auf alle alkoholischen Getranke

2

Bemerkung 124 Auszliger der Vereinigungsmenge lassen sich die oben eingefuhrten abgeleite-ten Mengen auch mithilfe von Aussageformen darstellen so ist beispielsweise

X cap Y = x isin X x isin Y = x isin Y x isin X

Wir benotigen weiters die sogenannten Quantorenforall a isin A E(a) fur alle a isin A gilt Eigenschaft E(a)exist a isin A E(a) es gibt ein a isin A mit Eigenschaft E(a)

Aus Grunden der Lesbarkeit werden wir andornot nicht verwenden und forall exist sowie hArr ehersparsam

13 Aussagen in der Mathematik

Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin aus einigen fundamentalen Aussa-gen welche als wahr angenommen werden (sogenannten Axiomen) moglichst viele weiterenutzliche und wahre Aussagen abzuleiten (und deren Wahrheit durch Aneinanderreihungelementar nachvollziehbarer Schritte zu beweisen) Eine solche bewiesene wahre Aussage be-zeichnet man als Satz Als Lemma oder Proposition bezeichnet man kleinere Satze welchezum Beweis eines wichtigen Satzes benotigt werden (im Wesentlichen dient dies nur zurStrukturierung eines Beweises im Sinne eines leichteren Verstandnisses)Eine noch nicht bewiesene Aussage in der Mathematik von deren Wahrheit aber viele Mathe-matiker uberzeugt sind nennt man Vermutung Ein Beispiel dazu ist die sogenannte Collatz-Vermutung

14 Abbildungen

Seien XY Mengen Eine Abbildung von X nach Y (gleichbedeutend eine Funktion auf Xmit Werten in Y ) schreiben wir in der Form

f X rarr Y x 983041rarr f(x)

Jedem x isin X wird genau ein Bildpunkt (Funktionswert) f(x) isin Y zugeordnet Die MengeX heiszligt Definitionsbereich von f Mit dem Bild von f meinen wir die Menge der Bildpunkte(Menge der Funktionswerte)

f(X) = f(x) x isin X sub Y

Das Urbild einer Menge B sub Y unter f ist die Menge

fminus1(B) = x isin X f(x) isin B

Verkleinern des Definitionsbereichs ergibt eine Einschrankung von f Fur A sub X ist

f |A A rarr Y983043f |A

983044(x) = f(x) fur alle x isin A

Beispiel 141 Sei X die Menge aller Waren in einem Supermarkt und Y die Menge allermoglichen Preise in Euro Ordnen wir jeder Ware x isin X einen Preis f(x) isin Y zu so habenwir eine Funktion f X rarr Y Das Urbild der Menge 0 99 ist die Menge der Waren die0 99 kosten Betrachten wir statt aller Waren nur die Menge W der Wurstwaren so ergibtsich die Einschrankung f |W

3

Eine naheliegende Abbildung ist idX X rarr X idX(x) = x die Identitat oder identischeAbbildung auf X Die Verkettung (oder Hintereinanderschaltung) von Abbildungen f X rarrY und g Y rarr Z ist

g f Xfrarr Y

grarr Z (g f)(x) = g(f(x))

Eine aus der Schule bekannte Moglichkeit sich Funktionen bzw Abbildungen vorzustellenbietet der Graph Dazu bilden wir das kartesische Produkt

X times Y = (x y) x isin X y isin Y

Es gilt (x y) = (xprime yprime) genau wenn x = xprime und y = yprime Der Graph von f ist die Teilmenge

Gf = (x f(x)) x isin X sub X times Y

Als nachstes drei Begriffe zum Abbildungsverhalten f X rarr Y heiszligt

injektiv wenn gilt aus f(x) = f(xprime) folgt x = xprime

surjektiv wenn gilt zu jedem y isin Y gibt es ein x isin X mit f(x) = y (also Y = f(X))

bijektiv wenn f injektiv und surjektiv ist

Ordnen wir jedem Kind seine Mutter zu so erhalten wir eine Abbildung von der Menge Kaller Kinder in die Menge F aller Frauen Diese Abbildung ist nicht surjektiv denn nichtjede Frau ist Mutter Sie ist auch nicht injektiv denn es gibt Mutter mit mehr als einem Kind

Fur die Gleichung f(x) = y mit y isin Y gegeben bedeuten die Begriffe Folgendes finjektiv heiszligt die Gleichung hat hochstens eine Losung f surjektiv heiszligt es gibt mindestenseine Losung Ist f X rarr Y bijektiv so hat die Gleichung genau eine Losung Indem wirjedem y isin Y die jeweilige Losung zuordnen erhalten wir eine Abbildung g Y rarr Xy 983041rarr g(y) mit

f(g(y)) = y fur alle y isin Y also f g = idY

Wahlen wir in der Gleichung als rechte Seite y = f(x) so ist x die Losung das heiszligt

g(f(x)) = x und damit g f = idX

Es ist leicht zu sehen dass g Y rarr X ebenfalls bijektiv ist (Ubungsaufgabe) Wir nennen g =fminus1 die zu f inverse Abbildung oder Umkehrfunktion Fur den Graphen der Umkehrfunktionsehen wir indem wir y = f(x) substituieren

Gfminus1 = (y fminus1(y)) y isin Y = (f(x) x) x isin X sub Y timesX

Der Graph ergibt sich also durch ldquoSpiegelung an der Winkelhalbierendenrdquo

Beispiel 142 Bezeichne mit p1 p2 die Projektionen von X times Y auf die Faktoren gewisser-maszligen die Koordinaten Also

p1 X times Y rarr X p1983043(x y)

983044= x p2 X times Y rarr Y p2

983043(x y)

983044= y

4

Ist f X rarr Y eine Funktion so ist die Abbildung

F X rarr Gf F (x) = (x f(x))

bijektiv die Umkehrabbildung ist p1|Gf Gf rarr X Es folgt fur f die Darstellung

f = p2 (p1|Gf)minus1

Die Funktion f ist also durch ihren Graph Gf bestimmt

15 Zahlen

Aus der Schule kennen wir die Zahlen N sub Z sub Q

N = 1 2 3 naturliche ZahlenZ = minus2minus1 0 1 2 ganze ZahlenQ = p

q |q isin N p isin Z rationale Zahlen

Die reellen Zahlen R fassen wir als Punkte auf der Zahlengeraden auf Anstatt eine abstrakteKonstruktion von R durchzufuhren stellen wir im Folgenden die Regeln (Axiome) in Rzusammen Die Gesetze der Addition und Multiplikation lauten wie folgt

+ bull

Assoziativgesetz (a+ b) + c = a+ (b+ c) (a middot b) middot c = a middot (b middot c)

Kommutativgesetz a+ b = b+ a a middot b = b middot a

Neutrales Element a+ 0 = a a middot 1 = a

Inverses Element a+ (minusa) = 0 a middot 1a= 1 falls a ∕= 0

Distributivgesetz a middot (b+ c) = a middot b+ a middot c

Alle bekannten Rechenregeln wie zum Beispiel (minusa)(minusb) = ab konnen daraus hergeleitetwerden Wir erwahnen die Nullteilerfreiheit

Aus a middot b = 0 folgt a = 0 oder b = 0

Denn ist a ∕= 0 so folgt

b =

9830611

amiddot a

983062middot b = 1

amiddot (a middot b) = 1

amiddot 0 = 0

Den Punkt bei der Multiplikation lassen wir meistens weg Auch die Regeln der Bruchrech-nung lassen sich aus den Korperaxiomen herleiten wir listen sie hier auf

Satz 151 (Bruchrechnung) Fur a b c d isin R mit c d ∕= 0 gilt

(1)a

c+

b

d=

ad+ bc

cd(Gleichnamig machen von Bruchen)

5

(2)a

cmiddot bd=

ab

cd(Multiplikation von Bruchen)

(3)ac

bd=

ad

bc falls zusatzlich b ∕= 0 (Division von Bruchen)

Als nachstes erklaren wir die Anordnung von R Die Ungleichung a lt b bedeutet auf derZahlengeraden dass a links von b liegt bzw aminus b links von Null Offenbar gilt genau eine derRelationen a lt b a gt b oder a = b Hier einige Regeln

- Aus a b gt 0 folgt a+ b gt 0 und a middot b gt 0

- Aus a gt b b gt c folgt a gt c (Transitivitat)

- Aus a gt b und c gt d folgt a+ c gt b+ d (Addition von Ungleichungen)

- Aus a gt b folgt

983083ac gt bc falls c gt 0

ac lt bc falls c lt 0(Multiplikation mit einer Zahl)

Wir wollen diese und weitere Regeln nicht herleiten Eine wichtige Konsequenz ist Quadratein R sind nichtnegativ denn

a2 =

983083a middot a gt 0 im Fall a gt 0

(minusa) middot (minusa) gt 0 im Fall minus a gt 0

Definition 152 Der Betrag einer Zahl a isin R ist

|a| =983069

a falls a ge 0minusa falls a lt 0

(11)

Auf der Zahlengeraden ist |a| der Abstand zum Nullpunkt Die Definition des Betrags hatfolgende Konsequenz Wenn Sie ein Betragszeichen beseitigen mochten mussen Sie eine Fall-unterscheidung machen

Satz 153 (Rechnen mit Betragen) Fur a b isin R gelten folgende Aussagen

(1) |minus a| = |a| und a le |a|

(2) |a| ge 0 aus Gleichheit folgt a = 0

(3) |ab| = |a| middot |b|

(4) |a+ b| le |a|+ |b|

(5) |aminus b| ge ||a|minus |b||

Beweis Aus Definition 152 folgt

|minus a| =983069

minusa falls minus a ge 0minus(minusa) falls minus a le 0

=

983069minusa falls a le 0a falls a ge 0

= |a|

Weiter folgt (2) aus

|a|minus a =

9830690 falls a ge 0minusaminus a ge 0 falls a le 0

6

In (3) bleiben die linke und rechte Seite gleich wenn wir a durch minusa ersetzen dasselbe giltbezuglich b Also konnen wir a b ge 0 annehmen und erhalten |ab| = ab = |a| middot |b| wie verlangtFur (4) schatzen wir mit (1) wie folgt ab

|a+ b| = plusmn(a+ b) = plusmna+ (plusmnb) le |a|+ |b|

Schlieszliglich gilt |a| = |aminusb+b| le |aminusb|+|b| nach (4) also |aminusb| ge |a|minus|b| Durch Vertauschenvon a und b folgt (5)

Alle bis jetzt zusammengestellten Regeln gelten auch fur die rationalen Zahlen Das folgendeBeispiel zeigt aber dass wir mit den rationalen Zahlen nicht auskommen werden Wir sehenhier ein typisches Beispiel fur einen indirekten Beweis

Beispiel 154 Es gibt kein x isin Q mit x2 = 2 Angenommen doch dann konnen wir x gt 0annehmen (ersetze x durch minusx) und weiter nach Kurzen x = pq mit p q isin N nicht beidegerade Aber dann folgt

p2

q2= 2 rArr p2 = 2q2 rArr p = 2pprime rArr 4(pprime)2 = 2q2 rArr q = 2qprime

Also sind p q doch beide gerade ein Widerspruch Wir haben benutzt dass fur p ungeradeauch p2 ungerade ist Die Quadrate von ungeraden Zahlen haben nur die Endziffern 1 9 5

Der Unterschied zwischen Q und R ist die Vollstandigkeit das heiszligt in R konnen wirbeliebige Grenzprozesse durchfuhren Zum Beispiel konnen wir Schritt fur Schritt die Ziffernder Dezimalentwicklung von

radic2 = 1 4142 bestimmen Im ersten Schritt ist 12 lt 2 und

22 gt 2 also nehmen wir die 1 Im zweiten Schritt ist 1 42 = 1 96 zu klein 1 52 = 2 25zu groszlig also kommt die 4 Auf diese Weise erhalten wir eine Folge die die irrationale Zahlradic2 approximiert (in welchem Sinne das genau zu verstehen ist sehen wir in Abschnitt 24)

Wir wollen nun eine Version der Vollstandigkeit von R genauer formulieren und fuhrengleichzeitig einige Begriffe ein

Fur a b isin R mit a lt b definieren wir die Intervalle

(a b) = x isin R a lt x lt b offenes Intervall

[a b] = x isin R a le x le b abgeschlossenes Intervall

[a b) = x isin R a le x lt b rechtsseitig offen linksseitig abgeschlossen

(a b] = x isin R a lt x le b linksseitig offen rechtsseitig abgeschlossen

|I| = bminus a fur ein Intervall I Intervalllange

Es ist praktisch +infin und minusinfin als offene Intervallgrenzen zugelassen zum Beispiel ist(minusinfin 1] = x isin R minusinfin lt x le 1 Beachten Sie plusmninfin sind keine reellen Zahlen

Definition 155 Die Menge M sub R heiszligt

nach oben beschrankt hArr exist b isin R mit x le b fur alle x isin M

nach unten beschrankt hArr exist a isin R mit x ge a fur alle x isin M

Die Zahl b heiszligt dann obere Schranke (a untere Schranke) Weiter heiszligt M beschankt wennM nach oben und unten beschrankt ist

7

Beispiel 156 Die Menge [0 1) ist nach oben beschrankt eine obere Schranke ist zum Beispielb = 2012 Es gibt in [0 1) aber kein groszligtes Element denn es gilt

x isin [0 1) rArr x+ 1

2isin [0 1) und

x+ 1

2gt x

Unter den oberen Schranken von [0 1) gibt es aber eine kleinste namlich die Zahl 1

Die folgende Eigenschaft ist nun fur die reellen Zahlen charakteristisch

Vollstandigkeitsaxiom Jede nach oben beschrankte Menge M sub R hat eine klein-ste obere Schranke

Die Aussage dass S isin R kleinste obere Schranke von M ist bedeutet zwei Dinge

(1) S ist eine obere Schranke von M das heiszligt x le S fur alle x isin M

(2) S ist kleinstmoglich das heiszligt fur alle Sprime lt S gibt es ein x isin M mit x gt Sprime

Wir bezeichnen die kleinste obere Schranke mit S = supM (Supremum von M) Ist M nichtnach oben beschrankt so definieren wir supM = +infin Analog ist das Infimum infM diegroszligte untere Schranke definiert

Wie liegen nun die rationalen Zahlen in R drin Die naturlichen Zahlen N sind nichtnach oben beschrankt denn andernfalls haben diese ein Supremum S isin R Dann ist S minus 1keine obere Schranke das heiszligt es gibt ein n isin N mit n gt S minus 1 oder n+ 1 gt S Damit istS keine obere Schranke Widerspruch Es folgt weiter

Zu jedem x isin R mit x gt 0 gibt es ein n isin N mit1

nlt x

Denn sonst ware N durch 1x nach oben beschrankt Dies bedeutet weiter dass in jedem

nichtleeren Intervall (a b) rationale Zahlen liegen Dazu wahlen wir n isin N mit 1n lt b minus aEin ganzzahliges Vielfaches von 1n muss dann im Intervall (a b) liegen

16 Vollstandige Induktion

Es sei E(n) eine Aussageform die durch einsetzen einer beliebigen naturlichen Zahl n zueiner Aussage wird Wir mochten nun Aussagen der Form

Fur alle n isin N gilt E(n)

beweisen

Beispiel 161 Wir definieren

sn = 1 + 3 + 5 + middot middot middot+ (2n+ 1)

Alternativ konnen wir auch eine Rekursionsformel schreiben

s1 = 4

sn = snminus1 + (2n+ 1)

8

Es ergibt sich damit

s1 = 4

s2 = 9

s3 = 16

s4 = 25

etc

Das legt die Vermutung nahe dass es sich bei den Zahlen sn fur jedes n um eine Quadratzahlhandelt In der Tat gilt der folgende

Satz 162 Fur alle n isin N giltsn = (n+ 1)2

Das Beweisverfahren der vollstandigen Induktion beruht auf folgendem Prinzip

Sei E(n) eine Folge von Aussagen fur n isin N Es gelte

(1) E(1) ist wahr

(2) E(n) ist wahr rArr E(n+ 1) ist wahr

Dann sind alle Aussagen E(n) fur n isin N wahr

Ein Induktionsbeweis funktioniert immer in zwei Schritten Erst wird die Aussage E(n)fur den Fall n = 1 verifiziert (Induktionsanfang) Im zweiten Schritt wird vorausgesetztdass E(n) fur ein n isin N richtig ist (Induktionsannahme) und daraus E(n + 1) gefolgert(Induktionsschluss dh Beweis der Induktionsbehauptung)

Kommen wir zuruck zum Beispiel Der angegebene Satz lasst sich damit wie folgt beweisen

Beweis von Satz 162 Induktionsanfang Fur n = 1 gile s1 = 4 = 22 = (1+1)2 Die Aussageist also fur n = 1 offensichtlich korrektInduktionsschritt Nun gelte die Aussage fur n isin N also sei sn = (n + 1)2 Wir mussenfolgern dass dann auch gilt sn+1 = (n+ 1 + 1)2 Das kann man nachrechnen

sn+1 = sn + (2(n+ 1) + 1) (nach der Rekursionsformel oben)

= (n+ 1)2 + (2(n+ 1) + 1) (dank Induktionsvoraussetzung)

= (n+ 1)2 + 2(n+ 1) + 1

= ((n+ 1) + 1)2

= (n+ 1 + 1)2

womit die Induktionsbehauptung gezeigt ist Damit ist der Satz nach dem Prinzip dervollstandigen Induktion bewiesen

Statt bei n = 1 kann die Induktion auch bei n0 isin N starten die Aussage gilt dann fur n ge n0Damit zeigen wir folgende nutzliche Ungleichung

9

Satz 163 (Bernoullische Ungleichung) Fur x isin R x ge minus1 und n isin N0 gilt

(1 + x)n ge 1 + nx

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 gilt nach Definition (1 + x)0 = 1 =1 + 0 middot x Wegen 1 + x ge 0 folgt weiter

(1 + x)n+1 = (1 + x) middot (1 + x)n

ge (1 + x) middot (1 + nx) (nach Induktionsannahme)

= 1 + (n+ 1)x+ nx2

ge 1 + (n+ 1)x

Viele weitere Aussagen lassen sich durch vollstandige Induktion beweisen

Satz 164 (Geometrische Summe) Sei x isin R x ∕= 1 Dann gilt fur alle n isin N0

1 + x+ + xn =

n983131

k=0

xk =1minus xk+1

1minus x

Beweis Wir zeigen das wieder durch vollstandige Induktion wobei wir bei n = 0 beginnen

0983131

k=0

xk = x0 = 1 =1minus x0+1

1minus x

Jetzt gelte die Formel fur ein n isin N Dann folgt

n+1983131

k=0

xk =

983075n983131

k=0

xk

983076+ xn+1 E(n)

=1minus xn+1

1minus x+ xn+1 =

1minus x(n+1)+1

1minus x

womit die Behauptung gezeigt ist

Wir wollen als nachstes die Elemente gewisser Mengen zahlen Als erstes zeigen wir dassman beim Verteilen von 4 Briefen auf 3 Briefkasten in mindestens einen Briefkasten mehr alseinen Brief stecken muss

Satz 165 (Schubfachprinzip) Ist f 1 m rarr 1 n injektiv mit mn isin N sofolgt m le n

Beweis Wir fuhren Induktion nach n isin N Fur n = 1 haben wir f 1 m rarr 1injektiv das geht nur furm = 1 Sei nun eine injektive Abbildung f 1 m rarr 1 n+1 gegeben wir mussen zeigen dass m le n + 1 ist Hat die Zahl n + 1 kein Urbild so isttatsachlich f 1 m rarr 1 n und nach Induktion gilt sogar m le n Andernfallshat n+ 1 genau ein Urbild Wenn wir dieses rausschmeiszligen und neu nummerieren erhaltenwir eine Abbildung

f 1 mminus 1 rarr 1 n injektiv

Nach Induktion folgt mminus 1 le n bzw m le n+ 1 wie gewunscht

10

Definition 166 (Machtigkeit von Mengen) 1 Zwei Mengen M und N heiszligengleichmachtig wenn eine bijektive Abbildung zwischen M und N existiert

2 Falls eine Menge M und die Menge 1 n fur ein n isin N gleichmachtig sind so heiszligtM endlich und n = M ist die Anzahl ihrer Elemente Die leere Menge ist ebenfallsendlich mit empty = 0

Dass die Zahl der Elemente eindeutig definiert ist folgt aus dem Schubfachprinzip Wir setzen

n =

n983132

k=1

k = 1 middot 2 middot middot n (n-Fakultat)

Per Dekret ist 0 = 1 (vgl Vereinbarung zum leeren Produkt) Der folgende Satz beantwortetdie Frage nach der Anzahl der moglichen Anordnungen (oder Umordnungen oder Permuta-tionen) von n Dingen

Satz 167 (Zahl der Permutationen) Fur n isin N sei Sn die Menge der bijektiven Abbildungenσ 1 n rarr 1 n Dann gilt Sn = n

Beweis Wir zeigen die Behauptung durch Induktion wobei der Induktionsanfang n = 1offensichtlich ist Sei Sn+1k die Menge der Permutationen von 1 n+1 die die Nummerk auf n+1 abbilden Da die restlichen n Nummern beliebig bijektiv auf 1 n abgebildetwerden hat Sn+1k genau n Elemente nach Induktion Es folgt durch Summation

Sn+1 =

n+1983131

k=1

Sn+1k = (n+ 1) middot n = (n+ 1)

Definition 168 (Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N setzen wir983061α

k

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k sowie

983061α

0

983062= 1

Lemma 169 (Additionstheorem fur Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N erfullendie Binomialkoeffizienten die Formel

983061α+ 1

k

983062=

983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062

Beweis Fur k = 1 ist leicht zu sehen dass die Formel richtig ist Fur k ge 2 berechnen wir983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k +α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2)

1 middot 2 middot middot (k minus 1)

=α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2) middot (αminus k + 1 + k)

1 middot 2 middot middot k

=(α+ 1) middot α middot middot ((α+ 1)minus k + 1)

1 middot 2 middot middot k

=

983061α+ 1

k

983062

11

Im Fall α = n isin N0 erlaubt Lemma 169 die rekursive Berechnung der Binomialkoeffizienten983043nk

983044nach dem Dreiecksschema von Blaise Pascal (1623-1662)

n=0 1n=1 1 1n=2 1 2 1n=3 1 3 3 1n=4 1 4 6 4 1n=5 1 5 10 10 5 1n=6 1 6 15 20 15 6 1

Ebenfalls fur α = n isin N0 folgt durch Erweitern der Binomialkoeffizienten mit (n minus k) diealternative Darstellung

983061n

k

983062=

n

k (nminus k)fur n isin N0 k isin 0 1 n (12)

und daraus weiter die am Diagramm ersichtliche Symmetrieeigenschaft983061n

k

983062=

983061n

nminus k

983062fur n isin N0 k isin 0 1 n (13)

Satz 1610 (Zahl der Kombinationen) Sei n isin N0 und k isin 0 1 n Dann ist dieAnzahl der k-elementigen Teilmengen von 1 n gleich

983043nk

983044

Beweis Es gilt983043n0

983044= 1 nach Definition und die einzige null-elementige Teilmenge von

0 1 n ist die leere Menge Also stimmt die Aussage fur alle n = 0 1 und k = 0 Diek-elementigen Teilmengen von 1 n+ 1 mit k ge 1 zerfallen in zwei Klassen

Klasse 1 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1 nicht

Klasse 2 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1

Klasse 1 besteht genau aus den k-elementigen Teilmengen von 1 n Klasse 2 ergibtsich durch Hinzufugen der Nummer n + 1 zu jeder der (k minus 1)-elementigen Teilmengen von1 n Nach Induktion folgt fur die Gesamtzahl der Elemente mit Lemma 169

983061n

k

983062+

983061n

k minus 1

983062=

983061n+ 1

k

983062

womit der Satz bewiesen ist

Satz 1611 (Binomische Formel) Fur a b isin R und n isin N gilt

(a+ b)n =

n983131

k=0

983061n

k

983062akbnminusk (14)

Beweis Ausmultiplizieren des n-fachen Produkts (a+b)n = (a+b)middot(a+b)middot middot(a+b) mit demDistributivgesetz und Ordnen nach dem Kommutativgesetz liefert Terme der Form akbnminusk furk isin 0 1 n Die Haufigkeit eines solchen Terms ist gleich der Anzahl der Moglichkeitenaus den n Klammern k Klammern auszusuchen in denen a als Faktor genommen wird inden restlichen Klammern muss dann der Faktor b gewahlt werden Nach Satz 1610 kommtakbnminusk also genau

983043nk

983044mal vor

12

17 Geometrie im Rn

Im folgenden sei n isin N zum Beispiel n = 2 oder n = 3 Wir bezeichnen mit Rn das n-fachekartesische Produkt Rtimes times R also die Menge aller n-Tupel

Rn =983153x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 | xi isin R983154

Wir nennen die Elemente von Rn auch Vektoren Zwei Vektoren x y isin Rn sind genau danngleich wenn xi = yi fur alle i = 1 n wenn also alle Koordinaten gleich sind Wir konnenVektoren addieren und mit reellen Zahlen multiplizieren (zum Beispiel strecken)

x+ y =

983091

983109983107x1 + y1

xn + yn

983092

983110983108 λx =

983091

983109983107λx1

λxn

983092

983110983108

In diesem Zusammenhang nennt man die Zahl λ auch einen Skalar und spricht von Skalar-multiplikation Die Standard-Einheitsvektoren sind

ei =

983091

983109983109983109983109983109983109983107

010

983092

983110983110983110983110983110983110983108i fur i = 1 n

Mit ihnen ergibt sich fur jeden Vektor x isin Rn die Darstellung

x =

n983131

i=1

xiei

Die Vektoraddition und Skalarmultiplikation erfullen folgende Regeln die alle direkt aus denDefinitionen folgen

(1) (983187x+ 983187y) + 983187z = 983187x+ (983187y + 983187z)

(2) 983187x+9831870 = 983187x fur alle 983187x mit 9831870 = (0 0) (Nullvektor)

(3) Es gilt 983187x+ (minus983187x) = 9831870

(4) 983187x+ 983187y = 983187y + 983187x

(5) (λ+ micro)983187x = λ983187x+ micro983187x

(6) (λmicro)983187x = λ(micro983187x)

(7) λ(983187x+ 983187y) = λ983187x+ λ983187y

(8) 1 middot 983187x = 983187x

13

Im drei-dimensionalen Raum kann jede Gerade mit R1 = R jede Ebene mit R2 und derRaum selbst mit R3 identifiziert werden indem ein kartesisches Koordinatensystem gewahltwird Wir wollen das erklaren indem wir den Begriff des Euklidischen Raums aus derAnschauung verwenden das heiszligt der Euklidische Abstand zwischen zwei Punkten seianschaulich gegeben Ebenso setzen wir den Begriff der Orthogonalitat fur sich schneidendeGeraden anschaulich voraus

Auf einer Geraden g wahlen wir einen Punkt O den Ursprung (origin) Dann bestehtgO aus zwei Halbgeraden Wir erhalten eine Koordinate x auf g indem wir auf einer derHalbgeraden fur x den Abstand zu O wahlen auf der anderen Halbgeraden den negativenAbstand zu O Die Koordinate x ist eindeutig bestimmt durch die Wahl des Ursprungs Ound die Entscheidung welche Halbgerade die positive ist

In einer Ebene E wahlen wir wieder einen Ursprung O und weiter zwei zueinanderorthogonale Geraden g h durch O Auf g h bestimmen wir jeweils Koordinaten x y wieoben beschrieben Jeder Punkt p isin E kann jetzt auf g und h orthogonal projiziert werdendies liefert fur p die beiden Koordinaten (x y) Die Frage nach der Eindeutigkeit ist nunschon schwieriger Wir nehmen an dass der Ursprung fest ist und betrachten ein zweitesPaar gprime hprime zueinander senkrechter Geraden genauer soll gprime hprime aus g h durch Drehung umeinen Winkel α hervorgehen Dann sieht man (Bild)

x = (cosα)xprime minus (sinα) yprime xprime = (cosα)x+ (sinα) y

y = (sinα)xprime + (cosα) yprime yprime = minus(sinα)x+ (cosα) y

Wir kommen schlieszliglich zur Wahl kartesischer Koordinaten im drei-dimensionalen RaumWieder wahlen wir einen Ursprung O und nun drei zueinander senkrechte Geraden g h ℓSeien x y z die Koordinaten auf den drei einzelnen Geraden wie oben erklart Jeder Punktp im Raum wird auf die drei Geraden orthogonal projiziert und liefert so die Koordinaten(x y z) Die Frage nach der Eindeutigkeit bzw der Umrechnung in ein anderes Koordina-tensystem ist etwas schwieriger wir kommen spater in der Vorlesung darauf zuruck

Indem wir R2 mit einer Ebene bzw R3 mit dem Euklidischen Raum identifizieren(wie oben beschrieben) erhalten wir eine anschauliche Darstellung der VektoradditionVektorsubtraktion und Skalarmultiplikation (Bild)

Die oben benutzten Begriffe Lange und Winkel wollen wir noch genauer erklaren DieEuklidische Lange (oder der Betrag) eines Vektors ist definiert durch

|983187x| =983059 n983131

i=1

x2i

983060 12

fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108

Fur n = 2 ist |983187x| =983155

x21 + x22 dies entspricht also dem Satz von Pythagoras (Bild) Furn = 3 haben wir |983187x| =

983155x21 + x22 + x23 Dies lasst sich ebenfalls mit Pythagoras begrunden

indem der Punkt (x1 x2 0) betrachtet wird (Bild) Offenbar gilt fur 983187x isin Rn λ isin R

|983187x| ge 0 (Gleichheit nur fur 983187x = 9831870)

|λ983187x| = |λ||983187x|

14

Der Euklidische Abstand ist

dist(983187x 983187y) = |983187xminus 983187y| fur 983187x 983187y isin Rn

Insbesondere ist der Betrag gleich dem Abstand zum Nullpunkt ie |983187x| = dist(983187x9831870) Eineweitere nutzliche Groszlige ist das Skalarprodukt zwischen Vektoren im Rn

〈983187x 983187y〉 =n983131

i=1

xiyi fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 983187y =

983091

983109983107y1yn

983092

983110983108

Statt mit Klammern wird das Skalarprodukt oft in der Form 983187x middot983187y geschrieben also mit einemPunkt Wir bleiben aber bei den Klammern Folgende Regeln ergeben sich direkt aus derFormel wobei 983187x 983187y 983187z isin Rn und λ micro isin R

〈983187x 983187y〉 = 〈983187y 983187x〉 (Symmetrie)

〈λ983187x+ micro983187y 983187z〉 = λ〈983187x 983187z〉+ micro〈983187y 983187z〉 (Bilinearitat)

〈983187x 983187x〉 = |983187x|2 ge 0 (Positivitat)

Um nun die Definition des Winkels zu motivieren appellieren wir an das Schulwissen undbetrachten die gleichformige Kreisbewegung

983187c R rarr R2 983187c(t) =

983061cos tsin t

983062

Es gilt |983187c(t)| =983155

(cos t)2 + (sin t)2 = 1 und 983187c(0) = (1 0) Der Punkt 983187c(t) durchlauft den Kreisentgegen dem Uhrzeigersinn mit konstanter Absolutgeschwindigkeit Eins

983187cprime(t) =

983061minus sin tcos t

983062und damit |983187cprime(t)| =

983155(minus sin t)2 + (cos t)2 = 1

Der Einheitskreis hat die Gesamtlange 2π = 6 2831 Als Maszlig fur den Winkel nehmen wirdie Lange des kurzeren Einheitskreisbogens zwischen c(t1) und c(t2) also

ang(983187c(t1)983187c(t2)) = |t1 minus t2| falls |t1 minus t2| le π

Die Bedingung |t1 minus t2| le π garantiert dass der von 983187c(t) auf [t1 t2] durchlaufene Bogenhochstens ein Halbkreis ist Erhalte mit dem Additionstheorem des Kosinus

cosang(983187c(t1)983187c(t2)) = cos |t1 minus t2| = cos t1 cos t2 + sin t1 sin t2 = 〈983187c(t1)983187c(t2)〉

Definition 171 (Winkel zwischen Vektoren) Seien 983187x 983187y isin Rn mit 983187x 983187y ∕= 9831870 Dann definierenwir den Winkel φ = ang(983187x 983187y) isin [0π] durch die Gleichung

cosφ =

983071983187x

|983187x| 983187y

|983187y|

983072

Spezialfall 983187x 983187y sind zueinander senkrecht (orthogonal) genau wenn 〈983187x 983187y〉 = 0

Es ist noch zu begrunden dass die Gleichung in der Definition eine und nur eineLosung φ besitzt Die Funktion Kosinus ist auf dem Intervall [0π] streng monoton fallendmit cos 0 = 1 und cosπ = minus1 (Bild) Sie nimmt daher jeden Wert in [minus1 1] genau einmalan Es bleibt also zu zeigen dass die rechte Seite in der Definition des Winkels im Intervall[minus1 1] liegt Dies ergibt sich aus folgender Ungleichung

15

Satz 172 (Ungleichung von Cauchy-Schwarz) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt

|〈983187x 983187y〉| le |983187x| |983187y|

Gleichheit gilt genau dann wenn 983187x 983187y parallel sind

Beweis Fur Vektoren 983187a983187b mit |983187a| = |983187b| = 1 schatzen wir ab

1plusmn 〈983187a983187b〉 = 1

2

983059|983187a|2 + |983187b|2 plusmn 2〈983187a983187b〉

983060=

1

2|983187aplusmn983187b|2 ge 0

Fur 983187x 983187y ∕= 9831870 beliebig wenden wir das an mit 983187a =983187x

|983187x| 983187b =

983187y

|983187y|

|〈983187x 983187y〉| = |983187x| |983187y| |〈983187a983187b〉| le |983187x||983187y|

Bei Gleichheit gilt fur die Einheitsvektoren

0 = 983187aplusmn983187b =983187x

|983187x| plusmn983187y

|983187y|

das heiszligt 983187x und 983187y sind parallel

Die Definition des Winkels ergibt trivial denKosinussatz in dem von 9831870 983187x 983187y gebildeten Dreieckfolgt namlich (Bild)

|983187xminus 983187y|2 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2〈983187x 983187y〉 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2|983187x||983187y| cosang(983187x 983187y)

Eine Konsequenz der Cauchy-Schwarz Ungleichung ist folgende Eigenschaft des Betrags

Satz 173 (Dreiecksungleichung) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt die Ungleichung

|983187x+ 983187y| le |983187x|+ |983187y|

mit Gleichheit genau wenn 983187x 983187y gleichsinnig parallel sind

Beweis Aus der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt

|983187x+ 983187y|2 = |983187x|2 + 2〈983187x 983187y〉+ |983187y|2 le |983187x|2 + 2|983187x||983187y|+ |983187y|2 = (|983187x|+ |983187y|)2

Durch Wurzelziehen folgt |983187x + 983187y| le |983187x| + |983187y| wie behauptet Bei Gleichheit mussen 983187x und 983187yparallel sein nach Satz 172 Es muss aber auch 〈983187x 983187y〉 ge 0 sein also sind 983187x 983187y gleichsinnigparallel

Statt auf die Koordinatenachsen konnen wir einen Vektor 983187x auch auf eine beliebige Ur-sprungsgerade g projizieren Wird g durch den Einheitsvektor 983187v isin Rn erzeugt das heiszligtg = λ983187v | λ isin R so lautet der Projektionspunkt

983187xg = 〈983187x983187v〉983187v

Denn 983187xg liegt auf der Geraden g und 983187xminus 983187xg steht senkrecht auf g

〈983187xminus 983187xg983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈〈983187x983187v〉983187v983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈983187x983187v〉 〈983187v983187v〉983167 983166983165 983168=1

= 0

16

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 4: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

12 Mengen und Aussageformen

Mengen Die Frage was eigentlich genau eine Menge ist ist schwer zu beantworten Wirbegnugen uns damit die Existenz einiger bestimmter Mengen anzunehmen und daraus neueMengen zu generieren

Die Objekte nennen wir Elemente der Menge Die Notation a isin M bedeutet dass a einElement der Menge M ist andernfalls schreiben wir a isin M Die Entscheidung ob irgendeinObjekt a Element vonM ist oder nicht muss mithilfe der Beschreibung vonM immer moglichsein

Endliche Mengen lassen sich durch Aufzahlung ihrer Elemente beschreiben wir schreibenA = 1 3 15 32 als die Menge welche die Zahlen 1 3 15 und 32 als Elemente enthalt Wirschreiben 1 isin A fur

rdquoDie Menge A enthalt das Element 1ldquo

Beispiel 121 Das griechische Alphabet ist die Menge

M = αβ γ δ 983171 ζ η θ ικλ micro ν ξ oπ ρσ τ υφψχψω

Die Elemente sind die einzelnen Buchstaben und wir haben M durch Aufzahlen aller Ele-mente angegeben Die Menge M bleibt gleich wenn wir die Reihenfolge in der Aufzahlungandern Oft werden die Elemente nur unvollstandig aufgezahlt in der Erwartung dass mansich den Rest denken kann M = α ωBeispiel 122 Eine (erstaunlich) wichtige Menge ist die leere Menge empty welche keine Elementeenthalt

Eine Menge M heiszligt Teilmenge der Menge N wenn jedes Element von M auch Element vonN ist (Notation M sub N) Gibt es auszligerdem mindestens ein Element von N das nicht zu Mgehort so ist M eine echte Teilmenge von N

Beispiel 123 Beispiel unter den Studierenden der Mikrosystemtechnik bilden diemannlichen eine echte Teilmenge das heiszligt es gibt mindestens eine Studentin

Statt M sub N schreiben wir manchmal auch N sup M also N ist Obermenge von M Es giltA = B falls A sub B und B sub A

Aussageformen Es sei nun M eine Menge und E eine Eigenschaft von der fur jedesElement in M uberpruft werden kann ob die Eigenschaft fur dieses Element zutrifft Wirnennen dann E ist eine

rdquoAussageformldquo und schreiben auch E(x) um die Abhangigkeit von x

in M zu unterstreichen E(x) ist dann eine Aussage

Man kann nun aus M eine Teilmenge mit den Elementen erzeugen welche die Eigenschaft Ebesitzen Wir schreiben

X = x isin M E(x)

Aus gegebenen Mengen lassen sich auch auf andere Art neue Mengen erzeugen X und Yseien Mengen Die Vereinigung X cup Y ist die Menge der Elemente welche in X oder in Y(oder in beiden) sind Der Schnitt X capY ist die Menge der Elemente welche sowohl in X alsauch in Y sind Falls X sub Y so ist die Differenzmenge Y X die Menge der Elemente welchein Y aber nicht in X enthalten sind Ist A eine gegebene Grundmenge und X sub A so nennenwir XC = A X das Komplement von X Das Komplement hangt von der Grundmenge Xab die Aussage ich trinke alles auszliger Ganter hat verschiedene Bedeutung je nachdem ob siesich auf die alle badischen Biere bezieht oder auf alle alkoholischen Getranke

2

Bemerkung 124 Auszliger der Vereinigungsmenge lassen sich die oben eingefuhrten abgeleite-ten Mengen auch mithilfe von Aussageformen darstellen so ist beispielsweise

X cap Y = x isin X x isin Y = x isin Y x isin X

Wir benotigen weiters die sogenannten Quantorenforall a isin A E(a) fur alle a isin A gilt Eigenschaft E(a)exist a isin A E(a) es gibt ein a isin A mit Eigenschaft E(a)

Aus Grunden der Lesbarkeit werden wir andornot nicht verwenden und forall exist sowie hArr ehersparsam

13 Aussagen in der Mathematik

Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin aus einigen fundamentalen Aussa-gen welche als wahr angenommen werden (sogenannten Axiomen) moglichst viele weiterenutzliche und wahre Aussagen abzuleiten (und deren Wahrheit durch Aneinanderreihungelementar nachvollziehbarer Schritte zu beweisen) Eine solche bewiesene wahre Aussage be-zeichnet man als Satz Als Lemma oder Proposition bezeichnet man kleinere Satze welchezum Beweis eines wichtigen Satzes benotigt werden (im Wesentlichen dient dies nur zurStrukturierung eines Beweises im Sinne eines leichteren Verstandnisses)Eine noch nicht bewiesene Aussage in der Mathematik von deren Wahrheit aber viele Mathe-matiker uberzeugt sind nennt man Vermutung Ein Beispiel dazu ist die sogenannte Collatz-Vermutung

14 Abbildungen

Seien XY Mengen Eine Abbildung von X nach Y (gleichbedeutend eine Funktion auf Xmit Werten in Y ) schreiben wir in der Form

f X rarr Y x 983041rarr f(x)

Jedem x isin X wird genau ein Bildpunkt (Funktionswert) f(x) isin Y zugeordnet Die MengeX heiszligt Definitionsbereich von f Mit dem Bild von f meinen wir die Menge der Bildpunkte(Menge der Funktionswerte)

f(X) = f(x) x isin X sub Y

Das Urbild einer Menge B sub Y unter f ist die Menge

fminus1(B) = x isin X f(x) isin B

Verkleinern des Definitionsbereichs ergibt eine Einschrankung von f Fur A sub X ist

f |A A rarr Y983043f |A

983044(x) = f(x) fur alle x isin A

Beispiel 141 Sei X die Menge aller Waren in einem Supermarkt und Y die Menge allermoglichen Preise in Euro Ordnen wir jeder Ware x isin X einen Preis f(x) isin Y zu so habenwir eine Funktion f X rarr Y Das Urbild der Menge 0 99 ist die Menge der Waren die0 99 kosten Betrachten wir statt aller Waren nur die Menge W der Wurstwaren so ergibtsich die Einschrankung f |W

3

Eine naheliegende Abbildung ist idX X rarr X idX(x) = x die Identitat oder identischeAbbildung auf X Die Verkettung (oder Hintereinanderschaltung) von Abbildungen f X rarrY und g Y rarr Z ist

g f Xfrarr Y

grarr Z (g f)(x) = g(f(x))

Eine aus der Schule bekannte Moglichkeit sich Funktionen bzw Abbildungen vorzustellenbietet der Graph Dazu bilden wir das kartesische Produkt

X times Y = (x y) x isin X y isin Y

Es gilt (x y) = (xprime yprime) genau wenn x = xprime und y = yprime Der Graph von f ist die Teilmenge

Gf = (x f(x)) x isin X sub X times Y

Als nachstes drei Begriffe zum Abbildungsverhalten f X rarr Y heiszligt

injektiv wenn gilt aus f(x) = f(xprime) folgt x = xprime

surjektiv wenn gilt zu jedem y isin Y gibt es ein x isin X mit f(x) = y (also Y = f(X))

bijektiv wenn f injektiv und surjektiv ist

Ordnen wir jedem Kind seine Mutter zu so erhalten wir eine Abbildung von der Menge Kaller Kinder in die Menge F aller Frauen Diese Abbildung ist nicht surjektiv denn nichtjede Frau ist Mutter Sie ist auch nicht injektiv denn es gibt Mutter mit mehr als einem Kind

Fur die Gleichung f(x) = y mit y isin Y gegeben bedeuten die Begriffe Folgendes finjektiv heiszligt die Gleichung hat hochstens eine Losung f surjektiv heiszligt es gibt mindestenseine Losung Ist f X rarr Y bijektiv so hat die Gleichung genau eine Losung Indem wirjedem y isin Y die jeweilige Losung zuordnen erhalten wir eine Abbildung g Y rarr Xy 983041rarr g(y) mit

f(g(y)) = y fur alle y isin Y also f g = idY

Wahlen wir in der Gleichung als rechte Seite y = f(x) so ist x die Losung das heiszligt

g(f(x)) = x und damit g f = idX

Es ist leicht zu sehen dass g Y rarr X ebenfalls bijektiv ist (Ubungsaufgabe) Wir nennen g =fminus1 die zu f inverse Abbildung oder Umkehrfunktion Fur den Graphen der Umkehrfunktionsehen wir indem wir y = f(x) substituieren

Gfminus1 = (y fminus1(y)) y isin Y = (f(x) x) x isin X sub Y timesX

Der Graph ergibt sich also durch ldquoSpiegelung an der Winkelhalbierendenrdquo

Beispiel 142 Bezeichne mit p1 p2 die Projektionen von X times Y auf die Faktoren gewisser-maszligen die Koordinaten Also

p1 X times Y rarr X p1983043(x y)

983044= x p2 X times Y rarr Y p2

983043(x y)

983044= y

4

Ist f X rarr Y eine Funktion so ist die Abbildung

F X rarr Gf F (x) = (x f(x))

bijektiv die Umkehrabbildung ist p1|Gf Gf rarr X Es folgt fur f die Darstellung

f = p2 (p1|Gf)minus1

Die Funktion f ist also durch ihren Graph Gf bestimmt

15 Zahlen

Aus der Schule kennen wir die Zahlen N sub Z sub Q

N = 1 2 3 naturliche ZahlenZ = minus2minus1 0 1 2 ganze ZahlenQ = p

q |q isin N p isin Z rationale Zahlen

Die reellen Zahlen R fassen wir als Punkte auf der Zahlengeraden auf Anstatt eine abstrakteKonstruktion von R durchzufuhren stellen wir im Folgenden die Regeln (Axiome) in Rzusammen Die Gesetze der Addition und Multiplikation lauten wie folgt

+ bull

Assoziativgesetz (a+ b) + c = a+ (b+ c) (a middot b) middot c = a middot (b middot c)

Kommutativgesetz a+ b = b+ a a middot b = b middot a

Neutrales Element a+ 0 = a a middot 1 = a

Inverses Element a+ (minusa) = 0 a middot 1a= 1 falls a ∕= 0

Distributivgesetz a middot (b+ c) = a middot b+ a middot c

Alle bekannten Rechenregeln wie zum Beispiel (minusa)(minusb) = ab konnen daraus hergeleitetwerden Wir erwahnen die Nullteilerfreiheit

Aus a middot b = 0 folgt a = 0 oder b = 0

Denn ist a ∕= 0 so folgt

b =

9830611

amiddot a

983062middot b = 1

amiddot (a middot b) = 1

amiddot 0 = 0

Den Punkt bei der Multiplikation lassen wir meistens weg Auch die Regeln der Bruchrech-nung lassen sich aus den Korperaxiomen herleiten wir listen sie hier auf

Satz 151 (Bruchrechnung) Fur a b c d isin R mit c d ∕= 0 gilt

(1)a

c+

b

d=

ad+ bc

cd(Gleichnamig machen von Bruchen)

5

(2)a

cmiddot bd=

ab

cd(Multiplikation von Bruchen)

(3)ac

bd=

ad

bc falls zusatzlich b ∕= 0 (Division von Bruchen)

Als nachstes erklaren wir die Anordnung von R Die Ungleichung a lt b bedeutet auf derZahlengeraden dass a links von b liegt bzw aminus b links von Null Offenbar gilt genau eine derRelationen a lt b a gt b oder a = b Hier einige Regeln

- Aus a b gt 0 folgt a+ b gt 0 und a middot b gt 0

- Aus a gt b b gt c folgt a gt c (Transitivitat)

- Aus a gt b und c gt d folgt a+ c gt b+ d (Addition von Ungleichungen)

- Aus a gt b folgt

983083ac gt bc falls c gt 0

ac lt bc falls c lt 0(Multiplikation mit einer Zahl)

Wir wollen diese und weitere Regeln nicht herleiten Eine wichtige Konsequenz ist Quadratein R sind nichtnegativ denn

a2 =

983083a middot a gt 0 im Fall a gt 0

(minusa) middot (minusa) gt 0 im Fall minus a gt 0

Definition 152 Der Betrag einer Zahl a isin R ist

|a| =983069

a falls a ge 0minusa falls a lt 0

(11)

Auf der Zahlengeraden ist |a| der Abstand zum Nullpunkt Die Definition des Betrags hatfolgende Konsequenz Wenn Sie ein Betragszeichen beseitigen mochten mussen Sie eine Fall-unterscheidung machen

Satz 153 (Rechnen mit Betragen) Fur a b isin R gelten folgende Aussagen

(1) |minus a| = |a| und a le |a|

(2) |a| ge 0 aus Gleichheit folgt a = 0

(3) |ab| = |a| middot |b|

(4) |a+ b| le |a|+ |b|

(5) |aminus b| ge ||a|minus |b||

Beweis Aus Definition 152 folgt

|minus a| =983069

minusa falls minus a ge 0minus(minusa) falls minus a le 0

=

983069minusa falls a le 0a falls a ge 0

= |a|

Weiter folgt (2) aus

|a|minus a =

9830690 falls a ge 0minusaminus a ge 0 falls a le 0

6

In (3) bleiben die linke und rechte Seite gleich wenn wir a durch minusa ersetzen dasselbe giltbezuglich b Also konnen wir a b ge 0 annehmen und erhalten |ab| = ab = |a| middot |b| wie verlangtFur (4) schatzen wir mit (1) wie folgt ab

|a+ b| = plusmn(a+ b) = plusmna+ (plusmnb) le |a|+ |b|

Schlieszliglich gilt |a| = |aminusb+b| le |aminusb|+|b| nach (4) also |aminusb| ge |a|minus|b| Durch Vertauschenvon a und b folgt (5)

Alle bis jetzt zusammengestellten Regeln gelten auch fur die rationalen Zahlen Das folgendeBeispiel zeigt aber dass wir mit den rationalen Zahlen nicht auskommen werden Wir sehenhier ein typisches Beispiel fur einen indirekten Beweis

Beispiel 154 Es gibt kein x isin Q mit x2 = 2 Angenommen doch dann konnen wir x gt 0annehmen (ersetze x durch minusx) und weiter nach Kurzen x = pq mit p q isin N nicht beidegerade Aber dann folgt

p2

q2= 2 rArr p2 = 2q2 rArr p = 2pprime rArr 4(pprime)2 = 2q2 rArr q = 2qprime

Also sind p q doch beide gerade ein Widerspruch Wir haben benutzt dass fur p ungeradeauch p2 ungerade ist Die Quadrate von ungeraden Zahlen haben nur die Endziffern 1 9 5

Der Unterschied zwischen Q und R ist die Vollstandigkeit das heiszligt in R konnen wirbeliebige Grenzprozesse durchfuhren Zum Beispiel konnen wir Schritt fur Schritt die Ziffernder Dezimalentwicklung von

radic2 = 1 4142 bestimmen Im ersten Schritt ist 12 lt 2 und

22 gt 2 also nehmen wir die 1 Im zweiten Schritt ist 1 42 = 1 96 zu klein 1 52 = 2 25zu groszlig also kommt die 4 Auf diese Weise erhalten wir eine Folge die die irrationale Zahlradic2 approximiert (in welchem Sinne das genau zu verstehen ist sehen wir in Abschnitt 24)

Wir wollen nun eine Version der Vollstandigkeit von R genauer formulieren und fuhrengleichzeitig einige Begriffe ein

Fur a b isin R mit a lt b definieren wir die Intervalle

(a b) = x isin R a lt x lt b offenes Intervall

[a b] = x isin R a le x le b abgeschlossenes Intervall

[a b) = x isin R a le x lt b rechtsseitig offen linksseitig abgeschlossen

(a b] = x isin R a lt x le b linksseitig offen rechtsseitig abgeschlossen

|I| = bminus a fur ein Intervall I Intervalllange

Es ist praktisch +infin und minusinfin als offene Intervallgrenzen zugelassen zum Beispiel ist(minusinfin 1] = x isin R minusinfin lt x le 1 Beachten Sie plusmninfin sind keine reellen Zahlen

Definition 155 Die Menge M sub R heiszligt

nach oben beschrankt hArr exist b isin R mit x le b fur alle x isin M

nach unten beschrankt hArr exist a isin R mit x ge a fur alle x isin M

Die Zahl b heiszligt dann obere Schranke (a untere Schranke) Weiter heiszligt M beschankt wennM nach oben und unten beschrankt ist

7

Beispiel 156 Die Menge [0 1) ist nach oben beschrankt eine obere Schranke ist zum Beispielb = 2012 Es gibt in [0 1) aber kein groszligtes Element denn es gilt

x isin [0 1) rArr x+ 1

2isin [0 1) und

x+ 1

2gt x

Unter den oberen Schranken von [0 1) gibt es aber eine kleinste namlich die Zahl 1

Die folgende Eigenschaft ist nun fur die reellen Zahlen charakteristisch

Vollstandigkeitsaxiom Jede nach oben beschrankte Menge M sub R hat eine klein-ste obere Schranke

Die Aussage dass S isin R kleinste obere Schranke von M ist bedeutet zwei Dinge

(1) S ist eine obere Schranke von M das heiszligt x le S fur alle x isin M

(2) S ist kleinstmoglich das heiszligt fur alle Sprime lt S gibt es ein x isin M mit x gt Sprime

Wir bezeichnen die kleinste obere Schranke mit S = supM (Supremum von M) Ist M nichtnach oben beschrankt so definieren wir supM = +infin Analog ist das Infimum infM diegroszligte untere Schranke definiert

Wie liegen nun die rationalen Zahlen in R drin Die naturlichen Zahlen N sind nichtnach oben beschrankt denn andernfalls haben diese ein Supremum S isin R Dann ist S minus 1keine obere Schranke das heiszligt es gibt ein n isin N mit n gt S minus 1 oder n+ 1 gt S Damit istS keine obere Schranke Widerspruch Es folgt weiter

Zu jedem x isin R mit x gt 0 gibt es ein n isin N mit1

nlt x

Denn sonst ware N durch 1x nach oben beschrankt Dies bedeutet weiter dass in jedem

nichtleeren Intervall (a b) rationale Zahlen liegen Dazu wahlen wir n isin N mit 1n lt b minus aEin ganzzahliges Vielfaches von 1n muss dann im Intervall (a b) liegen

