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MaoTse Tung Theorie Des Guerillakrieges

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ZU DIESEM BUCH

  Die militärischen Schriften Mao Tse-tungs, von denen die drei umfang-reichsten hier in vollständigem deutschem Text (mit den Anmerkungen der aus dem Englischen übersetzten Originalausgabe) vorgelegt werden, gehö-ren zu den Schlüsselbüchern des Jahrhunderts. Ob in Vietnam jetzt, vorher in Algerien, Kuba oder eben in China: der Krieg hat sich verändert. Eineneue Art Krieg die letzte mögliche Art, Krieg zu führen? hat sich entwickelt:der Guerillakrieg. Sein Theoretiker, der Clausewitz unserer Zeit, heißt MaoTse-tung. Wo immer Guerilla-Armeen kämpften, siegten sie und zwar gegeneinen übermächtigen, hochentwickelten, waffenstarken Feind. Denn die alte~ europäische Strategie versagt, wo nach Maos Taktik gekämpft wird, wo

  Armee und Bevölkerung identisch sind, wo «die Guerillas in der Volks-masse schwimmen wie die Fische im Wasser», wo «die Mobilisierung des

  gemeinen Mannes im ganzen Land ein riesiges Meer schafft, in dem der  Feind ertrinkt».  In einem großen militär-philosophischen Aufsatz unternimmt Sebastian Haffner es, die historische Entstehung dieser «neuen Art Krieg» und seiner 

Theorie zu interpretieren, den Leichtsinn und Unverstand Europas und  Amerikas zu charakterisieren, mit dem dieses Neue nicht zur Kenntnis ge-nommen wurde und der Amerika in den bisher kostspieligsten und verlust-reichsten Krieg seiner Geschichte hineintrieb, vor dem selbst John F. Ken-nedy und General MacArthur warnten. Haffner schreibt: «Man kann einenVolkswiderstand, bei dem Soldat und Zivilist, Freund und Feind nicht mehr 

  zu unterscheiden sind, nicht mit Flächenbombardements niederschlagen;man facht ihn eher damit an. Man kann keine Kriegsindustrie zerschlagen,

wenn keine existiert und der Waffennachschub für die Revolutionäre ausden Arsenalen des Feindes stammt; und man kann ein Land nicht vernich-ten, das man doch schließlich selber direkt oder indirekt beherrschen will,

 für die Amerikaner in Vietnam zum Beispiel wird die Endalternative wahr-  scheinlich sein, das Land, da sie es nicht <amerikanisieren> können, zuräumen oder es atomar zu vernichten. Das zweite freilich wäre für sie die

 schwerere, nie wiedergutzumachende Niederlage.»  Literatur: In der Reihe «rowohlts monographien» erschien als Band 141

eine Darstellung Mao Tse-tungs in Selbstzeugnissen und 70 Bilddokumen-ten von Tilemann Grimm, die eine ausführliche Bibliographie enthält.

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Mao Tse-tung

Theorie des Guerillakriegesoder 

Strategieder Dritten Welt

Einleitender Essay vonSebastian Haffner  

Rowohlt

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rororo aktuell - Herausgegeben von Fritz J. Raddatz

DEUTSCHE ERSTAUSGABE

1.- 30. Tausend Juni 196631.- 40. Tausend Juli 196641.- 53. Tausend Dezember 196654.- 65. Tausend Oktober 1967

66.- 80. Tausend Mai 196881.- 91. Tausend Februar 1970

Scanned by Doc Gonzo

Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH,

 Reinbek bei Hamburg, Juni 1966  Aus dem Englischen übertragen von GERDA v. USLAR

nach der bei Foreign Languages Press, Peking, 1963erschienenen Ausgabe «Selected Military Writings»

Umschlagentwurf Werner Rebhuhnunter Verwendung zweier Fotos (Ullstein Bilderdienst, Keystone)

© Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 1966 

 Alle Rechte dieser Ausgabe, auch die des auszugsweisen Nachdrucks

und der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehaltenGesetzt aus der Linotype-Aldus-Buchschrift 

und der Palatino (D. Stempel AG)Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck/Schleswig 

 Printed in Germany ISBN 3 499 10886 0

Diese digitale

Version istFREEWARE

und nicht für denVerkauf bestimmt

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Inhalt

Sebastian Haffner: Der neue Krieg 6Strategie des chinesischen revolutionären Krieges 50Strategische Fragen im Guerillakrieg gegen Japan 150Über den verlängerten Krieg 198

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Sebastian Haffner 

Der neue Krieg

Die militärischen Schriften Mao Tse-tungs, von denen die drei um-fangreichsten hier im vollständigen Text deutsch vorgelegt werden,gehören zu den Schlüsselbüchern dieses Jahrhunderts. Sie sind dasWerk eines außerordentlichen Geistes, und jeder Leser spürt nachwenigen Seiten die eigentümlich elektrische Wirkung, die der direkte

Kontakt mit dem Genius unfehlbar hervorbringt. Und sie werfenLicht auf einen der wichtigsten und zugleich geheimnisvollsten Vor-gänge unserer Zeit: die eigentümliche Veränderung, die mit der Ein-richtung «Krieg» vor sich gegangen ist.Krieg in seiner herkömmlichen Form ist ja bekanntlich durch diewaffentechnische Entwicklung, und vielleicht nicht nur durch sie, alsMittel der Politik, mindestens für den Augenblick, unbrauchbar ge-

worden; zugleich aber ist eine neue Art Krieg aufgekommen von der herkömmlichen so verschieden, daß man eigentlich eine neues Wortdafür benötigt -, die sich als ein durchaus brauchbares und höchstwirksames Mittel der Politik, jedenfalls einer bestimmten Politik,erwiesen hat. Diese neue Art Krieg hat außerdem noch die verwir-rende Eigenschaft, daß bei ihr ständig die scheinbar schwächere Seitegewinnt und scheinbare Übermacht sich als Ohnmacht erweist; zur 

immer erneuten Bestürzung und Blamage der herkömmlich geschul-ten militärischen und militärpolitischen Fachmänner. Der gegenwär-tige Krieg in Vietnam ist nur das letzte Beispiel dafür. In diesenebenso unheimlichen wie ungeheuerlichen Vorgang bringen die mili-tärischen Schriften Mao Tse-tungs Licht. Mehr als das: Sie sindselbst ein Zeugnis und Erzeugnis dieses Vorgangs. Denn der erste — und bisher immer noch größte Krieg neuer Art war ja der fünfund-zwanzigjährige chinesische Bürgerkrieg (1924-1949), den Mao Tse-tung in seinem dritten Jahr, 1927, in einer Situation scheinbar totaler 

 Niederlage in die Hand nahm und zweiundzwanzig Jahre später mitdem totalen Sieg beendete. Diesem chinesischen Bürgerkrieg ent-stammen die hier vorliegenden Traktate.Sie sind nicht (wie etwa Clausewitz' berühmtes Werk) abstrakte aka-demische Abhandlungen, Studien oder Lehrbücher, sie sind ebenso-

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wenig (wie etwa Cäsars Kommentare zum Gallischen Krieg und zumRömischen Bürgerkrieg) nachträgliche Darstellungen. Alle waren

vielmehr, als sie geschrieben wurden, Akte der Kriegführung selbst,Anweisungen, Richtlinien und Handreichungen für Mitarbeiter undUnterführer. Alle beziehen sich auf eine ganz bestimmte Situation.Daß sie nach Inhalt und Umfang über normale Generalstabsarbeitenweit hinausgehen und sich oft, trotz ihrer Situationsgebundenheit,wie kriegstheoretische, ja kriegsphilosophische Abhandlungen lesen,liegt daran, daß Mao die Art Krieg, die er führte, sozusagen ständigerst erfinden mußte. Er konnte seinen Mitarbeitern und Unterführernnicht einfach knappe Befehle im Rahmen vorgegebener, allgemeinverstandener Prinzipien erteilen, sondern mußte ihnen die neuen, vonihm entdeckten und entwickelten Prinzipien selbst immer wieder erst

 begreiflich machen.Daß er dazu imstande war, ist vielleicht der erstaunlichste Teil seiner erstaunlichen Leistung. Es ist schon rein zeitlich kaum vorstellbar,wie sein gewaltiges kriegstheoretisches OEuvre vollkommen hinrei-

chend als Lebenswerk eines genialen Lehrers an einer Kriegsakade-mie, der ein Leben lang Muße zum Nachdenken hat mitten im Drang

  praktischer Kriegführung, sozusagen als Nebenprodukt täglicher aufreibender Entscheidungen, Aktionen und Krisen geschriebenwerden konnte. Aber das Wort «Nebenprodukt» ist eben falsch: Dieständige Belehrung, die Durchdringung und Durchsäuerung einesständig wachsenden Führer- und Unterführerkorps mit neuen und

  bisher unerhörten Ideen die vollkommen klar, einleuchtend, über-zeugend, ja bis zur Gemeinplätzigkeit einfach und selbstverständlichgemacht und durch ständige Wiederholung ins Bewußtsein und insUnterbewußtsein gerammt werden mußten -, diese, wenn man sowill, «Gehirnwäsche» und «Indoktrinierung» der Männer, mit denenMao seine neue Art von Krieg führen und gewinnen wollte, war ebendie erste und unerläßliche Voraussetzung dafür, daß eine solche Art

Krieg überhaupt geführt und gewonnen werden konnte. «UnsereMethode ist, Kriegführung durch Kriegführung zu lernen» heißt es ineiner dieser großen Lehrschriften Maos, und man kann den Satz, auf ihn selbst bezogen, auch umkehren: Seine Methode war, unter ande-rem, Krieg zu führen durch Belehrung im Kriegführen. Die militäri-schen Schriften Maos sind also etwas, was es sonst in der militäri-schen Literatur überhaupt nicht gibt: nicht nachträgliche Abstraktio-

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nen, sondern bleibende konkrete Spuren seiner Kriegführung selbst.Daraus folgt, daß sie nur im Zusammenhang mit dieser Kriegführung

richtig verstanden werden können. Wer sie als abstrakte, beliebig ausihrem Zusammenhang lösbare, allgemein gültige, allgemein an-wendbare Lehre betrachtet wie es etwa die gewiß nicht unintelligen-ten französischen Generalstäbler getan haben, die, vergeblich, hoff-ten, Maos Grundsätze für die französische Kriegführung in Indochi-na und dann in Algerien nutzbar machen zu können -, wird doppeltgetäuscht.Erstens, weil er Maos Gedanken auf Unternehmungen anwendet, auf die sie nicht passen. Sie sind kein Universalrezept für jede Art vonKrieg, sondern ein allerdings verblüffend durchschlagendes Rezeptfür eine ganz bestimmte Art von Krieg in einer ganz bestimmten Artvon Ländern und Situationen. Ganz konkret gesprochen: Sie sind einRezept für den sozialen und nationalen Befreiungs- oder Unabhän-gigkeitskrieg «unterentwickelter» Länder. Wer versucht, sie für denkolonialen oder imperialistischen Unterwerfungs- oder Unterdrük-

kungskrieg gegen diese Länder anzuwenden, ist mit ihnen soschlecht Bedient wie mit einem Abführmittel in einem Fall von Diar-rhöe. Auch auf die «konventionellen» Kriege nationaler oder impe-rialer Großmächte untereinander sind sie nicht anwendbar. Tatsäch-lich ist es eine von Maos weltverändernden Entdeckungen, daß Kriegeben nicht ein völlig eigengesetzlicher, sich immer gleich bleibender Vorgang ist, sondern daß jede Gesellschaft ihre eigene Art von Krieg

hervorbringt, die allein sie führen kann und gegebenenfalls führenmuß.Zweitens aber darf man Maos Kriegslehre nicht aus ihrem Zusam-menhang mit Maos Kriegführung herausreißen, weil man sie dannoft ganz einfach mißversteht. Man kann es sich nicht klar genug ma-chen: Maos militärische Schriften sind nicht an beliebige Leser zu

 beliebigen Zeiten und an beliebigen Orten gerichtet und dienen nicht

zur Belehrung für all und jeden; sie sind an seine Guerillaführer undTruppenführer in ganz bestimmten, kritischen, oft verzweifeltenKriegssituationen eines ganz bestimmten Krieges, nämlich des chi-nesischen Bürgerkrieges der dreißiger und vierziger Jahre, gerichtetgewesen und haben den ausschließlichen Zweck gehabt, ihnen zuhelfen, mit diesen Situationen fertig zu werden; sie waren dazu da,das Führerkorps der Roten Armee für diesen Krieg zu schulen und zu

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drillen, übrigens auch seine Moral und Siegeszuversicht zu heben. Nur wenn man den Text mit der jeweiligen Situation zusammenhält,

auf die er gemünzt ist, versteht man ihn richtig. Man muß, als euro-  päischer Leser der sechziger Jahre, vieles hineininterpolieren, wasMao seinen Leuten nicht ausdrücklich zu sagen brauchte, weil essich aus der Situation von selbst ergab. Und manchmal ist dies Unge-sagte, als selbstverständlich bekannt Vorausgesetzte, gerade dasWichtigste; fast immer gibt es dem Text erst sein volles Relief. Maosmilitärische Revolution bestand, wie jede Revolution, hauptsächlichaus Taten, nicht aus Worten. Die Worte waren ein Teil der Taten,kein freischwebender, auf sich selbst stehender Kommentar; abgelöstvon den Taten, denen sie dienten, verlieren sie ihren Sinn.Ja, wer Mao allzu wörtlich nimmt, ist in Gefahr, den Sinn seiner Kriegslehre manchmal geradezu umzukehren. Der Leser etwa der hier folgenden drei Schriften wird bald bemerken, daß Mao sich gernkonservativ gibt: daß er oft von der ewigen Gesetzlichkeit des Krie-ges spricht, Clausewitz und Napoleon, aber auch chinesische militä-

rische Klassiker zitiert, auf Beispiele aus dem chinesischen Mittelal-ter und der chinesischen Antike zurückgreift, kurz das Neue gern alsetwas ganz Altes in neuem Gewande darstellt. Ich lasse dahingestellt,wieweit das ein psychologischer Trick war und wieweit wirklicheSelbsttäuschung. Der gute Lehrer und Mao mußte ein sehr guter Lehrer sein, wenn er nicht elend scheitern wollte vermeidet natürlich,seine Schüler zu erschrecken und zu verwirren, er weiß ihnen zu

suggerieren, daß sie das, was sie lernen sollen, im Grunde schonlängst wissen, und er macht ihnen das Unbekannte mundgerecht,indem er es als das Altbekannte ausgibt. Fast jede Revolution gibtsich nicht als das «Vorwärts», das sie in Wahrheit ist, sondern als ein«Zurück» «Zurück zum reinen Evangelium», «Zurück zur Natur».Und Mao, der als Kriegsrevolutionär Tausende von Menschen dazu

  bringen mußte, ihr Leben und das der Hunderttausende, die sie zu

führen hatten, an das Nieversuchte, Niegeglückte zu setzen, hatte erstrecht allen Grund, es ihnen als das Älteste, Ewige und Unfehlbaredarzustellen.Aber vielleicht war er sich auch selbst wirklich nur unvollkommendarüber klar, wie neu die Prinzipien seiner Kriegführung waren. Esist eine häufige Erscheinung bei großen Entdeckern und Erfindern,daß sie das Gefundene falsch einschätzen oder unterschätzen. Co-

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lumbus wehrte sich bekanntlich leidenschaftlich gegen die Unterstel-lung, einen neuen Kontinent entdeckt zu haben, und Einstein «Ich

weigere mich zu glauben, daß Gott mit der Welt Würfel spielt» ge-hörte nicht zu denen, die aus seiner Relativitätstheorie die letztetheoretische Konsequenz zogen. Es ist möglich, daß für Mao Tse-tung in seiner Eigenschaft als militärischer Entdecker etwas Ähnli-ches gilt; nicht nur manche Stelle seiner Schriften, sondern auch seingegenwärtiger Übergang zu konventioneller Hochrüstung undAtomwaffenproduktion spricht dafür.Seine große militärische Entdeckung kann mit der physikalischennicht der militärischen Entdeckung der Kernenergie verglichen wer-den, mit der sie übrigens zeitlich ungefähr zusammenfällt. Die Ent-deckung, daß in der bis dahin vernachlässigten Kleinwelt des AtomsEnergien stecken und entbunden werden können —, die die «kon-ventionellen» Energien der Gravitation und des Elektromagnetismusmillionenfach übertreffen, entspricht ziemlich genau Mao Tse-tungsEntdeckung, daß in der bis dahin vernachlässigten Kleinwelt des

Dorfs und der bäuerlichen Massen gewaltigere Kriegsenergien stek-ken als in der «konventionellen» militärischen Welt der spezialisier-ten Armeen und in der politischen Welt der hochtechnisierten, hoch-organisierten und hochbewaffneten Stadtzivilisation; daß der bisher stets strategisch erfolglose und verachtete «Kleinkrieg», die «Gueril-la» oder «Jacquerie», bei voller Entfaltung für jede konventionelleGroßkriegführung unbesiegbar gemacht werden kann. Diese Entdek-

kung — in allgemeiner philosophischer Form allerdings schon vor mehr als zweitausend Jahren bei Lao-tse vorweggenommen — istihm von der Not abgepreßt worden, auf sie hat er, in völlig hoff-nungslos scheinender Lage, sein Alles gesetzt, mit ihr hat er dengrößten Bürgerkrieg aller Zeiten gewonnen und auf eine noch gar nicht absehbare Weise die Welt verändert.Sie bildet unvermeidlicherweise auch den Hintergrund seiner militä-

rischen Schriften; aber mit Ausnahme weniger Stellen eben nur denHintergrund; selten das eigentliche Thema. Es wäre übertrieben zusagen, daß man sie geradezu zwischen den Zeilen lesen müßte. Siesteht schon hin und wieder in den Zeilen am häufigsten in gewissenwiederkehrenden Bildern und Vergleichen, die heute bereits in der ganzen Welt sprichwörtlich geworden sind und die merkwürdiger-weise fast alle etwas mit Wasser, mit Schwimmen und Fischen zu

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tun haben: «Die Guerillas müssen in der Volksmasse schwimmenwie die Fische im Wasser»; «Die Gesetze der Kriegführung lehren

die Kunst, im Ozean des Krieges zu schwimmen»; «Die Mobilisie-rung des gemeinen Mannes im ganzen Land muß ein riesiges Meer schaffen, in dem der Feind ertrinkt»; «Der Guerillaführer muß arbei-ten wie ein Fischer, der sein Netz weit auswirft und im rechten Au-genblick eng zusammenzieht». Aber der Grundgedanke, daß der totale Guerillakrieg dort, wo er überhaupt möglich ist, dem regulärenKrieg überlegen ist, wird nicht nur nicht direkt ausgesprochen; er wird oft eingeschränkt und modifiziert und manchmal geradezu ver-leugnet. Tatsächlich ist Mao Tse-tung in der letzten Phase des sieg-reichen Bürgerkrieges, 1948 und 1949, wie in dem hier abgedrucktenAufsatz «Über den verlängerten Krieg» lange im voraus angekün-digt, zur regulären Kriegführung übergegangen oder zurückgekehrt,und auch der koreanische Krieg ist von chinesischer Seite rein kon-ventionell geführt worden.In Korea freilich hatte dies seine besonderen Gründe. Es gehört

wahrscheinlich zu den Eigentümlichkeiten der von Mao Tse-tungerfundenen und entwickelten neuen Kriegsart für die ein wirklichschlagender Name noch fehlt; nennen wir sie in Ermangelung eines

 besseren «Totalguerilla» -, daß sie nur im eigenen Lande erfolgreichgeführt werden kann. Es gibt noch andere einschränkende Bedingun-gen. Viele ergeben sich aus Maos eigenen Schriften. Aber um dieseSchriften richtig lesen zu können, müssen wir nun zunächst kurz den

Taten- und Tatsachenhintergrund einzeichnen, vor dem sie stehen.

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Maos Krieg

Der chinesische Bürgerkrieg, obwohl wahrscheinlich das bisher größte Ereignis des ereignisreichen 20. Jahrhunderts (weder die bei-den Weltkriege noch selbst die russische Revolution haben die Weltso tiefgreifend und nachhaltig verändert), gehört nicht zum selbstver-ständlichen Wissensbestand des gebildeten Europäers. Die europäi-schen Zeitungen haben ihn bis zu seiner Endphase ignoriert, und dienachträglichen Buchberichte sind nur von Spezialisten gelesen wor-

den. Es wird deshalb nötig sein, die Hauptmarkierungen seines Ab-laufs hier zunächst primitiv einzuzeichnen. Dabei soll versucht wer-den, seine kriegsgeschichtlich wichtigsten Aspekte herauszustellenalso das, was für das Verständnis der militärischen Schriften Maosabsolut unentbehrlich ist. Selbstverständlich bedeutet das noch nichteinmal eine Skizze des Gesamtgeschehens; nur die Revolutionierungder Kriegführung, die in den chinesischen Bürgerkrieg eingebettetwar und durch ihn weltwirksam wurde, soll hier interessieren; vielesebenso Wichtige oder noch Wichtigere fällt unter den Tisch.Der chinesische Bürgerkrieg war einer der größten Kriege aller Zei-ten, in dem wahrscheinlich mehr Menschen als Kämpfer und Opfer unmittelbar beteiligt und betroffen waren als im Ersten Weltkrieg. Er dauerte 25 Jahre. Er begann 1924 mit dem «Marsch nach Norden»der vereinigten Streitkräfte der Kommunisten und der Kuomintang.Er endete 1949 mit dem «Marsch nach Süden» der Kommunisten

gegen die Kuomintang. Das Ziel war beide Male die VereinigungChinas unter einer effektiven Zentralregierung und die Beseitigungvon Separatismus, Fremdherrschaft und nationaler Schwäche. DasZiel wurde das erste Mal verfehlt, das zweite Mal erreicht.In dem gewaltigen Kriegsgeschehen, das wie gesagt von 1924 bis1949 dauerte, gab es vier deutlich getrennte Perioden, markiert durchdie Jahre 1927, 1937 und 1945. In der ersten und dritten Periode

(1924/27, 1937/45) waren Kommunisten und Kuomintang Verbün-dete, in der zweiten und vierten (1927 bis 36, 1945/49) Feinde. Ge-meinsame Feinde waren in der ersten Periode die provinziellen «War Lords» oder militärischen Lokaldiktatoren, in der dritten die Japaner.Mao Tse-tungs Auftritt erfolgt erst in der zweiten Periode des Krie-ges, nach der berühmten Wendung Tschiang Kai-scheks gegen seine

 bisherigen Verbündeten, die Kommunisten, im Frühjahr 1927. Nach-

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dem die verbündeten Kräfte der Kuomintang und der Kommunistenin einem fast dreijährigen Feldzug Südchina bis zum Yangtse in ihre

Hand gebracht hatten, schlug Tschiang Kai-schek am 26. März 1927im eroberten Shanghai plötzlich überraschend gegen seine Verbün-deten, die Kommunisten, los, entwaffnete ihre Truppen, tötete ihreFührer und errichtete seine Alleinherrschaft.Auf den handstreichartigen Überfall folgte eine mehrmonatigeKommunistenjagd im Lande, die in vielem an die Vorgänge desHerbstes 1965 in Indonesien erinnert. Die Kommunistische Parteiwurde aufgelöst und zerschlagen, ihre Führungskader massenweisegetötet, die Arbeiter der großen Städte, auf die sie sich getreu der Marxschen Lehre und den Anweisungen ihrer russischen Berater hauptsächlich gestützt hatte, eingeschüchtert, gebrochen und unter-drückt. Tschiang Kai-scheks Staatsstreich war allem Anschein nachein voller Erfolg. Ende 1927 war Tschiang, nach allen herkömmli-chen Maßstäben, uneingeschränkt Herr der Lage in Südchina. 1928setzte er den Marsch nach Norden allein fort und dehnte seine Herr-

schaft auf ganz China aus.Mao Tse-tung, damals 34 Jahre alt und ein gewöhnliches Mitglieddes Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas, also einFunktionär der zweiten Führungsgarnitur, war Bauernorganisator der vereinten revolutionären Armeen während ihres Vormarschs gewe-sen. Er befand sich 1927 irgendwo auf dem flachen Lande, in der tiefsten südchinesischen Provinz, fern vom Strom des großen Ge-

schehens, abgeschnitten von Tschiang Kai-scheks Häschern undübrigens auch von den Weisungen der Parteiführung und ihrer russi-schen Berater. Das bewahrte nicht nur sein Leben, und es bewahrteihn nicht nur vor den Fehlern der Partei und der ihr treu gebliebenenTruppenteile, die im Laufe des Jahres 1927 immer noch verzweifeltePutschversuche in Großstädten unternahmen und sich damit nur abermals zu Tausenden ans Messer lieferten. Es muß ihn auch auf 

seine Grundentdeckung gebracht haben, aus der alles Weitere folgt,nämlich auf die Einsicht in die strukturelle Schwäche und sozusagenanatomische Verwundbarkeit der Staatsgewalt, die so plötzlich seintödlicher Feind geworden war.Diese Staatsgewalt war offensichtlich unerschütterlich stark in der 

 jeweiligen Hauptstadt, stark auch in den anderen Großstädten, schonschwächer in Kleinstädten und Provinzzentren, wohin ihr Arm nicht

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reichte, und ganz schwach in den Tiefen des Landes, abseits der Ei-senbahnen und Straßen. Dort versickerte sie sozusagen, sie war nicht

mehr mit massiven Truppeneinheiten oder Polizeikräften gegenwär-tig, sie bestand oft praktisch nur aus vereinzelten Gendarmen undBeamten: Dort war sie also leicht zu überwältigen, wenn die Masseder Landbewohner in einer revolutionären Stimmung war und daswar sie. Die Gendarmen und Kuomintang-Beamten, ebenso die örtli-chen Grundbesitzer, konnte man auf dem Lande so mühelos überwäl-tigen und töten, wie in den Städten kommunistische Funktionäreisoliert, verhaftet und getötet werden konnten. Mit den Bauern alsFundament und Bodenreform oder Bodenverteilung als Methodekonnte man über weite Gebiete die offizielle Staatsgewalt außer Kraft setzen, kleine Bauernkommunen schaffen und diese dann zuschon nicht mehr gar so kleinen wehrhaften Bauernrepubliken ver-schmelzen. Der Grundstock einer bewaffneten Macht fand sich inden Resten kommunistischer Truppenteile; eine organisierende undregierende «Gegenstaatsgewalt» war mit der Kommunistischen Par-

tei vorgegeben.In dem Maße, wie diese kommunistischen Bauernstaaten zu ausge-dehnten ländlichen Sowjetrepubliken zusammenwuchsen und un-übersehbar wurden, mußten sie natürlich Unterdrückungskampagnender Zentralregierung auf sich ziehen. Diese Unterdrückungskampag-nen waren von Mao nicht nur vorausgesehen und einkalkuliert, mankann sagen, daß sie für die Ausbreitung und Vertiefung seiner Revo-

lution und für das Gelingen seines gesamtstrategischen Planes eine Notwendigkeit waren. Erst dadurch, daß die ferne Zentralgewalt nun plötzlich in Reichweite kam, und zwar als grausamer Eindringling, bot sie den vorbereiteten Gegenschlägen der von Hause aus geogra-  phisch statischen, immobilen Volkskräfte ein greifbares Ziel; erstdurch ihre brutalen und breit gestreuten Repressalien trieb sie Maoauch die trägeren, konservativeren, ruheliebenden Elemente der 

Landbevölkerung zu; erst dadurch, daß sie Rückzüge und Gebiets-räumungen erzwang, machte sie die Revolution, die vorher seßhaftwar, mobil und verbreitete sie, wie der Sturm den Waldbrand, über neue Gebiete; und erst dadurch, daß sie selbst den Bürgerkrieg insti-tutionalisierte, spielte sie der Revolution den Trumpf zu, der norma-lerweise die stärkste Karte etablierter Regierungen ist: Die Revoluti-on wurde jetzt die Verkörperung, und ihr Sieg die Voraussetzung,

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von Friede und Ordnung.Erst als Tschiang seine großangelegten Unterdrückungskampagnen

 begann, hatte Mao die erste Runde seines langen Kampfes wirklichgewonnen, erst jetzt hatte er seinen Feind, wo er ihn brauchte. Er hatte ihn sozusagen aus dem Stand genötigt und zu der Bewegungverlockt, die er nun, wie ein Judo-Kämpfer, ausnutzen konnte, umihn zu Fall zu bringen. Er brauchte den Krieg, und zwar den vomGegner entfesselten, unausweichlich gewordenen Krieg, so wie ein

  Nuklear-Physiker die überhohen Temperaturen im Zyklotron braucht.Tatsächlich waren die Jahre 1930 bis 1934 Großkampfjahre der Maoschen Bauernrepubliken, deren Geographie sich in diesen Jahren

 je nach dem Verlauf der Kämpfe auf der Landkarte Chinas hin undher schob wie eine Quecksilberkugel auf einer Tischplatte. Die ersteder hier vorgelegten Schriften Maos behandelt im wesentlichen dieErfahrungen dieser Feldzüge, die man als die Lehr- und Entwick-lungsjahre der neuen Art von Kriegführung bezeichnen kann. Vom

Rest der Welt überhaupt nicht wahrgenommen, spielte sich damals inSüdchina zum erstenmal der Zusammenstoß nicht einfach zwischenzwei Kriegsgegnern, sondern zwischen zwei Arten Krieg ab, denman seither in Jugoslawien, Indonesien und Indochina, auf Zypern,Kuba und in Algerien erlebt hat, und den man jetzt in Vietnam er-lebt: der Krieg sozusagen zwischen einem Insektenschwarm undeinem Großraubtier, zwischen einer durch Verzweiflung kriegerisch

gemachten und zum Kriege durchorganisierten Bevölkerung undeiner regulären Armee, bei dem sich, aufs Ganze gesehen, die Be-völkerung durchgängig als unbesiegbar, die Armee aber trotz ihrer waffentechnischen Überlegenheit als besiegbar herausgestellt hat.Dies war Maos zweite große Entdeckung: daß eine revolutionär er-regte, total durchorganisierte und vom Feinde auf den nötigen Gradvon Verzweiflung gebrachte Bevölkerung, die auf ihrem eigenen

Gebiet und um ihr eigenes Gebiet kämpft, einer in dieses Gebiet vonaußen eindringenden Armee auf die Dauer immer überlegen ist,wenn sie sich nicht auf die Kampfregeln des Feindes einläßt, sondernihm ihre eigenen aufzwingt.In dem Kriegsabschnitt 1930 bis 1934 war das noch nicht erwiesen,die eigene Taktik mußte noch unter teuer bezahlten Irrtümern erar-

 beitet werden (davon handelt im wesentlichen die erste der hier über-

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setzten Schriften <Strategie des chinesischen revolutionären Krie-ges>), und selbst der Ausgang war zunächst zumindest doppeldeutig.

Mao fand sich zum Schluß bekanntlich zu einer gigantischen undtragischen Absetz- und Ausweichbewegung genötigt: dem berühm-ten «Langen Marsch» durch ganz China, der zwar den Kern seiner Truppe und Bewegung lebendig erhielt und die Revolution in einneues Gebiet den äußersten Nordwesten Chinas trug, aber alle vorher 

  bereits gewonnenen und beherrschten Gebiete für eine Weib der Rache der Sieger preisgab; und den von den 130 000 Mann, die ihnantraten, nur 30 000 überlebten.Obwohl Ausweichbewegungen und Rückzüge die bei dieser Art vonKriegführung immer zugleich Vorstöße sind, da sie ja die Revolutionautomatis in neue Gebiete tragen durchaus von Anfang an in MaosKampfmethoden einkalkuliert waren, empfand Mao selbst den «Lan-gen Marsch» und was ihn verursacht hatte, unzweifelhaft als Nieder-lage. Das beweist nicht nur seine Schrift über <Strategie im chinesi-schen revolutionären Krieg>, die bald danach, 1936, verfaßt ist.

  Noch mehr beweist es der Entschluß, den er im selben Jahr, 1936,faßte, die Sozialrevolutionäre Grundlage, auf der er bis dahin ge-kämpft hatte, zu einer nationalrevolutionären auszuweiten und zudiesem Zweck kaltblütig ein Bündnis mit dem bisherigen Todfeind,der Kuomintang-Regierung, zu suchen. Die Gelegenheit dazu gabihm die japanische Aggression.Während der Bürgerkrieg in Südchina tobte, hatte bekanntlich Japan

seit 1931 fortgesetzt Stücke von Nordchina abgerissen, ohne daßTschiang Widerstand leistete. Tschiangs Politik war, zunächst mitseinem inneren Feind fertig zu werden, ehe er sich gegen den äuße-ren wandte. Mao zwang ihn, bei dem berühmten Sianfu-Zwischenfallim Dezember 1936, diese Politik umzustoßen und sich zunächst ein-mal mit seinem inneren Feind gegen den äußeren zu verbünden'.Mao nahm dabei sogar formelle Unterordnung unter Tschiangs Zen-

tralregierung, allerdings ohne Auflösung seiner eigenen Armeen, inKauf und gewann dafür nicht nur eine Atempause, sondern auchRespekt und patriotische Sympathie in Teilen der chinesischen Ge-sellschaft, die bisher seine Klassenfeinde gewesen waren. Vor allemaber gewann er etwas anderes: einen auf seine Kriegführung wienach Maß zugeschnittenen Feind der ihm zugleich auch noch da-durch diente, daß er seinen bisherigen Feind, Tschiang, aus dem

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größten Teil Chinas ausschaltete.Der japanisch-chinesische Krieg brach im Juni 1937 aus. Soweit er 

Japan und Tschiang betraf, war es ein konventioneller Krieg zwi-schen den regulären Armeen zweier Nationalstaaten, bei dem dieüberlegene japanische Armee drei Viertel von China besetzte und dieArmee Tschiangs in den äußersten Süden Chinas zurückdrängte.Soweit er Japan und Mao betraf, war er aber etwas ganz anderes: einzweites Experiment in der Konfrontierung der zwei Arten Krieg, desKrieges zwischen einer Bevölkerung und einer Armee, wobei dieArmee nun nicht mehr die der eigenen Regierung, sondern die einesfremden Eindringlings, Eroberers und Landesfeinds war. «Logi-scherweise sollte ein Nationalkrieg breitere Massenunterstützunggewinnen als ein revolutionärer Agrarkrieg», schrieb Mao kühl, undtatsächlich zeigte sich, daß bei einer solchen Konfrontierung mit der Armee einer fremden Feindmacht die Bevölkerung, mit den neuenMaoschen Methoden kämpfend, noch weit breiter mobilisierbar undweit eindeutiger überlegen war als in einem reinen Bürgerkrieg, und

zwar aus zwei Gründen.Erstens, weil die konkrete örtliche Gewalt eines fremden Eroberersüber das eroberte Land physisch und geographisch noch viel be-grenzter ist als die der eigenen Regierung, so daß der organisierteVolkswiderstand viel größeren Spielraum findet. Zweitens, weilgegen den fremden Eroberer noch viel breitere und tiefere Wider-standskräfte zu mobilisieren sind als gegen eine eigene Regierung,

wie unpopulär oder verhaßt diese auch sein mag.Während Tschiang sich im unbesetzten Süden Chinas eingrub, ent-faltete Mao in den Riesenräumen des «besetzten» China zwischenund hinter den relativ dünnen Verbindungslinien der japanischenFront, nunmehr auf breitester nationaler Grundlage, seine Totalgue-rilla: mit dem Erfolg, daß, als Japan 1945 zusammenbrach, das ganze

 japanisch besetzte China außerhalb der Großstädte und Eisenbahnli-

nien Mao-Land geworden war. Weit gründlicher als einst seine Bau-ernrepubliken im Süden hatte Mao während des antijapanischenKrieges im Norden sein nunmehr nicht nur Sozialrevolutionär, son-dern national fundiertes neues Staatswesen, seinen «Gegenstaat», der sich im Kampf, für den Kampf und durch den Kampf bildete, organi-sieren und konsolidieren können. Obwohl 1945 die Amerikaner dieKuomintang-Truppen in die nördlichen Städte flogen und dafür sorg-

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ten, daß die Japaner sich ihnen und nicht Mao ergaben und ihre Waf-fen ihnen und nicht Maos Guerilla-Armen auslieferten, beherrschte

Mao jetzt tatsächlich drei Viertel des chinesischen Gebiets.Der japanische Krieg hatte den chinesischen Bürgerkrieg praktischentschieden: Indem die Japaner Tschiang aus dem größten Teil Chi-nas hinausfegten, hatten sie diesen größten Teil Chinas für MaosKriegführung geöffnet; und indem sie Mao nicht nur mit einem Klas-senfeind, sondern mit einem Nationalfeind versahen, hatten sie esihm ermöglicht, den weitaus größten Teil der Bevölkerung des be-setzten China im Kampf hinter sich zu einen. Kurz, indem MaoTschiang zu einem Nationalkrieg gegen Japan gezwungen hatte,hatte er ihn zu einem Krieg gezwungen, den Tschiang mit seinenkonventionellen Mitteln nur verlieren, Mao aber mit seinen unkon-ventionellen nur gewinnen konnte. Wobei bemerkenswerterweise diewaffentechnische Überlegenheit Japans, gegen die Tschiang wehrloswar, Mao kaum schadete: Tschiang war für seine Art Kriegführung,obwohl waffentechnisch schwächer als Japan, der schwierigere Geg-

ner gewesen, weil sich gegen ihn nur bestimmte Klassen, gegen Ja- pan aber fast alle Chinesen mobilisieren ließen.Der Bürgerkrieg brach, nach der kurzen und ergebnislosen Verhand-lungspause der Marshallmission, 1946 wieder aus. Die VersucheTschiangs, von den mit amerikanischer Hilfe aus japanischer Handzurückempfangenen Zentren Nordund Zentralchinas aus das weiteHinterland zurückzuerobern, scheiterten schon im Anlauf. Seine

Armeen, innerlich unsicher geworden, begannen sich aufzulösen undzum Gegner überzugehen. Seine «überlegenen» amerikanischen und

  japanischen Waffen landeten mehr und mehr in den Händen der Truppen Maos. Im Winter 1947/48 begann Maos Marsch nach Sü-den, bei dem die Großstädte alles, was von Tschiangs Machtbereichnoch übriggeblieben war wie reife Früchte in seine Hände fielen.Dieser fast mühelos wirkende, blitzartige Sieg der seit 1927 nie mehr 

recht ernst genommenen chinesischen Kommunisten kam als furcht- barer Schock für das zeitunglesende Publikum Europas und Ameri-kas. Er kam auch für Rußland als Überraschung.Der Schock und die Überraschung hatten ihren Grund darin, daß mandie Vorgeschichte des kommunistischen Siegesmarsches, die gewal-tigen Kriegsereignisse der zwanzig Jahre von 1927 bis 1947, über-haupt nicht zur Kenntnis genommen hatte. Und dies wiederum hatte

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seinen Grund darin, daß es sich dabei um Ereignisse handelte, die für Europa, Amerika und auch Rußland buchstäblich beispiellos und

daher sinnlos, unverständlich waren. Man fand sie uninteressant undnicht einmal berichtenswert, weil sie in der eigenen Geschichte undErfahrung keine Vorbilder hatten, mit denen man sie vergleichen undan denen man sie messen konnte. Es gab und gibt noch heute keineForm der Kriegsberichterstattung, die ihnen gerecht wird, sie vonTag zu Tag erklärt und verständlich macht. Sie paßten weder in denErfahrungsschatz noch in das Begriffssystem der Europäer, Ameri-kaner und Russen. Die blutigen Wirren, die sich zwanzig Jahre langim tiefen Hinterland Chinas abgespielt hatten, entsprachen weder dem herkömmlichen Vorstellungsbild einer Revolution noch demeines Krieges. Allenfalls erinnerten sie an die «Jacquerien» der euro-

 päischen Geschichte, die plumpen, strukturlosen Heugabelaufständeverzweifelter Bauern, die immer mühelos niedergeschlagen wordenwaren. Daß hier tatsächlich eine neue Art von Krieg geboren wordenwar, eine Form des Revolutionskrieges, die sich dem herkömmlichen

Krieg europäischer Prägung überlegen erweisen sollte, begann manerst zu begreifen, als man sich in den Folgejahren selber in vielen alsschwach und unterlegen betrachteten Kolonialländern mit genaudieser Art Krieg konfrontiert fand und ihn zum eigenen fassungslo-sen Erstaunen immer wieder verlor.Es scheint auch heute noch durchaus der Mühe wert, sich klarzuma-chen, worin sich diese neue Art Krieg von der herkömmlichen unter-

scheidet, warum sie unter den Bedingungen des Massenund Atom-zeitalters die herkömmliche zu verdrängen begonnen hat, worin ihreÜberlegenheit besteht und auch, wo ihre Voraussetzungen und ihreGrenzen liegen.

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Mao und Clausewitz

«Der Krieg», definiert Clausewitz und diese Definition liegt allemherkömmlichen europäischen Kriegsdenken zugrunde -, «ist ein Aktder Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwin-gen.»Ganz anders definiert Mao Tse-tung den Krieg: «Die Wurzel allenKriegsdenkens ist der Grundgedanke, sich selbst zu erhalten und denFeind zu vernichten. Alle technischen, taktischen und strategischen

Lehrsätze sind nur Anwendungen dieses Grundaxioms. Der Einzel-kämpfer, der in Deckung geht, um leben zu bleiben, und auf seinenGegner schießt, um ihn zu töten, folgt ihm genauso wie der Stratege,der einen Feldzug oder einen Krieg plant.»Der Unterschied springt in die Augen. Nach Clausewitz hat der Kriegführende ein begrenztes Ziel: Er will den Gegner zur Erfüllungseines Willens zwingen. Dazu braucht er den Gegner nicht zu ver-nichten, er darf ihn nicht einmal vernichten, sondern muß ihn zwar 

 besiegen, aber auch erhalten: Denn ein vernichteter Gegner könnte jaseinen Willen nicht mehr erfüllen. Aus demselben Grund brauchtsich der Kriegführende um seine Selbsterhaltung keine Gedanken zumachen, denn auch sein Feind will ihn ja nur «zur Erfüllung seinesWillens zwingen», nicht vernichten. Krieg, wie ihn Clausewitz defi-niert, ist also nicht ein Akt der Vernichtung, sondern nur ein Akt

  begrenzter Einwirkung; Einwirkung freilich durch Gewalt; aber 

durch mittelbare Gewalt, die sich nicht gegen den eigentlichen Geg-ner richtet (den er ja nur zum Nachgeben zwingen, nicht auslöschenwill), sondern nur gegen seine Soldaten, allenfalls gegen seine Unter-tanen. «Krieg», hat ein geistreicher Europäer gesagt, «ist eine Veran-staltung, bei der sich Leute, die sich nicht kennen und nichts gegen-einander haben, töten, und zwar auf Veranlassung von Leuten, diesich sehr wohl kennen und sehr wohl etwas gegeneinander haben,

sich aber nicht töten.»Man sieht sofort, aus welcher historischen Epoche dieser Kriegsbe-griff stammt: aus der Epoche des fürstlichen Absolutismus; und esstellen sich auch sofort Assoziationen ein wie: «der Sport der Köni-ge», oder «Schachspiel mit lebenden Figuren». Gemessen an der Mao Tse-tungschen Kriegsdefinition, wonach Krieg eine Sache auseinem Guß ist, in der der Soldat im Felde und der Oberste Kriegsherr 

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nach demselben Prinzip handeln, weist die herkömmliche europäi-sche Kriegsauffassung einen deutlichen inneren Bruch auf, einen

Dualismus oder Widerspruch. Der Soldat und sein Oberster Kriegs-herr handeln nach ganz verschiedenen Prinzipien. Nur für den erste-ren gilt der Satz: «Töte, damit du nicht getötet wirst.» Die letzterensind weder in Gefahr, getötet zu werden, noch wollen sie ihren Geg-ner töten: Sie wollen nur einen Streitfall mit ihm bereinigen und ihnnur «zur Erfüllung ihres Willens» zwingen, im allgemeinen zur Ab-tretung eines Stückes Land. Dazu wenden sie zwar Gewalt an, aber nach dem Satz: «Den Sack schlägt man, wenn man den Esel meint»;sie befehlen ihren Soldaten, die Soldaten ihres Gegners zu töten, umsich dann je nach dem Ergebnis dieser Tötungskonkurrenz zu LastenDritter, nämlich der jeweiligen Untertanen, mit ihrem Gegner vor-teilhaft oder weniger vorteilhaft zu vergleichen. Der herkömmlicheKrieg europäischer Prägung ist also nur auf der unteren EbeneKampf; auf der oberen ist er Spiel allenfalls: Kampf spiel.In den klassischen Kriegen Europas den Kabinettskriegen des acht-

zehnten Jahrhunderts, die von Napoleon III., Bismarck und Gort-schakoff in der zweiten Hälfte des neunzehnten noch einmal kurzfri-stig wiederbelebt wurden ist das Mißverhältnis zwischen dem Grau-en der Schlachtfelder und der zivilisierten Salonatmosphäre unter den eigentlich Kriegführenden auffallend; auch das Mißverhältniszwischen dem tragischen Ernst der Mittel und der Trivialität der Zwecke (oft nur Gewinn oder Verlust der einen oder anderen Pro-

vinz); und schließlich fällt dem Betrachter auf, daß diejenigen, dieeinander in diesen Kriegen zu töten hatten, meistens an Sieg oder 

  Niederlage ihrer Kriegsherren nicht das geringste konkrete eigeneInteresse hatten. Ihr Tun und Leiden ist daher doch wohl, trotz der Glorifizierung, die ihm zuteil geworden ist, nichts als bejammerns-wert; insbesondere die europäischen Soldaten des achtzehnten Jahr-hunderts waren ganz ohne Zweifel unter den allerärmsten und er-

  barmungswürdigsten Menschenwesen, die je gelebt haben, Ausge-stoßene der Gesellschaft, die, in bunte Röcke gesteckt, wie Zirkustie-re mit unendlichen Prügeln zum Verrichten unwürdiger Kunststückeim Frieden und zum besinnungslosen Töten und Sterben im Kriegeabgerichtet wurden.Man täte also sehr unrecht, diese «ritterlichen» und begrenzten euro-

 päischen Kriege der guten alten Zeit zu romantisieren oder zu ideali-

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sieren, wie es heute oft geschieht. Man wird ihnen aber dreierleizugestehen müssen: erstens, daß der Schaden, den diese Kriege für 

die Gesellschaft als Ganzes anrichteten, zu ihrer Zeit relativ begrenztwar; zweitens, daß sie innerhalb des sozialen Systems, das sie her-vorbrachte, rational und sinnvoll waren: Mittels ihrer ließen sichKonflikte ohne Zerstörung der Gesamtordnung, in der ein paar tau-send Bauernsöhne oder Landstreicher nun einmal nicht zählten, zumAustrag bringen; und drittens, daß es immer noch die einzige ArtKrieg ist, die wir wirklich verstehen, die uns sozusagen im Blutsteckt.Insbesondere entspringen aus dieser «Hegung des Krieges» (in der 

 beispielsweise Carl Schmitt eine der höchsten Errungenschaften der europäischen Zivilisation erblickt) fünf Grundsätze, die heute nochKriegslehre und Kriegsrecht in der westlichen Welt weitgehend be-herrschen.Erstens der Grundsatz, die Disziplin der Armeen auf Zwang undGehorsam zu stellen, nicht auf Überzeugung oder persönliches Inter-

esse (und, .dementsprechend, den Soldaten von der Verantwortungfür alles, was er auf Befehl tut, zu entbinden): und zwar nicht, weilZwang und Gehorsam unbedingt kampftüchtiger machen (die weni-gen Fälle, in denen europäische Armeen wenigstens teilweise ausÜberzeugung oder persönlichem Interesse kämpften, wie etwa dieArmeen Cromwells oder die französischen Revolutionsheere, spre-chen eher für das Gegenteil), sondern weil Überzeugung und persön-

liches Interesse des gemeinen Mannes in Obrigkeitsstaaten europäi-scher Prägung .für Kriegszwecke einfach nicht mobilisierbar sind.Zweitens der Grundsatz, zwischen kämpfender Truppe und nicht-kämpfender Zivilbevölkerung eine scharfe Trennungslinie zu ziehen,und zwar sowohl zur Begrenzung des Krieges wie zum gegenseitigenSchutz. Der Friede zwischen den kriegführenden Potentaten sollnach Kriegsende leicht wiederherstellbar sein und soll daher auch

während des Krieges nur teilweise suspendiert, nicht total abge-schafft sein. Die Zivilbevölkerung soll auch im Kriege nach Mög-lichkeit ihren Friedensbeschäftigungen nachgehen, und die Truppesoll sie dabei ebensowenig stören, wie sie ihrerseits die Truppe beiihrem Kriegsgeschäft stören soll. Die Soldaten sollen einander töten,das ist ihre Pflicht; aber wenn sie Zivilisten oder wenn Zivilisten sietöten, dann bleibt das Mord.

