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© 2013 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Therapeutische Umschau 2013; 70 (4): DOI 10.1024/0040-5930/a000391 Übersichtsarbeit 205 Nur wenige Vorsorgeuntersuchungen sind so umfassend in randomisiert-kon- trollierten Studien (RCTs) untersucht worden wie das Screening auf Brustkrebs mit Hilfe der Mammografie. Es liegen derzeit acht große randomisiert-kontrol- lierte Studien und mehrere Meta-Analysen vor. Letztere kommen mehrheitlich zum Schluss, dass sich die Brustkrebssterblichkeit durch Mammografie-Screening um etwa 20 % senken lässt. Dies bedeutet im Schweizer Kontext, dass etwa 1 von 1'000 Frauen weniger an Brustkrebs stirbt, wenn Frauen ab dem 50. Lebensjahr zehn Jahre lang gescreent werden. Andererseits führt das Screening auch zu Überdiagnosen und Übertherapien. So nimmt die Zahl der Brustkrebsdiagnosen um etwa 20 % zu, was zu einer entsprechenden Zunahme an chirurgischen Ein- griffen, Strahlen- und Chemotherapien führt. Über zehn Jahre gerechnet, erhal- ten etwa 4 von 1'000 Frauen eine Brustkrebsdiagnose, die sie ohne Screening nicht erhalten hätten. Etwa 200 von 1'000 Frauen sind im Verlaufe von zehn Jahren (fünf Screening-Runden) mit abklärungsbedürftigen Befunden konfron- tiert, wobei es sich dabei mehrheitlich um falsch positive Befunde handelt. Gleichzeitig werden auch mit einem Screening-Programm 20 bis 30 % der Brust- krebse nicht im Screening erfasst. Die Information der Bevölkerung bezüglich des Mammografie-Screenings ist derzeit noch mangelhaft. Dies führt dazu, dass der mögliche Nutzen von den betroffenen Frauen überschätzt und der Schaden unterschätzt wird. Die Aufklärung der Bevölkerung im Hinblick auf Nutzen und Risiken des Mammografie-Screenings muss daher verbessert werden, denn Frau- en haben einen Anspruch auf evidenzbasierte Informationen und eine „infor- mierte Entscheidung“. Im vorliegenden Artikel wird der Nut- zen des Brustkrebs-Screenings den kritischen Aspekten dieses Screenings gegenübergestellt. Zur vertieften Infor- mation wird auf die vorhandenen Über- sichtsarbeiten hingewiesen (Tab. 1), ins- besondere auf solche neueren Datums sowie den kürzlich publizierten Bericht aus Großbritannien (UK-Review) [1]. Hintergrund Brustkrebs ist in der Schweiz wie in Deutschland die häufigste Krebsdia- gnose bei Frauen. Die Brustkrebsinzi- denz ist stark altersabhängig. Das Ri- siko für eine Brustkrebsdiagnose in den nächsten zehn Jahren nimmt von 3/1'000 im Alter von 30 bis 39 Jahren auf 20 – 30/1'000 im Alter von 60 bis 69 Jahren zu. Ab einem Alter von etwa 80 Jahren sinkt das Risiko wieder leicht ab. In der Schweiz werden jährlich etwa 5'000 Brustkrebsdiagnosen gestellt, ca. 1'300 Frauen sterben an Brustkrebs. Rund ein Fünftel aller krebsbedingten Todesfälle bei Frauen sind auf Brust- krebs zurückzuführen. In der Schweiz ist der Brustkrebs für rund 11 % der potentiell verlorenen Lebensjahre (potential years of life lost, PYLL) bei Frauen vor dem 70. Lebensjahr ver- antwortlich [2]. In den westeuropäischen und nord- amerikanischen Ländern hat die al- tersstandardisierte Brustkrebsmortali- tät in den letzten 20 Jahren deutlich abgenommen, was teilweise durch die Einführung verbesserter Therapien und teilweise durch das Mammografie- Screening erklärt wird [3, 4]. Dieser abnehmede Trend ist auch in der Schweiz festzustellen [5]. Testeigenschaften der Mammografie Die Mammographie ist ein radiolo- gisches Verfahren, das vor allem zur Brustkrebs-Diagnostik eingesetzt wird. Die durchschnittliche Sensitivität die- ses Testverfahrens liegt bei etwa 80 %. Eine schlechtere Sensitivität wird bei dichtem Brustgewebe erreicht, wie es bei jüngeren Frauen und bei der Be- handlung mit Sexualhormonen vor- kommt. Die Spezifität liegt bei min- destens 90 %. Trotz der recht guten Testeigenschaften liegen die positiv prädiktiven Werte (positive predictive value, PPV) nur zwischen etwa 5 % und 15 %. Das heißt, dass nur bei 5 – 15 von je 100 Frauen mit einem abklä- rungsbedürftigen Befund letztlich auch ein Brustkrebs diagnostiziert wird. Dies liegt an der niedrigen Präva- lenz von Brustkrebs bei Reihenunter- suchungen. Im Rahmen eines erstmali- gen Screenings wird bei etwa acht von 1'000 Frauen in der Altersgruppe zwi- schen 50 und 69 Jahren eine Brust- krebsdiagnose gestellt, bei weiteren Screening-Untersuchungen sind es dann etwa fünf von 1'000 Frauen [6]. Randomisiert-kontrollierte Studien und Meta-Analysen Nur wenige präventive Maßnahmen sind so umfassend in großen rando- misiert-kontrollierten Studien (RCTs) untersucht worden wie das Mammo- grafie-Screening. Es gibt hierzu acht RCTs, in die Untersuchungen an mehr als 600'000 Frauen einflossen. Diese Studien wurden in den 1960er- bis 1980er-Jahren begonnen und umfassen durchschnittliche Beobachtungszeiten von etwa zehn Jahren. Mittlerweile gibt es mehrere Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen zur Wirksamkeit der Mammografie im Hinblick auf die Senkung der Brustkrebssterblichkeit Institut für Sozial-und Präventivmedizin, Universität Bern Marcel Zwahlen, Matthias Egger Mammografie-Screening