16 Vollstandige Induktion

Es sei E(n) eine Aussageform die durch einsetzen einer beliebigen naturlichen Zahl n zueiner Aussage wird Wir mochten nun Aussagen der Form

Fur alle n isin N gilt E(n)

beweisen

Beispiel 161 Wir definieren

sn = 1 + 3 + 5 + middot middot middot+ (2n+ 1)

Alternativ konnen wir auch eine Rekursionsformel schreiben

s1 = 4

sn = snminus1 + (2n+ 1)

8

Es ergibt sich damit

s1 = 4

s2 = 9

s3 = 16

s4 = 25

etc

Das legt die Vermutung nahe dass es sich bei den Zahlen sn fur jedes n um eine Quadratzahlhandelt In der Tat gilt der folgende

Satz 162 Fur alle n isin N giltsn = (n+ 1)2

Das Beweisverfahren der vollstandigen Induktion beruht auf folgendem Prinzip

Sei E(n) eine Folge von Aussagen fur n isin N Es gelte

(1) E(1) ist wahr

(2) E(n) ist wahr rArr E(n+ 1) ist wahr

Dann sind alle Aussagen E(n) fur n isin N wahr

Ein Induktionsbeweis funktioniert immer in zwei Schritten Erst wird die Aussage E(n)fur den Fall n = 1 verifiziert (Induktionsanfang) Im zweiten Schritt wird vorausgesetztdass E(n) fur ein n isin N richtig ist (Induktionsannahme) und daraus E(n + 1) gefolgert(Induktionsschluss dh Beweis der Induktionsbehauptung)

Kommen wir zuruck zum Beispiel Der angegebene Satz lasst sich damit wie folgt beweisen

Beweis von Satz 162 Induktionsanfang Fur n = 1 gile s1 = 4 = 22 = (1+1)2 Die Aussageist also fur n = 1 offensichtlich korrektInduktionsschritt Nun gelte die Aussage fur n isin N also sei sn = (n + 1)2 Wir mussenfolgern dass dann auch gilt sn+1 = (n+ 1 + 1)2 Das kann man nachrechnen

sn+1 = sn + (2(n+ 1) + 1) (nach der Rekursionsformel oben)

= (n+ 1)2 + (2(n+ 1) + 1) (dank Induktionsvoraussetzung)

= (n+ 1)2 + 2(n+ 1) + 1

= ((n+ 1) + 1)2

= (n+ 1 + 1)2

womit die Induktionsbehauptung gezeigt ist Damit ist der Satz nach dem Prinzip dervollstandigen Induktion bewiesen

Statt bei n = 1 kann die Induktion auch bei n0 isin N starten die Aussage gilt dann fur n ge n0Damit zeigen wir folgende nutzliche Ungleichung

9

Satz 163 (Bernoullische Ungleichung) Fur x isin R x ge minus1 und n isin N0 gilt

(1 + x)n ge 1 + nx

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 gilt nach Definition (1 + x)0 = 1 =1 + 0 middot x Wegen 1 + x ge 0 folgt weiter

(1 + x)n+1 = (1 + x) middot (1 + x)n

ge (1 + x) middot (1 + nx) (nach Induktionsannahme)

= 1 + (n+ 1)x+ nx2

ge 1 + (n+ 1)x

Viele weitere Aussagen lassen sich durch vollstandige Induktion beweisen

Satz 164 (Geometrische Summe) Sei x isin R x ∕= 1 Dann gilt fur alle n isin N0

1 + x+ + xn =

n983131

k=0

xk =1minus xk+1

1minus x

Beweis Wir zeigen das wieder durch vollstandige Induktion wobei wir bei n = 0 beginnen

0983131

k=0

xk = x0 = 1 =1minus x0+1

1minus x

Jetzt gelte die Formel fur ein n isin N Dann folgt

n+1983131

k=0

xk =

983075n983131

k=0

xk

983076+ xn+1 E(n)

=1minus xn+1

1minus x+ xn+1 =

1minus x(n+1)+1

1minus x

womit die Behauptung gezeigt ist

Wir wollen als nachstes die Elemente gewisser Mengen zahlen Als erstes zeigen wir dassman beim Verteilen von 4 Briefen auf 3 Briefkasten in mindestens einen Briefkasten mehr alseinen Brief stecken muss

Satz 165 (Schubfachprinzip) Ist f 1 m rarr 1 n injektiv mit mn isin N sofolgt m le n

Beweis Wir fuhren Induktion nach n isin N Fur n = 1 haben wir f 1 m rarr 1injektiv das geht nur furm = 1 Sei nun eine injektive Abbildung f 1 m rarr 1 n+1 gegeben wir mussen zeigen dass m le n + 1 ist Hat die Zahl n + 1 kein Urbild so isttatsachlich f 1 m rarr 1 n und nach Induktion gilt sogar m le n Andernfallshat n+ 1 genau ein Urbild Wenn wir dieses rausschmeiszligen und neu nummerieren erhaltenwir eine Abbildung

f 1 mminus 1 rarr 1 n injektiv

Nach Induktion folgt mminus 1 le n bzw m le n+ 1 wie gewunscht

10

Definition 166 (Machtigkeit von Mengen) 1 Zwei Mengen M und N heiszligengleichmachtig wenn eine bijektive Abbildung zwischen M und N existiert

2 Falls eine Menge M und die Menge 1 n fur ein n isin N gleichmachtig sind so heiszligtM endlich und n = M ist die Anzahl ihrer Elemente Die leere Menge ist ebenfallsendlich mit empty = 0

Dass die Zahl der Elemente eindeutig definiert ist folgt aus dem Schubfachprinzip Wir setzen

n =

n983132

k=1

k = 1 middot 2 middot middot n (n-Fakultat)

Per Dekret ist 0 = 1 (vgl Vereinbarung zum leeren Produkt) Der folgende Satz beantwortetdie Frage nach der Anzahl der moglichen Anordnungen (oder Umordnungen oder Permuta-tionen) von n Dingen

Satz 167 (Zahl der Permutationen) Fur n isin N sei Sn die Menge der bijektiven Abbildungenσ 1 n rarr 1 n Dann gilt Sn = n

Beweis Wir zeigen die Behauptung durch Induktion wobei der Induktionsanfang n = 1offensichtlich ist Sei Sn+1k die Menge der Permutationen von 1 n+1 die die Nummerk auf n+1 abbilden Da die restlichen n Nummern beliebig bijektiv auf 1 n abgebildetwerden hat Sn+1k genau n Elemente nach Induktion Es folgt durch Summation

Sn+1 =

n+1983131

k=1

Sn+1k = (n+ 1) middot n = (n+ 1)

Definition 168 (Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N setzen wir983061α

k

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k sowie

983061α

0

983062= 1

Lemma 169 (Additionstheorem fur Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N erfullendie Binomialkoeffizienten die Formel

983061α+ 1

k

983062=

983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062

Beweis Fur k = 1 ist leicht zu sehen dass die Formel richtig ist Fur k ge 2 berechnen wir983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k +α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2)

1 middot 2 middot middot (k minus 1)

=α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2) middot (αminus k + 1 + k)

1 middot 2 middot middot k

=(α+ 1) middot α middot middot ((α+ 1)minus k + 1)

1 middot 2 middot middot k

=

983061α+ 1

k

983062

11

Im Fall α = n isin N0 erlaubt Lemma 169 die rekursive Berechnung der Binomialkoeffizienten983043nk

983044nach dem Dreiecksschema von Blaise Pascal (1623-1662)

n=0 1n=1 1 1n=2 1 2 1n=3 1 3 3 1n=4 1 4 6 4 1n=5 1 5 10 10 5 1n=6 1 6 15 20 15 6 1

Ebenfalls fur α = n isin N0 folgt durch Erweitern der Binomialkoeffizienten mit (n minus k) diealternative Darstellung

983061n

k

983062=

n

k (nminus k)fur n isin N0 k isin 0 1 n (12)

und daraus weiter die am Diagramm ersichtliche Symmetrieeigenschaft983061n

k

983062=

983061n

nminus k

983062fur n isin N0 k isin 0 1 n (13)

Satz 1610 (Zahl der Kombinationen) Sei n isin N0 und k isin 0 1 n Dann ist dieAnzahl der k-elementigen Teilmengen von 1 n gleich

983043nk

983044

Beweis Es gilt983043n0

983044= 1 nach Definition und die einzige null-elementige Teilmenge von

0 1 n ist die leere Menge Also stimmt die Aussage fur alle n = 0 1 und k = 0 Diek-elementigen Teilmengen von 1 n+ 1 mit k ge 1 zerfallen in zwei Klassen

Klasse 1 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1 nicht

Klasse 2 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1

Klasse 1 besteht genau aus den k-elementigen Teilmengen von 1 n Klasse 2 ergibtsich durch Hinzufugen der Nummer n + 1 zu jeder der (k minus 1)-elementigen Teilmengen von1 n Nach Induktion folgt fur die Gesamtzahl der Elemente mit Lemma 169

983061n

k

983062+

983061n

k minus 1

983062=

983061n+ 1

k

983062

womit der Satz bewiesen ist

Satz 1611 (Binomische Formel) Fur a b isin R und n isin N gilt

(a+ b)n =

n983131

k=0

983061n

k

983062akbnminusk (14)

Beweis Ausmultiplizieren des n-fachen Produkts (a+b)n = (a+b)middot(a+b)middot middot(a+b) mit demDistributivgesetz und Ordnen nach dem Kommutativgesetz liefert Terme der Form akbnminusk furk isin 0 1 n Die Haufigkeit eines solchen Terms ist gleich der Anzahl der Moglichkeitenaus den n Klammern k Klammern auszusuchen in denen a als Faktor genommen wird inden restlichen Klammern muss dann der Faktor b gewahlt werden Nach Satz 1610 kommtakbnminusk also genau

983043nk

983044mal vor

12

17 Geometrie im Rn

Im folgenden sei n isin N zum Beispiel n = 2 oder n = 3 Wir bezeichnen mit Rn das n-fachekartesische Produkt Rtimes times R also die Menge aller n-Tupel

Rn =983153x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 | xi isin R983154

Wir nennen die Elemente von Rn auch Vektoren Zwei Vektoren x y isin Rn sind genau danngleich wenn xi = yi fur alle i = 1 n wenn also alle Koordinaten gleich sind Wir konnenVektoren addieren und mit reellen Zahlen multiplizieren (zum Beispiel strecken)

x+ y =

983091

983109983107x1 + y1

xn + yn

983092

983110983108 λx =

983091

983109983107λx1

λxn

983092

983110983108

In diesem Zusammenhang nennt man die Zahl λ auch einen Skalar und spricht von Skalar-multiplikation Die Standard-Einheitsvektoren sind

ei =

983091

983109983109983109983109983109983109983107

010

983092

983110983110983110983110983110983110983108i fur i = 1 n

Mit ihnen ergibt sich fur jeden Vektor x isin Rn die Darstellung

x =

n983131

i=1

xiei

Die Vektoraddition und Skalarmultiplikation erfullen folgende Regeln die alle direkt aus denDefinitionen folgen

(1) (983187x+ 983187y) + 983187z = 983187x+ (983187y + 983187z)

(2) 983187x+9831870 = 983187x fur alle 983187x mit 9831870 = (0 0) (Nullvektor)

(3) Es gilt 983187x+ (minus983187x) = 9831870

(4) 983187x+ 983187y = 983187y + 983187x

(5) (λ+ micro)983187x = λ983187x+ micro983187x

(6) (λmicro)983187x = λ(micro983187x)

(7) λ(983187x+ 983187y) = λ983187x+ λ983187y

(8) 1 middot 983187x = 983187x

13

Im drei-dimensionalen Raum kann jede Gerade mit R1 = R jede Ebene mit R2 und derRaum selbst mit R3 identifiziert werden indem ein kartesisches Koordinatensystem gewahltwird Wir wollen das erklaren indem wir den Begriff des Euklidischen Raums aus derAnschauung verwenden das heiszligt der Euklidische Abstand zwischen zwei Punkten seianschaulich gegeben Ebenso setzen wir den Begriff der Orthogonalitat fur sich schneidendeGeraden anschaulich voraus

Auf einer Geraden g wahlen wir einen Punkt O den Ursprung (origin) Dann bestehtgO aus zwei Halbgeraden Wir erhalten eine Koordinate x auf g indem wir auf einer derHalbgeraden fur x den Abstand zu O wahlen auf der anderen Halbgeraden den negativenAbstand zu O Die Koordinate x ist eindeutig bestimmt durch die Wahl des Ursprungs Ound die Entscheidung welche Halbgerade die positive ist

In einer Ebene E wahlen wir wieder einen Ursprung O und weiter zwei zueinanderorthogonale Geraden g h durch O Auf g h bestimmen wir jeweils Koordinaten x y wieoben beschrieben Jeder Punkt p isin E kann jetzt auf g und h orthogonal projiziert werdendies liefert fur p die beiden Koordinaten (x y) Die Frage nach der Eindeutigkeit ist nunschon schwieriger Wir nehmen an dass der Ursprung fest ist und betrachten ein zweitesPaar gprime hprime zueinander senkrechter Geraden genauer soll gprime hprime aus g h durch Drehung umeinen Winkel α hervorgehen Dann sieht man (Bild)

x = (cosα)xprime minus (sinα) yprime xprime = (cosα)x+ (sinα) y

y = (sinα)xprime + (cosα) yprime yprime = minus(sinα)x+ (cosα) y

Wir kommen schlieszliglich zur Wahl kartesischer Koordinaten im drei-dimensionalen RaumWieder wahlen wir einen Ursprung O und nun drei zueinander senkrechte Geraden g h ℓSeien x y z die Koordinaten auf den drei einzelnen Geraden wie oben erklart Jeder Punktp im Raum wird auf die drei Geraden orthogonal projiziert und liefert so die Koordinaten(x y z) Die Frage nach der Eindeutigkeit bzw der Umrechnung in ein anderes Koordina-tensystem ist etwas schwieriger wir kommen spater in der Vorlesung darauf zuruck

Indem wir R2 mit einer Ebene bzw R3 mit dem Euklidischen Raum identifizieren(wie oben beschrieben) erhalten wir eine anschauliche Darstellung der VektoradditionVektorsubtraktion und Skalarmultiplikation (Bild)

Die oben benutzten Begriffe Lange und Winkel wollen wir noch genauer erklaren DieEuklidische Lange (oder der Betrag) eines Vektors ist definiert durch

|983187x| =983059 n983131

i=1

x2i

983060 12

fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108

Fur n = 2 ist |983187x| =983155

x21 + x22 dies entspricht also dem Satz von Pythagoras (Bild) Furn = 3 haben wir |983187x| =

983155x21 + x22 + x23 Dies lasst sich ebenfalls mit Pythagoras begrunden

indem der Punkt (x1 x2 0) betrachtet wird (Bild) Offenbar gilt fur 983187x isin Rn λ isin R

|983187x| ge 0 (Gleichheit nur fur 983187x = 9831870)

|λ983187x| = |λ||983187x|

14

Der Euklidische Abstand ist

dist(983187x 983187y) = |983187xminus 983187y| fur 983187x 983187y isin Rn

Insbesondere ist der Betrag gleich dem Abstand zum Nullpunkt ie |983187x| = dist(983187x9831870) Eineweitere nutzliche Groszlige ist das Skalarprodukt zwischen Vektoren im Rn

〈983187x 983187y〉 =n983131

i=1

xiyi fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 983187y =

983091

983109983107y1yn

983092

983110983108

Statt mit Klammern wird das Skalarprodukt oft in der Form 983187x middot983187y geschrieben also mit einemPunkt Wir bleiben aber bei den Klammern Folgende Regeln ergeben sich direkt aus derFormel wobei 983187x 983187y 983187z isin Rn und λ micro isin R

〈983187x 983187y〉 = 〈983187y 983187x〉 (Symmetrie)

〈λ983187x+ micro983187y 983187z〉 = λ〈983187x 983187z〉+ micro〈983187y 983187z〉 (Bilinearitat)

〈983187x 983187x〉 = |983187x|2 ge 0 (Positivitat)

Um nun die Definition des Winkels zu motivieren appellieren wir an das Schulwissen undbetrachten die gleichformige Kreisbewegung

983187c R rarr R2 983187c(t) =

983061cos tsin t

983062

Es gilt |983187c(t)| =983155

(cos t)2 + (sin t)2 = 1 und 983187c(0) = (1 0) Der Punkt 983187c(t) durchlauft den Kreisentgegen dem Uhrzeigersinn mit konstanter Absolutgeschwindigkeit Eins

983187cprime(t) =

983061minus sin tcos t

983062und damit |983187cprime(t)| =

983155(minus sin t)2 + (cos t)2 = 1

Der Einheitskreis hat die Gesamtlange 2π = 6 2831 Als Maszlig fur den Winkel nehmen wirdie Lange des kurzeren Einheitskreisbogens zwischen c(t1) und c(t2) also

ang(983187c(t1)983187c(t2)) = |t1 minus t2| falls |t1 minus t2| le π

Die Bedingung |t1 minus t2| le π garantiert dass der von 983187c(t) auf [t1 t2] durchlaufene Bogenhochstens ein Halbkreis ist Erhalte mit dem Additionstheorem des Kosinus

cosang(983187c(t1)983187c(t2)) = cos |t1 minus t2| = cos t1 cos t2 + sin t1 sin t2 = 〈983187c(t1)983187c(t2)〉

Definition 171 (Winkel zwischen Vektoren) Seien 983187x 983187y isin Rn mit 983187x 983187y ∕= 9831870 Dann definierenwir den Winkel φ = ang(983187x 983187y) isin [0π] durch die Gleichung

cosφ =

983071983187x

|983187x| 983187y

|983187y|

983072

Spezialfall 983187x 983187y sind zueinander senkrecht (orthogonal) genau wenn 〈983187x 983187y〉 = 0

Es ist noch zu begrunden dass die Gleichung in der Definition eine und nur eineLosung φ besitzt Die Funktion Kosinus ist auf dem Intervall [0π] streng monoton fallendmit cos 0 = 1 und cosπ = minus1 (Bild) Sie nimmt daher jeden Wert in [minus1 1] genau einmalan Es bleibt also zu zeigen dass die rechte Seite in der Definition des Winkels im Intervall[minus1 1] liegt Dies ergibt sich aus folgender Ungleichung

15

Satz 172 (Ungleichung von Cauchy-Schwarz) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt

|〈983187x 983187y〉| le |983187x| |983187y|

Gleichheit gilt genau dann wenn 983187x 983187y parallel sind

Beweis Fur Vektoren 983187a983187b mit |983187a| = |983187b| = 1 schatzen wir ab

1plusmn 〈983187a983187b〉 = 1

2

983059|983187a|2 + |983187b|2 plusmn 2〈983187a983187b〉

983060=

1

2|983187aplusmn983187b|2 ge 0

Fur 983187x 983187y ∕= 9831870 beliebig wenden wir das an mit 983187a =983187x

|983187x| 983187b =

983187y

|983187y|

|〈983187x 983187y〉| = |983187x| |983187y| |〈983187a983187b〉| le |983187x||983187y|

Bei Gleichheit gilt fur die Einheitsvektoren

0 = 983187aplusmn983187b =983187x

|983187x| plusmn983187y

|983187y|

das heiszligt 983187x und 983187y sind parallel

Die Definition des Winkels ergibt trivial denKosinussatz in dem von 9831870 983187x 983187y gebildeten Dreieckfolgt namlich (Bild)

|983187xminus 983187y|2 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2〈983187x 983187y〉 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2|983187x||983187y| cosang(983187x 983187y)

Eine Konsequenz der Cauchy-Schwarz Ungleichung ist folgende Eigenschaft des Betrags

Satz 173 (Dreiecksungleichung) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt die Ungleichung

|983187x+ 983187y| le |983187x|+ |983187y|

mit Gleichheit genau wenn 983187x 983187y gleichsinnig parallel sind

Beweis Aus der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt

|983187x+ 983187y|2 = |983187x|2 + 2〈983187x 983187y〉+ |983187y|2 le |983187x|2 + 2|983187x||983187y|+ |983187y|2 = (|983187x|+ |983187y|)2

Durch Wurzelziehen folgt |983187x + 983187y| le |983187x| + |983187y| wie behauptet Bei Gleichheit mussen 983187x und 983187yparallel sein nach Satz 172 Es muss aber auch 〈983187x 983187y〉 ge 0 sein also sind 983187x 983187y gleichsinnigparallel

Statt auf die Koordinatenachsen konnen wir einen Vektor 983187x auch auf eine beliebige Ur-sprungsgerade g projizieren Wird g durch den Einheitsvektor 983187v isin Rn erzeugt das heiszligtg = λ983187v | λ isin R so lautet der Projektionspunkt

983187xg = 〈983187x983187v〉983187v

Denn 983187xg liegt auf der Geraden g und 983187xminus 983187xg steht senkrecht auf g

〈983187xminus 983187xg983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈〈983187x983187v〉983187v983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈983187x983187v〉 〈983187v983187v〉983167 983166983165 983168=1

= 0

16

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 5: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Bemerkung 124 Auszliger der Vereinigungsmenge lassen sich die oben eingefuhrten abgeleite-ten Mengen auch mithilfe von Aussageformen darstellen so ist beispielsweise

X cap Y = x isin X x isin Y = x isin Y x isin X

Wir benotigen weiters die sogenannten Quantorenforall a isin A E(a) fur alle a isin A gilt Eigenschaft E(a)exist a isin A E(a) es gibt ein a isin A mit Eigenschaft E(a)

Aus Grunden der Lesbarkeit werden wir andornot nicht verwenden und forall exist sowie hArr ehersparsam

13 Aussagen in der Mathematik

Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin aus einigen fundamentalen Aussa-gen welche als wahr angenommen werden (sogenannten Axiomen) moglichst viele weiterenutzliche und wahre Aussagen abzuleiten (und deren Wahrheit durch Aneinanderreihungelementar nachvollziehbarer Schritte zu beweisen) Eine solche bewiesene wahre Aussage be-zeichnet man als Satz Als Lemma oder Proposition bezeichnet man kleinere Satze welchezum Beweis eines wichtigen Satzes benotigt werden (im Wesentlichen dient dies nur zurStrukturierung eines Beweises im Sinne eines leichteren Verstandnisses)Eine noch nicht bewiesene Aussage in der Mathematik von deren Wahrheit aber viele Mathe-matiker uberzeugt sind nennt man Vermutung Ein Beispiel dazu ist die sogenannte Collatz-Vermutung

14 Abbildungen

Seien XY Mengen Eine Abbildung von X nach Y (gleichbedeutend eine Funktion auf Xmit Werten in Y ) schreiben wir in der Form

f X rarr Y x 983041rarr f(x)

Jedem x isin X wird genau ein Bildpunkt (Funktionswert) f(x) isin Y zugeordnet Die MengeX heiszligt Definitionsbereich von f Mit dem Bild von f meinen wir die Menge der Bildpunkte(Menge der Funktionswerte)

f(X) = f(x) x isin X sub Y

Das Urbild einer Menge B sub Y unter f ist die Menge

fminus1(B) = x isin X f(x) isin B

Verkleinern des Definitionsbereichs ergibt eine Einschrankung von f Fur A sub X ist

f |A A rarr Y983043f |A

983044(x) = f(x) fur alle x isin A

Beispiel 141 Sei X die Menge aller Waren in einem Supermarkt und Y die Menge allermoglichen Preise in Euro Ordnen wir jeder Ware x isin X einen Preis f(x) isin Y zu so habenwir eine Funktion f X rarr Y Das Urbild der Menge 0 99 ist die Menge der Waren die0 99 kosten Betrachten wir statt aller Waren nur die Menge W der Wurstwaren so ergibtsich die Einschrankung f |W

3

Eine naheliegende Abbildung ist idX X rarr X idX(x) = x die Identitat oder identischeAbbildung auf X Die Verkettung (oder Hintereinanderschaltung) von Abbildungen f X rarrY und g Y rarr Z ist

g f Xfrarr Y

grarr Z (g f)(x) = g(f(x))

Eine aus der Schule bekannte Moglichkeit sich Funktionen bzw Abbildungen vorzustellenbietet der Graph Dazu bilden wir das kartesische Produkt

X times Y = (x y) x isin X y isin Y

Es gilt (x y) = (xprime yprime) genau wenn x = xprime und y = yprime Der Graph von f ist die Teilmenge

Gf = (x f(x)) x isin X sub X times Y

Als nachstes drei Begriffe zum Abbildungsverhalten f X rarr Y heiszligt

injektiv wenn gilt aus f(x) = f(xprime) folgt x = xprime

surjektiv wenn gilt zu jedem y isin Y gibt es ein x isin X mit f(x) = y (also Y = f(X))

bijektiv wenn f injektiv und surjektiv ist

Ordnen wir jedem Kind seine Mutter zu so erhalten wir eine Abbildung von der Menge Kaller Kinder in die Menge F aller Frauen Diese Abbildung ist nicht surjektiv denn nichtjede Frau ist Mutter Sie ist auch nicht injektiv denn es gibt Mutter mit mehr als einem Kind

Fur die Gleichung f(x) = y mit y isin Y gegeben bedeuten die Begriffe Folgendes finjektiv heiszligt die Gleichung hat hochstens eine Losung f surjektiv heiszligt es gibt mindestenseine Losung Ist f X rarr Y bijektiv so hat die Gleichung genau eine Losung Indem wirjedem y isin Y die jeweilige Losung zuordnen erhalten wir eine Abbildung g Y rarr Xy 983041rarr g(y) mit

f(g(y)) = y fur alle y isin Y also f g = idY

Wahlen wir in der Gleichung als rechte Seite y = f(x) so ist x die Losung das heiszligt

g(f(x)) = x und damit g f = idX

Es ist leicht zu sehen dass g Y rarr X ebenfalls bijektiv ist (Ubungsaufgabe) Wir nennen g =fminus1 die zu f inverse Abbildung oder Umkehrfunktion Fur den Graphen der Umkehrfunktionsehen wir indem wir y = f(x) substituieren

Gfminus1 = (y fminus1(y)) y isin Y = (f(x) x) x isin X sub Y timesX

Der Graph ergibt sich also durch ldquoSpiegelung an der Winkelhalbierendenrdquo

Beispiel 142 Bezeichne mit p1 p2 die Projektionen von X times Y auf die Faktoren gewisser-maszligen die Koordinaten Also

p1 X times Y rarr X p1983043(x y)

983044= x p2 X times Y rarr Y p2

983043(x y)

983044= y

4

Ist f X rarr Y eine Funktion so ist die Abbildung

F X rarr Gf F (x) = (x f(x))

bijektiv die Umkehrabbildung ist p1|Gf Gf rarr X Es folgt fur f die Darstellung

f = p2 (p1|Gf)minus1

Die Funktion f ist also durch ihren Graph Gf bestimmt

15 Zahlen

Aus der Schule kennen wir die Zahlen N sub Z sub Q

N = 1 2 3 naturliche ZahlenZ = minus2minus1 0 1 2 ganze ZahlenQ = p

q |q isin N p isin Z rationale Zahlen

Die reellen Zahlen R fassen wir als Punkte auf der Zahlengeraden auf Anstatt eine abstrakteKonstruktion von R durchzufuhren stellen wir im Folgenden die Regeln (Axiome) in Rzusammen Die Gesetze der Addition und Multiplikation lauten wie folgt

+ bull

Assoziativgesetz (a+ b) + c = a+ (b+ c) (a middot b) middot c = a middot (b middot c)

Kommutativgesetz a+ b = b+ a a middot b = b middot a

Neutrales Element a+ 0 = a a middot 1 = a

Inverses Element a+ (minusa) = 0 a middot 1a= 1 falls a ∕= 0

Distributivgesetz a middot (b+ c) = a middot b+ a middot c

Alle bekannten Rechenregeln wie zum Beispiel (minusa)(minusb) = ab konnen daraus hergeleitetwerden Wir erwahnen die Nullteilerfreiheit

Aus a middot b = 0 folgt a = 0 oder b = 0

Denn ist a ∕= 0 so folgt

b =

9830611

amiddot a

983062middot b = 1

amiddot (a middot b) = 1

amiddot 0 = 0

Den Punkt bei der Multiplikation lassen wir meistens weg Auch die Regeln der Bruchrech-nung lassen sich aus den Korperaxiomen herleiten wir listen sie hier auf

Satz 151 (Bruchrechnung) Fur a b c d isin R mit c d ∕= 0 gilt

(1)a

c+

b

d=

ad+ bc

cd(Gleichnamig machen von Bruchen)

5

(2)a

cmiddot bd=

ab

cd(Multiplikation von Bruchen)

(3)ac

bd=

ad

bc falls zusatzlich b ∕= 0 (Division von Bruchen)

Als nachstes erklaren wir die Anordnung von R Die Ungleichung a lt b bedeutet auf derZahlengeraden dass a links von b liegt bzw aminus b links von Null Offenbar gilt genau eine derRelationen a lt b a gt b oder a = b Hier einige Regeln

- Aus a b gt 0 folgt a+ b gt 0 und a middot b gt 0

- Aus a gt b b gt c folgt a gt c (Transitivitat)

- Aus a gt b und c gt d folgt a+ c gt b+ d (Addition von Ungleichungen)

- Aus a gt b folgt

983083ac gt bc falls c gt 0

ac lt bc falls c lt 0(Multiplikation mit einer Zahl)

Wir wollen diese und weitere Regeln nicht herleiten Eine wichtige Konsequenz ist Quadratein R sind nichtnegativ denn

a2 =

983083a middot a gt 0 im Fall a gt 0

(minusa) middot (minusa) gt 0 im Fall minus a gt 0

Definition 152 Der Betrag einer Zahl a isin R ist

|a| =983069

a falls a ge 0minusa falls a lt 0

(11)

Auf der Zahlengeraden ist |a| der Abstand zum Nullpunkt Die Definition des Betrags hatfolgende Konsequenz Wenn Sie ein Betragszeichen beseitigen mochten mussen Sie eine Fall-unterscheidung machen

Satz 153 (Rechnen mit Betragen) Fur a b isin R gelten folgende Aussagen

(1) |minus a| = |a| und a le |a|

(2) |a| ge 0 aus Gleichheit folgt a = 0

(3) |ab| = |a| middot |b|

(4) |a+ b| le |a|+ |b|

(5) |aminus b| ge ||a|minus |b||

Beweis Aus Definition 152 folgt

|minus a| =983069

minusa falls minus a ge 0minus(minusa) falls minus a le 0

=

983069minusa falls a le 0a falls a ge 0

= |a|

Weiter folgt (2) aus

|a|minus a =

9830690 falls a ge 0minusaminus a ge 0 falls a le 0

6

In (3) bleiben die linke und rechte Seite gleich wenn wir a durch minusa ersetzen dasselbe giltbezuglich b Also konnen wir a b ge 0 annehmen und erhalten |ab| = ab = |a| middot |b| wie verlangtFur (4) schatzen wir mit (1) wie folgt ab

|a+ b| = plusmn(a+ b) = plusmna+ (plusmnb) le |a|+ |b|

Schlieszliglich gilt |a| = |aminusb+b| le |aminusb|+|b| nach (4) also |aminusb| ge |a|minus|b| Durch Vertauschenvon a und b folgt (5)

Alle bis jetzt zusammengestellten Regeln gelten auch fur die rationalen Zahlen Das folgendeBeispiel zeigt aber dass wir mit den rationalen Zahlen nicht auskommen werden Wir sehenhier ein typisches Beispiel fur einen indirekten Beweis

Beispiel 154 Es gibt kein x isin Q mit x2 = 2 Angenommen doch dann konnen wir x gt 0annehmen (ersetze x durch minusx) und weiter nach Kurzen x = pq mit p q isin N nicht beidegerade Aber dann folgt

p2

q2= 2 rArr p2 = 2q2 rArr p = 2pprime rArr 4(pprime)2 = 2q2 rArr q = 2qprime

Also sind p q doch beide gerade ein Widerspruch Wir haben benutzt dass fur p ungeradeauch p2 ungerade ist Die Quadrate von ungeraden Zahlen haben nur die Endziffern 1 9 5

Der Unterschied zwischen Q und R ist die Vollstandigkeit das heiszligt in R konnen wirbeliebige Grenzprozesse durchfuhren Zum Beispiel konnen wir Schritt fur Schritt die Ziffernder Dezimalentwicklung von

radic2 = 1 4142 bestimmen Im ersten Schritt ist 12 lt 2 und

22 gt 2 also nehmen wir die 1 Im zweiten Schritt ist 1 42 = 1 96 zu klein 1 52 = 2 25zu groszlig also kommt die 4 Auf diese Weise erhalten wir eine Folge die die irrationale Zahlradic2 approximiert (in welchem Sinne das genau zu verstehen ist sehen wir in Abschnitt 24)

Wir wollen nun eine Version der Vollstandigkeit von R genauer formulieren und fuhrengleichzeitig einige Begriffe ein

Fur a b isin R mit a lt b definieren wir die Intervalle

(a b) = x isin R a lt x lt b offenes Intervall

[a b] = x isin R a le x le b abgeschlossenes Intervall

[a b) = x isin R a le x lt b rechtsseitig offen linksseitig abgeschlossen

(a b] = x isin R a lt x le b linksseitig offen rechtsseitig abgeschlossen

|I| = bminus a fur ein Intervall I Intervalllange

Es ist praktisch +infin und minusinfin als offene Intervallgrenzen zugelassen zum Beispiel ist(minusinfin 1] = x isin R minusinfin lt x le 1 Beachten Sie plusmninfin sind keine reellen Zahlen

Definition 155 Die Menge M sub R heiszligt

nach oben beschrankt hArr exist b isin R mit x le b fur alle x isin M

nach unten beschrankt hArr exist a isin R mit x ge a fur alle x isin M

Die Zahl b heiszligt dann obere Schranke (a untere Schranke) Weiter heiszligt M beschankt wennM nach oben und unten beschrankt ist

7

Beispiel 156 Die Menge [0 1) ist nach oben beschrankt eine obere Schranke ist zum Beispielb = 2012 Es gibt in [0 1) aber kein groszligtes Element denn es gilt

x isin [0 1) rArr x+ 1

2isin [0 1) und

x+ 1

2gt x

Unter den oberen Schranken von [0 1) gibt es aber eine kleinste namlich die Zahl 1

Die folgende Eigenschaft ist nun fur die reellen Zahlen charakteristisch

Vollstandigkeitsaxiom Jede nach oben beschrankte Menge M sub R hat eine klein-ste obere Schranke

Die Aussage dass S isin R kleinste obere Schranke von M ist bedeutet zwei Dinge

(1) S ist eine obere Schranke von M das heiszligt x le S fur alle x isin M

(2) S ist kleinstmoglich das heiszligt fur alle Sprime lt S gibt es ein x isin M mit x gt Sprime

Wir bezeichnen die kleinste obere Schranke mit S = supM (Supremum von M) Ist M nichtnach oben beschrankt so definieren wir supM = +infin Analog ist das Infimum infM diegroszligte untere Schranke definiert

Wie liegen nun die rationalen Zahlen in R drin Die naturlichen Zahlen N sind nichtnach oben beschrankt denn andernfalls haben diese ein Supremum S isin R Dann ist S minus 1keine obere Schranke das heiszligt es gibt ein n isin N mit n gt S minus 1 oder n+ 1 gt S Damit istS keine obere Schranke Widerspruch Es folgt weiter

Zu jedem x isin R mit x gt 0 gibt es ein n isin N mit1

nlt x

Denn sonst ware N durch 1x nach oben beschrankt Dies bedeutet weiter dass in jedem

nichtleeren Intervall (a b) rationale Zahlen liegen Dazu wahlen wir n isin N mit 1n lt b minus aEin ganzzahliges Vielfaches von 1n muss dann im Intervall (a b) liegen

16 Vollstandige Induktion

Es sei E(n) eine Aussageform die durch einsetzen einer beliebigen naturlichen Zahl n zueiner Aussage wird Wir mochten nun Aussagen der Form

Fur alle n isin N gilt E(n)

beweisen

Beispiel 161 Wir definieren

sn = 1 + 3 + 5 + middot middot middot+ (2n+ 1)

Alternativ konnen wir auch eine Rekursionsformel schreiben

s1 = 4

sn = snminus1 + (2n+ 1)

8

Es ergibt sich damit

s1 = 4

s2 = 9

s3 = 16

s4 = 25

etc

Das legt die Vermutung nahe dass es sich bei den Zahlen sn fur jedes n um eine Quadratzahlhandelt In der Tat gilt der folgende

Satz 162 Fur alle n isin N giltsn = (n+ 1)2

Das Beweisverfahren der vollstandigen Induktion beruht auf folgendem Prinzip

Sei E(n) eine Folge von Aussagen fur n isin N Es gelte

(1) E(1) ist wahr

(2) E(n) ist wahr rArr E(n+ 1) ist wahr

Dann sind alle Aussagen E(n) fur n isin N wahr

Ein Induktionsbeweis funktioniert immer in zwei Schritten Erst wird die Aussage E(n)fur den Fall n = 1 verifiziert (Induktionsanfang) Im zweiten Schritt wird vorausgesetztdass E(n) fur ein n isin N richtig ist (Induktionsannahme) und daraus E(n + 1) gefolgert(Induktionsschluss dh Beweis der Induktionsbehauptung)

Kommen wir zuruck zum Beispiel Der angegebene Satz lasst sich damit wie folgt beweisen

Beweis von Satz 162 Induktionsanfang Fur n = 1 gile s1 = 4 = 22 = (1+1)2 Die Aussageist also fur n = 1 offensichtlich korrektInduktionsschritt Nun gelte die Aussage fur n isin N also sei sn = (n + 1)2 Wir mussenfolgern dass dann auch gilt sn+1 = (n+ 1 + 1)2 Das kann man nachrechnen

sn+1 = sn + (2(n+ 1) + 1) (nach der Rekursionsformel oben)

= (n+ 1)2 + (2(n+ 1) + 1) (dank Induktionsvoraussetzung)

= (n+ 1)2 + 2(n+ 1) + 1

= ((n+ 1) + 1)2

= (n+ 1 + 1)2

womit die Induktionsbehauptung gezeigt ist Damit ist der Satz nach dem Prinzip dervollstandigen Induktion bewiesen

Statt bei n = 1 kann die Induktion auch bei n0 isin N starten die Aussage gilt dann fur n ge n0Damit zeigen wir folgende nutzliche Ungleichung

9

Satz 163 (Bernoullische Ungleichung) Fur x isin R x ge minus1 und n isin N0 gilt

(1 + x)n ge 1 + nx

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 gilt nach Definition (1 + x)0 = 1 =1 + 0 middot x Wegen 1 + x ge 0 folgt weiter

(1 + x)n+1 = (1 + x) middot (1 + x)n

ge (1 + x) middot (1 + nx) (nach Induktionsannahme)

= 1 + (n+ 1)x+ nx2

ge 1 + (n+ 1)x

Viele weitere Aussagen lassen sich durch vollstandige Induktion beweisen

Satz 164 (Geometrische Summe) Sei x isin R x ∕= 1 Dann gilt fur alle n isin N0

1 + x+ + xn =

n983131

k=0

xk =1minus xk+1

1minus x

Beweis Wir zeigen das wieder durch vollstandige Induktion wobei wir bei n = 0 beginnen

0983131

k=0

xk = x0 = 1 =1minus x0+1

1minus x

Jetzt gelte die Formel fur ein n isin N Dann folgt

n+1983131

k=0

xk =

983075n983131

k=0

xk

983076+ xn+1 E(n)

=1minus xn+1

1minus x+ xn+1 =

1minus x(n+1)+1

1minus x

womit die Behauptung gezeigt ist

Wir wollen als nachstes die Elemente gewisser Mengen zahlen Als erstes zeigen wir dassman beim Verteilen von 4 Briefen auf 3 Briefkasten in mindestens einen Briefkasten mehr alseinen Brief stecken muss

Satz 165 (Schubfachprinzip) Ist f 1 m rarr 1 n injektiv mit mn isin N sofolgt m le n

Beweis Wir fuhren Induktion nach n isin N Fur n = 1 haben wir f 1 m rarr 1injektiv das geht nur furm = 1 Sei nun eine injektive Abbildung f 1 m rarr 1 n+1 gegeben wir mussen zeigen dass m le n + 1 ist Hat die Zahl n + 1 kein Urbild so isttatsachlich f 1 m rarr 1 n und nach Induktion gilt sogar m le n Andernfallshat n+ 1 genau ein Urbild Wenn wir dieses rausschmeiszligen und neu nummerieren erhaltenwir eine Abbildung

f 1 mminus 1 rarr 1 n injektiv

Nach Induktion folgt mminus 1 le n bzw m le n+ 1 wie gewunscht

10

Definition 166 (Machtigkeit von Mengen) 1 Zwei Mengen M und N heiszligengleichmachtig wenn eine bijektive Abbildung zwischen M und N existiert

2 Falls eine Menge M und die Menge 1 n fur ein n isin N gleichmachtig sind so heiszligtM endlich und n = M ist die Anzahl ihrer Elemente Die leere Menge ist ebenfallsendlich mit empty = 0

Dass die Zahl der Elemente eindeutig definiert ist folgt aus dem Schubfachprinzip Wir setzen

n =

n983132

k=1

k = 1 middot 2 middot middot n (n-Fakultat)

Per Dekret ist 0 = 1 (vgl Vereinbarung zum leeren Produkt) Der folgende Satz beantwortetdie Frage nach der Anzahl der moglichen Anordnungen (oder Umordnungen oder Permuta-tionen) von n Dingen

Satz 167 (Zahl der Permutationen) Fur n isin N sei Sn die Menge der bijektiven Abbildungenσ 1 n rarr 1 n Dann gilt Sn = n

Beweis Wir zeigen die Behauptung durch Induktion wobei der Induktionsanfang n = 1offensichtlich ist Sei Sn+1k die Menge der Permutationen von 1 n+1 die die Nummerk auf n+1 abbilden Da die restlichen n Nummern beliebig bijektiv auf 1 n abgebildetwerden hat Sn+1k genau n Elemente nach Induktion Es folgt durch Summation

Sn+1 =

n+1983131

k=1

Sn+1k = (n+ 1) middot n = (n+ 1)

Definition 168 (Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N setzen wir983061α

k

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k sowie

983061α

0

983062= 1

Lemma 169 (Additionstheorem fur Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N erfullendie Binomialkoeffizienten die Formel

983061α+ 1

k

983062=

983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062

Beweis Fur k = 1 ist leicht zu sehen dass die Formel richtig ist Fur k ge 2 berechnen wir983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k +α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2)

1 middot 2 middot middot (k minus 1)

=α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2) middot (αminus k + 1 + k)

1 middot 2 middot middot k

=(α+ 1) middot α middot middot ((α+ 1)minus k + 1)

1 middot 2 middot middot k

=

983061α+ 1

k

983062

11

Im Fall α = n isin N0 erlaubt Lemma 169 die rekursive Berechnung der Binomialkoeffizienten983043nk

983044nach dem Dreiecksschema von Blaise Pascal (1623-1662)

n=0 1n=1 1 1n=2 1 2 1n=3 1 3 3 1n=4 1 4 6 4 1n=5 1 5 10 10 5 1n=6 1 6 15 20 15 6 1

Ebenfalls fur α = n isin N0 folgt durch Erweitern der Binomialkoeffizienten mit (n minus k) diealternative Darstellung

983061n

k

983062=

n

k (nminus k)fur n isin N0 k isin 0 1 n (12)

und daraus weiter die am Diagramm ersichtliche Symmetrieeigenschaft983061n

k

983062=

983061n

nminus k

983062fur n isin N0 k isin 0 1 n (13)

Satz 1610 (Zahl der Kombinationen) Sei n isin N0 und k isin 0 1 n Dann ist dieAnzahl der k-elementigen Teilmengen von 1 n gleich

983043nk

983044

Beweis Es gilt983043n0

983044= 1 nach Definition und die einzige null-elementige Teilmenge von

0 1 n ist die leere Menge Also stimmt die Aussage fur alle n = 0 1 und k = 0 Diek-elementigen Teilmengen von 1 n+ 1 mit k ge 1 zerfallen in zwei Klassen

Klasse 1 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1 nicht

Klasse 2 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1

Klasse 1 besteht genau aus den k-elementigen Teilmengen von 1 n Klasse 2 ergibtsich durch Hinzufugen der Nummer n + 1 zu jeder der (k minus 1)-elementigen Teilmengen von1 n Nach Induktion folgt fur die Gesamtzahl der Elemente mit Lemma 169

983061n

k

983062+

983061n

k minus 1

983062=

983061n+ 1

k

983062

womit der Satz bewiesen ist

Satz 1611 (Binomische Formel) Fur a b isin R und n isin N gilt

(a+ b)n =

n983131

k=0

983061n

k

983062akbnminusk (14)

Beweis Ausmultiplizieren des n-fachen Produkts (a+b)n = (a+b)middot(a+b)middot middot(a+b) mit demDistributivgesetz und Ordnen nach dem Kommutativgesetz liefert Terme der Form akbnminusk furk isin 0 1 n Die Haufigkeit eines solchen Terms ist gleich der Anzahl der Moglichkeitenaus den n Klammern k Klammern auszusuchen in denen a als Faktor genommen wird inden restlichen Klammern muss dann der Faktor b gewahlt werden Nach Satz 1610 kommtakbnminusk also genau

983043nk

983044mal vor

12

17 Geometrie im Rn

Im folgenden sei n isin N zum Beispiel n = 2 oder n = 3 Wir bezeichnen mit Rn das n-fachekartesische Produkt Rtimes times R also die Menge aller n-Tupel

Rn =983153x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 | xi isin R983154

Wir nennen die Elemente von Rn auch Vektoren Zwei Vektoren x y isin Rn sind genau danngleich wenn xi = yi fur alle i = 1 n wenn also alle Koordinaten gleich sind Wir konnenVektoren addieren und mit reellen Zahlen multiplizieren (zum Beispiel strecken)

x+ y =

983091

983109983107x1 + y1

xn + yn

983092

983110983108 λx =

983091

983109983107λx1

λxn

983092

983110983108

In diesem Zusammenhang nennt man die Zahl λ auch einen Skalar und spricht von Skalar-multiplikation Die Standard-Einheitsvektoren sind

ei =

983091

983109983109983109983109983109983109983107

010

983092

983110983110983110983110983110983110983108i fur i = 1 n

Mit ihnen ergibt sich fur jeden Vektor x isin Rn die Darstellung

x =

n983131

i=1

xiei

Die Vektoraddition und Skalarmultiplikation erfullen folgende Regeln die alle direkt aus denDefinitionen folgen

(1) (983187x+ 983187y) + 983187z = 983187x+ (983187y + 983187z)

(2) 983187x+9831870 = 983187x fur alle 983187x mit 9831870 = (0 0) (Nullvektor)

(3) Es gilt 983187x+ (minus983187x) = 9831870

(4) 983187x+ 983187y = 983187y + 983187x

(5) (λ+ micro)983187x = λ983187x+ micro983187x

(6) (λmicro)983187x = λ(micro983187x)

(7) λ(983187x+ 983187y) = λ983187x+ λ983187y

(8) 1 middot 983187x = 983187x

13

Im drei-dimensionalen Raum kann jede Gerade mit R1 = R jede Ebene mit R2 und derRaum selbst mit R3 identifiziert werden indem ein kartesisches Koordinatensystem gewahltwird Wir wollen das erklaren indem wir den Begriff des Euklidischen Raums aus derAnschauung verwenden das heiszligt der Euklidische Abstand zwischen zwei Punkten seianschaulich gegeben Ebenso setzen wir den Begriff der Orthogonalitat fur sich schneidendeGeraden anschaulich voraus

Auf einer Geraden g wahlen wir einen Punkt O den Ursprung (origin) Dann bestehtgO aus zwei Halbgeraden Wir erhalten eine Koordinate x auf g indem wir auf einer derHalbgeraden fur x den Abstand zu O wahlen auf der anderen Halbgeraden den negativenAbstand zu O Die Koordinate x ist eindeutig bestimmt durch die Wahl des Ursprungs Ound die Entscheidung welche Halbgerade die positive ist

In einer Ebene E wahlen wir wieder einen Ursprung O und weiter zwei zueinanderorthogonale Geraden g h durch O Auf g h bestimmen wir jeweils Koordinaten x y wieoben beschrieben Jeder Punkt p isin E kann jetzt auf g und h orthogonal projiziert werdendies liefert fur p die beiden Koordinaten (x y) Die Frage nach der Eindeutigkeit ist nunschon schwieriger Wir nehmen an dass der Ursprung fest ist und betrachten ein zweitesPaar gprime hprime zueinander senkrechter Geraden genauer soll gprime hprime aus g h durch Drehung umeinen Winkel α hervorgehen Dann sieht man (Bild)

x = (cosα)xprime minus (sinα) yprime xprime = (cosα)x+ (sinα) y

y = (sinα)xprime + (cosα) yprime yprime = minus(sinα)x+ (cosα) y

Wir kommen schlieszliglich zur Wahl kartesischer Koordinaten im drei-dimensionalen RaumWieder wahlen wir einen Ursprung O und nun drei zueinander senkrechte Geraden g h ℓSeien x y z die Koordinaten auf den drei einzelnen Geraden wie oben erklart Jeder Punktp im Raum wird auf die drei Geraden orthogonal projiziert und liefert so die Koordinaten(x y z) Die Frage nach der Eindeutigkeit bzw der Umrechnung in ein anderes Koordina-tensystem ist etwas schwieriger wir kommen spater in der Vorlesung darauf zuruck

Indem wir R2 mit einer Ebene bzw R3 mit dem Euklidischen Raum identifizieren(wie oben beschrieben) erhalten wir eine anschauliche Darstellung der VektoradditionVektorsubtraktion und Skalarmultiplikation (Bild)

Die oben benutzten Begriffe Lange und Winkel wollen wir noch genauer erklaren DieEuklidische Lange (oder der Betrag) eines Vektors ist definiert durch

|983187x| =983059 n983131

i=1

x2i

983060 12

fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108

Fur n = 2 ist |983187x| =983155

x21 + x22 dies entspricht also dem Satz von Pythagoras (Bild) Furn = 3 haben wir |983187x| =

983155x21 + x22 + x23 Dies lasst sich ebenfalls mit Pythagoras begrunden

indem der Punkt (x1 x2 0) betrachtet wird (Bild) Offenbar gilt fur 983187x isin Rn λ isin R

|983187x| ge 0 (Gleichheit nur fur 983187x = 9831870)

|λ983187x| = |λ||983187x|

14

Der Euklidische Abstand ist

dist(983187x 983187y) = |983187xminus 983187y| fur 983187x 983187y isin Rn

Insbesondere ist der Betrag gleich dem Abstand zum Nullpunkt ie |983187x| = dist(983187x9831870) Eineweitere nutzliche Groszlige ist das Skalarprodukt zwischen Vektoren im Rn

〈983187x 983187y〉 =n983131

i=1

xiyi fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 983187y =

983091

983109983107y1yn

983092

983110983108

Statt mit Klammern wird das Skalarprodukt oft in der Form 983187x middot983187y geschrieben also mit einemPunkt Wir bleiben aber bei den Klammern Folgende Regeln ergeben sich direkt aus derFormel wobei 983187x 983187y 983187z isin Rn und λ micro isin R

〈983187x 983187y〉 = 〈983187y 983187x〉 (Symmetrie)

〈λ983187x+ micro983187y 983187z〉 = λ〈983187x 983187z〉+ micro〈983187y 983187z〉 (Bilinearitat)

〈983187x 983187x〉 = |983187x|2 ge 0 (Positivitat)

Um nun die Definition des Winkels zu motivieren appellieren wir an das Schulwissen undbetrachten die gleichformige Kreisbewegung

983187c R rarr R2 983187c(t) =

983061cos tsin t

983062

Es gilt |983187c(t)| =983155

(cos t)2 + (sin t)2 = 1 und 983187c(0) = (1 0) Der Punkt 983187c(t) durchlauft den Kreisentgegen dem Uhrzeigersinn mit konstanter Absolutgeschwindigkeit Eins

983187cprime(t) =

983061minus sin tcos t

983062und damit |983187cprime(t)| =

983155(minus sin t)2 + (cos t)2 = 1

Der Einheitskreis hat die Gesamtlange 2π = 6 2831 Als Maszlig fur den Winkel nehmen wirdie Lange des kurzeren Einheitskreisbogens zwischen c(t1) und c(t2) also

ang(983187c(t1)983187c(t2)) = |t1 minus t2| falls |t1 minus t2| le π

Die Bedingung |t1 minus t2| le π garantiert dass der von 983187c(t) auf [t1 t2] durchlaufene Bogenhochstens ein Halbkreis ist Erhalte mit dem Additionstheorem des Kosinus

cosang(983187c(t1)983187c(t2)) = cos |t1 minus t2| = cos t1 cos t2 + sin t1 sin t2 = 〈983187c(t1)983187c(t2)〉

Definition 171 (Winkel zwischen Vektoren) Seien 983187x 983187y isin Rn mit 983187x 983187y ∕= 9831870 Dann definierenwir den Winkel φ = ang(983187x 983187y) isin [0π] durch die Gleichung

cosφ =

983071983187x

|983187x| 983187y

|983187y|

983072

Spezialfall 983187x 983187y sind zueinander senkrecht (orthogonal) genau wenn 〈983187x 983187y〉 = 0

Es ist noch zu begrunden dass die Gleichung in der Definition eine und nur eineLosung φ besitzt Die Funktion Kosinus ist auf dem Intervall [0π] streng monoton fallendmit cos 0 = 1 und cosπ = minus1 (Bild) Sie nimmt daher jeden Wert in [minus1 1] genau einmalan Es bleibt also zu zeigen dass die rechte Seite in der Definition des Winkels im Intervall[minus1 1] liegt Dies ergibt sich aus folgender Ungleichung