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Drittens der Grundsatz, den Krieg möglichst ins Feindesland zu tra-gen und das eigene Land vom Kriege möglichst freizuhalten ein

Grundsatz, der mit dem vorigen eng zusammenhängt. Wer den Kriegim eigenen Lande hat, hat ihn schon halb verloren; mindestens wirdder Preis des Krieges durch die Störungen und Zerstörungen, diefeindliche Armeen unvermeidlich anrichten, bedenklich erhöht. Ja, esgibt Fälle schon aus klassischen Zeiten — Melac in der Pfalz, Marl-

 borough in Bayern -, in denen bewußte Verwüstungsstrategie getrie-  ben worden ist, um den Fürsten, den man so um Land und Leute brachte, schneller friedensgeneigt zu machen.Viertens der Grundsatz, den Krieg nicht unbegrenzt auszuspinnen.Das hängt wiederum mit dem vorigen Grundsatz zusammen. WennKrieg rationell bleiben soll, muß er Ausnahmezustand bleiben unddarf nicht Normal- und Dauerzustand werden, weil sonst sein Zweck seinen Preis nicht mehr aufwiegt. Dazu Clausewitz: «Da der Kriegkein Akt blinder Leidenschaft ist, sondern der politische Zweck darinvorwaltet, so muß der Wert, den dieser hat, die Größe der Aufopfe-

rung bestimmen, mit welcher wir ihn erkaufen wollen. Dies wirdnicht bloß der Fall sein bei ihrem Umfang, sondern auch bei ihrer Dauer. Sobald also der Kraftaufwand so groß wird, daß der Wert des

  politischen Zwecks ihm nicht mehr das Gleichgewicht halten kann,so muß dieser aufgegeben werden und der Frieden die Folge sein.»Fünftens schließlich und wieder mit dem vorigen zusammenhängendder Grundsatz, den Krieg möglichst nicht durch alle Instanzen denk-

  barer «Eskalationen» durchzufechten, sondern eine schnelle Ent-scheidung zu suchen und selbst Vor- und Zwischenentscheidungen,wenn irgend möglich, als endgültig anzunehmen: Eine belagerteFestung kapituliert, wenn Bresche geschlagen ist oder die Rationenerschöpft sind; ein eingeschlossener Truppenteil ergibt sich, wenn«weiteres Blutvergießen sinnlos geworden ist»; für Gefangene «istder Krieg vorbei». Nach jeder Hauptschlacht pflegt der Sieger Frie-

densvorschläge zu machen. Als die ruhmreichsten und meisterhafte-sten Kriege gelten die ganz kurzen wie die von 1859 und 1866 -, beidenen nach einer oder zwei gewonnenen Schlachten der maßvolleSieger das ihm Wesentliche in einem schnellen Friedensschluß instrockene bringt und womöglich gar den geschlagenen Gegner zu-gleich versöhnt.Jeder Europäer, der diese Grundsätze liest, wird sie sofort auch heute

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noch instinktiv einleuchtend finden. Jeder wird aber auch sofort be-merken, daß sie in den Kriegen des zwanzigsten Jahrhunderts zu-

nehmend außer Kurs gekommen sind.Zwang und Gehorsam sind zwar immer noch die Grundlage der Ar-meen, aber der korrespondierende Grundsatz der Nichtverantwort-lichkeit für Handlungen unter Befehl ist weitgehend außer Kraftgesetzt. Auch werden Zwang und Gehorsam zwar auch heute nichtdurch Überzeugung und Interesse ersetzt (das bleibt unmöglich),aber zunehmend durch Propaganda und das ergänzt, was Ernst Nie-kisch mit einem glücklichen Ausdruck «Verwahnung» genannt hat.Die scharfe Trennungslinie zwischen Truppe und Zivilbevölkerungist sowohl durch die totale Kriegswirtschaft, die fast die ganze Zivil-

 bevölkerung in den Dienst der Kriegführung stellt und damit zu ei-nem legitimen Objekt der feindlichen Kriegführung macht, wiedurch Blockade und «strategischen» Bombenkrieg verwischt. Auchder Partisanenkrieg ist als Ergänzung regulärer Kriegführung durch-aus üblich geworden, unterliegt allerdings immer noch den Repressa-

lien, die einst durch grundsätzliche Schonung der Zivilbevölkerungkompensiert und gewissermaßen gerechtfertigt waren.Der Grundsatz, den Krieg möglichst ins Feindesland zu tragen, be-herrscht weiter die Landstrategie, aber die Allgegenwart des Luft-krieges hat ihn weitgehend seines Sinnes beraubt. Die Grundsätzeschließlich, den Krieg zeitlich und materiell zu begrenzen, ein ratio-nales Verhältnis zwischen Mitteln und Zweck einzuhalten, sind in

den beiden Weltkriegen gänzlich über Bord gegangen. Diese beidenKriege sind bekanntlich in ihrem Verlauf völlig außer Kontrolle ge-raten und haben Ergebnisse gezeitigt, die mit den Streitobjekten undKriegszielen, um derentwillen sie begonnen wurden, auch nicht mehr die entfernteste Beziehung hatten. Auch haben sich die «Sieger» indiesen Kriegen als keineswegs mehr identisch mit den «Gewinnern»herausgestellt.

Zusammenfassend kann man sagen, daß schon die beiden Weltkriegeden «gehegten» Krieg europäischer Konvention, die «ultima ratioregum», weitgehend ad absurdum geführt haben. Die seitherige Ent-wicklung der Atom- und Raketenwaffen hat nur eine bereits vorge-schrittene Entwicklung auf die Spitze getrieben und die Verkehrungvon ultima ratio in ultima irratio auch dem einfachen Verstand auf-gedrängt.

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Was den begrenzten und rationalen Krieg europäischer Prägung undClausewitzscher Definition unbegrenzbar und irrational gemacht hat,

sind zwei Dinge: Demokratie und Technik. Die Demokratie hat ausdem «Schachspiel mit lebenden Figuren» sozusagen den Schachspie-ler entfernt; es ist heute, als ob die Figuren selbst miteinander Schachspielen sollten, und zwar um ihr Leben, ohne das Spiel übersehenoder auch nur verstehen zu können. Die Technik hat die Kriegsmitteldem Kriegszweck derart über den Kopf wachsen lassen, daß heuteder Krieg gerade für die mächtigsten Länder mit physischer Selbst-vernichtung identisch geworden ist, womit offensichtlich kein denk-

 barer politischer Zweck mehr zu erreichen ist.Man hat daraus vielfach den Schluß gezogen, daß jeder Krieg heuteunmöglich oder wenn nicht unmöglich, jedenfalls gänzlich sinnlosund widervernünftig geworden sei. Aber dieser Schluß ist vorschnell.Wir haben ja mit eigenen Augen in jüngster Zeit eine ganze Anzahlvon Kriegen mit angesehen, die stattgefunden haben, also offensicht-lich nicht unmöglich waren, und die auch für die Siegerseite ihren

Zweck erreicht haben, also nicht gänzlich sinnlos waren: den chine-sischen und den kubanischen Bürgerkrieg, die nationalen Befrei-ungskriege Indonesiens, Zyperns, Algeriens, den ersten nationalenBefreiungskrieg der indonesischen Staaten Laos, Kambodscha undVietnam gegen Frankreich. Ganz offenbar gibt es also noch eine ArtKrieg, die möglich und sinnvoll ist. Aber es ist eben eine ganz andereArt Krieg als die uns geläufige: nämlich die Art Krieg, die der Defi-

nition Mao Tse-tungs, und nicht die, die der Definition Clausewitz'entspricht, also die Art Krieg, die den Gegner nicht durch einen Aktmittelbarer Gewalt zur Erfüllung des eigenen Willens zwingen, son-dern sich selbst erhalten und den Gegner vernichten, ja sich selbst anseine Stelle setzen will. Ein solcher Krieg ist immer ein Revolutions-krieg und immer ein Volkskrieg; er ist nach bisheriger Erfahrung amsichersten erfolgreich, wenn er zugleich ein nationaler Befreiungs-

krieg ist, das heißt, wenn er Fremdherrschaft durch nationale Selb-ständigkeit ersetzen will. Dieser Art Krieg scheinen die beiden Zer-störer des klassischen europäischen Krieges, Demokratie und Tech-nik, ungefährlich zu sein: die Demokratie, weil er sie auf eine äußerstradikale, ja erschreckende Weise in sich aufnimmt und verwirklicht;die Technik, weil er sie unterläuft.Im herkömmlichen Kriege geht es immer nur darum, daß eine Regie-

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rung eine andere zwingen will, etwas zu tun, was sie freiwillig nichttun will. Das ist offenbar heute mit den Mitteln des Krieges nicht

mehr möglich. Im Kriege neuer Art geht es dagegen immer darum,daß eine Regierung eine andere abschaffen und sich selbst an ihreStelle setzen will. Das ist offenbar noch möglich unter gewissenVoraussetzungen, die noch zu prüfen sein werden, und mit gewissenMitteln, die denen des herkömmlichen europäischen Krieges in allenPunkten diametral entgegengesetzt sind.Wir haben oben die fünf Hauptgrundsätze oder Spielregeln des her-kömmlichen europäischen Krieges skizziert. Der erste war, daß dieKampfdisziplin der Truppe auf Zwang und Gehorsam beruht undnicht auf Überzeugung und persönlichem Interesse. Im Kriege neuer Art der «Totalguerilla» spielen Zwang und Gehorsam zweifellosebenfalls früher oder später eine Rolle. Primär aber muß der Kampf-wille auf Überzeugung und Interesse beruhen, weil nämlich die Mit-tel, Gehorsam zu erzwingen, zunächst völlig fehlen. Die Sozialrevo-lutionären oder nationalrevolutionären Zellen, von denen jeder dieser 

Kriege ausgeht, haben zunächst keinerlei Macht. Wenn sie irgend  jemanden in den Kampf kommandieren wollten, würden sie ausge-lacht werden. Sie können nur agitieren, also überzeugen. Und diekleinen Kommunen oder Banden, die sich bestenfalls zunächst umsie herum bilden und die den ersten Widerstand gegen die etablierteeigene oder fremde Staatsgewalt wagen müssen, können nicht, wiedie europäischen Grenadiere des 18. Jahrhunderts, dadurch zur Tap-

ferkeit gezwungen werden, daß sie vor ihren Offizieren mehr Angsthaben als vor dem Feind; der Feind ist, zunächst wenigstens, immer weit furchtbarer als die eigenen Offiziere. Sie müssen also schon dasGefühl haben, daß sie für ihre eigene Sache, für ihr eigenes Interessekämpfen; und das einzig sichere Mittel, ihnen dies Gefühl zu geben,ist, Realitäten zu schaffen, die es rechtfertigen. Verzweifelte landloseBauern, die ihren Grundherren totgeschlagen und sein Land aufge-

teilt haben, brauchen weder Zwang noch Propaganda, um ihre Hautso teuer wie möglich zu verkaufen, wenn dann die Soldaten kom-men; nur eine Führung, die ihnen das Gefühl vermittelt, eine Chancezu haben. Verzweiflung und das Gefühl, eine Führung und eineChance zu haben, geben einer Totalguerilla ihre Rekruten; revolutio-näre Aktionen und das Verbrennen der Boote ihre Armeen; und dieGrundlage ihrer Kampfdisziplin ist die unentrinnbare Bindung des

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  persönlichen Schicksals an die gemeinsame Sache. Was etwa nochfehlt, um diese Disziplin unverbrüchlich zu machen, liefert fast un-

fehlbar die Gegenseite, die ja zunächst stets glaubt, keinen Krieg,sondern eine Strafexpedition zu führen, sich entsprechend benimmtund damit den ersten Kämpfern dessen, was die neue Ordnung unddie neue Regierung werden will, jeden Rückzug, auch innerlich,abschneidet.Der zweite Grundsatz europäischer Kriegführung war die Trennungvon Truppe und Zivilbevölkerung. Totalguerilla beruht im Gegenteildas ist ja geradezu ihre Erkennungsmarke geworden auf der äußer-sten Verschmelzung von Truppe und Zivilbevölkerung. Die Zivilbe-völkerung muß nicht nur Auge und Ohr der Truppe werden undgleichzeitig den Feind blind und taub halten; sie muß dasunerschöpfliche Rekrutierungsreservoir der Truppe sein, undzugleich muß die Truppe jederzeit, wenn nötig, ununterscheidbar insie zurückschmelzen können. Der Feind muß, wo und solange er stärker ist, ständig vor der Alternative stehen, wahllos auszurotten

oder ins Leere zu stoßen. Die entscheidende Operation jeder Totalguerilla ist, die Bevölkerung zu dem «Ozean» zu machen, indem der Feind ertrinkt und in dem die eigenen Soldaten schwimmenwie die Fische im Wasser. Ist diese stille Totalmobilisierung der Bevölkerung anders ausgedrückt: der aktive Übergang der Bevölkerung von der alten und offiziellen zu der neuen undrevolutionären Ordnungsgewalt einmal geglückt, so ist endgültige

 Niederlage so gut wie unmöglich geworden und Sieg nur noch eineFrage der Ausdauer und Leidensfähigkeit. Das Interessante ist, daßin fast allen bisherigen Kriegen dieser Art der jeweilige Feind selbstim höchsten Maße dazu beigetragen hat, die kriegsentscheidendeUmstellung der Bevölkerung zustande zu bringen, durch wahllosenTerror, der Einschüchterung erzeugen soll. Aber Terror, hinter demweder Überzeugungskraft noch dauernde und unwiderstehliche

Macht steht, hilft denen, die er brechen will.Der dritte Grundsatz europäischer Kriegführung war, den Krieg nachMöglichkeit ins Feindesland zu tragen. Die Totalguerilla ist nicht nur am stärksten im eigenen Land, sie ist wahrscheinlich nur im eigenenLand überhaupt möglich. Jedenfalls gibt es bisher kein Beispiel für erfolgreiche Kriegführung dieser Art in einem fremden Land, schonweil dort die Verschmelzung von kämpfender Truppe und Bevölke-

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rung, die eines der Haupterfolgsgeheimnisse dieser Art von Krieg-führung ist, unmöglich sein dürfte. Dagegen hat sich immer wieder 

erwiesen, daß die Totalguerilla, obwohl sie stets auch Bürgerkriegs-züge trägt, dann ihre größte Kraft entfaltet, wenn der Feind nicht dieeigene Regierung, sondern eine landfremde Aggressions- oder Kolo-nialmacht, etwa gar noch anderer Rasse, ist. Der entscheidende Ge-niestreich Maos im chinesischen Bürgerkrieg war der erzwungeneWechsel des Gegners im Jahre 1936/37, die Ersetzung Tschiangsdurch die Japaner, die ihm erst die Art Feind lieferte, die er brauchte,um Millionen ehemaliger Tschiang-Anhänger auf seine Seite zu zie-hen. Was nach dem japanischen Zwischenspiel von Tschiangs Regie-rung und Armee übrigblieb, war eine leere Hülse. Ähnlich dürfte imgegenwärtigen Vietnam-Krieg der amerikanische Entschluß, denKrieg zu einem amerikanischen zu machen, in absehbarer Zeit dievon ihnen bewaffneten und geschulten Truppen des ursprünglichensüdvietnamesischen Sonderstaates nach und nach auf die Seite ihresVolkes zurückführen; insofern ist die Vermutung begründet, daß

 jeder neu in Vietnam gelandete amerikanische Truppenteil den End-sieg der Gegner Amerikas sicherer macht.Der vierte Grundsatz europäischer Kriegführung war, den Krieg kurzzu halten. Der Grundsatz der Totalguerilla ist, den Krieg zu einemDauerzustand zu machen, «im Ozean des Krieges schwimmen zulernen». Dies ist für die europäische (oder gar die amerikanische)Mentalität besonders unverständlich, zum Verständnis der neuen

Kriegsform aber besonders wichtig. Etwas so Schreckliches wieeinen Krieg geradezu absichtlich in die Länge zu ziehen und unter Vermeidung einer Entscheidung jahre- und jahrzehntelang im Gangezu halten, erscheint uns, die wir schon im Sprichwort ein Ende mitSchrecken einem Schrecken ohne Ende vorziehen, pervers und un-menschlich (obwohl man es natürlich ebenso pervers und unmensch-lich finden könnte, etwas so Schreckliches wie einen Krieg über-

haupt anzufangen). Nun, auch den Chinesen, Algeriern, Kubanernund Vietnamesen wäre ein kurzer Krieg wahrscheinlich lieber als einlanger gewesen, und auch Mao Tse-tung hat eine seiner längsten undeindringlichsten Lehrschriften daran wenden müssen, seinen Ge-folgsleuten den Gedanken des Dauerkriegs nahezubringen. (Es ist diedritte der hier übersetzten Schriften.)Man bilde sich also nur nicht ein, man habe es hier mit einem Fall

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asiatischer Rätselhaftigkeit und Andersartigkeit zu tun. Die langeDauer einer Totalguerilla ist eine bittere strategische Notwendigkeit

und hat vollkommen rationale Gründe.Sie ist deswegen nötig, weil ein solcher Krieg für die revolutionäreSeite in seinem innersten Wesen immer ein Wachstumsvorgang ist,und Wachstum braucht Zeit. Es ist auffallend, wie oft in MaosSchriften das Wort «Wachstum» vorkommt es ist geradezu einSchlüsselwort, kaum weniger als die vielen Vergleiche mit demWasser. «Ein revolutionärer Krieg», schreibt er einmal, «bedeutetGeburt und Wachstum Wachstum von einer kleinen Streitmacht zueiner großen Streitmacht, von Machtlosigkeit zur Machtergreifung,von Waffenlosigkeit zu Totalbewaffnung, von Landlosigkeit zumBesitz des ganzen Landes.»Ein europäischer Staat beginnt einen Krieg normalerweise auf der Höhe seiner Kraft und seiner Vorbereitungen und ermüdet langsam,wenn der Krieg lange dauert ebenso übrigens ein asiatischer oder afrikanischer Staat oder eine europäische Kolonialmacht in Asien

oder Afrika. Eine Widerstandsbewegung aber beginnt mit nichts oder fast nichts, ist zunächst kaum mehr als eine Bande oder eine abgele-gene isolierte Kommune und braucht Zeit, viel Zeit, um zu wachsenim Kampf, für den Kampf und durch den Kampf zu wachsen, bis sieein Staat und schließlich der Staat geworden ist. Dieser Wachstums-

 prozeß, der Krieg als ständigen Wachstumsreiz erfordert, ist für ihrenFeind die landeseigene oder landfremde Regierung, die sie verdrän-

gen und ersetzen will so etwas wie das Wachstum eines tödlichenKarzinoms; für sie selbst ist es wie das Erwachsenwerden einesMenschen. Beides hat seine natürliche Dauer, die sich nicht künstlichverkürzen läßt.Man könnte hier Maos Grundmaxime über den Krieg: «Das Wesenaller Kriegführung ist, sich selbst zu erhalten und den Feind zu ver-nichten» auf die Spitze treiben und geradezu formulieren: «Das We-

sen der Totalguerilla ist, den Feind zu vernichten, indem man sichselbst erhält — und wächst.» Den Feind überwachsen, ihn totwach-sen: das ist, auf die letzte und schärfste Formel gebracht, das WesenMaoscher Kriegführung, und es ist leicht einzusehen, daß dazu Zeit,viel Zeit, viel harte, schreckliche, bittere Kriegszeit benötigt wird.Wenn diese lange Schreckenszeit zugleich den Feind ungeduldigmacht, schwächt, ermüdet, zu Unbesonnenheiten oder auch ganz

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einfach zum Aufgeben verleitet, um so besser.Ist das Grausamkeit? Aller Krieg ist grausam, und den totalen Gue-

rillakrieg zu verniedlichen und zu beschönigen, wäre ebenso ge-schmacklos wie die landläufige Verniedlichung und Beschönigungfriderizianischer oder napoleonischer Schlachten die keine militäri-schen Ballette, sondern konzentrierte Greuelszenen waren. Der menschliche Geist ist aber so beschaffen, daß er sich auch mit demSchrecklichen abzufinden und einzurichten weiß, solange es Sinnund Verstand hat und vernünftiger Erklärung zugänglich ist: mit denfriderizianischen und napoleonischen Schlachten zu ihrer Zeit ebensowie mit dem Maoschen Dauerkrieg heute. Nur die sinnentleerteGrausamkeit, nur der unverständlich gewordene, phrasengenährte,verlogene Krieg, der sich selbst nicht mehr erklären kann, nur daskopflose Wüten der trotzigen, lernfaulen Dummheit und Widerver-nunft, die nicht mehr weiß, was sie tut, ist gänzlich unentschuldbar und vor Gott und Menschen verworfen.Der fünfte Grundsatz europäischer Kriegführung war, eine schnelle

Entscheidung zu suchen — und sie anzunehmen, solange der mo-mentane Sieger dem Besiegten einigermaßen goldene Brücken baute.Der fünfte Grundsatz der Totalguerilla ist, jeder Entscheidung solange hartnäckig auszuweichen, wie der Gegner stärker bleibt, undkeine Entscheidung als endgültig anzunehmen, ehe der unvermeidli-che Sieg errungen ist. Eine von Maos Losungen, die in den folgen-den Schriften ausgegeben werden, lautet: «Keine Dauerfeldzüge und

keine Blitzkriegsstrategie, sondern eine Strategie des Dauerkriegesmit Blitzfeldzügen.» Es ist die natürliche Strategie des Schwächeren,der weiß, daß er es in sich hat, der Stärkere zu werden. (Solange er das nicht geworden ist, kann er nur immer wieder einmal blitzartigzuschlagen und dann schnell wieder das Weite suchen.) Und er hat esin sich, der Stärkere zu werden, wenn seine Wurzel in der Bevölke-rung fester sitzt und tiefer reicht als die seines Feindes, der dieselbe

Bevölkerung beherrschen will. Das ist gegenüber einer Fremdmachtimmer der Fall weswegen zum Beispiel der Krieg in Vietnam nachmenschlichem Ermessen für die Amerikaner unwiderruflich verlorenist, seit sie ihn zu einem offen amerikanischen Krieg gemacht haben,auch wenn sie, wie seinerzeit die Franzosen in Algerien, eine Weiledas ganze Land mit Gewalt niederhalten können sollten, und auchwenn es noch Jahre oder gar ein bis zwei Jahrzehnte dauern sollte,

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 bis ihre unvermeidliche Niederlage voll ausgereift ist. Es ist gegen-über einer landeseigenen Regierung dann der Fall, wenn diese Regie-

rung die Anhänglichkeit und den Respekt der Massen an die Revolu-tion verloren hat. Dies aber ist häufig schon die Voraussetzung für die Anfangserfolge der Revolution, so daß in Kriegen dieser Artheute immer eine starke Vermutung für den Endsieg der organisier-ten und militant gewordenen Revolution spricht, sobald sie den Testder ersten Monate überstanden hat; wenigstens dann, wenn die Revo-lutionäre nicht nur kämpfen und zerstören, sondern auch aufbauenund Staat schaffen: wachsen können.Dies alles erklärt nebenbei, warum die Totalguerilla die beiden Zer-störer des europäischen «gehegten» Krieges, Demokratie und Tech-nik, nicht zu fürchten hat. Sie ist, wie der aufmerksame Leser der vorangegangenen Absätze selbst deduziert haben wird, mit all ihrenspezifischen Schrecknissen, die eigentlich demokratische Form desKrieges, ein blutiges «plebiscite de tous les jours» während dieKriegsform, die auch westliche Demokratien immer noch als einzige

kennen und beherrschen, in ihrer Grundkonzeption und inneren Lo-gik aristokratisch-absolutistisch, also für Demokratien im Grundesystemwidrig ist und gerade wenn von Demokratien praktiziert,leicht den eigenen Herrn schlägt. Und wiederum: YJeil sie so demo-kratisch ist, unterläuft die Totalguerilla die moderne Kriegstechnik.Man kann einen Volkswiderstand, bei dem Soldat und Zivilist,Freund und Feind nicht mehr zu unterscheiden sind, nicht mit Flä-

chenbombardements niederschlagen; man facht ihn damit eher an.Man kann keine Kriegsindustrie zerschlagen, wenn keine existiertund der Waffennachschub für die Revolutionäre aus den Arsenalenihres Feindes, also der bekämpften Regierung oder der fremden Ein-dringlinge, stammt; und man kann ein Land nicht vernichten, dasman doch schließlich selber, direkt oder indirekt, beherrschen will.Oder kann man es doch? Für die Amerikaner in Vietnam zum Bei-

spiel wird die Endalternative wahrscheinlich sein, das Land, da sie esnicht «amerikanisieren» können, zu räumen oder es atomar zu ver-nichten. Das zweite freilich wäre für sie die schwerere, nie wieder-gutzumachende Niederlage.

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Mao und Trotzki

Wir haben die Totalguerilla Maoschen Stils soeben die eigentlichdemokratische Form des Krieges genannt und damit sicherlich man-chen Leser schockiert. Ist es nicht, wird man fragen, vielmehr diekommunistische Form des Krieges?Mao selbst dürfte diese Frage bejahen. In allen seinen Schriften führter die Existenz einer kommunistischen Partei und die Führung desKrieges durch die kommunistische Partei als eine der unabdingbaren

Voraussetzungen des Sieges auf.Wir tun aber gut daran, uns gerade hier wieder einmal zu erinnern,daß Maos militärische Schriften situations- und zweckbedingt sind.Er führte den chinesischen Bürgerkrieg als Führer der chinesischenKommunistischen Partei und hätte sich ins eigene Fleisch geschnit-ten, wenn er die notwendige Rolle dieser Partei nicht gebührendherausgestrichen oder gar in Zweifel gezogen hätte. Außerdem hatteer in der Situation des chinesischen Bürgerkrieges — und keine an-dere interessierte ihn, als er seine militärischen Schriften verfaßtevollkommen recht: Nur die Kommunistische Partei Chinas konntedamals, unter den konkret gegebenen Bedingungen, einen Kriegdieser Art organisieren und ihm das politische Rückgrat geben; esgab keine andere, die sie hätte ersetzen können.Inzwischen ist aber weiteres Erfahrungsmaterial für das Studium der Totalguerilla zur Hand gekommen, und heute wird man den Mao-

schen Satz, daß die Existenz einer kommunistischen Partei zu denunabdingbaren Voraussetzungen einer erfolgreichen Totalguerillagehört, modifizieren müssen. Immer noch bleibt wahr, daß die Exi-stenz einer Partei oder sonstigen politischen Organisation mit mas-senmobilisierender und staatsbildender Kraft für die siegreiche Füh-rung einer Totalguerilla absolut unentbehrlich ist. Dies kann einekommunistische Partei sein — sie ist es sehr oft; aber es braucht

nicht eine kommunistische Partei zu sein. Es hat erfolgreiche Total-guerillas gegeben, die von nichtkommunistischen Organisationengeführt worden sind: in Palästina, in Zypern, auch in Kuba (Castrokonvertierte erst nach seinem Siege zum Kommunismus), vor allemaber in Algerien, das eins der massivsten bisherigen Beispiele sieg-reicher Totalguerilla bietet und wo der Kommunismus überhauptkeine Rolle gespielt hat. Umgekehrt gibt es Beispiele kommunisti-

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scher Revolutionen (erfolgreicher und erfolgloser), die sich der Technik der Totalguerilla nicht bedient haben; insbesondere gilt dies

von der neben der chinesischen berühmtesten aller kommunistischenRevolutionen, der russischen. Die Bürger- und Interventionskriege,die der Oktoberrevolution folgten, sind erstaunlicherweise vonTrotzki als konventionelle Kriege, und zwar ganz bewußt nach Clau-sewitzschen Ideen, geführt und gewonnen worden.Die entscheidende Wichtigkeit einer nicht nur zur Massenmobilisie-rung, sondern auch zur Staatsbildung fähigen politischen Organisati-on springt in die Augen, wenn wir den Erfolg der modernen Total-guerilla mit dem Mißerfolg historischer Bauernkriege vergleichen.Dieser Mißerfolg hat zwar gewiß nicht immer die gleichen Ursachengehabt. Im deutschen Bauernkrieg zum Beispiel hatten die Aufstän-dischen nicht einmal den Grundgedanken jedes Volkskriegs begrif-fen, daß die Revolution im Kampf mit der etablierten Staatsgewaltnicht deren Kampf regeln annehmen darf: Kaum geboren, stelltensich die «hellen Haufen» der deutschen Bauern den schwerbewaffne-

ten und gutgedrillten Landsknechtsheeren ihrer Widersacher zur Schlacht und das heißt unter solchen Bedingungen ganz einfach zur Abschlachtung. Aber es hat auch in der europäischen Geschichterevolutionäre Kleinkriege gegeben, in denen manche der strategi-schen Grundgedanken dieser Kriegsform das Ausweichen vor Ent-scheidungsschlachten, die Ausnutzung des Raumes und der Struktur-schwäche der Staatsgewalt in den Weiten des Hinterlandes, die Fä-

higkeit der Partisanen, mit der ländlichen Bevölkerung ununter-scheidbar zu verschmelzen, die Strategie der Zermürbung und desDauerkrieges, die Mobilisierung nationaler Gefühle gegen den frem-den Eindringling mit fast genialem Instinkt begriffen und angewandtwurden; besonders im spanischen Volkskrieg gegen Napoleon von1808 bis 1813 war es so. Aber auch dieser Krieg ist politisch ergeb-nislos geblieben, und zwar weil ihm das Rückgrat einer ebenso

staatsbildenden wie revolutionären Organisation fehlte. Er konntezwar die Konsolidierung der feindlichen Ordnung nachhaltig verhin-dern, aber keine eigene wachstumsfähige revolutionäre Ordnung anihre Stelle setzen; letzten Endes kam er auf einen Kampf der Unord-nung gegen die Ordnung heraus, wobei doch die Ordnung jede Ord-nung schließlich immer den längeren Atem zu haben pflegt.Wahrscheinlich ist es gerade dies, was der Guerilla in der europäi-

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schen Kriegsgeschichte den Ruf der militärischen Unseriosität einge-tragen hat. Eine Guerilla ohne eigenes Ordnungs- und Staatsprinzip

kann zwar, unter gewissen Vorbedingungen, lange in Gang gehaltenwerden, verkümmert aber leicht zu bloßem Bandenwesen, wenn manso will: zu politischer Kriminalität großen Stils, und verliert schließ-lich gerade dadurch den Halt in der Bevölkerung, von dem sie lebt:Der Mensch ist nun einmal so beschaffen, daß er die reine Unord-nung und die reine Negation auf die Dauer nicht erträgt. Verzweif-lung und Empörung genügen zwar, um eine Guerilla in Gang zusetzen, aber nicht, um sie zum Siege zu führen: Dazu gehört dieKraft zur Errichtung einer positiven Gegenordnung, die schließlichsogar, irgendwann im Verlaufe des Krieges, das Bewußtsein der überlegenen, der eigentlichen Legitimität für sich gewinnen und demFeind das Odium des Ordnungstörers zuschanzen können muß. Unddazu wiederum gehört eine festgefügte Organisation, die beides hat:eine Ideologie, die sie mit den Bevölkerungsmassen verbindet undihr die Überzeugungskraft gibt, mit der die ersten alles wagenden

Freiwilligen geworben werden, und eine innere Disziplin, die voneinem bestimmten Augenblick an «fassen» und Staatsgewalt werdenkann. Eine solche Organisation fehlte den spanischen Guerilleros der 

 Napoleonzeit ebenso wie den französischen Bauern der vendee oder den italienischen Banden des 19. Jahrhunderts. Sie macht offenbar den entscheidenden Unterschied zwischen sicherer Niederlage undUnbesiegbarkeit.

Sicherlich ist eine leninistische Partei in vieler Hinsicht für eine sol-che Rolle wie geschaffen, und ihre Erfolge in China selbst, im Jugo-slawien des Zweiten Weltkrieges und in Vietnam sprechen für sich.Aber das Verhältnis zwischen Kommunismus und Totalguerilla isttrotzdem nicht so einfach, wie es hiernach scheinen könnte.Der australische Sinologe C. P. Fitzgerald schreibt in seinem BucheRevolution in China»: «Mao und Tschuh schufen eine neue Art

kommunistischen Regimes, mit den Bauern als Fundament, Bodenre-form als Hauptstütze, Guerillakrieg als Verteidigung, Vermeidungder Städte als Strategie, Aufrüttelung der Bauern als politischemZiel. Nach der russischen Theorie war das alles Häresie. Das Politi-sche Zentralkomitee und die Russen bemerkten das sofort, und Maowurde aus dem Politischen Zentralkomitee ausgeschlossen. Viel-leicht wurde er sogar aus der Kommunistischen Partei ausgeschlos-

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sen, niemand kann das heute nachprüfen. Der Kommunismus liebt esnicht, Beweise vergangener Fehler in seinen Geschichtsbüchern zu

 belassen.»Ob Mao nun wirklich einmal aus der Kommunistischen Partei ausge-schlossen wurde oder nicht sicher ist, daß seine Führung des Revolu-tionskrieges vom hergebracht marxistisch-leninistischen Standpunktaus durch und durch häretisch war. Jeder objektive Beobachter kanndas mit dem bloßen Auge ebenso deutlich sehen, wie es die damali-gen Führer der chinesischen KP und wie es Stalin und später Chruschtschow sahen.Die Marxsche Lehre, an der auch Lenin theoretisch nichts geänderthat, ernennt zum Vollstrecker der sozialistisch-kommunistischenRevolution das Industrieproletariat der Großstädte; sie setzt eineentwickelte kapitalistische Wirtschaft als Vorgänger und Grundlageder proletarischen Revolution voraus die proletarische Revolutionsoll im kapitalistischen System so natürlich zur Geburt heranreifenwie das Embryo im Mutterleib. Auch ist diese Revolution von Marx

offensichtlich keineswegs als ein mörderischer Dauerkrieg ins Augegefaßt, sondern als ein kurzer explosiver Vorgang, eben eine Geburt.Auch wenn Mao also der Marxschen Lehre gelegentlichen Lippen-dienst geleistet, und auch wenn er eine marxistisch-leninistisch ein-gestellte kommunistische Partei als Führungs- und Integrationsin-strument seiner Revolution und seines revolutionären Krieges undStaates benutzt hat: An die marxistischleninistische Lehre gehalten

hat er sich keinen Augenblick. Was er von Marx übernommen hat,ist der scharfe Blick auf die Wirklichkeit der Klassen und Klassenin-teressen; was er von Lenin übernommen hat, ist die feste Organisati-on der Partei als politisches Macht- und Führungsinstrument. Das istaber auch alles. Der Inhalt seiner Revolution war nicht marxistisch,und ihre Strategie und Taktik war nicht leninistisch. Die Klasse, auf die er sich in Wahrheit für Revolution und Revolutionskrieg gestützt

hat auch wenn er gelegentlich etwas anderes sagt -, sind die Bauern,nicht die Industriearbeiter gewesen. Die großen Städte, in denen esIndustriearbeiter gab, hat er ganz zuletzt von außen militärisch er-obert; nie hat er sie von innen zu revolutionieren versucht. SeineGegenordnung ist nicht im Schöße der alten Ordnung natürlich her-angereift, sondern von den ersten Anfängen an der alten Ordnunghart und herausfordernd entgegengestellt worden; sie setzt die alte

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Ordnung nicht auf höherer Ebene, gewissermaßen mit einer Spiral-drehung, fort, sondern sie setzt sozusagen unterhalb der alten Ord-

nung neu an, in den Tiefen der vernachlässigten, zurückgebliebenenLandbevölkerung, aus denen der militante Gegenstaat heranwuchs.Sie ist nicht geboren, sie ist erkämpft worden. Sie ist außerdem vonAnfang an betont chinesisch-nationalistisch, nicht proletarisch-internationalistisch gewesen. Sie ist weit mehr eine Fortsetzung der Tai-phing und der Boxerrevolution als der Pariser Kommune oder selbst der russischen Oktoberrevolution.Freilich auch die russische Oktoberrevolution war ja bereits in einemstreng marxistischen Sinne häretisch. Auch sie war keine Proletarier-revolution, auch sie fand in einem vor- oder allenfalls frühkapitalisti-schen Bauernland statt, in dem sie nach Marx eigentlich gar nichtstattfinden konnte. Lenin und Trotzki rechtfertigten ihren Staats-streich denn auch anfänglich nur als «Initialzündung» einer europäi-schen, nicht russischen Revolution; aber diese europäische Revoluti-on fand ja dann bekanntlich nicht statt. Soweit die russische Revolu-

tion mehr als ein Staatsstreich war, war auch sie eine Bauernrevolu-tion, und es war wohl auch im letzten Grunde das Klasseninteresseder Bauern, die sich das Land der Grundherren genommen hatten,was die Bürger- und Interventionskriege zugunsten der Bolschewikientschied. Aber den russischen Bolschewiki war das alles unendlich

  peinlich, sie haben es nie wahrhaben wollen und es immer nachKräften wegdisputiert während Mao, trotz gelegentlicher Kompli-

mente an das (in China kaum vorhandene) Proletariat, nie ein Hehldaraus gemacht hat, daß er der Führer einer Agrarrevolution undeines Bauernkrieges war. Bei Mao decken sich Wort und Lehre imgroßen ganzen mit der Tat; in Rußland klafft zwischen Wort und Tatvom ersten Tage an ein nicht zugegebener Widerspruch, der in diesowjetische Innenpolitik bis zum heutigen Tage ein Element vonKrampf und Unwahrhaftigkeit, von verleugnender Unsicherheit ge-

genüber der eigenen Geschichte und dem eigenen Wesen hineinträgt.Wichtiger aber als der Unterschied in den Worten ist der ungeheureUnterschied in den Taten der russischen und der chinesischen Revo-lutionäre.' In China waren Agrarrevolution, Bürgerkrieg und politi-sche Revolution eins ein langer Vorgang, der ein Vierteljahrhundertin Anspruch nahm; und der Bürgerkrieg, dessen Antrieb die Agrarre-volution und dessen Ziel und Ergebnis die politische Revolution war,

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wurde von Anfang bis zu Ende als Volkskrieg, als Totalguerilla ge-führt. In Rußland ging die politische Revolution als Staatsstreich

allem anderen voran; die Agrarrevolution lief, planlos und anar-chisch, mehr geduldet als gelenkt, nebenher; der Bürgerkrieg eineverhältnismäßig kurze Folge von Einzelkampagnen folgte nach, alsAbwehrkrieg gegen Gegenrevolution und Auslandsintervention, undwurde als konventioneller Krieg mit improvisierten konventionellenArmeen geführt, die auf Zwang und Gehorsam gegründet waren wie

 jede staatliche Armee und deren Untereinheiten zum großen Teil vonzwangsverpflichteten zaristischen Berufsoffizieren geführt wurden.Die russischen Bolschewiki führten ihre Bürgerkriege von 1918 bis1921 als legale Staatsmacht, die Aufständische niederkämpfte; undihr Instrument dabei war eine konventionelle Wehrpflichtarmee mitkonventioneller Disziplin, von Trotzki in einer organisatorischenGewaltleistung aus dem Boden gestampft aber eben aus dem Boden,den die alte Zarenarmee vorgepflügt hatte. Man könnte sagen: Leninund Trotzki rissen der alten russischen Oberklasse ihren Staatsknüp-

 pel aus der Hand und drehten ihn um; aber es war immer noch der-selbe Knüppel.Mao dagegen führte seinen jahrzehntelangen Bürgerkrieg alsRevolutionär und Schöpfer eines Gegenstaates; und er führte ihn mitden Mitteln der Totalguerilla, durch die Gewinnung, Mobilisierungund Organisation der bäuerlichen Massen Chinas. Seine Armeen undsein Staat wuchsen sehr langsam, aus einem Boden, den er selbst

zunächst aufzupflügen und zu säen hatte. Er riß nicht dem altenChina den Knüppel aus der Hand und drehte ihn um; sondern er drehte, sehr langsam, die Hand um, die den Knüppel hielt, bis sie ihnfallen ließ. Was sich zwischen 1927 und 1949 in China unter der Führung Maos abgespielt hat, ist ein ganz anderer Vorgang, politischwie militärisch, als der, über den in Rußland zwischen 1917 und1921 Lenin und Trotzki präsidierten.