Mammografie-Screening

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Page 1: Mammografie-Screening

© 2013 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Therapeutische Umschau 2013; 70 (4): DOI 10.1024/0040-5930/a000391

Übersichtsarbeit 205

Nur wenige Vorsorgeuntersuchungen sind so umfassend in randomisiert-kon-

trollierten Studien (RCTs) untersucht worden wie das Screening auf Brustkrebs

mit Hilfe der Mammografie. Es liegen derzeit acht große randomisiert-kontrol-

lierte Studien und mehrere Meta-Analysen vor. Letztere kommen mehrheitlich

zum Schluss, dass sich die Brustkrebssterblichkeit durch Mammografie-Screen ing

um etwa 20 % senken lässt. Dies bedeutet im Schweizer Kontext, dass etwa 1 von

1'000 Frauen weniger an Brustkrebs stirbt, wenn Frauen ab dem 50. Lebensjahr

zehn Jahre lang gescreent werden. Andererseits führt das Screening auch zu

Überdiagnosen und Übertherapien. So nimmt die Zahl der Brustkrebsdiagnosen

um etwa 20 % zu, was zu einer entsprechenden Zunahme an chirurgischen Ein-

griffen, Strahlen- und Chemotherapien führt. Über zehn Jahre gerechnet, erhal-

ten etwa 4 von 1'000 Frauen eine Brustkrebsdiagnose, die sie ohne Screening

nicht erhalten hätten. Etwa 200 von 1'000 Frauen sind im Verlaufe von zehn

Jahren (fünf Screening-Runden) mit abklärungsbedürftigen Befunden konfron-

tiert, wobei es sich dabei mehrheitlich um falsch positive Befunde handelt.

Gleichzeitig werden auch mit einem Screening-Programm 20 bis 30 % der Brust-

krebse nicht im Screening erfasst. Die Information der Bevölkerung bezüglich

des Mammografie-Screenings ist derzeit noch mangelhaft. Dies führt dazu, dass

der mögliche Nutzen von den betroffenen Frauen überschätzt und der Schaden

unterschätzt wird. Die Aufklärung der Bevölkerung im Hinblick auf Nutzen und

Risiken des Mammografie-Screenings muss daher verbessert werden, denn Frau-

en haben einen Anspruch auf evidenzbasierte Informationen und eine „infor-

mierte Entscheidung“.