15

Satz 172 (Ungleichung von Cauchy-Schwarz) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt

|〈983187x 983187y〉| le |983187x| |983187y|

Gleichheit gilt genau dann wenn 983187x 983187y parallel sind

Beweis Fur Vektoren 983187a983187b mit |983187a| = |983187b| = 1 schatzen wir ab

1plusmn 〈983187a983187b〉 = 1

2

983059|983187a|2 + |983187b|2 plusmn 2〈983187a983187b〉

983060=

1

2|983187aplusmn983187b|2 ge 0

Fur 983187x 983187y ∕= 9831870 beliebig wenden wir das an mit 983187a =983187x

|983187x| 983187b =

983187y

|983187y|

|〈983187x 983187y〉| = |983187x| |983187y| |〈983187a983187b〉| le |983187x||983187y|

Bei Gleichheit gilt fur die Einheitsvektoren

0 = 983187aplusmn983187b =983187x

|983187x| plusmn983187y

|983187y|

das heiszligt 983187x und 983187y sind parallel

Die Definition des Winkels ergibt trivial denKosinussatz in dem von 9831870 983187x 983187y gebildeten Dreieckfolgt namlich (Bild)

|983187xminus 983187y|2 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2〈983187x 983187y〉 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2|983187x||983187y| cosang(983187x 983187y)

Eine Konsequenz der Cauchy-Schwarz Ungleichung ist folgende Eigenschaft des Betrags

Satz 173 (Dreiecksungleichung) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt die Ungleichung

|983187x+ 983187y| le |983187x|+ |983187y|

mit Gleichheit genau wenn 983187x 983187y gleichsinnig parallel sind

Beweis Aus der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt

|983187x+ 983187y|2 = |983187x|2 + 2〈983187x 983187y〉+ |983187y|2 le |983187x|2 + 2|983187x||983187y|+ |983187y|2 = (|983187x|+ |983187y|)2

Durch Wurzelziehen folgt |983187x + 983187y| le |983187x| + |983187y| wie behauptet Bei Gleichheit mussen 983187x und 983187yparallel sein nach Satz 172 Es muss aber auch 〈983187x 983187y〉 ge 0 sein also sind 983187x 983187y gleichsinnigparallel

Statt auf die Koordinatenachsen konnen wir einen Vektor 983187x auch auf eine beliebige Ur-sprungsgerade g projizieren Wird g durch den Einheitsvektor 983187v isin Rn erzeugt das heiszligtg = λ983187v | λ isin R so lautet der Projektionspunkt

983187xg = 〈983187x983187v〉983187v

Denn 983187xg liegt auf der Geraden g und 983187xminus 983187xg steht senkrecht auf g

〈983187xminus 983187xg983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈〈983187x983187v〉983187v983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈983187x983187v〉 〈983187v983187v〉983167 983166983165 983168=1

= 0

16

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 6: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Eine naheliegende Abbildung ist idX X rarr X idX(x) = x die Identitat oder identischeAbbildung auf X Die Verkettung (oder Hintereinanderschaltung) von Abbildungen f X rarrY und g Y rarr Z ist

g f Xfrarr Y

grarr Z (g f)(x) = g(f(x))

Eine aus der Schule bekannte Moglichkeit sich Funktionen bzw Abbildungen vorzustellenbietet der Graph Dazu bilden wir das kartesische Produkt

X times Y = (x y) x isin X y isin Y

Es gilt (x y) = (xprime yprime) genau wenn x = xprime und y = yprime Der Graph von f ist die Teilmenge

Gf = (x f(x)) x isin X sub X times Y

Als nachstes drei Begriffe zum Abbildungsverhalten f X rarr Y heiszligt

injektiv wenn gilt aus f(x) = f(xprime) folgt x = xprime

surjektiv wenn gilt zu jedem y isin Y gibt es ein x isin X mit f(x) = y (also Y = f(X))

bijektiv wenn f injektiv und surjektiv ist

Ordnen wir jedem Kind seine Mutter zu so erhalten wir eine Abbildung von der Menge Kaller Kinder in die Menge F aller Frauen Diese Abbildung ist nicht surjektiv denn nichtjede Frau ist Mutter Sie ist auch nicht injektiv denn es gibt Mutter mit mehr als einem Kind

Fur die Gleichung f(x) = y mit y isin Y gegeben bedeuten die Begriffe Folgendes finjektiv heiszligt die Gleichung hat hochstens eine Losung f surjektiv heiszligt es gibt mindestenseine Losung Ist f X rarr Y bijektiv so hat die Gleichung genau eine Losung Indem wirjedem y isin Y die jeweilige Losung zuordnen erhalten wir eine Abbildung g Y rarr Xy 983041rarr g(y) mit

f(g(y)) = y fur alle y isin Y also f g = idY

Wahlen wir in der Gleichung als rechte Seite y = f(x) so ist x die Losung das heiszligt

g(f(x)) = x und damit g f = idX

Es ist leicht zu sehen dass g Y rarr X ebenfalls bijektiv ist (Ubungsaufgabe) Wir nennen g =fminus1 die zu f inverse Abbildung oder Umkehrfunktion Fur den Graphen der Umkehrfunktionsehen wir indem wir y = f(x) substituieren

Gfminus1 = (y fminus1(y)) y isin Y = (f(x) x) x isin X sub Y timesX

Der Graph ergibt sich also durch ldquoSpiegelung an der Winkelhalbierendenrdquo

Beispiel 142 Bezeichne mit p1 p2 die Projektionen von X times Y auf die Faktoren gewisser-maszligen die Koordinaten Also

p1 X times Y rarr X p1983043(x y)

983044= x p2 X times Y rarr Y p2

983043(x y)

983044= y

4

Ist f X rarr Y eine Funktion so ist die Abbildung

F X rarr Gf F (x) = (x f(x))

bijektiv die Umkehrabbildung ist p1|Gf Gf rarr X Es folgt fur f die Darstellung

f = p2 (p1|Gf)minus1

Die Funktion f ist also durch ihren Graph Gf bestimmt

15 Zahlen

Aus der Schule kennen wir die Zahlen N sub Z sub Q

N = 1 2 3 naturliche ZahlenZ = minus2minus1 0 1 2 ganze ZahlenQ = p

q |q isin N p isin Z rationale Zahlen

Die reellen Zahlen R fassen wir als Punkte auf der Zahlengeraden auf Anstatt eine abstrakteKonstruktion von R durchzufuhren stellen wir im Folgenden die Regeln (Axiome) in Rzusammen Die Gesetze der Addition und Multiplikation lauten wie folgt

+ bull

Assoziativgesetz (a+ b) + c = a+ (b+ c) (a middot b) middot c = a middot (b middot c)

Kommutativgesetz a+ b = b+ a a middot b = b middot a

Neutrales Element a+ 0 = a a middot 1 = a

Inverses Element a+ (minusa) = 0 a middot 1a= 1 falls a ∕= 0

Distributivgesetz a middot (b+ c) = a middot b+ a middot c

Alle bekannten Rechenregeln wie zum Beispiel (minusa)(minusb) = ab konnen daraus hergeleitetwerden Wir erwahnen die Nullteilerfreiheit

Aus a middot b = 0 folgt a = 0 oder b = 0

Denn ist a ∕= 0 so folgt

b =

9830611

amiddot a

983062middot b = 1

amiddot (a middot b) = 1

amiddot 0 = 0

Den Punkt bei der Multiplikation lassen wir meistens weg Auch die Regeln der Bruchrech-nung lassen sich aus den Korperaxiomen herleiten wir listen sie hier auf

Satz 151 (Bruchrechnung) Fur a b c d isin R mit c d ∕= 0 gilt

(1)a

c+

b

d=

ad+ bc

cd(Gleichnamig machen von Bruchen)

5

(2)a

cmiddot bd=

ab

cd(Multiplikation von Bruchen)

(3)ac

bd=

ad

bc falls zusatzlich b ∕= 0 (Division von Bruchen)

Als nachstes erklaren wir die Anordnung von R Die Ungleichung a lt b bedeutet auf derZahlengeraden dass a links von b liegt bzw aminus b links von Null Offenbar gilt genau eine derRelationen a lt b a gt b oder a = b Hier einige Regeln

- Aus a b gt 0 folgt a+ b gt 0 und a middot b gt 0

- Aus a gt b b gt c folgt a gt c (Transitivitat)

- Aus a gt b und c gt d folgt a+ c gt b+ d (Addition von Ungleichungen)

- Aus a gt b folgt

983083ac gt bc falls c gt 0

ac lt bc falls c lt 0(Multiplikation mit einer Zahl)

Wir wollen diese und weitere Regeln nicht herleiten Eine wichtige Konsequenz ist Quadratein R sind nichtnegativ denn

a2 =

983083a middot a gt 0 im Fall a gt 0

(minusa) middot (minusa) gt 0 im Fall minus a gt 0

Definition 152 Der Betrag einer Zahl a isin R ist

|a| =983069

a falls a ge 0minusa falls a lt 0

(11)

Auf der Zahlengeraden ist |a| der Abstand zum Nullpunkt Die Definition des Betrags hatfolgende Konsequenz Wenn Sie ein Betragszeichen beseitigen mochten mussen Sie eine Fall-unterscheidung machen

Satz 153 (Rechnen mit Betragen) Fur a b isin R gelten folgende Aussagen

(1) |minus a| = |a| und a le |a|

(2) |a| ge 0 aus Gleichheit folgt a = 0

(3) |ab| = |a| middot |b|

(4) |a+ b| le |a|+ |b|

(5) |aminus b| ge ||a|minus |b||

Beweis Aus Definition 152 folgt

|minus a| =983069

minusa falls minus a ge 0minus(minusa) falls minus a le 0

=

983069minusa falls a le 0a falls a ge 0

= |a|

Weiter folgt (2) aus

|a|minus a =

9830690 falls a ge 0minusaminus a ge 0 falls a le 0

6

In (3) bleiben die linke und rechte Seite gleich wenn wir a durch minusa ersetzen dasselbe giltbezuglich b Also konnen wir a b ge 0 annehmen und erhalten |ab| = ab = |a| middot |b| wie verlangtFur (4) schatzen wir mit (1) wie folgt ab

|a+ b| = plusmn(a+ b) = plusmna+ (plusmnb) le |a|+ |b|

Schlieszliglich gilt |a| = |aminusb+b| le |aminusb|+|b| nach (4) also |aminusb| ge |a|minus|b| Durch Vertauschenvon a und b folgt (5)

Alle bis jetzt zusammengestellten Regeln gelten auch fur die rationalen Zahlen Das folgendeBeispiel zeigt aber dass wir mit den rationalen Zahlen nicht auskommen werden Wir sehenhier ein typisches Beispiel fur einen indirekten Beweis

Beispiel 154 Es gibt kein x isin Q mit x2 = 2 Angenommen doch dann konnen wir x gt 0annehmen (ersetze x durch minusx) und weiter nach Kurzen x = pq mit p q isin N nicht beidegerade Aber dann folgt

p2

q2= 2 rArr p2 = 2q2 rArr p = 2pprime rArr 4(pprime)2 = 2q2 rArr q = 2qprime

Also sind p q doch beide gerade ein Widerspruch Wir haben benutzt dass fur p ungeradeauch p2 ungerade ist Die Quadrate von ungeraden Zahlen haben nur die Endziffern 1 9 5

Der Unterschied zwischen Q und R ist die Vollstandigkeit das heiszligt in R konnen wirbeliebige Grenzprozesse durchfuhren Zum Beispiel konnen wir Schritt fur Schritt die Ziffernder Dezimalentwicklung von

radic2 = 1 4142 bestimmen Im ersten Schritt ist 12 lt 2 und

22 gt 2 also nehmen wir die 1 Im zweiten Schritt ist 1 42 = 1 96 zu klein 1 52 = 2 25zu groszlig also kommt die 4 Auf diese Weise erhalten wir eine Folge die die irrationale Zahlradic2 approximiert (in welchem Sinne das genau zu verstehen ist sehen wir in Abschnitt 24)

Wir wollen nun eine Version der Vollstandigkeit von R genauer formulieren und fuhrengleichzeitig einige Begriffe ein

Fur a b isin R mit a lt b definieren wir die Intervalle

(a b) = x isin R a lt x lt b offenes Intervall

[a b] = x isin R a le x le b abgeschlossenes Intervall

[a b) = x isin R a le x lt b rechtsseitig offen linksseitig abgeschlossen

(a b] = x isin R a lt x le b linksseitig offen rechtsseitig abgeschlossen

|I| = bminus a fur ein Intervall I Intervalllange

Es ist praktisch +infin und minusinfin als offene Intervallgrenzen zugelassen zum Beispiel ist(minusinfin 1] = x isin R minusinfin lt x le 1 Beachten Sie plusmninfin sind keine reellen Zahlen

Definition 155 Die Menge M sub R heiszligt

nach oben beschrankt hArr exist b isin R mit x le b fur alle x isin M

nach unten beschrankt hArr exist a isin R mit x ge a fur alle x isin M

Die Zahl b heiszligt dann obere Schranke (a untere Schranke) Weiter heiszligt M beschankt wennM nach oben und unten beschrankt ist

7

Beispiel 156 Die Menge [0 1) ist nach oben beschrankt eine obere Schranke ist zum Beispielb = 2012 Es gibt in [0 1) aber kein groszligtes Element denn es gilt

x isin [0 1) rArr x+ 1

2isin [0 1) und

x+ 1

2gt x

Unter den oberen Schranken von [0 1) gibt es aber eine kleinste namlich die Zahl 1

Die folgende Eigenschaft ist nun fur die reellen Zahlen charakteristisch

Vollstandigkeitsaxiom Jede nach oben beschrankte Menge M sub R hat eine klein-ste obere Schranke

Die Aussage dass S isin R kleinste obere Schranke von M ist bedeutet zwei Dinge

(1) S ist eine obere Schranke von M das heiszligt x le S fur alle x isin M

(2) S ist kleinstmoglich das heiszligt fur alle Sprime lt S gibt es ein x isin M mit x gt Sprime

Wir bezeichnen die kleinste obere Schranke mit S = supM (Supremum von M) Ist M nichtnach oben beschrankt so definieren wir supM = +infin Analog ist das Infimum infM diegroszligte untere Schranke definiert

Wie liegen nun die rationalen Zahlen in R drin Die naturlichen Zahlen N sind nichtnach oben beschrankt denn andernfalls haben diese ein Supremum S isin R Dann ist S minus 1keine obere Schranke das heiszligt es gibt ein n isin N mit n gt S minus 1 oder n+ 1 gt S Damit istS keine obere Schranke Widerspruch Es folgt weiter

Zu jedem x isin R mit x gt 0 gibt es ein n isin N mit1

nlt x

Denn sonst ware N durch 1x nach oben beschrankt Dies bedeutet weiter dass in jedem

nichtleeren Intervall (a b) rationale Zahlen liegen Dazu wahlen wir n isin N mit 1n lt b minus aEin ganzzahliges Vielfaches von 1n muss dann im Intervall (a b) liegen

16 Vollstandige Induktion

Es sei E(n) eine Aussageform die durch einsetzen einer beliebigen naturlichen Zahl n zueiner Aussage wird Wir mochten nun Aussagen der Form

Fur alle n isin N gilt E(n)

beweisen

Beispiel 161 Wir definieren

sn = 1 + 3 + 5 + middot middot middot+ (2n+ 1)

Alternativ konnen wir auch eine Rekursionsformel schreiben

s1 = 4

sn = snminus1 + (2n+ 1)

8

Es ergibt sich damit

s1 = 4

s2 = 9

s3 = 16

s4 = 25

etc

Das legt die Vermutung nahe dass es sich bei den Zahlen sn fur jedes n um eine Quadratzahlhandelt In der Tat gilt der folgende

Satz 162 Fur alle n isin N giltsn = (n+ 1)2

Das Beweisverfahren der vollstandigen Induktion beruht auf folgendem Prinzip

Sei E(n) eine Folge von Aussagen fur n isin N Es gelte

(1) E(1) ist wahr

(2) E(n) ist wahr rArr E(n+ 1) ist wahr

Dann sind alle Aussagen E(n) fur n isin N wahr

Ein Induktionsbeweis funktioniert immer in zwei Schritten Erst wird die Aussage E(n)fur den Fall n = 1 verifiziert (Induktionsanfang) Im zweiten Schritt wird vorausgesetztdass E(n) fur ein n isin N richtig ist (Induktionsannahme) und daraus E(n + 1) gefolgert(Induktionsschluss dh Beweis der Induktionsbehauptung)

Kommen wir zuruck zum Beispiel Der angegebene Satz lasst sich damit wie folgt beweisen

Beweis von Satz 162 Induktionsanfang Fur n = 1 gile s1 = 4 = 22 = (1+1)2 Die Aussageist also fur n = 1 offensichtlich korrektInduktionsschritt Nun gelte die Aussage fur n isin N also sei sn = (n + 1)2 Wir mussenfolgern dass dann auch gilt sn+1 = (n+ 1 + 1)2 Das kann man nachrechnen

sn+1 = sn + (2(n+ 1) + 1) (nach der Rekursionsformel oben)

= (n+ 1)2 + (2(n+ 1) + 1) (dank Induktionsvoraussetzung)

= (n+ 1)2 + 2(n+ 1) + 1

= ((n+ 1) + 1)2

= (n+ 1 + 1)2

womit die Induktionsbehauptung gezeigt ist Damit ist der Satz nach dem Prinzip dervollstandigen Induktion bewiesen

Statt bei n = 1 kann die Induktion auch bei n0 isin N starten die Aussage gilt dann fur n ge n0Damit zeigen wir folgende nutzliche Ungleichung

9

Satz 163 (Bernoullische Ungleichung) Fur x isin R x ge minus1 und n isin N0 gilt

(1 + x)n ge 1 + nx

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 gilt nach Definition (1 + x)0 = 1 =1 + 0 middot x Wegen 1 + x ge 0 folgt weiter

(1 + x)n+1 = (1 + x) middot (1 + x)n

ge (1 + x) middot (1 + nx) (nach Induktionsannahme)

= 1 + (n+ 1)x+ nx2

ge 1 + (n+ 1)x

Viele weitere Aussagen lassen sich durch vollstandige Induktion beweisen

Satz 164 (Geometrische Summe) Sei x isin R x ∕= 1 Dann gilt fur alle n isin N0

1 + x+ + xn =

n983131

k=0

xk =1minus xk+1

1minus x

Beweis Wir zeigen das wieder durch vollstandige Induktion wobei wir bei n = 0 beginnen

0983131

k=0

xk = x0 = 1 =1minus x0+1

1minus x

Jetzt gelte die Formel fur ein n isin N Dann folgt

n+1983131

k=0

xk =

983075n983131

k=0

xk

983076+ xn+1 E(n)

=1minus xn+1

1minus x+ xn+1 =

1minus x(n+1)+1

1minus x

womit die Behauptung gezeigt ist

Wir wollen als nachstes die Elemente gewisser Mengen zahlen Als erstes zeigen wir dassman beim Verteilen von 4 Briefen auf 3 Briefkasten in mindestens einen Briefkasten mehr alseinen Brief stecken muss

Satz 165 (Schubfachprinzip) Ist f 1 m rarr 1 n injektiv mit mn isin N sofolgt m le n

Beweis Wir fuhren Induktion nach n isin N Fur n = 1 haben wir f 1 m rarr 1injektiv das geht nur furm = 1 Sei nun eine injektive Abbildung f 1 m rarr 1 n+1 gegeben wir mussen zeigen dass m le n + 1 ist Hat die Zahl n + 1 kein Urbild so isttatsachlich f 1 m rarr 1 n und nach Induktion gilt sogar m le n Andernfallshat n+ 1 genau ein Urbild Wenn wir dieses rausschmeiszligen und neu nummerieren erhaltenwir eine Abbildung

f 1 mminus 1 rarr 1 n injektiv

Nach Induktion folgt mminus 1 le n bzw m le n+ 1 wie gewunscht

10

Definition 166 (Machtigkeit von Mengen) 1 Zwei Mengen M und N heiszligengleichmachtig wenn eine bijektive Abbildung zwischen M und N existiert

2 Falls eine Menge M und die Menge 1 n fur ein n isin N gleichmachtig sind so heiszligtM endlich und n = M ist die Anzahl ihrer Elemente Die leere Menge ist ebenfallsendlich mit empty = 0

Dass die Zahl der Elemente eindeutig definiert ist folgt aus dem Schubfachprinzip Wir setzen

n =

n983132

k=1

k = 1 middot 2 middot middot n (n-Fakultat)

Per Dekret ist 0 = 1 (vgl Vereinbarung zum leeren Produkt) Der folgende Satz beantwortetdie Frage nach der Anzahl der moglichen Anordnungen (oder Umordnungen oder Permuta-tionen) von n Dingen

Satz 167 (Zahl der Permutationen) Fur n isin N sei Sn die Menge der bijektiven Abbildungenσ 1 n rarr 1 n Dann gilt Sn = n

Beweis Wir zeigen die Behauptung durch Induktion wobei der Induktionsanfang n = 1offensichtlich ist Sei Sn+1k die Menge der Permutationen von 1 n+1 die die Nummerk auf n+1 abbilden Da die restlichen n Nummern beliebig bijektiv auf 1 n abgebildetwerden hat Sn+1k genau n Elemente nach Induktion Es folgt durch Summation

Sn+1 =

n+1983131

k=1

Sn+1k = (n+ 1) middot n = (n+ 1)

Definition 168 (Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N setzen wir983061α

k

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k sowie

983061α

0

983062= 1

Lemma 169 (Additionstheorem fur Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N erfullendie Binomialkoeffizienten die Formel

983061α+ 1

k

983062=

983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062

Beweis Fur k = 1 ist leicht zu sehen dass die Formel richtig ist Fur k ge 2 berechnen wir983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k +α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2)

1 middot 2 middot middot (k minus 1)

=α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2) middot (αminus k + 1 + k)

1 middot 2 middot middot k

=(α+ 1) middot α middot middot ((α+ 1)minus k + 1)

1 middot 2 middot middot k

=

983061α+ 1

k

983062

11

Im Fall α = n isin N0 erlaubt Lemma 169 die rekursive Berechnung der Binomialkoeffizienten983043nk

983044nach dem Dreiecksschema von Blaise Pascal (1623-1662)

n=0 1n=1 1 1n=2 1 2 1n=3 1 3 3 1n=4 1 4 6 4 1n=5 1 5 10 10 5 1n=6 1 6 15 20 15 6 1

Ebenfalls fur α = n isin N0 folgt durch Erweitern der Binomialkoeffizienten mit (n minus k) diealternative Darstellung

983061n

k

983062=

n

k (nminus k)fur n isin N0 k isin 0 1 n (12)

und daraus weiter die am Diagramm ersichtliche Symmetrieeigenschaft983061n

k

983062=

983061n

nminus k

983062fur n isin N0 k isin 0 1 n (13)

Satz 1610 (Zahl der Kombinationen) Sei n isin N0 und k isin 0 1 n Dann ist dieAnzahl der k-elementigen Teilmengen von 1 n gleich

983043nk

983044

Beweis Es gilt983043n0

983044= 1 nach Definition und die einzige null-elementige Teilmenge von

0 1 n ist die leere Menge Also stimmt die Aussage fur alle n = 0 1 und k = 0 Diek-elementigen Teilmengen von 1 n+ 1 mit k ge 1 zerfallen in zwei Klassen

Klasse 1 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1 nicht

Klasse 2 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1

Klasse 1 besteht genau aus den k-elementigen Teilmengen von 1 n Klasse 2 ergibtsich durch Hinzufugen der Nummer n + 1 zu jeder der (k minus 1)-elementigen Teilmengen von1 n Nach Induktion folgt fur die Gesamtzahl der Elemente mit Lemma 169

983061n

k

983062+

983061n

k minus 1

983062=

983061n+ 1

k

983062

womit der Satz bewiesen ist

Satz 1611 (Binomische Formel) Fur a b isin R und n isin N gilt

(a+ b)n =

n983131

k=0

983061n

k

983062akbnminusk (14)

Beweis Ausmultiplizieren des n-fachen Produkts (a+b)n = (a+b)middot(a+b)middot middot(a+b) mit demDistributivgesetz und Ordnen nach dem Kommutativgesetz liefert Terme der Form akbnminusk furk isin 0 1 n Die Haufigkeit eines solchen Terms ist gleich der Anzahl der Moglichkeitenaus den n Klammern k Klammern auszusuchen in denen a als Faktor genommen wird inden restlichen Klammern muss dann der Faktor b gewahlt werden Nach Satz 1610 kommtakbnminusk also genau

983043nk

983044mal vor

12

17 Geometrie im Rn

Im folgenden sei n isin N zum Beispiel n = 2 oder n = 3 Wir bezeichnen mit Rn das n-fachekartesische Produkt Rtimes times R also die Menge aller n-Tupel

Rn =983153x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 | xi isin R983154

Wir nennen die Elemente von Rn auch Vektoren Zwei Vektoren x y isin Rn sind genau danngleich wenn xi = yi fur alle i = 1 n wenn also alle Koordinaten gleich sind Wir konnenVektoren addieren und mit reellen Zahlen multiplizieren (zum Beispiel strecken)

x+ y =

983091

983109983107x1 + y1

xn + yn

983092

983110983108 λx =

983091

983109983107λx1

λxn

983092

983110983108

In diesem Zusammenhang nennt man die Zahl λ auch einen Skalar und spricht von Skalar-multiplikation Die Standard-Einheitsvektoren sind

ei =

983091

983109983109983109983109983109983109983107

010

983092

983110983110983110983110983110983110983108i fur i = 1 n

Mit ihnen ergibt sich fur jeden Vektor x isin Rn die Darstellung

x =

n983131

i=1

xiei

Die Vektoraddition und Skalarmultiplikation erfullen folgende Regeln die alle direkt aus denDefinitionen folgen

(1) (983187x+ 983187y) + 983187z = 983187x+ (983187y + 983187z)

(2) 983187x+9831870 = 983187x fur alle 983187x mit 9831870 = (0 0) (Nullvektor)

(3) Es gilt 983187x+ (minus983187x) = 9831870

(4) 983187x+ 983187y = 983187y + 983187x

(5) (λ+ micro)983187x = λ983187x+ micro983187x

(6) (λmicro)983187x = λ(micro983187x)

(7) λ(983187x+ 983187y) = λ983187x+ λ983187y

(8) 1 middot 983187x = 983187x

13

Im drei-dimensionalen Raum kann jede Gerade mit R1 = R jede Ebene mit R2 und derRaum selbst mit R3 identifiziert werden indem ein kartesisches Koordinatensystem gewahltwird Wir wollen das erklaren indem wir den Begriff des Euklidischen Raums aus derAnschauung verwenden das heiszligt der Euklidische Abstand zwischen zwei Punkten seianschaulich gegeben Ebenso setzen wir den Begriff der Orthogonalitat fur sich schneidendeGeraden anschaulich voraus

Auf einer Geraden g wahlen wir einen Punkt O den Ursprung (origin) Dann bestehtgO aus zwei Halbgeraden Wir erhalten eine Koordinate x auf g indem wir auf einer derHalbgeraden fur x den Abstand zu O wahlen auf der anderen Halbgeraden den negativenAbstand zu O Die Koordinate x ist eindeutig bestimmt durch die Wahl des Ursprungs Ound die Entscheidung welche Halbgerade die positive ist

In einer Ebene E wahlen wir wieder einen Ursprung O und weiter zwei zueinanderorthogonale Geraden g h durch O Auf g h bestimmen wir jeweils Koordinaten x y wieoben beschrieben Jeder Punkt p isin E kann jetzt auf g und h orthogonal projiziert werdendies liefert fur p die beiden Koordinaten (x y) Die Frage nach der Eindeutigkeit ist nunschon schwieriger Wir nehmen an dass der Ursprung fest ist und betrachten ein zweitesPaar gprime hprime zueinander senkrechter Geraden genauer soll gprime hprime aus g h durch Drehung umeinen Winkel α hervorgehen Dann sieht man (Bild)

x = (cosα)xprime minus (sinα) yprime xprime = (cosα)x+ (sinα) y

y = (sinα)xprime + (cosα) yprime yprime = minus(sinα)x+ (cosα) y

Wir kommen schlieszliglich zur Wahl kartesischer Koordinaten im drei-dimensionalen RaumWieder wahlen wir einen Ursprung O und nun drei zueinander senkrechte Geraden g h ℓSeien x y z die Koordinaten auf den drei einzelnen Geraden wie oben erklart Jeder Punktp im Raum wird auf die drei Geraden orthogonal projiziert und liefert so die Koordinaten(x y z) Die Frage nach der Eindeutigkeit bzw der Umrechnung in ein anderes Koordina-tensystem ist etwas schwieriger wir kommen spater in der Vorlesung darauf zuruck

Indem wir R2 mit einer Ebene bzw R3 mit dem Euklidischen Raum identifizieren(wie oben beschrieben) erhalten wir eine anschauliche Darstellung der VektoradditionVektorsubtraktion und Skalarmultiplikation (Bild)

Die oben benutzten Begriffe Lange und Winkel wollen wir noch genauer erklaren DieEuklidische Lange (oder der Betrag) eines Vektors ist definiert durch

|983187x| =983059 n983131

i=1

x2i

983060 12

fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108

Fur n = 2 ist |983187x| =983155

x21 + x22 dies entspricht also dem Satz von Pythagoras (Bild) Furn = 3 haben wir |983187x| =

983155x21 + x22 + x23 Dies lasst sich ebenfalls mit Pythagoras begrunden

indem der Punkt (x1 x2 0) betrachtet wird (Bild) Offenbar gilt fur 983187x isin Rn λ isin R

|983187x| ge 0 (Gleichheit nur fur 983187x = 9831870)

|λ983187x| = |λ||983187x|

14

Der Euklidische Abstand ist

dist(983187x 983187y) = |983187xminus 983187y| fur 983187x 983187y isin Rn

Insbesondere ist der Betrag gleich dem Abstand zum Nullpunkt ie |983187x| = dist(983187x9831870) Eineweitere nutzliche Groszlige ist das Skalarprodukt zwischen Vektoren im Rn

〈983187x 983187y〉 =n983131

i=1

xiyi fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 983187y =

983091

983109983107y1yn

983092

983110983108

Statt mit Klammern wird das Skalarprodukt oft in der Form 983187x middot983187y geschrieben also mit einemPunkt Wir bleiben aber bei den Klammern Folgende Regeln ergeben sich direkt aus derFormel wobei 983187x 983187y 983187z isin Rn und λ micro isin R

〈983187x 983187y〉 = 〈983187y 983187x〉 (Symmetrie)

〈λ983187x+ micro983187y 983187z〉 = λ〈983187x 983187z〉+ micro〈983187y 983187z〉 (Bilinearitat)

〈983187x 983187x〉 = |983187x|2 ge 0 (Positivitat)

Um nun die Definition des Winkels zu motivieren appellieren wir an das Schulwissen undbetrachten die gleichformige Kreisbewegung

983187c R rarr R2 983187c(t) =

983061cos tsin t

983062

Es gilt |983187c(t)| =983155

(cos t)2 + (sin t)2 = 1 und 983187c(0) = (1 0) Der Punkt 983187c(t) durchlauft den Kreisentgegen dem Uhrzeigersinn mit konstanter Absolutgeschwindigkeit Eins

983187cprime(t) =

983061minus sin tcos t

983062und damit |983187cprime(t)| =

983155(minus sin t)2 + (cos t)2 = 1

Der Einheitskreis hat die Gesamtlange 2π = 6 2831 Als Maszlig fur den Winkel nehmen wirdie Lange des kurzeren Einheitskreisbogens zwischen c(t1) und c(t2) also

ang(983187c(t1)983187c(t2)) = |t1 minus t2| falls |t1 minus t2| le π

Die Bedingung |t1 minus t2| le π garantiert dass der von 983187c(t) auf [t1 t2] durchlaufene Bogenhochstens ein Halbkreis ist Erhalte mit dem Additionstheorem des Kosinus

cosang(983187c(t1)983187c(t2)) = cos |t1 minus t2| = cos t1 cos t2 + sin t1 sin t2 = 〈983187c(t1)983187c(t2)〉

Definition 171 (Winkel zwischen Vektoren) Seien 983187x 983187y isin Rn mit 983187x 983187y ∕= 9831870 Dann definierenwir den Winkel φ = ang(983187x 983187y) isin [0π] durch die Gleichung

cosφ =

983071983187x

|983187x| 983187y

|983187y|

983072

Spezialfall 983187x 983187y sind zueinander senkrecht (orthogonal) genau wenn 〈983187x 983187y〉 = 0

Es ist noch zu begrunden dass die Gleichung in der Definition eine und nur eineLosung φ besitzt Die Funktion Kosinus ist auf dem Intervall [0π] streng monoton fallendmit cos 0 = 1 und cosπ = minus1 (Bild) Sie nimmt daher jeden Wert in [minus1 1] genau einmalan Es bleibt also zu zeigen dass die rechte Seite in der Definition des Winkels im Intervall[minus1 1] liegt Dies ergibt sich aus folgender Ungleichung

15

Satz 172 (Ungleichung von Cauchy-Schwarz) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt

|〈983187x 983187y〉| le |983187x| |983187y|

Gleichheit gilt genau dann wenn 983187x 983187y parallel sind

Beweis Fur Vektoren 983187a983187b mit |983187a| = |983187b| = 1 schatzen wir ab

1plusmn 〈983187a983187b〉 = 1

2

983059|983187a|2 + |983187b|2 plusmn 2〈983187a983187b〉

983060=

1

2|983187aplusmn983187b|2 ge 0

Fur 983187x 983187y ∕= 9831870 beliebig wenden wir das an mit 983187a =983187x

|983187x| 983187b =

983187y

|983187y|

|〈983187x 983187y〉| = |983187x| |983187y| |〈983187a983187b〉| le |983187x||983187y|

Bei Gleichheit gilt fur die Einheitsvektoren

0 = 983187aplusmn983187b =983187x

|983187x| plusmn983187y

|983187y|

das heiszligt 983187x und 983187y sind parallel

Die Definition des Winkels ergibt trivial denKosinussatz in dem von 9831870 983187x 983187y gebildeten Dreieckfolgt namlich (Bild)

|983187xminus 983187y|2 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2〈983187x 983187y〉 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2|983187x||983187y| cosang(983187x 983187y)

Eine Konsequenz der Cauchy-Schwarz Ungleichung ist folgende Eigenschaft des Betrags

Satz 173 (Dreiecksungleichung) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt die Ungleichung

|983187x+ 983187y| le |983187x|+ |983187y|

mit Gleichheit genau wenn 983187x 983187y gleichsinnig parallel sind

Beweis Aus der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt

|983187x+ 983187y|2 = |983187x|2 + 2〈983187x 983187y〉+ |983187y|2 le |983187x|2 + 2|983187x||983187y|+ |983187y|2 = (|983187x|+ |983187y|)2

Durch Wurzelziehen folgt |983187x + 983187y| le |983187x| + |983187y| wie behauptet Bei Gleichheit mussen 983187x und 983187yparallel sein nach Satz 172 Es muss aber auch 〈983187x 983187y〉 ge 0 sein also sind 983187x 983187y gleichsinnigparallel

Statt auf die Koordinatenachsen konnen wir einen Vektor 983187x auch auf eine beliebige Ur-sprungsgerade g projizieren Wird g durch den Einheitsvektor 983187v isin Rn erzeugt das heiszligtg = λ983187v | λ isin R so lautet der Projektionspunkt

983187xg = 〈983187x983187v〉983187v

Denn 983187xg liegt auf der Geraden g und 983187xminus 983187xg steht senkrecht auf g

〈983187xminus 983187xg983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈〈983187x983187v〉983187v983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈983187x983187v〉 〈983187v983187v〉983167 983166983165 983168=1

= 0

16

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 7: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Ist f X rarr Y eine Funktion so ist die Abbildung

F X rarr Gf F (x) = (x f(x))

bijektiv die Umkehrabbildung ist p1|Gf Gf rarr X Es folgt fur f die Darstellung

f = p2 (p1|Gf)minus1

Die Funktion f ist also durch ihren Graph Gf bestimmt

15 Zahlen

Aus der Schule kennen wir die Zahlen N sub Z sub Q

N = 1 2 3 naturliche ZahlenZ = minus2minus1 0 1 2 ganze ZahlenQ = p

q |q isin N p isin Z rationale Zahlen

Die reellen Zahlen R fassen wir als Punkte auf der Zahlengeraden auf Anstatt eine abstrakteKonstruktion von R durchzufuhren stellen wir im Folgenden die Regeln (Axiome) in Rzusammen Die Gesetze der Addition und Multiplikation lauten wie folgt

+ bull

Assoziativgesetz (a+ b) + c = a+ (b+ c) (a middot b) middot c = a middot (b middot c)

Kommutativgesetz a+ b = b+ a a middot b = b middot a

Neutrales Element a+ 0 = a a middot 1 = a

Inverses Element a+ (minusa) = 0 a middot 1a= 1 falls a ∕= 0

Distributivgesetz a middot (b+ c) = a middot b+ a middot c

Alle bekannten Rechenregeln wie zum Beispiel (minusa)(minusb) = ab konnen daraus hergeleitetwerden Wir erwahnen die Nullteilerfreiheit

Aus a middot b = 0 folgt a = 0 oder b = 0

Denn ist a ∕= 0 so folgt

b =

9830611

amiddot a

983062middot b = 1

amiddot (a middot b) = 1

amiddot 0 = 0

Den Punkt bei der Multiplikation lassen wir meistens weg Auch die Regeln der Bruchrech-nung lassen sich aus den Korperaxiomen herleiten wir listen sie hier auf

Satz 151 (Bruchrechnung) Fur a b c d isin R mit c d ∕= 0 gilt

(1)a

c+

b

d=

ad+ bc

cd(Gleichnamig machen von Bruchen)

5

(2)a

cmiddot bd=

ab

cd(Multiplikation von Bruchen)

(3)ac

bd=

ad

bc falls zusatzlich b ∕= 0 (Division von Bruchen)

Als nachstes erklaren wir die Anordnung von R Die Ungleichung a lt b bedeutet auf derZahlengeraden dass a links von b liegt bzw aminus b links von Null Offenbar gilt genau eine derRelationen a lt b a gt b oder a = b Hier einige Regeln

- Aus a b gt 0 folgt a+ b gt 0 und a middot b gt 0

- Aus a gt b b gt c folgt a gt c (Transitivitat)

- Aus a gt b und c gt d folgt a+ c gt b+ d (Addition von Ungleichungen)

- Aus a gt b folgt

983083ac gt bc falls c gt 0

ac lt bc falls c lt 0(Multiplikation mit einer Zahl)

Wir wollen diese und weitere Regeln nicht herleiten Eine wichtige Konsequenz ist Quadratein R sind nichtnegativ denn

a2 =

983083a middot a gt 0 im Fall a gt 0

(minusa) middot (minusa) gt 0 im Fall minus a gt 0

Definition 152 Der Betrag einer Zahl a isin R ist

|a| =983069

a falls a ge 0minusa falls a lt 0

(11)

Auf der Zahlengeraden ist |a| der Abstand zum Nullpunkt Die Definition des Betrags hatfolgende Konsequenz Wenn Sie ein Betragszeichen beseitigen mochten mussen Sie eine Fall-unterscheidung machen

Satz 153 (Rechnen mit Betragen) Fur a b isin R gelten folgende Aussagen

(1) |minus a| = |a| und a le |a|

(2) |a| ge 0 aus Gleichheit folgt a = 0

(3) |ab| = |a| middot |b|

(4) |a+ b| le |a|+ |b|

(5) |aminus b| ge ||a|minus |b||

Beweis Aus Definition 152 folgt

|minus a| =983069

minusa falls minus a ge 0minus(minusa) falls minus a le 0

=

983069minusa falls a le 0a falls a ge 0

= |a|

Weiter folgt (2) aus

|a|minus a =

9830690 falls a ge 0minusaminus a ge 0 falls a le 0

6

In (3) bleiben die linke und rechte Seite gleich wenn wir a durch minusa ersetzen dasselbe giltbezuglich b Also konnen wir a b ge 0 annehmen und erhalten |ab| = ab = |a| middot |b| wie verlangtFur (4) schatzen wir mit (1) wie folgt ab

|a+ b| = plusmn(a+ b) = plusmna+ (plusmnb) le |a|+ |b|

Schlieszliglich gilt |a| = |aminusb+b| le |aminusb|+|b| nach (4) also |aminusb| ge |a|minus|b| Durch Vertauschenvon a und b folgt (5)

Alle bis jetzt zusammengestellten Regeln gelten auch fur die rationalen Zahlen Das folgendeBeispiel zeigt aber dass wir mit den rationalen Zahlen nicht auskommen werden Wir sehenhier ein typisches Beispiel fur einen indirekten Beweis

Beispiel 154 Es gibt kein x isin Q mit x2 = 2 Angenommen doch dann konnen wir x gt 0annehmen (ersetze x durch minusx) und weiter nach Kurzen x = pq mit p q isin N nicht beidegerade Aber dann folgt

p2

q2= 2 rArr p2 = 2q2 rArr p = 2pprime rArr 4(pprime)2 = 2q2 rArr q = 2qprime

Also sind p q doch beide gerade ein Widerspruch Wir haben benutzt dass fur p ungeradeauch p2 ungerade ist Die Quadrate von ungeraden Zahlen haben nur die Endziffern 1 9 5

Der Unterschied zwischen Q und R ist die Vollstandigkeit das heiszligt in R konnen wirbeliebige Grenzprozesse durchfuhren Zum Beispiel konnen wir Schritt fur Schritt die Ziffernder Dezimalentwicklung von

radic2 = 1 4142 bestimmen Im ersten Schritt ist 12 lt 2 und

22 gt 2 also nehmen wir die 1 Im zweiten Schritt ist 1 42 = 1 96 zu klein 1 52 = 2 25zu groszlig also kommt die 4 Auf diese Weise erhalten wir eine Folge die die irrationale Zahlradic2 approximiert (in welchem Sinne das genau zu verstehen ist sehen wir in Abschnitt 24)

Wir wollen nun eine Version der Vollstandigkeit von R genauer formulieren und fuhrengleichzeitig einige Begriffe ein

Fur a b isin R mit a lt b definieren wir die Intervalle

(a b) = x isin R a lt x lt b offenes Intervall

[a b] = x isin R a le x le b abgeschlossenes Intervall

[a b) = x isin R a le x lt b rechtsseitig offen linksseitig abgeschlossen

(a b] = x isin R a lt x le b linksseitig offen rechtsseitig abgeschlossen

|I| = bminus a fur ein Intervall I Intervalllange

Es ist praktisch +infin und minusinfin als offene Intervallgrenzen zugelassen zum Beispiel ist(minusinfin 1] = x isin R minusinfin lt x le 1 Beachten Sie plusmninfin sind keine reellen Zahlen

Definition 155 Die Menge M sub R heiszligt

nach oben beschrankt hArr exist b isin R mit x le b fur alle x isin M

nach unten beschrankt hArr exist a isin R mit x ge a fur alle x isin M

Die Zahl b heiszligt dann obere Schranke (a untere Schranke) Weiter heiszligt M beschankt wennM nach oben und unten beschrankt ist

7

Beispiel 156 Die Menge [0 1) ist nach oben beschrankt eine obere Schranke ist zum Beispielb = 2012 Es gibt in [0 1) aber kein groszligtes Element denn es gilt

x isin [0 1) rArr x+ 1

2isin [0 1) und

x+ 1

2gt x

Unter den oberen Schranken von [0 1) gibt es aber eine kleinste namlich die Zahl 1

Die folgende Eigenschaft ist nun fur die reellen Zahlen charakteristisch

Vollstandigkeitsaxiom Jede nach oben beschrankte Menge M sub R hat eine klein-ste obere Schranke

Die Aussage dass S isin R kleinste obere Schranke von M ist bedeutet zwei Dinge

(1) S ist eine obere Schranke von M das heiszligt x le S fur alle x isin M

(2) S ist kleinstmoglich das heiszligt fur alle Sprime lt S gibt es ein x isin M mit x gt Sprime

Wir bezeichnen die kleinste obere Schranke mit S = supM (Supremum von M) Ist M nichtnach oben beschrankt so definieren wir supM = +infin Analog ist das Infimum infM diegroszligte untere Schranke definiert

Wie liegen nun die rationalen Zahlen in R drin Die naturlichen Zahlen N sind nichtnach oben beschrankt denn andernfalls haben diese ein Supremum S isin R Dann ist S minus 1keine obere Schranke das heiszligt es gibt ein n isin N mit n gt S minus 1 oder n+ 1 gt S Damit istS keine obere Schranke Widerspruch Es folgt weiter

Zu jedem x isin R mit x gt 0 gibt es ein n isin N mit1

nlt x

Denn sonst ware N durch 1x nach oben beschrankt Dies bedeutet weiter dass in jedem

nichtleeren Intervall (a b) rationale Zahlen liegen Dazu wahlen wir n isin N mit 1n lt b minus aEin ganzzahliges Vielfaches von 1n muss dann im Intervall (a b) liegen

16 Vollstandige Induktion

Es sei E(n) eine Aussageform die durch einsetzen einer beliebigen naturlichen Zahl n zueiner Aussage wird Wir mochten nun Aussagen der Form

Fur alle n isin N gilt E(n)

beweisen

Beispiel 161 Wir definieren

sn = 1 + 3 + 5 + middot middot middot+ (2n+ 1)

Alternativ konnen wir auch eine Rekursionsformel schreiben

s1 = 4

sn = snminus1 + (2n+ 1)

8

Es ergibt sich damit

s1 = 4

s2 = 9

s3 = 16

s4 = 25

etc

Das legt die Vermutung nahe dass es sich bei den Zahlen sn fur jedes n um eine Quadratzahlhandelt In der Tat gilt der folgende

Satz 162 Fur alle n isin N giltsn = (n+ 1)2

Das Beweisverfahren der vollstandigen Induktion beruht auf folgendem Prinzip

Sei E(n) eine Folge von Aussagen fur n isin N Es gelte

(1) E(1) ist wahr

(2) E(n) ist wahr rArr E(n+ 1) ist wahr

Dann sind alle Aussagen E(n) fur n isin N wahr

Ein Induktionsbeweis funktioniert immer in zwei Schritten Erst wird die Aussage E(n)fur den Fall n = 1 verifiziert (Induktionsanfang) Im zweiten Schritt wird vorausgesetztdass E(n) fur ein n isin N richtig ist (Induktionsannahme) und daraus E(n + 1) gefolgert(Induktionsschluss dh Beweis der Induktionsbehauptung)

Kommen wir zuruck zum Beispiel Der angegebene Satz lasst sich damit wie folgt beweisen

Beweis von Satz 162 Induktionsanfang Fur n = 1 gile s1 = 4 = 22 = (1+1)2 Die Aussageist also fur n = 1 offensichtlich korrektInduktionsschritt Nun gelte die Aussage fur n isin N also sei sn = (n + 1)2 Wir mussenfolgern dass dann auch gilt sn+1 = (n+ 1 + 1)2 Das kann man nachrechnen

sn+1 = sn + (2(n+ 1) + 1) (nach der Rekursionsformel oben)

= (n+ 1)2 + (2(n+ 1) + 1) (dank Induktionsvoraussetzung)

= (n+ 1)2 + 2(n+ 1) + 1

= ((n+ 1) + 1)2

= (n+ 1 + 1)2

womit die Induktionsbehauptung gezeigt ist Damit ist der Satz nach dem Prinzip dervollstandigen Induktion bewiesen

Statt bei n = 1 kann die Induktion auch bei n0 isin N starten die Aussage gilt dann fur n ge n0Damit zeigen wir folgende nutzliche Ungleichung

9

Satz 163 (Bernoullische Ungleichung) Fur x isin R x ge minus1 und n isin N0 gilt

(1 + x)n ge 1 + nx

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 gilt nach Definition (1 + x)0 = 1 =1 + 0 middot x Wegen 1 + x ge 0 folgt weiter

(1 + x)n+1 = (1 + x) middot (1 + x)n

ge (1 + x) middot (1 + nx) (nach Induktionsannahme)

= 1 + (n+ 1)x+ nx2

ge 1 + (n+ 1)x

Viele weitere Aussagen lassen sich durch vollstandige Induktion beweisen

Satz 164 (Geometrische Summe) Sei x isin R x ∕= 1 Dann gilt fur alle n isin N0

1 + x+ + xn =

n983131

k=0

xk =1minus xk+1

1minus x

Beweis Wir zeigen das wieder durch vollstandige Induktion wobei wir bei n = 0 beginnen

0983131

k=0

xk = x0 = 1 =1minus x0+1

1minus x

Jetzt gelte die Formel fur ein n isin N Dann folgt

n+1983131

k=0

xk =

983075n983131

k=0

xk

983076+ xn+1 E(n)

=1minus xn+1

1minus x+ xn+1 =

1minus x(n+1)+1

1minus x

womit die Behauptung gezeigt ist

Wir wollen als nachstes die Elemente gewisser Mengen zahlen Als erstes zeigen wir dassman beim Verteilen von 4 Briefen auf 3 Briefkasten in mindestens einen Briefkasten mehr alseinen Brief stecken muss

Satz 165 (Schubfachprinzip) Ist f 1 m rarr 1 n injektiv mit mn isin N sofolgt m le n

Beweis Wir fuhren Induktion nach n isin N Fur n = 1 haben wir f 1 m rarr 1injektiv das geht nur furm = 1 Sei nun eine injektive Abbildung f 1 m rarr 1 n+1 gegeben wir mussen zeigen dass m le n + 1 ist Hat die Zahl n + 1 kein Urbild so isttatsachlich f 1 m rarr 1 n und nach Induktion gilt sogar m le n Andernfallshat n+ 1 genau ein Urbild Wenn wir dieses rausschmeiszligen und neu nummerieren erhaltenwir eine Abbildung

f 1 mminus 1 rarr 1 n injektiv

Nach Induktion folgt mminus 1 le n bzw m le n+ 1 wie gewunscht

10

Definition 166 (Machtigkeit von Mengen) 1 Zwei Mengen M und N heiszligengleichmachtig wenn eine bijektive Abbildung zwischen M und N existiert

2 Falls eine Menge M und die Menge 1 n fur ein n isin N gleichmachtig sind so heiszligtM endlich und n = M ist die Anzahl ihrer Elemente Die leere Menge ist ebenfallsendlich mit empty = 0

Dass die Zahl der Elemente eindeutig definiert ist folgt aus dem Schubfachprinzip Wir setzen

n =

n983132

k=1

k = 1 middot 2 middot middot n (n-Fakultat)

Per Dekret ist 0 = 1 (vgl Vereinbarung zum leeren Produkt) Der folgende Satz beantwortetdie Frage nach der Anzahl der moglichen Anordnungen (oder Umordnungen oder Permuta-tionen) von n Dingen

Satz 167 (Zahl der Permutationen) Fur n isin N sei Sn die Menge der bijektiven Abbildungenσ 1 n rarr 1 n Dann gilt Sn = n

Beweis Wir zeigen die Behauptung durch Induktion wobei der Induktionsanfang n = 1offensichtlich ist Sei Sn+1k die Menge der Permutationen von 1 n+1 die die Nummerk auf n+1 abbilden Da die restlichen n Nummern beliebig bijektiv auf 1 n abgebildetwerden hat Sn+1k genau n Elemente nach Induktion Es folgt durch Summation

Sn+1 =

n+1983131

k=1

Sn+1k = (n+ 1) middot n = (n+ 1)

Definition 168 (Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N setzen wir983061α

k

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k sowie

983061α

0

983062= 1

Lemma 169 (Additionstheorem fur Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N erfullendie Binomialkoeffizienten die Formel

983061α+ 1

k

983062=

983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062

Beweis Fur k = 1 ist leicht zu sehen dass die Formel richtig ist Fur k ge 2 berechnen wir983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k +α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2)

1 middot 2 middot middot (k minus 1)

=α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2) middot (αminus k + 1 + k)

1 middot 2 middot middot k

=(α+ 1) middot α middot middot ((α+ 1)minus k + 1)

1 middot 2 middot middot k

=

983061α+ 1

k

983062

11

Im Fall α = n isin N0 erlaubt Lemma 169 die rekursive Berechnung der Binomialkoeffizienten983043nk

983044nach dem Dreiecksschema von Blaise Pascal (1623-1662)

n=0 1n=1 1 1n=2 1 2 1n=3 1 3 3 1n=4 1 4 6 4 1n=5 1 5 10 10 5 1n=6 1 6 15 20 15 6 1

Ebenfalls fur α = n isin N0 folgt durch Erweitern der Binomialkoeffizienten mit (n minus k) diealternative Darstellung

983061n

k

983062=

n

k (nminus k)fur n isin N0 k isin 0 1 n (12)

und daraus weiter die am Diagramm ersichtliche Symmetrieeigenschaft983061n

k

983062=

983061n

nminus k

983062fur n isin N0 k isin 0 1 n (13)

Satz 1610 (Zahl der Kombinationen) Sei n isin N0 und k isin 0 1 n Dann ist dieAnzahl der k-elementigen Teilmengen von 1 n gleich

983043nk

983044

Beweis Es gilt983043n0

983044= 1 nach Definition und die einzige null-elementige Teilmenge von

0 1 n ist die leere Menge Also stimmt die Aussage fur alle n = 0 1 und k = 0 Diek-elementigen Teilmengen von 1 n+ 1 mit k ge 1 zerfallen in zwei Klassen