Die Parteien, die in Rußland und in China am Werke waren, nanntensich beide kommunistisch, beriefen sich beide auf Marx und machten beide eine Revolution. Aber es waren grundverschiedene Revolutio-nen; der Kommunismus, dem sie dienten, war von vornherein in

 jedem Fall etwas ganz anderes; und das einzige, was die beiden Re-volutionen und die beiden Kommunismen gemeinsam hatten, war vielleicht, daß beide, vom Standpunkt der Marxschen Lehre aus,

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Häresien waren. Aber selbst die Häresien waren mindestens so ver-schieden wie die Häresien Luthers und Calvins. Wer die Entste-

hungsgeschichte der Sowjetunion und der Chinesischen Volksrepu-  blik beobachtet auch und gerade vom kriegsgeschichtlichen Stand- punkt aus —, wundert sich nicht über die gigantischen Mißverständ-nisse, denen ihr Verhältnis von Anfang an ausgesetzt war.Zwei Anekdoten zur Illustration. Im Jahre 1918 formte sich, unter Führung von Smirnow, Pjatakow und Bucharin, im Zentralexekutiv-komitee der bolschewistischen Partei, eine «militärische Opposition»gegen Trotzki, die seinen «Militarismus» und vor allem die Massen-rekrutierung zaristischer Berufsoffiziere für die Rote Armee kritisier-te und sich für eine auf revolutionäre Überzeugung gegründete Frei-willigenarmee von Arbeitern und Bauern einsetzte. Das Schlagwort,mit dem Trotzki diese Opposition niederschlug, hieß: «Guerillais-mus».Die andere Anekdote erzählt der schon vorher zitierte australischeSinologe C. P. Fitzgerald. «In Peking war eine Anekdote im Umlauf,

wonach nach Beendigung des Krieges in Europa Stalin an Mao Tse-tung ein russisches Buch über Partisanenkrieg gesandt hatte, dieFrucht der russischen Erfahrungen während der deutschen Invasion.Mao las es und zeigte es Lin Piao, seinem besten militärischen Be-fehlshaber und dem größten Fachmann der Guerillakriegführung inChina. <Wäre das unser Lehrbuch gewesen> soll Lin geantwortethaben, <dann wären wir schon vor zehn Jahren vernichtet worden!>»

Kein Rezept für Deutschland

Die weite Anwendbarkeit der Maoschen Kriegslehre und Kriegspra-xis auf die revolutionären Unabhängigkeitskriege «unterentwickel-ter», kolonialer oder halbkolonialer Länder hat sich in der Geschichte

der letzten zwanzig Jahre immer wieder erwiesen; und immer wieder erwiesen hat sich auch, daß mit dieser Kriegspraxis die überlegeneWaffentechnik moderner Großmächte unterlaufen und mattgesetztwerden kann. Das extreme Experiment in dieser Hinsicht ein Kriegzwischen einem durch eine lange Küste und ein enges Hinterland

 besonders exponierten, relativ kleinen und schwachen Lande und der waffenstärksten Großmacht der Gegenwart ist zur Zeit in Vietnam

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im Gange und hat schon jetzt mindestens so viel erwiesen, daß esauch unter solchen extremen Kräfteverhältnissen dem «Schwäche-

ren» möglich ist, sich gegen den «Stärkeren» zu behaupten und ihmdie Art von Dauerkrieg aufzuerlegen, die nach aller bisherigen Erfah-rung das kämpfende Volk nicht verlieren und die waffenstarrendefremde Unterwerfungsmacht nicht gewinnen kann.Über die Möglichkeiten der Totalguerilla in Mittelund Südamerika,im südlichen Afrika und etwa auf dem indischen Subkontinent sollhier nicht spekuliert werden. Dagegen interessiert sicherlich jedendeutschen Leser die Frage, ob sich Maos Lehre und Praxis auf euro-

 päische Verhältnisse, also insbesondere auf Deutschland, anwendenläßt.In Deutschland bestehen ja seit über zwanzig Jahren Spannungen, diein früheren Zeiten zweifellos schon längst durch Krieg oder Revolu-tion oder beides ausgetragen und aufgelöst worden wären. Die An-wesenheit überwältigender Fremdmächte auf deutschem Boden, diesich gegenseitig durch das Atompatt paralysieren, hat einen solchen

Austrag unmöglich gemacht, und so bestehen die ungelösten Span-nungen unbegrenzt weiter — ein Zustand, an den man sich so ge-wöhnt hat wie Hans Castorp an den Zauberberg, nämlich indem mansich daran gewöhnt hat, daß man sich nicht gewöhnt.Es ist eine der Pointen Maoscher Kriegführung, daß sie überlegeneWaffentechnik zu unterlaufen in der Lage ist: Insofern könnte sie — so scheint es jedenfalls auf den ersten Blick den Deutschen einen

Ausweg aus ihrer Lage bieten. Außerdem ist Deutschland ein nichtvoll souveränes, fremdem Einfluß und fremder Obergewalt unter-worfenes, geteiltes Land eine weitere Parallele zu dem China der dreißiger Jahre. Schließlich könnte man sogar sagen, daß auch die

  beiden Hauptvoraussetzungen Maoscher Kriegführung, eine disaf-fektionierte Bevölkerung und eine leninistische Partei, in Deutsch-land vorhanden sind, allerdings falsch verteilt: Der einzige Aufstand,

den Deutschland seit 1945 produziert hat, hat dort stattgefunden, wodie leninistische Partei bereits herrscht. Immerhin, zweifellos haben  beide deutschen Regierungen hin und wieder mit dem Gedankengespielt, ihren Staat als gesamtdeutschen Gegenstaat des jeweilsanderen aufzufassen und zum Herd und Stützpunkt der Revolutionim anderen Teil Deutschlands zu machen; die Ausgangspositionzweier konkurrierender Staatsgewalten im selben Staatsvolk und

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Staatsgebiet, die Mao erst aus dem Nichts schaffen mußte, wäre,wenn einmal mit diesem Gedanken Ernst gemacht würde, in

Deutschland schon vorgegeben.Trotzdem erscheint eine Maosche Totalguerilla in Deutschlandunmöglich, und alle eben aufgeführten Parallelen bleiben an der Oberfläche. Selbst wenn sich in Ostdeutschland die Revolutionsbe-reitschaft des Jahres 1953 eines Tages wiederbeleben oder wenn sichin Westdeutschland das derzeitige «Unbehagen», etwa durch eineWirtschaftskrise, irgendwann einmal zu einer revolutionären Situati-on verdichten sollte im Augenblick erscheint beides unwahrschein-lich -, laßt sich mit Sicherheit voraussagen, daß die etwa möglichenrevolutionären Vorgänge in Deutschland niemals die Form einesMaoschen Volks-, Revolutions- und Dauerkrieges annehmen könn-ten. Dasselbe dürfte für alle reichen und hochindustrialisierten Län-der gelten. Denn die Totalguerilla Maoscher Prägung hat, neben den

 beiden allgemeinen Grundvoraussetzungen einer revolutionsbereitenBevölkerung und einer zur Staatsbildung fähigen revolutionären

Partei, drei spezielle Voraussetzungen, die nur in «unterentwickel-ten» Ländern gegeben sind. Alle drei hängen miteinander zusammen.

Das erste ist eine arme, elende und verzweifelte Bevölkerungs-masse, die wenig oder nichts zu verlieren hat und für die der Unter-schied zwischen einem Dauerkrieg und der Art von Leben, die ihr die bestehende Friedensordnung bietet, verhältnismäßig geringfügigist.

Das zweite ist eine überwiegend selbstversorgerische Agrarwirt-schaft, die durch Dauerkrieg nicht völlig aus den Angeln gehobenwerden kann und die die Ernährung trainloser bäuerlicher Partisa-nenarmeen ermöglicht.

Das dritte ist ein verkehrsmäßig wenig erschlossenes, in weitenTeilen unzugängliches Land, in dem die Organisation der Staatsge-walt versickert, und die der Partisanenkriegführung sowohl Aus-

weichmöglichkeiten ins Unzugängliche wie die Möglichkeit überra-schender Schwerpunktbildung bietet.Diese drei Voraussetzungen seiner Kriegführung werden von Mao

in seinen militärischen Schriften nicht besonders herausgestellt. Er hatte es nicht nötig, auf sie hinzuweisen, denn er fand sie in Chinaohnehin vorgegeben, und der Hinweis auf ihre Armut und ihrenMangel an Industrie und damit an Waffen hätte seine Kämpfer viel-

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leicht nur nutzlos entmutigt. Nur die Unerschlossenheit Chinas spieltin Maos militärischen Schriften eine wiederkehrende Rolle, aber 

meist, ein wenig irreführend, in der Form eines Hinweises auf Chinasterritoriale Größe. Immer wieder, besonders in den Schriften über den Guerillakrieg gegen Japan, findet sich die Darlegung, daß Japanzwar ein starkes, aber ein kleines Land ist, China dagegen zwar einschwaches, aber ein großes; und daß diese große Ausdehnung desLandes Gelegenheit bietet, den starken, aber kleinen Invasionsar-meen, die sich darin verlieren und zersplittern, immer wieder überra-schend konzentrierte örtliche Überlegenheit entgegenzusetzen undsie stückweise zu vernichten kleine örtliche Blitz- und Vernichtungs-feldzüge in eine Gesamtstrategie der zunächst bloß hinhaltendenVerteidigung einzubauen. Das alles ist im einzelnen faszinierenddargelegt; aber es fragt sich, ob die stillschweigend unterstellte Vor-aussetzung, daß es nur in einem großen Land und dafür in jedemgroßen Land möglich ist, eigentlich stimmt.Diese Voraussetzung ist sehr alt und hat sicher etwas unmittelbar 

Einleuchtendes. Auch Clausewitz sprach bereits davon, daß ein er-folgreicher Volkskrieg «entweder eine solche Oberfläche des einge-nommenen Reiches voraus (setzt), wie sie außer Rußland kein euro-

 päischer Staat hat, oder ein Mißverhältnis zwischen der einfallendenArmee und der Oberfläche des Landes». Aber die Erfahrung der letzten zwanzig Jahre hat gezeigt, daß der Volkskrieg audi in ver-hältnismäßig kleinen Ländern erfolgreich sein kann, sogar auf so

winzigen Inseln wie Kuba und Zypern; und wenn Mao selbst in spä-teren Schriften diesen Erfolg der Totalguerilla auch in kleinen Län-dern auf das allgemeine Erstarken des sozialistischen und revolutio-nären Lagers zurückführt, so überzeugt das nicht: Weder China nochRußland haben Castro und Grievas in ihren Kampfjahren entschei-dend geholfen.Tatsächlich ist es vielmehr bei genauerem Hinsehen so, daß die Grö-

ße eines Landes vom Gesichtspunkt des Guerillaführers aus weniger wichtig ist als seine Unerschlossenheit. «Größe» ist ein sehr relativer Begriff. Für einen Fußgänger ist auch das kleinste Land groß und der Maosche Krieg ist ein Fußgängerkrieg» Worauf es ankommt, ist, daßdas Land in hinlänglichem Maße Gegenden und Terrains bietet, diedem ortskundigen Fußgänger zugänglich sind, dem orts- oder gar landfremden motorisierten Feind aber nicht. Es ist eine Frage nicht

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der Größe auf der Landkarte, sondern der Unerschlossenheit undUnzugänglichkeit, der «Unterentwicklung». Gebirge, Dschungel,

wasserlaufzerschnittene Deltagebiete, aber auch das ganz gewöhnli-che flache Land, solange es an ausgebauten Straßen, Eisenbahnen,Landeplätzen und Telefonen fehlt das ist Guerillaland, ob es nun dasriesige China ist oder das kleine Vietnam. (Auch von Hanoi bis Sai-gon ist es immerhin ungefähr so weit wie von Hamburg bis RomPlatz genug für 30 Millionen Vietnamesen, sich darin zu verlieren,von 200 000 oder selbst 500 000 Amerikanern zu schweigen.)Je mehr dagegen ein Land technisch erschlossen ist, je mehr seineLandschaft und seine Lebensbedingungen Stadtcharakter annehmen,um so mehr begünstigt es die technisierte und motorisierte Staatsge-walt, sei es der eigenen Regierung, sei es der Invasionsmacht, gegendie Partisanen. In Europa gibt es nur noch wenige potentielle Parti-sanenländer; bezeichnenderweise war der subsidiäre Partisanenkriegdes Zweiten Weltkrieges im «unterentwickelten» europäischen Sü-den und Osten am erfolgreichsten, und das einzige europäische Land,

wo eine Maosche Totalguerilla sich entfalten konnte, war Jugoslawi-en, und zwar wiederum hauptsächlich in seinen zurückgebliebenstenTeilen, Bosnien und Montenegro. In einem Land wie Deutschland, indem große Landstriche man denke an das Ruhrgebiet, an das badi-sche Rheintal, an Südwestholstein, aber auch an Sachsen und das«Ballungsgebiet» Groß-Berlin bereits einer einzigen Großstadt glei-chen, einem Land, in dem sich in jedem Dorf mindestens zwei Auto-

straßen kreuzen, und selbst der Spaziergänger im Walde keine Stun-de mehr wandern kann, ohne Menschen (womöglich motorisiertenMenschen) zu begegnen: in einem solchen Lande fehlen die Voraus-setzungen auch nur für den Anfang eines Partisanenkriegs. Die be-waffnete Macht wäre überwältigend zur Stelle, ehe auch nur die ersteDorfversammlung beendet wäre.

 Nun ist freilich eine solche Stadtzivilisation, wie sie sich im westli-

chen und nördlichen Europa und ganz besonders auch in Deutsch-land entwickelt hat und immer noch weiter entwickelt, besondersstörungs- und sabotageanfällig. Der Gedanke, wie leicht sich diegesamte Funktionsfähigkeit einer solchen technisch hochgezüchtetenGroßmacht durch wohlgezielte Anschläge auf gewisse Kraftwerke,Telefonzentralen, Bahnknotenpunkte, Häfen, Benzinlager usw. lahm-legen läßt, wie solch ein Goliath gewissermaßen mit Davids Schleu-

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der aufs Kreuz zu legen ist, muß in den Kriegsplanungen der Gene-ralstäbe von heute eine größere Rolle spielen als je, und den Subsidi-

ärpartisanen einer Invasionsarmee, ja schon einzelnen Feindagenten bieten sich hier und heute im Kriegsfall geradezu traumhafte Mög-lichkeiten. Aber dabei würde es sich immer um Maßnahmen eineskonventionell europäischen Krieges handeln, der eine schnelle Ent-scheidung anstrebt, indem er ein feindliches Land möglichst schnellkampfunfähig zu machen sucht, ohne Rücksicht darauf, ob seineBevölkerung damit zugleich lebensunfähig gemacht wird; und zwar gehört diese Art Kampfführung zum konventionell europäischenKrieg in seiner heutigen technisch bedingten Entartungsform. Für den Volkskrieg Maoscher Prägung, der ja immer im eigenen Landstattfindet und der ja immer das eigene Volk für einen langen Zer-mürbungskampf gegen die eigene oder fremde Staatsgewalt mobili-sieren muß, ist eine derartige Kriegführung gänzlich unbrauchbar, jaselbstmörderisch. Denn ein solcher Volkskrieg, so grausam undrücksichtslos er gegen die Vertreter auch die nichtuniformierten Ver-

treter der bekämpften Staatsgewalt verfährt, und so massenhafteBlutopfer er auch den eigenen Partisanen und der eigenen zivilenAnhängerschaft zumutet, kann sich eines niemals leisten: der eigenenGesamtbevölkerung, die er ja braucht, und auf sehr lange braucht,die Lebensgrundlage zu entziehen und sie in eine Lage zu versetzen,in der ihre gesamten Energien für die Fristung des nackten Lebensverbraucht werden.

Dies ist auch zweifellos ein Hauptgrund, weswegen sämtlicheVolkskriege der letzten zwanzig Jahre die Städte ausgespart habenund das, obwohl proletarische Stadtbevölkerungen sicher ein beson-ders gutes revolutionäres Menschenreservoir bilden, nach der Auf-fassung Marx' sogar den einzigen wirklich qualifizierten Revoluti-onsträger darstellen. Aber städtische Revolutionen haben einen kur-zen Atem, aus dem einfachen Grunde, daß auch Revolutionäre essen

müssen. Wenn eine städtische Revolution, die durch Generalstreik und Barrikadenkampf geführt wird, nicht in wenigen Tagen gesiegthat und ihre Siegesaussichten sind unter den heutigen technischenUmständen noch zweifelhafter als im 19. Jahrhundert -, dann brichtsie durch Hunger zusammen. Keine Großstadt kann die Störung ihrer Lebensmittelversorgung mehr als ein paar Tage überleben; und jedestädtische Revolution bedeutet eine radikale Störung der Lebensmit-

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telversorgung durch die Lähmung des Transport- und Verteilerappa-rats, selbst wenn das Land lieferbereit bleibt.

Dasselbe aber gilt für ein verstädtertes, hochtechnisiertes Land alsGanzes, und es gilt nicht nur für die Lebensmittelversorgung, son-dern für die Versorgung im allgemeinen: mit Elektrizität und Gas,mit Saatgut und chemischen Düngemitteln für die Bauern, mit Ölund Kohle, mit Rohstoffen für die Fabriken, Waren für die Geschäfteund (nicht zuletzt) Geld für die Hausfrauen. Der moderne Europäer und zwar der Kleinstädter und der Landbewohner kaum weniger alsder Großstädter ist für sein tägliches Leben von tausend Dingen ab-hängig, deren Wegfall ihn vollkommen hilflos machen würde; und esist unmöglich, die komplizierte Wirtschaftsmaschinerie, die diesetausend Abhängigkeiten tagtäglich befriedigt, auch nur notdürftig inGang zu halten oder zu ersetzen, wenn man gleichzeitig über weiteLandstriche die Staatsgewalt außer Kurs setzt. Ein Volkskrieg ineinem hochentwickelten Land würde deswegen vom ersten Tage an,neben der eigentlichen Kriegführung, wirtschaftliche Probleme von

einer Kompliziertheit zu lösen haben, der er unmöglich gewachsensein kann. Nicht so sehr die überlegene Waffentechnik des Feindesdie sich in einem weiten unerschlossenen Lande unterlaufen läßt :diekomplizierte Lebenstechnik als solche macht in einem Kochentwik-kelten Industrieland den Volkskrieg unmöglich, und zwar weil siedie Bevölkerung, trotz aller Motorisierung, in einem politisch-militärischen Sinne immobilisiert. Der einzelne, und auch die Masse

der einzelnen, kann aus dem Netz wirtschaftlicher Verflechtungenund Abhängigkeiten, das die technische Hochzivilisation gewobenhat, ohne Lebensgefährdung nicht herausspringen. Tut er es doch, soist er mit der reinen elementaren Lebensfristung, für die er schlechtvorbereitet und ausgerüstet ist, voll in Anspruch genommen, unddaran verendet der etwa begonnene Volkskrieg: Seine Partisanenhaben keine Zeit und Kraft mehr zum Kämpfen übrig, weil die reine

Lebensfristung Zeit und Kraft vollkommen aufzehrt, und die Zivil- bevölkerung, die den Volkskrieg tragen soll, hält den Zivilisations-streik, den er voraussetzt, erst recht nicht durch. Sollte aber, was fastunvorstellbar ist, eine zum äußersten entschlossene und mit extremenMachtmitteln ausgestattete revolutionäre Führung doch einen sol-chen Zivilisationsstreik und eine solche Selbstzerstörung eine Zeit-lang erzwingen, so käme die Wirkung voraussehbarerweise fast der 

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eines Atomkrieges gleich: Für eine von der Technik gänzlich abhän-gig gewordene Bevölkerung bedeutet die plötzliche und nachhaltige

Lahmlegung des technischen Apparats, ohne den sie nicht mehr le- ben kann, so etwas wie Genozid; Hunger, Seuchen und Massentodwären die unvermeidliche Folge. Der Versuch Hitlers, im April 1945in Deutschland den allgemeinen Volkskrieg zu entfesseln, bietet,trotz seines schnellen Endes, eine Art Modellfall.Man kommt also zum zweitenmal, und nun auf einem anderen Wege,zu demselben Ergebnis: daß nur «unterentwickelte» Länder denVolkskrieg führen können daß sie also insoweit ein Kampfmittel

 besitzen, das den entwickelten Ländern fehlt, und ihnen daher unter einem gewissen, sehr wesentlichen Gesichtspunkt überlegen sind.Das Land muß unerschlossen sein, damit es sich zum Schauplatzeines Volkskrieges eignet; und die Bevölkerung, die den Volkskriegführen soll, muß wesentlich aus Bauern bestehen, und zwar aus Bau-ern, die eine ziemlich primitive, unspezialisierte Selbstversorgungs-wirtschaft betreiben; nur in einer solchen Bevölkerung können die

Partisanenheere schwimmen «wie die Fische im Wasser» und auchnoch ihre Nahrung finden.Und nur eine solche Bevölkerung das ist die dritte, psychologischeVoraussetzung des totalen Volkskrieges, die nicht weniger wichtigist als die geographisch-strategische der Unerschlossenheit des Lan-des und die wirtschaftlich-technische einer primitiven Landwirtschaftals Lebensgrundlage der Massen hat die Bedürfnislosigkeit, Leidens-

fähigkeit und Geduld, die das Durchstehen eines jahre- oder jahr-zehntelangen Volkskrieges erfordert. Verzweiflung und Zorn, dieunentbehrlichen psychologischen Voraussetzungen jedes Volkskrie-ges, sind nicht genug: Es muß Armut dazukommen. Denn Verzweif-lung und Zorn sind kurzlebige Leidenschaften, die übrigens auch der Reiche kennt. Die OAS der französischen Siedler in Algerien, diezum Schluß, als Frankreich den Krieg verlorengab, einen Gegenter-

ror entfaltete, war zweifellos auch von Verzweiflung und Zorn ange-trieben: Aber wie schnell war der Zorn gestillt, wie schnell die Ver-zweiflung vergessen, als sich zeigte, daß das Leben auch nach der 

  Niederlage und nach dem Verlust der Heimat immer noch süß undvoller Reize blieb! Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein reiches Volk einen Volkskrieg durchhalte.Ein Volkskrieg, wie ihn Mao Tse-tung und sein großer General

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Tschuh-Teh in China und Ho Chi-Minh und sein großer General Vo Nguyen Giap in Vietnam geführt haben oder führen, braucht als sei-

ne Rekruten Menschen, die nicht nur verzweifelt und zornig, sondernauch gänzlich arm sind. Sie müssen nichts oder fast nichts zu verlie-ren haben, denn der Krieg, auf den sie sich einlassen, wird ihnenalles, oder fast alles, nehmen und den meisten von ihnen dafür nichtsgeben als Hoffnung. Die meisten von ihnen werden lange vor demSieg im Kriege fallen. Auch das darf ihnen nicht als allzu großer Verlust erscheinen: Die meisten siegreichen Volkskriege sind inLändern geführt worden, wo die durchschnittliche Lebenserwartungohnehin unter oder wenig über 30 Jahren lag.Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland liegt heute

 bei etwa 70 Jahren, und selbst der weniger begüterte Deutsche hatheute in diesen 70 Jahren ein reiches Sortiment von Annehmlichkei-ten zur Verfügung, und zwar in beiden Teilen Deutschlands. Sehr wenige Deutsche würden, wenn sie mit sich selbst ehrlich sind, zu

 behaupten wagen, daß sie einen erheblichen Teil dieser Annehmlich-

keiten geschweige 40 oder 50 ihrer 70 Jahre wirklich darangebenwollten, die Teilung Deutschlands oder die bestehenden Verhältnissein ihrem Teil zu beenden. In einem befohlenen konventionellenStaatskrieg würden sie natürlich gedankenlos ihre Pflicht tun und auf das Beste hoffen; äußerstenfalls würden einige von ihnen im Rauschund der Aufwallung eines begeisterten Augenblicks ihr Leben auf der Barrikade einsetzen, in der Hoffnung, daß in ein paar Tagen alles

so oder so entschieden sei. Wie lange solche heroischen Aufwallun-gen unter den angenehmen Lebensumständen Europas vorhalten, hatman in Ostdeutschland 1953 und in Ungarn 1956 beobachten kön-nen. In Ostdeutschland waren es zwei Tage; in Ungarn zwei bis dreiWochen. Die Mentalität der Vietnamesen, die jetzt fast 20 Jahre lang«im Ozean des Krieges schwimmen», auch nur nachempfindend zuverstehen, ist den glücklichen Deutschen ebenso wie den glücklichen

Ungarn und all den glücklichen Europäern fast unmöglich. IhrenDauerheroismus in der Praxis nachzuahmen: ganz unmöglich.Mit der Anwendbarkeit des Maoschen Kriegsrezepts auf Deutsch-land oder Europa ist es also nichts. Es ist eine Art Krieg, die nur arme Länder und arme Menschen führen können; und daher eine ArtKrieg, die den Armen und Machtlosen eine Art Überlegenheit über die Reichen und Mächtigen gibt. Freilich nur bei sich zu Hause. Es

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kann keine Rede davon sein, daß die Algerier die Franzosen oder dieVietnamesen die Amerikaner in dem Sinne «besiegen» könnten, wie

europäische Königreiche einander in der Vergangenheit besiegt ha- ben daß also die Algerier in Paris oder die Vietnamesen in Washing-ton im Triumph einmarschieren könnten, daß sie den Besiegten De-mütigungen und Gebietsabtretungen auferlegen, ja auch nur für dieunendlichen Leiden und Schäden, die die Besiegten ihnen gänzlicheinseitig jahrelang zugefügt haben, Reparation fordern könnten. Al-les, was sie erreichen können, ist, dem Schläger das Schlagen zuverleiden und es ihm unmöglich zu machen, ihre Armut und schein-

 bare Schwäche zu ihrer Unterwerfung auszunutzen. Das aber könnensie heute, und es ist das Neue, das seit Mao Tse-tung in der Welt ist:eine Art Krieg, bei der die Ersten die Letzten und die Letzten dieErsten sind, und in der der Stein, den die Bauleute verworfen haben,zum Eckstein geworden ist.

Ein Schritt zum Weltfrieden?

Es ist nichts Geringes. Es ist sogar möglich, daß es weit entfernt,«den Krieg zu retten» zur Ausschaltung des Krieges aus dem Völker-leben einen entscheidenden Schritt darstellt.In seinem Aufsatz über die Strategie in Chinas revolutionärem Kriegauf den allernächsten Seiten dieses Buches setzt Mao mit der lapida-

ren Gelassenheit, die eines seiner Hauptstilmerkmale ist, diese Sätzehin: «Der Krieg, dieser Greuel der Menschenschlächterei, wird durchden Fortschritt der menschlichen Gesellschaft in nicht allzu ferner Zukunft endgültig abgeschafft sein.» Und: «Das Zeitalter der Kriegewird dank unseren eigenen Bemühungen zu Ende gehen, und zwei-fellos ist der Krieg, den wir jetzt führen, ein Teil dieses letztenKampfes.»

Man ist zunächst geneigt, solche Sätze mit einem skeptischen Lä-cheln als bloße Rhetorik abzutun. Zu oft haben, in den beiden Welt-kriegen, die Kriegführenden vom war to end war gesprochen.Auch ist es durchaus möglich, daß Mao mit seiner Friedensprophe-zeiung nur, als guter Kommunist, auf den Endsieg der kommunisti-schen Weltrevolution anspielen wollte von dem, wenn er je kommensollte, ein skeptischer Bürger den ewigen Frieden ja kaum erwartet.

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Gibt es nicht auch unter kommunistischen Staaten Konflikte? (Frei-lich, trotz dieser Konflikte hat es einen Krieg zwischen kommunisti-

schen Staaten bisher tatsächlich noch nicht gegeben nicht zwischenStalins Rußland und Titos Jugoslawien, und auch nicht zwischenChruschtschows Rußland und Maos China. Aber die Zeit, in der esmehrere kommunistische Staaten gibt, ist noch zu kurz, um viel zu

 beweisen.)Es ist aber auch möglich, daß Mao (der, wie der Leser der folgendenAufsätze bemerken wird, sich bei jedem Wort, das er hinsetzt, etwasReales zu denken pflegt) mit seiner Bemerkung, daß sein Krieg einTeil des Endkampfes gegen den Krieg sei, eine vollkommen realisti-sche und ideologiefreie Wahrheit ausgesprochen hat.Denn Maos Krieg hat tatsächlich eine Art von Krieg aussichtslos unddaher sinnlos gemacht, die bis dahin besonders aussichtsvoll unddaher sinnvoll schien: den Kolonialkrieg, den Eroberungs-, Unter-werfungs- und Ausbeutungskrieg der reichen, mächtigen, technischhochentwickelten Großmächte gegen die armen, machtlosen, tech-

nisch zurückgebliebenen Völker. Diese Art Krieg hat seit Mao ihrenSinn verloren; denn er kann jetzt, wenn die armen Völker ihren Maostudieren, von den Großmächten nicht mehr gewonnen werden. Äu-ßerstenfalls kann ein sinnloser Ausrottungskrieg an seine Stelle ge-setzt werden; man wird sehen, ob es die Amerikaner in Vietnam soweit treiben. Auch dann wird kein Sieg mehr erfochten und keinsinnvoller Kriegszweck mehr erreicht sein.

Eine ganze Klasse und Gruppe von Kriegen ist daher durch Maoihres Sinnes beraubt und damit wahrscheinlich für die Zukunft abge-schafft worden. Indem er den Armen und Schwachen eine Kriegs-technik an die Hand gegeben hat, die nur von ihnen und nur in ihremeigenen Lande anwendbar ist, sie dort aber unbesiegbar macht, hater, nach menschlichem Ermessen, den Kolonialkrieg abgeschafft.Damit tritt Maos Kriegskonzeption neben die Atombombe, die eine

andere Art Krieg sinnlos gemacht und daher nach menschlichemErmessen abgeschafft hat: den Hegemonial- und Eitelkeitskrieg der stärksten Großmächte untereinander. Tatsächlich hat ja die Atom-

  bombe Großmacht auf ihrem äußersten Gipfel in Ohnmacht um-schlagen lassen: Die Sowjetunion und die USA stehen einander heu-te in vollkommener Ohnmacht gegenüber, da sie nur noch um denPreis des eigenen Untergangs versuchen können, den anderen «durch

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einen Akt der Gewalt zur Erfüllung ihres Willens zu zwingen».Wenn aber die Atombombe den Krieg der Großmächte untereinander 

und die Maosche Totalguerilla den Krieg der Großmächte gegen dieArmen und Schwachen seines Sinnes beraubt haben was bleibt? Mitwelcher Art Krieg muß man für die Zukunft noch rechnen? DemKrieg der Schwachen untereinander? Und um was sollte der geführtwerden?Wir sind gewohnt, als einziges Modell eines Dauerfriedens die FaxRomarta zu betrachten die Weltherrschaft einer allerobernden einzi-gen Macht. Diese Art von Fax freilich wird durch Maos Kriegfüh-rung ausgeschlossen. Nicht einmal, wenn China selbst, Wie Profes-sor Wilhelm Fucks erwartet, in naher Zukunft stärker werden sollteals der ganze Rest der Welt zusammen, könnte es mehr die Welt

 beherrschen, nachdem in diese Welt die Maosche Formel gesetzt ist,die es den Schwachen ermöglicht, sich unbeherrschbar zu machen.Was etwa die Vietnamesen mit dieser Formel gegen die Franzosenerkämpft haben und jetzt gegen die Amerikaner erkämpfen, könnten

sie, wenn die Ironie der Weltgeschichte es erforderte, eines Tagesauch gegen ein China erkämpfen, das noch mächtiger geworden wäreals das heutige Amerika, und ebenso übermütig. Die Weltherrschaftund der Weltfriede durch Weltherrschaft ist seit Mao unmöglichgeworden, für jeden.Aber wie, wenn gerade das Unmöglichwerden der Weltherrschaftsich als der wahre Schlüssel zum Weltfrieden erwiese?

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Strategie des chinesischen revolutionären Krieges

Dezember 1936 

Genosse Mao Tse-tung schrieb dieses Werk als eine Zusammenfas-sung der im Zweiten Revolutionären Bürgerkrieg gewonnenen Er-fahrungen und benutzte es für seine Vorlesungen an der Akademieder Roten Armee in Nordshensi. Nur vier der vorliegenden Kapitelwaren abgeschlossen. Die Kapitel über die strategische Offensive,

die politische Arbeit und andere Fragen blieben zunächst unvollen-det, weil Genosse Mao Tse-tung infolge der Ereignisse in Sian (der Gefangennahme Tschiang Kai-scheks im Dezember 1936, Anm.Red.) zu beschäftigt war. Diese Schrift, das Ergebnis einer größerenDiskussion innerhalb der Partei über militärische Fragen währenddes Zweiten Revolutionären Bürgerkrieges, verleiht einer bestimm-ten Einstellung in militärischen Angelegenheiten Ausdruck gegen-

über den anderen. Die erweiterte Sitzung, welche das Politbüro desZentralkomitees im Januar 1935 in Tsunyi abhielt, entschied dieKontroverse über die einzuhaltende militärische Linie, bestätigte dieAnsichten des Genossen Mao Tse-tung und verwarf die von der Par-teilinie abweichenden Ansichten. Im Oktober 1935 verlegte das Zen-tralkomitee seinen Sitz nach Nordshensi, und im Dezember erstatteteGenosse Mao Tse-tung einen Bericht über «Die Taktik bei der Be-kämpfung des japanischen Imperialismus», in dem gewisse Proble-me, welche die politische Linie der Partei im Zweiten Revolutionä-ren Bürgerkrieg betrafen, systematisch gelöst wurden. Ein Jahr spä-ter, im Jahre 1936, verfaßte er die vorliegende Schrift, um die strate-gischen Probleme in Chinas revolutionärem Krieg systematisch dar-zulegen.

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1. KapitelWie man Krieg studieren soll

1. Die Gesetze des Krieges sind veränderlich

Die Gesetze des Krieges stellen ein Problem dar, das jeder, der einenKrieg führt, studieren und lösen muß.Die Gesetze des revolutionären Krieges stellen ein Problem dar, das

 jeder, der einen revolutionären Krieg führt, studieren und lösen muß.

Die Gesetze des chinesischen revolutionären Krieges stellen ein Pro- blem dar, das jeder, der den chinesischen revolutionären Krieg führt,studieren und lösen muß.Wir befinden uns zur Zeit im Kriegszustand. Unser Krieg ist einrevolutionärer Krieg, und unser revolutionärer Krieg wird in diesemhalbkolonialen, halbfeudalen Land China1 geführt. Daher müssen wir nicht allein die allgemeinen Gesetze des Krieges studieren, sondern

auch die speziellen Gesetze des revolutionären Krieges und die nochspezielleren Gesetze des revolutionären Krieges in China.Es ist allgemein bekannt, daß man nur dann weiß, wie man etwas tunmuß und nur dann imstande ist, es gut zu tun, wenn man den gegen-wärtigen Stand der Sache, die man betreibt, ihr Wesen und ihre Be-ziehung zu anderen Dingen richtig versteht.Krieg ist die höchste Form des Ringens um die Auflösung von Wi-dersprüchen zwischen Klassen, Nationen oder Staaten, wenn diesesich bis zu einem bestimmten Stadium entwickelt haben. Seit demVorhandensein des Privateigentums und der Klassen gibt es Kriege.Wenn man den gegenwärtigen Stand des Krieges, sein Wesen undseine Beziehung zu anderen Dingen nicht richtig versteht, wird manauch die Gesetze des Krieges nicht ermitteln können, nicht wissen,wie man einen Krieg führen muß, und auch nicht imstande sein, ei-nen Sieg zu erringen.

Der revolutionäre Krieg gleichgültig ob es sich dabei um einen revo-lutionären Krieg zwischen zwei Klassen oder um einen zwischenzwei Nationen handelt hat zusätzlich zu den allgemeinen Kennzei-chen und der allgemeinen Natur des Krieges noch seine spezifischenKennzeichen und sein besonderes Wesen. Darum hat er neben denallgemeinen Gesetzen des Krieges noch seine eigenen Gesetze.

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Wenn man diese besonderen Kennzeichen und dieses Wesen nichtversteht, wenn man diese spezifischen Gesetze nicht versteht, wird

man auch nicht imstande sein, einen revolutionären Krieg zu führenund erfolgreich zu beenden.Chinas revolutionärer Krieg sowohl der Bürgerkrieg wie der nationa-le Krieg muß unter den spezifisch chinesischen Bedingungen geführtwerden und hat darum seine eigenen Kennzeichen und sein eigenesWesen, die sich von denen des Krieges im allgemeinen wie von de-nen des revolutionären Krieges im allgemeinen unterscheiden. Er hatsomit auch seine eigenen Gesetze. Wer diese nicht verstanden hat,wird nicht imstande sein, in Chinas revolutionärem Krieg einen Siegdavonzutragen.Deshalb müssen wir die allgemeinen Gesetze des Krieges studieren,wir müssen die Gesetze des revolutionären Krieges studieren, undschließlich müssen wir die Gesetze des revolutionären Krieges inChina studieren.Manche Leute vertreten eine falsche Ansicht, die wir schon seit lan-

gem widerlegt haben. Sie behaupten, es genügt, lediglich die allge-meinen Gesetze des Krieges zu studieren, oder, konkreter ausge-drückt, es genüge, lediglich die Vorschriften der militärischen Hand-

 bücher zu befolgen, die von der reaktionären chinesischen Regierungoder von den reaktionären Militärakademien in China herausgegebenwurden. Sie begreifen nicht, daß diese Handbücher nur die allgemei-nen Gesetze des Krieges enthalten und obendrein noch von der ersten

 bis zur letzten Seite Abschriften ausländischer Handbücher darstellenund daß wir, wenn wir diese Vorschriften ohne die leiseste Verände-rung in Form und Inhalt übernehmen und anwenden, «unsere Füßezuschneiden, damit sie in die Schuhe passen» und besiegt werdenmüssen. Ihr Argument lautet: Warum sollten mit Blut erworbeneErkenntnisse nutzlos sein? Diese Leute sehen nicht ein, daß wir zwar solche früher erworbenen Erkenntnisse schätzen und ehren sollen,

daß wir jedoch auch die Erfahrungen schätzen und ehren müssen, diewir mit unserem eigenen Blut erworben haben.Andere wieder vertreten eine andere falsche Ansicht, die wir eben-falls seit langem widerlegt haben. Sie behaupten, es genüge, wennman sich lediglich die Erfahrungen der russischen Revolution zueigen mache, oder konkreter ausgedrückt, es genüge, wenn man dieGesetze befolge, nach denen der Bürgerkrieg in der Sowjetunion

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geführt wurde, und wenn man sich nach den militärischen Handbü-chern richte, die von den sowjetischen Militärorganisationen heraus-

gegeben wurden. Sie begreifen nicht, daß diese Gesetze und Hand- bücher auf die spezifischen Kennzeichen des Bürgerkriegs und der Roten Armee in der Sowjetunion zutreffen und daß wir, wenn wir sieunverändert übernehmen, auch «unsere Füße zuschneiden, damit siein die Schuhe passen», und besiegt werden müssen. Ihr Argumentlautet: Da unser Krieg so wie der Krieg in der Sowjetunion ein revo-lutionärer Krieg ist, und da die Sowjetunion in ihrem Krieg gesiegthat, wie kann es für uns eine andere Möglichkeit geben, als demBeispiel der Sowjets zu folgen? Sie sehen nicht ein, daß die Kriegs-erfahrungen der Sowjetunion uns zwar sehr wichtig sein müssen, daes sich hier um die jüngsten Erfahrungen in einem revolutionärenKrieg handelt und diese Erfahrungen unter der Führung von Leninund Stalin erworben wurden, daß wir jedoch ebensoviel Wert darauf legen müssen, uns die Erfahrungen des revolutionären Krieges inChina zu eigen zu machen, da sie viele Einzelheiten enthalten, die

ganz speziell für die chinesische Revolution und die chinesischeRote Armee Geltung haben.

 Noch andere vertreten eine dritte falsche Ansicht, die wir ebenfallsseit langem widerlegt haben. Sie behaupten, die für uns wertvollsteErfahrung sei die des Feldzugs nach Norden in den Jahren 1926-27und von ihr müßten wir lernen, oder, um es konkreter auszudrücken,wir müßten diesen Feldzug nach Norden darin wiederholen, daß wir 

es in erster Linie darauf absehen, die großen Städte zu besetzen. Sie begreifen nicht, daß wir die aus dem Feldzug nach Norden gewonne-nen Erfahrungen zwar studieren sollen, sie jedoch nicht mechanischkopieren und anwenden dürfen, da die äußeren Umstände im gegen-wärtigen Krieg völlig andersartig sind. Wir sollten aus dem Feldzugnach Norden nur das übernehmen, was auch heute noch gilt, uns aber auch selber einige Richtlinien einfallen lassen, die den heutigen Um-

ständen angepaßt sind.So sind also die verschiedenen Gesetze zur Führung der verschiede-nen Kriege bestimmt durch die unterschiedlichen Umstände dieser Kriege durch die Unterschiede der Zeit, des Ortes und im spezifi-schen Verlauf. Was die Zeit betrifft, so muß gesagt werden, daß so-wohl der Krieg als auch seine Gesetze sich weiterentwickeln; jedeshistorische Zeitalter hat seine besonderen Merkmale, und somit ha-

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 ben auch die Gesetze des Krieges in jedem historischen Zeitalter ihre besonderen Merkmale und lassen sich nicht mechanisch auf ein an-

deres Zeitalter übertragen. Was die Natur des Krieges betrifft, somuß gesagt werden, daß sowohl der revolutionäre als auch der kon-terrevolutionäre Krieg seine besonderen Merkmale hat, daß demnachdie Gesetze dieser beiden Kriegsarten ebenfalls ihre eigenen Merk-male aufweisen, so daß die Gesetze, die für die eine Art gelten, nichtmechanisch auf die andere übertragen werden können. Was den Ort

 betrifft, so muß gesagt werden, daß jedes Land und jedes Volk undganz besonders ein großes Land und ein großes Volk seine eigenenMerkmale hat und daß demnach auch die Kriegsgesetze, die für dieeinzelnen Länder und Völker gelten, ihre eigenen Merkmale habenund nicht mechanisch auswechselbar sind. Wenn wir die Gesetze zur Führung von Kriegen studieren, die verschiedenen historischen Zeit-altern angehören, sich ihrem Verlauf nach unterscheiden, an ver-schiedenen Orten stattfinden und verschiedene Völker betreffen, somüssen wir unsere Aufmerksamkeit auf die Merkmale und den Ent-

wicklungszustand jedes einzelnen Krieges richten und uns jeder me-chanischen Einstellung zum Problem des Krieges widersetzen.Aber das ist noch nicht alles. Wenn ein Kommandeur, der ursprüng-lich nur eine kleine Formation zu befehligen verstand, die Fähigkeiterlangt, eine große zu befehligen, so ist das ein Zeichen für einenFortschritt und eine Entwicklung. Es ist auch ein Unterschied, obman an einem Ort operiert oder an vielen. Wenn ein Kommandeur,

der anfänglich nur an einem Ort, der ihm gut bekannt war, operierenkonnte, später die Fähigkeit erlangt, an vielen anderen Orten zu ope-rieren, so ist dies ebenfalls ein Zeichen für einen Fortschritt und eineEntwicklung. Was nun die technischen, taktischen und strategischenMaßnahmen auf seilen des Feindes und bei uns betrifft, so wechselnhier die Umstände während des Krieges von einem Stadium zumanderen. Wenn ein Kommandeur, der die Fähigkeit besitzt, in den

Anfangsstadien eines Krieges das Kommando auszuüben, dies dannauch in den fortgeschritteneren Stadien kann, so ist dies ein Zeicheneines besonderen Fortschritts und einer besonders günstigen Ent-wicklung. Ein Kommandeur, der auf die Dauer nur fähig ist, eineFormation von einer bestimmten Größe zu kommandieren und nur ineinem bestimmten Gebiet und in einem bestimmten Stadium desKrieges zu operieren, beweist damit, daß er keine Fortschritte ge-

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macht und sich nicht entwickelt hat. Es gibt Menschen, die sich miteiner einzigen Fähigkeit und einem eng begrenzten Blickfeld zufrie-

dengeben und nie einen Fortschritt machen. Sie mögen an einem bestimmten Ort und zu einem bestimmten Zeitpunkt wohl eine Rollein der Revolution spielen, doch kann diese Rolle nie bedeutend sein.Wir brauchen Befehlshaber, die eine bedeutende Rolle zu spielenimstande sind. Alle Gesetze der Kriegführung sind ebenso wie der Krieg selbst einer historischen Entwicklung unterworfen; nichts

 bleibt unverändert.

2. Das Ziel des Krieges ist die Abschaffung des Krieges

Der Krieg, dieser Greuel der Menschenschlächterei, wird durch denFortschritt der menschlichen Gesellschaft in nicht allzu ferner Zu-kunft endgültig abgeschafft sein. Aber es gibt nur einen einzigenWeg, um ihn abzuschaffen: indem man sich dem Krieg mit Kriegwidersetzt, indem man dem konterrevolutionären Krieg den revolu-

tionären Krieg entgegenstellt dem nationalen konterrevolutionärenKrieg den nationalen revolutionären Krieg und dem konterrevolutio-nären Klassenkrieg den revolutionären Klassenkrieg. Die Geschichtekennt nur zwei Arten von Kriegen, gerechte und ungerechte. Wir unterstützen die gerechten Kriege und bekämpfen die ungerechten.Alle konterrevolutionären Kriege sind ungerecht, alle revolutionärenKriege sind gerecht. Das Zeitalter der Kriege wird dank unseren

eigenen Bemühungen zu Ende gehen, und zweifellos ist der Krieg,den wir jetzt führen, ein Teil dieses letzten Kampfes. Aber ebenso-wenig ist daran zu zweifeln, daß der Krieg, den wir vor uns haben, zuden größten und unbarmherzigsten aller Kriege gezählt werden wird.Die größten und unbarmherzigsten aller ungerechten konterrevolu-tionären Kriege stehen uns bevor, und wenn wir nicht das Banner desgerechten Krieges hochhalten, wird die große Mehrzahl der Mensch-

heit der Vernichtung preisgegeben sein. Das Banner des gerechtenKrieges der Menschheit ist das Banner der Rettung der Menschheit.Das Banner von Chinas gerechtem Krieg ist das Banner der RettungChinas. Ein Krieg, für den sich der größte Teil der Menschheit unddes chinesischen Volkes einsetzt, ist zweifellos ein gerechter Krieg,ein höchst erhabenes und glorreiches Unterfangen zur Rettung der Menschheit und Chinas, ein Brückenschlag zu einer neuen Ära der 

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Menschheitsgeschichte. Wenn die menschliche Gesellschaft an demPunkt angelangt sein wird, an dem die Klassen und die Staaten abge-

schafft sind, wird es auch keine Kriege mehr geben, weder konterre-volutionäre noch revolutionäre, weder gerechte noch ungerechte.Dann wird das Zeitalter des ewigen Friedens für die Menschheitangebrochen sein. Unser Studium der Gesetze der Revolution ent-springt dem Wunsch, alle Kriege endgültig abzuschaffen; hierin liegtder Unterschied zwischen uns Kommunisten und den ausbeutendenKlassen.