Im vorliegenden Artikel wird der Nut-zen des Brustkrebs-Screenings den kritischen Aspekten dieses Screenings gegenübergestellt. Zur vertieften Infor-mation wird auf die vorhandenen Über-sichtsarbeiten hingewiesen (Tab. 1), ins-besondere auf solche neueren Datums sowie den kürzlich publizierten Bericht aus Großbritannien (UK-Review) [1].

Hintergrund

Brustkrebs ist in der Schweiz wie in Deutschland die häufigste Krebsdia-gnose bei Frauen. Die Brustkrebsinzi-denz ist stark altersabhängig. Das Ri-siko für eine Brustkrebsdiagnose in den nächsten zehn Jahren nimmt von 3/1'000 im Alter von 30 bis 39 Jahren auf 20 – 30/1'000 im Alter von 60 bis 69 Jahren zu. Ab einem Alter von etwa

80 Jahren sinkt das Risiko wieder leicht ab. In der Schweiz werden jährlich etwa 5'000 Brustkrebsdiagnosen gestellt, ca. 1'300 Frauen sterben an Brustkrebs. Rund ein Fünftel aller krebsbedingten Todesfälle bei Frauen sind auf Brust-krebs zurückzuführen. In der Schweiz ist der Brustkrebs für rund 11 % der potentiell verlorenen Lebensjahre (potential years of life lost, PYLL) bei Frauen vor dem 70. Lebensjahr ver-antwortlich [2].In den westeuropäischen und nord-amerikanischen Ländern hat die al-tersstandardisierte Brustkrebsmortali-tät in den letzten 20 Jahren deutlich abgenommen, was teilweise durch die Einführung verbesserter Therapien und teilweise durch das Mammografie-Screening erklärt wird [3, 4]. Dieser abnehmede Trend ist auch in der Schweiz festzustellen [5].

Testeigenschaften der Mammografie

Die Mammographie ist ein radiolo-gisches Verfahren, das vor allem zur Brustkrebs-Diagnostik eingesetzt wird. Die durchschnittliche Sensitivität die-ses Testverfahrens liegt bei etwa 80 %. Eine schlechtere Sensitivität wird bei dichtem Brustgewebe erreicht, wie es bei jüngeren Frauen und bei der Be-handlung mit Sexualhormonen vor-kommt. Die Spezifität liegt bei min-destens 90 %. Trotz der recht guten Testeigenschaften liegen die positiv prädiktiven Werte (positive predictive value, PPV) nur zwischen etwa 5 % und 15 %. Das heißt, dass nur bei 5 – 15 von je 100 Frauen mit einem abklä-rungsbedürftigen Befund letztlich auch ein Brustkrebs diagnostiziert wird. Dies liegt an der niedrigen Präva-lenz von Brustkrebs bei Reihenunter-suchungen. Im Rahmen eines erstmali-gen Screenings wird bei etwa acht von 1'000 Frauen in der Altersgruppe zwi-schen 50 und 69 Jahren eine Brust-krebsdiagnose gestellt, bei weiteren Screening-Untersuchungen sind es dann etwa fünf von 1'000 Frauen [6].

Randomisiert-kontrollierte Studien und Meta-Analysen

Nur wenige präventive Maßnahmen sind so umfassend in großen rando-misiert-kontrollierten Studien (RCTs) untersucht worden wie das Mammo-grafie-Screening. Es gibt hierzu acht RCTs, in die Untersuchungen an mehr als 600'000 Frauen einflossen. Diese Studien wurden in den 1960er- bis 1980er-Jahren begonnen und umfassen durchschnittliche Beobachtungszeiten von etwa zehn Jahren. Mittlerweile gibt es mehrere Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen zur Wirksamkeit der Mammografie im Hinblick auf die Senkung der Brustkrebssterblichkeit

Institut für Sozial-und Präventivmedizin, Universität Bern

Marcel Zwahlen, Matthias Egger

Mammografie-Screening