Klasse 1 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1 nicht

Klasse 2 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1

Klasse 1 besteht genau aus den k-elementigen Teilmengen von 1 n Klasse 2 ergibtsich durch Hinzufugen der Nummer n + 1 zu jeder der (k minus 1)-elementigen Teilmengen von1 n Nach Induktion folgt fur die Gesamtzahl der Elemente mit Lemma 169

983061n

k

983062+

983061n

k minus 1

983062=

983061n+ 1

k

983062

womit der Satz bewiesen ist

Satz 1611 (Binomische Formel) Fur a b isin R und n isin N gilt

(a+ b)n =

n983131

k=0

983061n

k

983062akbnminusk (14)

Beweis Ausmultiplizieren des n-fachen Produkts (a+b)n = (a+b)middot(a+b)middot middot(a+b) mit demDistributivgesetz und Ordnen nach dem Kommutativgesetz liefert Terme der Form akbnminusk furk isin 0 1 n Die Haufigkeit eines solchen Terms ist gleich der Anzahl der Moglichkeitenaus den n Klammern k Klammern auszusuchen in denen a als Faktor genommen wird inden restlichen Klammern muss dann der Faktor b gewahlt werden Nach Satz 1610 kommtakbnminusk also genau

983043nk

983044mal vor

12

17 Geometrie im Rn

Im folgenden sei n isin N zum Beispiel n = 2 oder n = 3 Wir bezeichnen mit Rn das n-fachekartesische Produkt Rtimes times R also die Menge aller n-Tupel

Rn =983153x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 | xi isin R983154

Wir nennen die Elemente von Rn auch Vektoren Zwei Vektoren x y isin Rn sind genau danngleich wenn xi = yi fur alle i = 1 n wenn also alle Koordinaten gleich sind Wir konnenVektoren addieren und mit reellen Zahlen multiplizieren (zum Beispiel strecken)

x+ y =

983091

983109983107x1 + y1

xn + yn

983092

983110983108 λx =

983091

983109983107λx1

λxn

983092

983110983108

In diesem Zusammenhang nennt man die Zahl λ auch einen Skalar und spricht von Skalar-multiplikation Die Standard-Einheitsvektoren sind

ei =

983091

983109983109983109983109983109983109983107

010

983092

983110983110983110983110983110983110983108i fur i = 1 n

Mit ihnen ergibt sich fur jeden Vektor x isin Rn die Darstellung

x =

n983131

i=1

xiei

Die Vektoraddition und Skalarmultiplikation erfullen folgende Regeln die alle direkt aus denDefinitionen folgen

(1) (983187x+ 983187y) + 983187z = 983187x+ (983187y + 983187z)

(2) 983187x+9831870 = 983187x fur alle 983187x mit 9831870 = (0 0) (Nullvektor)

(3) Es gilt 983187x+ (minus983187x) = 9831870

(4) 983187x+ 983187y = 983187y + 983187x

(5) (λ+ micro)983187x = λ983187x+ micro983187x

(6) (λmicro)983187x = λ(micro983187x)

(7) λ(983187x+ 983187y) = λ983187x+ λ983187y

(8) 1 middot 983187x = 983187x

13

Im drei-dimensionalen Raum kann jede Gerade mit R1 = R jede Ebene mit R2 und derRaum selbst mit R3 identifiziert werden indem ein kartesisches Koordinatensystem gewahltwird Wir wollen das erklaren indem wir den Begriff des Euklidischen Raums aus derAnschauung verwenden das heiszligt der Euklidische Abstand zwischen zwei Punkten seianschaulich gegeben Ebenso setzen wir den Begriff der Orthogonalitat fur sich schneidendeGeraden anschaulich voraus

Auf einer Geraden g wahlen wir einen Punkt O den Ursprung (origin) Dann bestehtgO aus zwei Halbgeraden Wir erhalten eine Koordinate x auf g indem wir auf einer derHalbgeraden fur x den Abstand zu O wahlen auf der anderen Halbgeraden den negativenAbstand zu O Die Koordinate x ist eindeutig bestimmt durch die Wahl des Ursprungs Ound die Entscheidung welche Halbgerade die positive ist

In einer Ebene E wahlen wir wieder einen Ursprung O und weiter zwei zueinanderorthogonale Geraden g h durch O Auf g h bestimmen wir jeweils Koordinaten x y wieoben beschrieben Jeder Punkt p isin E kann jetzt auf g und h orthogonal projiziert werdendies liefert fur p die beiden Koordinaten (x y) Die Frage nach der Eindeutigkeit ist nunschon schwieriger Wir nehmen an dass der Ursprung fest ist und betrachten ein zweitesPaar gprime hprime zueinander senkrechter Geraden genauer soll gprime hprime aus g h durch Drehung umeinen Winkel α hervorgehen Dann sieht man (Bild)

x = (cosα)xprime minus (sinα) yprime xprime = (cosα)x+ (sinα) y

y = (sinα)xprime + (cosα) yprime yprime = minus(sinα)x+ (cosα) y

Wir kommen schlieszliglich zur Wahl kartesischer Koordinaten im drei-dimensionalen RaumWieder wahlen wir einen Ursprung O und nun drei zueinander senkrechte Geraden g h ℓSeien x y z die Koordinaten auf den drei einzelnen Geraden wie oben erklart Jeder Punktp im Raum wird auf die drei Geraden orthogonal projiziert und liefert so die Koordinaten(x y z) Die Frage nach der Eindeutigkeit bzw der Umrechnung in ein anderes Koordina-tensystem ist etwas schwieriger wir kommen spater in der Vorlesung darauf zuruck

Indem wir R2 mit einer Ebene bzw R3 mit dem Euklidischen Raum identifizieren(wie oben beschrieben) erhalten wir eine anschauliche Darstellung der VektoradditionVektorsubtraktion und Skalarmultiplikation (Bild)

Die oben benutzten Begriffe Lange und Winkel wollen wir noch genauer erklaren DieEuklidische Lange (oder der Betrag) eines Vektors ist definiert durch

|983187x| =983059 n983131

i=1

x2i

983060 12

fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108

Fur n = 2 ist |983187x| =983155

x21 + x22 dies entspricht also dem Satz von Pythagoras (Bild) Furn = 3 haben wir |983187x| =

983155x21 + x22 + x23 Dies lasst sich ebenfalls mit Pythagoras begrunden

indem der Punkt (x1 x2 0) betrachtet wird (Bild) Offenbar gilt fur 983187x isin Rn λ isin R

|983187x| ge 0 (Gleichheit nur fur 983187x = 9831870)

|λ983187x| = |λ||983187x|

14

Der Euklidische Abstand ist

dist(983187x 983187y) = |983187xminus 983187y| fur 983187x 983187y isin Rn

Insbesondere ist der Betrag gleich dem Abstand zum Nullpunkt ie |983187x| = dist(983187x9831870) Eineweitere nutzliche Groszlige ist das Skalarprodukt zwischen Vektoren im Rn

〈983187x 983187y〉 =n983131

i=1

xiyi fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 983187y =

983091

983109983107y1yn

983092

983110983108

Statt mit Klammern wird das Skalarprodukt oft in der Form 983187x middot983187y geschrieben also mit einemPunkt Wir bleiben aber bei den Klammern Folgende Regeln ergeben sich direkt aus derFormel wobei 983187x 983187y 983187z isin Rn und λ micro isin R

〈983187x 983187y〉 = 〈983187y 983187x〉 (Symmetrie)

〈λ983187x+ micro983187y 983187z〉 = λ〈983187x 983187z〉+ micro〈983187y 983187z〉 (Bilinearitat)

〈983187x 983187x〉 = |983187x|2 ge 0 (Positivitat)

Um nun die Definition des Winkels zu motivieren appellieren wir an das Schulwissen undbetrachten die gleichformige Kreisbewegung

983187c R rarr R2 983187c(t) =

983061cos tsin t

983062

Es gilt |983187c(t)| =983155

(cos t)2 + (sin t)2 = 1 und 983187c(0) = (1 0) Der Punkt 983187c(t) durchlauft den Kreisentgegen dem Uhrzeigersinn mit konstanter Absolutgeschwindigkeit Eins

983187cprime(t) =

983061minus sin tcos t

983062und damit |983187cprime(t)| =

983155(minus sin t)2 + (cos t)2 = 1

Der Einheitskreis hat die Gesamtlange 2π = 6 2831 Als Maszlig fur den Winkel nehmen wirdie Lange des kurzeren Einheitskreisbogens zwischen c(t1) und c(t2) also

ang(983187c(t1)983187c(t2)) = |t1 minus t2| falls |t1 minus t2| le π

Die Bedingung |t1 minus t2| le π garantiert dass der von 983187c(t) auf [t1 t2] durchlaufene Bogenhochstens ein Halbkreis ist Erhalte mit dem Additionstheorem des Kosinus

cosang(983187c(t1)983187c(t2)) = cos |t1 minus t2| = cos t1 cos t2 + sin t1 sin t2 = 〈983187c(t1)983187c(t2)〉

Definition 171 (Winkel zwischen Vektoren) Seien 983187x 983187y isin Rn mit 983187x 983187y ∕= 9831870 Dann definierenwir den Winkel φ = ang(983187x 983187y) isin [0π] durch die Gleichung

cosφ =

983071983187x

|983187x| 983187y

|983187y|

983072

Spezialfall 983187x 983187y sind zueinander senkrecht (orthogonal) genau wenn 〈983187x 983187y〉 = 0

Es ist noch zu begrunden dass die Gleichung in der Definition eine und nur eineLosung φ besitzt Die Funktion Kosinus ist auf dem Intervall [0π] streng monoton fallendmit cos 0 = 1 und cosπ = minus1 (Bild) Sie nimmt daher jeden Wert in [minus1 1] genau einmalan Es bleibt also zu zeigen dass die rechte Seite in der Definition des Winkels im Intervall[minus1 1] liegt Dies ergibt sich aus folgender Ungleichung

15

Satz 172 (Ungleichung von Cauchy-Schwarz) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt

|〈983187x 983187y〉| le |983187x| |983187y|

Gleichheit gilt genau dann wenn 983187x 983187y parallel sind

Beweis Fur Vektoren 983187a983187b mit |983187a| = |983187b| = 1 schatzen wir ab

1plusmn 〈983187a983187b〉 = 1

2

983059|983187a|2 + |983187b|2 plusmn 2〈983187a983187b〉

983060=

1

2|983187aplusmn983187b|2 ge 0

Fur 983187x 983187y ∕= 9831870 beliebig wenden wir das an mit 983187a =983187x

|983187x| 983187b =

983187y

|983187y|

|〈983187x 983187y〉| = |983187x| |983187y| |〈983187a983187b〉| le |983187x||983187y|

Bei Gleichheit gilt fur die Einheitsvektoren

0 = 983187aplusmn983187b =983187x

|983187x| plusmn983187y

|983187y|

das heiszligt 983187x und 983187y sind parallel

Die Definition des Winkels ergibt trivial denKosinussatz in dem von 9831870 983187x 983187y gebildeten Dreieckfolgt namlich (Bild)

|983187xminus 983187y|2 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2〈983187x 983187y〉 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2|983187x||983187y| cosang(983187x 983187y)

Eine Konsequenz der Cauchy-Schwarz Ungleichung ist folgende Eigenschaft des Betrags

Satz 173 (Dreiecksungleichung) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt die Ungleichung

|983187x+ 983187y| le |983187x|+ |983187y|

mit Gleichheit genau wenn 983187x 983187y gleichsinnig parallel sind

Beweis Aus der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt

|983187x+ 983187y|2 = |983187x|2 + 2〈983187x 983187y〉+ |983187y|2 le |983187x|2 + 2|983187x||983187y|+ |983187y|2 = (|983187x|+ |983187y|)2

Durch Wurzelziehen folgt |983187x + 983187y| le |983187x| + |983187y| wie behauptet Bei Gleichheit mussen 983187x und 983187yparallel sein nach Satz 172 Es muss aber auch 〈983187x 983187y〉 ge 0 sein also sind 983187x 983187y gleichsinnigparallel

Statt auf die Koordinatenachsen konnen wir einen Vektor 983187x auch auf eine beliebige Ur-sprungsgerade g projizieren Wird g durch den Einheitsvektor 983187v isin Rn erzeugt das heiszligtg = λ983187v | λ isin R so lautet der Projektionspunkt

983187xg = 〈983187x983187v〉983187v

Denn 983187xg liegt auf der Geraden g und 983187xminus 983187xg steht senkrecht auf g

〈983187xminus 983187xg983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈〈983187x983187v〉983187v983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈983187x983187v〉 〈983187v983187v〉983167 983166983165 983168=1

= 0

16

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 8: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

(2)a

cmiddot bd=

ab

cd(Multiplikation von Bruchen)

(3)ac

bd=

ad

bc falls zusatzlich b ∕= 0 (Division von Bruchen)

Als nachstes erklaren wir die Anordnung von R Die Ungleichung a lt b bedeutet auf derZahlengeraden dass a links von b liegt bzw aminus b links von Null Offenbar gilt genau eine derRelationen a lt b a gt b oder a = b Hier einige Regeln

- Aus a b gt 0 folgt a+ b gt 0 und a middot b gt 0

- Aus a gt b b gt c folgt a gt c (Transitivitat)

- Aus a gt b und c gt d folgt a+ c gt b+ d (Addition von Ungleichungen)

- Aus a gt b folgt

983083ac gt bc falls c gt 0

ac lt bc falls c lt 0(Multiplikation mit einer Zahl)

Wir wollen diese und weitere Regeln nicht herleiten Eine wichtige Konsequenz ist Quadratein R sind nichtnegativ denn

a2 =

983083a middot a gt 0 im Fall a gt 0

(minusa) middot (minusa) gt 0 im Fall minus a gt 0

Definition 152 Der Betrag einer Zahl a isin R ist

|a| =983069

a falls a ge 0minusa falls a lt 0

(11)

Auf der Zahlengeraden ist |a| der Abstand zum Nullpunkt Die Definition des Betrags hatfolgende Konsequenz Wenn Sie ein Betragszeichen beseitigen mochten mussen Sie eine Fall-unterscheidung machen

Satz 153 (Rechnen mit Betragen) Fur a b isin R gelten folgende Aussagen

(1) |minus a| = |a| und a le |a|

(2) |a| ge 0 aus Gleichheit folgt a = 0

(3) |ab| = |a| middot |b|

(4) |a+ b| le |a|+ |b|

(5) |aminus b| ge ||a|minus |b||

Beweis Aus Definition 152 folgt

|minus a| =983069

minusa falls minus a ge 0minus(minusa) falls minus a le 0

=

983069minusa falls a le 0a falls a ge 0

= |a|

Weiter folgt (2) aus

|a|minus a =

9830690 falls a ge 0minusaminus a ge 0 falls a le 0

6

In (3) bleiben die linke und rechte Seite gleich wenn wir a durch minusa ersetzen dasselbe giltbezuglich b Also konnen wir a b ge 0 annehmen und erhalten |ab| = ab = |a| middot |b| wie verlangtFur (4) schatzen wir mit (1) wie folgt ab

|a+ b| = plusmn(a+ b) = plusmna+ (plusmnb) le |a|+ |b|

Schlieszliglich gilt |a| = |aminusb+b| le |aminusb|+|b| nach (4) also |aminusb| ge |a|minus|b| Durch Vertauschenvon a und b folgt (5)

Alle bis jetzt zusammengestellten Regeln gelten auch fur die rationalen Zahlen Das folgendeBeispiel zeigt aber dass wir mit den rationalen Zahlen nicht auskommen werden Wir sehenhier ein typisches Beispiel fur einen indirekten Beweis

Beispiel 154 Es gibt kein x isin Q mit x2 = 2 Angenommen doch dann konnen wir x gt 0annehmen (ersetze x durch minusx) und weiter nach Kurzen x = pq mit p q isin N nicht beidegerade Aber dann folgt

p2

q2= 2 rArr p2 = 2q2 rArr p = 2pprime rArr 4(pprime)2 = 2q2 rArr q = 2qprime

Also sind p q doch beide gerade ein Widerspruch Wir haben benutzt dass fur p ungeradeauch p2 ungerade ist Die Quadrate von ungeraden Zahlen haben nur die Endziffern 1 9 5

Der Unterschied zwischen Q und R ist die Vollstandigkeit das heiszligt in R konnen wirbeliebige Grenzprozesse durchfuhren Zum Beispiel konnen wir Schritt fur Schritt die Ziffernder Dezimalentwicklung von

radic2 = 1 4142 bestimmen Im ersten Schritt ist 12 lt 2 und

22 gt 2 also nehmen wir die 1 Im zweiten Schritt ist 1 42 = 1 96 zu klein 1 52 = 2 25zu groszlig also kommt die 4 Auf diese Weise erhalten wir eine Folge die die irrationale Zahlradic2 approximiert (in welchem Sinne das genau zu verstehen ist sehen wir in Abschnitt 24)

Wir wollen nun eine Version der Vollstandigkeit von R genauer formulieren und fuhrengleichzeitig einige Begriffe ein

Fur a b isin R mit a lt b definieren wir die Intervalle

(a b) = x isin R a lt x lt b offenes Intervall

[a b] = x isin R a le x le b abgeschlossenes Intervall

[a b) = x isin R a le x lt b rechtsseitig offen linksseitig abgeschlossen

(a b] = x isin R a lt x le b linksseitig offen rechtsseitig abgeschlossen

|I| = bminus a fur ein Intervall I Intervalllange

Es ist praktisch +infin und minusinfin als offene Intervallgrenzen zugelassen zum Beispiel ist(minusinfin 1] = x isin R minusinfin lt x le 1 Beachten Sie plusmninfin sind keine reellen Zahlen

Definition 155 Die Menge M sub R heiszligt

nach oben beschrankt hArr exist b isin R mit x le b fur alle x isin M

nach unten beschrankt hArr exist a isin R mit x ge a fur alle x isin M

Die Zahl b heiszligt dann obere Schranke (a untere Schranke) Weiter heiszligt M beschankt wennM nach oben und unten beschrankt ist

7

Beispiel 156 Die Menge [0 1) ist nach oben beschrankt eine obere Schranke ist zum Beispielb = 2012 Es gibt in [0 1) aber kein groszligtes Element denn es gilt

x isin [0 1) rArr x+ 1

2isin [0 1) und

x+ 1

2gt x

Unter den oberen Schranken von [0 1) gibt es aber eine kleinste namlich die Zahl 1

Die folgende Eigenschaft ist nun fur die reellen Zahlen charakteristisch

Vollstandigkeitsaxiom Jede nach oben beschrankte Menge M sub R hat eine klein-ste obere Schranke

Die Aussage dass S isin R kleinste obere Schranke von M ist bedeutet zwei Dinge

(1) S ist eine obere Schranke von M das heiszligt x le S fur alle x isin M

(2) S ist kleinstmoglich das heiszligt fur alle Sprime lt S gibt es ein x isin M mit x gt Sprime

Wir bezeichnen die kleinste obere Schranke mit S = supM (Supremum von M) Ist M nichtnach oben beschrankt so definieren wir supM = +infin Analog ist das Infimum infM diegroszligte untere Schranke definiert

Wie liegen nun die rationalen Zahlen in R drin Die naturlichen Zahlen N sind nichtnach oben beschrankt denn andernfalls haben diese ein Supremum S isin R Dann ist S minus 1keine obere Schranke das heiszligt es gibt ein n isin N mit n gt S minus 1 oder n+ 1 gt S Damit istS keine obere Schranke Widerspruch Es folgt weiter

Zu jedem x isin R mit x gt 0 gibt es ein n isin N mit1

nlt x

Denn sonst ware N durch 1x nach oben beschrankt Dies bedeutet weiter dass in jedem

nichtleeren Intervall (a b) rationale Zahlen liegen Dazu wahlen wir n isin N mit 1n lt b minus aEin ganzzahliges Vielfaches von 1n muss dann im Intervall (a b) liegen

16 Vollstandige Induktion

Es sei E(n) eine Aussageform die durch einsetzen einer beliebigen naturlichen Zahl n zueiner Aussage wird Wir mochten nun Aussagen der Form

Fur alle n isin N gilt E(n)

beweisen

Beispiel 161 Wir definieren

sn = 1 + 3 + 5 + middot middot middot+ (2n+ 1)

Alternativ konnen wir auch eine Rekursionsformel schreiben

s1 = 4

sn = snminus1 + (2n+ 1)

8

Es ergibt sich damit

s1 = 4

s2 = 9

s3 = 16

s4 = 25

etc

Das legt die Vermutung nahe dass es sich bei den Zahlen sn fur jedes n um eine Quadratzahlhandelt In der Tat gilt der folgende

Satz 162 Fur alle n isin N giltsn = (n+ 1)2

Das Beweisverfahren der vollstandigen Induktion beruht auf folgendem Prinzip

Sei E(n) eine Folge von Aussagen fur n isin N Es gelte

(1) E(1) ist wahr

(2) E(n) ist wahr rArr E(n+ 1) ist wahr

Dann sind alle Aussagen E(n) fur n isin N wahr

Ein Induktionsbeweis funktioniert immer in zwei Schritten Erst wird die Aussage E(n)fur den Fall n = 1 verifiziert (Induktionsanfang) Im zweiten Schritt wird vorausgesetztdass E(n) fur ein n isin N richtig ist (Induktionsannahme) und daraus E(n + 1) gefolgert(Induktionsschluss dh Beweis der Induktionsbehauptung)

Kommen wir zuruck zum Beispiel Der angegebene Satz lasst sich damit wie folgt beweisen

Beweis von Satz 162 Induktionsanfang Fur n = 1 gile s1 = 4 = 22 = (1+1)2 Die Aussageist also fur n = 1 offensichtlich korrektInduktionsschritt Nun gelte die Aussage fur n isin N also sei sn = (n + 1)2 Wir mussenfolgern dass dann auch gilt sn+1 = (n+ 1 + 1)2 Das kann man nachrechnen

sn+1 = sn + (2(n+ 1) + 1) (nach der Rekursionsformel oben)

= (n+ 1)2 + (2(n+ 1) + 1) (dank Induktionsvoraussetzung)

= (n+ 1)2 + 2(n+ 1) + 1

= ((n+ 1) + 1)2

= (n+ 1 + 1)2

womit die Induktionsbehauptung gezeigt ist Damit ist der Satz nach dem Prinzip dervollstandigen Induktion bewiesen

Statt bei n = 1 kann die Induktion auch bei n0 isin N starten die Aussage gilt dann fur n ge n0Damit zeigen wir folgende nutzliche Ungleichung

9

Satz 163 (Bernoullische Ungleichung) Fur x isin R x ge minus1 und n isin N0 gilt

(1 + x)n ge 1 + nx

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 gilt nach Definition (1 + x)0 = 1 =1 + 0 middot x Wegen 1 + x ge 0 folgt weiter

(1 + x)n+1 = (1 + x) middot (1 + x)n

ge (1 + x) middot (1 + nx) (nach Induktionsannahme)

= 1 + (n+ 1)x+ nx2

ge 1 + (n+ 1)x

Viele weitere Aussagen lassen sich durch vollstandige Induktion beweisen

Satz 164 (Geometrische Summe) Sei x isin R x ∕= 1 Dann gilt fur alle n isin N0

1 + x+ + xn =

n983131

k=0

xk =1minus xk+1

1minus x

Beweis Wir zeigen das wieder durch vollstandige Induktion wobei wir bei n = 0 beginnen

0983131

k=0

xk = x0 = 1 =1minus x0+1

1minus x

Jetzt gelte die Formel fur ein n isin N Dann folgt

n+1983131

k=0

xk =

983075n983131

k=0

xk

983076+ xn+1 E(n)

=1minus xn+1

1minus x+ xn+1 =

1minus x(n+1)+1

1minus x

womit die Behauptung gezeigt ist

Wir wollen als nachstes die Elemente gewisser Mengen zahlen Als erstes zeigen wir dassman beim Verteilen von 4 Briefen auf 3 Briefkasten in mindestens einen Briefkasten mehr alseinen Brief stecken muss

Satz 165 (Schubfachprinzip) Ist f 1 m rarr 1 n injektiv mit mn isin N sofolgt m le n

Beweis Wir fuhren Induktion nach n isin N Fur n = 1 haben wir f 1 m rarr 1injektiv das geht nur furm = 1 Sei nun eine injektive Abbildung f 1 m rarr 1 n+1 gegeben wir mussen zeigen dass m le n + 1 ist Hat die Zahl n + 1 kein Urbild so isttatsachlich f 1 m rarr 1 n und nach Induktion gilt sogar m le n Andernfallshat n+ 1 genau ein Urbild Wenn wir dieses rausschmeiszligen und neu nummerieren erhaltenwir eine Abbildung

f 1 mminus 1 rarr 1 n injektiv

Nach Induktion folgt mminus 1 le n bzw m le n+ 1 wie gewunscht

10

Definition 166 (Machtigkeit von Mengen) 1 Zwei Mengen M und N heiszligengleichmachtig wenn eine bijektive Abbildung zwischen M und N existiert

2 Falls eine Menge M und die Menge 1 n fur ein n isin N gleichmachtig sind so heiszligtM endlich und n = M ist die Anzahl ihrer Elemente Die leere Menge ist ebenfallsendlich mit empty = 0

Dass die Zahl der Elemente eindeutig definiert ist folgt aus dem Schubfachprinzip Wir setzen

n =

n983132

k=1

k = 1 middot 2 middot middot n (n-Fakultat)

Per Dekret ist 0 = 1 (vgl Vereinbarung zum leeren Produkt) Der folgende Satz beantwortetdie Frage nach der Anzahl der moglichen Anordnungen (oder Umordnungen oder Permuta-tionen) von n Dingen

Satz 167 (Zahl der Permutationen) Fur n isin N sei Sn die Menge der bijektiven Abbildungenσ 1 n rarr 1 n Dann gilt Sn = n

Beweis Wir zeigen die Behauptung durch Induktion wobei der Induktionsanfang n = 1offensichtlich ist Sei Sn+1k die Menge der Permutationen von 1 n+1 die die Nummerk auf n+1 abbilden Da die restlichen n Nummern beliebig bijektiv auf 1 n abgebildetwerden hat Sn+1k genau n Elemente nach Induktion Es folgt durch Summation

Sn+1 =

n+1983131

k=1

Sn+1k = (n+ 1) middot n = (n+ 1)

Definition 168 (Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N setzen wir983061α

k

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k sowie

983061α

0

983062= 1

Lemma 169 (Additionstheorem fur Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N erfullendie Binomialkoeffizienten die Formel

983061α+ 1

k

983062=

983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062

Beweis Fur k = 1 ist leicht zu sehen dass die Formel richtig ist Fur k ge 2 berechnen wir983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k +α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2)

1 middot 2 middot middot (k minus 1)

=α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2) middot (αminus k + 1 + k)

1 middot 2 middot middot k

=(α+ 1) middot α middot middot ((α+ 1)minus k + 1)

1 middot 2 middot middot k

=

983061α+ 1

k

983062

11

Im Fall α = n isin N0 erlaubt Lemma 169 die rekursive Berechnung der Binomialkoeffizienten983043nk

983044nach dem Dreiecksschema von Blaise Pascal (1623-1662)

n=0 1n=1 1 1n=2 1 2 1n=3 1 3 3 1n=4 1 4 6 4 1n=5 1 5 10 10 5 1n=6 1 6 15 20 15 6 1

Ebenfalls fur α = n isin N0 folgt durch Erweitern der Binomialkoeffizienten mit (n minus k) diealternative Darstellung

983061n

k

983062=

n

k (nminus k)fur n isin N0 k isin 0 1 n (12)

und daraus weiter die am Diagramm ersichtliche Symmetrieeigenschaft983061n

k

983062=

983061n

nminus k

983062fur n isin N0 k isin 0 1 n (13)

Satz 1610 (Zahl der Kombinationen) Sei n isin N0 und k isin 0 1 n Dann ist dieAnzahl der k-elementigen Teilmengen von 1 n gleich

983043nk

983044

Beweis Es gilt983043n0

983044= 1 nach Definition und die einzige null-elementige Teilmenge von

0 1 n ist die leere Menge Also stimmt die Aussage fur alle n = 0 1 und k = 0 Diek-elementigen Teilmengen von 1 n+ 1 mit k ge 1 zerfallen in zwei Klassen

Klasse 1 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1 nicht

Klasse 2 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1

Klasse 1 besteht genau aus den k-elementigen Teilmengen von 1 n Klasse 2 ergibtsich durch Hinzufugen der Nummer n + 1 zu jeder der (k minus 1)-elementigen Teilmengen von1 n Nach Induktion folgt fur die Gesamtzahl der Elemente mit Lemma 169

983061n

k

983062+

983061n

k minus 1

983062=

983061n+ 1

k

983062

womit der Satz bewiesen ist

Satz 1611 (Binomische Formel) Fur a b isin R und n isin N gilt

(a+ b)n =

n983131

k=0

983061n

k

983062akbnminusk (14)

Beweis Ausmultiplizieren des n-fachen Produkts (a+b)n = (a+b)middot(a+b)middot middot(a+b) mit demDistributivgesetz und Ordnen nach dem Kommutativgesetz liefert Terme der Form akbnminusk furk isin 0 1 n Die Haufigkeit eines solchen Terms ist gleich der Anzahl der Moglichkeitenaus den n Klammern k Klammern auszusuchen in denen a als Faktor genommen wird inden restlichen Klammern muss dann der Faktor b gewahlt werden Nach Satz 1610 kommtakbnminusk also genau

983043nk

983044mal vor

12

17 Geometrie im Rn

Im folgenden sei n isin N zum Beispiel n = 2 oder n = 3 Wir bezeichnen mit Rn das n-fachekartesische Produkt Rtimes times R also die Menge aller n-Tupel

Rn =983153x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 | xi isin R983154

Wir nennen die Elemente von Rn auch Vektoren Zwei Vektoren x y isin Rn sind genau danngleich wenn xi = yi fur alle i = 1 n wenn also alle Koordinaten gleich sind Wir konnenVektoren addieren und mit reellen Zahlen multiplizieren (zum Beispiel strecken)

x+ y =

983091

983109983107x1 + y1

xn + yn

983092

983110983108 λx =

983091

983109983107λx1

λxn

983092

983110983108

In diesem Zusammenhang nennt man die Zahl λ auch einen Skalar und spricht von Skalar-multiplikation Die Standard-Einheitsvektoren sind

ei =

983091

983109983109983109983109983109983109983107

010

983092

983110983110983110983110983110983110983108i fur i = 1 n

Mit ihnen ergibt sich fur jeden Vektor x isin Rn die Darstellung

x =

n983131

i=1

xiei

Die Vektoraddition und Skalarmultiplikation erfullen folgende Regeln die alle direkt aus denDefinitionen folgen

(1) (983187x+ 983187y) + 983187z = 983187x+ (983187y + 983187z)

(2) 983187x+9831870 = 983187x fur alle 983187x mit 9831870 = (0 0) (Nullvektor)

(3) Es gilt 983187x+ (minus983187x) = 9831870

(4) 983187x+ 983187y = 983187y + 983187x

(5) (λ+ micro)983187x = λ983187x+ micro983187x

(6) (λmicro)983187x = λ(micro983187x)

(7) λ(983187x+ 983187y) = λ983187x+ λ983187y

(8) 1 middot 983187x = 983187x

13

Im drei-dimensionalen Raum kann jede Gerade mit R1 = R jede Ebene mit R2 und derRaum selbst mit R3 identifiziert werden indem ein kartesisches Koordinatensystem gewahltwird Wir wollen das erklaren indem wir den Begriff des Euklidischen Raums aus derAnschauung verwenden das heiszligt der Euklidische Abstand zwischen zwei Punkten seianschaulich gegeben Ebenso setzen wir den Begriff der Orthogonalitat fur sich schneidendeGeraden anschaulich voraus

Auf einer Geraden g wahlen wir einen Punkt O den Ursprung (origin) Dann bestehtgO aus zwei Halbgeraden Wir erhalten eine Koordinate x auf g indem wir auf einer derHalbgeraden fur x den Abstand zu O wahlen auf der anderen Halbgeraden den negativenAbstand zu O Die Koordinate x ist eindeutig bestimmt durch die Wahl des Ursprungs Ound die Entscheidung welche Halbgerade die positive ist

In einer Ebene E wahlen wir wieder einen Ursprung O und weiter zwei zueinanderorthogonale Geraden g h durch O Auf g h bestimmen wir jeweils Koordinaten x y wieoben beschrieben Jeder Punkt p isin E kann jetzt auf g und h orthogonal projiziert werdendies liefert fur p die beiden Koordinaten (x y) Die Frage nach der Eindeutigkeit ist nunschon schwieriger Wir nehmen an dass der Ursprung fest ist und betrachten ein zweitesPaar gprime hprime zueinander senkrechter Geraden genauer soll gprime hprime aus g h durch Drehung umeinen Winkel α hervorgehen Dann sieht man (Bild)

x = (cosα)xprime minus (sinα) yprime xprime = (cosα)x+ (sinα) y

y = (sinα)xprime + (cosα) yprime yprime = minus(sinα)x+ (cosα) y

Wir kommen schlieszliglich zur Wahl kartesischer Koordinaten im drei-dimensionalen RaumWieder wahlen wir einen Ursprung O und nun drei zueinander senkrechte Geraden g h ℓSeien x y z die Koordinaten auf den drei einzelnen Geraden wie oben erklart Jeder Punktp im Raum wird auf die drei Geraden orthogonal projiziert und liefert so die Koordinaten(x y z) Die Frage nach der Eindeutigkeit bzw der Umrechnung in ein anderes Koordina-tensystem ist etwas schwieriger wir kommen spater in der Vorlesung darauf zuruck

Indem wir R2 mit einer Ebene bzw R3 mit dem Euklidischen Raum identifizieren(wie oben beschrieben) erhalten wir eine anschauliche Darstellung der VektoradditionVektorsubtraktion und Skalarmultiplikation (Bild)

Die oben benutzten Begriffe Lange und Winkel wollen wir noch genauer erklaren DieEuklidische Lange (oder der Betrag) eines Vektors ist definiert durch

|983187x| =983059 n983131

i=1

x2i

983060 12

fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108

Fur n = 2 ist |983187x| =983155

x21 + x22 dies entspricht also dem Satz von Pythagoras (Bild) Furn = 3 haben wir |983187x| =

983155x21 + x22 + x23 Dies lasst sich ebenfalls mit Pythagoras begrunden

indem der Punkt (x1 x2 0) betrachtet wird (Bild) Offenbar gilt fur 983187x isin Rn λ isin R

|983187x| ge 0 (Gleichheit nur fur 983187x = 9831870)

|λ983187x| = |λ||983187x|

14

Der Euklidische Abstand ist

dist(983187x 983187y) = |983187xminus 983187y| fur 983187x 983187y isin Rn

Insbesondere ist der Betrag gleich dem Abstand zum Nullpunkt ie |983187x| = dist(983187x9831870) Eineweitere nutzliche Groszlige ist das Skalarprodukt zwischen Vektoren im Rn

〈983187x 983187y〉 =n983131

i=1

xiyi fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 983187y =

983091

983109983107y1yn

983092

983110983108

Statt mit Klammern wird das Skalarprodukt oft in der Form 983187x middot983187y geschrieben also mit einemPunkt Wir bleiben aber bei den Klammern Folgende Regeln ergeben sich direkt aus derFormel wobei 983187x 983187y 983187z isin Rn und λ micro isin R

〈983187x 983187y〉 = 〈983187y 983187x〉 (Symmetrie)

〈λ983187x+ micro983187y 983187z〉 = λ〈983187x 983187z〉+ micro〈983187y 983187z〉 (Bilinearitat)

〈983187x 983187x〉 = |983187x|2 ge 0 (Positivitat)

Um nun die Definition des Winkels zu motivieren appellieren wir an das Schulwissen undbetrachten die gleichformige Kreisbewegung

983187c R rarr R2 983187c(t) =

983061cos tsin t

983062

Es gilt |983187c(t)| =983155

(cos t)2 + (sin t)2 = 1 und 983187c(0) = (1 0) Der Punkt 983187c(t) durchlauft den Kreisentgegen dem Uhrzeigersinn mit konstanter Absolutgeschwindigkeit Eins

983187cprime(t) =

983061minus sin tcos t

983062und damit |983187cprime(t)| =

983155(minus sin t)2 + (cos t)2 = 1

Der Einheitskreis hat die Gesamtlange 2π = 6 2831 Als Maszlig fur den Winkel nehmen wirdie Lange des kurzeren Einheitskreisbogens zwischen c(t1) und c(t2) also

ang(983187c(t1)983187c(t2)) = |t1 minus t2| falls |t1 minus t2| le π

Die Bedingung |t1 minus t2| le π garantiert dass der von 983187c(t) auf [t1 t2] durchlaufene Bogenhochstens ein Halbkreis ist Erhalte mit dem Additionstheorem des Kosinus

cosang(983187c(t1)983187c(t2)) = cos |t1 minus t2| = cos t1 cos t2 + sin t1 sin t2 = 〈983187c(t1)983187c(t2)〉

Definition 171 (Winkel zwischen Vektoren) Seien 983187x 983187y isin Rn mit 983187x 983187y ∕= 9831870 Dann definierenwir den Winkel φ = ang(983187x 983187y) isin [0π] durch die Gleichung

cosφ =

983071983187x

|983187x| 983187y

|983187y|

983072

Spezialfall 983187x 983187y sind zueinander senkrecht (orthogonal) genau wenn 〈983187x 983187y〉 = 0

Es ist noch zu begrunden dass die Gleichung in der Definition eine und nur eineLosung φ besitzt Die Funktion Kosinus ist auf dem Intervall [0π] streng monoton fallendmit cos 0 = 1 und cosπ = minus1 (Bild) Sie nimmt daher jeden Wert in [minus1 1] genau einmalan Es bleibt also zu zeigen dass die rechte Seite in der Definition des Winkels im Intervall[minus1 1] liegt Dies ergibt sich aus folgender Ungleichung

15

Satz 172 (Ungleichung von Cauchy-Schwarz) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt

|〈983187x 983187y〉| le |983187x| |983187y|

Gleichheit gilt genau dann wenn 983187x 983187y parallel sind

Beweis Fur Vektoren 983187a983187b mit |983187a| = |983187b| = 1 schatzen wir ab

1plusmn 〈983187a983187b〉 = 1

2

983059|983187a|2 + |983187b|2 plusmn 2〈983187a983187b〉

983060=

1

2|983187aplusmn983187b|2 ge 0

Fur 983187x 983187y ∕= 9831870 beliebig wenden wir das an mit 983187a =983187x

|983187x| 983187b =

983187y

|983187y|

|〈983187x 983187y〉| = |983187x| |983187y| |〈983187a983187b〉| le |983187x||983187y|

Bei Gleichheit gilt fur die Einheitsvektoren

0 = 983187aplusmn983187b =983187x

|983187x| plusmn983187y

|983187y|

das heiszligt 983187x und 983187y sind parallel

Die Definition des Winkels ergibt trivial denKosinussatz in dem von 9831870 983187x 983187y gebildeten Dreieckfolgt namlich (Bild)

|983187xminus 983187y|2 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2〈983187x 983187y〉 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2|983187x||983187y| cosang(983187x 983187y)

Eine Konsequenz der Cauchy-Schwarz Ungleichung ist folgende Eigenschaft des Betrags

Satz 173 (Dreiecksungleichung) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt die Ungleichung

|983187x+ 983187y| le |983187x|+ |983187y|

mit Gleichheit genau wenn 983187x 983187y gleichsinnig parallel sind

Beweis Aus der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt

|983187x+ 983187y|2 = |983187x|2 + 2〈983187x 983187y〉+ |983187y|2 le |983187x|2 + 2|983187x||983187y|+ |983187y|2 = (|983187x|+ |983187y|)2

Durch Wurzelziehen folgt |983187x + 983187y| le |983187x| + |983187y| wie behauptet Bei Gleichheit mussen 983187x und 983187yparallel sein nach Satz 172 Es muss aber auch 〈983187x 983187y〉 ge 0 sein also sind 983187x 983187y gleichsinnigparallel

Statt auf die Koordinatenachsen konnen wir einen Vektor 983187x auch auf eine beliebige Ur-sprungsgerade g projizieren Wird g durch den Einheitsvektor 983187v isin Rn erzeugt das heiszligtg = λ983187v | λ isin R so lautet der Projektionspunkt

983187xg = 〈983187x983187v〉983187v

Denn 983187xg liegt auf der Geraden g und 983187xminus 983187xg steht senkrecht auf g

〈983187xminus 983187xg983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈〈983187x983187v〉983187v983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈983187x983187v〉 〈983187v983187v〉983167 983166983165 983168=1

= 0

16

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 9: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

In (3) bleiben die linke und rechte Seite gleich wenn wir a durch minusa ersetzen dasselbe giltbezuglich b Also konnen wir a b ge 0 annehmen und erhalten |ab| = ab = |a| middot |b| wie verlangtFur (4) schatzen wir mit (1) wie folgt ab

|a+ b| = plusmn(a+ b) = plusmna+ (plusmnb) le |a|+ |b|

Schlieszliglich gilt |a| = |aminusb+b| le |aminusb|+|b| nach (4) also |aminusb| ge |a|minus|b| Durch Vertauschenvon a und b folgt (5)

Alle bis jetzt zusammengestellten Regeln gelten auch fur die rationalen Zahlen Das folgendeBeispiel zeigt aber dass wir mit den rationalen Zahlen nicht auskommen werden Wir sehenhier ein typisches Beispiel fur einen indirekten Beweis

Beispiel 154 Es gibt kein x isin Q mit x2 = 2 Angenommen doch dann konnen wir x gt 0annehmen (ersetze x durch minusx) und weiter nach Kurzen x = pq mit p q isin N nicht beidegerade Aber dann folgt

p2

q2= 2 rArr p2 = 2q2 rArr p = 2pprime rArr 4(pprime)2 = 2q2 rArr q = 2qprime

Also sind p q doch beide gerade ein Widerspruch Wir haben benutzt dass fur p ungeradeauch p2 ungerade ist Die Quadrate von ungeraden Zahlen haben nur die Endziffern 1 9 5

Der Unterschied zwischen Q und R ist die Vollstandigkeit das heiszligt in R konnen wirbeliebige Grenzprozesse durchfuhren Zum Beispiel konnen wir Schritt fur Schritt die Ziffernder Dezimalentwicklung von

radic2 = 1 4142 bestimmen Im ersten Schritt ist 12 lt 2 und

22 gt 2 also nehmen wir die 1 Im zweiten Schritt ist 1 42 = 1 96 zu klein 1 52 = 2 25zu groszlig also kommt die 4 Auf diese Weise erhalten wir eine Folge die die irrationale Zahlradic2 approximiert (in welchem Sinne das genau zu verstehen ist sehen wir in Abschnitt 24)

Wir wollen nun eine Version der Vollstandigkeit von R genauer formulieren und fuhrengleichzeitig einige Begriffe ein

Fur a b isin R mit a lt b definieren wir die Intervalle

(a b) = x isin R a lt x lt b offenes Intervall

[a b] = x isin R a le x le b abgeschlossenes Intervall

[a b) = x isin R a le x lt b rechtsseitig offen linksseitig abgeschlossen

(a b] = x isin R a lt x le b linksseitig offen rechtsseitig abgeschlossen

|I| = bminus a fur ein Intervall I Intervalllange

Es ist praktisch +infin und minusinfin als offene Intervallgrenzen zugelassen zum Beispiel ist(minusinfin 1] = x isin R minusinfin lt x le 1 Beachten Sie plusmninfin sind keine reellen Zahlen

Definition 155 Die Menge M sub R heiszligt

nach oben beschrankt hArr exist b isin R mit x le b fur alle x isin M

nach unten beschrankt hArr exist a isin R mit x ge a fur alle x isin M

Die Zahl b heiszligt dann obere Schranke (a untere Schranke) Weiter heiszligt M beschankt wennM nach oben und unten beschrankt ist

7

Beispiel 156 Die Menge [0 1) ist nach oben beschrankt eine obere Schranke ist zum Beispielb = 2012 Es gibt in [0 1) aber kein groszligtes Element denn es gilt

x isin [0 1) rArr x+ 1

2isin [0 1) und

x+ 1

2gt x

Unter den oberen Schranken von [0 1) gibt es aber eine kleinste namlich die Zahl 1

Die folgende Eigenschaft ist nun fur die reellen Zahlen charakteristisch

Vollstandigkeitsaxiom Jede nach oben beschrankte Menge M sub R hat eine klein-ste obere Schranke

Die Aussage dass S isin R kleinste obere Schranke von M ist bedeutet zwei Dinge

(1) S ist eine obere Schranke von M das heiszligt x le S fur alle x isin M

(2) S ist kleinstmoglich das heiszligt fur alle Sprime lt S gibt es ein x isin M mit x gt Sprime

Wir bezeichnen die kleinste obere Schranke mit S = supM (Supremum von M) Ist M nichtnach oben beschrankt so definieren wir supM = +infin Analog ist das Infimum infM diegroszligte untere Schranke definiert

Wie liegen nun die rationalen Zahlen in R drin Die naturlichen Zahlen N sind nichtnach oben beschrankt denn andernfalls haben diese ein Supremum S isin R Dann ist S minus 1keine obere Schranke das heiszligt es gibt ein n isin N mit n gt S minus 1 oder n+ 1 gt S Damit istS keine obere Schranke Widerspruch Es folgt weiter

Zu jedem x isin R mit x gt 0 gibt es ein n isin N mit1

nlt x

Denn sonst ware N durch 1x nach oben beschrankt Dies bedeutet weiter dass in jedem

nichtleeren Intervall (a b) rationale Zahlen liegen Dazu wahlen wir n isin N mit 1n lt b minus aEin ganzzahliges Vielfaches von 1n muss dann im Intervall (a b) liegen

16 Vollstandige Induktion

Es sei E(n) eine Aussageform die durch einsetzen einer beliebigen naturlichen Zahl n zueiner Aussage wird Wir mochten nun Aussagen der Form

Fur alle n isin N gilt E(n)

beweisen

Beispiel 161 Wir definieren

sn = 1 + 3 + 5 + middot middot middot+ (2n+ 1)

Alternativ konnen wir auch eine Rekursionsformel schreiben

s1 = 4

sn = snminus1 + (2n+ 1)

8

Es ergibt sich damit

s1 = 4

s2 = 9

s3 = 16

s4 = 25

etc

Das legt die Vermutung nahe dass es sich bei den Zahlen sn fur jedes n um eine Quadratzahlhandelt In der Tat gilt der folgende

Satz 162 Fur alle n isin N giltsn = (n+ 1)2

Das Beweisverfahren der vollstandigen Induktion beruht auf folgendem Prinzip

Sei E(n) eine Folge von Aussagen fur n isin N Es gelte

(1) E(1) ist wahr

(2) E(n) ist wahr rArr E(n+ 1) ist wahr

Dann sind alle Aussagen E(n) fur n isin N wahr

Ein Induktionsbeweis funktioniert immer in zwei Schritten Erst wird die Aussage E(n)fur den Fall n = 1 verifiziert (Induktionsanfang) Im zweiten Schritt wird vorausgesetztdass E(n) fur ein n isin N richtig ist (Induktionsannahme) und daraus E(n + 1) gefolgert(Induktionsschluss dh Beweis der Induktionsbehauptung)

Kommen wir zuruck zum Beispiel Der angegebene Satz lasst sich damit wie folgt beweisen

Beweis von Satz 162 Induktionsanfang Fur n = 1 gile s1 = 4 = 22 = (1+1)2 Die Aussageist also fur n = 1 offensichtlich korrektInduktionsschritt Nun gelte die Aussage fur n isin N also sei sn = (n + 1)2 Wir mussenfolgern dass dann auch gilt sn+1 = (n+ 1 + 1)2 Das kann man nachrechnen

sn+1 = sn + (2(n+ 1) + 1) (nach der Rekursionsformel oben)

= (n+ 1)2 + (2(n+ 1) + 1) (dank Induktionsvoraussetzung)

= (n+ 1)2 + 2(n+ 1) + 1

= ((n+ 1) + 1)2

= (n+ 1 + 1)2

womit die Induktionsbehauptung gezeigt ist Damit ist der Satz nach dem Prinzip dervollstandigen Induktion bewiesen

Statt bei n = 1 kann die Induktion auch bei n0 isin N starten die Aussage gilt dann fur n ge n0Damit zeigen wir folgende nutzliche Ungleichung

9

Satz 163 (Bernoullische Ungleichung) Fur x isin R x ge minus1 und n isin N0 gilt

(1 + x)n ge 1 + nx

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 gilt nach Definition (1 + x)0 = 1 =1 + 0 middot x Wegen 1 + x ge 0 folgt weiter

(1 + x)n+1 = (1 + x) middot (1 + x)n

ge (1 + x) middot (1 + nx) (nach Induktionsannahme)

= 1 + (n+ 1)x+ nx2

ge 1 + (n+ 1)x

Viele weitere Aussagen lassen sich durch vollstandige Induktion beweisen

Satz 164 (Geometrische Summe) Sei x isin R x ∕= 1 Dann gilt fur alle n isin N0

1 + x+ + xn =

n983131

k=0

xk =1minus xk+1

1minus x

Beweis Wir zeigen das wieder durch vollstandige Induktion wobei wir bei n = 0 beginnen

0983131

k=0

xk = x0 = 1 =1minus x0+1

1minus x

Jetzt gelte die Formel fur ein n isin N Dann folgt

n+1983131

k=0

xk =

983075n983131

k=0

xk

983076+ xn+1 E(n)

=1minus xn+1

1minus x+ xn+1 =

1minus x(n+1)+1

1minus x

womit die Behauptung gezeigt ist

Wir wollen als nachstes die Elemente gewisser Mengen zahlen Als erstes zeigen wir dassman beim Verteilen von 4 Briefen auf 3 Briefkasten in mindestens einen Briefkasten mehr alseinen Brief stecken muss

Satz 165 (Schubfachprinzip) Ist f 1 m rarr 1 n injektiv mit mn isin N sofolgt m le n

Beweis Wir fuhren Induktion nach n isin N Fur n = 1 haben wir f 1 m rarr 1injektiv das geht nur furm = 1 Sei nun eine injektive Abbildung f 1 m rarr 1 n+1 gegeben wir mussen zeigen dass m le n + 1 ist Hat die Zahl n + 1 kein Urbild so isttatsachlich f 1 m rarr 1 n und nach Induktion gilt sogar m le n Andernfallshat n+ 1 genau ein Urbild Wenn wir dieses rausschmeiszligen und neu nummerieren erhaltenwir eine Abbildung

f 1 mminus 1 rarr 1 n injektiv

Nach Induktion folgt mminus 1 le n bzw m le n+ 1 wie gewunscht

10

Definition 166 (Machtigkeit von Mengen) 1 Zwei Mengen M und N heiszligengleichmachtig wenn eine bijektive Abbildung zwischen M und N existiert

2 Falls eine Menge M und die Menge 1 n fur ein n isin N gleichmachtig sind so heiszligtM endlich und n = M ist die Anzahl ihrer Elemente Die leere Menge ist ebenfallsendlich mit empty = 0

Dass die Zahl der Elemente eindeutig definiert ist folgt aus dem Schubfachprinzip Wir setzen

n =

n983132

k=1

k = 1 middot 2 middot middot n (n-Fakultat)

Per Dekret ist 0 = 1 (vgl Vereinbarung zum leeren Produkt) Der folgende Satz beantwortetdie Frage nach der Anzahl der moglichen Anordnungen (oder Umordnungen oder Permuta-tionen) von n Dingen

Satz 167 (Zahl der Permutationen) Fur n isin N sei Sn die Menge der bijektiven Abbildungenσ 1 n rarr 1 n Dann gilt Sn = n

Beweis Wir zeigen die Behauptung durch Induktion wobei der Induktionsanfang n = 1offensichtlich ist Sei Sn+1k die Menge der Permutationen von 1 n+1 die die Nummerk auf n+1 abbilden Da die restlichen n Nummern beliebig bijektiv auf 1 n abgebildetwerden hat Sn+1k genau n Elemente nach Induktion Es folgt durch Summation

Sn+1 =

n+1983131

k=1

Sn+1k = (n+ 1) middot n = (n+ 1)

Definition 168 (Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N setzen wir983061α

k

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k sowie

983061α

0

983062= 1

Lemma 169 (Additionstheorem fur Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N erfullendie Binomialkoeffizienten die Formel

983061α+ 1

k

983062=

983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062

Beweis Fur k = 1 ist leicht zu sehen dass die Formel richtig ist Fur k ge 2 berechnen wir983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k +α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2)

1 middot 2 middot middot (k minus 1)

=α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2) middot (αminus k + 1 + k)

1 middot 2 middot middot k

=(α+ 1) middot α middot middot ((α+ 1)minus k + 1)

1 middot 2 middot middot k

=

983061α+ 1

k

983062

11

Im Fall α = n isin N0 erlaubt Lemma 169 die rekursive Berechnung der Binomialkoeffizienten983043nk

983044nach dem Dreiecksschema von Blaise Pascal (1623-1662)

n=0 1n=1 1 1n=2 1 2 1n=3 1 3 3 1n=4 1 4 6 4 1n=5 1 5 10 10 5 1n=6 1 6 15 20 15 6 1

Ebenfalls fur α = n isin N0 folgt durch Erweitern der Binomialkoeffizienten mit (n minus k) diealternative Darstellung

983061n

k

983062=

n

k (nminus k)fur n isin N0 k isin 0 1 n (12)

und daraus weiter die am Diagramm ersichtliche Symmetrieeigenschaft983061n

k

983062=

983061n

nminus k

983062fur n isin N0 k isin 0 1 n (13)