3. Die Strategie als Studium der Gesamtsituation eines Krieges

In jedem Krieg gibt es auch eine Gesamtsituation des Krieges. DieGesamtsituation eines Krieges kann die ganze Welt erfassen, einganzes Land, eine unabhängige Guerillazone oder auch eine größereunabhängige Operationsfront. Jede derartige Kriegs Situation, dieeine verständnisvolle Beachtung ihrer verschiedenen Aspekte und

Stadien erfordert, stellt eine Gesamtsituation des Krieges dar.Die Aufgabe der strategischen Wissenschaft ist es, jene Gesetze der Kriegführung zu untersuchen, welche die Gesamtsituation des Krie-ges bestimmen. Die Aufgabe der Feldzugswissenschaft und der takti-schen Wissenschaft ist es, jene Gesetze der Kriegführung zu untersu-chen, welche eine Teilsituation bestimmen.Warum muß der Befehlshaber in einem Feldzug, einer Schlacht oder 

einet taktischen Operation bis zu einem gewissen Grad auch etwasvon den Gesetzen der Strategie verstehen? Weil ein Verständnis desGanzen die Behandlung eines Teils dieses Ganzen erleichtert undweil der Teil dem Ganzen untergeordnet ist. Die Annahme, ein stra-tegischer Sieg beruhe allein auf taktischen Erfolgen, ist falsch, dennsie übersieht die Tatsache, daß Sieg oder Niederlage im Krieg zuerstund vor allem von der Frage abhängt, ob die Gesamtsituation und

ihre verschiedenen Stadien richtig eingeschätzt wurden. Liegen ern-ste Fehler oder Irrtümer in der Einschätzung der Gesamtsituation undihrer verschiedenen Stadien vor, so wird der Krieg mit Sicherheitverloren. Der Satz «Mit einem unüberlegten Zug verliert man dasganze Spiel» gilt für einen Zug, der die Gesamtsituation betrifft undsie entscheidend beeinflußt, nicht aber für einen, der nur auf eineTeilsituation einwirkt und für die Gesamtsituation nicht entscheidend

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ist. So ist es im Schachspiel, und ebenso ist es auch im Krieg.Aber die Gesamtsituation kann nicht von ihren Teilen abgelöst und

unabhängig von ihnen betrachtet werden, denn schließlich besteht sie ja aus all ihren Teilen. Manchmal können allerdings bestimmte takti-sche Situationen fehlschlagen, ohne daß dadurch die Gesamtsituationernsthaft in Mitleidenschaft gezogen würde, da diese für die Gesamt-situation nicht entscheidend sind. Gewisse Niederlagen oder Fehl-schläge bei taktischen Operationen oder Schlachten brauchen nichteine Verschlechterung der Gesamtsituation nach sich zu ziehen, weilsie nicht von entscheidender Bedeutung sind. Gehen jedoch die mei-sten Schlachten, welche die Gesamtsituation des Krieges ausmachen,oder auch nur eine oder zwei entscheidende Schlachten verloren, soändert sich damit augenblicklich die Gesamtsituation. Hier wirkensich «die meisten Schlachten», oder auch «eine oder zwei Schlach-ten» entscheidend aus. Es gibt in der Kriegsgeschichte Beispieledafür, daß die Niederlage in einer einzigen Schlacht sämtliche Vor-teile, die durch eine ganze Serie von Siegen erreicht waren, zunichte

machte, und es gibt auch Beispiele dafür, daß ein Sieg in einer einzi-gen Schlacht nach vielen Niederlagen eine völlig neue Situationschuf. Bei diesen Beispielen waren die «Serien von Siegen» und die«vielen Niederlagen» ihrer Natur nach nur für eine Teilsituation,nicht jedoch für die Gesamtsituation bestimmend, während die «Nie-derlage in einer einzigen Schlacht» oder der «Sieg in einet einzigenSchlacht» die entscheidende Rolle spielte. Aus alledem geht hervor,

wie wichtig es ist, die Gesamtsituation richtig einzuschätzen. Für denMann, der das Oberkommando führt, ist es von größter Bedeutung,daß er die Gesamtsituation des Krieges stets genau beobachtet. Für ihn kommt es vor allem darauf an, daß er sich entsprechend den je-weiligen Umständen mit der Anordnung der militärischen Einheitenund Formationen befaßt, mit den Beziehungen zwischen den einzel-nen Schlachten und den einzelnen Stadien der Kampfoperationen

sowie mit den Beziehungen zwischen der gesamten Aktivität unserer Truppen und der gesamten Aktivität der feindlichen Truppen allesProbleme, die seine größte Sorgfalt und seine ernsten Bemühungenerfordern. Wenn er sie außer acht läßt und sich statt dessen in neben-sächliche Probleme vertieft, wird er Rückschläge kaum vermeidenkönnen.Das Gesetz der Beziehungen zwischen dem Ganzen und seinen Tei-

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len gilt nicht nur für die Beziehungen zwischen Strategie und Feld-zugsführung, sondern auch für die zwischen Feldzugsführung und

Taktik. Beispiele hierfür liefern die Beziehungen zwischen den Ope-rationen einer Division und denen ihrer Regimenter und Batailloneoder auch die Beziehungen zwischen den Operationen einer Kompa-nie und denen ihrer Züge und Gruppen. Die befehlshabenden Offi-ziere aller Rangstufen sollten ihre Aufmerksamkeit stets auf daswichtigste und entscheidendste Problem der vorliegenden Gesamtsi-tuation richten und nicht auf andere Probleme oder Handlungen.Was wichtig oder entscheidend ist, soll nicht durch allgemeine oder abstrakte Betrachtungen bestimmt werden, sondern in Verbindungmit den konkreten Umständen. Bei einer militärischen Operationsollten Richtung und Angriffspunkt so gewählt werden, daß sie der Situation des Feindes, dem Gelände und der augenblicklichen Stärkeunserer eigenen Streitkräfte entsprechen. Die Offiziere müssen dar-auf achten, daß die Soldaten sich nicht überessen, wenn die Vorrätereichlich sind, und daß sie nicht hungern, wenn die Vorräte knapp

sind. In den weißen Zonen kann das Durchsickern einer einzigenInformation die Niederlage im nächsten Kampf nach sich ziehen, inden roten Zonen hingegen ist ein solches Durchsickern von Informa-tionen zumeist nicht weiter gefährlich. Es ist nötig, daß die Oberst-kommandierenden an bestimmten Kampfhandlungen persönlichteilnehmen, an anderen jedoch nicht. Die wichtigsten Probleme einer Militärakademie sind die Wahl des Direktors und der Instruktoren

sowie die Aufstellung eines Studienplans. Bei einer Massenver-sammlung kommt es vor allem darauf an, die Anteilnahme der Men-ge zu erwecken und passende Slogans aufzustellen. Und so ist es inallen Dingen. Mit einem Wort, es hängt alles davon ab, daß manseine Aufmerksamkeit auf die wichtigsten Tatsachen richtet, dieEinfluß auf die Gesamtsituation haben.Der einzige Weg, die für die Gesamtsituation eines Krieges gültigen

Gesetze zu studieren, ist, harte und geduldige Gedankenarbeit zuleisten. Denn das, was die Gesamtsituation betrifft, ist dem Augenicht sichtbar. Wir können es nur durch Nachdenken entdecken, eineandere Möglichkeit gibt es nicht. Da jedoch die Gesamtsituation ausihren einzelnen Teilen besteht, können Menschen, die diese Teile ausErfahrung kennen, die also eine Erfahrung hinsichtlich der einzelnenSchlachten und der taktischen Fragen aufweisen, auch die höheren

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Zusammenhänge begreifen, vorausgesetzt, sie sind gewillt, harteGedankenarbeit zu leisten. Folgenden strategischen Problemen muß

  besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden: der Beziehung zwi-schen dem Feind und uns;der Beziehung zwischen den einzelnen Feldzügen oder zwischen denverschiedenen operativen Stadien;den Fakten, welche Einfluß auf die Gesamtsituation haben (oder sieentscheidend bestimmen);den besonderen Merkmalen in der allgemeinen Situation; der Bezie-hung zwischen Front und Hinterland;wichtig sind sowohl der Unterschied als auch die Verbindung zwi-schen Verlusten und Ersatz, zwischen Kämpfen und Ausruhen, zwi-schen Massieren und Auflockern, zwischen Angriff und Verteidi-gung, zwischen Vormarsch und Rückzug, zwischen Verstecken undoffenem Auftreten, zwischen Sturmangriff und dem Binden der feindlichen Truppen, zwischen zentralisierter Führung und dezentra-lisierter Führung, zwischen verlängertem Krieg und rascher Ent-

scheidung, zwischen Stellungskrieg und beweglicher Kriegführung,zwischen unseren eigenen Truppen und befreundeten Truppen, zwi-schen einer Waffengattung und der anderen, zwischen höheren undniederen Befehlshabern, zwischen Führungskadern und Mannschaf-ten, zwischen erfahrenen und neuen Soldaten, zwischen alten und

 jungen Kadern, zwischen roten Zonen und weißen Zonen, zwischenalten roten Zonen und neuen roten Zonen, zwischen dem Zentralbe-

reich und den Randgebieten einer bestimmten Operationsbasis; eben-falls wichtig ist der Unterschied zwischen der warmen und der kaltenJahreszeit, zwischen Sieg und Niederlage, zwischen großen und klei-nen Truppenverbänden, zwischen den regulären Truppen und denGuerillas, zwischen der Vernichtung des Gegners und dem Gewin-nen der Volksmassen, zwischen der Ausdehnung und der Zusam-menziehung der Roten Armee, zwischen militärischer Arbeit und

 politischer Arbeit, zwischen früheren und gegenwärtigen Aufgaben,zwischen gegenwärtigen und künftigen Aufgaben, zwischen Aufga-  ben, die sich aus einer bestimmten Konstellation ergeben und sol-chen, die sich aus einer anderen ergeben, zwischen festen Frontenund fließenden Fronten, zwischen Bürgerkrieg und nationalemKrieg, zwischen einem historischen Stadium und einem anderen usw.usw. Keines dieser strategischen Probleme ist dem Auge ohne weite-

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res sichtbar; doch wenn wir angestrengt nachdenken, können wir siealle verstehen, begreifen und meistern, d. h. wir können die wichti-

gen, einen Krieg oder bestimmte militärische Operationen betreffen-den Probleme auf die höhere Ebene der Prinzipien erheben und sielösen. Dieses Ziel zu erreichen ist unsere Aufgabe beim Studium der strategischen Probleme.

4. Es ist wichtig, gut zu lernen

Warum haben wir die Rote Armee aufgestellt? Um den Feind zuschlagen. Warum studieren wir die Gesetze des Krieges? Um sie imKrieg anzuwenden.Lernen ist schwierig, die Anwendung des Gelernten ist noch schwie-riger. Manche wirken sehr eindrucksvoll, wenn sie sich im Klassen-zimmer oder in Aufsätzen über militärwissenschaftliche Fragen aus-lassen; doch wenn es dann ernstlich an die Praxis des Kämpfensgeht, gewinnen einige die Gefechte und andere verlieren sie. Sowohl

die Geschichte der Kriege als auch unsere eigenen Kriegserfahrun-gen haben diese Tatsache erwiesen.Wo also liegen die Schwierigkeiten?Es ist nicht real, einen «stets siegreichen» General zu verlangen,deren es nur sehr wenige in der Geschichte gibt. Aber wir könnenGenerale verlangen, die tapfer und klug sind und im Verlauf einesKrieges normalerweise ihre Schlachten gewinnen, Generale, die

Wissen mit Mut zu vereinen verstehen. Um klug und mutig zu wer-den, muß man sich eine Methode aneignen, die für das Lernen undfür die Anwendung des Gelernten nützlich ist.Worin besteht diese Methode? Darin, daß wir uns mit allen Aspektender Feindsituation und der eigenen Situation vertraut machen, die für 

  beide Seiten geltenden Gesetze des Handelns entdecken und dieseGesetze bei unseren Operationen anwenden.

Die militärischen Handbücher vieler Länder weisen sowohl auf die  Notwendigkeit einer «flexiblen Anwendung von Grundsätzen ent-sprechend den jeweiligen Umständen» als auch auf die Maßnahmenhin, die im Fall einer Niederlage zu treffen sind. Im ersten Fall war-nen sie einen Befehlshaber davor, durch eine allzu starre Anwendungvon Grundsätzen subjektive Fehler zu begehen; im zweiten Fall be-fähigen sie ihn, auch dann mit einer Situation fertig zu werden,

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nachdem ihm subjektive Fehler unterlaufen sind, nachdem sich über-raschend und unvermeidbar die objektiven Umstände verändert ha-

 ben.Wann werden subjektive Fehler begangen? Wenn die Aufstellungund Leitung der Streitkräfte in einem Krieg oder einer Schlacht nichtden Bedingungen des Zeitpunktes und des Ortes entsprechen; wenndie subjektive Führung den objektiven Bedingungen nicht entsprichtoder von ihnen abweicht — anders ausgedrückt: wenn die Gegensät-ze zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven nicht überwundenwurden. Bei allem menschlichen Tun sind derartige Situationen nur schwer zu vermeiden; aber manche Menschen erweisen sich fähiger als andere. Und wie wir bei jedem Tun einen verhältnismäßig hohenGrad von Fähigkeit verlangen, so verlangen wir im Krieg mehr Siegeoder umgekehrt weniger Niederlagen. Hier kommt es vor allem dar-auf an, das Subjektive und das Objektive in das richtige Verhältniszueinander zu bringen.Wählen wir ein Beispiel aus der Taktik. Wenn man einen Angriffs-

  punkt auf einer der Flanken des Feindes gewählt hat und dieser Punkt genau die schwache Stelle des Feindes ist, daß also der Angriff erfolgreich ist, dann entspricht das Subjektive dem Objektiven, d. h.die Erkundungen, Überlegungen und Entscheidungen des Befehlsha-

 bers standen im richtigen Verhältnis zur tatsächlichen Lage und denMaßnahmen des Feindes. Wenn als Angriffspunkt eine andere Flan-ke oder das Zentrum gewählt wurde, der Angriff hier auf eine starke

Gegenwehr stößt und nicht vorankommt, dann ist eine solche Über-einstimmung nicht vorhanden. Ist der Angriff für den richtigen Zeit-

  punkt angesetzt, werden die Reserven weder zu früh noch zu spätherangezogen und sind all die anderen Dispositionen und Maßnah-men so getroffen, daß sie sich zu unseren Gunsten und nicht zugun-sten des Feindes auswirken, dann entspricht die subjektive Führungder gesamten Schlacht voll und ganz der objektiven Situation. Eine

solche vollständige Entsprechung ist in einem Krieg oder einer Schlacht außerordentlich selten, denn die Kriegführenden sind Men-schen, die Waffen tragen und ihre Geheimnisse voreinander wahren,sie sind keine leblosen Gegenstände und keine Schablonen. Aber wenn die Befehle, die der Kommandeur erteilt, im wesentlichen der gegebenen Situation entsprechen, wenn also die entscheidendenElemente der taktischen Maßnahmen der gegebenen Situation ange-

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 paßt sind, dann ist die Grundlage für den Sieg vorhanden.Richtige Maßnahmen eines Kommandeurs ergeben sich aus richtigen

Entscheidungen, richtige Entscheidungen ergeben sich aus richtigenÜberlegungen, und richtige Überlegungen sind möglich, wenn er dienotwendigen Erkundungen vorgenommen und die ihm hierbei zuge-gangenen Nachrichten nach reiflicher Überprüfung richtig eingeord-net und ausgewertet hat. Er wendet alle möglichen und notwendigenMethoden der Erkundung an, er überprüft die eingeholten Informa-tionen über die Lage des Feindes, sondert die Spreu vom Weizen undstellt die wesentlichen Punkte zusammen, weist das Falsche zurück und hält sich an die Wahrheit, geht von einer Tatsache zur anderenüber, um das Wesentliche herauszufinden. Dann prüft er die für seineeigenen Truppen geltenden Bedingungen, nimmt eine vergleichendeUntersuchung beider Seiten und ihrer Wechselbeziehungen vor, ziehthieraus seine Schlüsse und entwirft danach seine Pläne. Dies ist der vollständige Prozeß zur Erkenntnis einer Situation, den ein Militär durchlaufen muß, bevor er einen strategischen Plan, einen Feldzugs-

 plan oder einen Schlachtplan entwirft. Aber ein unbedachter Militär geht bei seinen Plänen von seinem Wunschdenken aus, und daher sind sie unrealistisch und stimmen mit den Tatsachen nicht überein.Ein unbesonnener Militär, der sich nur von seinem Enthusiasmusleiten läßt, wird allzu leicht vom Feind hinters Licht geführt, durcheine oberflächliche und nur teilweise zutreffende Beurteilung der Feindsituation zum Handeln verlockt und durch verantwortungslose

Ratschläge Untergeordneter, die weder auf tatsächlichem Wissennoch auf tieferer Einsicht beruhen, beeinflußt, und so rennt er mitdem Kopf gegen die Wand, weil er nicht weiß oder nicht zugebenwill, daß jeder militärische Plan auf den nötigen Erkundungen undauf einer sorgfältigen Untersuchung der Feindsituation, der eigenenSituation und ihrer wechselseitigen Beziehungen basieren muß.Der Erkenntnisprozeß umfaßt nicht nur die Zeit vor der Ausarbeitung

eines militärischen Plans, sondern auch die Zeit danach. Die Ausfüh-rung des Plans; und zwar vom ersten Augenblick seiner Wirksamkeit bis zum Ende der Operation, bezieht einen weiteren Erkenntnisvor-gang ein: den der Veränderung der Wirklichkeit. Im Verlauf diesesVorganges muß man immer wieder untersuchen, ob der im vorher-gehenden Vorgang ausgearbeitete Plan mit der Wirklichkeit überein-stimmt. Tut er es nicht oder nur unvollständig, so muß man im Licht

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der neuen Erfahrungen zu neuen Überlegungen und neuen Entschei-dungen kommen und den ursprünglichen Plan so abändern, daß er 

der neuen Situation entspricht. Fast bei jeder größeren Operationwird der Plan teilweise geändert, zuweilen sogar völlig. Ein unbe-sonnener Mann, der die Notwendigkeit solcher Änderungen nichteinsieht oder sich dieser Mühe nicht unterziehen will, wird unfehlbar mit dem Kopf gegen die Wand rennen.Das eben Ausgeführte bezieht sich auf einen strategischen Plan, ei-nen Feldzug oder eine Schlacht. Unter der Voraussetzung, daß er 

 bescheiden und lernwillig ist, kann ein erfahrener Militär sich mit der Beschaffenheit seiner Streitkräfte (Kommandeure, Mannschaften,Waffen, Versorgungsfragen usw.), mit der Beschaffenheit der feind-lichen Streitkräfte (ebenfalls hinsichtlich der Kommandeure, Mann-schaften, Waffen, Versorgungsfragen usw.) und den anderen Bedin-gungen des Krieges — Politik, Wirtschaft, Geographie und Klima — vertraut machen. Ein solcher Militär wird die Führung eines Krieges

 besser im Griff haben, und seine Siegeschancen werden steigen. Das

wird er erreichen, nachdem er lange Zeit hindurch die Situation auf der Feindseite wie auf der eigenen studiert, die Gesetze des Handelnsentdeckt und die Gegensätze zwischen dem Subjektiven und demObjektiven aufgehoben hat. Dieser Erkenntnisprozeß ist außerordent-lich wichtig; ohne solch lange Erfahrungszeit wäre es sehr schwierig,die Gesetze eines ganzen Krieges zu erfassen und in die Hand zu

 bekommen. Weder ein Anfänger noch jemand, der seine Schlachten

nur auf dem Papier austrägt, kann ein wirklich erstklassiger Kom-mandeur sein — für einen solchen Posten eignet sich nur ein kriegs-erfahrener Mann.Alle militärischen Gesetze und Theorien, die sich als Prinzipien dar-stellen, sind aus vergangenen Kriegen gewonnene Erfahrungen, diefrüher und heute von Menschen zusammengefaßt wurden. Wir soll-ten diese Lehren, für die mit Blut bezahlt wurde und die ein Erbe

unserer vergangenen Kriege darstellen, ernsthaft studieren. Dies istein Gesichtspunkt. Aber es gibt noch einen anderen. Wir müssendiese Prinzipien an unserer Erfahrung messen, übernehmen, wasnützlich ist, ausscheiden, was für uns nutzlos ist, und hinzufügen,was wir uns selber erarbeitet haben. Das letztere ist wesentlich, dawir sonst keinen Krieg richtig führen können.Lesen ist Lernen, aber Anwenden ist auch Lernen, und zwar der 

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wichtigste Teil des Lernens. Unsere bevorzugte Methode ist es, dieKriegführung durch Kriegführung zu erlernen. Auch ein Mensch, der 

nie Gelegenheit hatte, eine Schule zu besuchen, kann die Kriegfüh-rung erlernen dadurch, daß er im Kriege kämpft. Ein revolutionärer Krieg ist eine Sache der Massen, bei der man häufig nicht lernenkann, bevor man handelt, sondern man handelt, bevor man lernt, unddas Handeln ist zugleich ein Lernen. Zwischen dem Zivilisten unddem gewöhnlichen Soldaten liegt eine Kluft, aber keine Große Mau-er. Sie kann rasch geschlossen werden, und das Mittel, sie zu schlie-ßen, ist die Teilnahme an der Revolution, am Krieg. Wenn wir sagen,daß Lernen und Anwenden des Gelernten nicht leicht sei, so meinenwir damit, daß es schwierig ist, etwas gründlich zu lernen und dasGelernte geschickt anzuwenden. Und wenn wir sagen, daß aus Zivi-listen sehr schnell Soldaten werden können, so meinen wir damit,daß es nicht schwer ist, die Schwelle zu überschreiten. Stellen wir diese beiden Behauptungen nebeneinander, so können wir das chine-sische Sprichwort zitieren: «Nichts auf der Welt ist schwer für den,

der sich Mühe gibt.» Die Schwelle zu überschreiten ist nicht schwer,und es ist auch möglich, eine Sache wirklich zu meistern, vorausge-setzt, man gibt sich Mühe damit und lernt eifrig.Die Gesetze des Krieges sind ebenso wie alle anderen Gesetze Wi-derspiegelungen objektiver Tatsachen in unserem Verstand. Alleswas sich außerhalb unseres Verstandes befindet, ist objektive Reali-tät. Infolgedessen schließt das, was wir lernen und wissen müssen,

die Lage der Dinge auf seiten des Feindes wie auf unserer Seite ein.Wir müssen sie beide als Studienobjekt betrachten, wobei einzig der Verstand (also unsere Denkfähigkeit) das Subjekt ist, welches diesesStudium vollzieht. Manche Menschen kennen sich selber gut undversagen, wenn es darum geht, den Feind zu erkennen; bei anderenist es genau umgekehrt; beide können nicht das Problem lösen, dieGesetze des Krieges zu erkennen und anzuwenden. In dem Buch von

Sun Wu Tzu, dem großen Militärwissenschaftler des alten China,steht der Satz: «Erkenne den Feind und erkenne dich selber; dannkannst du hundert Schlachten schlagen und gerätst doch nicht in dieGefahr, besiegt zu werden.»3 Dieser Satz bezieht sich sowohl auf dasStadium des Lernens als auch auf das der Anwendung, auf dieKenntnis der Gesetze von der Entwicklung der objektiven Realitätwie auf die Beschlüsse, die unser Handeln mit diesen Gesetzen in

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Übereinstimmung bringen die Beschlüsse, die wir fassen, um denFeind, der uns gegenübersteht, zu besiegen. Wir dürfen einen solchen

Satz nicht leichtnehmen.Krieg ist die höchste Form des Kampfes zwischen Nationen, Staaten,Klassen oder politischen Gruppen, und alle Gesetze des Kriegeswerden von den kriegführenden Nationen, Staaten, Klassen oder 

  politischen Gruppen angewandt, um den Sieg zu erringen. Fragloswird Sieg oder Niederlage im Krieg hauptsächlich durch die militäri-schen, politischen, wirtschaftlichen und natürlichen Bedingungen auf 

 beiden Seiten bestimmt, aber doch nicht durch sie allein. Auch dieauf beiden Seiten vorhandene subjektive Fähigkeit in der Kriegfüh-rung spielt dabei eine Rolle. Bei seinen Bemühungen, den Krieg zugewinnen, kann ein Militär die Grenzen nicht überschreiten, welchedie Bedingungen ihm setzen; doch innerhalb dieser Grenzen kannund muß er nach dem Sieg streben. Die Aktionsbühne eines Militärsist auf den objektiven materiellen Bedingungen erbaut; doch er kannauf dieser Bühne die Aufführung manchen Dramas voller Ton und

Farbe, Macht und Größe leiten. Daher müssen die Militärs unserer Roten Armee an Hand der objektiven materiellen Grundlagen alsoder militärischen, politischen, wirtschaftlichen und natürlichen Be-dingungen ihre ganze Tapferkeit entfalten und alle Kräfte zusam-mennehmen, um die Feinde der Nation und der Klasse zu vernichtenund diese schlechte Welt zu verändern. Hier kann und muß unseresubjektive Fähigkeit der Kriegführung unter Beweis gestellt werden.

Keinem Kommandeur unserer Roten Armee gestatten wir, sich wieein hitzköpfiger Stümper aufzuführen; wir verlangen von jedemKommandeur der Roten Armee, daß er sich zu einem zugleich küh-nen und klar denkenden Helden entwickelt, zu einem Mann, der so-wohl überragenden Mut als auch die Fähigkeit besitzt, bei allen Er-eignissen und Wechselfällen des Krieges Herr der Situation zu blei-

 ben. Im Ozean des Krieges schwimmend, darf er nicht ziellos her-

umzappeln, sondern muß sicher und mit abgemessenen Stößen auf das gegenüberliegende Ufer zuhalten. Die Gesetze der Kriegführunglehren die Kunst, im Ozean des Krieges zu schwimmen. Soviel über unsere Methoden.

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2. KapitelDie Kommunistische Partei Chinas

und Chinas revolutionärer Krieg

Chinas revolutionärer Krieg, der im Jahre 1924 begann, hat zweiStadien durchlaufen. Das erste dauerte von 1924 bis 1927, das zweitevon 1927 bis 1936. Nunmehr beginnt das Stadium des revolutionären

 Nationalkrieges gegen Japan. In allen drei Stadien wurde und wirddieser revolutionäre Krieg unter der Führung des chinesischen Prole-

tariats und seiner Partei, der Kommunistischen Partei Chinas, ausge-fochten. Die Hauptfeinde in Chinas revolutionärem Krieg sind der Imperialismus und die Kräfte des Feudalismus. Zwar nimmt die chi-nesische Bourgeoisie in bestimmten historischen Phasen am revolu-tionären Krieg teil, aber ihre Selbstsucht und ihr Mangel an politi-scher und wirtschaftlicher Unabhängigkeit berauben sie der Fähig-keit und des Willens, Chinas revolutionären Krieg auf dem Weg zum

völligen Sieg anzuführen. Die Massen der chinesischen Bauern undder städtischen Kleinbürger haben den Wunsch, aktiv am revolutio-nären Krieg teilzunehmen und ihm zum völligen Sieg zu verhelfen.Sie bilden die Hauptkräfte im revolutionären Krieg; doch da sieKleineigentümer 4 und kleine Gewerbetreibende sind, haben sie not-wendigerweise beschränkte politische Einsichten ein Teil der be-schäftigungslosen Massen hat anarchistische Ideen, und sind daher 

unfähig, die richtige Führung im Krieg zu übernehmen. Daher mußin einer Epoche, in der das Proletariat bereits die politische Bühne betreten hat, die Verantwortung für die Führung in Chinas revolutio-närem Krieg unvermeidlich auf den Schultern der KommunistischenPartei Chinas liegen. In solch einer Epoche muß jeder revolutionäreKrieg zwangsläufig mit einer Niederlage enden, wenn er das Prinzipder Führung durch das Proletariat und die Kommunistische Parteinicht anerkennt oder ihm entgegenwirkt. Von allen sozialen Schich-ten und politischen Gruppen in China, das sich noch halb im Statuseiner Kolonie befindet, sind das Proletariat und die KommunistischePartei am wenigsten von Engstirnigkeit und Selbstsucht bestimmt,

 politisch weiterdenkend, besser organisiert und williger, unvoreinge-nommen aus den Erfahrungen der fortschrittlichsten Klasse, des Pro-letariats, und ihrer politischen Partei in der ganzen Welt zu lernen

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und aus diesen Erfahrungen zugunsten der eigenen Sache Nutzen zuziehen. Daher können einzig das Proletariat und die Kommunistische

Partei die Führung über die Bauern, die städtische Kleinbourgeoisieund die Bourgeoisie übernehmen. Nur sie können die Engstirnigkeitder Bauern und der Kleinbürger und den Anarchismus der beschäfti-gungslosen Massen überwinden, nur sie können (vorausgesetzt, daßdie Kommunistische Partei sich in ihrer Politik nicht beirren läßt) dieUnsicherheit und Kompromißfreudigkeit der Bourgeoisie steuern,nur sie können die Revolution und den Krieg auf dem Weg zum Siegvorantragen.Der revolutionäre Krieg von 1924 bis 1927 wurde, grundsätzlichgesprochen, unter Bedingungen geführt, unter denen das internatio-nale Proletariat und das chinesische Proletariat sowie seine Partei

  politischen Einfluß auf die nationale chinesische Bourgeoisie undihre Parteien ausübten und eine politische Zusammenarbeit mit ihnen

 begannen. Im kritischen Augenblick jedoch schlug dieser revolutio-näre Krieg fehl in erster Linie, weil das international verpflichtete

Großbürgertum5 zum Verräter wurde, aber auch, weil die Opportuni-sten in den Reihen der Revolutionäre freiwillig die Führung der Re-volution abgaben.Der revolutionäre Agrarkrieg, der von 1927 bis heute dauerte, wurdeunter neuen Bedingungen geführt. Der Feind in diesem Krieg istnicht allein der Imperialismus, sondern auch das Bündnis der interna-tional verpflichteten Großbürger und Großgrundbesitzer. Und die

Bourgeoisie Chinas ist schließlich zu einem Anhängsel dieses Groß- bürgertums geworden. Der revolutionäre Krieg wird einzig von der Kommunistischen Partei getragen, die die absolute Führung über-nommen hat. Die absolute Führung durch die Kommunistische Parteiist die entscheidende Bedingung dafür, daß der revolutionäre Kriegunbeirrt bis zum Ende durchgefochten wird. Ohne diese Führungwäre es undenkbar gewesen, daß der revolutionäre Krieg mit solcher 

Beharrlichkeit fortgeführt würde.Die chinesische Kommunistische Partei hat Chinas revolutionärenKrieg mutig und entschlossen geführt und hat fünfzehn lange Jahrehindurch6 der ganzen Nation bewiesen, daß sie der Freund des Vol-kes ist und daß sie allezeit an der vordersten Front des revolutionärenKrieges für seine Interessen, für seine Freiheit und Befreiung kämpft.Durch ihr hartes Ringen, durch das Märtyrerschicksal von Hundert-

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tausenden ihrer heldenhaften Mitglieder und von Zehntausendenihrer heldenhaften Kader hat die Kommunistische Partei Chinas auf 

hunderte Millionen von Menschen im ganzen Lande eine starke er-zieherische Wirkung ausgeübt. Die großen historischen Errungen-schaften der Partei in ihren revolutionären Kämpfen haben die Vor-aussetzungen dafür geschaffen, daß China in diesem kritischen Au-genblick, da es von einem Feind der Nation angegriffen wird, über-leben und gerettet werden kann. Diese Voraussetzung ist das Vor-handensein einer politischen Führung, die nach langen Jahren der Prüfung gewählt wurde und die das Vertrauen der großen Mehrheitdes Volkes genießt. Heute fügt sich das Volk den Weisungen der Kommunistischen Partei weit williger als den Weisungen irgendeiner anderen politischen Partei. Ohne die schweren Kämpfe der Kommu-nistischen Partei in den letzten fünfzehn Jahren wäre es unmöglich,China angesichts dieser neuerlichen drohenden Unterdrückung zuretten.Abgesehen von den Fehlern, die der Rechtsopportunismus eines

Chen Tuhsiu7 und der «Links»-Opportunismus eines Li Li-san8 be-gingen, hat die Kommunistische Partei Chinas sich im Verlauf desrevolutionären Krieges noch zwei weitere Fehler zuschulden kom-men lassen. Der erste Fehler war der «Links»Opportunismus von1931-349, der so schwere Verluste im revolutionären Agrarkrieg zur Folge hatte, daß wir, anstatt den fünften «Einkreisungs- und Vernich-tungs»-Feldzug des Feindes zunichte zu machen, unsere Stützpunkte

einbüßten und die Rote Armee geschwächt wurde. Dieser Fehler wurde auf der erweiterten Sitzung ausgeglichen, die das Politbürodes Zentralkomitees im Januar 1935 in Tsunyi abhielt. Der zweiteFehler war der Rechtsopportunismus Chang Kuo-taos in den Jahren1935-3610, der so weit um sich griff, daß er die Disziplin in der Parteiund in der Roten Armee untergrub und einem Teil der Hauptstreit-macht der Roten Arme ernste Verluste zufügte. Aber auch dieser 

Fehler wurde schließlich dank der sicheren Führung des Zentralko-mitees und dem politischen Bewußtsein der Parteimitglieder, Kom-mandeure und Mannschaften der Roten Armee berichtigt. Natürlichwirkten sich alle diese Fehler zum Schaden unserer Partei, unserer Revolution und unseres Krieges aus; aber mit der Zeit haben wir siealle überwunden, und eben diese Bemühungen haben unsere Parteiund unsere Rote Armee gestählt und haben sie noch kräftiger werden

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lassen.Die chinesische Kommunistische Partei hat einen erregenden, groß-

artigen und siegreichen revolutionären Krieg geführt und führt ihnweiterhin. Dieser Krieg trägt nicht nur das Banner der BefreiungChinas, er besitzt auch eine revolutionäre Bedeutung für die ganzeWelt. Die Augen der Revolutionäre in allen Ländern der Erde sindauf uns gerichtet. In diesem neuen Stadium, dem Stadium des revolu-tionären Nationalkrieges gegen Japan, werden wir die chinesischeRevolution ihrer Vollendung zuführen und einen tiefgehenden Ein-fluß auf die Revolution im Osten und in der ganzen Welt ausüben.Unser revolutionärer Krieg hat bewiesen, daß wir eine korrekte mar-xistische militärische Linie ebenso wie eine korrekte marxistische

  politische Linie brauchen. Fünfzehn Jahre Revolution und Krieghaben dies bewirkt. Wir glauben, daß von nun an in dem neuen Sta-dium des Krieges diese Theorien weiterentwickelt und unter Um-ständen ausgebaut und angereichert werden, so daß wir schließlichunser Ziel erreichen, den Feind der Nation zu besiegen. Die Ge-

schichte lehrt uns, daß richtige politische und militärische Theoriennicht spontan in Erscheinung treten und sich entwickeln, sondern daßsie erkämpft werden müssen. Sie müssen sich gegen den «Links»-Opportunismus einerseits und gegen den Rechtsopportunismus ande-rerseits zur Wehr setzen. Würden wir diese gefährlichen Tendenzen,die die Revolution und den revolutionären Krieg bedrohen, nicht

 bekämpfen und völlig überwinden, so wäre es unmöglich, eine kor-

rekte Linie festzulegen und den Sieg im revolutionären Krieg zuerringen. Aus diesem Grund weise ich in meiner Abhandlung sohäufig auf irrige Einstellungen hin.

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3. KapitelMerkmale des revolutionären Krieges in China

1. Die Bedeutung des Gegenstandes

Menschen, die nicht zugeben, nicht wissen oder nicht wissen wollen,daß Chinas revolutionärer Krieg seine eigenen Merkmale besitzt,haben den Krieg, den die Rote Armee gegen die Truppen der Kuo-mintang geführt hat, einem normalen Krieg oder dem Bürgerkrieg in

der Sowjetunion gleichgestellt. Die Erkenntnisse des von Lenin undStalin in der Sowjetunion geführten Bürgerkrieges haben weltweiteBedeutung. Alle kommunistischen Parteien, einschließlich der chine-sischen Kommunistischen Partei, betrachten diese Erkenntnisse undihre theoretische Zusammenfassung durch Lenin und Stalin als weg-weisend. Das heißt jedoch nicht, daß wir diese Erkenntnisse mecha-nisch auf unsere Verhältnisse anwenden sollten. Chinas revolutionä-

rer Krieg weist in mancherlei Hinsicht Merkmale auf, die ihn vomBürgerkrieg in der Sowjetunion unterscheiden. Und natürlich ist esfalsch, diese Merkmale nicht in Rechnung zu stellen oder ihr Vor-handensein zu leugnen. Diese Tatsache hat sich in unseren Kriegs-

 jahren voll und ganz bestätigt.Unser Feind hat ähnliche Fehler begangen. Er hat nicht erkannt, daßder Kampf gegen die Rote Armee eine andere Strategie und anderetaktische Maßnahmen erfordert als der Kampf gegen andere Streit-kräfte. Er hat sich auf seine Überlegenheit in einigen Punkten ge-stützt, uns nicht ernst genommen und ist bei seinen alten Methodender Kriegführung geblieben. Das war sowohl vor als auch nach sei-nem vierten «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug im Jahre1933 der Fall, mit dem Resultat, daß er Niederlagen einstecken muß-te. Innerhalb der Kuomintang-Armee trat zuerst der reaktionäreKuomintang-General Liu Wei-yuan und nach ihm Tai Yueh für eine

neue Betrachtungsweise dieses Problems ein. Schließlich bekehrtesich auch Tschiang Kai-schek zu ihrer Ansicht. Daraufhin wurdeTschiang Kai-scheks Offiziers-Schulungskorps in Lushan begrün-det11, und die neuen reaktionären militärischen Prinzipien, ange-wandt in dem fünften «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug,wurden weiterentwickelt.

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Als aber der Feind seine militärischen Prinzipien abänderte, um sieden Operationen gegen die Rote Armee anzupassen, gab es Leute,

die in den «alten Trott» zurückfallen wollten. Sie drängten auf eineRückkehr zu Methoden, die dem Herkömmlichen entsprachen, wei-gerten sich, die besonderen Umstände jedes Falles in Betracht zuziehen, verschmähten die Erfahrungen aus der Geschichte der bluti-gen Schlachten der Roten Armee, unterschätzten ebenso die Stärkedes Imperialismus und der Kuomintang sowie deren Armee und ta-ten, als sähen sie nicht, daß der Feind die neuen reaktionären Prinzi-

  pien aufgenommen hatte. Die Folge war, daß alle revolutionärenStützpunkte, außer denen im Grenzgebiet zwischen Shensi und Kan-su, verlorengingen, daß der Bestand der Roten Armee von dreihun-derttausend auf einige Zehntausende Soldaten zusammenschrumpfte,daß die Mitgliederzahl der Kommunistischen Partei Chinas von drei-hunderttausend auf einige Zehntausende zurückging und daß fast alleParteiorganisationen in den von der Kuomintang beherrschten Gebie-ten zerschlagen wurden. Kurzum, wir erlitten eine harte Strafe von

höchster Bedeutung. Diese Leute bezeichneten sich selber als Marxi-sten-Leninisten, aber in Wirklichkeit hatten sie nicht ein Jota vomMarxismus-Leninismus begriffen. Lenin hat gesagt, das Wichtigsteam Marxismus, die lebendige Seele rdes Marxismus, sei die konkreteAnalyse der konkreten Bedingungen.12 Eben diesen Punkt hattenunsere Genossen übersehen.Hieraus kann man entnehmen, daß es unmöglich ist, Chinas revolu-

tionären Krieg zu lenken und zum Sieg zu fuhren, wenn man seineMerkmale nicht erkannt hat.

2. Welches sind die Merkmale des revolutionären Krieges in China?

Welches sind nun also die Merkmale des revolutionären Krieges inChina?

Meiner Ansicht nach gibt es vier wesentliche Merkmale.1. China ist ein weites Land, das noch teilweise im Status einer Ko-lonie, politisch und wirtschaftlich ungleichmäßig entwickelt ist unddie Revolution von 1924-27 überstanden hat.Dieses Merkmal zeigt an, daß Chinas revolutionärer Krieg sich ent-wickeln und zum Siege gelangen kann. Wir haben bereits darauf hingewiesen (beim Ersten Parteikongreß im Grenzbezirk von Hunan-

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Kiangsi13), als Ende 1927 und Anfang 1928, kurz nach dem Beginndes Guerillakrieges in China, einige Genossen im Chingkang-

Gebirge an der Grenze zwischen Hunan und Kiangsi die Frage stell-ten: «Wie lange können wir die rote Fahne wehen lassen?» Das war eine sehr grundsätzliche Frage. Ohne sie zu beantworten, ohne dieEntscheidung darüber, ob Chinas Ausgangsgebiete der Revolutionund die chinesische Rote Armee sich halten und weiterentwickelnwürden, wären wir nicht einen einzigen Schritt vorangekommen. Der Sechste Nationale Kongreß der Kommunistischen Partei Chinas imJahre 1928 gab noch einmal auf diese Frage die Antwort. Seitdemhat Chinas revolutionäre Bewegung eine richtige theoretische Grund-lage.Analysieren wir nunmehr dieses Merkmal.Chinas politische und wirtschaftliche Entwicklung ist uneinheitlich.Eine schwachentwickelte kapitalistische Wirtschaft koexistiert miteiner überwiegend halbfeudalen Wirtschaft; neben wenigen moder-nen Industrie- und Handelsstädten gibt es die weiten rückständigen

Landgebiete; neben mehreren Millionen Industriearbeitern gibt esmehrere hundert Millionen Bauern und Handwerker, die in der altenGesellschaftsordnung leben, neben den großen Militärdiktatoren, diefür die Zentralregierung maßgebend sind, gibt es die kleinen, die inden Provinzen herrschen; zwei reaktionäre Armeen: die sogenannteZentralarmee unter Tschiang Kai-schek und die «gemischten Trup-

 pen» der Militärdiktatoren in den Provinzen existieren nebeneinan-

der; neben einigen Eisenbahn- und Dampfschifflinien und ein paar Autostraßen gibt es eine Unzahl von Karrenwegen und Fußpfaden,von denen viele sogar zu Fuß nur unter Schwierigkeiten passierbar sind.China befindet sich noch teilweise im Status einer Kolonie die Unei-nigkeit der imperialistischen Mächte sorgt für Uneinigkeit unter denherrschenden Gruppen in China. Es ist dabei ein Unterschied, ob

dieses China von mehreren Staaten kontrolliert wird oder ob es eineKolonie von nur einem Staat ist.China ist ein großes Land. «Wenn es im Osten dunkel ist, dann ist eshell im Westen; wenn im Süden alles in Finsternis gehüllt ist, istnoch Licht im Norden.» Man braucht hier also nicht zu fürchten, eskönne zuwenig Raum zum Manövrieren vorhanden sein.China hat eine große Revolution überstanden sie bereitete den Bo-

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den, aus dem die Rote Armee erwuchs; sie schuf die Führung der Roten Armee: die Kommunistische Partei Chinas; sie stellte die

Massen mit revolutionärer Erfahrung.Daher besteht unserer Meinung nach das erste Merkmal des chinesi-schen revolutionären Krieges darin, daß er in einem großen halbko-lonialen Land geführt wird, das in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht uneinheitlich entwickelt ist und eine Revolution überstan-den hat. Dieses Merkmal ist grundsätzlich sowohl für unsere militäri-sche als auch für unsere politische Strategie und Taktik maßgebend.2. Unser Feind ist groß und mächtig.Wie steht es eigentlich mit der Kuomintang, dem Feind der RotenArmee? Sie ist eine Partei, welche die politische Macht ergriffen unddiese Macht mehr oder weniger gefestigt hat. Sie hat sich die Unter-stützung der wesentlichsten konterrevolutionären Staaten der Weltgesichert. Sie hat ihre Armee neu organisiert, die sich dadurch von

  jeder anderen Armee in der chinesischen Geschichte unterscheidet,und hat sich im ganzen den Armeen der modernen Staaten angegli-

chen. Diese Armee ist mit Waffen und Kriegsmaterial besser ausge-stattet als die Rote Armee, sie ist größer als jede andere Armee der chinesischen Geschichte und somit größer als die stehenden Heerealler anderen Länder. Zwischen der Armee der Kuomintang und der Roten Armee besteht ein himmelweiter Unterschied. Die Kuomin-tang kontrolliert die Schlüsselpositionen, die Lebensadern von Chi-nas Politik, seiner Wirtschaft, seines Verkehrswesens und seiner 

Kultur; ihre politische Macht erstreckt sich über die ganze Nation.Die Rote Armee Chinas steht also einem großen und mächtigenFeind gegenüber. Dies ist das zweite Merkmal des chinesischenrevolutionären Krieges. Es läßt die militärischen Operationen der Roten Armee notwendigerweise in mancher Hinsicht von denOperationen der üblichen Kriege sowie denen des Bürgerkrieges inder Sowjetunion und des Feldzugs nach dem Norden abweichen.

3. Die Rote Armee ist klein und schwach.Die chinesische Rote Armee, hervorgegangen aus Guerillaeinheiten,wurde nach dem Scheitern der ersten großen Revolution ins Lebengerufen. Dies ereignete sich zu einer Zeit, da die reaktionären kapita-listischen Länder der Welt politisch und wirtschaftlich einigermaßengesichert dastanden und China eine Periode der Reaktion erlebte.Wir verfügen nur in verstreuten und isolierten Gebirgsgegenden und

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einigen entlegenen Bezirken über politische Macht, und wir erhaltenvon außerhalb keinerlei Hilfe. Im Vergleich zu den von der Kuomin-

tang beherrschten Gebieten sind in den Ausgangsgebieten der Revo-lution die wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse als rückstän-dig zu bezeichnen. Diese revolutionären Stützpunkte umfassen ledig-lich ländliche Distrikte und kleinere Städte, Gebiete, die anfänglichsehr klein waren und sich seither nicht wesentlich erweitert haben.Außerdem verschieben sie sich immer wieder; die Rote Armee hatkeine wirklich festen Stützpunkte.Die Rote Armee ist zahlenmäßig klein, nur spärlich mit Waffen aus-gerüstet und hat die größten Schwierigkeiten, sich Nachschub an

 Nahrungsmitteln, Bettzeug und Kleidung zu verschaffen.Dieses Merkmal steht in scharfem Kontrast zu dem vorhergehenden.Aus diesem Kontrast ergeben sich Strategie und Taktik der RotenArmee.4. Die Führung durch die Kommunistische Partei und die Agrarrevo-lution.