Satz 1610 (Zahl der Kombinationen) Sei n isin N0 und k isin 0 1 n Dann ist dieAnzahl der k-elementigen Teilmengen von 1 n gleich

983043nk

983044

Beweis Es gilt983043n0

983044= 1 nach Definition und die einzige null-elementige Teilmenge von

0 1 n ist die leere Menge Also stimmt die Aussage fur alle n = 0 1 und k = 0 Diek-elementigen Teilmengen von 1 n+ 1 mit k ge 1 zerfallen in zwei Klassen

Klasse 1 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1 nicht

Klasse 2 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1

Klasse 1 besteht genau aus den k-elementigen Teilmengen von 1 n Klasse 2 ergibtsich durch Hinzufugen der Nummer n + 1 zu jeder der (k minus 1)-elementigen Teilmengen von1 n Nach Induktion folgt fur die Gesamtzahl der Elemente mit Lemma 169

983061n

k

983062+

983061n

k minus 1

983062=

983061n+ 1

k

983062

womit der Satz bewiesen ist

Satz 1611 (Binomische Formel) Fur a b isin R und n isin N gilt

(a+ b)n =

n983131

k=0

983061n

k

983062akbnminusk (14)

Beweis Ausmultiplizieren des n-fachen Produkts (a+b)n = (a+b)middot(a+b)middot middot(a+b) mit demDistributivgesetz und Ordnen nach dem Kommutativgesetz liefert Terme der Form akbnminusk furk isin 0 1 n Die Haufigkeit eines solchen Terms ist gleich der Anzahl der Moglichkeitenaus den n Klammern k Klammern auszusuchen in denen a als Faktor genommen wird inden restlichen Klammern muss dann der Faktor b gewahlt werden Nach Satz 1610 kommtakbnminusk also genau

983043nk

983044mal vor

12

17 Geometrie im Rn

Im folgenden sei n isin N zum Beispiel n = 2 oder n = 3 Wir bezeichnen mit Rn das n-fachekartesische Produkt Rtimes times R also die Menge aller n-Tupel

Rn =983153x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 | xi isin R983154

Wir nennen die Elemente von Rn auch Vektoren Zwei Vektoren x y isin Rn sind genau danngleich wenn xi = yi fur alle i = 1 n wenn also alle Koordinaten gleich sind Wir konnenVektoren addieren und mit reellen Zahlen multiplizieren (zum Beispiel strecken)

x+ y =

983091

983109983107x1 + y1

xn + yn

983092

983110983108 λx =

983091

983109983107λx1

λxn

983092

983110983108

In diesem Zusammenhang nennt man die Zahl λ auch einen Skalar und spricht von Skalar-multiplikation Die Standard-Einheitsvektoren sind

ei =

983091

983109983109983109983109983109983109983107

010

983092

983110983110983110983110983110983110983108i fur i = 1 n

Mit ihnen ergibt sich fur jeden Vektor x isin Rn die Darstellung

x =

n983131

i=1

xiei

Die Vektoraddition und Skalarmultiplikation erfullen folgende Regeln die alle direkt aus denDefinitionen folgen

(1) (983187x+ 983187y) + 983187z = 983187x+ (983187y + 983187z)

(2) 983187x+9831870 = 983187x fur alle 983187x mit 9831870 = (0 0) (Nullvektor)

(3) Es gilt 983187x+ (minus983187x) = 9831870

(4) 983187x+ 983187y = 983187y + 983187x

(5) (λ+ micro)983187x = λ983187x+ micro983187x

(6) (λmicro)983187x = λ(micro983187x)

(7) λ(983187x+ 983187y) = λ983187x+ λ983187y

(8) 1 middot 983187x = 983187x

13

Im drei-dimensionalen Raum kann jede Gerade mit R1 = R jede Ebene mit R2 und derRaum selbst mit R3 identifiziert werden indem ein kartesisches Koordinatensystem gewahltwird Wir wollen das erklaren indem wir den Begriff des Euklidischen Raums aus derAnschauung verwenden das heiszligt der Euklidische Abstand zwischen zwei Punkten seianschaulich gegeben Ebenso setzen wir den Begriff der Orthogonalitat fur sich schneidendeGeraden anschaulich voraus

Auf einer Geraden g wahlen wir einen Punkt O den Ursprung (origin) Dann bestehtgO aus zwei Halbgeraden Wir erhalten eine Koordinate x auf g indem wir auf einer derHalbgeraden fur x den Abstand zu O wahlen auf der anderen Halbgeraden den negativenAbstand zu O Die Koordinate x ist eindeutig bestimmt durch die Wahl des Ursprungs Ound die Entscheidung welche Halbgerade die positive ist

In einer Ebene E wahlen wir wieder einen Ursprung O und weiter zwei zueinanderorthogonale Geraden g h durch O Auf g h bestimmen wir jeweils Koordinaten x y wieoben beschrieben Jeder Punkt p isin E kann jetzt auf g und h orthogonal projiziert werdendies liefert fur p die beiden Koordinaten (x y) Die Frage nach der Eindeutigkeit ist nunschon schwieriger Wir nehmen an dass der Ursprung fest ist und betrachten ein zweitesPaar gprime hprime zueinander senkrechter Geraden genauer soll gprime hprime aus g h durch Drehung umeinen Winkel α hervorgehen Dann sieht man (Bild)

x = (cosα)xprime minus (sinα) yprime xprime = (cosα)x+ (sinα) y

y = (sinα)xprime + (cosα) yprime yprime = minus(sinα)x+ (cosα) y

Wir kommen schlieszliglich zur Wahl kartesischer Koordinaten im drei-dimensionalen RaumWieder wahlen wir einen Ursprung O und nun drei zueinander senkrechte Geraden g h ℓSeien x y z die Koordinaten auf den drei einzelnen Geraden wie oben erklart Jeder Punktp im Raum wird auf die drei Geraden orthogonal projiziert und liefert so die Koordinaten(x y z) Die Frage nach der Eindeutigkeit bzw der Umrechnung in ein anderes Koordina-tensystem ist etwas schwieriger wir kommen spater in der Vorlesung darauf zuruck

Indem wir R2 mit einer Ebene bzw R3 mit dem Euklidischen Raum identifizieren(wie oben beschrieben) erhalten wir eine anschauliche Darstellung der VektoradditionVektorsubtraktion und Skalarmultiplikation (Bild)

Die oben benutzten Begriffe Lange und Winkel wollen wir noch genauer erklaren DieEuklidische Lange (oder der Betrag) eines Vektors ist definiert durch

|983187x| =983059 n983131

i=1

x2i

983060 12

fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108

Fur n = 2 ist |983187x| =983155

x21 + x22 dies entspricht also dem Satz von Pythagoras (Bild) Furn = 3 haben wir |983187x| =

983155x21 + x22 + x23 Dies lasst sich ebenfalls mit Pythagoras begrunden

indem der Punkt (x1 x2 0) betrachtet wird (Bild) Offenbar gilt fur 983187x isin Rn λ isin R

|983187x| ge 0 (Gleichheit nur fur 983187x = 9831870)

|λ983187x| = |λ||983187x|

14

Der Euklidische Abstand ist

dist(983187x 983187y) = |983187xminus 983187y| fur 983187x 983187y isin Rn

Insbesondere ist der Betrag gleich dem Abstand zum Nullpunkt ie |983187x| = dist(983187x9831870) Eineweitere nutzliche Groszlige ist das Skalarprodukt zwischen Vektoren im Rn

〈983187x 983187y〉 =n983131

i=1

xiyi fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 983187y =

983091

983109983107y1yn

983092

983110983108

Statt mit Klammern wird das Skalarprodukt oft in der Form 983187x middot983187y geschrieben also mit einemPunkt Wir bleiben aber bei den Klammern Folgende Regeln ergeben sich direkt aus derFormel wobei 983187x 983187y 983187z isin Rn und λ micro isin R

〈983187x 983187y〉 = 〈983187y 983187x〉 (Symmetrie)

〈λ983187x+ micro983187y 983187z〉 = λ〈983187x 983187z〉+ micro〈983187y 983187z〉 (Bilinearitat)

〈983187x 983187x〉 = |983187x|2 ge 0 (Positivitat)

Um nun die Definition des Winkels zu motivieren appellieren wir an das Schulwissen undbetrachten die gleichformige Kreisbewegung

983187c R rarr R2 983187c(t) =

983061cos tsin t

983062

Es gilt |983187c(t)| =983155

(cos t)2 + (sin t)2 = 1 und 983187c(0) = (1 0) Der Punkt 983187c(t) durchlauft den Kreisentgegen dem Uhrzeigersinn mit konstanter Absolutgeschwindigkeit Eins

983187cprime(t) =

983061minus sin tcos t

983062und damit |983187cprime(t)| =

983155(minus sin t)2 + (cos t)2 = 1

Der Einheitskreis hat die Gesamtlange 2π = 6 2831 Als Maszlig fur den Winkel nehmen wirdie Lange des kurzeren Einheitskreisbogens zwischen c(t1) und c(t2) also

ang(983187c(t1)983187c(t2)) = |t1 minus t2| falls |t1 minus t2| le π

Die Bedingung |t1 minus t2| le π garantiert dass der von 983187c(t) auf [t1 t2] durchlaufene Bogenhochstens ein Halbkreis ist Erhalte mit dem Additionstheorem des Kosinus

cosang(983187c(t1)983187c(t2)) = cos |t1 minus t2| = cos t1 cos t2 + sin t1 sin t2 = 〈983187c(t1)983187c(t2)〉

Definition 171 (Winkel zwischen Vektoren) Seien 983187x 983187y isin Rn mit 983187x 983187y ∕= 9831870 Dann definierenwir den Winkel φ = ang(983187x 983187y) isin [0π] durch die Gleichung

cosφ =

983071983187x

|983187x| 983187y

|983187y|

983072

Spezialfall 983187x 983187y sind zueinander senkrecht (orthogonal) genau wenn 〈983187x 983187y〉 = 0

Es ist noch zu begrunden dass die Gleichung in der Definition eine und nur eineLosung φ besitzt Die Funktion Kosinus ist auf dem Intervall [0π] streng monoton fallendmit cos 0 = 1 und cosπ = minus1 (Bild) Sie nimmt daher jeden Wert in [minus1 1] genau einmalan Es bleibt also zu zeigen dass die rechte Seite in der Definition des Winkels im Intervall[minus1 1] liegt Dies ergibt sich aus folgender Ungleichung

15

Satz 172 (Ungleichung von Cauchy-Schwarz) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt

|〈983187x 983187y〉| le |983187x| |983187y|

Gleichheit gilt genau dann wenn 983187x 983187y parallel sind

Beweis Fur Vektoren 983187a983187b mit |983187a| = |983187b| = 1 schatzen wir ab

1plusmn 〈983187a983187b〉 = 1

2

983059|983187a|2 + |983187b|2 plusmn 2〈983187a983187b〉

983060=

1

2|983187aplusmn983187b|2 ge 0

Fur 983187x 983187y ∕= 9831870 beliebig wenden wir das an mit 983187a =983187x

|983187x| 983187b =

983187y

|983187y|

|〈983187x 983187y〉| = |983187x| |983187y| |〈983187a983187b〉| le |983187x||983187y|

Bei Gleichheit gilt fur die Einheitsvektoren

0 = 983187aplusmn983187b =983187x

|983187x| plusmn983187y

|983187y|

das heiszligt 983187x und 983187y sind parallel

Die Definition des Winkels ergibt trivial denKosinussatz in dem von 9831870 983187x 983187y gebildeten Dreieckfolgt namlich (Bild)

|983187xminus 983187y|2 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2〈983187x 983187y〉 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2|983187x||983187y| cosang(983187x 983187y)

Eine Konsequenz der Cauchy-Schwarz Ungleichung ist folgende Eigenschaft des Betrags

Satz 173 (Dreiecksungleichung) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt die Ungleichung

|983187x+ 983187y| le |983187x|+ |983187y|

mit Gleichheit genau wenn 983187x 983187y gleichsinnig parallel sind

Beweis Aus der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt

|983187x+ 983187y|2 = |983187x|2 + 2〈983187x 983187y〉+ |983187y|2 le |983187x|2 + 2|983187x||983187y|+ |983187y|2 = (|983187x|+ |983187y|)2

Durch Wurzelziehen folgt |983187x + 983187y| le |983187x| + |983187y| wie behauptet Bei Gleichheit mussen 983187x und 983187yparallel sein nach Satz 172 Es muss aber auch 〈983187x 983187y〉 ge 0 sein also sind 983187x 983187y gleichsinnigparallel

Statt auf die Koordinatenachsen konnen wir einen Vektor 983187x auch auf eine beliebige Ur-sprungsgerade g projizieren Wird g durch den Einheitsvektor 983187v isin Rn erzeugt das heiszligtg = λ983187v | λ isin R so lautet der Projektionspunkt

983187xg = 〈983187x983187v〉983187v

Denn 983187xg liegt auf der Geraden g und 983187xminus 983187xg steht senkrecht auf g

〈983187xminus 983187xg983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈〈983187x983187v〉983187v983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈983187x983187v〉 〈983187v983187v〉983167 983166983165 983168=1

= 0

16

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 10: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Beispiel 156 Die Menge [0 1) ist nach oben beschrankt eine obere Schranke ist zum Beispielb = 2012 Es gibt in [0 1) aber kein groszligtes Element denn es gilt

x isin [0 1) rArr x+ 1

2isin [0 1) und

x+ 1

2gt x

Unter den oberen Schranken von [0 1) gibt es aber eine kleinste namlich die Zahl 1

Die folgende Eigenschaft ist nun fur die reellen Zahlen charakteristisch

Vollstandigkeitsaxiom Jede nach oben beschrankte Menge M sub R hat eine klein-ste obere Schranke

Die Aussage dass S isin R kleinste obere Schranke von M ist bedeutet zwei Dinge

(1) S ist eine obere Schranke von M das heiszligt x le S fur alle x isin M

(2) S ist kleinstmoglich das heiszligt fur alle Sprime lt S gibt es ein x isin M mit x gt Sprime

Wir bezeichnen die kleinste obere Schranke mit S = supM (Supremum von M) Ist M nichtnach oben beschrankt so definieren wir supM = +infin Analog ist das Infimum infM diegroszligte untere Schranke definiert

Wie liegen nun die rationalen Zahlen in R drin Die naturlichen Zahlen N sind nichtnach oben beschrankt denn andernfalls haben diese ein Supremum S isin R Dann ist S minus 1keine obere Schranke das heiszligt es gibt ein n isin N mit n gt S minus 1 oder n+ 1 gt S Damit istS keine obere Schranke Widerspruch Es folgt weiter

Zu jedem x isin R mit x gt 0 gibt es ein n isin N mit1

nlt x

Denn sonst ware N durch 1x nach oben beschrankt Dies bedeutet weiter dass in jedem

nichtleeren Intervall (a b) rationale Zahlen liegen Dazu wahlen wir n isin N mit 1n lt b minus aEin ganzzahliges Vielfaches von 1n muss dann im Intervall (a b) liegen

16 Vollstandige Induktion

Es sei E(n) eine Aussageform die durch einsetzen einer beliebigen naturlichen Zahl n zueiner Aussage wird Wir mochten nun Aussagen der Form

Fur alle n isin N gilt E(n)

beweisen

Beispiel 161 Wir definieren

sn = 1 + 3 + 5 + middot middot middot+ (2n+ 1)

Alternativ konnen wir auch eine Rekursionsformel schreiben

s1 = 4

sn = snminus1 + (2n+ 1)

8

Es ergibt sich damit

s1 = 4

s2 = 9

s3 = 16

s4 = 25

etc

Das legt die Vermutung nahe dass es sich bei den Zahlen sn fur jedes n um eine Quadratzahlhandelt In der Tat gilt der folgende

Satz 162 Fur alle n isin N giltsn = (n+ 1)2

Das Beweisverfahren der vollstandigen Induktion beruht auf folgendem Prinzip

Sei E(n) eine Folge von Aussagen fur n isin N Es gelte

(1) E(1) ist wahr

(2) E(n) ist wahr rArr E(n+ 1) ist wahr

Dann sind alle Aussagen E(n) fur n isin N wahr

Ein Induktionsbeweis funktioniert immer in zwei Schritten Erst wird die Aussage E(n)fur den Fall n = 1 verifiziert (Induktionsanfang) Im zweiten Schritt wird vorausgesetztdass E(n) fur ein n isin N richtig ist (Induktionsannahme) und daraus E(n + 1) gefolgert(Induktionsschluss dh Beweis der Induktionsbehauptung)

Kommen wir zuruck zum Beispiel Der angegebene Satz lasst sich damit wie folgt beweisen

Beweis von Satz 162 Induktionsanfang Fur n = 1 gile s1 = 4 = 22 = (1+1)2 Die Aussageist also fur n = 1 offensichtlich korrektInduktionsschritt Nun gelte die Aussage fur n isin N also sei sn = (n + 1)2 Wir mussenfolgern dass dann auch gilt sn+1 = (n+ 1 + 1)2 Das kann man nachrechnen

sn+1 = sn + (2(n+ 1) + 1) (nach der Rekursionsformel oben)

= (n+ 1)2 + (2(n+ 1) + 1) (dank Induktionsvoraussetzung)

= (n+ 1)2 + 2(n+ 1) + 1

= ((n+ 1) + 1)2

= (n+ 1 + 1)2

womit die Induktionsbehauptung gezeigt ist Damit ist der Satz nach dem Prinzip dervollstandigen Induktion bewiesen

Statt bei n = 1 kann die Induktion auch bei n0 isin N starten die Aussage gilt dann fur n ge n0Damit zeigen wir folgende nutzliche Ungleichung

9

Satz 163 (Bernoullische Ungleichung) Fur x isin R x ge minus1 und n isin N0 gilt

(1 + x)n ge 1 + nx

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 gilt nach Definition (1 + x)0 = 1 =1 + 0 middot x Wegen 1 + x ge 0 folgt weiter

(1 + x)n+1 = (1 + x) middot (1 + x)n

ge (1 + x) middot (1 + nx) (nach Induktionsannahme)

= 1 + (n+ 1)x+ nx2

ge 1 + (n+ 1)x

Viele weitere Aussagen lassen sich durch vollstandige Induktion beweisen

Satz 164 (Geometrische Summe) Sei x isin R x ∕= 1 Dann gilt fur alle n isin N0

1 + x+ + xn =

n983131

k=0

xk =1minus xk+1

1minus x

Beweis Wir zeigen das wieder durch vollstandige Induktion wobei wir bei n = 0 beginnen

0983131

k=0

xk = x0 = 1 =1minus x0+1

1minus x

Jetzt gelte die Formel fur ein n isin N Dann folgt

n+1983131

k=0

xk =

983075n983131

k=0

xk

983076+ xn+1 E(n)

=1minus xn+1

1minus x+ xn+1 =

1minus x(n+1)+1

1minus x

womit die Behauptung gezeigt ist

Wir wollen als nachstes die Elemente gewisser Mengen zahlen Als erstes zeigen wir dassman beim Verteilen von 4 Briefen auf 3 Briefkasten in mindestens einen Briefkasten mehr alseinen Brief stecken muss

Satz 165 (Schubfachprinzip) Ist f 1 m rarr 1 n injektiv mit mn isin N sofolgt m le n

Beweis Wir fuhren Induktion nach n isin N Fur n = 1 haben wir f 1 m rarr 1injektiv das geht nur furm = 1 Sei nun eine injektive Abbildung f 1 m rarr 1 n+1 gegeben wir mussen zeigen dass m le n + 1 ist Hat die Zahl n + 1 kein Urbild so isttatsachlich f 1 m rarr 1 n und nach Induktion gilt sogar m le n Andernfallshat n+ 1 genau ein Urbild Wenn wir dieses rausschmeiszligen und neu nummerieren erhaltenwir eine Abbildung

f 1 mminus 1 rarr 1 n injektiv

Nach Induktion folgt mminus 1 le n bzw m le n+ 1 wie gewunscht

10

Definition 166 (Machtigkeit von Mengen) 1 Zwei Mengen M und N heiszligengleichmachtig wenn eine bijektive Abbildung zwischen M und N existiert

2 Falls eine Menge M und die Menge 1 n fur ein n isin N gleichmachtig sind so heiszligtM endlich und n = M ist die Anzahl ihrer Elemente Die leere Menge ist ebenfallsendlich mit empty = 0

Dass die Zahl der Elemente eindeutig definiert ist folgt aus dem Schubfachprinzip Wir setzen

n =

n983132

k=1

k = 1 middot 2 middot middot n (n-Fakultat)

Per Dekret ist 0 = 1 (vgl Vereinbarung zum leeren Produkt) Der folgende Satz beantwortetdie Frage nach der Anzahl der moglichen Anordnungen (oder Umordnungen oder Permuta-tionen) von n Dingen

Satz 167 (Zahl der Permutationen) Fur n isin N sei Sn die Menge der bijektiven Abbildungenσ 1 n rarr 1 n Dann gilt Sn = n

Beweis Wir zeigen die Behauptung durch Induktion wobei der Induktionsanfang n = 1offensichtlich ist Sei Sn+1k die Menge der Permutationen von 1 n+1 die die Nummerk auf n+1 abbilden Da die restlichen n Nummern beliebig bijektiv auf 1 n abgebildetwerden hat Sn+1k genau n Elemente nach Induktion Es folgt durch Summation

Sn+1 =

n+1983131

k=1

Sn+1k = (n+ 1) middot n = (n+ 1)

Definition 168 (Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N setzen wir983061α

k

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k sowie

983061α

0

983062= 1

Lemma 169 (Additionstheorem fur Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N erfullendie Binomialkoeffizienten die Formel

983061α+ 1

k

983062=

983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062

Beweis Fur k = 1 ist leicht zu sehen dass die Formel richtig ist Fur k ge 2 berechnen wir983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k +α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2)

1 middot 2 middot middot (k minus 1)

=α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2) middot (αminus k + 1 + k)

1 middot 2 middot middot k

=(α+ 1) middot α middot middot ((α+ 1)minus k + 1)

1 middot 2 middot middot k

=

983061α+ 1

k

983062

11

Im Fall α = n isin N0 erlaubt Lemma 169 die rekursive Berechnung der Binomialkoeffizienten983043nk

983044nach dem Dreiecksschema von Blaise Pascal (1623-1662)

n=0 1n=1 1 1n=2 1 2 1n=3 1 3 3 1n=4 1 4 6 4 1n=5 1 5 10 10 5 1n=6 1 6 15 20 15 6 1

Ebenfalls fur α = n isin N0 folgt durch Erweitern der Binomialkoeffizienten mit (n minus k) diealternative Darstellung

983061n

k

983062=

n

k (nminus k)fur n isin N0 k isin 0 1 n (12)

und daraus weiter die am Diagramm ersichtliche Symmetrieeigenschaft983061n

k

983062=

983061n

nminus k

983062fur n isin N0 k isin 0 1 n (13)

Satz 1610 (Zahl der Kombinationen) Sei n isin N0 und k isin 0 1 n Dann ist dieAnzahl der k-elementigen Teilmengen von 1 n gleich

983043nk

983044

Beweis Es gilt983043n0

983044= 1 nach Definition und die einzige null-elementige Teilmenge von

0 1 n ist die leere Menge Also stimmt die Aussage fur alle n = 0 1 und k = 0 Diek-elementigen Teilmengen von 1 n+ 1 mit k ge 1 zerfallen in zwei Klassen

Klasse 1 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1 nicht

Klasse 2 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1

Klasse 1 besteht genau aus den k-elementigen Teilmengen von 1 n Klasse 2 ergibtsich durch Hinzufugen der Nummer n + 1 zu jeder der (k minus 1)-elementigen Teilmengen von1 n Nach Induktion folgt fur die Gesamtzahl der Elemente mit Lemma 169

983061n

k

983062+

983061n

k minus 1

983062=

983061n+ 1

k

983062

womit der Satz bewiesen ist

Satz 1611 (Binomische Formel) Fur a b isin R und n isin N gilt

(a+ b)n =

n983131

k=0

983061n

k

983062akbnminusk (14)

Beweis Ausmultiplizieren des n-fachen Produkts (a+b)n = (a+b)middot(a+b)middot middot(a+b) mit demDistributivgesetz und Ordnen nach dem Kommutativgesetz liefert Terme der Form akbnminusk furk isin 0 1 n Die Haufigkeit eines solchen Terms ist gleich der Anzahl der Moglichkeitenaus den n Klammern k Klammern auszusuchen in denen a als Faktor genommen wird inden restlichen Klammern muss dann der Faktor b gewahlt werden Nach Satz 1610 kommtakbnminusk also genau

983043nk

983044mal vor

12

17 Geometrie im Rn

Im folgenden sei n isin N zum Beispiel n = 2 oder n = 3 Wir bezeichnen mit Rn das n-fachekartesische Produkt Rtimes times R also die Menge aller n-Tupel

Rn =983153x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 | xi isin R983154

Wir nennen die Elemente von Rn auch Vektoren Zwei Vektoren x y isin Rn sind genau danngleich wenn xi = yi fur alle i = 1 n wenn also alle Koordinaten gleich sind Wir konnenVektoren addieren und mit reellen Zahlen multiplizieren (zum Beispiel strecken)

x+ y =

983091

983109983107x1 + y1

xn + yn

983092

983110983108 λx =

983091

983109983107λx1

λxn

983092

983110983108

In diesem Zusammenhang nennt man die Zahl λ auch einen Skalar und spricht von Skalar-multiplikation Die Standard-Einheitsvektoren sind

ei =

983091

983109983109983109983109983109983109983107

010

983092

983110983110983110983110983110983110983108i fur i = 1 n

Mit ihnen ergibt sich fur jeden Vektor x isin Rn die Darstellung

x =

n983131

i=1

xiei

Die Vektoraddition und Skalarmultiplikation erfullen folgende Regeln die alle direkt aus denDefinitionen folgen

(1) (983187x+ 983187y) + 983187z = 983187x+ (983187y + 983187z)

(2) 983187x+9831870 = 983187x fur alle 983187x mit 9831870 = (0 0) (Nullvektor)

(3) Es gilt 983187x+ (minus983187x) = 9831870

(4) 983187x+ 983187y = 983187y + 983187x

(5) (λ+ micro)983187x = λ983187x+ micro983187x

(6) (λmicro)983187x = λ(micro983187x)

(7) λ(983187x+ 983187y) = λ983187x+ λ983187y

(8) 1 middot 983187x = 983187x

13

Im drei-dimensionalen Raum kann jede Gerade mit R1 = R jede Ebene mit R2 und derRaum selbst mit R3 identifiziert werden indem ein kartesisches Koordinatensystem gewahltwird Wir wollen das erklaren indem wir den Begriff des Euklidischen Raums aus derAnschauung verwenden das heiszligt der Euklidische Abstand zwischen zwei Punkten seianschaulich gegeben Ebenso setzen wir den Begriff der Orthogonalitat fur sich schneidendeGeraden anschaulich voraus

Auf einer Geraden g wahlen wir einen Punkt O den Ursprung (origin) Dann bestehtgO aus zwei Halbgeraden Wir erhalten eine Koordinate x auf g indem wir auf einer derHalbgeraden fur x den Abstand zu O wahlen auf der anderen Halbgeraden den negativenAbstand zu O Die Koordinate x ist eindeutig bestimmt durch die Wahl des Ursprungs Ound die Entscheidung welche Halbgerade die positive ist

In einer Ebene E wahlen wir wieder einen Ursprung O und weiter zwei zueinanderorthogonale Geraden g h durch O Auf g h bestimmen wir jeweils Koordinaten x y wieoben beschrieben Jeder Punkt p isin E kann jetzt auf g und h orthogonal projiziert werdendies liefert fur p die beiden Koordinaten (x y) Die Frage nach der Eindeutigkeit ist nunschon schwieriger Wir nehmen an dass der Ursprung fest ist und betrachten ein zweitesPaar gprime hprime zueinander senkrechter Geraden genauer soll gprime hprime aus g h durch Drehung umeinen Winkel α hervorgehen Dann sieht man (Bild)

x = (cosα)xprime minus (sinα) yprime xprime = (cosα)x+ (sinα) y

y = (sinα)xprime + (cosα) yprime yprime = minus(sinα)x+ (cosα) y

Wir kommen schlieszliglich zur Wahl kartesischer Koordinaten im drei-dimensionalen RaumWieder wahlen wir einen Ursprung O und nun drei zueinander senkrechte Geraden g h ℓSeien x y z die Koordinaten auf den drei einzelnen Geraden wie oben erklart Jeder Punktp im Raum wird auf die drei Geraden orthogonal projiziert und liefert so die Koordinaten(x y z) Die Frage nach der Eindeutigkeit bzw der Umrechnung in ein anderes Koordina-tensystem ist etwas schwieriger wir kommen spater in der Vorlesung darauf zuruck

Indem wir R2 mit einer Ebene bzw R3 mit dem Euklidischen Raum identifizieren(wie oben beschrieben) erhalten wir eine anschauliche Darstellung der VektoradditionVektorsubtraktion und Skalarmultiplikation (Bild)

Die oben benutzten Begriffe Lange und Winkel wollen wir noch genauer erklaren DieEuklidische Lange (oder der Betrag) eines Vektors ist definiert durch

|983187x| =983059 n983131

i=1

x2i

983060 12

fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108

Fur n = 2 ist |983187x| =983155

x21 + x22 dies entspricht also dem Satz von Pythagoras (Bild) Furn = 3 haben wir |983187x| =

983155x21 + x22 + x23 Dies lasst sich ebenfalls mit Pythagoras begrunden

indem der Punkt (x1 x2 0) betrachtet wird (Bild) Offenbar gilt fur 983187x isin Rn λ isin R

|983187x| ge 0 (Gleichheit nur fur 983187x = 9831870)

|λ983187x| = |λ||983187x|

14

Der Euklidische Abstand ist

dist(983187x 983187y) = |983187xminus 983187y| fur 983187x 983187y isin Rn

Insbesondere ist der Betrag gleich dem Abstand zum Nullpunkt ie |983187x| = dist(983187x9831870) Eineweitere nutzliche Groszlige ist das Skalarprodukt zwischen Vektoren im Rn

〈983187x 983187y〉 =n983131

i=1

xiyi fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 983187y =

983091

983109983107y1yn

983092

983110983108

Statt mit Klammern wird das Skalarprodukt oft in der Form 983187x middot983187y geschrieben also mit einemPunkt Wir bleiben aber bei den Klammern Folgende Regeln ergeben sich direkt aus derFormel wobei 983187x 983187y 983187z isin Rn und λ micro isin R

〈983187x 983187y〉 = 〈983187y 983187x〉 (Symmetrie)

〈λ983187x+ micro983187y 983187z〉 = λ〈983187x 983187z〉+ micro〈983187y 983187z〉 (Bilinearitat)

〈983187x 983187x〉 = |983187x|2 ge 0 (Positivitat)

Um nun die Definition des Winkels zu motivieren appellieren wir an das Schulwissen undbetrachten die gleichformige Kreisbewegung

983187c R rarr R2 983187c(t) =

983061cos tsin t

983062

Es gilt |983187c(t)| =983155

(cos t)2 + (sin t)2 = 1 und 983187c(0) = (1 0) Der Punkt 983187c(t) durchlauft den Kreisentgegen dem Uhrzeigersinn mit konstanter Absolutgeschwindigkeit Eins

983187cprime(t) =

983061minus sin tcos t

983062und damit |983187cprime(t)| =

983155(minus sin t)2 + (cos t)2 = 1

Der Einheitskreis hat die Gesamtlange 2π = 6 2831 Als Maszlig fur den Winkel nehmen wirdie Lange des kurzeren Einheitskreisbogens zwischen c(t1) und c(t2) also

ang(983187c(t1)983187c(t2)) = |t1 minus t2| falls |t1 minus t2| le π

Die Bedingung |t1 minus t2| le π garantiert dass der von 983187c(t) auf [t1 t2] durchlaufene Bogenhochstens ein Halbkreis ist Erhalte mit dem Additionstheorem des Kosinus

cosang(983187c(t1)983187c(t2)) = cos |t1 minus t2| = cos t1 cos t2 + sin t1 sin t2 = 〈983187c(t1)983187c(t2)〉

Definition 171 (Winkel zwischen Vektoren) Seien 983187x 983187y isin Rn mit 983187x 983187y ∕= 9831870 Dann definierenwir den Winkel φ = ang(983187x 983187y) isin [0π] durch die Gleichung

cosφ =

983071983187x

|983187x| 983187y

|983187y|

983072

Spezialfall 983187x 983187y sind zueinander senkrecht (orthogonal) genau wenn 〈983187x 983187y〉 = 0

Es ist noch zu begrunden dass die Gleichung in der Definition eine und nur eineLosung φ besitzt Die Funktion Kosinus ist auf dem Intervall [0π] streng monoton fallendmit cos 0 = 1 und cosπ = minus1 (Bild) Sie nimmt daher jeden Wert in [minus1 1] genau einmalan Es bleibt also zu zeigen dass die rechte Seite in der Definition des Winkels im Intervall[minus1 1] liegt Dies ergibt sich aus folgender Ungleichung

15

Satz 172 (Ungleichung von Cauchy-Schwarz) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt

|〈983187x 983187y〉| le |983187x| |983187y|

Gleichheit gilt genau dann wenn 983187x 983187y parallel sind

Beweis Fur Vektoren 983187a983187b mit |983187a| = |983187b| = 1 schatzen wir ab

1plusmn 〈983187a983187b〉 = 1

2

983059|983187a|2 + |983187b|2 plusmn 2〈983187a983187b〉

983060=

1

2|983187aplusmn983187b|2 ge 0

Fur 983187x 983187y ∕= 9831870 beliebig wenden wir das an mit 983187a =983187x

|983187x| 983187b =

983187y

|983187y|

|〈983187x 983187y〉| = |983187x| |983187y| |〈983187a983187b〉| le |983187x||983187y|

Bei Gleichheit gilt fur die Einheitsvektoren

0 = 983187aplusmn983187b =983187x

|983187x| plusmn983187y

|983187y|

das heiszligt 983187x und 983187y sind parallel

Die Definition des Winkels ergibt trivial denKosinussatz in dem von 9831870 983187x 983187y gebildeten Dreieckfolgt namlich (Bild)

|983187xminus 983187y|2 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2〈983187x 983187y〉 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2|983187x||983187y| cosang(983187x 983187y)

Eine Konsequenz der Cauchy-Schwarz Ungleichung ist folgende Eigenschaft des Betrags

Satz 173 (Dreiecksungleichung) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt die Ungleichung

|983187x+ 983187y| le |983187x|+ |983187y|

mit Gleichheit genau wenn 983187x 983187y gleichsinnig parallel sind

Beweis Aus der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt

|983187x+ 983187y|2 = |983187x|2 + 2〈983187x 983187y〉+ |983187y|2 le |983187x|2 + 2|983187x||983187y|+ |983187y|2 = (|983187x|+ |983187y|)2

Durch Wurzelziehen folgt |983187x + 983187y| le |983187x| + |983187y| wie behauptet Bei Gleichheit mussen 983187x und 983187yparallel sein nach Satz 172 Es muss aber auch 〈983187x 983187y〉 ge 0 sein also sind 983187x 983187y gleichsinnigparallel

Statt auf die Koordinatenachsen konnen wir einen Vektor 983187x auch auf eine beliebige Ur-sprungsgerade g projizieren Wird g durch den Einheitsvektor 983187v isin Rn erzeugt das heiszligtg = λ983187v | λ isin R so lautet der Projektionspunkt

983187xg = 〈983187x983187v〉983187v

Denn 983187xg liegt auf der Geraden g und 983187xminus 983187xg steht senkrecht auf g

〈983187xminus 983187xg983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈〈983187x983187v〉983187v983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈983187x983187v〉 〈983187v983187v〉983167 983166983165 983168=1

= 0

16

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 11: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Es ergibt sich damit

s1 = 4

s2 = 9

s3 = 16

s4 = 25

etc

Das legt die Vermutung nahe dass es sich bei den Zahlen sn fur jedes n um eine Quadratzahlhandelt In der Tat gilt der folgende

Satz 162 Fur alle n isin N giltsn = (n+ 1)2

Das Beweisverfahren der vollstandigen Induktion beruht auf folgendem Prinzip

Sei E(n) eine Folge von Aussagen fur n isin N Es gelte

(1) E(1) ist wahr

(2) E(n) ist wahr rArr E(n+ 1) ist wahr

Dann sind alle Aussagen E(n) fur n isin N wahr

Ein Induktionsbeweis funktioniert immer in zwei Schritten Erst wird die Aussage E(n)fur den Fall n = 1 verifiziert (Induktionsanfang) Im zweiten Schritt wird vorausgesetztdass E(n) fur ein n isin N richtig ist (Induktionsannahme) und daraus E(n + 1) gefolgert(Induktionsschluss dh Beweis der Induktionsbehauptung)

Kommen wir zuruck zum Beispiel Der angegebene Satz lasst sich damit wie folgt beweisen

Beweis von Satz 162 Induktionsanfang Fur n = 1 gile s1 = 4 = 22 = (1+1)2 Die Aussageist also fur n = 1 offensichtlich korrektInduktionsschritt Nun gelte die Aussage fur n isin N also sei sn = (n + 1)2 Wir mussenfolgern dass dann auch gilt sn+1 = (n+ 1 + 1)2 Das kann man nachrechnen

sn+1 = sn + (2(n+ 1) + 1) (nach der Rekursionsformel oben)

= (n+ 1)2 + (2(n+ 1) + 1) (dank Induktionsvoraussetzung)

= (n+ 1)2 + 2(n+ 1) + 1

= ((n+ 1) + 1)2

= (n+ 1 + 1)2

womit die Induktionsbehauptung gezeigt ist Damit ist der Satz nach dem Prinzip dervollstandigen Induktion bewiesen

Statt bei n = 1 kann die Induktion auch bei n0 isin N starten die Aussage gilt dann fur n ge n0Damit zeigen wir folgende nutzliche Ungleichung

9

Satz 163 (Bernoullische Ungleichung) Fur x isin R x ge minus1 und n isin N0 gilt

(1 + x)n ge 1 + nx

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 gilt nach Definition (1 + x)0 = 1 =1 + 0 middot x Wegen 1 + x ge 0 folgt weiter

(1 + x)n+1 = (1 + x) middot (1 + x)n

ge (1 + x) middot (1 + nx) (nach Induktionsannahme)

= 1 + (n+ 1)x+ nx2

ge 1 + (n+ 1)x

Viele weitere Aussagen lassen sich durch vollstandige Induktion beweisen

Satz 164 (Geometrische Summe) Sei x isin R x ∕= 1 Dann gilt fur alle n isin N0

1 + x+ + xn =

n983131

k=0

xk =1minus xk+1

1minus x

Beweis Wir zeigen das wieder durch vollstandige Induktion wobei wir bei n = 0 beginnen

0983131

k=0

xk = x0 = 1 =1minus x0+1

1minus x

Jetzt gelte die Formel fur ein n isin N Dann folgt

n+1983131

k=0

xk =

983075n983131

k=0

xk

983076+ xn+1 E(n)

=1minus xn+1

1minus x+ xn+1 =

1minus x(n+1)+1

1minus x

womit die Behauptung gezeigt ist

Wir wollen als nachstes die Elemente gewisser Mengen zahlen Als erstes zeigen wir dassman beim Verteilen von 4 Briefen auf 3 Briefkasten in mindestens einen Briefkasten mehr alseinen Brief stecken muss

Satz 165 (Schubfachprinzip) Ist f 1 m rarr 1 n injektiv mit mn isin N sofolgt m le n

Beweis Wir fuhren Induktion nach n isin N Fur n = 1 haben wir f 1 m rarr 1injektiv das geht nur furm = 1 Sei nun eine injektive Abbildung f 1 m rarr 1 n+1 gegeben wir mussen zeigen dass m le n + 1 ist Hat die Zahl n + 1 kein Urbild so isttatsachlich f 1 m rarr 1 n und nach Induktion gilt sogar m le n Andernfallshat n+ 1 genau ein Urbild Wenn wir dieses rausschmeiszligen und neu nummerieren erhaltenwir eine Abbildung

f 1 mminus 1 rarr 1 n injektiv

Nach Induktion folgt mminus 1 le n bzw m le n+ 1 wie gewunscht

10

Definition 166 (Machtigkeit von Mengen) 1 Zwei Mengen M und N heiszligengleichmachtig wenn eine bijektive Abbildung zwischen M und N existiert

2 Falls eine Menge M und die Menge 1 n fur ein n isin N gleichmachtig sind so heiszligtM endlich und n = M ist die Anzahl ihrer Elemente Die leere Menge ist ebenfallsendlich mit empty = 0

Dass die Zahl der Elemente eindeutig definiert ist folgt aus dem Schubfachprinzip Wir setzen

n =

n983132

k=1

k = 1 middot 2 middot middot n (n-Fakultat)

Per Dekret ist 0 = 1 (vgl Vereinbarung zum leeren Produkt) Der folgende Satz beantwortetdie Frage nach der Anzahl der moglichen Anordnungen (oder Umordnungen oder Permuta-tionen) von n Dingen

Satz 167 (Zahl der Permutationen) Fur n isin N sei Sn die Menge der bijektiven Abbildungenσ 1 n rarr 1 n Dann gilt Sn = n

Beweis Wir zeigen die Behauptung durch Induktion wobei der Induktionsanfang n = 1offensichtlich ist Sei Sn+1k die Menge der Permutationen von 1 n+1 die die Nummerk auf n+1 abbilden Da die restlichen n Nummern beliebig bijektiv auf 1 n abgebildetwerden hat Sn+1k genau n Elemente nach Induktion Es folgt durch Summation

Sn+1 =

n+1983131

k=1

Sn+1k = (n+ 1) middot n = (n+ 1)

Definition 168 (Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N setzen wir983061α

k

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k sowie

983061α

0

983062= 1

Lemma 169 (Additionstheorem fur Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N erfullendie Binomialkoeffizienten die Formel

983061α+ 1

k

983062=

983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062

Beweis Fur k = 1 ist leicht zu sehen dass die Formel richtig ist Fur k ge 2 berechnen wir983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k +α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2)

1 middot 2 middot middot (k minus 1)

=α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2) middot (αminus k + 1 + k)

1 middot 2 middot middot k

=(α+ 1) middot α middot middot ((α+ 1)minus k + 1)

1 middot 2 middot middot k

=

983061α+ 1

k

983062

11

Im Fall α = n isin N0 erlaubt Lemma 169 die rekursive Berechnung der Binomialkoeffizienten983043nk

983044nach dem Dreiecksschema von Blaise Pascal (1623-1662)

n=0 1n=1 1 1n=2 1 2 1n=3 1 3 3 1n=4 1 4 6 4 1n=5 1 5 10 10 5 1n=6 1 6 15 20 15 6 1

Ebenfalls fur α = n isin N0 folgt durch Erweitern der Binomialkoeffizienten mit (n minus k) diealternative Darstellung

983061n

k

983062=

n

k (nminus k)fur n isin N0 k isin 0 1 n (12)

und daraus weiter die am Diagramm ersichtliche Symmetrieeigenschaft983061n

k

983062=

983061n

nminus k

983062fur n isin N0 k isin 0 1 n (13)

Satz 1610 (Zahl der Kombinationen) Sei n isin N0 und k isin 0 1 n Dann ist dieAnzahl der k-elementigen Teilmengen von 1 n gleich

983043nk

983044

Beweis Es gilt983043n0

983044= 1 nach Definition und die einzige null-elementige Teilmenge von

0 1 n ist die leere Menge Also stimmt die Aussage fur alle n = 0 1 und k = 0 Diek-elementigen Teilmengen von 1 n+ 1 mit k ge 1 zerfallen in zwei Klassen

Klasse 1 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1 nicht

Klasse 2 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1

Klasse 1 besteht genau aus den k-elementigen Teilmengen von 1 n Klasse 2 ergibtsich durch Hinzufugen der Nummer n + 1 zu jeder der (k minus 1)-elementigen Teilmengen von1 n Nach Induktion folgt fur die Gesamtzahl der Elemente mit Lemma 169

983061n

k

983062+

983061n

k minus 1

983062=

983061n+ 1

k

983062

womit der Satz bewiesen ist

Satz 1611 (Binomische Formel) Fur a b isin R und n isin N gilt

(a+ b)n =

n983131

k=0

983061n

k

983062akbnminusk (14)

Beweis Ausmultiplizieren des n-fachen Produkts (a+b)n = (a+b)middot(a+b)middot middot(a+b) mit demDistributivgesetz und Ordnen nach dem Kommutativgesetz liefert Terme der Form akbnminusk furk isin 0 1 n Die Haufigkeit eines solchen Terms ist gleich der Anzahl der Moglichkeitenaus den n Klammern k Klammern auszusuchen in denen a als Faktor genommen wird inden restlichen Klammern muss dann der Faktor b gewahlt werden Nach Satz 1610 kommtakbnminusk also genau

983043nk

983044mal vor

12

17 Geometrie im Rn

Im folgenden sei n isin N zum Beispiel n = 2 oder n = 3 Wir bezeichnen mit Rn das n-fachekartesische Produkt Rtimes times R also die Menge aller n-Tupel

Rn =983153x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 | xi isin R983154

Wir nennen die Elemente von Rn auch Vektoren Zwei Vektoren x y isin Rn sind genau danngleich wenn xi = yi fur alle i = 1 n wenn also alle Koordinaten gleich sind Wir konnenVektoren addieren und mit reellen Zahlen multiplizieren (zum Beispiel strecken)

x+ y =

983091

983109983107x1 + y1

xn + yn

983092

983110983108 λx =

983091

983109983107λx1

λxn

983092

983110983108

In diesem Zusammenhang nennt man die Zahl λ auch einen Skalar und spricht von Skalar-multiplikation Die Standard-Einheitsvektoren sind

ei =

983091

983109983109983109983109983109983109983107

010

983092

983110983110983110983110983110983110983108i fur i = 1 n

Mit ihnen ergibt sich fur jeden Vektor x isin Rn die Darstellung

x =

n983131

i=1

xiei

Die Vektoraddition und Skalarmultiplikation erfullen folgende Regeln die alle direkt aus denDefinitionen folgen

(1) (983187x+ 983187y) + 983187z = 983187x+ (983187y + 983187z)

(2) 983187x+9831870 = 983187x fur alle 983187x mit 9831870 = (0 0) (Nullvektor)

(3) Es gilt 983187x+ (minus983187x) = 9831870

(4) 983187x+ 983187y = 983187y + 983187x

(5) (λ+ micro)983187x = λ983187x+ micro983187x

(6) (λmicro)983187x = λ(micro983187x)

(7) λ(983187x+ 983187y) = λ983187x+ λ983187y

(8) 1 middot 983187x = 983187x

13

Im drei-dimensionalen Raum kann jede Gerade mit R1 = R jede Ebene mit R2 und derRaum selbst mit R3 identifiziert werden indem ein kartesisches Koordinatensystem gewahltwird Wir wollen das erklaren indem wir den Begriff des Euklidischen Raums aus derAnschauung verwenden das heiszligt der Euklidische Abstand zwischen zwei Punkten seianschaulich gegeben Ebenso setzen wir den Begriff der Orthogonalitat fur sich schneidendeGeraden anschaulich voraus

Auf einer Geraden g wahlen wir einen Punkt O den Ursprung (origin) Dann bestehtgO aus zwei Halbgeraden Wir erhalten eine Koordinate x auf g indem wir auf einer derHalbgeraden fur x den Abstand zu O wahlen auf der anderen Halbgeraden den negativenAbstand zu O Die Koordinate x ist eindeutig bestimmt durch die Wahl des Ursprungs Ound die Entscheidung welche Halbgerade die positive ist

In einer Ebene E wahlen wir wieder einen Ursprung O und weiter zwei zueinanderorthogonale Geraden g h durch O Auf g h bestimmen wir jeweils Koordinaten x y wieoben beschrieben Jeder Punkt p isin E kann jetzt auf g und h orthogonal projiziert werdendies liefert fur p die beiden Koordinaten (x y) Die Frage nach der Eindeutigkeit ist nunschon schwieriger Wir nehmen an dass der Ursprung fest ist und betrachten ein zweitesPaar gprime hprime zueinander senkrechter Geraden genauer soll gprime hprime aus g h durch Drehung umeinen Winkel α hervorgehen Dann sieht man (Bild)

x = (cosα)xprime minus (sinα) yprime xprime = (cosα)x+ (sinα) y

y = (sinα)xprime + (cosα) yprime yprime = minus(sinα)x+ (cosα) y

Wir kommen schlieszliglich zur Wahl kartesischer Koordinaten im drei-dimensionalen RaumWieder wahlen wir einen Ursprung O und nun drei zueinander senkrechte Geraden g h ℓSeien x y z die Koordinaten auf den drei einzelnen Geraden wie oben erklart Jeder Punktp im Raum wird auf die drei Geraden orthogonal projiziert und liefert so die Koordinaten(x y z) Die Frage nach der Eindeutigkeit bzw der Umrechnung in ein anderes Koordina-tensystem ist etwas schwieriger wir kommen spater in der Vorlesung darauf zuruck

Indem wir R2 mit einer Ebene bzw R3 mit dem Euklidischen Raum identifizieren(wie oben beschrieben) erhalten wir eine anschauliche Darstellung der VektoradditionVektorsubtraktion und Skalarmultiplikation (Bild)

Die oben benutzten Begriffe Lange und Winkel wollen wir noch genauer erklaren DieEuklidische Lange (oder der Betrag) eines Vektors ist definiert durch

|983187x| =983059 n983131

i=1

x2i

983060 12

fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108

Fur n = 2 ist |983187x| =983155

x21 + x22 dies entspricht also dem Satz von Pythagoras (Bild) Furn = 3 haben wir |983187x| =

983155x21 + x22 + x23 Dies lasst sich ebenfalls mit Pythagoras begrunden

indem der Punkt (x1 x2 0) betrachtet wird (Bild) Offenbar gilt fur 983187x isin Rn λ isin R

|983187x| ge 0 (Gleichheit nur fur 983187x = 9831870)

|λ983187x| = |λ||983187x|

14

Der Euklidische Abstand ist

dist(983187x 983187y) = |983187xminus 983187y| fur 983187x 983187y isin Rn

Insbesondere ist der Betrag gleich dem Abstand zum Nullpunkt ie |983187x| = dist(983187x9831870) Eineweitere nutzliche Groszlige ist das Skalarprodukt zwischen Vektoren im Rn

〈983187x 983187y〉 =n983131

i=1

xiyi fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 983187y =

983091

983109983107y1yn

983092

983110983108

Statt mit Klammern wird das Skalarprodukt oft in der Form 983187x middot983187y geschrieben also mit einemPunkt Wir bleiben aber bei den Klammern Folgende Regeln ergeben sich direkt aus derFormel wobei 983187x 983187y 983187z isin Rn und λ micro isin R

〈983187x 983187y〉 = 〈983187y 983187x〉 (Symmetrie)

〈λ983187x+ micro983187y 983187z〉 = λ〈983187x 983187z〉+ micro〈983187y 983187z〉 (Bilinearitat)

〈983187x 983187x〉 = |983187x|2 ge 0 (Positivitat)

Um nun die Definition des Winkels zu motivieren appellieren wir an das Schulwissen undbetrachten die gleichformige Kreisbewegung

983187c R rarr R2 983187c(t) =

983061cos tsin t

983062

Es gilt |983187c(t)| =983155

(cos t)2 + (sin t)2 = 1 und 983187c(0) = (1 0) Der Punkt 983187c(t) durchlauft den Kreisentgegen dem Uhrzeigersinn mit konstanter Absolutgeschwindigkeit Eins

983187cprime(t) =

983061minus sin tcos t

983062und damit |983187cprime(t)| =

983155(minus sin t)2 + (cos t)2 = 1

Der Einheitskreis hat die Gesamtlange 2π = 6 2831 Als Maszlig fur den Winkel nehmen wirdie Lange des kurzeren Einheitskreisbogens zwischen c(t1) und c(t2) also

ang(983187c(t1)983187c(t2)) = |t1 minus t2| falls |t1 minus t2| le π

Die Bedingung |t1 minus t2| le π garantiert dass der von 983187c(t) auf [t1 t2] durchlaufene Bogenhochstens ein Halbkreis ist Erhalte mit dem Additionstheorem des Kosinus

cosang(983187c(t1)983187c(t2)) = cos |t1 minus t2| = cos t1 cos t2 + sin t1 sin t2 = 〈983187c(t1)983187c(t2)〉

Definition 171 (Winkel zwischen Vektoren) Seien 983187x 983187y isin Rn mit 983187x 983187y ∕= 9831870 Dann definierenwir den Winkel φ = ang(983187x 983187y) isin [0π] durch die Gleichung

cosφ =

983071983187x

|983187x| 983187y

|983187y|

983072

Spezialfall 983187x 983187y sind zueinander senkrecht (orthogonal) genau wenn 〈983187x 983187y〉 = 0

Es ist noch zu begrunden dass die Gleichung in der Definition eine und nur eineLosung φ besitzt Die Funktion Kosinus ist auf dem Intervall [0π] streng monoton fallendmit cos 0 = 1 und cosπ = minus1 (Bild) Sie nimmt daher jeden Wert in [minus1 1] genau einmalan Es bleibt also zu zeigen dass die rechte Seite in der Definition des Winkels im Intervall[minus1 1] liegt Dies ergibt sich aus folgender Ungleichung

15

Satz 172 (Ungleichung von Cauchy-Schwarz) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt

|〈983187x 983187y〉| le |983187x| |983187y|

Gleichheit gilt genau dann wenn 983187x 983187y parallel sind

Beweis Fur Vektoren 983187a983187b mit |983187a| = |983187b| = 1 schatzen wir ab

1plusmn 〈983187a983187b〉 = 1

2

983059|983187a|2 + |983187b|2 plusmn 2〈983187a983187b〉

983060=

1

2|983187aplusmn983187b|2 ge 0

Fur 983187x 983187y ∕= 9831870 beliebig wenden wir das an mit 983187a =983187x

|983187x| 983187b =

983187y

|983187y|

|〈983187x 983187y〉| = |983187x| |983187y| |〈983187a983187b〉| le |983187x||983187y|

Bei Gleichheit gilt fur die Einheitsvektoren

0 = 983187aplusmn983187b =983187x

|983187x| plusmn983187y

|983187y|

das heiszligt 983187x und 983187y sind parallel

Die Definition des Winkels ergibt trivial denKosinussatz in dem von 9831870 983187x 983187y gebildeten Dreieckfolgt namlich (Bild)

|983187xminus 983187y|2 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2〈983187x 983187y〉 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2|983187x||983187y| cosang(983187x 983187y)

Eine Konsequenz der Cauchy-Schwarz Ungleichung ist folgende Eigenschaft des Betrags

Satz 173 (Dreiecksungleichung) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt die Ungleichung

|983187x+ 983187y| le |983187x|+ |983187y|

mit Gleichheit genau wenn 983187x 983187y gleichsinnig parallel sind

Beweis Aus der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt

|983187x+ 983187y|2 = |983187x|2 + 2〈983187x 983187y〉+ |983187y|2 le |983187x|2 + 2|983187x||983187y|+ |983187y|2 = (|983187x|+ |983187y|)2

Durch Wurzelziehen folgt |983187x + 983187y| le |983187x| + |983187y| wie behauptet Bei Gleichheit mussen 983187x und 983187yparallel sein nach Satz 172 Es muss aber auch 〈983187x 983187y〉 ge 0 sein also sind 983187x 983187y gleichsinnigparallel

Statt auf die Koordinatenachsen konnen wir einen Vektor 983187x auch auf eine beliebige Ur-sprungsgerade g projizieren Wird g durch den Einheitsvektor 983187v isin Rn erzeugt das heiszligtg = λ983187v | λ isin R so lautet der Projektionspunkt

983187xg = 〈983187x983187v〉983187v

Denn 983187xg liegt auf der Geraden g und 983187xminus 983187xg steht senkrecht auf g

〈983187xminus 983187xg983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈〈983187x983187v〉983187v983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈983187x983187v〉 〈983187v983187v〉983167 983166983165 983168=1

= 0

16

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 12: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Satz 163 (Bernoullische Ungleichung) Fur x isin R x ge minus1 und n isin N0 gilt

(1 + x)n ge 1 + nx

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 gilt nach Definition (1 + x)0 = 1 =1 + 0 middot x Wegen 1 + x ge 0 folgt weiter

(1 + x)n+1 = (1 + x) middot (1 + x)n

ge (1 + x) middot (1 + nx) (nach Induktionsannahme)

= 1 + (n+ 1)x+ nx2

ge 1 + (n+ 1)x

Viele weitere Aussagen lassen sich durch vollstandige Induktion beweisen

Satz 164 (Geometrische Summe) Sei x isin R x ∕= 1 Dann gilt fur alle n isin N0

1 + x+ + xn =

n983131

k=0

xk =1minus xk+1

1minus x

Beweis Wir zeigen das wieder durch vollstandige Induktion wobei wir bei n = 0 beginnen

0983131

k=0

xk = x0 = 1 =1minus x0+1

1minus x

Jetzt gelte die Formel fur ein n isin N Dann folgt

n+1983131

k=0

xk =

983075n983131

k=0

xk

983076+ xn+1 E(n)

=1minus xn+1

1minus x+ xn+1 =

1minus x(n+1)+1

1minus x

womit die Behauptung gezeigt ist

Wir wollen als nachstes die Elemente gewisser Mengen zahlen Als erstes zeigen wir dassman beim Verteilen von 4 Briefen auf 3 Briefkasten in mindestens einen Briefkasten mehr alseinen Brief stecken muss

Satz 165 (Schubfachprinzip) Ist f 1 m rarr 1 n injektiv mit mn isin N sofolgt m le n

Beweis Wir fuhren Induktion nach n isin N Fur n = 1 haben wir f 1 m rarr 1injektiv das geht nur furm = 1 Sei nun eine injektive Abbildung f 1 m rarr 1 n+1 gegeben wir mussen zeigen dass m le n + 1 ist Hat die Zahl n + 1 kein Urbild so isttatsachlich f 1 m rarr 1 n und nach Induktion gilt sogar m le n Andernfallshat n+ 1 genau ein Urbild Wenn wir dieses rausschmeiszligen und neu nummerieren erhaltenwir eine Abbildung

f 1 mminus 1 rarr 1 n injektiv

Nach Induktion folgt mminus 1 le n bzw m le n+ 1 wie gewunscht

10

Definition 166 (Machtigkeit von Mengen) 1 Zwei Mengen M und N heiszligengleichmachtig wenn eine bijektive Abbildung zwischen M und N existiert

2 Falls eine Menge M und die Menge 1 n fur ein n isin N gleichmachtig sind so heiszligtM endlich und n = M ist die Anzahl ihrer Elemente Die leere Menge ist ebenfallsendlich mit empty = 0

Dass die Zahl der Elemente eindeutig definiert ist folgt aus dem Schubfachprinzip Wir setzen

n =

n983132

k=1

k = 1 middot 2 middot middot n (n-Fakultat)

Per Dekret ist 0 = 1 (vgl Vereinbarung zum leeren Produkt) Der folgende Satz beantwortetdie Frage nach der Anzahl der moglichen Anordnungen (oder Umordnungen oder Permuta-tionen) von n Dingen

Satz 167 (Zahl der Permutationen) Fur n isin N sei Sn die Menge der bijektiven Abbildungenσ 1 n rarr 1 n Dann gilt Sn = n

Beweis Wir zeigen die Behauptung durch Induktion wobei der Induktionsanfang n = 1offensichtlich ist Sei Sn+1k die Menge der Permutationen von 1 n+1 die die Nummerk auf n+1 abbilden Da die restlichen n Nummern beliebig bijektiv auf 1 n abgebildetwerden hat Sn+1k genau n Elemente nach Induktion Es folgt durch Summation

Sn+1 =

n+1983131

k=1

Sn+1k = (n+ 1) middot n = (n+ 1)

Definition 168 (Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N setzen wir983061α

k

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k sowie

983061α

0

983062= 1

Lemma 169 (Additionstheorem fur Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N erfullendie Binomialkoeffizienten die Formel

983061α+ 1

k

983062=

983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062

Beweis Fur k = 1 ist leicht zu sehen dass die Formel richtig ist Fur k ge 2 berechnen wir983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k +α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2)

1 middot 2 middot middot (k minus 1)

=α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2) middot (αminus k + 1 + k)

1 middot 2 middot middot k

=(α+ 1) middot α middot middot ((α+ 1)minus k + 1)

1 middot 2 middot middot k

=

983061α+ 1

k

983062

11

Im Fall α = n isin N0 erlaubt Lemma 169 die rekursive Berechnung der Binomialkoeffizienten983043nk

983044nach dem Dreiecksschema von Blaise Pascal (1623-1662)

n=0 1n=1 1 1n=2 1 2 1n=3 1 3 3 1n=4 1 4 6 4 1n=5 1 5 10 10 5 1n=6 1 6 15 20 15 6 1

Ebenfalls fur α = n isin N0 folgt durch Erweitern der Binomialkoeffizienten mit (n minus k) diealternative Darstellung

983061n

k

983062=

n

k (nminus k)fur n isin N0 k isin 0 1 n (12)

und daraus weiter die am Diagramm ersichtliche Symmetrieeigenschaft983061n

k

983062=

983061n

nminus k

983062fur n isin N0 k isin 0 1 n (13)

Satz 1610 (Zahl der Kombinationen) Sei n isin N0 und k isin 0 1 n Dann ist dieAnzahl der k-elementigen Teilmengen von 1 n gleich

983043nk

983044

Beweis Es gilt983043n0

983044= 1 nach Definition und die einzige null-elementige Teilmenge von

0 1 n ist die leere Menge Also stimmt die Aussage fur alle n = 0 1 und k = 0 Diek-elementigen Teilmengen von 1 n+ 1 mit k ge 1 zerfallen in zwei Klassen

Klasse 1 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1 nicht

Klasse 2 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1

Klasse 1 besteht genau aus den k-elementigen Teilmengen von 1 n Klasse 2 ergibtsich durch Hinzufugen der Nummer n + 1 zu jeder der (k minus 1)-elementigen Teilmengen von1 n Nach Induktion folgt fur die Gesamtzahl der Elemente mit Lemma 169

983061n

k

983062+

983061n

k minus 1

983062=

983061n+ 1

k

983062

womit der Satz bewiesen ist

Satz 1611 (Binomische Formel) Fur a b isin R und n isin N gilt

(a+ b)n =

n983131

k=0

983061n

k

983062akbnminusk (14)

Beweis Ausmultiplizieren des n-fachen Produkts (a+b)n = (a+b)middot(a+b)middot middot(a+b) mit demDistributivgesetz und Ordnen nach dem Kommutativgesetz liefert Terme der Form akbnminusk furk isin 0 1 n Die Haufigkeit eines solchen Terms ist gleich der Anzahl der Moglichkeitenaus den n Klammern k Klammern auszusuchen in denen a als Faktor genommen wird inden restlichen Klammern muss dann der Faktor b gewahlt werden Nach Satz 1610 kommtakbnminusk also genau

983043nk

983044mal vor

12

17 Geometrie im Rn

Im folgenden sei n isin N zum Beispiel n = 2 oder n = 3 Wir bezeichnen mit Rn das n-fachekartesische Produkt Rtimes times R also die Menge aller n-Tupel

Rn =983153x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 | xi isin R983154

Wir nennen die Elemente von Rn auch Vektoren Zwei Vektoren x y isin Rn sind genau danngleich wenn xi = yi fur alle i = 1 n wenn also alle Koordinaten gleich sind Wir konnenVektoren addieren und mit reellen Zahlen multiplizieren (zum Beispiel strecken)

x+ y =

983091

983109983107x1 + y1

xn + yn

983092

983110983108 λx =

983091

983109983107λx1

λxn

983092

983110983108

In diesem Zusammenhang nennt man die Zahl λ auch einen Skalar und spricht von Skalar-multiplikation Die Standard-Einheitsvektoren sind

ei =

983091

983109983109983109983109983109983109983107

010

983092

983110983110983110983110983110983110983108i fur i = 1 n

Mit ihnen ergibt sich fur jeden Vektor x isin Rn die Darstellung

x =

n983131

i=1

xiei

Die Vektoraddition und Skalarmultiplikation erfullen folgende Regeln die alle direkt aus denDefinitionen folgen

(1) (983187x+ 983187y) + 983187z = 983187x+ (983187y + 983187z)

(2) 983187x+9831870 = 983187x fur alle 983187x mit 9831870 = (0 0) (Nullvektor)

(3) Es gilt 983187x+ (minus983187x) = 9831870

(4) 983187x+ 983187y = 983187y + 983187x

(5) (λ+ micro)983187x = λ983187x+ micro983187x

(6) (λmicro)983187x = λ(micro983187x)

(7) λ(983187x+ 983187y) = λ983187x+ λ983187y

(8) 1 middot 983187x = 983187x

13

Im drei-dimensionalen Raum kann jede Gerade mit R1 = R jede Ebene mit R2 und derRaum selbst mit R3 identifiziert werden indem ein kartesisches Koordinatensystem gewahltwird Wir wollen das erklaren indem wir den Begriff des Euklidischen Raums aus derAnschauung verwenden das heiszligt der Euklidische Abstand zwischen zwei Punkten seianschaulich gegeben Ebenso setzen wir den Begriff der Orthogonalitat fur sich schneidendeGeraden anschaulich voraus

Auf einer Geraden g wahlen wir einen Punkt O den Ursprung (origin) Dann bestehtgO aus zwei Halbgeraden Wir erhalten eine Koordinate x auf g indem wir auf einer derHalbgeraden fur x den Abstand zu O wahlen auf der anderen Halbgeraden den negativenAbstand zu O Die Koordinate x ist eindeutig bestimmt durch die Wahl des Ursprungs Ound die Entscheidung welche Halbgerade die positive ist

In einer Ebene E wahlen wir wieder einen Ursprung O und weiter zwei zueinanderorthogonale Geraden g h durch O Auf g h bestimmen wir jeweils Koordinaten x y wieoben beschrieben Jeder Punkt p isin E kann jetzt auf g und h orthogonal projiziert werdendies liefert fur p die beiden Koordinaten (x y) Die Frage nach der Eindeutigkeit ist nunschon schwieriger Wir nehmen an dass der Ursprung fest ist und betrachten ein zweitesPaar gprime hprime zueinander senkrechter Geraden genauer soll gprime hprime aus g h durch Drehung umeinen Winkel α hervorgehen Dann sieht man (Bild)

x = (cosα)xprime minus (sinα) yprime xprime = (cosα)x+ (sinα) y

y = (sinα)xprime + (cosα) yprime yprime = minus(sinα)x+ (cosα) y

Wir kommen schlieszliglich zur Wahl kartesischer Koordinaten im drei-dimensionalen RaumWieder wahlen wir einen Ursprung O und nun drei zueinander senkrechte Geraden g h ℓSeien x y z die Koordinaten auf den drei einzelnen Geraden wie oben erklart Jeder Punktp im Raum wird auf die drei Geraden orthogonal projiziert und liefert so die Koordinaten(x y z) Die Frage nach der Eindeutigkeit bzw der Umrechnung in ein anderes Koordina-tensystem ist etwas schwieriger wir kommen spater in der Vorlesung darauf zuruck

Indem wir R2 mit einer Ebene bzw R3 mit dem Euklidischen Raum identifizieren(wie oben beschrieben) erhalten wir eine anschauliche Darstellung der VektoradditionVektorsubtraktion und Skalarmultiplikation (Bild)

Die oben benutzten Begriffe Lange und Winkel wollen wir noch genauer erklaren DieEuklidische Lange (oder der Betrag) eines Vektors ist definiert durch

|983187x| =983059 n983131

i=1

x2i

983060 12

fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108

Fur n = 2 ist |983187x| =983155

x21 + x22 dies entspricht also dem Satz von Pythagoras (Bild) Furn = 3 haben wir |983187x| =

983155x21 + x22 + x23 Dies lasst sich ebenfalls mit Pythagoras begrunden

indem der Punkt (x1 x2 0) betrachtet wird (Bild) Offenbar gilt fur 983187x isin Rn λ isin R

|983187x| ge 0 (Gleichheit nur fur 983187x = 9831870)

|λ983187x| = |λ||983187x|

14

Der Euklidische Abstand ist

dist(983187x 983187y) = |983187xminus 983187y| fur 983187x 983187y isin Rn

Insbesondere ist der Betrag gleich dem Abstand zum Nullpunkt ie |983187x| = dist(983187x9831870) Eineweitere nutzliche Groszlige ist das Skalarprodukt zwischen Vektoren im Rn

〈983187x 983187y〉 =n983131

i=1

xiyi fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 983187y =

983091

983109983107y1yn

983092

983110983108

Statt mit Klammern wird das Skalarprodukt oft in der Form 983187x middot983187y geschrieben also mit einemPunkt Wir bleiben aber bei den Klammern Folgende Regeln ergeben sich direkt aus derFormel wobei 983187x 983187y 983187z isin Rn und λ micro isin R

〈983187x 983187y〉 = 〈983187y 983187x〉 (Symmetrie)

〈λ983187x+ micro983187y 983187z〉 = λ〈983187x 983187z〉+ micro〈983187y 983187z〉 (Bilinearitat)

〈983187x 983187x〉 = |983187x|2 ge 0 (Positivitat)

Um nun die Definition des Winkels zu motivieren appellieren wir an das Schulwissen undbetrachten die gleichformige Kreisbewegung

983187c R rarr R2 983187c(t) =

983061cos tsin t

983062

Es gilt |983187c(t)| =983155

(cos t)2 + (sin t)2 = 1 und 983187c(0) = (1 0) Der Punkt 983187c(t) durchlauft den Kreisentgegen dem Uhrzeigersinn mit konstanter Absolutgeschwindigkeit Eins

983187cprime(t) =

983061minus sin tcos t

983062und damit |983187cprime(t)| =

983155(minus sin t)2 + (cos t)2 = 1

Der Einheitskreis hat die Gesamtlange 2π = 6 2831 Als Maszlig fur den Winkel nehmen wirdie Lange des kurzeren Einheitskreisbogens zwischen c(t1) und c(t2) also

ang(983187c(t1)983187c(t2)) = |t1 minus t2| falls |t1 minus t2| le π

Die Bedingung |t1 minus t2| le π garantiert dass der von 983187c(t) auf [t1 t2] durchlaufene Bogenhochstens ein Halbkreis ist Erhalte mit dem Additionstheorem des Kosinus

cosang(983187c(t1)983187c(t2)) = cos |t1 minus t2| = cos t1 cos t2 + sin t1 sin t2 = 〈983187c(t1)983187c(t2)〉

Definition 171 (Winkel zwischen Vektoren) Seien 983187x 983187y isin Rn mit 983187x 983187y ∕= 9831870 Dann definierenwir den Winkel φ = ang(983187x 983187y) isin [0π] durch die Gleichung

cosφ =

983071983187x

|983187x| 983187y

|983187y|

983072

Spezialfall 983187x 983187y sind zueinander senkrecht (orthogonal) genau wenn 〈983187x 983187y〉 = 0

Es ist noch zu begrunden dass die Gleichung in der Definition eine und nur eineLosung φ besitzt Die Funktion Kosinus ist auf dem Intervall [0π] streng monoton fallendmit cos 0 = 1 und cosπ = minus1 (Bild) Sie nimmt daher jeden Wert in [minus1 1] genau einmalan Es bleibt also zu zeigen dass die rechte Seite in der Definition des Winkels im Intervall[minus1 1] liegt Dies ergibt sich aus folgender Ungleichung

15

Satz 172 (Ungleichung von Cauchy-Schwarz) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt

|〈983187x 983187y〉| le |983187x| |983187y|

Gleichheit gilt genau dann wenn 983187x 983187y parallel sind

Beweis Fur Vektoren 983187a983187b mit |983187a| = |983187b| = 1 schatzen wir ab

1plusmn 〈983187a983187b〉 = 1

2

983059|983187a|2 + |983187b|2 plusmn 2〈983187a983187b〉

983060=

1

2|983187aplusmn983187b|2 ge 0

Fur 983187x 983187y ∕= 9831870 beliebig wenden wir das an mit 983187a =983187x

|983187x| 983187b =

983187y

|983187y|

|〈983187x 983187y〉| = |983187x| |983187y| |〈983187a983187b〉| le |983187x||983187y|

Bei Gleichheit gilt fur die Einheitsvektoren

0 = 983187aplusmn983187b =983187x

|983187x| plusmn983187y

|983187y|

das heiszligt 983187x und 983187y sind parallel

Die Definition des Winkels ergibt trivial denKosinussatz in dem von 9831870 983187x 983187y gebildeten Dreieckfolgt namlich (Bild)

|983187xminus 983187y|2 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2〈983187x 983187y〉 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2|983187x||983187y| cosang(983187x 983187y)

Eine Konsequenz der Cauchy-Schwarz Ungleichung ist folgende Eigenschaft des Betrags

Satz 173 (Dreiecksungleichung) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt die Ungleichung

|983187x+ 983187y| le |983187x|+ |983187y|

mit Gleichheit genau wenn 983187x 983187y gleichsinnig parallel sind

Beweis Aus der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt

|983187x+ 983187y|2 = |983187x|2 + 2〈983187x 983187y〉+ |983187y|2 le |983187x|2 + 2|983187x||983187y|+ |983187y|2 = (|983187x|+ |983187y|)2

Durch Wurzelziehen folgt |983187x + 983187y| le |983187x| + |983187y| wie behauptet Bei Gleichheit mussen 983187x und 983187yparallel sein nach Satz 172 Es muss aber auch 〈983187x 983187y〉 ge 0 sein also sind 983187x 983187y gleichsinnigparallel

Statt auf die Koordinatenachsen konnen wir einen Vektor 983187x auch auf eine beliebige Ur-sprungsgerade g projizieren Wird g durch den Einheitsvektor 983187v isin Rn erzeugt das heiszligtg = λ983187v | λ isin R so lautet der Projektionspunkt

983187xg = 〈983187x983187v〉983187v

Denn 983187xg liegt auf der Geraden g und 983187xminus 983187xg steht senkrecht auf g

〈983187xminus 983187xg983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈〈983187x983187v〉983187v983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈983187x983187v〉 〈983187v983187v〉983167 983166983165 983168=1

= 0

16

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 13: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Definition 166 (Machtigkeit von Mengen) 1 Zwei Mengen M und N heiszligengleichmachtig wenn eine bijektive Abbildung zwischen M und N existiert

2 Falls eine Menge M und die Menge 1 n fur ein n isin N gleichmachtig sind so heiszligtM endlich und n = M ist die Anzahl ihrer Elemente Die leere Menge ist ebenfallsendlich mit empty = 0

Dass die Zahl der Elemente eindeutig definiert ist folgt aus dem Schubfachprinzip Wir setzen

n =

n983132

k=1

k = 1 middot 2 middot middot n (n-Fakultat)

Per Dekret ist 0 = 1 (vgl Vereinbarung zum leeren Produkt) Der folgende Satz beantwortetdie Frage nach der Anzahl der moglichen Anordnungen (oder Umordnungen oder Permuta-tionen) von n Dingen

Satz 167 (Zahl der Permutationen) Fur n isin N sei Sn die Menge der bijektiven Abbildungenσ 1 n rarr 1 n Dann gilt Sn = n

Beweis Wir zeigen die Behauptung durch Induktion wobei der Induktionsanfang n = 1offensichtlich ist Sei Sn+1k die Menge der Permutationen von 1 n+1 die die Nummerk auf n+1 abbilden Da die restlichen n Nummern beliebig bijektiv auf 1 n abgebildetwerden hat Sn+1k genau n Elemente nach Induktion Es folgt durch Summation

Sn+1 =

n+1983131

k=1

Sn+1k = (n+ 1) middot n = (n+ 1)

Definition 168 (Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N setzen wir983061α

k

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k sowie

983061α

0

983062= 1

Lemma 169 (Additionstheorem fur Binomialkoeffizienten) Fur α isin R und k isin N erfullendie Binomialkoeffizienten die Formel

983061α+ 1

k

983062=

983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062

Beweis Fur k = 1 ist leicht zu sehen dass die Formel richtig ist Fur k ge 2 berechnen wir983061α

k

983062+

983061α

k minus 1

983062=

α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 1)

1 middot 2 middot middot k +α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2)

1 middot 2 middot middot (k minus 1)

=α middot (αminus 1) middot middot (αminus k + 2) middot (αminus k + 1 + k)

1 middot 2 middot middot k

=(α+ 1) middot α middot middot ((α+ 1)minus k + 1)

1 middot 2 middot middot k

=

983061α+ 1

k

983062

11

Im Fall α = n isin N0 erlaubt Lemma 169 die rekursive Berechnung der Binomialkoeffizienten983043nk

983044nach dem Dreiecksschema von Blaise Pascal (1623-1662)

n=0 1n=1 1 1n=2 1 2 1n=3 1 3 3 1n=4 1 4 6 4 1n=5 1 5 10 10 5 1n=6 1 6 15 20 15 6 1

Ebenfalls fur α = n isin N0 folgt durch Erweitern der Binomialkoeffizienten mit (n minus k) diealternative Darstellung

983061n

k

983062=

n

k (nminus k)fur n isin N0 k isin 0 1 n (12)

und daraus weiter die am Diagramm ersichtliche Symmetrieeigenschaft983061n

k

983062=

983061n

nminus k

983062fur n isin N0 k isin 0 1 n (13)

Satz 1610 (Zahl der Kombinationen) Sei n isin N0 und k isin 0 1 n Dann ist dieAnzahl der k-elementigen Teilmengen von 1 n gleich

983043nk

983044

Beweis Es gilt983043n0

983044= 1 nach Definition und die einzige null-elementige Teilmenge von

0 1 n ist die leere Menge Also stimmt die Aussage fur alle n = 0 1 und k = 0 Diek-elementigen Teilmengen von 1 n+ 1 mit k ge 1 zerfallen in zwei Klassen

Klasse 1 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1 nicht

Klasse 2 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1

Klasse 1 besteht genau aus den k-elementigen Teilmengen von 1 n Klasse 2 ergibtsich durch Hinzufugen der Nummer n + 1 zu jeder der (k minus 1)-elementigen Teilmengen von1 n Nach Induktion folgt fur die Gesamtzahl der Elemente mit Lemma 169

983061n

k

983062+

983061n

k minus 1

983062=

983061n+ 1

k

983062

womit der Satz bewiesen ist

Satz 1611 (Binomische Formel) Fur a b isin R und n isin N gilt

(a+ b)n =

n983131

k=0

983061n

k

983062akbnminusk (14)

Beweis Ausmultiplizieren des n-fachen Produkts (a+b)n = (a+b)middot(a+b)middot middot(a+b) mit demDistributivgesetz und Ordnen nach dem Kommutativgesetz liefert Terme der Form akbnminusk furk isin 0 1 n Die Haufigkeit eines solchen Terms ist gleich der Anzahl der Moglichkeitenaus den n Klammern k Klammern auszusuchen in denen a als Faktor genommen wird inden restlichen Klammern muss dann der Faktor b gewahlt werden Nach Satz 1610 kommtakbnminusk also genau

983043nk

983044mal vor

12

17 Geometrie im Rn

Im folgenden sei n isin N zum Beispiel n = 2 oder n = 3 Wir bezeichnen mit Rn das n-fachekartesische Produkt Rtimes times R also die Menge aller n-Tupel

Rn =983153x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 | xi isin R983154

Wir nennen die Elemente von Rn auch Vektoren Zwei Vektoren x y isin Rn sind genau danngleich wenn xi = yi fur alle i = 1 n wenn also alle Koordinaten gleich sind Wir konnenVektoren addieren und mit reellen Zahlen multiplizieren (zum Beispiel strecken)

x+ y =

983091

983109983107x1 + y1

xn + yn

983092

983110983108 λx =

983091

983109983107λx1

λxn

983092

983110983108

In diesem Zusammenhang nennt man die Zahl λ auch einen Skalar und spricht von Skalar-multiplikation Die Standard-Einheitsvektoren sind

ei =

983091

983109983109983109983109983109983109983107

010

983092

983110983110983110983110983110983110983108i fur i = 1 n

Mit ihnen ergibt sich fur jeden Vektor x isin Rn die Darstellung

x =

n983131

i=1

xiei

Die Vektoraddition und Skalarmultiplikation erfullen folgende Regeln die alle direkt aus denDefinitionen folgen

(1) (983187x+ 983187y) + 983187z = 983187x+ (983187y + 983187z)

(2) 983187x+9831870 = 983187x fur alle 983187x mit 9831870 = (0 0) (Nullvektor)

(3) Es gilt 983187x+ (minus983187x) = 9831870

(4) 983187x+ 983187y = 983187y + 983187x

(5) (λ+ micro)983187x = λ983187x+ micro983187x

(6) (λmicro)983187x = λ(micro983187x)

(7) λ(983187x+ 983187y) = λ983187x+ λ983187y

(8) 1 middot 983187x = 983187x

13

Im drei-dimensionalen Raum kann jede Gerade mit R1 = R jede Ebene mit R2 und derRaum selbst mit R3 identifiziert werden indem ein kartesisches Koordinatensystem gewahltwird Wir wollen das erklaren indem wir den Begriff des Euklidischen Raums aus derAnschauung verwenden das heiszligt der Euklidische Abstand zwischen zwei Punkten seianschaulich gegeben Ebenso setzen wir den Begriff der Orthogonalitat fur sich schneidendeGeraden anschaulich voraus

Auf einer Geraden g wahlen wir einen Punkt O den Ursprung (origin) Dann bestehtgO aus zwei Halbgeraden Wir erhalten eine Koordinate x auf g indem wir auf einer derHalbgeraden fur x den Abstand zu O wahlen auf der anderen Halbgeraden den negativenAbstand zu O Die Koordinate x ist eindeutig bestimmt durch die Wahl des Ursprungs Ound die Entscheidung welche Halbgerade die positive ist

In einer Ebene E wahlen wir wieder einen Ursprung O und weiter zwei zueinanderorthogonale Geraden g h durch O Auf g h bestimmen wir jeweils Koordinaten x y wieoben beschrieben Jeder Punkt p isin E kann jetzt auf g und h orthogonal projiziert werdendies liefert fur p die beiden Koordinaten (x y) Die Frage nach der Eindeutigkeit ist nunschon schwieriger Wir nehmen an dass der Ursprung fest ist und betrachten ein zweitesPaar gprime hprime zueinander senkrechter Geraden genauer soll gprime hprime aus g h durch Drehung umeinen Winkel α hervorgehen Dann sieht man (Bild)

x = (cosα)xprime minus (sinα) yprime xprime = (cosα)x+ (sinα) y

y = (sinα)xprime + (cosα) yprime yprime = minus(sinα)x+ (cosα) y

Wir kommen schlieszliglich zur Wahl kartesischer Koordinaten im drei-dimensionalen RaumWieder wahlen wir einen Ursprung O und nun drei zueinander senkrechte Geraden g h ℓSeien x y z die Koordinaten auf den drei einzelnen Geraden wie oben erklart Jeder Punktp im Raum wird auf die drei Geraden orthogonal projiziert und liefert so die Koordinaten(x y z) Die Frage nach der Eindeutigkeit bzw der Umrechnung in ein anderes Koordina-tensystem ist etwas schwieriger wir kommen spater in der Vorlesung darauf zuruck

Indem wir R2 mit einer Ebene bzw R3 mit dem Euklidischen Raum identifizieren(wie oben beschrieben) erhalten wir eine anschauliche Darstellung der VektoradditionVektorsubtraktion und Skalarmultiplikation (Bild)

Die oben benutzten Begriffe Lange und Winkel wollen wir noch genauer erklaren DieEuklidische Lange (oder der Betrag) eines Vektors ist definiert durch

|983187x| =983059 n983131

i=1

x2i

983060 12

fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108

Fur n = 2 ist |983187x| =983155

x21 + x22 dies entspricht also dem Satz von Pythagoras (Bild) Furn = 3 haben wir |983187x| =

983155x21 + x22 + x23 Dies lasst sich ebenfalls mit Pythagoras begrunden

indem der Punkt (x1 x2 0) betrachtet wird (Bild) Offenbar gilt fur 983187x isin Rn λ isin R

|983187x| ge 0 (Gleichheit nur fur 983187x = 9831870)

|λ983187x| = |λ||983187x|

14

Der Euklidische Abstand ist

dist(983187x 983187y) = |983187xminus 983187y| fur 983187x 983187y isin Rn

Insbesondere ist der Betrag gleich dem Abstand zum Nullpunkt ie |983187x| = dist(983187x9831870) Eineweitere nutzliche Groszlige ist das Skalarprodukt zwischen Vektoren im Rn

〈983187x 983187y〉 =n983131

i=1

xiyi fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 983187y =

983091

983109983107y1yn

983092

983110983108

Statt mit Klammern wird das Skalarprodukt oft in der Form 983187x middot983187y geschrieben also mit einemPunkt Wir bleiben aber bei den Klammern Folgende Regeln ergeben sich direkt aus derFormel wobei 983187x 983187y 983187z isin Rn und λ micro isin R

〈983187x 983187y〉 = 〈983187y 983187x〉 (Symmetrie)

〈λ983187x+ micro983187y 983187z〉 = λ〈983187x 983187z〉+ micro〈983187y 983187z〉 (Bilinearitat)

〈983187x 983187x〉 = |983187x|2 ge 0 (Positivitat)

Um nun die Definition des Winkels zu motivieren appellieren wir an das Schulwissen undbetrachten die gleichformige Kreisbewegung

983187c R rarr R2 983187c(t) =

983061cos tsin t

983062

Es gilt |983187c(t)| =983155

(cos t)2 + (sin t)2 = 1 und 983187c(0) = (1 0) Der Punkt 983187c(t) durchlauft den Kreisentgegen dem Uhrzeigersinn mit konstanter Absolutgeschwindigkeit Eins

983187cprime(t) =

983061minus sin tcos t

983062und damit |983187cprime(t)| =

983155(minus sin t)2 + (cos t)2 = 1

Der Einheitskreis hat die Gesamtlange 2π = 6 2831 Als Maszlig fur den Winkel nehmen wirdie Lange des kurzeren Einheitskreisbogens zwischen c(t1) und c(t2) also

ang(983187c(t1)983187c(t2)) = |t1 minus t2| falls |t1 minus t2| le π

Die Bedingung |t1 minus t2| le π garantiert dass der von 983187c(t) auf [t1 t2] durchlaufene Bogenhochstens ein Halbkreis ist Erhalte mit dem Additionstheorem des Kosinus

cosang(983187c(t1)983187c(t2)) = cos |t1 minus t2| = cos t1 cos t2 + sin t1 sin t2 = 〈983187c(t1)983187c(t2)〉

Definition 171 (Winkel zwischen Vektoren) Seien 983187x 983187y isin Rn mit 983187x 983187y ∕= 9831870 Dann definierenwir den Winkel φ = ang(983187x 983187y) isin [0π] durch die Gleichung

cosφ =

983071983187x

|983187x| 983187y

|983187y|

983072

Spezialfall 983187x 983187y sind zueinander senkrecht (orthogonal) genau wenn 〈983187x 983187y〉 = 0

Es ist noch zu begrunden dass die Gleichung in der Definition eine und nur eineLosung φ besitzt Die Funktion Kosinus ist auf dem Intervall [0π] streng monoton fallendmit cos 0 = 1 und cosπ = minus1 (Bild) Sie nimmt daher jeden Wert in [minus1 1] genau einmalan Es bleibt also zu zeigen dass die rechte Seite in der Definition des Winkels im Intervall[minus1 1] liegt Dies ergibt sich aus folgender Ungleichung

15

Satz 172 (Ungleichung von Cauchy-Schwarz) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt

|〈983187x 983187y〉| le |983187x| |983187y|

Gleichheit gilt genau dann wenn 983187x 983187y parallel sind

Beweis Fur Vektoren 983187a983187b mit |983187a| = |983187b| = 1 schatzen wir ab

1plusmn 〈983187a983187b〉 = 1

2

983059|983187a|2 + |983187b|2 plusmn 2〈983187a983187b〉

983060=

1

2|983187aplusmn983187b|2 ge 0

Fur 983187x 983187y ∕= 9831870 beliebig wenden wir das an mit 983187a =983187x

|983187x| 983187b =

983187y

|983187y|

|〈983187x 983187y〉| = |983187x| |983187y| |〈983187a983187b〉| le |983187x||983187y|

Bei Gleichheit gilt fur die Einheitsvektoren

0 = 983187aplusmn983187b =983187x

|983187x| plusmn983187y

|983187y|

das heiszligt 983187x und 983187y sind parallel

Die Definition des Winkels ergibt trivial denKosinussatz in dem von 9831870 983187x 983187y gebildeten Dreieckfolgt namlich (Bild)

|983187xminus 983187y|2 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2〈983187x 983187y〉 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2|983187x||983187y| cosang(983187x 983187y)

Eine Konsequenz der Cauchy-Schwarz Ungleichung ist folgende Eigenschaft des Betrags

Satz 173 (Dreiecksungleichung) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt die Ungleichung

|983187x+ 983187y| le |983187x|+ |983187y|

mit Gleichheit genau wenn 983187x 983187y gleichsinnig parallel sind

Beweis Aus der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt

|983187x+ 983187y|2 = |983187x|2 + 2〈983187x 983187y〉+ |983187y|2 le |983187x|2 + 2|983187x||983187y|+ |983187y|2 = (|983187x|+ |983187y|)2

Durch Wurzelziehen folgt |983187x + 983187y| le |983187x| + |983187y| wie behauptet Bei Gleichheit mussen 983187x und 983187yparallel sein nach Satz 172 Es muss aber auch 〈983187x 983187y〉 ge 0 sein also sind 983187x 983187y gleichsinnigparallel

Statt auf die Koordinatenachsen konnen wir einen Vektor 983187x auch auf eine beliebige Ur-sprungsgerade g projizieren Wird g durch den Einheitsvektor 983187v isin Rn erzeugt das heiszligtg = λ983187v | λ isin R so lautet der Projektionspunkt

983187xg = 〈983187x983187v〉983187v

Denn 983187xg liegt auf der Geraden g und 983187xminus 983187xg steht senkrecht auf g

〈983187xminus 983187xg983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈〈983187x983187v〉983187v983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈983187x983187v〉 〈983187v983187v〉983167 983166983165 983168=1

= 0

16

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 14: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Im Fall α = n isin N0 erlaubt Lemma 169 die rekursive Berechnung der Binomialkoeffizienten983043nk

983044nach dem Dreiecksschema von Blaise Pascal (1623-1662)

n=0 1n=1 1 1n=2 1 2 1n=3 1 3 3 1n=4 1 4 6 4 1n=5 1 5 10 10 5 1n=6 1 6 15 20 15 6 1

Ebenfalls fur α = n isin N0 folgt durch Erweitern der Binomialkoeffizienten mit (n minus k) diealternative Darstellung

983061n

k

983062=

n

k (nminus k)fur n isin N0 k isin 0 1 n (12)

und daraus weiter die am Diagramm ersichtliche Symmetrieeigenschaft983061n

k

983062=

983061n

nminus k

983062fur n isin N0 k isin 0 1 n (13)

Satz 1610 (Zahl der Kombinationen) Sei n isin N0 und k isin 0 1 n Dann ist dieAnzahl der k-elementigen Teilmengen von 1 n gleich

983043nk

983044

Beweis Es gilt983043n0

983044= 1 nach Definition und die einzige null-elementige Teilmenge von

0 1 n ist die leere Menge Also stimmt die Aussage fur alle n = 0 1 und k = 0 Diek-elementigen Teilmengen von 1 n+ 1 mit k ge 1 zerfallen in zwei Klassen

Klasse 1 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1 nicht

Klasse 2 Die Menge enthalt die Nummer n+ 1

Klasse 1 besteht genau aus den k-elementigen Teilmengen von 1 n Klasse 2 ergibtsich durch Hinzufugen der Nummer n + 1 zu jeder der (k minus 1)-elementigen Teilmengen von1 n Nach Induktion folgt fur die Gesamtzahl der Elemente mit Lemma 169

983061n

k

983062+

983061n

k minus 1

983062=

983061n+ 1

k

983062

womit der Satz bewiesen ist

Satz 1611 (Binomische Formel) Fur a b isin R und n isin N gilt

(a+ b)n =

n983131

k=0

983061n

k

983062akbnminusk (14)

Beweis Ausmultiplizieren des n-fachen Produkts (a+b)n = (a+b)middot(a+b)middot middot(a+b) mit demDistributivgesetz und Ordnen nach dem Kommutativgesetz liefert Terme der Form akbnminusk furk isin 0 1 n Die Haufigkeit eines solchen Terms ist gleich der Anzahl der Moglichkeitenaus den n Klammern k Klammern auszusuchen in denen a als Faktor genommen wird inden restlichen Klammern muss dann der Faktor b gewahlt werden Nach Satz 1610 kommtakbnminusk also genau

983043nk

983044mal vor

12

17 Geometrie im Rn

Im folgenden sei n isin N zum Beispiel n = 2 oder n = 3 Wir bezeichnen mit Rn das n-fachekartesische Produkt Rtimes times R also die Menge aller n-Tupel

Rn =983153x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 | xi isin R983154

Wir nennen die Elemente von Rn auch Vektoren Zwei Vektoren x y isin Rn sind genau danngleich wenn xi = yi fur alle i = 1 n wenn also alle Koordinaten gleich sind Wir konnenVektoren addieren und mit reellen Zahlen multiplizieren (zum Beispiel strecken)

x+ y =

983091

983109983107x1 + y1

xn + yn

983092

983110983108 λx =

983091

983109983107λx1

λxn

983092

983110983108

In diesem Zusammenhang nennt man die Zahl λ auch einen Skalar und spricht von Skalar-multiplikation Die Standard-Einheitsvektoren sind

ei =

983091

983109983109983109983109983109983109983107

010

983092

983110983110983110983110983110983110983108i fur i = 1 n

Mit ihnen ergibt sich fur jeden Vektor x isin Rn die Darstellung

x =

n983131

i=1

xiei

Die Vektoraddition und Skalarmultiplikation erfullen folgende Regeln die alle direkt aus denDefinitionen folgen

(1) (983187x+ 983187y) + 983187z = 983187x+ (983187y + 983187z)

(2) 983187x+9831870 = 983187x fur alle 983187x mit 9831870 = (0 0) (Nullvektor)

(3) Es gilt 983187x+ (minus983187x) = 9831870

(4) 983187x+ 983187y = 983187y + 983187x

(5) (λ+ micro)983187x = λ983187x+ micro983187x

(6) (λmicro)983187x = λ(micro983187x)

(7) λ(983187x+ 983187y) = λ983187x+ λ983187y

(8) 1 middot 983187x = 983187x

13

Im drei-dimensionalen Raum kann jede Gerade mit R1 = R jede Ebene mit R2 und derRaum selbst mit R3 identifiziert werden indem ein kartesisches Koordinatensystem gewahltwird Wir wollen das erklaren indem wir den Begriff des Euklidischen Raums aus derAnschauung verwenden das heiszligt der Euklidische Abstand zwischen zwei Punkten seianschaulich gegeben Ebenso setzen wir den Begriff der Orthogonalitat fur sich schneidendeGeraden anschaulich voraus

Auf einer Geraden g wahlen wir einen Punkt O den Ursprung (origin) Dann bestehtgO aus zwei Halbgeraden Wir erhalten eine Koordinate x auf g indem wir auf einer derHalbgeraden fur x den Abstand zu O wahlen auf der anderen Halbgeraden den negativenAbstand zu O Die Koordinate x ist eindeutig bestimmt durch die Wahl des Ursprungs Ound die Entscheidung welche Halbgerade die positive ist

In einer Ebene E wahlen wir wieder einen Ursprung O und weiter zwei zueinanderorthogonale Geraden g h durch O Auf g h bestimmen wir jeweils Koordinaten x y wieoben beschrieben Jeder Punkt p isin E kann jetzt auf g und h orthogonal projiziert werdendies liefert fur p die beiden Koordinaten (x y) Die Frage nach der Eindeutigkeit ist nunschon schwieriger Wir nehmen an dass der Ursprung fest ist und betrachten ein zweitesPaar gprime hprime zueinander senkrechter Geraden genauer soll gprime hprime aus g h durch Drehung umeinen Winkel α hervorgehen Dann sieht man (Bild)

x = (cosα)xprime minus (sinα) yprime xprime = (cosα)x+ (sinα) y

y = (sinα)xprime + (cosα) yprime yprime = minus(sinα)x+ (cosα) y

Wir kommen schlieszliglich zur Wahl kartesischer Koordinaten im drei-dimensionalen RaumWieder wahlen wir einen Ursprung O und nun drei zueinander senkrechte Geraden g h ℓSeien x y z die Koordinaten auf den drei einzelnen Geraden wie oben erklart Jeder Punktp im Raum wird auf die drei Geraden orthogonal projiziert und liefert so die Koordinaten(x y z) Die Frage nach der Eindeutigkeit bzw der Umrechnung in ein anderes Koordina-tensystem ist etwas schwieriger wir kommen spater in der Vorlesung darauf zuruck

Indem wir R2 mit einer Ebene bzw R3 mit dem Euklidischen Raum identifizieren(wie oben beschrieben) erhalten wir eine anschauliche Darstellung der VektoradditionVektorsubtraktion und Skalarmultiplikation (Bild)

Die oben benutzten Begriffe Lange und Winkel wollen wir noch genauer erklaren DieEuklidische Lange (oder der Betrag) eines Vektors ist definiert durch

|983187x| =983059 n983131

i=1

x2i

983060 12

fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108

Fur n = 2 ist |983187x| =983155

x21 + x22 dies entspricht also dem Satz von Pythagoras (Bild) Furn = 3 haben wir |983187x| =

983155x21 + x22 + x23 Dies lasst sich ebenfalls mit Pythagoras begrunden

indem der Punkt (x1 x2 0) betrachtet wird (Bild) Offenbar gilt fur 983187x isin Rn λ isin R

|983187x| ge 0 (Gleichheit nur fur 983187x = 9831870)

|λ983187x| = |λ||983187x|

14

Der Euklidische Abstand ist

dist(983187x 983187y) = |983187xminus 983187y| fur 983187x 983187y isin Rn

Insbesondere ist der Betrag gleich dem Abstand zum Nullpunkt ie |983187x| = dist(983187x9831870) Eineweitere nutzliche Groszlige ist das Skalarprodukt zwischen Vektoren im Rn

〈983187x 983187y〉 =n983131

i=1

xiyi fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 983187y =

983091

983109983107y1yn

983092

983110983108

Statt mit Klammern wird das Skalarprodukt oft in der Form 983187x middot983187y geschrieben also mit einemPunkt Wir bleiben aber bei den Klammern Folgende Regeln ergeben sich direkt aus derFormel wobei 983187x 983187y 983187z isin Rn und λ micro isin R

〈983187x 983187y〉 = 〈983187y 983187x〉 (Symmetrie)

〈λ983187x+ micro983187y 983187z〉 = λ〈983187x 983187z〉+ micro〈983187y 983187z〉 (Bilinearitat)

〈983187x 983187x〉 = |983187x|2 ge 0 (Positivitat)

Um nun die Definition des Winkels zu motivieren appellieren wir an das Schulwissen undbetrachten die gleichformige Kreisbewegung

983187c R rarr R2 983187c(t) =

983061cos tsin t

983062

Es gilt |983187c(t)| =983155

(cos t)2 + (sin t)2 = 1 und 983187c(0) = (1 0) Der Punkt 983187c(t) durchlauft den Kreisentgegen dem Uhrzeigersinn mit konstanter Absolutgeschwindigkeit Eins

983187cprime(t) =

983061minus sin tcos t

983062und damit |983187cprime(t)| =

983155(minus sin t)2 + (cos t)2 = 1

Der Einheitskreis hat die Gesamtlange 2π = 6 2831 Als Maszlig fur den Winkel nehmen wirdie Lange des kurzeren Einheitskreisbogens zwischen c(t1) und c(t2) also

ang(983187c(t1)983187c(t2)) = |t1 minus t2| falls |t1 minus t2| le π

Die Bedingung |t1 minus t2| le π garantiert dass der von 983187c(t) auf [t1 t2] durchlaufene Bogenhochstens ein Halbkreis ist Erhalte mit dem Additionstheorem des Kosinus

cosang(983187c(t1)983187c(t2)) = cos |t1 minus t2| = cos t1 cos t2 + sin t1 sin t2 = 〈983187c(t1)983187c(t2)〉

Definition 171 (Winkel zwischen Vektoren) Seien 983187x 983187y isin Rn mit 983187x 983187y ∕= 9831870 Dann definierenwir den Winkel φ = ang(983187x 983187y) isin [0π] durch die Gleichung

cosφ =

983071983187x

|983187x| 983187y

|983187y|

983072

Spezialfall 983187x 983187y sind zueinander senkrecht (orthogonal) genau wenn 〈983187x 983187y〉 = 0

Es ist noch zu begrunden dass die Gleichung in der Definition eine und nur eineLosung φ besitzt Die Funktion Kosinus ist auf dem Intervall [0π] streng monoton fallendmit cos 0 = 1 und cosπ = minus1 (Bild) Sie nimmt daher jeden Wert in [minus1 1] genau einmalan Es bleibt also zu zeigen dass die rechte Seite in der Definition des Winkels im Intervall[minus1 1] liegt Dies ergibt sich aus folgender Ungleichung

15

Satz 172 (Ungleichung von Cauchy-Schwarz) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt

|〈983187x 983187y〉| le |983187x| |983187y|

Gleichheit gilt genau dann wenn 983187x 983187y parallel sind

Beweis Fur Vektoren 983187a983187b mit |983187a| = |983187b| = 1 schatzen wir ab

1plusmn 〈983187a983187b〉 = 1

2

983059|983187a|2 + |983187b|2 plusmn 2〈983187a983187b〉

983060=

1

2|983187aplusmn983187b|2 ge 0

Fur 983187x 983187y ∕= 9831870 beliebig wenden wir das an mit 983187a =983187x

|983187x| 983187b =

983187y

|983187y|

|〈983187x 983187y〉| = |983187x| |983187y| |〈983187a983187b〉| le |983187x||983187y|

Bei Gleichheit gilt fur die Einheitsvektoren

0 = 983187aplusmn983187b =983187x

|983187x| plusmn983187y

|983187y|

das heiszligt 983187x und 983187y sind parallel

Die Definition des Winkels ergibt trivial denKosinussatz in dem von 9831870 983187x 983187y gebildeten Dreieckfolgt namlich (Bild)

|983187xminus 983187y|2 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2〈983187x 983187y〉 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2|983187x||983187y| cosang(983187x 983187y)

Eine Konsequenz der Cauchy-Schwarz Ungleichung ist folgende Eigenschaft des Betrags

Satz 173 (Dreiecksungleichung) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt die Ungleichung

|983187x+ 983187y| le |983187x|+ |983187y|

mit Gleichheit genau wenn 983187x 983187y gleichsinnig parallel sind

Beweis Aus der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt

|983187x+ 983187y|2 = |983187x|2 + 2〈983187x 983187y〉+ |983187y|2 le |983187x|2 + 2|983187x||983187y|+ |983187y|2 = (|983187x|+ |983187y|)2

Durch Wurzelziehen folgt |983187x + 983187y| le |983187x| + |983187y| wie behauptet Bei Gleichheit mussen 983187x und 983187yparallel sein nach Satz 172 Es muss aber auch 〈983187x 983187y〉 ge 0 sein also sind 983187x 983187y gleichsinnigparallel

Statt auf die Koordinatenachsen konnen wir einen Vektor 983187x auch auf eine beliebige Ur-sprungsgerade g projizieren Wird g durch den Einheitsvektor 983187v isin Rn erzeugt das heiszligtg = λ983187v | λ isin R so lautet der Projektionspunkt

983187xg = 〈983187x983187v〉983187v

Denn 983187xg liegt auf der Geraden g und 983187xminus 983187xg steht senkrecht auf g

〈983187xminus 983187xg983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈〈983187x983187v〉983187v983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈983187x983187v〉 〈983187v983187v〉983167 983166983165 983168=1

= 0

16

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 15: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

17 Geometrie im Rn

Im folgenden sei n isin N zum Beispiel n = 2 oder n = 3 Wir bezeichnen mit Rn das n-fachekartesische Produkt Rtimes times R also die Menge aller n-Tupel

Rn =983153x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 | xi isin R983154

Wir nennen die Elemente von Rn auch Vektoren Zwei Vektoren x y isin Rn sind genau danngleich wenn xi = yi fur alle i = 1 n wenn also alle Koordinaten gleich sind Wir konnenVektoren addieren und mit reellen Zahlen multiplizieren (zum Beispiel strecken)

x+ y =

983091

983109983107x1 + y1

xn + yn

983092

983110983108 λx =

983091

983109983107λx1

λxn

983092

983110983108

In diesem Zusammenhang nennt man die Zahl λ auch einen Skalar und spricht von Skalar-multiplikation Die Standard-Einheitsvektoren sind

ei =

983091

983109983109983109983109983109983109983107

010

983092

983110983110983110983110983110983110983108i fur i = 1 n

Mit ihnen ergibt sich fur jeden Vektor x isin Rn die Darstellung

x =

n983131

i=1

xiei

Die Vektoraddition und Skalarmultiplikation erfullen folgende Regeln die alle direkt aus denDefinitionen folgen

(1) (983187x+ 983187y) + 983187z = 983187x+ (983187y + 983187z)

(2) 983187x+9831870 = 983187x fur alle 983187x mit 9831870 = (0 0) (Nullvektor)

(3) Es gilt 983187x+ (minus983187x) = 9831870

(4) 983187x+ 983187y = 983187y + 983187x

(5) (λ+ micro)983187x = λ983187x+ micro983187x

(6) (λmicro)983187x = λ(micro983187x)

(7) λ(983187x+ 983187y) = λ983187x+ λ983187y

(8) 1 middot 983187x = 983187x

13

Im drei-dimensionalen Raum kann jede Gerade mit R1 = R jede Ebene mit R2 und derRaum selbst mit R3 identifiziert werden indem ein kartesisches Koordinatensystem gewahltwird Wir wollen das erklaren indem wir den Begriff des Euklidischen Raums aus derAnschauung verwenden das heiszligt der Euklidische Abstand zwischen zwei Punkten seianschaulich gegeben Ebenso setzen wir den Begriff der Orthogonalitat fur sich schneidendeGeraden anschaulich voraus

Auf einer Geraden g wahlen wir einen Punkt O den Ursprung (origin) Dann bestehtgO aus zwei Halbgeraden Wir erhalten eine Koordinate x auf g indem wir auf einer derHalbgeraden fur x den Abstand zu O wahlen auf der anderen Halbgeraden den negativenAbstand zu O Die Koordinate x ist eindeutig bestimmt durch die Wahl des Ursprungs Ound die Entscheidung welche Halbgerade die positive ist