Dieses Merkmal folgt konsequent aus dem ersten. Hieraus ergebensich zwei Tatsachen: Einerseits die Gewißheit, daß Chinas revolutio-närer Krieg, obwohl er in China und überall in der kapitalistischenWelt stattfindet, dennoch mit einem Sieg enden kann, da er von der Kommunistischen Partei geführt wird und mit der Unterstützung der Bauern rechnen kann. Dank dieser Hilfe erweisen sich unsere Stütz-

 punkte, so klein sie sind, doch in politischer Hinsicht als so gefestigt,

daß sie dem Druck des ungeheuer mächtigen Kuomintang-Regimestrotzen können, während sie militärisch ernsthafte Schwierigkeitendurch die Angriffe der Kuomintang zu verzeichnen haben. Und soklein die Rote Armee ist, so verfügt sie doch über außerordentlicheKampfkraft, da ihre von der Kommunistischen Partei geführten Mit-glieder aus der Agrarrevolution hervorgegangen sind und für ihreeigenen Interessen kämpfen und weil bei uns Kommandeure und

Soldaten politisch einig sind.Die Kuomintang andererseits bietet ein völlig anderes Bild. Sie be-kämpft die Agrarrevolution und erhält darum auch keinerlei Unter-stützung durch die Bauern. Und so groß die Armee der Kuomintangist, kann sie doch ihre Soldaten und die meisten ihrer Offiziere der unteren Dienstgrade, die ursprünglich Kleineigentümer waren, nichtdazu bringen, freiwillig ihr Leben für sie aufs Spiel zu setzen. Ihre

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Offiziere und Mannschaften stehen politisch in getrennten Lagern — ein Umstand, der die Kampfkraft dieser Armee verringert.

3. Unsere Strategie und Taktik ergibt sich aus diesen Merkmalen

Damit sind also die vier hauptsächlichen Merkmale unseres revolu-tionären Krieges genannt: ein großes, halbkoloniales Land, das in

  politischer und wirtschaftlicher Hinsicht unterschiedlich entwickeltist und eine große Revolution überstanden hat; ein starker und mäch-tiger Feind; eine kleine und schwache Rote Armee und die Agrarre-volution. Diese Merkmale bestimmen sowohl die Generallinie in der Führung des chinesischen revolutionären Krieges als auch viele sei-ner strategischen und taktischen Prinzipien. Aus dem ersten und demvierten Merkmal folgt, daß die chinesische Rote Armee durchauswachsen und ihren Feind besiegen kann. Aus dem zweiten und demdritten Merkmal folgt, daß die chinesische Rote Armee unmöglichsehr schnell anwachsen und ihren Feind in sehr kurzer Zeit besiegen

kann. Mit anderen Worten: Der Krieg wird lange dauern und kannsogar verloren werden, wenn er falsch geführt wird.Dies sind die beiden Aspekte des chinesischen revolutionären Krie-ges. Sie bestehen nebeneinander, und das heißt, daß sowohl günstigeFaktoren wie Schwierigkeiten vorhanden sind. Das ist das grundle-gende Gesetz für Chinas revolutionären Krieg, aus dem sich eineReihe anderer Gesetze ergeben. Die Geschichte unserer zehn Kriegs-

 jahre hat die Gültigkeit dieses Gesetzes erwiesen. Wer dieses grund-legende Gesetz nicht sieht, ist auch nicht imstande, Chinas revolutio-nären Krieg zu lenken und der Roten Armee zum Siege zu verhelfen.Selbstverständlich müssen wir alle folgenden grundlegenden Punkteordnungsgemäß klären. Wir müssen unser strategisches Konzeptkorrekt festlegen, uns bei der Offensive jeglichem Abenteurertumund in der Defensive dem Konservatismus und beim Stellungswech-

sel der Fluchtmentalität [flightism] widersetzen; uns einem allgemei-nen Guerillatum [guerillaism] in der Roten Armee widersetzen, dabeiaber anerkennen, daß ihre Operationen Guerilla-Charakter tragen;uns ausgedehnten Feldzügen und einer Strategie der raschen Ent-scheidungen widersetzen und dagegen für die Strategie des verlän-gerten Krieges und der rasch entschiedenen Feldzüge eintreten;uns starren Kampflinien und einem Stellungskrieg widersetzen und

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dagegen für fließende Kampflinien und eine bewegliche Kampffüh-rung eintreten;

uns einer Kampfart widersetzen, die lediglich darauf ausgeht, denFeind in die Flucht zu schlagen, und dagegen für eine Kampfart ein-treten, die den Feind vernichtet;uns einer Strategie widersetzen, die gleichzeitig mit zwei «Fäusten»in zwei Richtungen schlagen will, und dagegen für eine Strategieeintreten, die zu einer Zeit mit einer «Faust» in eine Richtungschlägt; uns dem Prinzip widersetzen, ein ausgedehntes Gebiet haltenzu wollen, und dagegen für das Prinzip eintreten, mehrere kleineGebiete zu halten, uns einer völlig zentralisierten Führung widerset-zen und dagegen für eine relativ dezentralisierte Führung eintreten;uns einer rein militärischen Betrachtungsweise widersetzen, eineVerhaltensweise umherstreifender Rebellen ablehnen und anerken-nen, daß die Rote Armee Propagandist und Organisator der chinesi-schen Revolution ist;uns dem Marodeurstum14 widersetzen und dagegen für eine strikte

 politische Disziplin eintreten;uns den Methoden der Militärdiktatoren widersetzen und dagegen für demokratische Methoden innerhalb der gebotenen Grenzen und eineautoritative Disziplin in der Armee eintreten;uns einer falschen sektiererischen Politik einzelner Kader widerset-zen und dagegen für eine richtige Politik der Kader eintreten; unseiner Politik der Isolation widersetzen und für eine Politik eintreten,

die überall mögliche Verbündete gewinnen will;uns dem widersetzen, die Rote Armee in ihrem jetzigen Stadium zu

 belassen, und uns um eine Entwicklung in ein neues Stadium bemü-hen. Unsere Erörterung der strategischen Probleme hat den Zweck,diese Fragen sorgsam im Lichte der historischen Erfahrung zu klä-ren, die China in den zehn Jahren seines blutigen Revolutionskriegesgewonnen hat.

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4. Kapitel«Einkreisung und Vernichtung» und Gegenfeldzüge -

die Grundstruktur des chinesischen Bürgerkrieges

In den zehn Jahren seit dem Beginn unseres Guerillakrieges hat der Feind jede einzelne Rote Guerillaeinheit, jede Formation der RotenArmee und jeden revolutionären Stützpunkt regelmäßig seiner Poli-tik der «Einkreisung und Vernichtung» unterworfen. Der Feind er-

  blickt in der Roten Armee ein Ungeheuer und bemüht sich, es zu

 packen, sobald es sich zeigt. Ständig verfolgt er die Rote Armee undversucht sie einzukreisen. Zehn Jahre hindurch hat sich diese Grund-struktur nicht verändert, und falls nicht der Bürgerkrieg schließlicheinem nationalen Krieg weichen sollte, wird sie sich gleichbleiben

  bis zu dem Tage, an dem der Feind der schwächere und die RoteArmee der stärkere Kampfpartner sein wird.Die Operationen der Roten Armee haben die Form von Gegenoffen-

siven gegen «Einkreisung und Vernichtung» angenommen. Für uns bedeutet das Wort Sieg hauptsächlich einen Erfolg bei der Bekämp-fung von «Einkreisung und Vernichtung», also strategischer Siegund Siege in Feldzügen. Der Kampf gegen jeden «Einkreisungs- undVernichtungs»-Feldzug stellt einen Gegenfeldzug dar, der gewöhn-lich einige oder auch eine größere Anzahl von großen und kleinenGefechten einschließt. Solange ein «Einkreisungs- und Vernich-

tungs»Feldzug nicht grundsätzlich zerschlagen ist, kann man nichtvon einem strategischen Sieg oder von einem Sieg des gesamtenGegenfeldzuges sprechen, selbst wenn man einige Gefechte gewon-nen hat. Die zehnjährige Kriegsgeschichte der Roten Armee ist dieGeschichte von Gegenfeldzügen gegen «Einkreisung und Vernich-tung».Bei den «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzügen des Feindesund den Gegenfeldzügen der Roten Armee werden beide Arten desKämpfens, die Offensive und die Defensive, angewandt, und darinunterscheidet er sich nicht von jedem anderen Krieg, in Vergangen-heit oder Gegenwart, in China oder anderswo. Das besondere Merk-mal des chinesischen Bürgerkrieges jedoch ist der wiederholteWechsel zwischen diesen beiden Formen über einen längeren Zeit-raum hinweg. Bei jedem «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug

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setzt der Feind seine Offensive gegen die Defensive der Roten Ar-mee, und die Rote Armee setzt die Devensive gegen seine Offensive.

Dies ist das erste Stadium eines Gegenfeldzuges gegen «Einkreisungund Vernichtung». Dann setzt der Feind die Defensive gegen dieOffensive der Roten Armee, und die Rote Armee setzt die Offensivegegen seine Defensive; dies ist das zweite Stadium des Gegenfeldzu-ges. Jeder «Einkreisungs- und Vernichtungs »-Feldzug zeigt diesezwei Stadien, und sie wechseln miteinander über einen langen Zeit-raum.Mit dem wiederholten Wechsel über eine längere Zeit hinweg mei-nen wir die Wiederholung dieser Struktur der Kriegführung und die-ser Formen des Kampfes. Das ist eine für jeden offenkundige Tatsa-che. Ein «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug und der Gegen-feldzug derart ist die Struktur des Krieges, die immer wieder sichtbar wird. In jedem Feldzug bestehen die Formen des Kampfes aus demWechsel des ersten Stadiums in dem der Feind die Offensive gegenunsere Defensive setzt und wir seiner Offensive mit unserer Defensi-

ve begegnen und dem zweiten Stadium, in dem der Feind die Defen-sive gegen unsere Offensive setzt, und wir seiner Defensive mit un-serer Offensive begegnen.Allerdings besteht die Struktur eines Feldzuges oder einer Schlachtnicht aus bloßer Wiederholung, sondern sie ist jederzeit verschieden.Auch das ist eine Tatsache und jedem offenkundig. In diesem Zu-sammenhang wird es zur Regel, daß mit jedem Feldzug und jedem

Gegenfeldzug das Ausmaß größer wurde, die Situation sich kompli-zierte und der Kampf sich intensivierte. Das bedeutet jedoch nicht,daß es kein Auf und Ab gäbe. Nach dem fünften «Einkreisungs- undVernichtungs»-Feldzug des Feindes war die Rote Armee erheblichgeschwächt und alle ihre Stützpunkte im Süden gingen verloren.Verlegt nach Nordwesten, nimmt die Rote Armee nicht länger einederart wichtige, den einheimischen Feind bedrohende Position ein,

wie es im Süden der Fall war, und in der Folge verringerte sich dasAusmaß der «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzüge, die Situa-tion wurde übersichtlicher und der Kampf weniger intensiv.Worin besteht für die Rote Armee eine Niederlage? Strategisch ge-sprochen, handelt es sich nur dann um eine Niederlage, wenn einGegenfeldzug gegen einen «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug völlig fehlgeschlagen ist, aber selbst dann ist die Niederlage

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nur teilweise und zeitlich begrenzt. Denn einzig die völlige Vernich-tung der Roten Armee würde eine absolute Niederlage im Bürger-

krieg bedeuten; aber das ist niemals geschehen. Der Verlust ausge-dehnter Stützpunkte und die Verlegung der Roten Armee stellteneine zeitweise und zeitlich begrenzte Niederlage dar, jedoch nichteine endgültige und' vollständige, auch wenn diese teilweise Nieder-lage den Verlust von neunzig Prozent der Parteimitglieder, der be-waffneten Kräfte und der Stützpunkte nach sich zog. Wir bezeichnendiese Verlegung als die Fortsetzung unserer Defensive und die Ver-folgung durch den Feind als die Fortsetzung seiner Offensive. Dasheißt, daß wir im Verlauf des Kampfes zwischen dem «Einkreisungs-und Vernichtungs»-Feldzug und unserem Gegenfeldzug die Zer-schlagung unserer Defensive durch die Offensive des Feindes zulie-ßen, anstatt die Defensive in eine Offensive zu verwandeln; und soverwandelte sich unsere Defensive in einen Rückzug und die Offen-sive des Feindes in eine Verfolgung. Doch als dann die Rote Armeeein neues Gebiet erreichte, als wir sie zum Beispiel aus der Provinz

Kiangsi und verschiedenen anderen Regionen in die Provinz Shensiverlegten, begannen die «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzügevon neuem. Darum bezeichnen wir den strategischen Rückzug der Roten Arme (den Langen Marsch) als eine Fortsetzung ihrer strategi-schen Defensive und die strategische Verfolgung durch den Feind alseine Fortsetzung seiner strategischen Offensive.Der chinesische Bürgerkrieg, wie jeder andere Krieg in der Vergan-

genheit oder Gegenwart, in China oder anderswo, kennt nur zweiGrundformen des Kämpfens: Angriff und Verteidigung. Das beson-dere Merkmal des chinesischen Bürgerkriegs besteht in der fortwäh-renden Wiederholung von «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzügen und unseren Gegenfeldzügen, zusammen mit dem ständi-gen Wechsel der beiden Kampfformen, Angriff und Verteidigung,einschließlich des Phänomens des großen strategischen Rückzugs

von mehr als zehntausend Kilometern (des Langen Marsches)15

.Für die Niederlagen des Feindes gelten ähnliche Gesetze. Es ist für ihn eine strategische Niederlage, wenn sein «Einkreisungs- und Ver-nichtungs»-Feldzug zerschlagen wird und unsere Defensive sich ineine Offensive verwandelt, wenn der Feind zur Defensive wechseltund sich reorganisieren muß, bevor er seinen neuen «Einkreisungs-und Vernichtungs»-Feldzug beginnen kann. Dabei ist der Feind nicht

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so wie wir zu einem strategischen Rückzug von mehr als zehntau-send Kilometern gezwungen, da er das ganze Land beherrscht und

viel stärker ist als wir. Es hat jedoch schon teilweise Rückzüge seiner Truppen gegeben. In einigen Stützpunktgebieten haben manchmalfeindliche Kräfte, die von der Roten Armee in Weiße Widerstands-nester 16 eingeschlossen waren, unsere Umzingelung durchbrochenund sich in die Weißen Gebiete zurückgezogen, um neue Offensivenvorzubereiten. Je länger der Bürgerkrieg sich hinzieht und je umfas-sender die Siege der Roten Armee werden, desto öfter werden sichsolche Dinge ereignen. Der Feind kann jedoch nicht die gleichenErfolge erzielen wie die Rote Armee, weil er nicht auf die Hilfe der Bevölkerung zählen kann und weil seine Offiziere und seine Mann-schaften keine Einheit bilden. Wenn er zu einer Operation gezwun-gen wäre, die dem Langen Marsch der Roten Armee gleichkäme, sowäre das sein sicheres Ende.Genosse Li Li-san verkannte im Jahr 1930 zur Zeit der Li Li-san-Linie das Element der Dauer in der Natur des chinesischen Bürger-

krieges, und daher erfaßte er nicht das Gesetz, daß dieser Krieg ausder Wiederholung von «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzügenund ihrer Zerschlagung über längere Zeit hinweg besteht (zum dama-ligen Zeitpunkt hatte es schon drei derartige Feldzüge im Grenzbe-zirk von Hunan und Kiangsi und zwei in Fukien gegeben). Darum

  befahl er, in einem Versuch der Revolution zum raschen Sieg zuverhelfen, der Roten Armee, die damals noch im Aufbau begriffen

war, Wuhan anzugreifen, und gleichzeitig befahl er einen die ganze Nation erfassenden bewaffneten Aufstand. Damit beging er den Feh-ler des «Links»-Opportunismus.Auch die «Links»-Opportunisten der Jahre 1931-34 glaubten nicht andas Gesetz der Wiederholung bei den «Einkreisungs- und Vernich-tungs»-Feldzügen. Einige verantwortliche Genossen in unserem Ge-

 biet entlang der Hupeh-, Hononund der Anhwei-Grenze, entwickel-

ten eine «Hilfstruppen-Theorie» und behaupteten, die Kuomintang-Armee sei nach dem Scheitern ihres dritten «Einkreisungs- und Ver-nichtungs»-Feldzuges zu einer bloßen Hilfstruppe geworden; beiweiteren Angriffen der Roten Armee müßten daher die Imperialistenselber die Hauptstreitmacht stellen und den Kampf weiterführen. Ausdieser Lagebeurteilung zogen sie den strategischen Schluß, die RoteArmee müsse Wuhan angreifen. Grundsätzlich paßte das sehr gut zu

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den Ansichten derjenigen Genossen in Kiangsi, die einen Angriff der Roten Armee gegen Nanchang forderten und dagegen waren, die

Stützpunkte untereinander zu verbinden und den Feind in einen Hin-terhalt zu locken und die die Besetzung der Hauptstadt und anderer Schlüsselstädte einer Provinz als den Ausgangspunkt für den Sieg indieser Provinz ansahen und behaupteten, «der Kampf gegen denfünften Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug stelle die ent-scheidende Schlacht zwischen dem Weg der Revolution und demWeg des Kolonialismus dar». Dieser «Links»-Opportunismus war die Ursache, daß bei den Kämpfen gegen den vierten «Einkreisungs-und Vernichtungs»-Feldzug im Grenzgebiet von Hupeh, Honan undAnhwei und in denen des fünften Feldzugs in der zentralen Stütz-

  punktzone von Kiangsi, eine falsche Linie eingehalten wurde; dieRote Armee stand diesen erbitterten Angriffen des Feindes hilflosgegenüber, und der chinesischen Revolution wurde ungeheurer Schaden zugefügt.Die Ansicht, daß die Rote Armee unter keinen Umständen defensive

Methoden anwenden dürfe, stand in direkter Verbindung mit diesem«Links»-Opportunismus, der die Wiederholung der «Einkreisungs-und Vernichtungs»-Feldzüge leugnete. Auch das war ein völliger Irrtum.Selbstverständlich ist die These, eine Revolution oder ein revolutio-närer Krieg sei eine Offensive, richtig. Eine Revolution oder einrevolutionärer Krieg muß sich in der Offensive befinden und kann

nicht konservativ sein: In der Entwicklung von geringer Kraft zugroßer Kraft, vom Fehlen der politischen Macht bis zum Besitz der 

 politischen Macht, vom Fehlen der Roten Armee zur Gründung der Roten Armee und vom Fehlen der revolutionären Ausgangsgebiete

  bis zu ihrer Errichtung; Tendenzen zum Konservatismus müssen bekämpft werden.Die einzig völlig korrekte These ist aber die, daß eine Revolution

oder ein revolutionärer Krieg eine Offensive ist, die jedoch auchVerteidigung und Rückzug in sich schließt. Sich verteidigen, umangreifen zu können; sich zurückziehen, um vorrücken zu können;sich auf die Flanken zubewegen, um dann gegen die Front vorzuge-hen; einen Umweg machen, um dann den direkten Weg einschlagenzu können dies ist unerläßlich für den Entwicklungsprozeß vieler Phänomene, insbesondere militärischer Operationen.

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Von diesen beiden Thesen mag die erste auf die politische Sphärezutreffen, jedoch nicht auf die militärische. Darüber hinaus ist sie

aber politisch nur in einer Situation zutreffend (wenn die Revolutionim Vormarsch ist), nicht jedoch, wenn sie auf eine andere Situationübertragen werden soll (wenn die Revolution auf dem Rückzug istauf einem allgemeinen Rückzug wie 1906 in Rußland 17 und 1927 inChina oder auf einem teilweisen Rückzug wie in Rußland zur Zeitdes Friedensvertrages von Brest-Litowsk im Jahre 1918 18). Nur diezweite These ist vollkommen wahr und zutreffend. Der «Links»-Opportunismus von 1931—34, der sich mechanisch jeder Anwen-dung militärischer Defensivmaßnahmen widersetzte, war nichts alskindisches Denken.Wann werden die wiederholten «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzüge beendet sein? Meiner Ansicht nach wird, sofern der Bür-gerkrieg sich in die Länge zieht, diese Wiederholung aufhören, so-

 bald ein grundlegender Wandel im Kräfteverhältnis eintritt. Sie wür-den aufhören, wenn die Rote Armee stärker geworden ist als der 

Feind. Dann werden wir den Feind einkreisen und vernichten, und er wird sich auf Gegenfeldzüge verlegen; aber die politischen und mili-tärischen Bedingungen werden eine ähnliche Position wie die der Roten Armee bei ihren Gegenfeldzügen nicht zulassen. Man kannmit aller Entschiedenheit erklären, daß dann die wiederholten «Ein-kreisungs- und Vernichtungs»-Feldzüge weitestgehend, wenn nichtvollständig, beendet sein werden.

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5. KapitelDie strategische Defensive

Unter dieser Überschrift möchte ich die folgenden Probleme erör-tern:1. Aktive und passive Verteidigung,2. Vorbereitungen zur Bekämpfung der «Einkreisungs- und Vernich-tungs»-Feldzüge,3. strategischer Rückzug,

4. strategische Gegenoffensive,5. Einleitung der Gegenoffensive,6. Zusammenziehung der Truppen,7. Bewegliche Kampfführung,8. Krieg der raschen Entscheidung und9. Vernichtungskrieg.

1. Aktive und passive Verteidigung

Warum beginnen wir mit der Erörterung der Verteidigung? Nachdem Scheitern der ersten nationalen Einheitsfront Chinas der Jahre1924-27 wurde die Revolution zu einem außerordentlich intensivenund erbarmungslosen Klassenkrieg. Während der Feind das ganzeLand beherrschte, verfügten wir nur über eine geringe Anzahl be-waffneter Kräfte und mußten infolgedessen von Anfang an einenharten Kampf gegen seine «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzüge bestehen. Unsere Offensiven standen in engster Verbin-dung mit unseren Bemühungen, diese «Einkreisungs- und Vernich-tungs»-Feldzüge zu zerschlagen, und unser Schicksal hängt völligvon der Frage ab, ob wir dazu imstande sein werden oder nicht. Der Prozeß des Zerschlagens eines «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzuges ist recht umständlich und keineswegs so gradlinig, wie

man es sich wünschen möchte. Das Hauptproblem und das ist einsehr ernstes Problem ist, unsere Kraft zu erhalten und eine Gelegen-heit abzuwarten. Daher ist die strategische Defensive das schwierig-ste und wichtigste Problem, dem sich die Rote Armee bei ihren Ope-rationen gegenübersieht.In unseren zehn Kriegsjahren machten sich hinsichtlich der strategi-

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schen Defensive häufig zwei Abweichungen bemerkbar: die einewar, den Feind zu unterschätzen, die andere, sich von ihm einschüch-

tern zu lassen. Viele Guerillaeinheiten erlitten Niederlagen, weil sieden Feind unterschätzt hatten und bei mehreren Gelegenheiten nichtin der Lage waren, seine «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzüge zu zerschlagen.Als die ersten revolutionären Guerillaeinheiten gebildet wurden,waren ihre Anführer oft nicht imstande, die Situation des Feindessowie die eigene einzuschätzen. Da sie an einigen Orten mit der Or-ganisation plötzlicher bewaffneter Aufstände oder Meutereien in denTruppen der Weißen Erfolg gehabt hatten, sahen sie nur die augen-

 blicklich günstigen Umstände oder waren nicht imstande; den Ernstder Lage zu erkennen, der sie gegenübergestellt waren, so daß sieden Feind gewöhnlich unterschätzten. Obendrein begriffen sie gar nicht, wie schwach sie selber waren (d. h. wie wenig Erfahrung siehatten und wie gering ihre Kräfte waren). Es war eine objektive Tat-sache, daß der Feind stark und wir schwach waren, und trotzdem gab

es Menschen, die dies nicht einsehen wollten, die immer nur vonAngriff und nie von Verteidigung oder Rückzug sprachen, und wasdie Verteidigung betrifft sich geistig entwaffneten und folgerichtigFehler begingen. Viele Guerillaeinheiten wurden aus diesem Grund

 besiegt.Beispiele dafür, daß die Rote Armee aus diesem Grund die feindli-chen «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzüge nicht aufzuhalten

vermochte, waren ihre Niederlagen 1928 in der Provinz Kwangtungim Gebiet von Haifeng und Lufeng19, und der Verlust ihrer Aktions-freiheit bei dem 1932 erfolgten vierten Gegenfeldzug gegen diefeindliche «Einkreisung und Vernichtung» im Grenzgebiet von Hu-

  peh, Honan und Anhwei, bei der die Rote Armee von der Theorieausging, daß die Kuomintang-Armee fast eine Hilfstruppe sei.Es gibt eine ganze Reihe von Beispielen für Rückschläge, die wir 

erlitten, weil wir uns vom Feind einschüchtern ließen.Im Gegensatz zu jenen, die den Feind unterschätzten, gab es einige,die ihn ebenso gewaltig überschätzten, wie sie unsere eigene Kraftunterschätzten, was zur Folge hatte, daß sie eine unverantwortlicheRückzugspolitik betrieben und sich, was die Verteidigung betrifft,geistig entwaffneten. Daraus resultierte die Niederlage einiger Gue-rillaeinheiten oder das Scheitern einiger Feldzüge der Roten Armee

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oder auch deren Verlust von Stützpunkten.Das eindrucksvollste Beispiel ist der Verlust des zentralen Stütz-

  punktes in Kiangsi während des fünften Gegenfeldzuges gegen«Einkreisung und Vernichtung». In diesem Fall erwuchs der Fehler aus einer reaktionären Einstellung. Die Anführer fürchteten denFeind, als wäre er ein Tiger, versuchten sich vor ihm zu verschanzen,lieferten auf Schritt und Tritt Verteidigungsgefechte und wagtennicht, in das Hinterland des Feindes einzufallen und ihn dort an-zugreifen, was zu unserem Vorteil gewesen wäre. Sie unternahmenauch keinen Versuch, die feindlichen Einheiten kühn in eine Falle zulocken, um sie dort zusammenzutreiben und zu vernichten. Auf Grund dieser Einstellung ging das gesamte Stützpunktgebiet verlo-ren, und die Rote Armee mußte den Langen Marsch von mehr alszwölftausend Kilometern antreten. Allerdings geht solchen Fehlernzumeist der «linke» Fehler einer Unterschätzung des Feindes voraus.Das militärische Abenteurertum beim Angriff auf die Schlüsselstädte1932 war der eigentliche Anstoß für die Planung der passiven Ver-

teidigung, die später, als man es mit dem Feind im fünften «Einkrei-sungs- und Vernichtungs»Feldzug aufnahm, zur Anwendung kam.Das extremste Beispiel für Einschüchterung durch den Feind war dieRückzugssucht der «Chang Kuo-tao-Politik». Die Niederlage der Westkolonne der Vierten Frontarmee westlich des Gelben Flusses 20 

 besiegelte den endgültigen Bankrott dieser Politik.Unter aktiver Verteidigung versteht man auch offensive Verteidi-

gung oder Verteidigung durch entscheidende Gefechte. Passive Ver-teidigung ist auch bekannt als rein defensive Verteidigung oder auchreine Verteidigung. Passive Verteidigung ist gegenwärtig eine unech-te Art der Verteidigung, und die einzig richtige Verteidigung ist akti-ve Verteidigung, also eine Verteidigung, die den Zweck verfolgt,einen Gegenangriff vorzubereiten und zur Offensive überzuleiten.Soweit mir bekannt ist, gibt und gab es weder in China noch im Aus-

land ein militärisches Handbuch von Wert oder einen ernst zu neh-menden Militärexperten, der sowohl in strategischen als auch in tak-tischen Fragen eine passive Verteidigung nicht völlig abgelehnt hät-te. Nur ein absoluter Narr oder ein Verrückter würde den Begriff der 

  passiven Verteidigung wie einen Talisman hegen und pflegen.Trotzdem gibt es in dieser Welt Menschen, die das tun. Im Krieg istdas ein Fehler, eine Bekundung von Konservatismus, der wir mit

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Entschiedenheit entgegentreten müssen.Die Militärexperten der neueren und sich schnell entwickelnden im-

 perialistischen Länder, insbesondere Deutschlands und Japans, ver-künden laut die Vorteile der strategischen Offensive und lehnen jedestrategische Defensive ab. Doch militärisches Denken dieser Art istfür den chinesischen revolutionären Krieg völlig ungeeignet. DieseMilitärexperten behaupten, die Defensive habe den gefährlichen

  Nachteil, daß sie die öffentliche Moral erschüttere, anstatt sie zustärken. Dies trifft auf Länder zu, in denen scharfe Klassengegensät-ze herrschen und der Krieg nur den reaktionären herrschendenSchichten oder den reaktionären politischen Gruppen, die an der Macht sind, zugute kommt. Bei uns liegen die Dinge jedoch anders.Mit dem Slogan der Verteidigung der revolutionären Stützpunkteund der Verteidigung Chinas können wir die überwältigende Mehr-heit des Volkes dazu bringen, einmütig und entschlossen den Kampf aufzunehmen, denn wir sind die Unterdrückten und die Opfer der Aggression. Die Rote Armee der Sowjetunion hat während des Bür-

gerkrieges ihre Feinde geschlagen, weil sie ebenfalls diese Form der Verteidigung anwandten. Als die imperialistischen Länder die Wei-ßen zum Angriff vorschickten, wurde der Krieg mit dem Slogan der Verteidigung der Sowjets geführt, und selbst als die Oktoberrevolu-tion vorbereitet wurde, stand die militärische Mobilmachung unter dem Slogan der Verteidigung der Hauptstadt. In jedem gerechtenKrieg hat Verteidigung nicht nur einen beschwichtigenden Einfluß

auf politisch Andersdenkende, sondern sie ermöglicht auch die Akti-vierung der rückständigen Teile der Massen und bestimmt sie, amKrieg teilzunehmen.Wenn Marx gesagt hat, daß ein bewaffneter Aufstand sich, sobald er einmal ausgebrochen sei, keinen Augenblick der Ruhe im Angriff gönnen dürfe 21, so meint er damit, daß die Massen, wenn sie ihrenFeind mit einer Revolte überrascht haben, den reaktionären Führern

keine Gelegenheit geben dürfen, die politische Macht zu bewahrenoder gar zurückzugewinnen, sondern den Augenblick nutzen müssen,in dem die regierenden reaktionären Kräfte der Nation noch unvorbe-reitet sind, um diese zu schlagen; daß sie sich mit den errungenenSiegen nicht zufriedengeben, den Feind nicht unterschätzen, in ihrenAngriffen nicht nachlassen und nicht zögern dürfen, weiter vorwärtszu drängen; daß sie sich keinesfalls die Chance, den Feind zu ver-

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nichten, entgehen lassen dürfen, weil sie sonst die Revolution zumScheitern bringen könnten. Das ist richtig. Es bedeutet jedoch nicht,

daß wir Revolutionäre, wenn wir bereits in den Kampf mit einemüberlegenen Feind verwickelt sind, keine defensiven Maßnahmenanwenden dürften auch dann nicht, wenn wir hart bedrängt werden.

 Nur ein völliger Idiot würde so denken.Als Ganzes gesehen bedeutete unser Krieg eine Offensive gegen dieKuomintang, aber auch militärisch hat er die Form angenommen, die«Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzüge des Feindes zu zer-schlagen.Militärisch gesprochen besteht unsere Kriegführung im wechselndenGebrauch von Defensive und Offensive. In unserem Falle macht eskeinen Unterschied aus, ob die Offensive der Defensive folgt oder ihr vorausgeht, denn es kommt vor allem darauf an, die «Einkreisungund Vernichtung» zu zerschlagen. Die Defensive wird fortgeführt,

  bis ein «Einkreisungs- und Vernichtungs»Feldzug zerschlagen ist,worauf dann die Offensive beginnt. Beides sind aber nur zwei Stadi-

en ein und derselben Unternehmung und ein feindlicher «Einkrei-sungs- und Vernichtungs»-Feldzug folgt dicht auf den anderen. Vonden beiden Stadien ist die Defensive komplizierter und wichtiger. Eswirft zahlreiche Probleme hinsichtlich der Zerschlagung von «Ein-kreisung und Vernichtung» auf. Hier ist das Grundprinzip, für aktiveVerteidigung einzutreten und passive Verteidigung abzulehnen.Wir werden in unserem Bürgerkrieg die strategische Defensive nicht

mehr anzuwenden brauchen, wenn die Stärke der Roten Armee diedes Feindes erst einmal übertroffen hat. Dann wird unsere Politik ganz auf die strategische Offensive ausgerichtet sein. Dieser Wechselwird von einer allgemeine Umkehrung im Kräfteverhältnis abhän-gen. Dann werden die verbleibenden Defensivmaßnahmen nur noch

 begrenzten Charakter haben.

2. Vorbereitungen zur Bekämpfung der «Einkreisungs- und Vernich-tungs»-Feldzüge

Solange wir nicht die notwendigen und ausreichenden Vorbereitun-gen gegen einen vom Feind geplanten «Einkreisungs- und Vernich-tungs»-Feldzug getroffen haben, werden wir zwangsläufig in eine

 passive Lage gedrängt sein. Sich übereilt auf einen Kampf einlassen,

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heißt, ohne sichere Aussicht auf Sieg kämpfen. Wenn daher der Feind einen «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug vorbereitet,

ist es für uns unbedingt notwendig, unseren Gegenfeldzug vorzube-reiten. Sich solchen Vorbereitungen zu widersetzen, wie dies gele-gentlich Leute in unseren Reihen tun, ist kindisch und lächerlich.Hier ergibt sich ein schwieriges Problem, das leicht zu Meinungsver-schiedenheiten führen kann. Wann müssen wir unsere Offensive

 beenden und in die Phase der Vorbereitung unseres Gegenfeldzugesgegen den «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug eintreten?Wenn wir uns siegreich in der Offensive befinden und der Feind sichin der Defensive befindet, trifft er insgeheim seine Vorbereitungenfür den nächsten «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug; darumist es für uns schwierig, zu wissen, wann seine Offensive beginnenwird. Wenn wir unsere Vorbereitungen zum Gegenfeldzug zu früheinleiten, verringern wir damit die Erfolge unserer Offensive undwerden gewisse schädliche Wirkungen auf die Rote Armee und dasVolk hervorrufen. Denn die wichtigsten Maßnahmen der Vorberei-

tungsphase sind die militärischen Vorbereitungen für den Rückzugund die politische Aufklärung hierfür. Wenn wir zu früh damit be-ginnen, kann daraus ein Warten auf den Feind werden, und wenn wir lange auf den Feind gewartet haben, ohne daß er sich zeigt, müssenwir möglicherweise unsere Offensive erneuern, und manchmal wirdder Feind ausgerechnet zu dem Zeitpunkt seine Offensive starten, andem auch wir mit einer neuen Offensive beginnen wollen, so daß wir 

in eine schwierige Situation geraten. Daher ist die Wahl des richtigenAugenblicks für den Beginn unserer Vorbereitungen ein wichtigesProblem. Der richtige Augenblick sollte unter gebührender Beach-tung der Feindsituation sowie unserer eigenen Situation und der Wechselbeziehung zwischen beiden bestimmt werden. Um die Situa-tion des Feindes kennenzulernen, müssen wir Informationen über seine politische, militärische und finanzielle Stellung sowie über den

Stand der öffentlichen Meinung in seinem Territorium einziehen. Beider Analyse solcher Informationen müssen wir die Gesamtstärke desFeindes voll in Rechnung stellen und dürfen das Ausmaß seiner frü-heren Niederlagen nicht überschätzen; andererseits aber dürfen wir auch nicht verfehlen, seine inneren Widersprüche, seine finanziellenSchwierigkeiten, die Wirkung seiner früheren Niederlagen usw. inBetracht zu ziehen. Was unsere Seite betrifft, so dürfen wir das

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Ausmaß unserer früheren Siege nicht überschätzen, aber auch ihreAuswirkung voll in Rechnung stellen.

Allgemein gesprochen jedoch beginnt man mit den Vorbereitungen besser zu früh als zu spät, denn man riskiert kleinere Verluste undhat den Vorteil, daß eine gute Vorbereitung manche Gefahr ausschal-tet und uns in eine im Grunde unbesiegbare Position setzt.Die wichtigsten Probleme in der Vorbereitungsphase sind die Vorbe-reitungen für den Rückzug der Roten Armee, die politische Aufklä-rung, die Rekrutierung, Maßnahmen zur Finanzierung und Proviant-

 beschaffung und die Behandlung politisch Andersdenkender.Den Rückzug der Roten Armee vorbereiten, heißt Vorsorge treffen,daß er sich nicht in eine Richtung bewegt, die ihn gefährden würde,daß sie ihre Angriffe nicht zu weit vorträgt oder ihre Kräfte zu sehr erschöpft. Diese Punkte müssen die Hauptkräfte der Roten Armeeam Vorabend einer großangelegten Feindoffensive berücksichtigen.Zu einem solchen Zeitpunkt muß die Rote Armee ihre Aufmerksam-keit vor allem auf die Wahl und Vorbereitung der Kampfgebiete, auf 

die Versorgung mit Nachschub und auf die Erweiterung und Ausbil-dung ihrer Kräfte richten.Die politische Aufklärung ist ein Problem erster Ordnung beimKampf gegen «Einkreisung und Vernichtung». Wir müssen also der Roten Armee und der Bevölkerung in dem Stützpunktgebiet deutlich,entschlossen und uneingeschränkt erklären, daß die Offensive desFeindes unvermeidlich und drohend ist und der Bevölkerung ernsten

Schaden zufügen wird; gleichzeitig aber müssen wir sie auch über die Schwächen des Feindes aufklären, ihr die für die Rote Armeegünstigen Tatsachen vor Augen führen, unseren unbeugsamen Sie-geswillen sowie unseren allgemeinen Aktionsplan. Wir müssen dieRote Armee und die gesamte Bevölkerung zum Kampf gegen den«Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug des Feindes und zur Verteidigung des Stützpunktes aufrufen. Die politische Aufklärung

muß mit der Ausnahme der militärischen Geheimnisse — freimütig  betrieben werden und, was noch wichtiger ist, wir müssen uns an-strengen, mit ihr alle zu erreichen, die die revolutionäre Sache mög-licherweise unterstützen können. Der Schlüssel hierzu liegt in der Überzeugung der Kader.Die Anwerbung neuer Soldaten sollte von zwei Überlegungen aus-gehen: Erstens von dem Stand des politischen Bewußtseins des Vol-

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kes und von der Größe der Bevölkerung und zweitens vom gegen-wärtigen Stand der Roten Armee sowie dem möglichen Ausmaß

ihrer Verluste im Verlauf des gesamten Gegenfeldzuges.Es bedarf kaum einer Erwähnung, daß die Fragen der Finanzierungund der Nahrungsmittelbeschaffung für den Gegenfeldzug von größ-ter Wichtigkeit sind. Wir müssen die Möglichkeit eines längerenfeindlichen Feldzuges berücksichtigen. Es ist erforderlich, daß wir für den gesamten Kampf gegen den feindlichen «Einkreisungs- undVernichtungs»-Feldzug das Minimum des benötigten Materialshauptsächlich für die Rote Armee, aber auch für die Bevölkerung imrevolutionären Gebiet abschätzen.Was die politisch Andersdenkenden betrifft, so sollten wir wachsamsein, aber nicht übertriebene Furcht vor Verrat zeigen und nicht zuausgedehnte Vorsichtsmaßnahmen treffen. Wir müssen zwischenGroßgrundbesitzern, Kaufleuten und reichen Bauern unterscheiden,und das Wichtigste ist, sie politisch aufzuklären und ihre Neutralitätzu gewinnen, gleichzeitig aber dafür zu sorgen, daß die Volksmassen

ein Auge auf sie haben. Nur gegenüber den sehr wenigen wirklichgefährlichen Elementen müssen strenge Maßnahmen wie Inhaftie-rung angewandt werden.Das Ausmaß eines Erfolges im Kampf gegen «Einkreisung und Ver-nichtung» hängt vor allem davon ab, inwieweit die Aufgaben der vorbereitenden Phase erfüllt wurden. Die Unterschätzung des Fein-des bewirkt ein Nachlassen der Vorbereitungsarbeit, die Einschüch-

terung durch seine Angriffe bewirkt Panik; beides sind schädlicheTendenzen, die energisch bekämpft werden müssen. Was wir brau-chen, das ist eine zugleich begeisterte und gelassene Geisteshaltungund eine zugleich gedrängte und methodische Arbeit.

3. Strategischer Rückzug

Wenn eine schwächere Streitmacht sich einer stärkeren gegenüber-gestellt sieht, deren Offensive sie nicht schnell zerschlagen kann,  plant sie einen strategischen Rückzug, ein strategischer Schritt mitdem Zweck, ihre Kräfte zu erhalten und den Zeitpunkt zum Sieg über den Feind abzuwarten. Militärische Abenteurer allerdings widerset-zen sich hartnäckig einem derartigen Schritt und predigen, man müs-se «den Feind vors Tor locken».

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Wir alle wissen, daß bei einem Boxkampf der klügere Boxer ge-wöhnlich im Anfang ein wenig zurückweicht, während der dumme

wild auf ihn einstürmt und gleich zu Beginn alle seine Reserven auf- braucht. Zum Schluß wird er dann von dem Mann geschlagen, der anfangs zurückgewichen ist.In dem Roman <Shui Hu Chuan>22 fordert der Ausbilder Hung denLin Chung zu einem Kampf auf dem Besitztum von Chai Chin her-aus und ruft dabei: «Komm! Komm! Los, komm her!» Schließlichaber ist es der zurückweichende Lin Chung, der Hungs schwacheStelle erspäht und ihn mit einem Schlag zu Boden streckt.Als in der Frühlings- und Herbstära die Staaten Lu und Chi gegen-einander Krieg führten23, wollte Herzog Chuang von Lu angreifen,

 bevor die Truppen von Chi ihre Kräfte verausgabt hatten; aber TsaoKuei hinderte ihn daran. Als er dann statt dessen die Taktik «der Feind ermüdet, wir greifen an» anwandte, schlug er die Armee vonChi. Dies ist ein klassisches Beispiel aus der Kriegsgeschichte Chi-nas dafür, daß eine schwache Streitmacht eine starke besiegen kann.

Der Historiker Tsochiu Ming 24 gibt hierüber den folgenden Bericht:Im Frühjahr fielen die Truppen von Chi in unser Land ein. Der Her-zog wollte sich auf einen Kampf einlassen. Tsao Kuei bat um eineAudienz. Seine Nachbarn sagten: «Das ist Sache der fleischessendenBeamten, warum willst du dich einmischen?» Tsao erwiderte:«Fleischesser sind Narren, sie können nicht vorausplanen.» So trat er vor den Herzog. Und er fragte: «Worauf willst du dich verlassen,

wenn du kämpfst?» Der Herzog antwortete: «Ich behalte nie zumeigenen Genuß Speise und Gewänder, sondern teile sie stets mit an-deren.» Tsao sagte: «Solch erbärmliche Mildtätigkeit kann sich nichtauf alle erstrecken. Das Volk wird dir nicht folgen.» Der Herzogsagte: «Ich gebe den Göttern nie weniger als die ihnen zustehendeMenge an Opferstieren, Jade oder Seide. Ich bewahre den rechtenGlauben.» Tsao antwortete: «Solch armseliger Glaube gewinnt dir 

nicht das Vertrauen. Die Götter werden dich nicht segnen.» Der Her-zog sagte:«Obwohl es mir nicht möglich ist, die Einzelheiten aller großen undkleinen Streitfälle zu beachten, frage ich doch stets nach den Tatsa-chen.» Tsao sagte: «Das beweist deine Ergebenheit für dein Volk.Du kannst die Schlacht wagen. Wenn du es tust, so bitte ich, dir fol-gen zu dürfen.» Der Herzog und er bestiegen denselben Streitwagen.

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Die Heere stießen bei Changshuo aufeinander. Als der Herzog dieTrommel zum Angriff schlagen wollte, sagte Tsao: «Noch nicht.»

Als die Männer von Chi dreimal getrommelt hatten, sagte Tsao:«Jetzt können wir trommeln.» Die Armee von Chi wurde besiegt.Der Herzog wollte die Feinde verfolgen. Wieder sagte Tsao: «Nochnicht.» Er stieg vom Wagen, um die Räderspuren der Feinde zu un-tersuchen; dann stieg er auf die Armstütze des Wagens, um in dieFerne zu blicken. «Jetzt können wir sie verfolgen», sagte er. So be-gann die Verfolgung der Truppen von Chi. Nach dem Sieg fragte der Herzog Tsao, warum er ihm diese Ratschläge gegeben habe. Tsaoerwiderte: «Zu einer Schlacht gehört Mut. Beim ersten Trommel-schlag wird der Mut geweckt, beim zweiten erlahmt er und mit demdritten stirbt er. Als unsere Feinde der Mut verließ, war der unserenoch auf dem Höhepunkt, und darum siegten wir. Es ist schwer, dieBewegung eines großen Heeres zu ergründen, und darum fürchteteich einen Hinterhalt. Doch als ich die Radspuren des Feindes unter-suchte und sah, daß sie kreuz und quer liefen, und als ich in die Ferne

 blickte und sah, daß seine Banner sich senkten, riet ich zur Verfol-gung.»Das war ein Fall, in dem ein schwacher Staat einem starken wider-stand. Die Geschichte berichtet über die politischen Vorbereitungenauf eine Schlacht davon, daß man das Vertrauen des Volkes gewin-nen muß; sie spricht von einem Schlachtfeld, das die günstige Gele-genheit bot, zur Gegenoffensive überzugehen Changshuo; sie be-

nennt den günstigsten Zeitpunkt für den Beginn der Gegenoffensivewenn der Feind den Mut verliert und der unsere auf dem Höhepunktist; sie belehrt uns, wann man mit der Verfolgung einsetzen mußwenn die Spuren des Feindes kreuz und quer laufen und seine Ban-ner sich senken. Obgleich es keine große Schlacht war, illustriert siedoch die Prinzipien der strategischen Defensive. DieMilitärgeschichte Chinas enthält zahlreiche Beispiel von Siegen, die

nach diesen Prinzipien errungen wurden. Ich nenne hier nur so berühmte Schlachten wie die Schlacht von Chengkao zwischen denStaaten Chu und Han 25, die Schlacht von Kunyang zwischen denStaaten Hsin und Han 26, die Schlacht von Kuantu zwischen YuanShao und Tsao Tsao 27, die Schlacht von Chihpi zwischen denStaaten Wu und Wie 28, die Schlacht von Yiling zwischen denStaaten Wu und Shu 29 und die Schlacht von Feishui zwischen denStaaten Chin und Tsin 30. In jeder dieser Schlachten standen sich

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In jeder dieser Schlachten standen sich ungleich starke Parteien ge-genüber, die schwächere wich zunächst zurück und gewann dann die

Oberhand, indem sie erst zuschlug, als der Feind sich verausgabthatte. So errang sie den Sieg über den stärkeren Gegner.Unser Krieg begann im Herbst des Jahres 1927. Damals hatten wir noch nicht die geringste Erfahrung. Der Aufstand von Nanchang 31 und der von Kanton scheiterten, und auch beim Aufstand zur Herbst-ernte 32 erlitt die Rote Armee im Grenzgebiet von Hunan, Hupeh undKiangsi mehrere Niederlagen und zog sich ins Chingkang-Gebirgean der Grenze zwischen Hunan und Kiangsi zurück. Im folgendenApril zogen auch die Einheiten, welche die Niederlage beim Auf-stand von Nanchang überlebt hatten, durch das sudliche Hunan insChingkang-Gebirge. Im Mai 1928 jedoch waren bereits die Grund-

 prinzipien der Guerillakriegführung einfach im Inhalt und sich denBedingungen der Zeit anpassend entwickelt und hatten ihren Aus-druck in' folgender Formel gefunden: «Der Feind rückt vor, wir zie-hen uns zurück; der Feind, schlägt ein Lager auf, wir beunruhigen

ihn; der Feind ermüdet, wir greifen an; der Feind zieht sich zurück,wir verfolgen ihn.» Diese Formulierung der militärischen Prinzipienwurde vor der Zeit Li Li-sans vom Zentralkomitee akzeptiert. Später wurden unsere Operationsprinzipien weiterentwickelt. Zur Zeit unse-res ersten Gegenfeldzuges gegen die «Einkreisung und Vernichtung»im Gebiet von Kiangsi wurde das Prinzip, den Feind in den Hinter-halt zu locken, ausgearbeitet und vor allem auch erfolgreich ange-

wandt. Als dann der dritte «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug des Feindes zerschlagen wurde, hatten bereits zahlreicheOperationsprinzipien der Roten Armee Form gewonnen. Damit be-gann ein neues Stadium in der Entwicklung unserer militärischenPrinzipien, die in ihrem Inhalt wesentlich bereichert wurden undmanche Änderung in der Form erfuhren, und zwar insofern, als siegrundsätzlich die genannte Formel beibehielten, ihre einfache Form

 jedoch veränderten. Diese Formel erfaßt die Grundprinzipien für dieBekämpfung von «Einkreisung und Vernichtung»; sie erfaßt die zweiStadien der strategischen Defensive und strategischen Offensive, undinnerhalb der Defensive erfaßt sie die zwei Stadien des strategischenRückzugs und der strategischen Gegenoffensive. Alles, was später kam, war nur eine Erweiterung dieser ursprünglichen Formel.Seit Januar 1932 jedoch, nach Veröffentlichung der Parteiresolution

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mit dem Titel «Kampf für den Sieg in einer oder mehreren Provinzennach der Zerschlagung des dritten <Einkreisungs- und Vernich-

tungs>-Feldzuges» einer Resolution, die schwerwiegende, grundsätz-liche Irrtümer enthielt -, griffen die «Links»-Opportunisten die rich-tigen Prinzipien an, setzten schließlich ihre Abschaffung durch undwarteten dafür mit einer vollständigen Serie gegensätzlicher «neuer Prinzipien» oder «verbindlicher Prinzipien» auf. Von da an betrach-tete man die alten Prinzipien nicht mehr als maßgebend; sie wurdenals «Guerillatum» abgelehnt. Drei volle Jahre hielt sich die Oppositi-on gegen das «Guerillatum». In ihrem ersten Stadium war sie ge-kennzeichnet durch militärisches Abenteurertum, in ihrem zweitendurch militärischen Konservatismus, und in ihrem dritten wurde siezu einer einzigen Fluchtbewegung [flightism]. Erst als im Januar 1935 das Politbüro des Zentralkomitees in Tsunyi in der ProvinzKweichow seine erweiterte Sitzung abhielt, wurde diese falsche Poli-tik für bankrott erklärt und die Richtigkeit der alten Politik bestätigt.Aber um welchen Preis!

Jene Genossen, die sich so heftig gegen das «Guerillatum» wandten,führten dabei die folgenden Argumente an. Es sei falsch, den Feindin einen Hinterhalt zu locken, da wir dabei viel Terrain räumen müß-ten. Obwohl man auf diese Weise Schlachten gewonnen hatte, lagendie Dinge jetzt nicht ganz anders? Und außerdem, war es nicht bes-ser, den Feind zu schlagen, ohne dabei Terrain aufzugeben? Und war es nicht noch besser, den Feind in seinen eigenen Gebieten oder an

den Grenzen zwischen seinen und unseren Gebieten zu schlagen?Die alten Praktiken hätten nichts «Reguläres» an sich gehabt, undseien Methoden gewesen, die nur Guerillas angewandt hätten. Nunsei unser Staat begründet, und unsere Rote Armee sei eine reguläreArmee geworden. Unser Kampf gegen Tschiang Kai-schek sei zueinem Krieg zwischen zwei Staaten, zwischen zwei großen Armeengeworden. Die Geschichte dürfe sich nicht wiederholen; alles was

das «Guerillatum» charakterisiere, solle grundsätzlich ausgeschaltetwerden. Die neuen Prinzipien seien «vollkommen marxistisch»,während die alten von Guerillaeinheiten in den Bergen aufgestelltworden seien, und in den Bergen gibt es keinen Marxismus. Dieneuen Prinzipien waren die Antithesen der alten. Sie lauteten: «Stellteinen gegen zehn, stellt zehn gegen hundert auf, kämpft tapfer undentschlossen und nützt die Siege durch erbitterte Verfolgung aus»;

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«Angriff an allen Fronten»; «Besetzt die Schlüsselstädte» und«Schlagt gleichzeitig mit zwei Fäusten in zwei Richtungen». Bei

Angriffen des Feindes hatte man sich an die folgenden Kampfme-thoden zu halten: «Stellt den Feind vor seinem Tor», «Gewinnt dieOberhand, indem ihr zuerst zuschlagt», «Laßt es nicht zu, daß der Feind unsere Töpfe und Pfannen zerschlägt», «Gebt keinen ZollbreitBoden auf» und «Teilt die Streitkräfte in sechs Kolonnen auf». Der Krieg war «die Entscheidungschlacht zwischen dem Weg der Revo-lution und dem Weg des Kolonialismus», ein Krieg der raschen,kurzen Vorstöße, mit einem Netz von Einzelstützpunkten, ein Zer-mürbungskrieg, ein «verlängerter Krieg». Außerdem versuchte mandie Politik eines ausgedehnten Hinterlandes und eines absolut zentra-lisierten Kommandos zu bewahren. Und schließlich wurde eine um-fassende Säuberungsaktion durchgeführt. Jeder, der sich nicht zu denneuen Grundsätzen bekannte, wurde bestraft, als Opportunistgebrandmarkt und so weiter.Zweifellos waren alle diese Theorien und Praktiken falsch. Sie waren

nichts als Subjektivismus. Unter günstigen Umständen offenbartesich dieser Subjektivismus als kleinbürgerlicher, revolutionärer Fa-natismus und Ungestüm; aber in Zeiten der Not, als sich die Lageverschlechterte, verwandelte er sich nach und nach in verzweifelteKopflosigkeit, in Konversatismus und in Fluchtbereitschaft [flight-ism]. Es waren die Theorien und Praktiken von Hitzköpfen und Igno-ranten; sie hatten nicht den blassesten Schimmer von Marxismus,

sondern waren in Wirklichkeit geradezu antimarxistisch.Wir wollen hier nur über den strategischen Rückzug sprechen, der inKiangsi als «Locken des Feindes in einen Hinterhalt» und in Szechu-an als «Verkürzung der Front» bezeichnet wurde. Kein umsichtiger Theoretiker oder Praktiker des Krieges hat je geleugnet, daß dies diePolitik ist, die eine schwache Armee einem starken Feind gegenüber im Anfangsstadium des Krieges anwenden muß. Ein ausländischer 

Militärexperte hat erklärt, daß man bei strategischen Defensivopera-tionen im Anfang Entscheidungskämpfe gewöhnlich vermeidet undsie erst dann anstrebt, wenn die Bedingungen günstiger sind. Das istabsolut richtig, und wir haben dem nichts hinzuzufügen.Der Zweck eines strategischen Rückzuges ist es, seine militärischeKraft zu bewahren und sich auf die Gegenoffensive vorzubereiten.Der Rückzug ist notwendig, denn wer vor dem Angriff eines starken

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Feindes nicht einen Schritt zurückweicht, gefährdet damit unver-meidlich die Erhaltung seiner eigenen Kräfte. Trotzdem haben sich

in der Vergangenheit manche Leute hartnäckig jedem Rückzug wi-dersetzt und behauptet, das sei eine «opportunistische Haltung der reinen Verteidigung». Unsere Geschichte hat bewiesen, daß solcher Widerstand vollkommen falsch war.Um eine Gegenoffensive vorzubereiten, müssen wir Bedingungenwählen oder schaffen, die für uns günstig, für den Feind jedoch un-günstig sind, um nach Möglichkeit einen Umschwung im Kräftever-hältnis herbeizuführen, bevor wir mit der Gegenoffensive beginnen.Im Licht unserer bisherigen Erfahrungen sollten wir während desRückzugs darauf achten, daß mindestens zwei der folgenden Bedin-gungen erfüllt sind, bevor wir die Situation als für uns günstig undfür den Feind ungünstig ansehen und bevor wir zur Gegenoffensiveübergehen. Diese Bedingungen lauten:1. Die Bevölkerung gewährt der Roten Armee aktive Unterstützung.2. Das Gelände ist für unsere Operation geeignet.

3. Alle Hauptkräfte der Roten Armee sind vereint.4. Wir haben die schwachen Stellen des Feindes entdeckt.5. Der Feind ist erschöpft und demoralisiert.6. Der Feind ist zu Fehlern verleitet worden.Die erste Bedingung, die aktive Unterstützung seitens der Bevölke-rung, ist für die Rote Armee am wichtigsten. Das bedeutet, daß manein revolutionäres Gebiet besitzt. Sofern diese Bedingung gegeben

ist, ist es leicht, die vierte, fünfte und sechste Bedingung zu erfüllen.Wenn darum der Feind eine großangelegte Offensive startet, hat dieRote Armee sich normalerweise aus der weißen Zone in ihr eigenesStützpunktgebiet zurückzuziehen, weil hier die Bevölkerung der Roten Armee die lebhafteste Unterstützung gegen die Weiße Armeegewährt. Auch besteht ein Unterschied zwischen den Randbezirkenund dem Zentrum des Stützpunktgebietes; im Zentrum ist die Bevöl-

kerung zuverlässiger, wenn es gilt, das Durchsickern von Informa-tionen zum Feind zu verhindern, Erkundungen und Nachschub zuunterstützen, an Kampfhandlungen teilzunehmen usw. Als wir zumBeispiel die ersten, zweiten und dritten «Einkreisungs- und Vernich-tungs»-Feldzüge in Kiangsi bekämpften, waren alle Orte, die wir zu«Endpunkten des Rückzugs» bestimmt hatten, so gelegen, daß dieerste Bedingung — die Unterstützung durch die Bevölkerung ausge-

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zeichnet oder doch sehr gut erfüllt war. Dieses Charakteristikumunserer Stützpunktgebiete unterscheidet die Operationen der Roten

Armee erheblich von gewöhnlichen Operationen, und das war der Hauptgrund, warum der Feind nach und nach seine Zuflucht zur Politik des Netzes von Einzelstützpunkten nehmen mußte.Ein Vorteil des Operierens im Zentrum des eigenen Gebiets bestehtdarin, daß die zurückweichende Armee in der Lage ist, das für siegünstige Terrain selber auszuwählen und den angreifenden Feindzum Kampf nach ihren eigenen Bedingungen zu zwingen. Um einestarke Armee zu schlagen, muß eine schwache Armee sehr sorgfältigdas als Schlachtfeld geeignete Terrain aussuchen. Diese Bedingungallein genügt nicht, weitere müssen erfüllt sein. Die erste ist die Un-terstützung seitens der Bevölkerung. Die nächste ist ein verwundba-rer Feind, zum Beispiel ein Feind, der ermüdet ist oder Fehler ge-macht hat oder eine vorrückende feindliche Kolonne, die verhältnis-mäßig wenig Kampfkraft besitzt. Sind diese Bedingungen nicht er-füllt, so müssen wir, selbst wenn wir ein ausgezeichnetes Terrain

entdeckt haben, von einem Kampf absehen und uns noch weiter zu-rückziehen, bis die wünschbaren Bedingungen gesichert sind. In denweißen Gebieten besteht kein Mangel an gutem Terrain, aber wir haben dort nicht die günstige Bedingung, daß die Bevölkerung unsaktiv unterstützt. Sind die anderen Bedingungen noch nicht erfüllt,

 bleibt der Roten Armee nichts anderes übrig, als sich in Richtung auf ihren eigenen Stützpunkt zurückzuziehen. Ähnliche Unterschiede

wie zwischen den weißen und den roten Gebieten bestehen gewöhn-lich auch zwischen den Randbezirken und dem Zentrum des Stütz-

 punktgebietes.Abgesehen von lokalen Einheiten und gewissen Einheiten, welchedie Kräfte des Feindes binden sollen, müssen die Sturmtruppen inder Regel zusammengezogen werden. Beim Angriff auf einen Feind,der sich in der strategischen Defensive befindet, lockert die Rote

Armee gewöhnlich ihre eigenen Kräfte auf. Sobald der Feind einegroßangelegte Offensive startet, tritt die Rote Armee einen «Rückzugin Richtung auf das Zentrum» an. Der für den Rückzug bestimmteEndpunkt liegt gewöhnlich im Zentralabschnitt des Stützpunktgebie-tes, zuweilen jedoch in seinen Frontalabschnitten oder seinen rück-wärtigen Abschnitten, je nachdem, wie die Umstände es erfordern.Durch solch einen Rückzug in Richtung auf das Zentrum können alle

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Hauptstreitkräfte der Roten Armee zusammengefaßt werden.Eine weitere wesentliche Aufgabe im Kampf einer schwachen Ar-

mee gegen eine starke besteht darin, die schwachen Einheiten desFeindes ausfindig zu machen und anzugreifen. Zu Beginn einer Of-fensive des Feindes jedoch wissen wir gewöhnlich noch nicht, wel-che seiner vorrückenden Kolonnen die stärkste, welche die zweit-stärkste, welche die schwächste und welche die zweitschwächste ist,so daß zunächst bestimmte Erkundungen notwendig sind. Das nimmtoft beträchtliche Zeit in Anspruch. Auch aus diesem Grund ist einstrategischer Rückzug erforderlich.Wenn der angreifende Feind besonders zahlreich und viel stärker istals wir, können wir einen Umschwung im Kräfteverhältnis nur dannerreichen, wenn der Feind tief in unser Stützpunktgebiet eingedrun-gen ist und alle Bitternis gekostet hat, die es für ihn bereithält. Sowie der Stabschef einer der Brigaden Tschiang Kai-scheks währenddes dritten «Einkreisungs- und Vernichtungs»Feldzuges anmerkte:«Unsere dicken Männer sind dünn geworden, und unsere dünnen

Männer haben sich zu Tode erschöpft.» Oder um es mit den WortenChen Ming-shus, des Oberstkommandierenden im Westabschnitt des«Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzuges der Kuomintang, aus-zudrücken: «Die Nationalarmee tastet überall im Dunkeln herum,während die Rote Armee bei hellem Tageslicht marschiert.» Allmäh-lich ist dann die feindliche Armee, obwohl noch stark, recht ge-schwächt, ihre Soldaten sind ermüdet, ihre Kampfmoral läßt merk-

lich nach und viele ihrer verwundbaren Stellen liegen offen zutage.Die Rote Armee hingegen, obwohl schwach, hat ihre Kraft geschont,ihre Energien aufgespart und erwartet in aller Ruhe das Anrückendes erschöpften Feindes. Zu einem solchen Zeitpunkt ist es norma-lerweise möglich, eine gewisse Kräftegleichheit zwischen den beidenParteien zu erreichen oder die absolute Überlegenheit des Feindes ineine relative Überlegenheit und unsere absolute Unterlegenheit in

eine relative Unterlegenheit umzuwandeln. Gelegentlich gelingt esuns dann sogar, eine Überlegenheit über den Feind zu erlangen. Alsdie Rote Armee gegen den dritten «Einkreisungs- und Vernich-tungs»-Feldzug in Kiangsi kämpfte, zog sie sich bis zu einer äußer-sten Grenze zurück (um im rückwärtigen Abschnitt ihres Stützpunk-tes ihre Kräfte zu sammeln); hätte sie das nicht getan, so hätte sie denFeind nicht schlagen können, denn die «Einkreisungs- und Vernich-

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tungs»-Kräfte des Feindes waren der Roten Armee um das Zehnfa-che überlegen. Als Sun Wu Tzu sagte: «Geh dem Feind aus dem

Wege, wenn er voller Kraft ist; fall über ihn her, wenn er erschöpftist und sich zurückzieht», so meinte er damit, daß man den Feindermüden und demoralisieren müsse, um seine Überlegenheit zu min-dern.Ein weiterer Zweck des Rückzugs ist schließlich, den Feind zu Feh-lern zu verleiten oder seine Fehler zu entdecken. Man muß sich dar-über klar sein, daß ein feindlicher Befehlshaber, so begabt er auchsein mag, auf die Dauer einige Fehler nicht vermeiden kann. Wir haben also immer die Möglichkeit, die Blöße, die er uns bietet, aus-zunutzen. Der Feind wird unweigerlich Fehler machen, genau wiewir uns zuweilen verrechnen und ihm Blößen liefern, die er ausnut-zen kann. Obendrein können wir den Feind noch zu Fehlern verlei-ten, indem wir beispielsweise «ein Erscheinen vortäuschen», wie SunWu Tzu es nannte, d. h., wenn wir im Osten einen Scheinangriff führen, während wir im Westen wirklich angreifen. Wenn wir so

etwas vorhaben, läßt sich der Endpunkt für den Rückzug nicht starr auf ein bestimmtes Gebiet festlegen. Wenn wir uns manchmal in dasvorher bestimmte Gebiet zurückgezogen und noch keinerlei nutzbareSchwächen gefunden haben, müssen wir uns noch weiter zurückzie-hen und darauf warten, daß der Feind uns eine solche bietet.Die günstigen Gelegenheiten, die wir bei einem Rückzug suchen,sind im allgemeinen jene, die wir oben aufgezählt haben. Aber das

 bedeutet, daß wir keine Gegenoffensive beginnen könnten, bevor allediese Bedingungen erfüllt sind. Eine gleichzeitige Erfüllung aller Bedingungen ist weder möglich noch nötig. Aber eine schwacheStreitmacht, die im Zentrum eines Gebietes gegen einen starkenFeind operiert, sollte bestrebt sein, Bedingungen zu erlangen, wie esfür die gegenwärtige Situation des Feindes nötig ist. Alle entgegen-gesetzten Ansichten sind irrig.

Die Entscheidung über den Endpunkt des Rückzugs sollte man vonder Gesamtsituation abhängig machen. Es ist falsch, sich für einenOrt zu entscheiden, der nur teilweise für unseren Übergang zur Ge-genoffensive geeignet erscheint, jedoch keine Vorteile bietet, wennman die Gesamtsituation ins Auge faßt. Denn wir müssen schon

 beim Beginn unserer Gegenoffensive die zukünftigen Entwicklungenin Betracht zu ziehen; unsere Gegenoffensiven beginnen immer in

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Teilabschnitten. Manchmal sollte man als Endpunkt für den Rückzugeinen Ort im vorderen Abschnitt unseres Stützpunktgebietes bestim-

men, wie z. B. bei unserem dritten Gegenfeldzug in Kiangsi. In allendiesen Fällen wurde die Entscheidung getroffen, indem man die Teil-situation und die Gesamtsituation aufeinander abstimmte. Währendunseres fünften Gegenfeldzugs in Kiangsi stellte die Armee keinerleiÜberlegungen hinsichtlich des Rückzugs an, weil sie weder die Teil-situation noch die Gesamtsituation berücksichtigte, und das aber war wirklich ein übereiltes und tollkühnes Verhalten. Eine Situation be-steht aus einer Anzahl von Faktoren; unter Berücksichtigung der Beziehung zwischen einem Teil der Situation und der Gesamtsituati-on müssen wir bei unserer Entscheidung davon ausgehen, ob dieFaktoren auf der Seite des Feindes und auf unserer eigenen, so wiesie sich in Teilaspekten und in der Gesamtsituation offenbaren, biszu einem gewissen Grad für den Beginn unserer Gegenoffensivegünstig sind.Im allgemeinen kennt man drei Arten von Endpunkten beim Rück-

zug in das eigene Stützpunktgebiet: solche, die im Vorderabschnittliegen, solche, die im Mittelabschnitt liegen, und solche, die imrückwärtigen Abschnitt liegen. Ist damit aber gesagt, man dürfe nie-mals im Gebiet der weißen Truppen kämpfen? Nein. Nur wenn wir es mit einem großangelegten «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug des Feindes zu tun haben, sollten wir den Kampf in einemweißen Gebiet vermeiden. Nur wenn zwischen der Stärke des Fein-

des und unserer eigenen ein großer Abstand ist, wenn wir danachtrachten müssen, die eigene Kraft zu erhalten und den günstigstenAugenblick für die Vernichtung des Feindes abzuwarten, empfehlenwir, sich in das eigene Stützpunktgebiet zurückzuziehen und denFeind in den Hinterhalt zu locken, denn nur so können wir gute Be-dingungen für unsere Gegenoffensive schaffen oder finden. Ist dieSituation nicht so ernst oder ist sie so ernst, daß die Rote Armee so-

gar im Stützpunktgebiet keine Gegenoffensive eröffnen kann, oder geht die Gegenoffensive nicht gut voran und ein weiterer Rückzug istnotwendig, um einen Umschwung in der Situation zu erreichen, dannsollten wir uns — zumindest theoretisch darüber klarwerden, daß der Endpunkt für den Rückzug in einem weißen Gebiet angesetzt werdensollte, obgleich wir in der Vergangenheit nur wenig Erfahrung damitmachen konnten. Allgemein gesprochen kann man auch beim Rück-

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zug in ein weißes Gebiet drei Arten von Endpunkten annehmen: 1.solche, die unserem Stützpunktgebiet direkt gegenüberliegen, 2. sol-

che, die an den Flanken unseres Stützpunktgebietes liegen und 3.solche, die hinter unserem Stützpunktgebiet liegen. Hier ein Beispielfür die erste Art:Hätte während unseres ersten Gegenfeldzugs gegen die «Einkrei-sungs- und Vernichtungs»-Feldzüge in Kiangsi nicht Uneinigkeit inder Roten Armee geherrscht und wäre die lokale Parteiorganisationnicht gespalten gewesen (die zwei schwierigen Probleme, die durchden Gegensatz zwischen der Li Li-san-Politik und der A-B-Gruppe 33 entstanden), so hätten wir möglicherweise unsere Truppen in demdurch Kian, Nanfeng und Changshu gebildeten Dreieck zusammen-ziehen und eine Gegenoffensive beginnen können. Denn die feindli-chen Streitkräfte, die aus dem Gebiet zwischen den Flüssen Kan undFu vorrückten, waren der Roten Armee nicht so sehr überlegen (100000 Mann gegen 40000). Obgleich die Unterstützung durch die Be-völkerung nicht so aktiv war wie im Stützpunkt-: gebiet, war doch

das Terrain sehr günstig; außerdem wäre es wohl möglich gewesen,die feindlichen Kolonnen, die auf getrennten Wegen vorrückten,einzeln zu schlagen.

 Nun ein Beispiel für die zweite Art:Wenn während unseres dritten Gegenfeldzuges in Kiangsi die feind-liche Offensive nicht so groß angelegt gewesen wäre, wenn eine der Kolonnen des Feindes nicht so stark, daß wir sie nicht hätten angrei-

fen können von Chienning, Lichuan und Taining aus an der Grenzevon Fukien und Kiangsi vorgerückt wäre, so ist es ebenfalls denkbar,daß die Rote Armee ihre Kräfte in dem weißen Stützpunktgebiet imwestlichen Fukien zusammengezogen und zuerst diese Kolonne ver-nichtet hätte, ohne einen Umweg von tausend Li durch Juichin nachHsingkuo machen zu müssen. Schließlich ein Beispiel für die dritteArt:

Wäre bei eben diesem dritten Gegenfeldzug in Kiangsi die Haupt-streitmacht des Feindes nicht nach Westen, sondern nach Süden ge-zogen, so wären wir vielleicht gezwungen gewesen, uns in das Ge-

 biet von Huichang Hsunwu-Anyuan (ein weißes Gebiet) zurückzu-ziehen, um den Feind noch weiter nach Süden zu locken. Die RoteArmee hätte dann nordwärts in das Innere dieses Gebiets einrückenkönnen und wäre zu dieser Zeit im Norden des Stützpunktes auf 

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einen nicht sehr starken Feind gestoßen.Die hier angeführten Beispiele sind jedoch alle hypothetisch und

  beruhen nicht auf tatsächlicher Erfahrung; wir sollten sie als Aus-nahmefälle betrachten und sie nicht wie allgemeine Prinzipien be-handeln. Wenn der Feind einen großangelegten «Einkreisungs- undVernichtungs»-Feldzug beginnt, ist es unser Grundprinzip, sich indas Stützpunktgebiet zurückzuziehen und ihn dort zu bekämpfen.Das ist die sicherste Methode, um seine Offensive zu zerschlagen.Diejenigen, die behaupten, man müsse «den Feind vors Tor locken»,widersetzen sich dem strategischen Rückzug; sie argumentieren, daß

  jeder Rückzug einen Gebietsverlust bedeute, daß die Bevölkerungdarunter zu leiden habe (daß wir «unsere Töpfe und Pfannen zer-schlagen lassen», wie sie es ausdrücken) und daß er Anlaß zu ungün-stigen Reaktionen im Ausland gebe. Während unseres fünften Ge-genfeldzugs erklärten sie, bei jedem Schritt, den wir nach rückwärtsmachten, werde der Feind seine Stellungen um einen Schritt vorver-legen, so daß unsere Stützpunktgebiete immer mehr zusammen-

schrumpfen und wir keine Möglichkeit haben würden, das verloreneTerrain zurückzuerobern. Auch wenn es vielleicht früher einmalgünstig gewesen sei, den Feind tief in das eigene Gebiet hereinzu-locken, so sei es doch sinnlos, diese Methode auch gegenüber demfünften «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug des Feindes an-zuwenden, in dem er ein Netz von Einzelstützpunkten angelegt hat.Sie behaupteten, in diesem fünften Feldzug bestehe die einzige Mög-

lichkeit für uns darin, unsere Kräfte für den Widerstand aufzuteilenund kurze, rasche Vorstöße gegen den Feind zu unternehmen.Es ist leicht, die Behauptung zu widerlegen; unsere Geschichte hat es

  bereits getan. Was den Gebietsverlust betrifft, so kann häufig einVerlust nur durch einen Verlust vermieden werden. Hier gilt der Grundsatz: «Gib, um zu nehmen.» Wenn wir ein Gebiet verlierenund den Sieg über den Feind gewinnen und damit unser Gebiet zu-

rückerobern und sogar ausdehnen können, hat sich das ausgezahlt.Wenn bei einer geschäftlichen Transaktion der Käufer nicht etwasGeld «verliert», kann er keine Ware bekommen; wenn der Verkäufer nicht einige Ware «verliert», bekommt er kein Geld. Eine revolutio-näre Bewegung bringt Verluste in Form von Zerstörungen mit sich,aber dafür auch den Gewinn fortschrittlichen Aufbaus. Schlaf undRuhe bedeuten Zeitverlust, aber man gewinnt die Kraft für die Arbeit

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des kommenden Tages. Wenn irgendein Narr das nicht versteht undsich weigert, zu schlafen, wird er am nächsten Tag keine Kraft haben

er macht ein Verlustgeschäft. Genau aus diesem Grund unterlagenwir bei unserem fünften Gegenfeldzug. Wir konnten uns nicht ent-schließen, einen Teil unseres Territoriums aufzugeben, und verlorendarum unser gesamtes Gebiet. Auch Abessinien verlor sein Territori-um, als es hartnäckig gegen seinen Feind anstürmte, obgleich diesnicht der einzige Grund für seine Niederlage war.Das gleiche gilt für den Satz, daß die Bevölkerung zu leiden habe.Wenn man es nicht zulassen will, daß die Töpfe und Pfannen einiger Haushalte für kurze Zeit zerschlagen werden, dann wird man dazuAnlaß geben, daß die Töpfe und Pfannen der gesamten Bevölkerungfür eine sehr lange Zeit zertrümmert sein werden. Wenn man sich vor ungünstigen politischen Auswirkungen fürchtet, die für eine kurzeZeit zu erwarten sind, dann wird man dafür mit ungünstigen politi-schen Auswirkungen für eine sehr lange Zeit bezahlen müssen.Wenn die russischen Bolschewisten nach der Oktoberrevolution dem

Willen der «Linken Kommunisten» gemäß gehandelt und die Unter-zeichnung des Friedensvertrags mit Deutschland verweigert hätten,dann hätten sie die neugeborenen Sowjets in die Gefahr eines frühenTodes gebracht.34 Solche scheinbar revolutionären «linken» Ansichten ergeben sichsowohl aus dem revolutionären Ungestüm der kleinbürgerlichenIntellektuellen als auch aus der beschränkten konservativen Haltung

der bäuerlichen Kleineigentümer. Leute mit solchen Meinungen be-trachten die Probleme nur einseitig und sind nicht imstande, zu einer verständnisvollen Übersicht der Gesamtsituation zu gelangen; siesind nicht gewillt, die Interessen von heute mit denen von morgenoder die Interessen eines Teiles mit denen der Gesamtheit zu ver-knüpfen, sondern sie klammern sich beharrlich an das einzelne undGegenwärtige. Allerdings müssen auch wir uns an das einzelne und

Gegenwärtige halten, wenn das den zeitlichen Umständen entspre-chend günstig ist und vor allem, wenn das entscheidend ist entschei-dend für die gesamte gegenwärtige Situation und die ganze Periode.Täten wir dies nicht, so könnte man uns mit Recht vorwerfen, wir ließen die Dinge laufen und täten selbst nichts dazu. Darum mußman bei einem Rückzug auch einen Endpunkt festsetzen. Wir dürfenuns nicht nach der Kurzsichtigkeit der Kleineigentümer richten, son-

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dern müssen von der Klugheit der Bolschewisten lernen. Das bloßeAuge genügt nicht, wir brauchen die Hilfe des Teleskops und des

Mikroskops. In politischen und militärischen Fragen ist die marxisti-sche Methode Teleskop und Mikroskop zugleich.Selbstverständlich hat ein strategischer Rückzug seine Schwierigkei-ten. Den Zeitpunkt für den Beginn eines Rückzugs zu bestimmen,den Endpunkt auszuwählen, die Kader und die Bevölkerung politischzu überzeugen das alles sind schwierige Probleme, die gelöst seinwollen.Sehr wichtig ist es, den richtigen Zeitpunkt für den Beginn desRückzugs festzulegen. Wenn wir im Verlauf unseres ersten Gegen-feldzugs gegen «Einkreisung und Vernichtung» in der ProvinzKiangsi unseren Rückzug nicht zu dem bestimmten Termin durchge-führt hätten, wenn wir ihn verzögert hätten, so wäre das Ausmaßunseres Sieges höchstwahrscheinlich sehr viel geringer gewesen.Sowohl ein verfrühter wie ein verspäteter Rückzug bringt natürlichVerluste mit sich, aber im allgemeinen bewirkt ein verspäteter Rück-

zug höhere Verluste als ein verfrühter. Ein richtig terminierter Rück-zug, der es uns ermöglicht, die Initiative vollkommen an uns zu rei-ßen, ist für uns von großer Hilfe, wenn wir zum Gegenangriff über-gehen, nachdem wir den Endpunkt des Rückzugs erreicht, unsereTruppen neu aufgestellt haben und in Ruhe auf den erschöpftenFeind warten. Als wir den ersten, zweiten und vierten «Einkreisungs-und Vernichtungs»-Feldzug des Feindes zerschlugen, konnten wir 

zuversichtlich und ohne jede Übereilung operieren. Nur bei demdritten Feldzug war die Rote Armee sehr erschöpft infolge des Um-wegs, zu dem sie gezwungen war, um ihre Truppen erneut zu sam-meln, da wir nicht erwartet hatten, daß der Feind so bald nach seiner schweren Niederlage in dem zweiten Feldzug zu einer neuen Offen-sive antreten würde (wir beendeten unseren zweiten Gegenfeldzugam 29. Mai 1931, und Tschiang Kai-schek begann seinen dritten

«Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug am 1. Juli). Die Termi-nierung für den Rückzug erfolgt in gleicher Weise wie die Terminie-rung für die Vorbereitungen zu einem Gegenfeldzug, die wir bereitserläuterten. Wir müssen von den uns vorliegenden erforderlichenInformationen und einer Einschätzung der Gesamtlage des Feindeswie der eigenen ausgehen.Es ist außerordentlich schwierig, die Kader und die Bevölkerung von

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der Notwendigkeit eines strategischen Rückzugs zu überzeugen,wenn sie noch keine Erfahrung darin haben und wenn die Führung

der Armee noch kein solches Prestige genießt, daß sie die Entschei-dung über einen strategischen Rückzug in die Hände weniger Män-ner oder auch eines Mannes legen und zugleich das Vertrauen der Kader haben kann. So ergaben sich zum Beispiel beim Beginn unse-res ersten und vierten Gegenfeldzugs und im ganzen Verlauf desfünften sehr große Schwierigkeiten, weil den Kadern die Erfahrungfehlte und sie kein Vertrauen zu einem strategischen Rückzug hatten.Bei dem ersten Gegenfeldzug waren die Kader unter dem Einfluß der Li Li-san-Politik zunächst für einen Angriff und gegen einen Rück-zug, bis sie umgestimmt wurden. Bei dem vierten Gegenfeldzugweigerten sich die Kader unter dem Einfluß militärischen Abenteu-rertums, Vorbereitungen für einen Rückzug zu treffen. Bei dem fünf-ten Gegenfeldzug vertraten sie zunächst die Ansicht der militärischenAbenteurer, die den Feind nicht in den Hinterhalt locken wollten,und bekehrten sich später zu militärischem Konservatismus. Ähnlich

war es mit den Anhängern Chang Kuo-taos, die nicht zugeben woll-ten, daß es unmöglich war, im Gebiet der Tibeter und der Hui-Völker Stützpunkte zu errichten,35 bis sie schließlich mit dem Kopf gegendie Wand rannten. Die Kader brauchten Erfahrung, und wahrlich, einFehlschlag ist die Mutter des Erfolgs. Man muß aber auch offenenSinnes von den Erfahrungen anderer Völker lernen, und es ist nichtsals «beschränkter Empirismus», wenn man in allen Fragen unbedingt

seine eigenen Erfahrungen machen will und, falls das nicht geht,starr auf seiner eigenen Meinung besteht und die Erfahrungen ande-rer Leute ablehnt. Unser Krieg hat den nicht geringen Tribut zahlenmüssen.Mangelnde Einsicht der Bevölkerung in die Notwendigkeit einesstrategischen Rückzugs, verursacht durch ihre Unerfahrenheit, war nie größer als bei unserem ersten Gegenfeldzug in Kiangsi. Damals

standen die lokalen Parteiorganisationen und die Massen des Volkesin den Bezirken Kian, Hsingkuo und Yungfeng einem Rückzug der Roten Armee ablehnend gegenüber. Doch nach der Erfahrung desersten Gegenfeldzugs tauchte dieses Problem bei den folgenden nichtwieder auf. Jeder war überzeugt, daß der Gebietsverlust im Stütz-

 punktgebiet und die Leiden der Bevölkerung vorübergehend waren,und vertraute darauf, daß die Rote Armee «Einkreisungs- und Ver-

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nichtungs»-Feldzüge des Feindes zerschlagen könnte. Allerdingshängt die Frage, ob die Bevölkerung uns vertraut, eng mit der zu-

sammen, ob wir das Vertrauen der Kader genießen, und darum ist esunsere erste und wichtigste Aufgabe, die Kader zu überzeugen.Der strategische Rückzug ist ausschließlich darauf gerichtet, zur Gegenoffensive überzuleiten, und ist lediglich das erste Stadium der strategischen Defensive. Die entscheidende strategische Frage ist, obin dem darauffolgenden Stadium der Gegenoffensive ein Sieg errun-gen werden kann.

4. Strategische Gegenoffensive

Um die Offensive eines uns absolut überlegenen Feindes zum Stehenzu bringen, müssen wir während unseres strategischen Rückzugseine Situation schaffen, die für uns günstig, für den Feind ungünstigund völlig verschieden ist von der Situation, die zu Beginn der feind-lichen Offensive vorhanden war.

Viele Elemente schaffen eine solche Situation. Mit all dem haben wir uns oben beschäftigt. Wir haben aber den Feind keineswegs bereitsgeschlagen, wenn die Bedingungen und die für uns günstige und für ihn ungünstige Situation geschaffen sind. Bedingungen und Situationliefern die Möglichkeit für unseren Sieg und die Niederlage desFeindes, aber sie stellen selbst nicht die Realität des Sieges oder der 

 Niederlage dar. Noch keiner Armee haben sie allein Sieg oder Nie-

derlage beschert. Für Sieg oder Niederlage ist es notwendig, daß die  beiden Armeen sich eine Entscheidungsschlacht liefern. Nur eineEntscheidungsschlacht kann die Frage klären, welche Armee Sieger und welche Besiegter ist. Das ist die einzige Aufgabe im Stadium der strategischen Gegenoffensive. Die Gegenoffensive ist ein langer,sehr faszinierender, sehr dynamischer Prozeß und gleichzeitig dasAbschlußstadium eines Defensivfeldzugs. Der Ausdruck aktive Ver-

teidigung bezieht sich hauptsächlich auf diese strategische Gegenof-fensive, die ihrer Natur nach ein Entscheidungskampf ist.Die nötigen Bedingungen und die entsprechende Situation werdennicht allein während des strategischen Rückzugs geschaffen, sondernman muß auch im Stadium der Gegenoffensive weiter daran arbeiten.Allerdings sind sie im späteren Stadium weder in Form noch Verlauf dem früheren absolut gleichzusetzen.

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Gleichbleibend nach Form und Verlauf kann zum Beispiel die Tatsa-che sein, daß die feindlichen Truppen geschwächt und erschöpft sein

sollen, was einfach an Schwäche und Erschöpfung des vorhergehen-den Stadiums anschließt.Doch es müssen auch völlig neue Bedingungen und eine völlig neueSituation entstehen. Wenn nämlich der Feind eine oder mehrere Nie-derlagen erlitten hat, werden sich die für uns günstigen und für ihnungünstigen Bedingungen nicht mehr allein auf seine Schwäche usw.

 beschränken, sondern es wird ein neuer Faktor hinzutreten: eben dieTatsache, daß er Niederlagen erlitten hat. Auch hinsichtlich der Si-tuation werden sich neue Veränderungen ergeben. Wenn der Feindanfängt, mit seinen Truppen unüberlegter zu manövrieren und fal-sche Bewegungen zu machen, wird das Kräfteverhältnis der beidensich gegenüberstehenden Armeen natürlich nicht mehr das gleichesein wie zuvor.Wenn jedoch nicht die Truppen des Feindes, sondern die unsereneine oder mehrere Niederlagen erlitten haben, dann wird sowohl in

den Bedingungen wie in der Situation eine Veränderung in entge-gengesetzter Richtung eintreten. Dann werden die Nachteile für denFeind sich verringern, während andererseits Nachteile für uns auf-tauchen oder sogar immer größer werden. Und damit ist wiederumetwas völlig Neues und anderes entstanden.Die Niederlage einer Seite wird unmittelbar und sehr rasch auf der 

 besiegten Seite zu Anstrengungen führen, eine Katastrophe zu ver-

meiden, sich aus ihren neuen Bedingungen und ihrer ungünstigenSituation (die ja für den Feind günstig ist) zu befreien und solcheBedingungen bzw. eine solche Situation wiederherzustellen, die für sie günstig und für ihren Gegner ungünstig ist, um Druck auf denFeind auszuüben.Der Sieger andererseits wird die genau umgekehrten Anstrengungenmachen. Er wird danach trachten, seinen Sieg auszunutzen und dem

Feind noch größeren Schaden zuzufügen; er wird die für ihn günsti-gen Bedingungen wahrnehmen, seine Situation noch weiter verbes-sern und nach Möglichkeit verhindern, daß der Feind sich aus der ungünstigen Situation befreit und die Katastrophe abwendet.So werden also an beide Seiten im Stadium der Entscheidungs-schlacht die höchsten Anforderungen gestellt; das Kampfgeschehenist komplizierter und wechselvoller, die Operationen schwerer durch-

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führbar und anstrengender als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt desKrieges oder des Feldzugs; auch an die Führung stellt diese Zeit

höchste Anforderungen.Im Stadium der Gegenoffensive entstehen viele Probleme, die wich-tigsten sind der Beginn der Gegenoffensive, die Zusammenziehungder Truppen, die bewegliche Kampfführung, die raschen Entschei-dungskämpfe und der Vernichtungskrieg. Weder in einer Gegenof-fensive noch in einer Offensive unterscheiden sich die Prinzipien, auf die sich diese Probleme beziehen, in ihrem grundsätzlichen Charak-ter. In diesem Sinn können wir sagen, daß eine Gegenoffensive eineOffensive ist.Trotzdem aber ist sie nicht genau dasselbe. Die Prinzipien der Ge-genoffensive finden Anwendung, wenn der Feind in der Offensiveist. Die Prinzipien der Offensive finden Anwendung, wenn der Feindin der Defensive ist. In diesem Sinn bestehen gewisse Unterschiedezwischen Gegenoffensive und einer Offensive.Da die verschiedenen Operationsprobleme alle in der Diskussion

über die Gegenoffensive im vorliegenden Kapitel über die strategi-sche Defensive enthalten sind, und um Wiederholung zu vermeiden,wird das Kapitel über die strategische Offensive sich nur mit anderenProblemen beschäftigen, doch wenn es aktuell wird, sollten wir dieÄhnlichkeiten oder Unterschiede zwischen der Gegenoffensive undder Offensive nicht übersehen.

5. Beginn der Gegenoffensive

Das Problem des Beginns einer Gegenoffensive ist das Problem der «Eröffnungschlacht» oder der «.Einleitung».Viele Militärexperten der Bourgeoisie raten zur Vorsicht bei der Eröffnungsschlacht, gleichgültig ob man sich in der strategischenDefensive oder in der strategischen Offensive befindet ganz beson-

ders natürlich, wenn man in der Defensive ist. Auch wir haben schonfrüher die Bedeutung dieses Punktes hervorgehoben. Bei unserenOperationen gegen die fünf «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzüge des Feindes in der Provinz Kiangsi haben wir nun reicheErfahrungen gewonnen, deren Auswertung uns von Nutzen seinwird.In seinem ersten Feldzug stellte der Feind etwa 100000 Mann auf,

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die, in acht Kolonnen aufgeteilt, von der Kian-Chienning-Linie aussüdwärts gegen das Stützpunktgebiet der Roten Armee vorrückten.