In einer Ebene E wahlen wir wieder einen Ursprung O und weiter zwei zueinanderorthogonale Geraden g h durch O Auf g h bestimmen wir jeweils Koordinaten x y wieoben beschrieben Jeder Punkt p isin E kann jetzt auf g und h orthogonal projiziert werdendies liefert fur p die beiden Koordinaten (x y) Die Frage nach der Eindeutigkeit ist nunschon schwieriger Wir nehmen an dass der Ursprung fest ist und betrachten ein zweitesPaar gprime hprime zueinander senkrechter Geraden genauer soll gprime hprime aus g h durch Drehung umeinen Winkel α hervorgehen Dann sieht man (Bild)

x = (cosα)xprime minus (sinα) yprime xprime = (cosα)x+ (sinα) y

y = (sinα)xprime + (cosα) yprime yprime = minus(sinα)x+ (cosα) y

Wir kommen schlieszliglich zur Wahl kartesischer Koordinaten im drei-dimensionalen RaumWieder wahlen wir einen Ursprung O und nun drei zueinander senkrechte Geraden g h ℓSeien x y z die Koordinaten auf den drei einzelnen Geraden wie oben erklart Jeder Punktp im Raum wird auf die drei Geraden orthogonal projiziert und liefert so die Koordinaten(x y z) Die Frage nach der Eindeutigkeit bzw der Umrechnung in ein anderes Koordina-tensystem ist etwas schwieriger wir kommen spater in der Vorlesung darauf zuruck

Indem wir R2 mit einer Ebene bzw R3 mit dem Euklidischen Raum identifizieren(wie oben beschrieben) erhalten wir eine anschauliche Darstellung der VektoradditionVektorsubtraktion und Skalarmultiplikation (Bild)

Die oben benutzten Begriffe Lange und Winkel wollen wir noch genauer erklaren DieEuklidische Lange (oder der Betrag) eines Vektors ist definiert durch

|983187x| =983059 n983131

i=1

x2i

983060 12

fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108

Fur n = 2 ist |983187x| =983155

x21 + x22 dies entspricht also dem Satz von Pythagoras (Bild) Furn = 3 haben wir |983187x| =

983155x21 + x22 + x23 Dies lasst sich ebenfalls mit Pythagoras begrunden

indem der Punkt (x1 x2 0) betrachtet wird (Bild) Offenbar gilt fur 983187x isin Rn λ isin R

|983187x| ge 0 (Gleichheit nur fur 983187x = 9831870)

|λ983187x| = |λ||983187x|

14

Der Euklidische Abstand ist

dist(983187x 983187y) = |983187xminus 983187y| fur 983187x 983187y isin Rn

Insbesondere ist der Betrag gleich dem Abstand zum Nullpunkt ie |983187x| = dist(983187x9831870) Eineweitere nutzliche Groszlige ist das Skalarprodukt zwischen Vektoren im Rn

〈983187x 983187y〉 =n983131

i=1

xiyi fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 983187y =

983091

983109983107y1yn

983092

983110983108

Statt mit Klammern wird das Skalarprodukt oft in der Form 983187x middot983187y geschrieben also mit einemPunkt Wir bleiben aber bei den Klammern Folgende Regeln ergeben sich direkt aus derFormel wobei 983187x 983187y 983187z isin Rn und λ micro isin R

〈983187x 983187y〉 = 〈983187y 983187x〉 (Symmetrie)

〈λ983187x+ micro983187y 983187z〉 = λ〈983187x 983187z〉+ micro〈983187y 983187z〉 (Bilinearitat)

〈983187x 983187x〉 = |983187x|2 ge 0 (Positivitat)

Um nun die Definition des Winkels zu motivieren appellieren wir an das Schulwissen undbetrachten die gleichformige Kreisbewegung

983187c R rarr R2 983187c(t) =

983061cos tsin t

983062

Es gilt |983187c(t)| =983155

(cos t)2 + (sin t)2 = 1 und 983187c(0) = (1 0) Der Punkt 983187c(t) durchlauft den Kreisentgegen dem Uhrzeigersinn mit konstanter Absolutgeschwindigkeit Eins

983187cprime(t) =

983061minus sin tcos t

983062und damit |983187cprime(t)| =

983155(minus sin t)2 + (cos t)2 = 1

Der Einheitskreis hat die Gesamtlange 2π = 6 2831 Als Maszlig fur den Winkel nehmen wirdie Lange des kurzeren Einheitskreisbogens zwischen c(t1) und c(t2) also

ang(983187c(t1)983187c(t2)) = |t1 minus t2| falls |t1 minus t2| le π

Die Bedingung |t1 minus t2| le π garantiert dass der von 983187c(t) auf [t1 t2] durchlaufene Bogenhochstens ein Halbkreis ist Erhalte mit dem Additionstheorem des Kosinus

cosang(983187c(t1)983187c(t2)) = cos |t1 minus t2| = cos t1 cos t2 + sin t1 sin t2 = 〈983187c(t1)983187c(t2)〉

Definition 171 (Winkel zwischen Vektoren) Seien 983187x 983187y isin Rn mit 983187x 983187y ∕= 9831870 Dann definierenwir den Winkel φ = ang(983187x 983187y) isin [0π] durch die Gleichung

cosφ =

983071983187x

|983187x| 983187y

|983187y|

983072

Spezialfall 983187x 983187y sind zueinander senkrecht (orthogonal) genau wenn 〈983187x 983187y〉 = 0

Es ist noch zu begrunden dass die Gleichung in der Definition eine und nur eineLosung φ besitzt Die Funktion Kosinus ist auf dem Intervall [0π] streng monoton fallendmit cos 0 = 1 und cosπ = minus1 (Bild) Sie nimmt daher jeden Wert in [minus1 1] genau einmalan Es bleibt also zu zeigen dass die rechte Seite in der Definition des Winkels im Intervall[minus1 1] liegt Dies ergibt sich aus folgender Ungleichung

15

Satz 172 (Ungleichung von Cauchy-Schwarz) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt

|〈983187x 983187y〉| le |983187x| |983187y|

Gleichheit gilt genau dann wenn 983187x 983187y parallel sind

Beweis Fur Vektoren 983187a983187b mit |983187a| = |983187b| = 1 schatzen wir ab

1plusmn 〈983187a983187b〉 = 1

2

983059|983187a|2 + |983187b|2 plusmn 2〈983187a983187b〉

983060=

1

2|983187aplusmn983187b|2 ge 0

Fur 983187x 983187y ∕= 9831870 beliebig wenden wir das an mit 983187a =983187x

|983187x| 983187b =

983187y

|983187y|

|〈983187x 983187y〉| = |983187x| |983187y| |〈983187a983187b〉| le |983187x||983187y|

Bei Gleichheit gilt fur die Einheitsvektoren

0 = 983187aplusmn983187b =983187x

|983187x| plusmn983187y

|983187y|

das heiszligt 983187x und 983187y sind parallel

Die Definition des Winkels ergibt trivial denKosinussatz in dem von 9831870 983187x 983187y gebildeten Dreieckfolgt namlich (Bild)

|983187xminus 983187y|2 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2〈983187x 983187y〉 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2|983187x||983187y| cosang(983187x 983187y)

Eine Konsequenz der Cauchy-Schwarz Ungleichung ist folgende Eigenschaft des Betrags

Satz 173 (Dreiecksungleichung) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt die Ungleichung

|983187x+ 983187y| le |983187x|+ |983187y|

mit Gleichheit genau wenn 983187x 983187y gleichsinnig parallel sind

Beweis Aus der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt

|983187x+ 983187y|2 = |983187x|2 + 2〈983187x 983187y〉+ |983187y|2 le |983187x|2 + 2|983187x||983187y|+ |983187y|2 = (|983187x|+ |983187y|)2

Durch Wurzelziehen folgt |983187x + 983187y| le |983187x| + |983187y| wie behauptet Bei Gleichheit mussen 983187x und 983187yparallel sein nach Satz 172 Es muss aber auch 〈983187x 983187y〉 ge 0 sein also sind 983187x 983187y gleichsinnigparallel

Statt auf die Koordinatenachsen konnen wir einen Vektor 983187x auch auf eine beliebige Ur-sprungsgerade g projizieren Wird g durch den Einheitsvektor 983187v isin Rn erzeugt das heiszligtg = λ983187v | λ isin R so lautet der Projektionspunkt

983187xg = 〈983187x983187v〉983187v

Denn 983187xg liegt auf der Geraden g und 983187xminus 983187xg steht senkrecht auf g

〈983187xminus 983187xg983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈〈983187x983187v〉983187v983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈983187x983187v〉 〈983187v983187v〉983167 983166983165 983168=1

= 0

16

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 16: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Im drei-dimensionalen Raum kann jede Gerade mit R1 = R jede Ebene mit R2 und derRaum selbst mit R3 identifiziert werden indem ein kartesisches Koordinatensystem gewahltwird Wir wollen das erklaren indem wir den Begriff des Euklidischen Raums aus derAnschauung verwenden das heiszligt der Euklidische Abstand zwischen zwei Punkten seianschaulich gegeben Ebenso setzen wir den Begriff der Orthogonalitat fur sich schneidendeGeraden anschaulich voraus

Auf einer Geraden g wahlen wir einen Punkt O den Ursprung (origin) Dann bestehtgO aus zwei Halbgeraden Wir erhalten eine Koordinate x auf g indem wir auf einer derHalbgeraden fur x den Abstand zu O wahlen auf der anderen Halbgeraden den negativenAbstand zu O Die Koordinate x ist eindeutig bestimmt durch die Wahl des Ursprungs Ound die Entscheidung welche Halbgerade die positive ist

In einer Ebene E wahlen wir wieder einen Ursprung O und weiter zwei zueinanderorthogonale Geraden g h durch O Auf g h bestimmen wir jeweils Koordinaten x y wieoben beschrieben Jeder Punkt p isin E kann jetzt auf g und h orthogonal projiziert werdendies liefert fur p die beiden Koordinaten (x y) Die Frage nach der Eindeutigkeit ist nunschon schwieriger Wir nehmen an dass der Ursprung fest ist und betrachten ein zweitesPaar gprime hprime zueinander senkrechter Geraden genauer soll gprime hprime aus g h durch Drehung umeinen Winkel α hervorgehen Dann sieht man (Bild)

x = (cosα)xprime minus (sinα) yprime xprime = (cosα)x+ (sinα) y

y = (sinα)xprime + (cosα) yprime yprime = minus(sinα)x+ (cosα) y

Wir kommen schlieszliglich zur Wahl kartesischer Koordinaten im drei-dimensionalen RaumWieder wahlen wir einen Ursprung O und nun drei zueinander senkrechte Geraden g h ℓSeien x y z die Koordinaten auf den drei einzelnen Geraden wie oben erklart Jeder Punktp im Raum wird auf die drei Geraden orthogonal projiziert und liefert so die Koordinaten(x y z) Die Frage nach der Eindeutigkeit bzw der Umrechnung in ein anderes Koordina-tensystem ist etwas schwieriger wir kommen spater in der Vorlesung darauf zuruck

Indem wir R2 mit einer Ebene bzw R3 mit dem Euklidischen Raum identifizieren(wie oben beschrieben) erhalten wir eine anschauliche Darstellung der VektoradditionVektorsubtraktion und Skalarmultiplikation (Bild)

Die oben benutzten Begriffe Lange und Winkel wollen wir noch genauer erklaren DieEuklidische Lange (oder der Betrag) eines Vektors ist definiert durch

|983187x| =983059 n983131

i=1

x2i

983060 12

fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108

Fur n = 2 ist |983187x| =983155

x21 + x22 dies entspricht also dem Satz von Pythagoras (Bild) Furn = 3 haben wir |983187x| =

983155x21 + x22 + x23 Dies lasst sich ebenfalls mit Pythagoras begrunden

indem der Punkt (x1 x2 0) betrachtet wird (Bild) Offenbar gilt fur 983187x isin Rn λ isin R

|983187x| ge 0 (Gleichheit nur fur 983187x = 9831870)

|λ983187x| = |λ||983187x|

14

Der Euklidische Abstand ist

dist(983187x 983187y) = |983187xminus 983187y| fur 983187x 983187y isin Rn

Insbesondere ist der Betrag gleich dem Abstand zum Nullpunkt ie |983187x| = dist(983187x9831870) Eineweitere nutzliche Groszlige ist das Skalarprodukt zwischen Vektoren im Rn

〈983187x 983187y〉 =n983131

i=1

xiyi fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 983187y =

983091

983109983107y1yn

983092

983110983108

Statt mit Klammern wird das Skalarprodukt oft in der Form 983187x middot983187y geschrieben also mit einemPunkt Wir bleiben aber bei den Klammern Folgende Regeln ergeben sich direkt aus derFormel wobei 983187x 983187y 983187z isin Rn und λ micro isin R

〈983187x 983187y〉 = 〈983187y 983187x〉 (Symmetrie)

〈λ983187x+ micro983187y 983187z〉 = λ〈983187x 983187z〉+ micro〈983187y 983187z〉 (Bilinearitat)

〈983187x 983187x〉 = |983187x|2 ge 0 (Positivitat)

Um nun die Definition des Winkels zu motivieren appellieren wir an das Schulwissen undbetrachten die gleichformige Kreisbewegung

983187c R rarr R2 983187c(t) =

983061cos tsin t

983062

Es gilt |983187c(t)| =983155

(cos t)2 + (sin t)2 = 1 und 983187c(0) = (1 0) Der Punkt 983187c(t) durchlauft den Kreisentgegen dem Uhrzeigersinn mit konstanter Absolutgeschwindigkeit Eins

983187cprime(t) =

983061minus sin tcos t

983062und damit |983187cprime(t)| =

983155(minus sin t)2 + (cos t)2 = 1

Der Einheitskreis hat die Gesamtlange 2π = 6 2831 Als Maszlig fur den Winkel nehmen wirdie Lange des kurzeren Einheitskreisbogens zwischen c(t1) und c(t2) also

ang(983187c(t1)983187c(t2)) = |t1 minus t2| falls |t1 minus t2| le π

Die Bedingung |t1 minus t2| le π garantiert dass der von 983187c(t) auf [t1 t2] durchlaufene Bogenhochstens ein Halbkreis ist Erhalte mit dem Additionstheorem des Kosinus

cosang(983187c(t1)983187c(t2)) = cos |t1 minus t2| = cos t1 cos t2 + sin t1 sin t2 = 〈983187c(t1)983187c(t2)〉

Definition 171 (Winkel zwischen Vektoren) Seien 983187x 983187y isin Rn mit 983187x 983187y ∕= 9831870 Dann definierenwir den Winkel φ = ang(983187x 983187y) isin [0π] durch die Gleichung

cosφ =

983071983187x

|983187x| 983187y

|983187y|

983072

Spezialfall 983187x 983187y sind zueinander senkrecht (orthogonal) genau wenn 〈983187x 983187y〉 = 0

Es ist noch zu begrunden dass die Gleichung in der Definition eine und nur eineLosung φ besitzt Die Funktion Kosinus ist auf dem Intervall [0π] streng monoton fallendmit cos 0 = 1 und cosπ = minus1 (Bild) Sie nimmt daher jeden Wert in [minus1 1] genau einmalan Es bleibt also zu zeigen dass die rechte Seite in der Definition des Winkels im Intervall[minus1 1] liegt Dies ergibt sich aus folgender Ungleichung

15

Satz 172 (Ungleichung von Cauchy-Schwarz) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt

|〈983187x 983187y〉| le |983187x| |983187y|

Gleichheit gilt genau dann wenn 983187x 983187y parallel sind

Beweis Fur Vektoren 983187a983187b mit |983187a| = |983187b| = 1 schatzen wir ab

1plusmn 〈983187a983187b〉 = 1

2

983059|983187a|2 + |983187b|2 plusmn 2〈983187a983187b〉

983060=

1

2|983187aplusmn983187b|2 ge 0

Fur 983187x 983187y ∕= 9831870 beliebig wenden wir das an mit 983187a =983187x

|983187x| 983187b =

983187y

|983187y|

|〈983187x 983187y〉| = |983187x| |983187y| |〈983187a983187b〉| le |983187x||983187y|

Bei Gleichheit gilt fur die Einheitsvektoren

0 = 983187aplusmn983187b =983187x

|983187x| plusmn983187y

|983187y|

das heiszligt 983187x und 983187y sind parallel

Die Definition des Winkels ergibt trivial denKosinussatz in dem von 9831870 983187x 983187y gebildeten Dreieckfolgt namlich (Bild)

|983187xminus 983187y|2 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2〈983187x 983187y〉 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2|983187x||983187y| cosang(983187x 983187y)

Eine Konsequenz der Cauchy-Schwarz Ungleichung ist folgende Eigenschaft des Betrags

Satz 173 (Dreiecksungleichung) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt die Ungleichung

|983187x+ 983187y| le |983187x|+ |983187y|

mit Gleichheit genau wenn 983187x 983187y gleichsinnig parallel sind

Beweis Aus der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt

|983187x+ 983187y|2 = |983187x|2 + 2〈983187x 983187y〉+ |983187y|2 le |983187x|2 + 2|983187x||983187y|+ |983187y|2 = (|983187x|+ |983187y|)2

Durch Wurzelziehen folgt |983187x + 983187y| le |983187x| + |983187y| wie behauptet Bei Gleichheit mussen 983187x und 983187yparallel sein nach Satz 172 Es muss aber auch 〈983187x 983187y〉 ge 0 sein also sind 983187x 983187y gleichsinnigparallel

Statt auf die Koordinatenachsen konnen wir einen Vektor 983187x auch auf eine beliebige Ur-sprungsgerade g projizieren Wird g durch den Einheitsvektor 983187v isin Rn erzeugt das heiszligtg = λ983187v | λ isin R so lautet der Projektionspunkt

983187xg = 〈983187x983187v〉983187v

Denn 983187xg liegt auf der Geraden g und 983187xminus 983187xg steht senkrecht auf g

〈983187xminus 983187xg983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈〈983187x983187v〉983187v983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈983187x983187v〉 〈983187v983187v〉983167 983166983165 983168=1

= 0

16

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 17: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Der Euklidische Abstand ist

dist(983187x 983187y) = |983187xminus 983187y| fur 983187x 983187y isin Rn

Insbesondere ist der Betrag gleich dem Abstand zum Nullpunkt ie |983187x| = dist(983187x9831870) Eineweitere nutzliche Groszlige ist das Skalarprodukt zwischen Vektoren im Rn

〈983187x 983187y〉 =n983131

i=1

xiyi fur 983187x =

983091

983109983107x1xn

983092

983110983108 983187y =

983091

983109983107y1yn

983092

983110983108

Statt mit Klammern wird das Skalarprodukt oft in der Form 983187x middot983187y geschrieben also mit einemPunkt Wir bleiben aber bei den Klammern Folgende Regeln ergeben sich direkt aus derFormel wobei 983187x 983187y 983187z isin Rn und λ micro isin R

〈983187x 983187y〉 = 〈983187y 983187x〉 (Symmetrie)

〈λ983187x+ micro983187y 983187z〉 = λ〈983187x 983187z〉+ micro〈983187y 983187z〉 (Bilinearitat)

〈983187x 983187x〉 = |983187x|2 ge 0 (Positivitat)

Um nun die Definition des Winkels zu motivieren appellieren wir an das Schulwissen undbetrachten die gleichformige Kreisbewegung

983187c R rarr R2 983187c(t) =

983061cos tsin t

983062

Es gilt |983187c(t)| =983155

(cos t)2 + (sin t)2 = 1 und 983187c(0) = (1 0) Der Punkt 983187c(t) durchlauft den Kreisentgegen dem Uhrzeigersinn mit konstanter Absolutgeschwindigkeit Eins

983187cprime(t) =

983061minus sin tcos t

983062und damit |983187cprime(t)| =

983155(minus sin t)2 + (cos t)2 = 1

Der Einheitskreis hat die Gesamtlange 2π = 6 2831 Als Maszlig fur den Winkel nehmen wirdie Lange des kurzeren Einheitskreisbogens zwischen c(t1) und c(t2) also

ang(983187c(t1)983187c(t2)) = |t1 minus t2| falls |t1 minus t2| le π

Die Bedingung |t1 minus t2| le π garantiert dass der von 983187c(t) auf [t1 t2] durchlaufene Bogenhochstens ein Halbkreis ist Erhalte mit dem Additionstheorem des Kosinus

cosang(983187c(t1)983187c(t2)) = cos |t1 minus t2| = cos t1 cos t2 + sin t1 sin t2 = 〈983187c(t1)983187c(t2)〉

Definition 171 (Winkel zwischen Vektoren) Seien 983187x 983187y isin Rn mit 983187x 983187y ∕= 9831870 Dann definierenwir den Winkel φ = ang(983187x 983187y) isin [0π] durch die Gleichung

cosφ =

983071983187x

|983187x| 983187y

|983187y|

983072

Spezialfall 983187x 983187y sind zueinander senkrecht (orthogonal) genau wenn 〈983187x 983187y〉 = 0

Es ist noch zu begrunden dass die Gleichung in der Definition eine und nur eineLosung φ besitzt Die Funktion Kosinus ist auf dem Intervall [0π] streng monoton fallendmit cos 0 = 1 und cosπ = minus1 (Bild) Sie nimmt daher jeden Wert in [minus1 1] genau einmalan Es bleibt also zu zeigen dass die rechte Seite in der Definition des Winkels im Intervall[minus1 1] liegt Dies ergibt sich aus folgender Ungleichung

15

Satz 172 (Ungleichung von Cauchy-Schwarz) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt

|〈983187x 983187y〉| le |983187x| |983187y|

Gleichheit gilt genau dann wenn 983187x 983187y parallel sind

Beweis Fur Vektoren 983187a983187b mit |983187a| = |983187b| = 1 schatzen wir ab

1plusmn 〈983187a983187b〉 = 1

2

983059|983187a|2 + |983187b|2 plusmn 2〈983187a983187b〉

983060=

1

2|983187aplusmn983187b|2 ge 0

Fur 983187x 983187y ∕= 9831870 beliebig wenden wir das an mit 983187a =983187x

|983187x| 983187b =

983187y

|983187y|

|〈983187x 983187y〉| = |983187x| |983187y| |〈983187a983187b〉| le |983187x||983187y|

Bei Gleichheit gilt fur die Einheitsvektoren

0 = 983187aplusmn983187b =983187x

|983187x| plusmn983187y

|983187y|

das heiszligt 983187x und 983187y sind parallel

Die Definition des Winkels ergibt trivial denKosinussatz in dem von 9831870 983187x 983187y gebildeten Dreieckfolgt namlich (Bild)

|983187xminus 983187y|2 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2〈983187x 983187y〉 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2|983187x||983187y| cosang(983187x 983187y)

Eine Konsequenz der Cauchy-Schwarz Ungleichung ist folgende Eigenschaft des Betrags

Satz 173 (Dreiecksungleichung) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt die Ungleichung

|983187x+ 983187y| le |983187x|+ |983187y|

mit Gleichheit genau wenn 983187x 983187y gleichsinnig parallel sind

Beweis Aus der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt

|983187x+ 983187y|2 = |983187x|2 + 2〈983187x 983187y〉+ |983187y|2 le |983187x|2 + 2|983187x||983187y|+ |983187y|2 = (|983187x|+ |983187y|)2

Durch Wurzelziehen folgt |983187x + 983187y| le |983187x| + |983187y| wie behauptet Bei Gleichheit mussen 983187x und 983187yparallel sein nach Satz 172 Es muss aber auch 〈983187x 983187y〉 ge 0 sein also sind 983187x 983187y gleichsinnigparallel

Statt auf die Koordinatenachsen konnen wir einen Vektor 983187x auch auf eine beliebige Ur-sprungsgerade g projizieren Wird g durch den Einheitsvektor 983187v isin Rn erzeugt das heiszligtg = λ983187v | λ isin R so lautet der Projektionspunkt

983187xg = 〈983187x983187v〉983187v

Denn 983187xg liegt auf der Geraden g und 983187xminus 983187xg steht senkrecht auf g

〈983187xminus 983187xg983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈〈983187x983187v〉983187v983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈983187x983187v〉 〈983187v983187v〉983167 983166983165 983168=1

= 0

16

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 18: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Satz 172 (Ungleichung von Cauchy-Schwarz) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt

|〈983187x 983187y〉| le |983187x| |983187y|

Gleichheit gilt genau dann wenn 983187x 983187y parallel sind

Beweis Fur Vektoren 983187a983187b mit |983187a| = |983187b| = 1 schatzen wir ab

1plusmn 〈983187a983187b〉 = 1

2

983059|983187a|2 + |983187b|2 plusmn 2〈983187a983187b〉

983060=

1

2|983187aplusmn983187b|2 ge 0

Fur 983187x 983187y ∕= 9831870 beliebig wenden wir das an mit 983187a =983187x

|983187x| 983187b =

983187y

|983187y|

|〈983187x 983187y〉| = |983187x| |983187y| |〈983187a983187b〉| le |983187x||983187y|

Bei Gleichheit gilt fur die Einheitsvektoren

0 = 983187aplusmn983187b =983187x

|983187x| plusmn983187y

|983187y|

das heiszligt 983187x und 983187y sind parallel

Die Definition des Winkels ergibt trivial denKosinussatz in dem von 9831870 983187x 983187y gebildeten Dreieckfolgt namlich (Bild)

|983187xminus 983187y|2 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2〈983187x 983187y〉 = |983187x|2 + |983187y|2 minus 2|983187x||983187y| cosang(983187x 983187y)

Eine Konsequenz der Cauchy-Schwarz Ungleichung ist folgende Eigenschaft des Betrags

Satz 173 (Dreiecksungleichung) Fur 983187x 983187y isin Rn gilt die Ungleichung

|983187x+ 983187y| le |983187x|+ |983187y|

mit Gleichheit genau wenn 983187x 983187y gleichsinnig parallel sind

Beweis Aus der Cauchy-Schwarz Ungleichung folgt

|983187x+ 983187y|2 = |983187x|2 + 2〈983187x 983187y〉+ |983187y|2 le |983187x|2 + 2|983187x||983187y|+ |983187y|2 = (|983187x|+ |983187y|)2

Durch Wurzelziehen folgt |983187x + 983187y| le |983187x| + |983187y| wie behauptet Bei Gleichheit mussen 983187x und 983187yparallel sein nach Satz 172 Es muss aber auch 〈983187x 983187y〉 ge 0 sein also sind 983187x 983187y gleichsinnigparallel

Statt auf die Koordinatenachsen konnen wir einen Vektor 983187x auch auf eine beliebige Ur-sprungsgerade g projizieren Wird g durch den Einheitsvektor 983187v isin Rn erzeugt das heiszligtg = λ983187v | λ isin R so lautet der Projektionspunkt

983187xg = 〈983187x983187v〉983187v

Denn 983187xg liegt auf der Geraden g und 983187xminus 983187xg steht senkrecht auf g

〈983187xminus 983187xg983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈〈983187x983187v〉983187v983187v〉 = 〈983187x983187v〉 minus 〈983187x983187v〉 〈983187v983187v〉983167 983166983165 983168=1

= 0

16

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 19: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Die Zahl cosang(983187x983187v) wird manchmal als Richtungskosinus von 983187x bezuglich 983187v bezeichnet

Wir kommen nun zu einer speziellen Struktur des drei-dimensionalen Raums DasKreuzprodukt (oder Vektorprodukt) ist gegeben durch

983187xtimes 983187y =

983091

983107x2y3 minus x3y2x3y1 minus x1y3x1y2 minus x2y1

983092

983108

Folgende Regeln sind offensichtlich

983187xtimes 983187y = minus983187y times 983187x (Schiefsymmetrie)

(λ983187x+ micro983187y)times 983187z = λ983187xtimes 983187z + micro983187y times 983187z (Bilinearitat)

Insbesondere gilt 983187xtimes 983187x = 0 Fur die Standardvektoren sehen wir

983187e1 times 983187e2 = 983187e3 = minus983187e2 times 983187e1

983187e2 times 983187e3 = 983187e1 = minus983187e3 times 983187e2

983187e3 times 983187e1 = 983187e2 = minus983187e1 times 983187e3

Man nennt die Vertauschungen 123 231 312 zyklisch 213 321 132 antizyklisch Welcher Vek-tor ist nun 983187xtimes 983187y Als erstes berechnen wir dazu seine Lange (nachprufen)

|983187xtimes 983187y|2 = (x1y2 minus x2y1)2 + (x2y3 minus x3y2)

2 + (x3y1 minus x1y3)2

= (x21 + x22 + x23)(y21 + y22 + y23)minus (x1y1 + x2y2 + x3y3)

2

= |983187x|2|983187y|2 minus 〈983187x 983187y〉2

Mit 〈983187x 983187y〉 = |983187x||983187y| cosang(983187x 983187y) (Definition des Winkel) ergibt sich

|983187xtimes 983187y| = |983187x||983187y|983155

1minus cos2ang(983187x 983187y) = |983187x||983187y| sinang(983187x 983187y)

Insbesondere 983187x times 983187y ist null wenn ang(983187x 983187y) isin 0π also wenn 983187x 983187y parallel sind (oder null)Sind 983187x 983187y orthogonal so folgt 983187xtimes 983187y = |983187x||983187y|

Ab jetzt seien 983187x 983187y nicht parallel also 983187xtimes 983187y ∕= 9831870 Wir berechnen

〈983187xtimes 983187y 983187z〉 = x1y2z3 + x2y3z1 + x3y1z2 minus x2y1z3 minus x3y2z1 minus x1y3z2 (15)

Ist 983187z = 983187x oder 983187z = 983187y so ist die rechte Seite Null Also steht 983187xtimes 983187y senkrecht auf die von 983187x 983187yaufgespannte Ebene Da die Lange schon bekannt ist bleiben nur zwei Vektoren die sich umden Faktor minus1 unterscheiden

Die rechte Seite von Gleichung (15) wird mit det(983187x 983187y 983187z) bezeichnet (Determinante)Um sich die Formel zu merken kann man die Vektoren in ein Schema schreiben und jeweilsdie Produkte uber die Diagonalen bilden Dabei werden Diagonalen nach rechts untenpositiv Diagonalen nach links unten negativ gezahlt (Regel von Sarrus)

983091

983107x1 x2 x3 | x1 x2y1 y2 y3 | y1 y2z1 z2 z3 | z1 z2

983092

983108

17

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 20: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Die Zahl det(983187x 983187y 983187z) wird auch als Spatprodukt der drei Vektoren bezeichnet Sie ist gleichdem Volumen des von den Vektoren gebildeten Spats (Parallelepipeds) bis auf das VorzeichenDas wollen wir aber hier nicht ausfuhren Wir vereinbaren

983187x 983187y 983187z sind positiv orientiert genau wenn det(983187x 983187y 983187z) gt 0

Beachten Sie dass es hier auf die Reihenfolge der Vektoren ankommt werden zwei Vektorenvertauscht so andert die Determinante ihr Vorzeichen Die Richtung von 983187x times 983187y ∕= 9831870 istdadurch bestimmt dass die Vektoren 983187x 983187y 983187xtimes 983187y in dieser Reihenfolge positiv orientiert sindDenn wahlen wir in der Formel fur die Determinante 983187z = 983187xtimes 983187y so ist

det(983187x 983187y 983187xtimes 983187y) = 〈983187xtimes 983187y 983187xtimes 983187y〉 = |983187xtimes 983187y|2 gt 0

Zum Schluss eine Bemerkung zu Anschauungsraum und R3 Wahlen wir ein kartesisches Ko-ordinatensystem so werdem jedem Vektor 983187v im Raum Koordinaten (x y z) isin R3 zugeordnetWir bestimmen seine Lange dann mit der Formel |983187v| =

983155x2 + y2 + z2 Es ist wesentlich dass

wir bei Wahl eines anderen kartesischen Koordinatensystems denselben Wert erhalten Im R2wo wir die Umrechnung der Koordinaten kennen sehen wir das explizit

(xprime)2 + (yprime)2 =983043(cosα)x+ (sinα)y

9830442+

983043(minus sinα)x+ (cosα)y

9830442= x2 + y2

Auch der Winkel zwischen zwei Vektoren im Raum ist unabhangig von der Wahl des kartesi-schen Koordinatensystems Beim Vektorprodukt gibt es eine gewisse Einschrankung wahlenwir zum Beispiel die zueinander senkrechten Daumen Zeigefinger und Mittelfinger der lin-ken Hand in dieser Reihenfolge als Koordinatensystem so entsprechen ihnen die Standard-Vektoren 983187e1983187e2 und 983187e3 Als Vektorprodukt der ersten beiden Richtungen ergibt sich also983187e1 times 983187e2 = 983187e3 Das Vektorprodukt im Anschauungsraum ist aber durch die Rechte-Hand-Regel gegeben es zeigt in die entgegengesetzte Richtung Zur Berechnung des Vektorproduktsmussen wir als Koordinaten ein Rechtssystem wahlen nur dann sind die Orientierung durchdie Rechte-Hand-Regel und die Orientierung des R3 konsistent

18 Die komplexen Zahlen

Wir beginnen mit einer anderen Schreibweise fur Punkte des R2 Und zwar setzen wir98304310

983044= 1

und98304301

983044= i und haben dann die allgemeine Darstellung

z = x+ iy fur alle z = (x y) isin R2

In diesem Zusammenhang heiszligen die Punkte des R2 komplexe Zahlen (Symbol C) Realteilund Imaginarteil einer komplexen Zahl sind gegeben durch

Re z = x Im z = y fur z = x+ iy

Die Addition in C ist die ubliche komponentenweise Addition also

(x1 + iy1) + (x2 + iy2) = (x1 + x2) + i(y1 + y2)

Fur die Multiplikation setzen wir i2 = minus1 und multiplizieren aus

(x1 + iy1)(x2 + iy2) = x1x2 minus y1y2 + i(x1y2 + x2y1)

18

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 21: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Um dies zu veranschaulichen schreiben wir die komplexen Zahlen in Polarkoordinaten zujedem z isin C mit z ∕= 0 gibt es ein r gt 0 und ein ϕ isin R mit

z = r(cosϕ+ i sinϕ)

Dabei ist r = |z| =983155

x2 + y2 und ϕ isin R ist der Winkel den z mit der positiven x-Achseeinschlieszligt Da die Funktionen cos sin die Periode 2π haben ist der Winkel nur bis auf ganz-zahlige Vielfache von 2π eindeutig bestimmt Er ist eindeutig wenn wir ϕ isin [0 2π) verlangen

Fur die komplexen Zahlen C gelten dieselben Rechenregeln wie fur die reellen ZahlenBezuglich der Addition ist 0 = 0 + i0 das neutrale Element und minusz = minusx minus iy das zuz = x+ iy inverse Element Kommutativgesetz und Assoziativgesetz der Addition sind klardenn diese ist einfach die komponentenweise Addition

Das neutrale Element der Multiplikation ist 1 = 1 + i0 denn

z middot 1 = (x+ iy)(1 + i0) = x+ iy

Wir nennen z = xminus iy die zu z = x+ iy konjugiert komplexe Zahl Wegen i2 = minus1 gilt

zz = (x+ iy)(xminus iy) = x2 minus i2y2 + i(yxminus xy) = x2 + y2 = |z|2

Damit konnen wir das zu z ∕= 0 inverse Element angeben und zwar ist

1

z=

z

|z|2 =xminus iy

x2 + y2 denn z

z

|z|2 =zz

|z|2 = 1

In Polarkoordinaten lautet nun die Multiplikation (Additionstheoreme fur cos sin)

z1z2 = r1r2(cosϕ1 + i sinϕ1)(cosϕ2 + i sinϕ2)

= r1r2983043cosϕ1 cosϕ2 minus sinϕ1 sinϕ2 + i(cosϕ1 sinϕ2 + sinϕ1 cosϕ2)

983044

= r1r2983043cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

983044

Das Kommutativgesetz ist damit offensichtlich und durch Multiplikation mit z3 = r3(cosϕ3+sinϕ3) folgt weiter

(z1z2)z3 = r1r2r3983043cos(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3) + i sin(ϕ1 + ϕ2 + ϕ3)

983044

Fur z1(z2z3) kommt dasselbe raus also gilt das Assoziativgesetz Schlieszliglich rechnen wir dasDistributivgesetz nach

(a+ ib)983043(x1 + iy1) + (x2 + iy2)

983044= (a+ ib)

983043x1 + x2 + i(y1 + y2)

983044

= a(x1 + x2)minus b(y1 + y2) + i983043b(x1 + x2) + a(y1 + y2)

983044

= ax1 minus by1 + i(bx1 + ay1) + ax2 minus by2 + i(bx2 + ay2)

= (a+ ib)(x1 + iy1) + (a+ ib)(x2 + iy2)

Wir notieren im Vorbeigehen folgende nutzliche Formeln die sich leicht verifizieren lassenFur die zweite Gleichung in (1) und fur (3) kann man die Polardarstellung von z12 verwenden

(1) z1 + z2 = z1 + z2 z1z2 = z1 z2

19

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 22: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

(2) Fur z = x+ iy ist Re z = 12(z + z) und Im z = 1

2i(z minus z)

(3) |z1z2| = |z1||z2|

Was ist der Gewinn den wir von den komplexen Zahlen haben Allgemein gesagt sind mitden komplexen Zahlen Gleichungen losbar die mit reellen Zahlen nicht losbar sind ZumBeispiel gibt es keine reelle Losung von x2 + q = 0 wenn q gt 0 ist In C haben wir dagegendie beiden Losungen z12 = plusmni

radicq 1 Jede Gleichung x2+px+ q = 0 mit p q isin R kann auf das

Ziehen einer Wurzel reduziert werden und hat damit ebenfalls Losungen Substituiere dazux = y + a und berechne

0 = (y + a)2 + p(y + a) + q = y2 + (2a+ p)y + a2 + pa+ q

Durch Wahl von a = minusp2 ergibt sich

y2 =p2

4minus q

Diese Gleichung hat die Losungen

y =

983099983105983105983103

983105983105983101

plusmn983156

p2

4 minus q falls p2

4 minus q gt 0

plusmni983156

minus(p2

4 minus q) falls p2

4 minus q lt 0

0 falls p2

4 minus q = 0

Durch Ruckeinsetzen x = y minus p2 ergeben sich die jeweiligen Losungen fur x

Komplexe Zahlen traten zuerst in der italienischen Renaissance in der ersten Halftedes 16 Jahrhunderts auf bei der Losung von quadratischen und kubischen Gleichungen DieBezeichnung i =

radicminus1 stammt von Euler (1777) die Bezeichnung komplexe Zahl von Gauszlig

(1831) Er hat auch die Interpretation als Punkte in der Ebene eingefuhrt

1Mitradicx ist immer die nichtnegative Wurzel gemeint

20

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 23: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Kapitel 2

Funktionen Grenzwerte Stetigkeit

21 Reelle Funktionen

Eine reelle Funktion einer Variablen ist eine Abbildung

f D rarr R x 983041rarr f(x) wobei D sub R

Der Definitionsbereich D kann zum Beispiel ganz R oder ein Intervall sein Die Bezeich-nung reelle Funktion bezieht sich darauf dass die Werte der Funktion reelle Zahlen sindStandardbeispiele von Funktionen sind

lineare Funktionen f R rarr R f(x) = ax+ bquadratische Funktionen f R rarr R f(x) = ax2 + bx+ cWurzelfunktion f [0infin) rarr R f(x) =

radicx

Die Wurzelfunktion kann fur x lt 0 nicht als reelle Funktion definiert werden Die Rechen-operationen von R lassen sich fur Funktionen definieren genauer setzen wir fur f g D rarr R

(f plusmn g)(x) = f(x)plusmn g(x)

(f middot g)(x) = f(x)g(x)983061f

g

983062(x) =

f(x)

g(x)falls g(x) ∕= 0

Sind f D rarr R und g E rarr R mit f(D) sub E so ist auch die Verkettung definiert durch

g f D rarr R (g f)(x) = g(f(x))

In vielen Anwendungen interessiert man sich dafur wo die Maxima und Minima der Funktionliegen (Extremwerte) und allgemeiner in welchen Bereichen die Funktion anwachst bezie-hungsweise fallt Eine Funktion f D rarr R heiszligt

monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) ge f(x1)streng monoton wachsend x2 gt x1 rArr f(x2) gt f(x1)monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) le f(x1)streng monoton fallend x2 gt x1 rArr f(x2) lt f(x1)

Zum Beispiel hat die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q im Punkt x = minusp2 einMinimum Auf dem Intervall [minusp2infin) ist sie streng monoton wachsend auf (minusinfinminusp2]

21

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 24: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

streng monoton fallend Ein weiterer Begriff bezieht sich auf die Symmetrie einer Funktionf D rarr R heiszligt

gerade f(minusx) = f(x) fur alle x isin Dungerade f(minusx) = minusf(x) fur alle x isin D

Fur diese Eigenschaft muss naturlich D symmetrisch zum Ursprung liegen zum BeispielD = (minusa a) sonst macht es keinen Sinn Die quadratische Funktion f(x) = x2 + px + q istgenau dann dann gerade wenn p = 0 ist und niemals ungerade Denn

f(x)minus f(minusx)

2= px

f(x) + f(minusx)

2= x2 + q

22 Polynome und rationale Funktionen

Definition 221 Eine Funktion f R rarr R heiszligt (reelles) Polynom vom Grad n isin N0 wennes a0 a1 an isin R gibt mit an ∕= 0 so dass

f(x) = a0 + a1x+ + anxn fur alle x isin R (21)

Die ai isin R heiszligen Koeffizienten des Polynoms und an heiszligt Leitkoeffizient Ein Polynomvom Grad Null ist nach Definition konstant Das Nullpolynom (also die Nullfunktion dieFunktion die konstant Null ist) wird separat behandelt1

Lemma 222 (Abspalten von Linearfaktoren) Hat ein Polynom f(x) vom Grad n isin N eineNullstelle λ isin R also f(λ) = 0 so gibt es ein Polynom g(x) (nicht das Nullpolynom) vomGrad nminus 1 mit

f(x) = (xminus λ)g(x) fur alle x isin R

Beweis Sei f(x) = a0 + a1x+ + anxn mit an ∕= 0 Im Fall λ = 0 folgt 0 = f(0) = a0 und

f(x) = x(a1 + + anxnminus1) = xg(x) fur alle x isin R

Sei nun f(λ) = 0 fur irgendein λ isin R Betrachte dann

f(x) = f(x+ λ) = a0 + a1(x+ λ) + + an(x+ λ)n

Durch Auflosen der Klammern und Ordnen nach Potenzen von x sehen wir dass f(x) Poly-nom vom Grad n ist mit Leitkoeffizient an Aber f(0) = f(λ) = 0 und wie gezeigt gibt esein Polynom g vom Grad nminus 1 mit f(x) = xg(x) beziehungsweise

f(x) = f(xminus λ) = (xminus λ) g(xminus λ) fur alle x isin R

Nun ist g(x minus λ) ein Polynom vom Grad n minus 1 indem wir wieder Ausmultiplizieren undUmordnen Damit ist die Behauptung bewiesen

Lemma 223 (Zahl der Nullstellen) Sei f R rarr R ein Polynom vom Grad n isin N Dannhat f hochstens n verschiedene Nullstellen

1Manchmal wird dem Nullpolynom der Grad -1 zugeordnet manchmal der Grad minusinfin

22

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 25: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Beweis Wir fuhren Induktion uber n isin N0 Fur n = 0 ist f(x) = a0 fur alle x isin R wobeia0 ∕= 0 wenn f nicht das Nullpolynom ist also hat f keine Nullstelle Ist f Polynom vom Gradn isin N so hat entweder f keine Nullstelle oder es gilt nach Lemma 222 f(x) = (xminus λ)g(x)fur alle x isin R mit einem Polynom g vom Grad nminus 1 Nach Induktion hat g hochstens nminus 1Nullstellen also f hochstens n Nullstellen

Lemma 224 (Koeffizientenvergleich) Seien f g R rarr R Polynome vom Grad m bzw ndas heiszligt es gilt mit am bn ∕= 0

f(x) =

m983131

i=0

aixi und g(x) =

n983131

i=0

bixi fur alle x isin R

Sind f(x) und g(x) an mehr als max(mn) Stellen gleich so ist m = n und ai = bi furi = 0 n

Beweis Ist m ∕= n oder ai ∕= bi fur ein i so ist fminusg Polynom vom Grad hochstens max(mn)und hat nach Lemma 223 hochstens max(mn) Nullstellen

All das hilft uns nicht weiter wenn ein Polynom einfach keine Nullstellen hat zum Beispielf(x) = x2 + 1 Um die Sache wirklich zu verstehen mussen wir ins Komplexe gehen Einkomplexes Polynom vom Grad n hat die Form

f C rarr C f(z) = a0 + a1z + + anzn wobei ai isin C an ∕= 0

Das Abspalten von Linearfaktoren und der Koeffizientenvergleich gelten in C ganz analogweil nur die gemeinsamen Rechenregeln benutzt wurden Insbesondere hat auch ein komplexesPolynom hochstens n Nullstellen Im Unterschied zum Reellen gilt aber der

Satz 225 (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes komplexe Polynom vom Grad n ge 1 hatmindestens eine Nullstelle λ isin C

Es ist offenbar moglich dass sich ein Linearfaktor mehrfach von einem Polynom f(z) abspal-ten lasst Wir nennen λ eine Nullstelle der Vielfachheit k isin N wenn f(z) = (z minus λ)kg(z) furein Polynom g(z) mit g(λ) ∕= 0

Folgerung 226 (Polynomfaktorisierung) Ein Polynom f C rarr C vom Grad n ge 1 hateine Zerlegung

f(z) = an

K983132

k=1

(z minus λk)nk fur alle z isin C

Dabei sind λ1 λK isin C die Nullstellen mit den zugehorigen Vielfachheiten nk isin N wobein = n1 + + nK und an isin C0 ist der Leitkoeffizient von f(z)

Beweis Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat f(z) eine Nullstelle λ1 isin C DurchAbspalten folgt f(z) = (z minus λ1)f1(z) wobei f1(z) komplexes Polynom vom Grad n minus 1 istNun hat f1(z) wieder eine Nullstelle λ2 isin C und so weiter Der Prozess stoppt genau nachn Schritten denn dann hat das Restpolynom den Grad Null ist also konstant

Wir konnen nun auf R zuruckkommen Jedes reelle Polynom p(x) = a0+a1x+ +anxn das

heiszligt ai isin R kann namlich als komplexes Polynom aufgefasst werden indem wir fur x auchkomplexe Zahlen z einsetzen Damit wird die reelle Funktion f R rarr R zu einer komplexenFunktion f C rarr C fortgesetzt Das Endergebnis lautet so

23

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 26: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Folgerung 227 (Polynomfaktorisierung in R) Jedes reelle Polynom f R rarr R vom Gradn ge 1 zerfallt in lineare und quadratische Faktoren Genauer gilt

f(x) = an

I983132

i=1

(xminus λi)ℓi

J983132

j=1

(x2 minus 2αjx+ α2j + β2

j )mj fur alle x isin R

Dabei sind die λi die Nullstellen in R und die αj plusmn iβj die Nullstellen in CR mit jeweiligenVielfachheiten ℓi bzw mj also n = ℓ1 + + ℓI + 2(m1 + +mJ)

Beweis Wir konnen annehmen dass f(x) keine reellen Nullstellen hat sonst spalten wir diezugehorigen Linearfaktoren ab diese liefern dann das erste Produkt Weiter gilt ist λ = α+iβeine nicht-reelle Nullstelle so auch λ = αminus iβ Wegen ai isin R gilt namlich

0 = f(λ) = a0 + a1λ+ + anλn = a0 + a1λ+ + anλn= f(λ)

Wir konnen nun in C nacheinander zminus λ und zminus λ als Faktoren abspalten und erhalten einPolynom g(z) vom Grad nminus 2 mit

f(z) = (z minus λ)(z minus λ)g(z) =983043z2 minus 2αz + α2 + β2

983044g(z)

Jetzt machen wir mit dem Restpolynom g(z) weiter und erhalten schlieszliglich die gewunschteZerlegung in quadratische Faktoren Ein Detail fehlt es ist zu begrunden dass g(z) wiederreelle Koeffizienten hat Sei

g(z) = b0 + b1z + + bnminus2znminus2 mit zunachst bi isin C

Wir setzen in f(z) nun x isin R als Variable ein und erhalten

0 = Im f(x) (da f reelle Koeffizienten hat)

= Im983059(x2 minus 2αx+ α2 + β2) g(x)

983060

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2) Im g(x)

= (x2 minus 2αx+ α2 + β2)

nminus2983131

i=0

(Im bi)xi

Die linke Klammer ist fur x isin R niemals Null Also verschwindet die Summe fur alle x isin Rund es folgt Im bi = 0 fur alle i = 0 nminus 2 aus Lemma 223

Die Existenz einer Nullstelle ist in C durch Satz 225 gesichert Dieser Satz liefert aber keinenAnhaltspunkt wie die Nullstellen tatsachlich berechnet werden sollen Mit Substitutionenund Ziehen von k-ten Wurzeln kommt man ab Grad n ge 5 im allgemeinen nicht zum Ziel(Abel 1825) Deshalb spielen numerische Losungsverfahren eine groszlige Rolle durch die dieNullstelle approximativ bestimmt wird Darauf kommen wir zuruck wenn wir die Analysisweiter entwickelt haben

Eine rationale Funktion f ist definiert als Quotient zweier Polynome Seien genauerp(x) und q(x) reelle Polynome vom Grad m bzw n und Nq sei die endliche Menge derNullstellen von q Dann ist

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)

Es ist praktisch rationale Funktionen folgendermaszligen zu zerlegen

24

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 27: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Lemma 228 Seien p(x) = amxm + + a0 und q(x) = bnxn + + b0 Polynome mit

m ge n Dann hat gibt es eindeutig bestimmte Polynome g(x) und r(x) mit r(x) vom Gradk lt n eventuell r(x) das Nullpolynom mit

f(x) = g(x) +r(x)

q(x)fur alle x isin RNq

Beweis Durch Division mit Rest fur Polynome Wir schreiben

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn +p1(x)

q(x)mit p1(x) = p(x)minus am

bnxmminusnq(x)

Es gilt grad p1 lt m Im Fall m = n gilt die Behauptung also mit r(x) = p1(x) Fur m gt nkonnen wir per Induktion annehmen dass

p1(x)

q(x)= g1(x) +

r1(x)

q(x)mit grad r1 lt n

eventuell r1 equiv 0 Es folgt die gewunschte Zerlegung

p(x)

q(x)=

anbm

xmminusn + g1(x) +r1(x)

q(x)

Zur Eindeutigkeit angenommen die Zerlegung gilt mit g1 r1 und g2 r2 Dann folgt durchSubtraktion und Multiplikation mit q(x)

(g1(x)minus g2(x))q(x) + r1(x)minus r2(x) = 0 fur alle x isin RNq

Ware g1 minus g2 nicht Null so ist die linke Seite ein Polynom vom Grad mindestens n aber mitunendlich vielen Nullstellen Das kann nicht sein wegen Lemma 223 Analog sehen wir dassdie Polynome r12 gleich sind

Beispiel 229 Hier ein Beispiel fur die Polynomdivision

x4 minus x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = x2 Rest minus3x3 + x2 minus x+ 1minus3x3 + x2 minus x+ 1 x2 + 2x = minus3x Rest 7x2 minus x+ 1

7x2 minus x+ 1 x2 + 2x = 7 Rest minus15x+ 1

Also haben wir hierx4 minus x3 minus x+ 1

x2 + 2x= x2 minus 3x+ 7minus 15xminus 1

x2 + 2x

Die Ausnahmestellen λ isin Nq in der Definition von f(x) sind naturlich von Interesse Sei λeine m-fache Nullstelle von q(x) und eine k-fache Nullstelle von p(x) Im Fall p(x) ∕= 0 istk = 0 Es gibt nun Polynome p1(x) q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 und

f(x) =p(x)

q(x)=

(xminus λ)kp1(x)

(xminus λ)mq1(x)= (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)fur x isin RNq

Abhangig von dem Exponenten k minusm sind zwei Falle zu unterscheiden

25

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 28: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

(1) Ist k ge m so kann f(x) auch im Punkt λ sinnvoll definiert werden und zwar durch

f(x) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Wir nennen λ eine hebbare Singularitat von f(x)

(2) Ist k lt m so nennen wir λ eine Polstelle von f(x) Das Verhalten von |f(x)| in der Pol-stelle wird im wesentlichen durch den Faktor |xminusλ|kminusm bestimmt der gegen Unendlichgeht

23 Kreisfunktionen

Die trigonometrischen Funktionen sind bereits mehrfach aufgetreten Wir wollen sie hier mitihren Eigenschaften nochmal ausfuhrlich besprechen Sei Dx R2 rarr R2 die Drehung um denWinkel x isin R gemessen in Bogenmaszlig Dabei drehen wir im mathematisch positiven Sinn(das heiszligt entgegen dem Uhrzeigersinn) wenn x ge 0 im mathematisch negativen Sinn furx lt 0 Es gilt (vgl Abschnitt I4 und Bild)

Dx983187e1 =

983061cosxsinx

983062Dx983187e2 =

983061minus sinxcosx

983062

Aus der Interpretation am Einheitskreis lassen sich die Eigenschaften von cos sin R rarr Rleicht ablesen Als erstes haben wir

cos2 x+ sin2 x = 1

Beachte cos2 x = (cosx)2 Es folgt auch minus1 le cosx sinx le 1 Weiter

cos(minusx) = cosx (cos ist gerade)

sin(minusx) = minus sinx (sin ist ungerade)

Drehung um den Vollwinkel 2π ist die Identitat daher sind die Funktionen 2π-periodisch

cos(x+ 2kπ) = cosx sin(x+ 2kπ) = sinx fur alle k isin Z

Die Nullstellen der Funktionen sind

sinx = 0 hArr x isin Zπcosx = 0 hArr x isin (2Z+ 1)

π

2

Um die Additionstheoreme zu zeigen brauchen wir dass die Drehung Dx eine lineare Ab-bildung ist Das bedeutet dass sie sich mit der Vektoraddition und der Skalarmultiplikationvertragt genauer behaupten wir fur beliebige 983187v 983187w isin R2 und λ isin R

Dx(983187v + 983187w) = Dx983187v +Dx 983187w Dx(λ983187v) = λDx983187v

Fur die erste Eigenschaft beachten wir dass 983187v + 983187w der vierte Eckpunkt in dem von 9831870983187v 983187wgebildeten Parallelogramm ist Drehung mit Dx ergibt daher den vierten Eckpunkt in demgedrehten Parallelogramm das von 9831870 Dx983187vDx 983187w gebildet wird also den Punkt Dx983187v +Dx 983187wFur λ gt 0 hat der Vektor Dx(λ983187v) dieselbe Richtung wie λDx983187v Da die Drehung langentreuist sind die Vektoren gleich Schlieszliglich kann man fur λ = minus1 argumentieren dass Dx(minus983187v) =DxDπ983187v = DπDx983187v = minusDx983187v

26

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 29: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Satz 231 (Additionstheoreme) Fur alle x y isin R gilt

cos(x+ y) = cosx cos y minus sinx sin y

sin(x+ y) = sinx cos y + cosx sin y

Beweis Wir berechnen mit Dx+y = Dy Dx berechnen wir

983061cos(x + y)sin(x + y)

983062= Dx+y983187e1

= Dy(Dx983187e1) (da Dx+y = Dy Dx)

= Dy

983059(cos x)983187e1 + (sin x)983187e2

983060

= (cos x)Dy983187e1 + (sin x)Dy983187e2 (wegen Dy linear)

= cos x

983061cos ysin y

983062+ sin x

983061minus sin ycos y

983062

=

983061cos x cos y minus sin x sin ysin x cos y + cos x sin y

983062

Im Spezialfall y = plusmnπ2 ist

sin(x+π

2) = cosx bzw cos(xminus π

2) = sinx

Es lassen sich viele weitere nutzliche Formeln aus den Additionstheoremen herleiten (sieheUbungsaufgaben)

Definition 232 Die Tangens- bzw Cotangensfunktion ist definiert durch

tanx =sinx

cosxfur x ∕= (2Z+ 1)

π

2

cotx =cosx

sinxfur x ∕= Zπ

Fur die Funktionen tan und cot ergeben sich folgende Eigenschaften

tan(minusx) = minus tanx (tan ist ungerade

cot(minusx) = minus cotx (cot ist ungerade

tan(x+ π) = tanx (tan hat Periode π)

cot(x+ π) = cotx (cot hat Periode π)

Wir kommen an diesem Punkt auf die Polardarstellung komplexer Zahlen zuruck Jeder Zahlz isin C z ∕= 0 hat eine Darstellung

z = r(cosϕ+ i sinϕ) mit r gt 0ϕ isin R

Wir fuhren folgende Abkurzung ein

eix = cosx+ i sinx fur x isin R (Eulersche Formel)

Was soll diese Notation Die aus der Schule bekannte Exponentialfunktion erfullt folgendesFunktionalgesetz das in der Schule im Rahmen der Potenzrechung hergeleitet wird

eλ(x+y) = eλx+λy = eλxeλy wobei λ isin R

27

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 30: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Genau dieses Gesetz gilt auch fur eix nur dass λ isin R durch die komplexe Zahl i isin C ersetztist und zwar folgt es aus den Additionstheoremen

ei(x+y) = cos(x+ y) + i sin(x+ y)

= cosx cos y minus sinx sin y + i(sinx cos y + cosx sin y)

= (cosx+ i sinx)(cos y + i sin y)

= eixeiy

Umgekehrt lassen sich die Additionstheoreme aus der Regel ei(x+y) = eixeiy muhelos herleitenMit Schulwissen konnen wir zusatzlich die Ableitungen der Funktionen eλx (λ isin R) und eix

bei x = 0 vergeleichen Es gilt

(eλx)prime(0) = λeλx|x=0 = λ

(eix)prime(0) = cosprime(0) + i sinprime(0) = i

Damit ist die als Notation eingefuhrte Eulersche Formel gut begrundet Die Polardarstellunghat die endgultige Form

z = reiϕ fur z isin C0

Satz 233 (de Moivre) Fur x y isin R gelten die Formeln

ei(x+y) = eixeiy (Funktionalgleichung)

eix = eminusix =1

eix

einx = (eix)n fur n isin NBeweis Die Funktionalgleichung wurde oben hergeleitet Die zweite Gleichung gilt wegen

eix = cos x + i sin x = cos x minus i sin x = eminusix

und eix

eminusix

= ei0

= 1

Die dritte Formel ist klar fur n = 1 und per Induktion ergibt sich

ei(n+1)x

= einx+ix

= einx

eix

= (eix

)neix

= (eix

)n+1

Zur Berechnung des Winkels zwischen Vektoren sowie der Polardarstellung komplexer Zahlenwird die Umkehrfunktion des Kosinus gebraucht Dazu mussen wir ein Intervall auswahlenauf dem der Kosinus injektiv ist ublicherweise

cos [0π] rarr [minus1 1]

Die Funktion cos ist auf [0π] streng monoton fallend und damit injektiv

0 le x lt y le π rArr cosx gt cos y

Das ist anschaulich am Einheitskreis klar rigoros rechnen wir

eiy minus eix = eiy+x2

983059ei

yminusx2 minus eminusi yminusx

2

983060= 2iei

y+x2 sin

y minus x

2

Bilden wir die Realteile so folgt wegen sin t gt 0 fur t isin (0π)

cos y minus cosx = minus2 siny + x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

siny minus x

2983167 983166983165 983168isin(0π)

lt 0

28

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 31: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Wir definieren nun die Umkehrfunktion

arccos [minus1 1] rarr [0π ] cos(arccos t) = t

Naturlich gilt auch arccos(cosx) = x fur x isin [0π] Damit konnen wir die Polarkoordinatenvon z = x+ iy ∕= 0 angeben

r =983155

x2 + y2 ϕ =

983083arccos x

r falls y ge 0

2π minus arccos xr falls y lt 0

Die trigometrischen Funktionen sind von Bedeutung fur die Beschreibung von Schwingungenund periodischen Prozessen f R rarr R heiszligt periodisch mit Periode T gt 0 falls

f(t+ T ) = f(t) fur alle t isin R

Ist T gt 0 Periode von f so auch alle Zahlen kT mit k isin Z0 Wenn man von der Pe-riode einer Funktion spricht so meint man die kleinstmogliche Periode Eine harmonischeSchwingung abhangig von der Zeit t gt 0 ist von der Form

x R rarr R x(t) = A cos(ωt+ α)

Die Schwingungsdauer also die Periode der Schwingung ist

T =2π

ω

Weitere Groszligen sind die Frequenz ν = 1T die Amplitude A gt 0 und der Phasenwinkel α isin R

Die Zahl ω bezeichnet man auch als Kreisfrequenz

Die Uberlagerung (Superposition) zweier Schwingungen x1(t) x2(t) ist durchx(t) = x1(t) + x2(t) gegeben Im allgemeinen ist eine solche Uberlagerung nicht peri-odisch Ausnahme ist der Fall

T2

T1isin Q also

T2

T1=

n1

n2mit n1 n2 isin N

Dann haben die Funktionen die gemeinsame Periode n1T1 = n2T2 Fur die Frequenzen folgtν1ν2 = n1n2 beziehungsweise ω1ω2 = n1n2

Satz 234 Seien x12(t) harmonische Schwingungen mit derselben Schwingungsdauer also

x1(t) = A1 cos(ωt+ α1) x2(t) = A2 cos(ωt+ α2)

Dann ist x(t) = x1(t) + x2(t) wieder eine harmonische Schwingung genauer gilt

x(t) = A cos(ωt+ α) mit Aeiα = A1eiα1 +A2e

iα2

Beweis Es ist praktisch ins Komplexe zu gehen Definiere

z1(t) = A1ei(ωt+α1) z1(t) = A2e

i(ωt+α2)

Wir berechnen

z1(t) + z2(t) = eiωt(A1eiα1 +A2e

iα2) = Aeiαeiωt = Aei(ωt+α)

Durch Bilden des Realteils folgt

x1(t) + x2(t) = Re (z1(t) + z2(t)) = A cos(ωt+ α)

Damit ist die Behauptung schon verifiziert

29

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 32: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

24 Zahlenfolgen und Grenzwerte

Eine Folge reeller Zahlen a1 a2 a3 ist streng genommen eine Abbildung von N nach RJedem n isin N wird das n-te Folgenglied an isin R zugeordnet Um eine Folge zu definierenkann man entweder die ersten soundsoviel Folgenglieder angeben oder ein Bildungsgesetzoder eine Rekursionsvorschrift Zum Beispiel fur die Folge der Quadratzahlen

erste Folgenglieder an = 1 4 9 16

Bildungsgesetz an = n2 fur n isin N

Rekursionsvorschrift an+1 = (radican + 1)2 und a1 = 1

Bei manchen Folgen ist es sinnvoll die Nummerierung bei n = 0 zu beginnen statt bei n = 1Weitere Beispiele von Folgen sind

(1) an = a konstante Folge a a a (2) an = n Folge der naturlichen Zahlen 1 2 3 (3) an = a0 + nd n = 0 1 arithmetische Folge a0 a0 + d a0 + 2d (4) an = a0q

n n = 0 1 geometrische Folge a0 a0q a0q2

(5) an = nanminus1 a0 = 1 1 1 2 6 24 bzw an = n

Definition 241 (Konvergenz) Die Folge an konvergiert gegen a isin R falls gilt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass fur alle n gt N gilt |an minus a| lt ε

a heiszligt Grenzwert der Folge Wir schreiben limnrarrinfin an = a oder an rarr a fur n rarr infin DieFolge an heiszligt konvergent wenn sie gegen irgendein a isin R konvergiert Divergent bedeutetnicht konvergent

Die Zahl ε gt 0 gibt vor wie groszlig der Fehler zwischen an und a hochstens sein soll In derRegel werden die ersten Folgenglieder das nicht leisten Es soll aber ndash so die Definition derKonvergenz ndash eine Schranke N geben so dass fur alle n gt N die verlangte Genauigkeit erfulltwird Fur ein kleineres ε gt 0 mussen wir N typischerweise vergroszligern um die ε-Genauigkeitzu erreichen das heiszligt N hangt von ε gt 0 ab Mit den Quantoren forall (fur alle) exist (existiert)und rArr (daraus folgt) lasst sich die Definition der Konvergenz auch wie folgt fassen

forallε gt 0 existN isin R 983059n gt N rArr |an minus a| lt ε

983060

Beispiel 242 (Harmonische Folge) Die Folge an = 1n konvergiert gegen a = 0 Denn zugegebenem ε gt 0 wahlen wir N = 1ε Es folgt fur alle n gt N

|an minus a| = |1nminus 0| = 1n lt 1N = ε

Beispiel 243 (Konstante Folge) Ist an = a fur alle n isin N so folgt limnrarrinfin an = a Dennfur ε gt 0 gilt |an minus a| = 0 lt ε fur alle n gt 0 also konnen wir N = 0 wahlen

Beispiel 244 (Geometrische Folge) Sei q isin R mit |q| lt 1 Dann gilt limnrarrinfin qn = 0 Um daszu zeigen konnen wir q ∕= 0 voraussetzen und haben dann 1|q| gt 1 also gilt 1|q| = 1 + xfur ein x gt 0 Es folgt mit der Bernoulli-Ungleichung Satz 163

|qn minus 0| = |q|n =1

(1 + x)nle 1

1 + nxle 1

nxlt ε

fur alle n gt 1(εx) Wir konnen also N = 1(εx) wahlen

30

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 33: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Beispiel 245 (Plusminusfolge) Die Folge an = (minus1)n ist nicht konvergent Denn es gilt furjedes a isin R

2 = |an minus an+1| le |an minus a|+ |an+1 minus a| fur alle n isin N

Die rechte Seite musste aber fur groszlige n klein sein

Bei der Wahl von N kommt es nicht drauf an dass die Schranke kleinstmoglich ist Dies istanders wenn ein Grenzwert numerisch berechnet werden soll weil dann die Geschwindigkeitder Konvergenz ein Thema ist Fur den Nachweis der Konvergenz an sich reicht es volligirgendeine Schranke zu finden Ist N lt N prime und gilt |an minus a| lt ε fur n gt N so erst recht furn gt N prime Wir konnen also N stets vergroszligern Zum Beispiel konnen wir statt N den nachstenFolgenindex n0 isin (NN + 1] wahlen Der Grenzwert wird anschaulicher indem wir folgendeTeilmengen von R einfuhrenManchmal ist diese Beschreibung der Konvergenz praktischer Zum Beispiel verwenden wirsie um die Eindeutigkeit des Grenzwerts zu zeigen

Satz 246 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Ist die Folge an konvergent so ist ihr Grenzwerteindeutig bestimmt

Beweisidee Angenommen die Folge an hat zwei Grenzwerte a ∕= aprime Wir wahlen ε = |a minusaprime|2 gt 0 Dann sollten ab einem hinreichend groszligen n alle Folgengleider sowohl in demε-Intervall um a als auch in dem ε-Intervall um aprime sein ndash deren Schnittmenge ist aber leer

Definition 247 Eine reelle Folge an heiszligt beschrankt wenn es ein K ge 0 gibt mit

|an| le K fur alle n

Genauer kann noch wie folgt differenziert werden

an nach unten beschrankt hArr existK1 isin R mit an ge K1 fur alle n isin Nan nach oben beschrankt hArr existK2 isin R mit an le K2 fur alle n isin N

Die Folge an ist genau dann beschrankt wenn sie nach oben und unten beschrankt ist Dennaus |an| le K folgt minusK le an le K Umgekehrt folgt aus K1 le an le K2 dass

an le K2 le |K2| und minus an le minusK1 le |K1|

also |an| le max(|K1| |K2|)Beispiel 248 Die Folge an = n ist nach unten beschrankt denn es ist zum Beispiel an ge 0fur alle n Sie ist aber nicht nach oben beschrankt

Uberlegen Sie welche der obigen Folgen (nach oben bzw unten) beschrankt sind

Satz 249 (konvergent rArr beschrankt) Konvergente Folgen sind beschrankt

Beweis Sei an rarr a mit a rarr infin Wahle N isin N mit |an minus a| lt 1 fur alle n gt N Dann folgtaus der Dreiecksungleichung |an| le |a|+ 1 fur n gt N also

|an| le max(|a1| |aN | |a|+ 1) fur alle n isin N

Nachstes Ziel

31

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 34: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Satz 2410 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelte an rarr a bn rarr b mit n rarr infin

a) limnrarrinfin(λan + microbn) = λa+ microb fur alle λ micro isin R

b) limnrarrinfin(an middot bn) = a middot b

c) limnrarrinfin anbn = ab falls b ∕= 0

Beweis Wir beginnen mit dem Beweis von b) Nach Satz 249 gibt es einK gt 0 mit |an| le Kfur alle n isin N und auszligerdem mit |b| le K Dann gilt fur alle n isin N

|anbn minus ab| = |anbn minus anb+ anbminus ab|le |an| middot |bn minus b|+ |an minus a| middot |b|le K(|an minus a|+ |bn minus b|)

Zu ε gt 0 gibt es nun ein N isin R mit |an minus a| lt ε(2K) sowie |bn minus a| lt ε(2K) fur n gt N Also folgt fur n gt N

|anbn minus ab| lt K983059 ε

2K+

ε

2K

983060= ε

Fur a) reicht es wegen b) den Fall λ = micro = 1 zu betrachten Zu ε gt 0 gibt es ein N isin R mit|an minus a| lt ε2 und |bn minus b| lt ε2 fur n gt N Es folgt fur n gt N

|(an + bn)minus (a+ b)| = |(an minus a) + (bn minus b)| le |an minus a|+ |bn minus b| lt ε

2+

ε

2= ε

Fur c) behandeln wir erst den Fall an = b = 1 Zu ε gt 0 wahle N isin R mit

|bn minus 1| le 1

2min(ε 1) fur n gt N

Dann folgt |bn| = |1minus (1minus bn)| ge 1minus |1minus bn| ge 12 und weiter

9830559830559830559830551

bnminus 1

983055983055983055983055 =|1minus bn||bn|

lt 2 middot ε2= ε

Fur an und b ∕= 0 beliebig schlieszligen wir mit bprimen = bnb rarr 1

anbn

=anb

middot 1

bprimenrarr a

bmiddot 1 =

a

b

Hier zwei Anwendungen der Rechenregeln fur Grenzwerte

Beispiel 2411 (geometrische Reihe) Fur minus1 lt q lt 1 betrachten wir die Folge

an = 1 + q + + qn =

n983131

k=0

qk

Dann ergibt sich aus Beispiel 164 Beispiel 244 und Satz 2410

limnrarrinfin

an = limnrarrinfin

n983131

k=0

qk = limnrarrinfin

1minus qn+1

1minus q=

1

1minus q

Wir schreiben hierfur auch983123infin

k=0 qk = 1(1 minus q) Folgen deren Folgenglieder Summen sind

heiszligen Reihen Sie spielen eine groszlige Rolle in der Analysis und werden in Kurze ausfuhrlicheruntersucht

32

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 35: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Beispiel 2412 (Grenzwerte rationaler Funktionen) Betrachte die Folge

xn =akn

k + akminus1nkminus1 + + a0

bℓnℓ + bℓminus1nℓminus1 + + b0fur n isin N

wobei k ℓ isin N0 ai bj isin R mit ak bℓ ∕= 0 Durch Ausklammern folgt

xn = nkminusℓ ak + akminus1nminus1 + + a0n

minusk

bℓ + bℓminus1nminus1 + + b0nminusℓrarr

983099983105983105983103

983105983105983101

akbℓ falls k = ℓ

0 falls k lt ℓ

plusmninfin falls k gt ℓ signakbℓ

= plusmn1

Siehe Definition 2415 fur den Begriff der (uneigentlichen) Konvergenz gegen plusmninfin

Satz 2413 (Grenzwerte und Ungleichungen) Seien an und bn konvergent mit Grenzwertenlimnrarrinfin an = a und limnrarrinfin bn = b Dann gelten folgende Aussagen

a) Ist an le bn fur alle n so folgt a le b

b) Gilt c le an le d fur alle n mit c d isin R so folgt c le a le d

c) Ist an le cn le bn und gilt a = b so konvergiert auch die Folge cn gegen a = b

Beweis Da an rarr a und bn rarr b gibt es zu jedem ε gt 0 ein N isin R mit an gt a minus ε undbn lt b+ ε fur alle n gt N In a) folgt

aminus ε lt an le bn lt b+ ε fur n gt N

also a lt b + 2ε fur alle ε gt 0 das heiszligt a le b Aussage b) folgt unmittelbar aus a) indemwir c d als konstante Folgen auffassen Unter den Voraussetzungen in c) gilt fur n gt N dieUngleichungskette

aminus ε lt an le cn le bn lt b+ ε = a+ ε

also limnrarrinfin cn = a nach Definition des Grenzwerts

Achtung Aus an lt bn folgt nicht a lt b sondern nur a le b Die Striktheit von Ungleichungengeht beim Ubergang zu Grenzwerten im allgemeinen verloren Zum Beispiel gilt 1n gt 0 furalle n isin N aber limnrarrinfin 1n = 0

Beispiel 2414 (n-te Wurzel) Sei a gt 0 Wir bezeichnen mit a1n oder nradica die positive

Losung der Gleichung xn = a Es gibt nur eine denn fur x y gt 0 mit x gt y gilt auch xn gt ynZur Konstruktion der Losung kann das Intervallhalbierungsverfahren benutzt werden (vglKapitel I Abschnitt 2) Wir behaupten nun

limnrarrinfin

a1n = 1

Im Fall a ge 1 ist auch a1n ge 1 also a1n = 1 + xn mit xn ge 0 Die Bernoulli-UngleichungSatz 163 liefert

a = (1 + xn)n ge 1 + nxn rArr 0 le xn le aminus 1

nrarr 0

Mit Satz 2413 c) folgt xn rarr 0 bzw a1n rarr 1 Fur 0 lt a lt 1 folgt wegen aminus1 gt 1

a1n =1

(aminus1)1nrarr 1 nach Satz 2410 c)

33

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 36: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Definition 2415 (Uneigentliche Konvergenz) Die Folge an konvergiert uneigentlich (oderdivergiert bestimmt) gegen +infin falls gilt

Zu jedem K gt 0 gibt es ein N isin R so dass an gt K fur alle n gt N

Wir schreiben limnrarrinfin an = +infin oder an rarr +infin mit n rarr infin Uneigentliche Konvergenzgegen minusinfin ist analog definiert

Beispiel 2416 Fur q gt 1 gilt limnrarrinfin qn = +infin Denn zu gegebenem K gt 0 gibt es nachBeispiel 244 ein N isin R mit (1q)n lt 1K fur n gt N also qn gt K fur n gt N Insgesamthaben wir fur das Verhalten der Folge qn mit n rarr infin folgende Tabelle

q gt 1 rArr limnrarrinfin qn = +infinq = 1 rArr limnrarrinfin qn = 1

minus1 lt q lt 1 rArr limnrarrinfin qn = 0q le minus1 rArr nicht konvergent

Der Fall minus1 lt q lt 1 wurde in Beispiel 244 behandelt Fur q le minus1 vergleiche Beispiel 245

Beispiel 2417 (Harmonische Reihe) Die Folge an =983123n

k=1 1k ist bestimmt divergent gegen+infin Dies zeigen wir indem wir wie folgt Klammern setzen

9830611

1

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

2+

1

3

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

4+

1

5+

1

6+

1

7

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

9830611

8+

1

9+ +

1

15

983062

983167 983166983165 983168ge12

+

Die Summe der 1k mit 2m le k lt 2m+1 ist groszliger als 2m middot 2minus(m+1) = 12

Satz 2418 (Konvergenz von Kehrwerten) Fur eine Folge an gilt

(1) Aus an rarr +infin (bzw an rarr minusinfin) folgt 1an rarr 0

(2) Aus an rarr 0 und an gt 0 (bzw an lt 0) folgt 1an rarr +infin (bzw 1an rarr minusinfin)

Beweis Ubung

Das Ziel der Analysis ist es neue Objekte ndash Zahlen Funktionen Operationen ndash durch Grenz-prozesse zu konstruieren Unsere Definition des Grenzwerts setzt voraus dass wir den Grenz-wert a der Folge bereits kennen damit konnen wir noch nichts Neues definieren Hier kommtdas Vollstandigkeitsaxiom ins Spiel Wir brauchen eine leicht abgeanderte Fassung

Satz 2419 (Konvergenz monotoner Folgen) Sei an nach oben beschrankt und monotonwachsend also a1 le a2 le Dann ist die Folge an konvergent

Beweis Setze a = supan n isin N Es gilt a isin R weil die Folge nach oben beschrankt istNach Definition des Supremums gibt es zu ε gt 0 ein N isin N mit aN gt aminus ε also gilt

aminus ε lt aN le an le a fur n ge N

Dies bedeutet limnrarrinfin an = a

34

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 37: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Satz 2420 (Definition der Exponentialfunktion) Die Exponentialfunktion exp R rarr R istdefiniert als der Grenzwert

exp(x) =

infin983131

k=0

xk

k= lim

nrarrinfin

n983131

k=0

xk

k

Insbesondere existiert dieser Grenzwert

Beweis Sei x isin R fest gegeben Wir mussen zeigen dass die Folge der Summen

expn(x) =n983131

k=0

xk

k

konvergiert Wahle m isin N mit m + 1 ge 2|x| Fur die Summanden k ge m + 1 folgt

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

|x|kminus(m+1)

(m + 1)kminus(m+1)le

|x|m+1

(m + 1)

1

2kminus(m+1) (22)

Fur n ge m + 1 folgt mit Dreiecksungleichung und Abschatzung der geometrischen Summe

983055983055983055983055983055983055

n983131

k=m+1

xk

k

983055983055983055983055983055983055le

n983131

k=m+1

|x|k

kle

|x|m+1

(m + 1)

9830591 +

1

2+ +

1

2nminus(m+1)

983060le

2|x|m+1

(m + 1) (23)

Es folgt immer noch fur m + 1 ge 2|x|

| expn(x) minus expm(x)| len983131

k=m+1

|x|k

kle

2|x|m+1

(m + 1)fur alle n ge m + 1 (24)

Die rechte Seite ist eine Konstante K = K(xm) also unabhangig von n Da expm(x) ebenfalls nicht von n abhangt ist die Folgeexpn(x) beschrankt Fur x ge 0 ist sie monoton wachsend also konvergent nach Satz 2419 Fur x lt 0 kann man in gerade und ungerade

k aufspalten und dann wieder die Monotonie verwenden es gilt En(x) = E+n (x) + Eminus

n (x) mit

E+n (x) =

n983131

klen k gerade

xk

kE

minusn (x) =

n983131

klen k ungerade

xk

k

Die Eplusmnn (x) sind monoton wachsend bzw fallend konvergieren also wieder nach Satz 2419

Aus (24) erhalten wir noch mit n rarr infin fur m+ 1 ge 2|x| die Abschatzung

| exp(x)minus expm(x)| le 2|x|m+1

(m+ 1)fur m+ 1 ge 2|x| (25)

Mit m rarr infin geht die rechte Seite gegen Null nach (22)

Die Exponentialfunktion beschreibt das naturliche Wachstum Wir erlautern das am(weniger naturlichen) Beispiel der Zinseszinsrechnung Wird ein Euro fur ein Jahr mit einemZinssatz x isin R angelegt so betragt die Ausszahlung a1(x) = 1+ x Die Idee des Zinseszinsesist es den Zeitraum in kurzere Abschnitte zu unterteilen und den Zins anteilig pro Abschnittanzurechenen mit dem Effekt dass der schon angerechnete Teil des Zinses seinerseits Zinsenproduziert Zum Beispiel ergibt das bei monatlicher Verzinsung nach einem Monat 1 + x

12 nach zwei Monaten (1+ x

12)(1+x12) = (1+ x

12)2 und nach zwolf Monaten a12(x) = (1+ x

12)12

Allgemein ergibt sich nach einem Jahr bei Unterteilung in n Zeiteinheiten

an(x) =9830591 +

x

n

983060nfur x isin R n isin N (26)

Es stellt sich ganz naturlich die Frage nach einer kontinuierlichen Verzinsung also nach demGrenzwert n rarr infin

35

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 38: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Satz 2421 (naturliches Wachstum) Fur alle x isin R gilt

exp(x) = limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n

Beweis Mit der binomischen Formel siehe Satz 1611 folgt

an(x) =

n983131

k=0

983061n

k

983062xk

nk=

n983131

k=0

n

n

n minus 1

nmiddot middot

n minus k + 1

n983167 983166983165 983168=c(nk)

xk

k

Es gilt c(n k) rarr 1 mit n rarr infin also folgt fur festes m

limnrarrinfin

983059 m983131

k=0

c(n k)xk

k

983060=

m983131

k=0

xk

k= expm(x)

Zu ε gt 0 wahle m isin N so dass gilt

m + 1 ge 2|x| und4|x|(m+1)

(m + 1)lt

ε

2

Fur n ge m + 1 folgt wegen 0 lt c(n k) lt 1 mit (23) und (25)

|an(x) minus exp(x)| =983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x) +

n983131

k=m+1

c(n k)xk

k+ expm(x) minus exp(x)

983055983055983055

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +2|x|m+1

(m + 1+

2|x|m+1

(m + 1)

le983055983055983055

m983131

k=0

c(n k)xk

kminus expm(x)

983055983055983055 +ε

2

Jetzt wahle n so groszlig dass der erste Term kleiner ε2 ist

Definition 2422 (Eulersche Zahl) Die Eulersche Zahl ist

e = exp(1) =

infin983131

k=0

1

k= lim

nrarrinfin

9830591 +

1

n

983060nasymp 2 71828

Jahrliche Verzinsung von 1 Euro mit Zinssatz Eins ergibt nach einem Jahr 2 Euro kontinu-ierliche Verzinsung dagegen e asymp 2 71828 Euro Betrachten wir allgemeiner eine Laufzeitvon x Jahren wieder mit Zinssatz Eins so ergibt sich bei kontinuierlicher Verzinsung geradeder Grenzwert

limnrarrinfin

9830591 +

x

n

983060n= exp(x)

Legt man dieses Geld weiter fur y Jahre an wieder mit Zinssatz Eins so ist der Kontostanddann exp(x) exp(y) Andererseits hatte man das Geld genausogut direkt fur x + y Jahreanlegen konnen dann bekommt man exp(x+ y) Es sollte also gelten

exp(x+ y) = exp(x) exp(y) fur x y isin R

Diese Funktionalgleichung brauchen wir auch im Komplexen und verallgemeinern dazu dieDefinition der Exponentialfunktion aus Satz 2420 wie folgt

exp(z) =

infin983131

k=0

zk

kfur z isin C

Die Konvergenz (mit gleichen Abschatzungen) folgt wie im reellen Fall siehe Satz 2420

36

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 39: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Satz 2423 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion) Es gilt

exp(z + w) = exp(z) exp(w) fur alle z w isin CBeweis Die Binomische Formel siehe Satz 1611 ergibt

(z + w)n

n=

1

n

n983131

k=0

n

k(n minus k)zkw

nminusk=

983131

k+ℓ=n

zk

k

wℓ

Wir schatzen nun wie folgt ab

| exp2n(z) exp2n(w) minus exp2n(z + w)| =

983055983055983055983055983055983055

983131

kℓle2n

zk

k

wℓ

ℓminus

983131

k+ℓle2n

zk

k

wℓ

983055983055983055983055983055983055

le983131

kℓle2nmax(kl)gtn

|z|k

k

|w|ℓ

= exp2n(|z|) exp2n(|w|) minus expn(|z|) expn(|w|)

Die rechte Seite geht mit n rarr infin gegen Null nach Satz 2420 und die Behauptung folgt

Wir stellen jetzt den Anschluss her an die Exponentialfunktion aus der Schule und zeigen

exp(r) = er fur alle r isin Q (27)

Durch Induktion erhalten wir sofort exp(nx) = exp(x)n fur n isin N Weiter giltexp(x) exp(minusx) = exp(0) = 1 Daraus folgt fur k isin Zminus

exp(kx) = exp(minus(minuskx)) =1

exp(minuskx)=

1

exp(x)minusk= exp(x)k

Schlieszliglich gilt fur r = pq mit p isin Z q isin N

(exp(rx))q = exp(q middot rx) = exp(px) = exp(x)p

alsoexp(rx) = exp(x)

pq = exp(x)r fur alle r isin Q

Mit x = 1 folgt insbesondere exp(r) = er fur r isin Q Fur rationale x kann exp(x) als Potenzdefiniert werden Fur irrationale x ist das nicht moglich Die Notation ex statt exp(x) istaber durchaus ublich einfach weil sie sehr suggestiv ist

Hier eine weitere Anwendung des Konvergenzkriteriums der Monotonie und BeschranktheitSatz 2419

Beispiel 2424 (Dezimalbruche) Jede Dezimalbruchfolge an = k0 k1k2 kn mit k0 isin Z undkj isin 0 1 9 konvergiert gegen eine gewisse reelle Zahl Denn die Folge an ist monotonwachsend und es gilt (geometrische Reihe)

an le k0 +

n983131

j=1

9 middot 10minusj le k0 + 1

das heiszligt an ist nach oben beschrankt Fur eine gegebene Zahl a isin R kann man die Zifferninduktiv bestimmmen durch k0 = maxk isin Z k le a und

kn = maxk isin Z anminus1 + k middot 10minusn le a

Es kann vorkommen dass zwei Dezimalbruche dieselbe reelle Zahl liefern ndash wann

37

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 40: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Wie gesagt ist der Vorteil des Kriteriums der Monotonie und Beschranktheit dass die Konver-genz ohne a priori Kenntnis des Grenzwerts gezeigt werden kann Das nachfolgende Kriteriumvon Augustin Louis Cauchy (1789ndash1857) ist von derselben Form braucht aber nicht die Mo-notonie Die Idee besteht darin die Glieder der Folge nicht mit dem unbekannten Grenzwertsondern untereinander zu vergleichen Aus Zeitgrunden verzichten wir auf den Beweis

Satz 2425 (Konvergenz von Cauchyfolgen) Sei an eine Cauchyfolge das heiszligt

Zu jedem ε gt 0 gibt es ein N isin R so dass |an minus am| lt ε fur alle nm gt N

Dann gibt es ein a isin R mit an rarr a mit n rarr infin

Beim Nachweis dieser Eigenschaft reicht es aus die Zahlen nm gt 0 mit n lt m zu betrachtendenn die Definition ist symmetrisch in n und m und fur n = m ist nichts zu tun

25 Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen

Wir ubertragen jetzt das Konzept des Grenzwerts auf Funktionen

Definition 251 (Grenzwert fur Funktionen) Die Funktion f D rarr R wobei D sub Rkonvergiert fur x rarr x0 gegen a isin R falls gilt

f(xn) rarr a fur jede Folge xn isin D mit xn rarr x0

Hier sind einige Bemerkungen angesagt

(1) Fur die Existenz und den Wert des Grenzwerts ist es egal ob f(x) im Punkt x0 definiertist bzw welchen Funktionswert die Funktion dort hat

(2) Der Begriff ist nur sinnvoll wenn es uberhaupt eine solche Folge xn gibt

(3) Beim rechtsseitigen (linksseitigen) Grenzwert betrachtet man nur Folgen xn rarr x0 mitxn gt 0 (bzw xn lt 0) Notation limxx0 f(x) bzw limxx0 f(x)

(4) Die Definition gilt sinngemaszlig fur die Grenzwerte limxrarrinfin f(x) bzw limxrarrminusinfin f(x)

Beispiel 252 Die Funktion f R0 rarr R f(x) = sin 1x hat in x0 = 0 keinen rechtsseitigen

Grenzwert Denn es gilt fur n isin N

f

9830611

983062= sinnπ = 0 aber f

9830611

2nπ + π2

983062= sin(2nπ + π2) = 1

Fur die Funktion g(x) = x sin 1x ist dagegen limxrarr0 g(x) = 0 denn es gilt

|g(xn)| le |xn| rarr 0 fur xn rarr 0 xn ∕= 0

Beispiel 253 Die Signumfunktion

sign R rarr R sign(x) =

983099983105983103

983105983101

1 fur x gt 0

minus1 fur x lt 0

0 fur x = 0

hat die einseitigen Grenzwerte limx0 sign(x) = +1 und limx0 sign(x) = minus1 wahrend derGrenzwert limxrarr0 sign(x) nicht existiert

38

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 41: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Folgende Regeln ergeben sich aus den Aussagen fur Folgen siehe Satz 2410 und Satz 2413

Satz 254 (Rechenregeln fur Grenzwerte) Es gelten folgende Aussagen

(1) Aus f(x) rarr a g(x) rarr b fur x rarr x0 wobei a b isin R und x0 isin R cup plusmninfin folgt

αf(x) + βg(x) rarr αa+ βb (αβ isin R)f(x)g(x) rarr ab

f(x)g(x) rarr ab falls b ∕= 0

(2) Sei f(x) le g(x) le h(x) nahe bei x0 Falls f(x) h(x) rarr a mit x rarr x0 so folgt auchlimxrarrx0 g(x) = a

Definition 255 (Stetigkeit) Die Funktion f D rarr R heiszligt stetig in x0 isin D falls gilt

limxrarrx0

f(x) = f(x0)

Unsere Definition beruft sich auf den Konvergenzbegriff fur Folgen Viele Bucher verwen-den eine Formulierung die nicht auf Folgen zuruckgreift die sogenannte ε-δ-Definition derStetigkeit fur alle ε gt 0 gibt es ein δ gt 0 so dass gilt

x isin D |xminus x0| lt δ rArr |f(x)minus f(x0)| lt ε

Die beiden Formulierungen sind aber aquivalent und unsere Definition der Konvergenz furFolgen war ja nach demselben Muster gebaut Die Regeln ur Grenzwerte implizieren direktfolgende Regeln zur Bildung stetiger Funktionen

Satz 256 (Stetigkeitsregeln) Seien f g D rarr R stetig in x0 isin D Dann gilt

(1) Fur beliebige αβ isin R ist die Funktion αf + βg stetig in x0

(2) Die Funktion fg ist stetig in x0

(3) Ist g(x0) ∕= 0 so ist die Funktion fg D cap Uδ(x0) rarr R fur δ gt 0 hinreichend kleindefiniert und stetig in x0

In (3) muss man auf eine Umgebung Uδ(x0) gehen da sonst g(x) Nullstellen haben kann

Beispiel 257 Konstante Funktionen f(x) = c sind stetig auf R denn fur sie ist

xn rarr x0 rArr f(xn) = c = f(x0)

Beispiel 258 Die Funktion f(x) = x ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr f(xn) = xn rarr x0 = f(x0)

Beispiel 259 Betrachte fur Polynome p(x) und q(x) die rationale Funktion

f RNq rarr R f(x) =p(x)

q(x)wobei Nq = x isin R|q(x) = 0

39

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 42: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Mit den vorangehenden Beispielen und Satz 256 folgt dass f(x) stetig ist auf RNq Seinun λ isin Nq m-fache Nullstelle von q(x) und k-fache Nullstelle von p(x) (mit k = 0 im Fallp(x) ∕= 0) Dann gibt es Polynome p1(x) und q1(x) mit p1(λ) q1(λ) ∕= 0 so dass gilt

f(x) = (xminus λ)kminusm p1(x)

q1(x)= f1(x) fur alle x isin RNq

Im Fall k ge m ist f1 RNq1 rarr R stetig im Punkt λ mit Funktionswert

f1(λ) =

983083p1(x)q1(x)

falls k = m

0 falls k gt m

Damit ist f1 stetige Fortsetzung von f auf RNq cup λ Dies erklart die Bezeichnung hebbareSingularitat aus Kapitel 22 Im Fall k lt m kann es keine stetige Fortsetzung geben daf(xn) rarr plusmninfin fur jede Folge xn rarr x0

Beispiel 2510 Die charakteristische Funktion von Q (oder Dirichlet-Funktion)

χQ(x) =

9830831 fur x isin Q

0 sonst

ist nirgends stetig denn Q und RQ sind beide dicht in R (vgl Kapitel 12) Ist zum Beispielx0 isin RQ so gibt es eine Folge xn isin Q mit xn rarr x0 also limnrarrinfin χQ(xn) = 1 ∕= 0 = χQ(x0)

Satz 2511 (Verkettung stetiger Funktionen) Seien f D rarr R g E rarr R mit f(D) subE sub R Ist f stetig in x0 und g stetig in y0 = f(x0) so ist g f D rarr R stetig in x0

Beweis Ist xn isin D eine beliebige Folge mit limnrarrinfin xn = x0 so folgt f(xn) rarr f(x0) ausder Stetigkeit von f in x0 und weiter g(f(xn)) rarr g(f(x0)) wegen der Stetigkeit von g iny0 = f(x0)

Beispiel 2512 Die Betragsfunktion ist stetig auf R denn es gilt

xn rarr x0 rArr983055983055|xn|minus |x0|

983055983055 le983055983055xn minus x0

983055983055 rarr 0

Ist f D rarr R stetig so auch |f | D rarr R

Satz 2513 (Intervallschachtelungsprinzip) Seien In = [an bn] Intervalle mit I1 sup I2 sup und bn minus an rarr 0 mit n rarr infin Dann gibt es genau ein x isin R mit x isin In fur alle n isin N undzwar gilt x = limnrarrinfin an = limnrarrinfin bn

Beweis Ubungsaufgabe

Satz 2514 (Zwischenwertsatz) Sei f [a b] rarr R stetig Dann gibt es zu jedem y0 zwischenf(a) und f(b) ein x0 isin [a b] mit f(x0) = y0

Bemerkung Die Gleichung f(x) = y0 kann mehrere Losungen in [a b] besitzen das heiszligt x0ist im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt

40

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

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Page 43: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Beweis Wir konnen annehmen dass y0 = 0 sonst betrachte f(x)minus y0 Setze [a0 b0] = [a b]und konstruiere eine Intervallschachtelung [an bn] so dass f(an) und f(bn) nicht dasselbeVorzeichen haben also f(an)f(bn) le 0 Nun hat f(an+bn

2 ) hochstens mit einer der der Zahlenf(an) und f(bn) gleiches Vorzeichen also konnen wir als Folgeintervall eines der Intervalle[an

an+bn2 ] oder [an+bn

2 bn] wahlen Der durch die Intervallschachtelung definierte Punkt x isin[a b] ist eine Nullstelle denn f(x)2 = limnrarrinfin f(an)f(bn) le 0

Satz 2515 (Monotonie und Umkehrfunktion) Sei f I = [a b] rarr R streng monotonwachsend und stetig Dann gilt

(1) f(I) = [f(a) f(b)]

(2) Die Umkehrfunktion g [f(a) f(b)] rarr R ist streng monoton wachsend und stetig

Beweis Aus der Monotonie folgt f(I) sub [f(a) f(b)] Gleichheit liefert der Zwischenwertsatz Ware g nicht streng monoton wachsend sogibt es y1 y2 isin f(I) mit y1 lt y2 aber g(y2) le g(y1) Aus der Monotonie von f folgt aber

y2 = f983043g(y2)

983044le f

983043g(y1)

983044= y1 Widerspruch

Wir zeigen die linksseitige Stetigkeit von g in einem Punkt y0 isin (f(a) f(b)] also y0 = f(x0) mit x0 isin (a b] Da f streng monoton istgilt f(x0 minus ε) lt y0 fur alle ε gt 0 mit x0 minus ε ge a Fur jede Folge yn rarr y0 yn lt y0 gibt es dann ein N isin R mit

f(x0 minus ε) lt yn lt y0 fur n gt N

Da g streng monoton folgt weiterg(y0) minus ε = x0 minus ε lt g(yn) lt g(y0) fur n gt N

Also gilt limyy0g(y) = g(yn) Die rechtsseitige Stetigkeit folgt analog

Der Satz gilt sinngemaszlig auch auf offenen oder halboffenen Intervallen

Beispiel 2516 (Definition des naturlichen Logarithmus) exp (minusinfininfin) rarr (0infin) ist strengmonoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limxrarrminusinfin

exp(x) = 0 und limxrarrinfin

exp(x) = infin (28)

Die Umkehrfunktion ln (0infin) rarr (minusinfininfin) heiszligt (naturlicher) Logarithmus Die Funktionist ebenfalls streng monoton wachsend stetig und bijektiv und es gilt

limy0

ln(y) = minusinfin und limyrarrinfin

ln(y) = infin (29)

Weiter ist ln(1) = 0 und ln(e) = 1 und ln erfullt die Funktionalgleichung

ln(y1y2) = ln(y1) + ln(y2) fur alle y1 y2 gt 0 (210)

Definition 2517 (Potenz mit reellen Exponenten) Fur a gt 0 x isin R definieren wir

ax = exp (x ln(a))

41

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 44: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Kapitel 3

Differentialrechnung fur Funktioneneiner Variablen

31 Die Ableitung Definition und Regeln

Im diesem Abschnitt betrachten wir reellwertige Funktionen einer Variablen die auf einemoffenen Intervall I sub R definiert sind

Definition 311 (Ableitung) Die Funktion f I rarr R hat im Punkt x0 isin I die Ableitunga isin R (Notation f prime(x0) = a oder df

dx(x0) = a) falls gilt

limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0= a (31)

Wir nennen f differenzierbar in x0 falls es ein a isin Rn mit (31) gibt falls also der in (31)betrachtete Grenzwert existiert

Eine alternative Formulierung ergibt sich durch die Substitution x = x0 + h

f prime(x0) = a hArr limhrarr0

f(x0 + h)minus f(x0)

h= a

Leibniz interessierte sich fur die Definition der Ableitung im Zusammenhang mit dem Pro-blem die Tangente an eine ebene Kurve in einem gegebenen Punkt zu definieren Nehmenwir dazu an dass die Kurve als Graph einer Funktion f I rarr R gegeben ist und dass dieTangente im Punkt (x0 f(x0)) gesucht ist Der Differenzenquotient

f(x)minus f(x0)

xminus x0(x0 x isin I x ∕= x0)

ist geometrisch die Steigung der Sekante durch die Punkte (x0 f(x0)) und (x f(x)) DieExistenz der Ableitung bedeutet dass die Sekantensteigungen fur x rarr x0 gegen den Wertf prime(x0) konvergieren Die Tangente wird nun definiert als die Gerade die durch den Punkt(x0 f(x0)) geht und die Steigung f prime(x0) hat Daraus ergibt sich ihre Gleichung

y = f(x0) + f prime(x0)(xminus x0) fur alle x isin R

Newton entwickelte den Differentialkalkul (Englisch Calculus) unter anderem um die Kepler-schen Gesetze fur die Planetenbewegung zu begrunden genauer konnte er diese Gesetze alle

42

aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

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aus dem Gravitationsgesetz ableiten Dazu wird die Bewegung eines Planeten durch seinenOrtsvektor

983187f I rarr R3 983187f(t) =

983091

983107x(t)y(t)z(t)

983092

983108

beschrieben also durch dessen Koordinaten zur Zeit t isin I bezuglich eines Euklidischen Koor-dinatensystems Erstes Ziel ist dann die Definition der Momentangeschwindigkeit als Vektorin R3 Die vektorielle Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Zeitintervall [t0 t] ist der Quo-tient von Weg und Zeit also gleich

983187f(t)minus 983187f(t0)

tminus t0isin R3

Die Momentangeschwindigkeit 983187v(t0) zum Zeitpunkt t = t0 ist deshalb als vektorielle Ableitungzu definieren wobei Newton einen Punkt statt eines Strichs benutzt hat

983187v(t0) = 983187f prime(t0) =

983091

983107xprime(t0)yprime(t0)zprime(t0)

983092

983108 isin R3

Definition 312 (Ableitungsfunktion) Die Funktion f I rarr R heiszligt differenzierbar fallsf in jedem x0 isin I differenzierbar ist Die hierdurch gegebene Funktion

f prime I rarr R x0 983041rarr f prime(x0) = limxrarrx0

f(x)minus f(x0)

xminus x0

heiszligt Ableitungsfunktion oder schlicht Ableitung von f

Beispiel 313 Fur eine konstante Funktion f(x) = c gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

cminus c

xminus x0= 0 rArr f prime(x0) = 0 bzw f prime = 0

Beispiel 314 Fur f R rarr R f(x) = x gilt

f(x)minus f(x0)

xminus x0=

xminus x0xminus x0

= 1 fur alle x ∕= x0

also folgt f prime(x0) = 1 bzw f prime = 1

Beispiel 315 Die Funktion f R rarr R f(x) = |x| ist nicht differenzierbar in x0 = 0

limx0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

x

x= 1 und lim

x0

f(x)minus f(0)

xminus 0= lim

x0

minusx

x= minus1

Die rechts- und linksseitige Ableitung existieren in x0 = 0 sie sind aber verschieden

Beispiel 316 Fur die Funktion exp R rarr R gilt expprime = exp Wir verwenden dazu dieAbschatzung (25) im Fall m = 1

| exp(x)minus (1 + x)| le |x|2 fur |x| le 1

43

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

46

Page 46: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Es folgt

983055983055983055983055exp(x)minus exp(0)

xminus 0minus 1

983055983055983055983055 =| exp(x)minus (1 + x)|

|x| le |x| rarr 0 mit x rarr 0

Also ist expprime(0) = 1 Fur x ∕= 0 schlieszligen wir weiter mit der Funktionalgleichung

exp(x+ h)minus exp(x)

h= exp(x)

exp(h)minus exp(0)

hrarr exp(x) mit h rarr 0

Aus Differenzierbarkeit folgt Stetigkeit (aber nicht umgekehrt)

Satz 317 Ist f I rarr R differenzierbar in x0 isin I so ist f auch stetig in x0

Beweis Es gilt mit x rarr x0

f(x) = f(x0) +f(x)minus f(x0)

xminus x0(xminus x0) rarr f(x0) + f prime(x0) middot 0 = f(x0)

Satz 318 (Differentiationsregeln) Seien f g I rarr R differenzierbar in x0 isin I Dann sindauch die Funktionen αf+βg (αβ isin R) fg und fg (im Fall g(x0) ∕= 0) in x0 differenzierbarmit folgenden Ableitungen

(1) Linearitat

(αf + βg)prime(x0) = αf prime(x0) + βgprime(x0)

(2) Produktregel

(fg)prime(x0) = f prime(x0)g(x0) + f(x0)gprime(x0)

(3) Quotientenregel983059fg

983060prime(x0) =

f prime(x0)g(x0)minus f(x0)gprime(x0)

g(x0)2

Beweis Wir mussen jeweils fur x ∕= x0 die Differenzenquotienten bilden und zeigen dass diese mit x rarr x0 gegen das gewunschtekonvergieren Fur (1) haben wir

(αf(x) + βg(x)) minus (αf(x0) + βg(x0))

x minus x0

= αf(x) minus f(x0)

x minus x0

+ βg(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr αfprime(x0) + βg

prime(x0)

Die Produktregel folgt durchrdquoMischen der Termeldquo

f(x)g(x) minus f(x0)g(x0)

x minus x0

=f(x) minus f(x0)

x minus x0

g(x) + f(x0)g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr fprime(x0)g(x0) + f(x0)g

prime(x0)

wobei die Stetigkeit von g in x0 benutzt wurde (Satz 317) Fur die Quotientenregel reicht es die Funktion 1g zu betrachten also f equiv 1

1

x minus x0

9830751

g(x)minus

1

g(x0)

983076= minus

1

g(x)g(x0)

g(x) minus g(x0)

x minus x0

rarr minusgprime(x0)

g(x0)2

44

Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

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Beispiel 319 Fur fn(x) = xn folgt aus Beispiel 314 also f prime1 = 1 und der Produktregel

f primen(x) = (f1fnminus1)

prime(x) = f prime1(x)fnminus1(x) + f1(x)f

primenminus1(x) = xnminus1 + x f prime

nminus1(x)

und damit per Induktion f primen(x) = nxnminus1 Allgemeiner ergibt sich mit Satz 318(1) fur Poly-

nome p(x) =983123n

k=0 akxk die Formel

pprime(x) =n983131

k=1

kakxkminus1 =

nminus1983131

j=0

(j + 1)aj+1xj

Beispiel 3110 Fur f(x) = xminusn n isin N gilt f prime(x) = minusnxminusnminus1 nach der Quotientenregel

f prime(x) = minusnxnminus1

(xn)2= minusnxminusnminus1

Satz 3111 (Kettenregel) Seien f I rarr R g J rarr R mit f(I) sub J Ist f in x0 sowie g iny0 = f(x0) differenzierbar so ist auch g f I rarr R in x0 differenzierbar und

(g f)prime(x0) = gprime983043f(x0)

983044f prime(x0)

Beweis Wir betrachten fur x ∕= x0 den Differenzenquotienten

g(f(x))minus g(f(x0))

xminus x0=

g(f(x))minus g(f(x0))

f(x)minus f(x0)middot f(x)minus f(x0)

xminus x0rarr gprime

983043f(x0)

983044middot f prime(x0)

Hier haben wir benutzt dass f(x) rarr f(x0) mit x rarr x0 nach Satz 317 Ein technischesProblem gibt es wenn f(x) = f(x0) fur x nahe x0 aber das wollen wir hier nicht behandeln

Satz 3112 (Ableitung der Umkehrfunktion) Die Funktion f (a b) rarr R sei streng mono-ton und stetig Ist f prime(x0) ∕= 0 so ist die Umkehrfunktion g = fminus1 differenzierbar in y0 = f(x0)mit Ableitung

gprime(y0) =1

f prime983043g(y0)

983044

Beweis g existiert und ist stetig nach Satz 2515 Wir berechnen fur y rarr y0 also g(y) rarrg(y0)

g(y)minus g(y0)

y minus y0=

g(y)minus g(y0)

f(g(y))minus f(g(y0))=

1

f(g(y))minus f(g(y0))

g(y)minus g(y0)

rarr 1

f prime(x0)

Die Formel fur die Ableitung folgt auch aus der Kettenregel

f(g(y)) = y rArr f prime(g(y0))gprime(y0) = 1

Wir sehen damit die Umkehrfunktion im Punkt y0 = f(x0) differenzierbar ist mussf prime(x0) ∕= 0 gelten Zum Beispiel kann die Umkehrfunktion von f R rarr R f(x) = x3 imNullpunkt nicht differenzierbar sein

45

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

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Page 48: M A T H E M A T I K I - aam.uni-freiburg.de · 1.3 Aussagen in der Mathematik Im Grunde besteht die Arbeit eines Mathematikers darin, aus einigen fundamentalen Aussa- gen, welche

Die beiden vorangegangenen Regeln sind in der von Leibniz eingefuhrten Notation be-sonders suggestiv Leibniz schreibt Funktionen in der Form y = y(x) und bezeichnet dieAbleitung mit dem Symbol dy

dx das auch als Differentialquotient bezeichnet wird Formalergeben sich die Kettenregel und die Regel fur die Ableitung der Umkehrfunktion dann ausder Bruchrechnung

y = y(x) z = z(y) rArr dz

dx=

dz

dy

dy

dx

y = y(x) x = x(y) rArr dx

dy=

983059dydx

983060minus1

Bei der Anwendung dieser saloppen Notation ist jedoch darauf zu achten an welchen Stellendie jeweiligen Funktionen auszuwerten sind

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