Die Rote Armee verfügte über rund 40 000 Mann, die sie in der Ge-gend von Huangpi und Hsiaopu im Bezirk Ningtu der ProvinzKiangsi zusammengezogen hatte.Es bot sich die folgende Situation:1. Die Zahl der «Vernichtungstruppen» war nicht höher als 100 000.Darunter befand sich keine der eigenen Einheiten Tschiang Kai-scheks. Die allgemeine Lage war nicht sehr ernst.2. Die feindliche Division, die unter dem Befehl von Lo Lin zur Verteidigung von Kiang bestimmt war, stand im Westen jenseits desKan-Flusses.3. Die drei feindlichen Divisionen, die von Kung Ping-fan, ChangHui-tsan und Tan Tao-yuan befehligt wurden, waren vorgerückt undhatten den Abschnitt Futien-Tungku-Lungkang-Yuantou südöstlichvon Kian und nordwestlich von Ningtu besetzt. Der Hauptteil der Division Chang Hui-tsans stand bei Lungkang und der der Division

Tan Tao-yuans bei Yuantou. Es war für uns nicht ratsam, Futien undTungku als Schlachtort zu wählen, da die Einwohner, verführt vonder A-B-Gruppe, der Roten Armee zeitweilig in mißtrauischer Oppo-sition gegenüberstanden.4. Die von Liu Ho-ting befehligte feindliche Division befand sich inChienning, also tief im weißen Gebiet von Fukien, und würde ver-mutlich nicht nach Kiangsi herüberkommen.

5. Die zwei feindlichen Divisionen unter Mao Ping-wen und HsuKe-hsiang waren in den Abschnitt von Toupi-Lokou-Tungshao ein-gedrungen, der zwischen Kuangchang und Ningtu liegt. Toupi war ein Gebiet der Weißen, Lokou ein Guerillagebiet, und Tungshao, woes Mitglieder der A-B-Gruppe gab, war ein Bezirk, aus dem die In-formationen sicherlich leicht nach außen dringen würden. Weiterhin:wenn wir Mao Ping-wen und Hsu Ke-hsiang angriffen und dann

nach Westen vorstießen, würden sich wahrscheinlich die drei imWesten stehenden feindlichen Divisionen unter Chang Hui-tsan, TanTao-yuan und Kung Ping-fan zusammenschließen, uns die Erringungdes Sieges sehr erschweren und es uns unmöglich machen, die Ope-rationen zu einem endgültigen Abschluß zu bringen.6. Die zwei Divisionen unter Chang Hui-tsan und Tan Tao-yuan, diedie Hauptmacht des Feindes darstellten, waren Truppen Lu Ti-pings,

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des Oberbefehlshabers dieses «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzugs und Gouverneurs der Provinz Kiangsi. Chang Hui-tsan war 

der Kommandeur dieser Operation. Eine Vernichtung dieser zweiDivisionen hätte praktisch den Zusammenbruch des Feldzugs bedeu-tet. Jede von ihnen war etwa vierzehntausend Mann stark, und dievon Chang war zudem auf zwei Orte verteilt, so daß wir zahlenmäßigdie absolut Überlegenen waren, sofern wir jeweils nur eine Divisionangriffen.7. Der Abschnitt Lungkang-Yuantou, in dem die Hauptkräfte der Division von Chang und Tan standen, befand sich ganz in der Näheunserer Truppenkonzentration, und die Bevölkerung war hier auf unserer Seite, und sie würde unseren Anmarsch decken.8. Das Terrain in Lungkang war gut. Yantou anzugreifen war nichteinfach. Falls jedoch der Feind nach Hsiaopu vorrücken sollte, umuns anzugreifen, würden wir auch dort ein günstiges Gelände vorfin-den.9. Wir konnten die Hauptmacht unserer Truppen im Abschnitt

Lungkang zusammenziehen. In Hsingkuo, keine hundert Li südwest-lich von Lungkang, hatten wir eine mehr als tausend Mann starkeunabhängige Division, die im Rücken des Feindes manövrierenkonnte.10. Wenn unsere Truppen im Zentrum durchbrachen und die Frontdes Feindes aufspalteten, würden seine im Osten und Westen stehen-den Kolonnen nur noch zwei weit voneinander entfernte Gruppen

sein.Aus den genannten Gründen beschlossen wir, die erste Schlacht ge-gen die Hauptstreitmacht von Chang Hui-tsan zu führen. Wir schlu-gen erfolgreich zwei seiner Brigaden, drangen zu den Divisions-Hauptquartieren vor, nahmen die gesamte Streitmacht von neuntau-send Mann sowie den Divisionskommandeur persönlich gefangenund ließen nicht einen einzigen Mann, nicht ein einziges Pferd ent-

kommen. Dieser eine Sieg versetzte die Divisionen Tans unc Hsus ineinen derartigen Schrecken, daß sie in Richtung auf Tungshao bzw.Toupi flüchteten. Daraufhin verfolgten unsere Truppen die DivisionTans und vernichteten sie zur Hälfte. Binnen fünf Tagen vom 27.Dezember 1930 bis zum 1. Januar 1931 schlugen wir zwei Schlach-ten. Die feindlichen Truppen in Futien, Tunku und Toupi, die eine

 Niederlage fürchteten, zogen sich Hals über Kopf zurück. So endete

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der erste «Einkreisungs- und Vernichtungs»Feldzug.Bei dem zweiten «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug bot

sich die folgende Situation:1. Die «Vernichtungskräfte» in Stärke von 200 000 Mann unterstan-den dem Befehl Ho Ying-chins, der sein Hauptquartier in Nanchanghatte.2. Ebenso wie bei dem ersten feindlichen Feldzug gehörte keine der eingesetzten Formationen zu Tschiang Kai-scheks eigenen Truppen.Die 19. Feldarmee unter Tsai Ting-kai, die 26. Feldarmee unter SunLien-chung und die 8. unter Chu Shao-liang waren einigermaßenkampftüchtig, während alle übrigen recht schwach waren.3. Die A-B-Gruppe war liquidiert worden, und die gesamte Bevölke-rung des Stützpunktgebietes stand auf seilen der Roten Armee.4. Die 5. Feldarmee unter Wang Chin-yu, die eben erst aus dem

  Norden eingetroffen war, fürchtete uns, und das gleiche traf mehr oder weniger auch auf die beiden Divisionen auf ihrer linken Flankezu, die von Kuo Hua-tsung und Hao Meng-ling befehligt wurden.

5. Wenn unsere Truppen zuerst Futien angriffen und dann weiter nach Osten vordrangen, konnten wir unser Stützpunktgebiet bis zumAbschnitt Chienning-Lichuan-Taining an der Grenze zwischenFukien und Kiangsi ausdehnen und unsere Einheiten auffüllen, ummit Hilfe der neuen Truppen den nächsten «Einkreisungs- und Ver-nichtungs»-Feldzug zum Scheitern zu bringen. Wenn wir jedochnach Westen abgedrängt würden, gerieten wir an das Ufer des Kan

und hätten dann nach der Schlacht keinen Platz mehr, um uns auszu-dehnen. Eine erneute östliche Schwenkung nach der Schlacht würdeunsere Truppen ermüden und Zeit kosten.6. Obgleich unsere Armee mit ihren etwas über dreißigtausendMann nicht ganz so groß war wie bei dem ersten Feldzug, hatte siedoch vier Monate zur Verfügung, sich zu erholen und neue Kräfte zusammeln.

Aus diesen Gründen beschlossen wir, zuerst die Einheiten WangChin-yus und Kung Ping-fans (insgesamt elf Regimenter) im Ab-schnitt Futien anzugreifen. Nachdem wir diese Schlacht gewonnenhatten, griffen wir nacheinander Kuo Hua-tsung, Sun Lien-chung,Chu Shao-liang und Liu Ho-ting an. In fünfzehn Tagen {vom 16. biszum 30. Mai 1931) marschierten wir siebenhundert Li, lieferten fünf Schlachten, erbeuteten mehr als zwanzigtausend Gewehre und brach-

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ten den «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug des Feindes völ-lig zum Scheitern. Als wir gegen Wang Chin-yu kämpften, befanden

wir uns zwischen zwei feindlichen Einheiten. Die Truppen TsaiTing-kais standen etwa vierzig Li von uns entfernt, die Truppen KuoHua-tsungs nur etwa zehn Li. Manche behaupteten schon, wir seienda in eine «Sackgasse geraten», aber wir kamen doch hindurch. Die-sen Erfolg verdankten wir hauptsächlich der Unterstützung durch dieBevölkerung in diesem Gebiet und der mangelhaften Zusammenar-

  beit der feindlichen Einheiten. Nachdem Kuo Hua-tsungs Divisiongeschlagen war, flüchtete die Division Hao Meng-lings bei Nachtzurück nach Yungfeng und entging so der Katastrophe.Bei dem dritten «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug bot sichdie folgende Situation:1. Tschiang Kai-sdiek übernahm persönlich den Oberbefehl über diekämpfenden Truppen. Drei ihm unterstellte Kommandeure befehlig-ten je eine Kolonne die linke, die rechte und die mittlere. Die mittlereKolonne unterstand Ho Ying-chin, der, ebenso wie Tschiang Kai-

schek, sein Hauptquartier in Nanchang aufschlug; die rechte Kolonneunterstand Chen Ming-shu, der sein Hauptquartier in Kian hatte; dielinke Kolonne unterstand Chu Shao-liang. Sein Hauptquartier befandsich in Nanfeng.2. Die «Vernichtungstruppen» zählten 300 000 Mann. Die Haupt-streitmacht, insgesamt etwa 100 000 Mann, waren Tschiang Kai-scheks eigene Truppen, sie bestand aus fünf Divisionen (mit je neun

Regimentern), die von Cheng Cheng, Lo Cho-ying, Chao Kuan-tao,Wei Li-huang und Chiang Tingwen befehligt wurden. Außer ihnenstanden uns noch drei Divisionen mit insgesamt 40 000 Mann unter Chiang Kuang-nai, Tsai Ting-kai und Han Teh-chin gegenüber.Dann gab es noch die 20 000 Mann starke Armee Sun Lien-chungs.Hierzu kamen noch einige schwächere Einheiten, die ebenfalls nichtzu Tschiangs eigenen Truppen zählten.

3. Bei diesem «Vernichtungs»-Feldzug befolgte der Feind die Stra-tegie des raschen Vormarsches, verhielt sich also völlig anders als imzweiten Feldzug, in dem er sich grundsätzlich bei jedem Schritt si-cherte. Sein Ziel war, die Rote Armee bis zum Kan-Fluß zurückzu-drängen und dort zu vernichten.4. Zwischen dem Ende des zweiten Feldzugs und dem Beginn desdritten lag nur ein Intervall von einem Monat. Die Rote Armee (die

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zu diesem Zeitpunkt etwa dreißigtausend Mann stark war) hatte nachvielen harten Kämpfen weder eine Möglichkeit zum Ausruhen noch

Gelegenheit gehabt, ihre Einheiten aufzufüllen. Obendrein hatte sie,gerade als der Feind sie aus verschiedenen Richtungen heftig be-drängte, eben erst einen Umweg von tausend Li machen müssen, umsich bei Hsingkao, im westlichen Teil des südlichenStützpunktgebietes von Kiangsi, zu sammeln.In dieser Situation faßten wir zunächst den Plan, von Hsingkao ausüber Wanan zu marschieren, bei Futien durchzubrechen und dannvon Westen nach Osten quer über die hinteren Verbindungslinien desFeindes hinwegzuschwenken, um so die feindliche Hauptstreitmachtzu einem tiefen, aber nutzlosen Eindringen in unser Stützpunktgebietvon Süd-Kiangsi zu veranlassen. Dies sollte die erste Phase unserer Operation sein. Wenn sich dann der Feind unvermeidbarerweise sehr geschwächt wieder nordwärts wenden würde, wollten wir die Gele-genheit wahrnehmen, um ihn an seinen schwachen Stellen anzugrei-fen. Dies sollte die zweite Phase unserer Operation sein. Das Herzteil

dieses Plans war, daß wir die Hauptstreitmacht des Feindes meidenund ihn an seinen schwachen Stellen packen wollten. Als jedochunsere Truppen gegen Futien vorrückten, wurden sie vom Feindentdeckt, der sofort mit den zwei Divisionen unter Chen Cheng undLo Cho-ying anrückte. Wir mußten unseren Plan ändern und zogenuns nach Kaohsinghsu im westlichen Teil des Bezirks Hsingkuozurück, das zusammen mit seiner Umgebung von weniger als ein-

hundert Quadrat Li damals der einzige Ort war, an dem wir unssammeln konnten. Am Tage danach entschlossen wir uns, einen Vor-stoß nach Osten zu unternehmen und gegen Lientang im Ostbezirk von Hsingkuo, gegen Liangtsun im Südbezirk von Yungfeng undgegen Huangpi im Nordbezirk von Ningtu zu marschieren. In dersel-

 ben Nacht gelangten wir unter dem Schutz der Dunkelheit durch dievierzig Li breite Lücke zwischen der Division Chiang Ting-wens und

den Truppen, die von Chiang Kuang-nai, Tsai Ting-kai und HanTeh-chin befehligt wurden, und schwenkten in Richtung auf Lien-tang ein. Am zweiten Tag bestanden wir einige Vorhutgefechte mitden Truppen Shangkuan Yun-hsiangs (der sowohl die Division vonHao Meng-ling wie seine eigene kommandierte). Die erste Schlachtlieferten wir am dritten Tag gegen die Divisionen Shangkuan Yun-hsiangs und die zweite am vierten Tag gegen die Division Hao

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Meng-lings. Nach einem dreitägigen Marsch erreichten wir Huangpiund lieferten dort unsere dritte Schlacht gegen die Division Mao

Ping-wens. Wir gewannen alle drei Schlachten und erbeuteten mehr als zehntausend Gewehre. Nun aber wandten sich alle Truppenein-heiten des Feindes, die nach Westen und Süden vorgedrungen waren,ostwärts. Von allen Seiten strebten sie in wilder Ejle Huangpi zu, umuns zum Kampf zu stellen und uns in einem festen Ring einzuschlie-ßen. Wir entwichen durch den zwanzig Li breiten Landstrich zwi-schen den von Chiang Kuang-nai, Tsai Ting-kai und Han Teh-chin

  befehligten Truppen auf der einen Seite und den von Chen Chengund Lo Cho-ying befehligten auf der anderen Seite in das Gebirge,wandten uns so wieder von Osten nach Westen und sammelten unse-re Streitkräfte erneut innerhalb der Grenzen des Bezirks Hsingkuo.Bis der Feind dies bemerkt hatte und wiederum nach Westen vorzu-stoßen begann, hatten unsere Truppen eine Ruhepause von vierzehnTagen, während die feindlichen Einheiten, hungrig, erschöpft unddemoralisiert, wie sie waren, zum Kampf nicht taugten und sich da-

her zum Rückzug entschlossen. Wir machten uns dies zunutze, grif-fen die Einheiten Chiang Kuang-nais, Tsai Ting-kais, Chiang Ting-wens und Han Teh-chings an und vernichteten eine der BrigadenChiang Ting-wens und die gesamte Division Han Teh-chings. Für die Divisionen, die Chiang Kuang-nai und Tsai Ting-kai unterstan-den, verlief der Kampf unentschieden, und sie zogen wieder ab.Bei dem vierten «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug bot sich

die folgende Situation: Der Feind rückte von Kuangchang aus in dreiKolonnen vor. Die östliche war seine Hauptstreitmacht, während diezwei Divisionen, welche die westliche Kolonne bildeten, uns ausge-setzt und dem Gebiet sehr nahe waren, in dem wir unsere Kräftekonzentriert hatten. Das gab uns die Möglichkeit, zuerst die westli-che Kolonne des Feindes im Südbezirk von Yihuang anzugreifen undmit einem Schlag die beiden von Li Ming und Chen Shih-chi befeh-

ligten Divisionen zu vernichten. Als der Feind dann zur Unterstüt-zung der mittleren Kolonne zwei Divisionen von seiner östlichenKolonne abzog und sich noch weiter vorwagte, gelang es uns aber-mals, eine Division im Südbezirk von Yihuang zu vernichten. Indiesen zwei Schlachten erbeuteten wir über zehntausend Gewehre,und vor allem konnten wir damit diesen «Einkreisungs- und Vernich-tungs»-Feldzug zunichte machen.

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In dem fünften «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug wandteder Feind beim Vorgehen seine neue Strategie eines Netzes von Ein-

zelstützpunkten an und besetzte zunächst Lichuan. Bei dem Versuch,Lichuan zurückzuerobern und den Feind außerhalb des Stützpunkteszum Kampf zu stellen, griffen wir das nördlich von Lichuan gelege-ne Hsiaoshih an, das ein befestigter Platz des Feindes war und oben-drein im Weißen Gebiet lag. Als es uns nicht gelang, diese Schlachtzu gewinnen, verlegten wir unseren Angriff auf Tsehsichiao, eben-falls einen befestigten Platz des Feindes im Weißen Gebiet südöst-lich von Hsiaoshih. Wieder schlug unser Versuch fehl. So drehtenwir uns auf der Suche nach einem günstigen Angriffspunkt zwischenden Hauptstreitkräften des Feindes und seinen befestigten Stellungenim Kreise, bis wir schließlich zu völliger Passivität verurteilt waren.Während unseres ganzen Gegenfeldzugs gegen den fünften «Einkrei-sungs- und Vernichtungs»-Feldzug des Feindes, der ein ganzes Jahr dauerte, zeigten wir nicht die geringste Initiative und Energie. ZumSchluß mußten wir uns aus unserem Stützpunktgebiet in Kiangsi

zurückziehen.Die Erfahrungen, die unsere Armee bei diesen fünf Gegenfeldzügengegen die «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzüge des Feindesmachte, beweisen, daß die erste Schlacht der Gegenoffensive für dieRote Armee, die sich in der Defensive befindet, von größer Wichtig-keit ist, wenn es darum geht, eine große und mächtige «Vernich-tungstruppe» des Feindes zu schlagen. Sieg oder Niederlage in der 

nächsten Schlacht sind von außerordentlicher Wirkung auf die Ge-samtsituation, die bis zum letzten Gefecht anhält. Wir kommen dem-nach zu den folgenden Schlüssen.Erstens: Die erste Schlacht muß gewonnen werden. Wir dürfen nur dann losschlagen, wenn wir absolut sicher sind, daß die Situation desFeindes, das Terrain uns und nicht dem Feind günstig sind und dieBevölkerung uns unterstützt. Andernfalls sollten wir uns lieber zu-

rückziehen und ruhig unsere Zeit abwarten. Gelegenheiten werdensich immer bieten; wir dürfen uns keineswegs übereilt auf einenKampf einlassen. Bei unserem ersten Gegenfeldzug hatten wir ur-sprünglich die Absicht, die von Tan Tao-yuan befehligten Truppenanzugreifen. Zweimal gingen wir vor, und beide Male mußten wir uns zurückhalten und wieder zurückweichen, weil der Gegner seinegünstige Stellung auf den Höhen von Yuantou nicht verlassen wollte.

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Ein paar Tage später nahmen wir dann die Einheiten Chang Hui-tsans aufs Korn, die einem Angriff weit weniger gewachsen waren.

Bei unserem zweiten Gegenfeldzug rückte unsere Armee auf Tungkuvor, wo sie in nächster Nähe des Feindes ihr Lager aufschlug, nur zudem Zweck, um fünfundzwanzig Tage darauf zu warten, daß dieTruppen Wang Chin-yus ihre befestigte Stellung in Futien verlassenwürden. Wir nahmen dabei auch das Risiko in Kauf, daß Informatio-nen durchsickern könnten. Wir wiesen alle ungeduldigen Vorschlägezurück, die einen raschen Angriff befürworteten, und erreichten soschließlich unser Ziel. Bei unserem dritten Gegenfeldzug war zwar rings um uns ein Sturm losgebrochen, wir hatten einen Umweg vontausend Li machen müssen, und der Feind hatte unseren Plan, ihn zuumgehen, ausgekundschaftet; aber wir übten trotzdem Geduld, gin-gen zurück, änderten unseren Plan dahingehend, daß wir einenDurchbruch im Zentrum unternahmen, und lieferten schließlich er-folgreich unsere erste Schlacht bei Lientang. Bei unserem viertenGegenfeldzug zogen wir uns, nachdem unser Angriff gegen Nanfeng

fehlgeschlagen war, ohne Zögern zurück, schwenkten gegen dierechte Flanke des Feindes und sammelten unsere Truppen erneut imGebiet von Tungshao, um daraufhin unsere große und siegreicheSchlacht im Südbezirk von Yihuang zu beginnen. Einzig bei demfünften Gegenfeldzug widmete man der Bedeutung der erstenSchlacht keinerlei Aufmerksamkeit. Unsere Truppen wurden durchden Verlust einer einzigen Bezirksstadt, Lichuans, derart alarmiert,

daß sie sofort nach Norden marschierten, um den Feind zu stellenund die Stadt zurückzuerobern. Das unerwartete Treffen bei Hsun-kou, das mit einem Sieg endete (bei dem eine feindliche Divisionvernichtet wurde), wurde nicht als die erste Schlacht angesehen,noch wurden die Veränderungen vorhergesehen, die sich daraus er-geben mußten, statt dessen wurde Hsiaoshih blindlings angegriffen,ohne sich des Erfolges vergewissert zu haben. So wurde uns gleich

 bei der ersten Operation die Initiative aus der Hand gewunden, unddas ist wahrlich die schlechteste und dümmste Art, einen Krieg zuführen.Zweitens: der Plan für die erste Schlacht muß die Einleitung und einorganischer Teil des gesamten Feldzugplans sein. Es ist völlig ausge-schlossen, eine wirklich gute Schlacht zu liefern, wenn man keinenguten Plan für den ganzen Feldzug entworfen hat. Das bedeutet, daß

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ein Sieg selbst wenn er in der ersten Schlacht gewonnen wurde nur als Niederlage gewertet werden kann, wenn er dem Feldzug im gan-

zen mehr schadet als hilft (wie z. B. der Sieg bei Hsunkou im fünftenFeldzug).Bevor man in die erste Schlacht geht, muß man also eine allgemeineVorstellung davon haben, wie die zweite, dritte, vierte und sogar auch die letzte Schlacht geschlagen werden sollte, und man muß inBetracht ziehen, welche Veränderungen hinsichtlich der gesamtenSituation des Feindes unser Sieg oder unsere Niederlage in jeder der kommenden Schlachten nach sich ziehen wird. Auch wenn das Re-sultat nicht genauso ausfallen sollte, wie wir es uns ausrechneten — und das wird es ganz gewiß nicht —, müssen wir doch jede Einzel-heit im Lichte der allgemeinen Lage auf beiden Seiten sorgfältig undrealistisch im voraus bedenken. Ohne einen Begriff von der Gesamt-situation zu haben, kann man unmöglich einen wirklich guten Zugauf dem Schachbrett machen.Drittens: Man muß auch schon daran denken, was im nächsten stra-

tegischen Stadium des Krieges geschehen wird. Ein Stratege erfülltseine Pflicht nicht, wenn er sich lediglich mit der Gegenoffensive

  beschäftigt und keinen Gedanken an die Maßnahmen wendet, dienötig sein werden, nachdem die Gegenoffensive gelungen oder auchfehlgeschlagen ist. Im einzelnen strategischen Stadium muß er dienächsten Stadien oder doch zumindest das folgende Stadium in Be-tracht ziehen. Wenn auch künftige Entwicklungen schwierig voraus-

zusehen sind, und je weiter man sieht, die Dinge desto verschwom-mener scheinen, so ist eine allgemeine Berechnung doch möglichund eine Abschätzung der zukünftigen notwendig.Im Krieg wie in der Politik ist es schädlich, jeweils immer nur einenSchritt vorauszuplanen. Und nach jedem Schritt muß man die darausfolgenden konkreten Veränderungen überprüfen und seine strategi-schen und taktischen Pläne entsprechend modifizieren. Wer dies

nicht tut, neigt zu dem Fehler, ohne Berücksichtigung der Gefahren blindlings draufloszustürmen. Auf alle Fälle aber braucht man unbe-dingt einen großangelegten Plan, dessen allgemeine Richtliniendurchdacht sind und der ein ganzes strategisches Stadium oder sogar mehrere strategische Stadien umfaßt. Wer es unterläßt, einen solchenPlan zu entwerfen, wird dem Fehler verfallen, zu zögern, die Initiati-ve zu verlieren und damit den strategischen Zielen des Feindes Vor-

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schub zu leisten und selbst in eine passive Lage zu geraten. Mansollte stets bedenken, daß auch das Oberkommando des Feindes ei-

nige strategische Einfalle hat. Nur wenn wir uns dazu erzogen haben,immer einen Kopf größer zu sein als der Feind, werden wir strategi-sche Siege erringen können.Während des fünften «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzugsdes Feindes war das Fehlen einer solchen Vorausplanung der Haupt-grund für die Irrtümer, die unter der strategischen Leitung der «Links»-Opportunisten und der Anhänger Chang Kuo-taos begangenwurden. Kurzum, beim Rückzug müssen wir die nächste Gegenof-fensive bedenken, bei der Gegenoffensive die nächste Offensive und

 bei der Offensive den nächsten Rückzug. Dies nicht zu tun, sondernsich auf die Betrachtung des Augenblicks zu beschränken, heißt die

 Niederlage heraufbeschwören.Die erste Schlacht muß gewonnen werden. Der Plan für den gesam-ten Feldzug muß stets berücksichtigt werden. Und ebenso ist dasfolgende strategische Stadium zu berücksichtigen. Das sind die drei

Grundregeln, die wir beim Beginn einer Gegenoffensive, also bevor wir in die erste Schlacht gehen, nie vergessen dürfen.

6. Zusammenziehung der Truppen

Die Zusammenziehung der Truppen erscheint einfach, ist aber in der Praxis schwierig. Jeder weiß, daß man am besten eine große Streit-

macht einsetzt, um eine kleine zu schlagen, und doch handeln vielenicht nach diesem Prinzip, sondern zersplittern nur zu oft ihre Kräfte.Der Grund hierfür liegt in der Tatsache, daß diese militärischen Be-fehlshaber keinen Sinn für Strategie haben und sich verwirren lassen,sobald schwierige Umstände eintreten. Sie sind dann diesen Umstän-den preisgegeben, verlieren ihre Initiative und nehmen ihre Zufluchtzu passiven Reaktionen.

Gleichgültig, wie kompliziert, ernst oder gefährlich die Umständeauch sind, ein militärischer Befehlshaber muß vor allem die Fähig-keit besitzen, bei der Einteilung und dem Einsatz der ihm unterste-henden Truppen unabhängig zu handeln. Der Feind mag ihn noch sooft in eine passive Situation hineinzwingen, Hauptsache ist, er kannrasch die Initiative zurückgewinnen. Hierin versagen, heißt Nieder-lage.

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Die Initiative ist kein Gebilde der Phantasie, sondern etwas durchausKonkretes und Materielles. Es kommt hierbei vor allem darauf an,

eine möglichst große, von echtem Kampfgeist beseelte Streitmachtzu haben und zusammenzuhalten.Bei der defensiven Kriegführung, die weniger Spielraum für die vol-le Ausübung der Initiative bietet als die offensive Kriegführung,

  besteht immer die Gefahr, in eine passive Lage zu geraten. Dochkann eine defensive Kriegführung, die ihrer Form nach passiv ist,ihrem Inhalt nach trotzdem aktiv sein, und sie kann aus dem Stadi-um, in dem sie der Form nach passiv ist, in ein Stadium übergeleitetwerden, in dem sie sowohl der Form als auch dem Inhalt nach aktivist. Ein sorgsam geplanter strategischer Rückzug erfolgt scheinbar unter Druck; in Wirklichkeit jedoch wird er ausgeführt, um die eige-nen Kräfte zu erhalten, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten, in demman zuschlagen kann, den Feind in den Hinterhalt zu locken und dieGegenoffensive vorzubereiten. Andererseits mag es als ein ernsthaf-tes Bemühen um die Initiative erscheinen, wenn man sich weigert,

den Rückzug anzutreten, und sich überstürzt auf einen Kampf einläßt(wie bei der Schlacht von Hsiaoshih); in Wirklichkeit ist ein solchesVerhalten jedoch Passivität. Eine strategische Gegenoffensive istnicht nur ihrem Inhalt nach aktiv, sondern sie gibt auch ihrer Formnach die passive Haltung der Rückzugperiode auf. In Hinsicht auf den Feind stellt unsere Gegenoffensive unsere Bemühungen dar, ihmdie Initiative zu entwinden und eine passive Haltung zuzudiktieren.

Zusammenziehung der Truppen, bewegliche Kampfführung, schnelleEntscheidungskämpfe und Vernichtungskrieg sind die erforderlichenBedingungen, wenn man dieses Ziel voll verwirklichen will. Und dieZusammenziehung der Truppen ist von all diesen Bedingungen dieerste und wichtigste.Man muß seine Truppen zusammenziehen, wenn man die Absichthat, eine Umkehrung der Situation herbeizuführen, zunächst in Hin-

sicht auf Vormarsch und Rückzug. Zuerst drang der Gegner vor undwir zogen uns zurück; jetzt suchen wir eine Situation, in der wir vor-dringen und er sich zurückzieht. Wenn wir unsere Truppen massierenund eine Schlacht gewinnen, dann erreichen wir in dieser Schlachtdas oben genannte Ziel, und das beeinflußt den gesamten Feldzug.Zweitens eine Umkehrung der Situation in Hinsicht auf Angriff undVerteidigung. Bei der defensiven Kriegführung gehört der Rückzug

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 bis auf den vorgesehenen Endpunkt grundsätzlich zu dem passivenoder «defensiven» Stadium. Die Gegenoffensive aber gehört zum

aktiven oder «Angriffs»-Stadium. Obgleich die strategische Defensi-ve während ihrer ganzen Dauer diesen defensiven Charakter beibe-hält, ist die Gegenoffensive im Vergleich zum Rückzug doch bereitsein Wechsel nicht allein der Form, sondern auch des Inhalts. DieGegenoffensive ist der Übergang von der strategischen Defensive zur strategischen Offensive und ihrer Natur nach eine Einleitung der strategischen Offensive; Zusammenziehung der Truppen erfolgt zumZweck der Gegenoffensive.Drittens betrifft die Umkehrung der Situation innere und äußereKampflinien. Eine Armee, die auf strategisch inneren Kampflinienoperiert, ist in vieler Hinsicht benachteiligt. Dies gilt vor allem für die Rote Armee, die der «Einkreisung und Vernichtung» gegenüber-steht. Wir können und müssen jedoch diese Situation in Feldzügenund Schlachten ändern. Wir können aus dem großen «Einkreisungs-und Vernichtungs»-Feldzug, den der Feind gegen uns in Szene setzt,

eine Reihe kleiner einzelner «Einkreisungs- und Vernich-tungs»Operationen machen, die wir gegen den Feind in Szene setzen.Wir können den konzentrischen Angriff, den der Feind in strategi-scher Hinsicht gegen uns führt, in eine Reihe konzentrischer Angriffeumwandeln, die wir in Schlachten und Gefechten gegen ihn führen.Wir können die strategische Überlegenheit des Feindes in unsereÜberlegenheit in Schlachten und Gefechten umwandeln. Wir können

den Feind, der sich in einer starken strategischen Position befindet,durch Schlachten und Gefechte in eine schwache Position drängen.Gleichzeitig können wir unsere eigene schwache strategische Positi-on in eine starke Position in Schlachten und Gefechten umwandeln.Ein solches Verhalten bezeichnen wir als Operationen auf der äuße-ren Kampflinie innerhalb der Operationen auf der inneren Kampfli-nie, Einkreisung und Vernichtung in «Einkreisung und Vernich-

tung», Blockade in der Blockade, Offensive in der Defensive, Über-legenheit in der Unterlegenheit, Stärke in der Schwäche, Vorteil im Nachteil, Initiative in der Passivität. Die Erringung eines Sieges inder strategischen Defensive hängt grundsätzlich von dieser Maß-nahme ab — Zusammenziehung der Truppen.In den Kriegsannalen der Roten Armee Chinas war dieses ThemaGegenstand wichtiger Kontroversen. In der Schlacht von Kian am 4.

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Oktober 1930 hatten wir mit unserem Vormarsch und dem Angriff  begonnen, noch ehe wir unsere Kräfte endgültig massiert hatten; aber 

glücklicherweise flohen die feindlichen Truppen (die Division TengYings) von selber. Unser Angriff allein mußte seine Wirkung verfeh-len.Seit 1932 hörte man immer wieder den Slogan: «Greift an allenFronten an!» Damit wurden Angriffe vom Stützpunktgebiet aus nachallen Richtungen — nach Norden, Süden, Osten und Westen gefor-dert. Das aber ist nicht nur in der strategischen Defensive, sondernauch in der strategischen Offensive falsch. Solange kein grundsätzli-cher Wechsel im allgemeinen Kräfteverhältnis stattgefunden hat,muß sowohl strategische und taktische Planung Defensive und Of-fensive enthalten, Rückzugsgefechte und Sturmangriffe. «Angriffean allen Fronten» aber kommen nur äußerst selten vor. Ein solcher Slogan ist Ausdruck militärischer Gleichmacherei, wie sie als Be-gleiterscheinung militärischen Abenteurertums auftritt.1933 stellten die Vertreter der militärischen Gleichmacherei den

Grundsatz auf, man müsse «mit zwei Fäusten schlagen», die Haupt-streitmacht der Roten Armee in zwei Teile aufspalten und gleichzei-tig in zwei strategischen Richtungen Siege anstreben. Es ergab sich,daß die eine Faust untätig blieb, während die andere sich müdekämpfte und wir uns den größten zu diesem Zeitpunkt möglichenSieg entgehen ließen. Meiner Ansicht nach sollten wir, wenn wir einem mächtigen Feind gegenüberstehen, unsere Armee, so groß ihr 

Umfang auch sein mag, nur in einer einzigen Richtung einsetzen,niemals in zweien. Ich bin nicht grundsätzlich dagegen, in zwei oder mehreren Richtungen zu operieren nur sollte man zu einem gegebe-nen Zeitpunkt jeweils nur eine Hauptrichtung einhalten. Die RoteArmee Chinas, die seinerzeit als kleine und schwache Truppe auf der Bühne des Bürgerkrieges erschien, hat seitdem wiederholt ihrenmächtigen Widersacher geschlagen und Siege errungen, welche die

Welt in Staunen versetzten, und dabei hat sie sich weitgehend auf den Einsatz ihrer konzentrierten Kraft gestützt. Jeder ihrer großenSiege beweist diese Tatsache. Wenn wir sagen: «Stellt einen gegenzehn, stellt zehn gegen hundert», so sprechen wir von Strategie, demgesamten Krieg und dem allgemeinen Kräfteverhältnis, und in stra-tegischer Hinsicht haben wir diesen Wahlspruch auch stets befolgt.Wir sprechen jedoch nicht von Feldzügen und Taktiken, denn hier 

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darf man ihn keineswegs befolgen. In der Gegenoffensive wie in der Offensive sollten wir stets ein großes Truppenkontingent zusammen-

ziehen, um damit gegen einen Teil der feindlichen Streitkräfte anzu-treten. Jedesmal, wenn wir unsere Truppen nicht zusammenzogen,hatten wir darunter zu leiden: in der Schlacht gegen Tan Tao-yuanim Januar 1931, im Gebiet von Tungshao innerhalb des Bezirkes

 Ningtu in der Provinz Kiangsi, in der Schlacht gegen die 19. Feldar-mee im August 1931 im Gebiet von Kaohsinghsu innerhalb des Be-zirkes Hsingkuo in der Provinz Kiangsi, in der Schlacht gegen ChenChi-tang im Juli 1932 bei Shuikouhsu im Bezirk Nanhsiung in der Provinz Kwangtung und in der Schlacht gegen Chen Cheng im Ge-

 biet von Tuantsun innerhalb des Bezirks Lichuan in Kiangsi im März1934. Früher wurden Schlachten wie die von Shuikouhsu oder vonTuantsun allgemein als Siege oder sogar als große Siege angesehen(in der ersteren schlugen wir zwanzig Regimenter unter Chen Chi-tang, in der letzteren zwölf Regimenter unter Chen Cheng), aber wir waren nie glücklich über derartige Siege und betrachteten sie in ei-

nem gewissen Sinn sogar als Niederlagen. Denn unserer Ansichtnach hat eine Schlacht geringe Bedeutung, wenn wir dabei weder Gefangene noch Kriegsbeute machen oder wenn sie nicht unsereVerluste aufwiegen. Unsere Strategie ist: «Stellt einen gegen zehn»,unsere Taktik ist: «Stellt zehn gegen einen», dies ist eine unserer Grundregeln, um Überlegenheit über den Feind zu gewinnen.Ihren Höhepunkt erreichte die militärische Gleichmacherei bei unse-

rem fünften Gegenfeldzug gegen «Einkreisung und Vernichtung» imJahre 1934. Man dachte, wir könnten den Feind schlagen, indem wir «die Truppen auf sechs Straßen verteilten» und «an allen FrontenWiderstand leisteten»; aber statt dessen wurden wir vom Feind ge-schlagen, und der Grund war Furcht vor Gebietsverlust. Natürlichläßt ein Gebietsverlust sich kaum vermeiden, wenn man seineHauptkräfte in einer Richtung konzentriert und in anderen Richtun-

gen nur Truppen zum Binden des Feindes zurückläßt. Aber das istnur ein vorübergehender und teilweiser Verlust, der durch den Siegnach dem Sturmangriff sofort wieder ausgeglichen wird. Ist solch einSieg errungen, dann kann das in dem Gebiet der Nachhuttruppenverlorengegangene Gelände zurückerobert werden. Der erste, zweite,dritte und vierte «Einkreisungs- und Vernichtungs»Feldzug desFeindes hatten alle einen Gebietsverlust unsererseits zur Folge vor 

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allem der dritte, in dem die Rote Armee fast ihr gesamtes Stütz-  punktgebiet in Kiangsi einbüßte -, zum Schluß aber eroberten wir 

nicht allein unser Gebiet zurück, sondern erweiterten es sogar noch.Der Fehler, die Widerstandskraft der Bevölkerung im Stützpunktge-  biet zu unterschätzen, hat oft Anlaß zu der unberechtigten Furchtgegeben, man könne die Rote Armee nicht allzuweit entfernen. Diesgeschah in Kiangsi im Jahre 1932, als die Rote Armee einen langenMarsch unternehmen mußte, um Changchow in der Provinz Fukienanzugreifen, und ebenso nach unserem Sieg in dem vierten Gegen-feldzug 1933, als unsere Truppen zum Angriff auf Fukien herum-schwenkten. Im ersten Fall fürchtete man, der Feind könne das ge-samte Stützpunktgebiet einnehmen, im zweiten, er werde einen Teildavon erobern. Viele waren dagegen, die Truppen zu konzentrieren,und rieten, gewisse Kontingente zur Verteidigung abzuspalten; aber schließlich erwiesen diese Ratschläge sich als falsch. Was den Feind

  betrifft, so fürchtete er, sich allzu weit in unser Stützpunktgebiethineinzuwagen; die größte Gefahr stellt in seinen Augen jedoch eine

Rote Armee dar, die in ein weißes Gebiet eingebrochen ist. SeineAufmerksamkeit ist vor allem darauf gerichtet, die Hauptstreitmachtder Roten Armee herauszufinden, und nur selten konzentriert er sichauf das Stützpunktgebiet. Sogar wenn die Rote Armee in der Defen-sive ist, bildet sie noch den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit desFeindes. Zwar gehört zu seinem allgemeinen Kriegsplan die Absicht,die Größe unseres Stützpunktgebietes einzuschränken, aber sobald

die Rote Armee ihre Hauptstreitmacht darauf ansetzt, eine seiner Kolonnen zu vernichten, sieht das Oberkommando des Feindes sichgezwungen, der Roten Armee seine Aufmerksamkeit zuzuwendenund stärkere Einheiten gegen sie vorzuschicken. Somit ist es mög-lich, den feindlichen Plan, unser Stützpunktgebiet einzuschränken,zunichte zu machen.Es war auch falsch zu sagen: «Gegen den fünften <Einkreisungs-

und Vernichtungs>-Feldzug des Feindes, in dem er die Methodeeines Netzes von Einzelstützpunkten anwendet, können wir mit kon-zentrierten Kräften nichts ausrichten; wir können lediglich unsereKräfte aufteilen, um uns zu verteidigen und einige kurze Vorstöße zuunternehmen.» Dabei war die Taktik des Feindes, jeweils drei, fünf,acht oder zehn Li vorzurücken und sich bei jedem neuen Halt zuverschanzen, einzig durch das Verhalten der Roten Armee ermög-

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licht, die immer von neuem in Verteidigungsstellung ging. Die Lagehätte völlig anders ausgesehen, wenn unsere Armee diese Taktik der 

Schritt-um-Schritt-Verteidigung auf den inneren Kampflinien aufge-geben, statt dessen, sobald es möglich und nötig war, eine Schwen-kung vollführt hätte und in die inneren Kampflinien des Feindeseingebrochen wäre. Gerade das Prinzip einer Konzentration der Kräfte ist das richtige Mittel, um das Netz der Einzelstützpunkte desFeindes zu bekämpfen.Wenn wir zu einer Konzentration der Kräfte raten, dann bedeutet dasnicht die Aufgabe des von der Bevölkerung getragenen Guerilla-kriegs. Es hat sich seit langem als falsch erwiesen, die vereinzelteTätigkeit der Guerillas abzulehnen und «jedes einzelne Gewehr inder Roten Armee zu sammeln», wie die Anhänger Li Li-sans rieten.Wenn man den revolutionären Krieg als Ganzes betrachtet, merktman, daß die Operationen einzelner Guerillas und die der regulärenTruppen der Roten Armee einander ergänzen wie der rechte und der linke Arm eines Mannes. Wenn wir nur die Rote Armee hätten und

nicht auch Guerillas, ständen wir da wie ein einarmiger Krieger.Wollen wir von der Bevölkerung in einem Stützpunktgebiet als Fak-tor sprechen, so meinen wir genau gesagt und im Hinblick auf diemilitärischen Operationen -, daß wir eine bewaffnete Bevölkerunghaben. Das ist der Hauptgrund für die Furcht des Feindes, sich unse-rem Stützpunktgebiet zu nähern.Man muß jedoch auch bestimmte Abteilungen der Roten Armee für 

Operationen in Nebenrichtungen einsetzen, darf also nicht sämtlicheKräfte der Roten Armee konzentrieren. Die Art der Konzentration,die wir befürworten, soll uns grundsätzlich die absolute oder relativeÜberlegenheit auf dem Schlachtfeld gewährleisten. Um es mit einemstarken Feind aufzunehmen oder einen Kampf auf dem Schlachtfeldvon entscheidender Bedeutung auszutragen, müssen wir über eineabsolut überlegene Streitmacht verfügen. So wurde zum Beispiel ein

Heer von vierzigtausend Mann zusammengezogen, um bei der erstenSchlacht unseres ersten Gegenfeldzugs am 30. Dezember 1930 gegendie von Chang Hui-tsan befehligten 9000 Mann anzutreten. Hat manes mit einem schwächeren Feind oder einem Kampfplatz von gerin-gerer Bedeutung zu tun, so genügt eine relativ überlegene Streit-macht. So setzten wir zum Beispiel etwa 10 000 Rotarmisten ein, dieam 29. Mai 1931 die letzte Schlacht unseres zweiten Gegenfeldzugs

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gegen die 7000 Mann starke Division Liu Ho-tings in Chienningschlugen.

Damit ist nicht gesagt, daß wir dem Feind bei jeder Gelegenheit zah-lenmäßig überlegen sein müßten. Unter gewissen Umständen könnenwir auch mit einer relativ oder absolut unterlegenen Streitmacht ineine Schlacht gehen. So sind wir zum Beispiel relativ unterlegen,wenn wir in einem bestimmten Gebiet nur ein sehr kleines Kontin-gent der Roten Armee haben (nicht aber, wenn wir eigentlich mehr Truppen zur Verfügung hätten, sie aber zur Zeit nicht zusammenge-zogen haben). Wenn wir unter Umständen, in denen die Bevölkerunguns tatkräftig unterstützt und Gelände sowie Wetter sehr zu unseremVorteil sind, den Angriff eines stärkeren Gegners zum Scheitern

  bringen wollen, müssen wir selbstverständlich die Hauptmacht der Roten Armee zu einem Überraschungsangriff auf einen Abschnitteiner Flanke des Feindes ansetzen, während wir sein Zentrum sowieseine andere Flanke durch Guerillas oder andere kleinere Einheiten

 binden. Auf diese Weise können wir den Sieg erringen. Bei unserem

Überraschungsangriff auf den Abschnitt der feindlichen Flanke giltnoch immer der Grundsatz, daß man eine stärkere Kraft gegen eineschwächere einsetzen und viele dazu verwenden soll, um wenige zuschlagen, Derselbe Grundsatz gilt auch, wenn wir mit einer absolutunterlegenen Streitmacht in eine Schlacht gehen, so z. B. wenn eineGuerillaeinheit einen Überraschungsangriff auf ein großes Truppen-kontingent der Weißen Armee unternimmt, dabei jedoch nur einen

kleinen Teil angreift.Was den Satz betrifft, daß die Zusammenziehung einer größerenStreitmacht zum Einsatz in einem einzelnen Kampfgebiet von denBedingungen des Terrains, der Straßen, der Nachschub- und der Quartierverhältnisse abhänge, so. sollte er je nach den Umständenüberprüft werden. Die Rote Armee ist von solchen Bedingungenweniger abhängig als die Weiße Armee, denn sie kann größere Stra-

 pazen ertragen.Wir setzen wenige ein, um viele zu schlagen das sagen wir den Be-herrschern ganz Chinas. Wir setzen viele ein, um wenige zu schlagen

 — das sagen wir jeder einzelnen feindlichen Truppeneinheit auf demSchlachtfeld. Das ist kein Geheimnis mehr, und der Feind hat sichmit der Zeit durchaus an unsere Methode gewöhnt. Trotzdem kann er weder unsere Siege verhindern noch seine Verluste vermeiden, denn

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er weiß nie, wann und wie wir vorgehen. Das halten wir geheim. DieRote Armee operiert im allgemeinen mit Überraschungsangriffen.

7. Bewegliche Kampfführung

Bewegliche Kampfführung oder Stellungskrieg? Unsere Antwortlautet: Bewegliche Kampfführung. Solange wir weder über eine gro-ße Armee noch über große Munitionsvorräte verfügen, solange esnur eine einzige Rote Armee gibt, die für die Kämpfe in Stützpunk-ten eingesetzt werden muß, ist ein Stellungskrieg für uns sinnlos.Und zwar sind die Methoden des Stellungskrieges für uns sowohl imAngriff als auch in der Verteidigung nicht anwendbar.Bei den Operationen der Roten Armee fällt vor allem die Tatsacheins Auge, daß wir keine festen Frontlinien haben, was sich auch dar-aus ergibt, daß der Feind mächtig ist, während die Rote Armee tech-nisch ungenügend ausgerüstet ist.Die Kampflinien der Roten Armee werden durch die Richtung ihrer 

Operationen bestimmt. Da diese Richtung oft wechselt, sind dieKampflinien fließend. Und wenn auch die Hauptrichtung innerhalbeiner bestimmten Zeitspanne nicht wechselt, so können sich die Ne-

  benrichtungen doch jeden Moment verschieben. Wenn wir in der einen Richtung nicht weiterkommen, müssen wir uns in eine anderewenden. Und wenn wir nach einer gewissen Zeit auch in der Haupt-richtung nicht weiterkommen, müssen wir auch diese abändern.

In einem revolutionären Bürgerkrieg kann es keine festen Frontliniengeben; das war auch in der Sowjetunion der Fall. Der Unterschiedzwischen der Sowjetarmee und der unseren besteht darin, daß derenFrontlinien weniger fließend waren als die unseren. Absolut festeFrontlinien gibt es in keinem Krieg das verbieten die Wechselfällevon Sieg und Niederlage, Vorstoß und Rückzug. Aber im allgemei-nen Verlauf der Kriege bestehen häufig relativ feste Frontlinien.

Ausnahmen finden sich nur dort, wo eine Armee einem sehr vielstärkeren Feind gegenübersteht, so wie dies im augenblicklichenStadium bei der Roten Armee Chinas der Fall ist.Veränderlichkeit der Kampflinien hat Veränderungen hinsichtlichdes Umfangs der Stützpunktgebiete zur Folge. Unsere Stützpunktge-

 biete vergrößern sich ebensooft, wie sie sich verkleinern, und häufigentsteht ein neues Stützpunktgebiet, wenn ein anderes verlorengeht.

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Diese Gebietsverschiebungen sind die Folge der Beweglichkeit desKrieges.

Die Veränderlichkeit der Kampfhandlungen und des Territoriumswiederum bringt Schwankungen in den Aufbauarbeiten in unserenStützpunktgebieten mit sich. Aufbaupläne über mehrere Jahre hin-weg kommen gar nicht in Betracht, und häufige Änderungen sind ander Tagesordnung.Es ist vorteilhaft für uns, wenn wir dieses Merkmal erkennen. Wir müssen unsere Planung darauf abstimmen und dürfen uns nicht der Illusion hingeben, es gäbe in unserem Krieg nur ein Vordringen ohne

 jedes Zurückweichen. Wir dürfen uns nicht bei jeder vorübergehen-den Verschiebung unserer Territorien oder unseres Hinterlandesaufregen und dürfen gar nicht erst ausführliche Pläne für eine längereZeitspanne entwerfen. Wir müssen unser Denken und Handeln denUmständen anpassen, stets ebenso bereit sein, uns irgendwo nieder-zulassen wie weiterzumarschieren, und unsere Marschrationen jeder-zeit zur Hand haben. Nur wenn wir uns an die jetzige veränderliche

Lebensform gewöhnen, können wir uns für morgen eine relative undfür späterhin eine absolute Stabilität sichern.Die Verfechter einer Strategie der «regulären Kriegführung», die beiunserem fünften Gegenfeldzug die Befehlsgewalt hatten, leugnetendie Notwendigkeit dieser Veränderlichkeit und widersetzten sichdem, was sie «Guerillatum» nannten. Diese Genossen, die die Ver-änderlichkeit bekämpften, handelten, als seien sie die Lenker eines

riesigen Staates, und das Ergebnis war eine außerordentliche undungeheure Veränderlichkeit: der Lange Marsch über 25 000 Li.Unsere demokratische Republik der Arbeiter und Bauern ist einStaat, aber bis heute noch nicht voll entwickelt. Wir befinden unsnoch immer in der strategischen Defensivperiode des Bürgerkrieges,unsere politische Macht ist noch nicht die eines vollentwickeltenStaates, unsere Armee ist der feindlichen noch immer zahlenmäßig

und technisch unterlegen, unser Territorium ist noch sehr klein, undunser Feind ist ständig darauf bedacht, uns zu vernichten, und wirdnicht ruhen und rasten, bis er es getan hat. Wenn wir auf Grund die-ser Tatsachen unsere politische Richtung bestimmen, sollten wir das«Guerillatum» nicht in Bausch und Bogen ablehnen, sondern denGuerilla-Charakter der Roten Armee ehrlich zugeben. Wir brauchenuns dessen nicht zu schämen. Im Gegenteil, gerade dieser Guerilla-

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Charakter ist unser Kennzeichen, unsere Stärke und das entscheiden-de Mittel, unseren Feind zu schlagen. Wir sollten zwar darauf vorbe-

reitet sein, ihn eines Tages zu ändern, aber noch können wir dasnicht. In der Zukunft werden wir uns einmal dieses Guerilla-Charakters schämen und ihn ablegen müssen; heute jedoch ist er noch von unschätzbarem Wert, und wir müssen daran festhalten.«Kämpfe, wenn du siegen kannst; marschiere weiter, wenn du nichtsiegen kannst.» Das ist mit einfachen Worten die Beschreibung unse-rer jetzigen beweglichen Kampfführung. Nirgends auf der Welt gibtes einen Militärexperten, der nur zum Kämpfen rät und niemals zumWeitermarschieren, wenngleich wenige Menschen soviel marschie-ren wie wir. Gewöhnlich verbringen wir mehr Zeit mit dem Mar-schieren als mit dem Kämpfen und wären schon recht froh, wenn wir durchschnittlich eine nennenswerte Schlacht pro Monat schlügen.Aber all unser «Marschieren» dient dem «Kämpfen», und unsereganze Strategie und Taktik ist auf dem Kampf aufgebaut. Trotzdemgibt es Zeiten, in denen es für uns nicht ratsam ist, zu kämpfen. Das

ist erstens dann der Fall, wenn die uns gegenüberstehende Streit-macht allzu groß ist, zweitens, wenn diese Streitmacht zwar nicht sogroß, aber in nächster Nähe anderer feindlicher Truppeneinheitenstationiert ist. Drittens ist es im allgemeinen ungünstig, gegen einefeindliche Streitmacht vorzugehen, die nicht isoliert ist und in stark 

 befestigten Stellungen sitzt. Viertens aber sollte man einen Kampf, bei dem keine Aussicht auf Sieg ist, nicht weiterführen. In jeder die-

ser genannten Situationen sind wir darauf vorbereitet, weiterzumar-schieren. Dieses Weitermarschieren ist sowohl erlaubt wie notwen-dig. Wenn wir es für notwendig erachten, immer weiterzumarschie-ren, dann deshalb, weil wir wissen, daß wir kämpfen müssen. Darinliegt das grundsätzliche Merkmal der beweglichen Kampfführungder Roten Armee.Die bewegliche Kampfführung nimmt den ersten Rang ein; aber wir 

lehnen den Stellungskrieg trotzdem nicht ab, wo er möglich undnötig ist. Zugegebenermaßen sollte man die Methoden des Stel-lungskrieges anwenden, wenn es darum geht, in der strategischenDefensive bei einer Operation zum Binden der feindlichen Kräftegewisse Schlüsselstellungen besonders hartnäckig zu verteidigen,oder auch dann, wenn wir in der strategischen Offensive auf eineisolierte und von jeder Hilfe abgeschnittene feindliche Truppe sto-

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ßen. Wir haben uns auch schon eine gewisse Erfahrung angeeignet,wie man bei einem solchen Stellungskrieg den Feind schlagen kann:

Wir sind in viele feindliche Städte, Stellungen und Forts eingebro-chen und haben manche gut befestigte feindliche Stellung erobert.Künftig werden wir unsere Bemühungen in dieser Richtung nochverstärken und unsere Unzulänglichkeiten ausgleichen. Wir solltenunbedingt den Stellungskrieg oder die Verteidigung aus der Stellungheraus befürworten, wo die Umstände dies erfordern und gestatten.Wir sind nur zur Zeit gegen eine allgemeine Anwendung des Stel-lungskrieges oder eine Gleichstellung des Stellungskrieges mit demBewegungskrieg. So etwas ist unzulässig.Hat sich während der zehn Jahre des Bürgerkriegs hinsichtlich desGuerilla-Charakters der Roten Armee nichts geändert? Hinsichtlichder fehlenden festen Frontlinien, der Verschiebung ihrer Stützpunkt-gebiete und der dortigen Aufbauarbeit? Nein, hier haben sich Verän-derungen ergeben. Die Zeitspanne von den Tagen in den Chingkang-Bergen bis zu unserem ersten Gegenfeldzug gegen «Einkreisung-

und Vernichtung» in Kiangsi stellte das erste Stadium dar jenes Sta-dium, in dem der Guerilla-Charakter und die Veränderlichkeit be-sonders deutlich waren, die Rote Armee steckte noch in ihren An-fängen, die Stützpunktgebiete waren noch Guerillazonen. Währenddes zweiten Stadiums, jener Zeitspanne, die vom ersten bis zum drit-ten Gegenfeldzug reichte, wurde sowohl der Guerilla-Charakter alsauch die Veränderlichkeit wesentlich abgebaut; wir stellten Frontar-

meen zusammen und kamen in den Besitz von Stützpunktgebietenmit einer Bevölkerungszahl von mehreren Millionen. Im dritten Sta-dium, der Zeitspanne vom Ende des dritten bis zum fünften Gegen-feldzug, verschwanden der Guerilla-Charakter und die Veränderlich-keit noch mehr. Zu dieser Zeit hatten wir bereits eine Zentralregie-rung und ein revolutionäres Militärkomitee. Das vierte Stadium war der Lange Marsch. Die irrtümliche Ablehnung des Guerillakriegs

und der Beweglichkeit im kleineren Rahmen hatten den Guerilla-krieg und die Beweglichkeit im größten Umfang heraufbeschworen.Jetzt befinden wir uns im fünften Stadium. Weil wir den fünften«Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug nicht zerschlagen konn-ten, ist infolge des Langen Marsches der Umfang der Roten Armeeund unserer Stützpunktgebiete sehr zusammengeschrumpft; aber nunmehr haben wir im Nordwesten Fuß gefaßt und unser hiesiges

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Stützpunktgebiet, den Grenzbezirk von Shensi, Kansu und Ningsia,fest in die Hand bekommen und entwickelt. Die drei Frontarmeen,

welche die Hauptstreitmacht der Roten Armee bilden, wurden unter ein einheitliches Kommando gestellt ein bisher noch nicht dagewe-sener Zustand.Wenn man die Entwicklung vom Standpunkt der Strategie aus be-trachtet, könnte man auch sagen, daß die Zeitspanne von den Tagenin den Chingkang-Bergen bis zu unserem vierten Gegenfeldzug einStadium darstellt, die Zeit unseres fünften Gegenfeldzugs ein zweitesStadium und die Zeit vom Langen Marsch bis heute ein drittes. Wäh-rend des fünften Gegenfeldzugs ging man fälschlicherweise von demrichtigen politischen Kurs ab, den man bis dato eingehalten hatte;heute haben wir nun die falsche Politik, die während des fünftenGegenfeldzugs betrieben wurde, wieder verworfen und uns der rich-tigen Politik von früher wieder zugewandt. Allerdings haben wir nicht alle Gewohnheiten aus der Zeit des fünften Gegenfeldzugsabgelegt und nicht alles frühere wiederaufgenommen. Wir haben nur 

das aus der Vergangenheit wiederaufgenommen, was gut war, undnur die Fehler aus der Zeit des fünften Gegenfeldzugs abgelegt.Das Guerillatum hat zwei Aspekte. Der eine ist die Irregularität alsoDezentralisierung, Mangel an Einheitlichkeit, das Fehlen einer strik-ten Disziplin und einfache Arbeitsmethoden. Diese Merkmale stam-men noch aus der Anfangszeit der Roten Armee, und einige vonihnen entsprachen dem, was wir seinerzeit brauchten. Nun, da die

Rote Armee sich entwickelt hat, müssen wir diese Methoden ganz  bewußt und allmählich ausmerzen, um die Rote Armee zentraler auszurichten, zu vereinheitlichen, zu disziplinieren, wirksamer inihrer Arbeit zu machen kurzum, ihr den Charakter einer regulärenTruppe zu geben. Auch bei der Durchführung unserer Operationensollten wir allmählich und bewußt diejenigen Merkmale des Gueril-lakriegs abstreifen, die in diesem höheren Stadium der Entwicklung

nicht mehr nötig sind. Sich gegen Fortschritte in dieser Hinsicht zustemmen und hartnäckig an dem alten Stadium zu hängen, ist unzu-lässig und schädlich und allen in größerem Stil angelegten Operatio-nen abträglich.Der andere Aspekt des Guerillatums besteht in dem Prinzip der be-weglichen Kriegführung, in dem Guerilla-Charakter sowohl der stra-tegischen als auch der taktischen Operationen, der im Augenblick 

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noch notwendig ist in der unvermeidbaren Veränderlichkeit unseresStützpunktgebiets, in der Beweglichkeit bei der Aufbauplanung des

Stützpunktgebiets, in der Ablehnung vorzeitiger Regularisierung der Roten Armee. In diesem Zusammenhang ist es unzulässig, ungün-stig, ja, sogar gefährlich für unsere gegenwärtigen Operationen, diegeschichtlichen Tatsachen zu leugnen, sich der Beibehaltung des

 Nützlichen zu widersetzen und sich übereilt von dem jetzigen Stadi-um loszusagen, um blindlings auf ein «neues Stadium» loszustür-men, das vorerst noch außerhalb unserer Reichweite liegt und imAugenblick keinerlei reale Bedeutung hat.Hinsichtlich der technischen Ausrüstung und der Organisation der Roten Armee stehen wir jetzt an der Schwelle eines neuen Stadiums.Wir müssen darauf vorbereitet sein, in dieses Stadium einzutreten.Mangelnde Vorbereitung wäre falsch und schädlich für unsere künf-tige Kriegführung. In der Zukunft, wenn die technischen und organi-satorischen Bedingungen der Roten Armee sich gewandelt habenwerden und der Aufbau in ein neues Stadium getreten sein wird,

werden ihre Operationsrichtungen und Kampflinien beständiger sein;Stellungskrieg wird häufiger sein; die Veränderlichkeit des Krieges,unseres Territoriums und unserer Aufbauarbeit wird immer mehr eingeschränkt werden und schließlich ganz verschwinden, und ge-genwärtige Beschränkungen die Überlegenheit des Feindes und seinestark befestigten Stellungen werden dann keine Hindernisse mehr für uns sein.

Wir widersetzen uns jetzt den falschen Maßnahmen, die noch aus jener Periode stammen, in der die «Links»-Opportunisten am Ruder waren, und gleichzeitig der Wiederbelebung vieler Züge des Irregu-lären, die die Rote Armee in ihren Anfängen zeigte, die aber jetztnicht mehr notwendig sind. Wir sollten jedoch unbedingt die vielenwertvollen Prinzipien für den Aufbau einer Armee sowie für Strate-gie und Taktik, nach denen die Rote Armee immer wieder ihre Siege

errungen hat, erneuern. Alles, was in der Vergangenheit gut war,sollten wir zu einer systematischen, höher entwickelten und differen-zierten Kriegführung zusammenfassen, um heute Siege über denFeind zu erringen und den Übergang in das neue Stadium der Zu-kunft vorzubereiten.Die bewegliche Kampfführung hält zahlreiche Probleme für uns

 bereit, so die Erkundung der Lage, ihre Beurteilung, Entscheidung,

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Kampfaufstellung, Kommando, Versteck, Zusammenziehung der Truppen, Vorstoß, Aufmarsch, Angriff, Verfolgung, Überraschungs-

angriff, Verteidigung aus der Stellung heraus, Gefechtstätigkeit,Rückzug, Nachtkampf, Spezial-Operationen, starken Einheiten aus-weichen und schwache angreifen, den Gegner bedrängen, um einenSchlag gegen seine Verstärkungen zu führen, Scheinangriff, Luftab-wehr, Operationen gegen bestimmte Einheiten des Feindes, Umge-hungsmanöver, aufeinanderfolgende Operationen, Operationen ohneHinterland, die nötigen Ruhepausen zum Aufbau der Kräfte. DieseProbleme enthielten viele spezifische Züge in der Geschichte der Roten Armee, mit denen man sich methodisch beschäftigen sollteund die in der Feldzugswissenschaft zusammengefaßt werden soll-ten, auf die ich hier jedoch nicht eingehen kann.

8. Krieg der raschen Entscheidung

Ein strategisch verlängerter Krieg und Feldzüge oder Schlachten mit

rascher Entscheidung sind zwei Seiten ein und derselben Sache, zweiPrinzipien, auf die wir in Bürgerkriegen gleichmäßigen und gleich-zeitigen Nachdruck legen müssen und die auch in antiimperialisti-schen Kriegen anwendbar sind.Die revolutionären Kräfte können nur langsam wachsen, da die reak-tionären Kräfte sehr stark sind, und diese Tatsache bestimmt dielange Dauer unseres Krieges. Hier ist jede Ungeduld schädlich und

  jedes Drängen auf «rasche Entscheidung» falsch. Anderen Ländernmag es überraschend vorkommen, daß man zehn Jahre hindurcheinen revolutionären Krieg führen kann, wie wir es getan haben; aber für uns sind sie wie die Eröffnungspartien eines «achtbeinigen Auf-satzes» — nämlich die «Vorstellung, Erweiterung und vorangehendeExposition des Themas» 36 -, dem noch viele erregende Teile folgenwerden. Zweifellos wird die künftige Entwicklung unter dem Einfluß

der Umstände in China sowie im Ausland erheblich beschleunigtwerden. Da die Lage im Ausland sowie die in China sich bereitsverändert haben und größere Veränderungen bevorstehen, kann manwohl sagen, daß wir der Vergangenheit, in der wir nur langsam vo-rankamen und in der Isolation kämpften, entwachsen sind. Aber wir dürfen auch nicht erwarten, daß die Erfolge über Nacht kommen. Der Drang, «vor dem Frühstück mit dem Feind aufzuräumen», ist zwar 

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  bewundernswert, doch lassen sich auf ihm keine konkreten Pläneaufbauen. Da die reaktionären Kräfte Chinas von vielen imperialisti-

schen Mächten unterstützt werden, wird unser revolutionärer Kriegweiterhin ein Krieg von langer Dauer sein, bis die revolutionärenKräfte Chinas genügend Macht gesammelt haben, die wichtigstenPositionen der inneren und äußeren Feinde zu brechen, bis die revo-lutionären Kräfte aller Länder den Hauptteil der internationalen reak-tionären Kräfte zerschlagen und handlungsunfähig gemacht haben.Einer der wichtigsten Grundsätze unserer Strategie des verlängertenKrieges ist, daß man bei ihrer Formulierung von diesem Punkt aus-geht.Für Feldzüge und Schlachten gilt das gegenteilige Prinzip nicht langeDauer, sondern rasche Entscheidung. In Feldzügen und Schlachtenwird rasche Entscheidung gesucht, das gilt für alle Zeiten und alleLänder. Und auch wenn man den Krieg im ganzen betrachtet, wirdnormalerweise zu allen Zeiten und in allen Ländern die rasche Ent-scheidung gesucht, und ein hingezogener Krieg wird als schädlich

angesehen. Trotzdem muß der Krieg in China mit größter Geduld behandelt und als ein verlängerter Krieg angesehen werden. Zur Zeitder Li Li-san-Politik bezeichneten manche Leute unser Verhaltenspöttisch als «Schattenboxen» und meinten damit unsere Taktik,viele Vorstoß- und Rückzugsgefechte zu führen, bevor wir darangin-gen, uns der großen Städte zu bemächtigen. Sie behaupteten, wir würden den Sieg der Revolution erst zu Gesicht bekommen, wenn

unser Haar weiß geworden sei. Es hat sich längst erwiesen, daß sol-che Ungeduld fehl am Platze ist. Überträgt man jedoch den Inhaltdieser Kritik von der Strategie auf die Taktik bei Feldzügen undSchlachten, so erweist sie sich als vollkommen richtig, und zwar ausden folgenden Gründen: 1. Die Rote Armee hat keine Hilfsquellen,um ihre Bestände an Waffen und vor allem an Munition aufzufüllen.2. Die Weißen verfügen über mehrere Armeen, während es nur eine

einzige Rote Armee gibt, die bereit sein muß, in rascher Folge eineOperation nach der anderen durchzuführen, um jeden einzelnen«Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug zum Scheitern zu brin-gen. 3. Obgleich die Weißen Armeen getrennt vorrücken, bleiben siesich dabei doch verhältnismäßig nahe, und wenn wir daher beimAngriff auf eine dieser Armeen nicht zu einer raschen Entscheidungkommen, werden sich die anderen konzentrisch auf uns stürzen. Aus

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all diesen Gründen müssen wir schnelle Entscheidungskämpfe an-streben. Gewöhnlich beenden wir eine Schlacht in wenigen Stunden

oder doch in ein bis zwei Tagen. Nur wenn wir die Absicht haben,«den Feind zu bedrängen, um einen Schlag gegen seine Verstärkungzu führen», und wenn es uns dabei vor allem darauf ankommt, nichtden bedrängten Feind, sondern seine Verstärkung zu vernichten,müssen wir uns auf eine bestimmte Dauer unserer Operationen ge-faßt machen. Aber selbst dann streben wir noch immer eine schnelleEntscheidung beim Kampf gegen diese Verstärkungen an. Ein Planfür lang andauernde Operationen kommt öfters in Feldzügen undSchlachten zur Anwendung, wenn wir, strategisch gesehen, in der Defensive sind und hartnäckig gewisse Positionen in einer festenFront verteidigen, oder wenn wir bei einer strategischen Offensiveisolierte, von jeder Hilfe abgeschnittene feindliche Einheiten angrei-fen oder auch Widerstandsnester der Weißen innerhalb unserer Stützpunktgebiete liquidieren wollen. Aber lang andauernde Opera-tionen dieser Art bedeuten für die Rote Armee bei ihren auf schnelle

Entscheidung abzielenden Kämpfen mehr Hilfe als Hindernis.Eine schnelle Entscheidung wird nicht erreicht, wenn man sie her-

  beiwünscht, sondern es sind hierzu ganz besondere Bedingungenerforderlich. Die Hauptbedingungen lauten: angemessene Vorberei-tung, Erfassung des günstigsten Augenblicks, Zusammenziehungüberlegener Streitkräfte, Anwendung der Einkreisungs- und Umge-hungstaktiken, günstiges Gelände, Angriffe gegen den Feind, solange

er sich in Bewegung befindet oder wenn er sich festzusetzen beginnt,aber seine Stellungen noch nicht verstärkt hat. Wenn diese Bedin-gungen nicht erfüllt sind, läßt sich in einem Feldzug oder in einer Schlacht keine schnelle Entscheidung erzwingen.Um einen feindlichen «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzug zuzerschlagen, bedarf es eines großangelegten Feldzugs; doch auchhier muß man nach dem Prinzip der raschen Entscheidung und nicht

nach dem des lange dauernden Krieges handeln. Denn Arbeitskraft,finanzielle Hilfsquellen und militärische Kraft in einem Stützpunkt-gebiet dulden keine lange Kriegsdauer.Obgleich rasche Entscheidung das allgemeine Prinzip ist, müssen wir doch vor einer unangebrachten Ungeduld warnen. Der höchste mili-tärische und politische Führungsstab eines Stützpunktgebietes mußdie allgemeinen Bedingungen in diesem Gebiet sowie die Lage des

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Feindes genau einkalkulieren und darf sich unter keinen Umständendurch die Grausamkeit des Feindes einschüchtern lassen, vor ertrag-

  baren Strapazen nicht fürchten und sich durch Rückschläge nichtentmutigen lassen, auch muß er die nötige Geduld und Ausdauer aufbringen. Die Zerschlagung des ersten feindlichen «Einkreisungs-und Vernichtungs»-Feldzuges in Kiangsi nahm von der ersten bis zur letzten Schlacht nur eine Woche in Anspruch. Der zweite Feldzugwurde in knapp vierzehn Tagen zerschlagen; der dritte zog sich dreiMonate hin, bevor er zum Stillstand kam; der vierte dauerte dreiWochen, und der fünfte stellte unsere Ausdauer ein ganzes Jahr auf die Probe. Als wir es nicht geschafft hatten, den fünften Feldzug desFeindes zu zerschlagen, und nun gezwungen waren, seine Einkrei-sung zu durchbrechen, legten wir dabei eine unverantwortliche Eilean den Tag. Unter den Umständen, die damals herrschten, hätten wir noch weitere zwei oder drei Monate durchhalten und unseren Trup-

 pen eine Ruhe- und Erholungspause gönnen sollen. Hätten wir dasgetan und hätte unser Führungsstab sich nach dem Durchbruch etwas

klüger verhalten, dann hätte das Ende ganz anders ausgesehen.Bei alledem bleibt jedoch der Grundsatz, daß man die Dauer einesFeldzuges nach Möglichkeit abkürzen soll, noch immer in Kraft. Beider Aufstellung von Feldzugsund Schlachtplänen müssen wir einMaximum an Anstrengung auf die Konzentration der Truppen, denBewegungskrieg usw. verwenden, um die Vernichtung des Feindesauf den inneren Kampflinien (also innerhalb des Stützpunktes) zu

sichern und die rasche Niederschlagung seines «Einkreisungs- undVernichtungs»-Feldzuges; wenn es sich jedoch zeigt, daß der Feld-zug nicht auf unseren inneren Kampflinien beendet werden kann,sollten wir die Hauptstreitmacht der Roten Armee dazu einsetzen, dieUmzingelung des Feindes zu durchbrechen und auf unsere äußerenKampflinien (die inneren Kampflinien des Feindes also) hinüberzu-wechseln, um ihn dort zu schlagen. Nun, da der Feind seinen Stel-

lungskrieg so beträchtlich entwickelt hat, wird dies unsere üblicheOperationsmethode werden. Zur Zeit des Zwischenfalls von Fukien37, zwei Monate nach Beginn unseres fünften Gegenfeldzuges, hätteman zweifellos die Hauptstreitmacht der Roten Arme in das Gebietvon Kiangsu-Chekiang-Anhwei-Kiangsi mit Chekiang als Mittel-

 punkt vorschicken und dann nach allen Richtungen durch den Bezirk zwischen den Städten Hangchow, Soochow, Nanking, Wuhu, Nan-

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chang und Foochow marschieren lassen sollen. So hätten wir unserestrategische Defensive in eine strategische Offensive umgewandelt,

die lebenswichtigen Zentren des Feindes bedroht und in den weitenGebieten, in denen der Feind noch keine Stellungen hatte, denKampf gesucht. Wir hätten durch diese Maßnahmen den Feind, der im südlichen Kiangsi und im westlichen Fukien angriff, zur Umkehr gezwungen, da er ja seine lebenswichtigen Zentren hätte verteidigenmüssen, wir hätten seinen Angriff auf den Stützpunkt in Kiangsizurückgeworfen und der Volksregierung in Fukien Hilfe bringenkönnen ganz gewiß hätten wir das tun können. Da jedoch dieser Planabgelehnt wurde, konnte der fünfte «Einkreisungs- und Vernich-tungs»Feldzug nicht zerschlagen werden, und der Zusammenbruchder Volksregierung war unvermeidlich. Und obgleich es nach einjäh-rigen Kämpfen für uns ungünstig geworden war, gegen Chekiangvorzurücken, hätten wir trotzdem in einer anderen Richtung zur stra-tegischen Offensive übergehen können, wenn wir nämlich unsereHauptstreitkräfte gegen Hunan in Marsch gesetzt hätten und somit in

Mittelhunan eingedrungen wären, anstatt durch Hunan gegen Kwei-chow zu ziehen. Auf diese Weise hätten wl. den Feind aus Kiangsinach Hunan hineingetrieben und ihn dort vernichtet. Als auch dieser Plan abgelehnt wurde, war jede Hoffnung, den fünften Feldzug desFeindes zu zerschlagen, endgültig zunichte gemacht, und uns bliebnichts anderes übrig, als uns auf den Langen Marsch zu begeben.

9. Vernichtungskrieg

Es ist unangebracht, der Roten Armee Chinas heute zu einem «Zer-mürbungskampf» zu raten. Schließlich wäre es auch recht lächerlich,wollte man einen «Wettbewerb der Reichtümer» nicht zwischen zweiDrachenkönigen, sondern zwischen einem Drachenkönig und einemBettler veranstalten. Für die Rote Armee, die fast ihre gesamte Aus-

rüstung vom Feind bezieht, ist der Vernichtungskrieg die grundsätz-lich richtige Politik. Nur indem wir die effektive Stärke des Feindes.vernichten, können wir seine «Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzüge zerschlagen und unsere revolutionären Stützpunkte aus-dehnen. Dem Feind Verluste zuzufügen, ist ein Weg zu seiner Ver-nichtung sonst hätten sie keinen Sinn. Indem wir dem Feind Verlustezufügen, haben wir selber Verluste, die jedoch durch die Vernich-

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tung seiner Einheiten aufgewogen werden. Wir gleichen hierbei nichtnur unsere Verluste aus, sondern vergrößern die Stärke unserer Ar-

mee. Eine Schlacht, in welcher der Feind geschlagen wird, ist nichtgrundsätzlich entscheidend, wenn wir es mit einem sehr starkenGegner zu tun haben. Trotzdem bedeutet eine Vernichtungsschlachtstets einen schweren und unmittelbaren Schlag für jeden Gegner. Esist wirksamer, einem Mann einen Finger abzuhacken, als alle zehnFinger zu verletzten; es ist wirksamer, eine Division des Feindes zuvernichten, als zehn in die Flucht zu schlagen.Bei der Bekämpfung des ersten, zweiten, dritten und vierten «Ein-kreisungs- und Vernichtungs»-Feldzugs des Feindes wandten wir dieMittel des Vernichtungskrieges an. Die Streitkräfte, die bei jedemdieser Feldzüge vernichtet wurden, stellten zwar nur einen Teil der Gesamtstreitmacht des Feindes dar, und doch wurden so alle diese«Einkreisungs- und Vernichtungs»-Feldzüge zerschlagen. Bei unse-rem fünften Gegenfeldzug aber verfolgten wir die entgegengesetztePolitik, und diese Tatsache ermöglichte es dem Feind, seine Ziele zu

erreichen.Der Vernichtungskrieg bedingt die Zusammenziehung größerer Truppenmengen und die Anwendung von Einkreisungs- und Umge-hungstaktiken. Das eine ist ohne das andere nicht durchzuführen.Unentbehrliche Vorbedingungen für die Vernichtung des Gegnerssind die Unterstützung durch die Bevölkerung, ein günstiges Gelän-de, eine verwundbare feindliche Streitmacht und der Vorteil der 

Überraschung.Einen Feind lediglich zu schlagen oder ihn entweichen zu lassen, hatnur dann Sinn, wenn unsere Hauptstreitmacht in der Schlacht oder dem gesamten Feldzug ihre Vernichtungsoperationen auf anderefeindliche Einheiten konzentriert. Andernfalls ist eine solcheSchlacht sinnlos. So werden die Verluste durch die Gewinne gerecht-fertigt.

Auch wenn wir eine eigene Kriegsindustrie aufbauen, so dürfen wir doch nicht von ihr abhängig werden. Es muß ein Grundsatz unserer Politik bleiben, daß wir uns hinsichtlich unseres eigenen Bedarfs auf die Kriegsindustrie der imperialistischen Länder und die unseresFeindes im eigenen Land verlassen. Wir haben einen Anspruch auf die Produktion der Arsenale von London und Hanyang, und dieseProduktion wird uns obendrein noch von den Transportabteilungen

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des Feindes angeliefert. Das ist kein Scherz, sondern die reine Wahr-heit.

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Anmerkungen

1. Mao Tse-tung bezeichnet China als kolonial, weil Gebiete wieHongkong, Formosa usw. von fremden Mächten annektiert waren,als halbkolonial, weil ausländische Mächte über bestimmte Vorrech-te wie Konzessionen und eigene Konsulargerichtsbarkeiten und Ter-ritorien verfügten, als halbfeudal, weil die feudale Ordnung bereitsangegriffen und die kapitalistische Wirtschaft im Entstehen war.(Anm. Red.)

2. Die Wissenschaft der Strategie, die Feldzugswissenschaft und dietaktische Wissenschaft bilden Teile der chinesischen Militärwissen-schaft. Die Wissenschaft der Strategie behandelt Gesetzmäßigkeitender gesamten Kriegssituation, die Feldzugswissenschaft behandeltGesetzmäßigkeiten der Feldzüge und die taktische Wissenschaft

 behandelt Gesetzmäßigkeiten der Schlachten.3. Sun Wu Tzu oder Sun Wu war ein berühmter chinesischer Mili-

tärwissenschaftler aus dem 5. Jahrhundert v. Chr., der den <SunTzsu> schrieb, eine aus dreizehn Kapiteln bestehende Abhandlungüber den Krieg. Das Zitat stammt aus dern 3. Kapitel mit dem Titel<Die Strategie des Angriffs>.4. Mao Tse-tung rechnet zu den Kleineigentümern jene sozialenGruppen (halbselbständige Bauern, kleine Handwerker, Kleinhändler usw.) die zu einem geringen Teil noch über eigene Produktionsmittel

oder eigenen Landbesitz verfügen. Wörtlich wird diese Gruppe, diezum Halbproletariat gehört und die gemeinsam mit den Bauern diegroße Masse der Landbevölkerung bildet, als «halb-

 produktionsmittellose Klasse» bezeichnet. (Siehe auch (Analyse der chinesischen Gesellschaftsklassen> vom März 1926, in: Mao Tse-tung <Ausgewählte Schriften>, Frankfurt a. M. 1963.) (Anm. Red.)5. Als international verpflichtete Bourgeoisie werden hauptsächlich

  jene Handelsherren bezeichnet, deren Handelshäuser ausländischeInteressen in China vertreten. Diese Handelsleute werden Comprado-res nach den in iberischen Diensten stehenden Kaufleuten der Ming-Zeit (1368-1644) genannt. Während des 19. Jahrhunderts war einzigdiesen Kaufleuten der Handel mit dem Ausland erlaubt. (Siehe auch'Analyse der chinesischen Gesellschaftsklassen' vom März 1926 in:Mao Tse-tung (Ausgewählte Schriften, Frankfurt a. M., 1963.)

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(Anm. Red.)6. Im Jahre 1936, als Genosse Mao Tse-tung diesen Artikel verfaßte,

waren seit der Gründung der Kommunistischen Partei Chinas im Juli1921 genau fünfzehn Jahre vergangen.7. Chen Tu-hsiu war ursprünglich Professor an der Pekinger Univer-sität und wurde dann als einer der Herausgeber der Neuen Jugend

 berühmt. Er gehört zu den Begründern der Kommunistischen ParteiChinas. Auf Grund des Rufs, den er zur Zeit der «Bewegung vom 4.Mai» [1919] genoß, und auch auf Grund der Unreife der Partei inihrem Anfangsstadium wurde er Generalsekretär der Partei. In der letzten Periode der Revolution von 1924-1927 entwickelte sich dasvon Chen Tu-hsiu vertretene «Rechtsabweichlertum» innerhalb der Partei zur Kapitulationsbereitschaft. Genosse Mao Tse-tung sagt, dieKapitulationisten hätten zu jener Zeit «freiwillig die Führerschaft der Partei über die Massen der Bauern, das städtische Kleinbürgertumund die mittlere Bourgeosie aufgegeben, vor allem aber die Führer-schaft der Partei über die bewaffneten Kräfte, und damit die Nieder-

lage der Revolution verursacht». (Die gegenwärtige Lage und unsereAufgaben) in: Ausgewählte Schriften Mao Tse-tungs Band IV, Pe-king 1961.) Nach der Niederlage von 1927 verloren Chen Tu-hsiuund eine Handvoll anderer Kapitulationisten allen Glauben an dieZukunft der Revolution und wurden zu Liquidationisten. Sie vertra-ten den reaktionären trotzkistischen Standpunkt und gründeten mitden Trotzkisten eine kleine parteifeindliche Fraktion. Konsequenter-

weise wurde Chen Tu-hsiu im November 1929 aus der Partei ausge-stoßen. Er starb im Jahre 1942.8. Der «Links»-Opportunismus Li Li-sans, allgemein als «Li Li-san-Linie» bekannt, läßt sich auf die links-opportunistische Tendenzzurückführen, die von Juni 1930 an für vier Monate in der Parteiexistierte. Ihr Hauptvertreter war Genosse Li Li-san, der zu jenemZeitpunkt ein sehr einflußreiches Mitglied des Zentralkomitees der 

Kommunistischen Partei Chinas war. Die Politik Li Lisans ist durchfolgendes gekennzeichnet: Sie verstieß gegen die vom Sechsten Na-tionalkongreß festgelegte Politik; sie verneinte, daß für die Revoluti-on der Aufbau der Massen notwendig sei, und sie wollte nicht einse-hen, daß die Entwicklung der Revolution ungleichmäßig voranging;sie betrachtete die Ideen des Genossen Mao Tse-tung, daß wir auf lange Zeit hinaus unsere Aufmerksamkeit vor allem darauf richten

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müßten, ländliche Stützpunkte zu schaffen, mit Hilfe der ländlichenGebiete die Städte einzukreisen und diese Stützpunkte dazu zu ver-

wenden, das ganze Land mit einer hohen Brandungswoge der Revo-lution zu überschwemmen, als einen «für die bäuerliche Mentalitätcharakteristischen, äußerst irrigen ... lokal begrenzten und konserva-tiven Standpunkt»; sie verlangte, daß man Vorbereitungen für sofor-tige Aufstände in allen Teilen des Landes treffen solle. Auf Grunddieser falschen Meinung entwarf Genosse Li Li-san einen abenteuer-lichen Plan zur Organisierung sofortiger bewaffneter Aufstände inden wichtigeren Städten des ganzen Landes. Gleichzeitig weigerte er sich, die Ungleichmäßigkeit in der Entwicklung der Weltrevolutionanzuerkennen, und behauptete, der allgemeine Ausbruch der chinesi-schen Revolution müsse unweigerlich zu einem allgemeinen Aus-

  bruch der Weltrevolution führen und die chinesische Revolutionkönne nur Erfolg haben, wenn sie von einem Ausbruch der Weltre-volution begleitet sei. Er wollte auch nicht einsehen, daß die bürger-lich-demokratische Revolution in China ein langwieriger Prozeß ist,

und erklärte, sobald sich in einer oder mehreren Provinzen ein Siegabzeichne, sei damit der Beginn eines Übergangs zur sozialistischenRevolution gegeben. In dieser Weise formulierte er eine ganze Reiheunzutreffender und abenteuerlicher «linker» Devisen. Genosse MaoTse-tung widersprach diesen irrigen Ansichten, und auch die breitenMassen der Kader und Parteimitglieder verlangten ihre Berichtigung.Auf der dritten Plenarsitzung des Sechsten Zentralkomitees der Par-

tei im September 1930 gab Genosse Li Li-san die Fehler, die manihm vorgeworfen hatte, zu und trat von seinem leitenden Posten imZentralkomitee zurück. Nachdem Genosse Li Li-san lange Zeit hin-durch bestrebt gewesen war, seine falschen Ansichten zu korrigieren,wurde er auf dem Siebenten Nationalkongreß der Partei wieder insZentralkomitee gewählt.9. Bei seiner dritten Plenarsitzung, die im September 1930 abgehal-

ten wurde, beschieß das Sechste Zentralkomitee der Partei eine Reihe  positiver Maßnahmen, um der Politik Li Li-sans ein Ende zu ma-chen. Nach der Sitzung jedoch traten einige Parteimitglieder, dienoch keine Erfahrung im praktischen revolutionären Kampf hatten anihrer Spitze die Genossen Chen Shae-yu (Wang Ming) und ChinPang-hsien (Po Ku) -, wiederum gegen die Maßnahmen des Zentral-komitees auf. In ihrer Flugschrift 'Die zwei Linien oder Der Kampf 

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um die weitere Bolschewisierung der Kommunistischen Partei Chi-nas» erklärten sie mit leidenschaftlichem Nachdruck, die Hauptge-

fahr innerhalb der Partei sei nicht der «Linksopportunismus», son-dern der «Rechtsopportunismus». Um ihre eigene Tätigkeit zu recht-fertigen, kritisierten sie die Li Li-san-Linie als «rechts orientiert».Sie legten ein neues politisches Programm vor, das die Li Li-san-Linie sowie andere «linke» Ideen und Anschauungen auf eine neueWeise fortführte, wiederbelebte oder entwickelte, und wandten sichgegen die richtigen Anschauungen des Genossen Mao Tse-tung.Genosse Mao Tse-tung schrieb das Werk <Strategische Probleme inChinas revolutionärem Krieg> in der Hauptsache, um die militäri-schen Fehler dieser neuen «Linksopportunisten» einer Kritik zu un-terziehen. Diese irrige Einstellung dominierte in der Partei von der Vierten Plenarsitzung des Sechsten Zentralkomitees im Januar 1931

 bis zur Versammlung des Politbüros, die im Jahre 1935 in Tsunyi inder Provinz Kweichow durch das Zentralkomitee einberufen wurde.Hier endete die Vorherrschaft dieser irrigen Einstellung und es wur-

de eine neue Führung des Zentralkomitees unter dem Vorsitz vonGenosse Mao Tse-tung eingesetzt. Die irrige «Linkslinie» dominiertealso eine sehr beträchtliche Zeit (4 Jahre) in der Partei und brachteder Partei wie der Sache der Revolution außerordentlich schwereVerluste mit katastrophalen Folgen. Die Kommunistische Partei Chi-nas, die chinesische Rote Armee und ihre Stützpunkte erlitten einenVerlust von 90%. In den revolutionären Stützpunktgebieten mußten

mehrere zehn Millionen Menschen unter der grausamen Unterdrük-kung durch die Kuomintang leiden, und der Fortschritt der chinesi-schen Revolution wurde verzögert. Die meisten der Genossen, diediese irrige Ansicht vertreten hatten, haben auf Grund persönlicher Erfahrungen im Verlauf einer Reihe von Jahren ihre Fehler erkanntund revidiert und daraufhin der Partei und dem Volk noch vielewertvolle Dienste geleistet. Unter der Führung des Genossen Mao

Tse-tung haben sie sich mit allen anderen Parteigenossen auf der Basis eines gemeinsamen politischen Verständnisses zusammenge-funden. Die von der Siebenten Plenarsitzung des Sechsten Zentral-komitees im April 1945 angenommene «Resolution über bestimmteFragen in der Geschichte unserer Partei» enthielt eine ausführlicheÜbersicht über die verschiedenen Aspekte dieser irrigen Meinung.10. Chang Kuo-tao war ein Verräter an der chinesischen Revolution.

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Da er auf den Erfolg der Revolution spekulierte, trat er schon als junger Mann in die Kommunistische Partei Chinas ein. Innerhalb der 

Partei beging er viele Fehler und machte sich schließlich ernster Verbrechen schuldig. Vor allem widersetzte er sich im Jahre 1935dem Nordmarsch der Roten Armee und befürwortete einen defaitisti-schen und liquidationistischen Rückzug der Roten Armee in die Ge-

 biete der nationalen Minderheiten an der Grenze zwischen Szechuanund Sikang. Außerdem entfaltete er ganz öffentlich eine verräteri-sche Tätigkeit gegen die Partei und das Zentralkomitee, begründetesein eigenes Pseudo-Zentralkomitee, zerstörte die Einheit der Parteiund der Roten Armee und war so verantwortlich für die schwerenVerluste, welche die Vierte Frontarmee erlitt. Dank der geduldigenErziehungsarbeit, die Genosse Mao Tse-tung und das Zentralkomiteeleisteten, unterstellten sich die Vierte Frontarmee und ihre zahlrei-chen Kader bald wieder der rechtmäßigen Führerschaft des Zentral-komitees und spielten in den späteren Kämpfen eine ehrenhafte Rol-le. Chang Kuo-tao hingegen, der sich als unbelehrbar erwies, entwich

im Frühjahr 1938 aus der Grenzgegend von Shensi-Kansu-Ningsiaund trat in die Geheimpolizei der Kuomintang ein.11. Das Offiziers-Schulungskorps in Lushan war ein Institut, dasTschiang Kai-schek im Juli 1933 im Lushan-Gebirge von Kiukang inder Provinz Kiangsi begründete und in dem antikommunistischeMilitärkader trainiert wurden. In regelmäßigem Turnus wurden Offi-ziere der bewaffneten Kräfte Tschiang Kaischeks dorthin entsandt,

um an den von deutschen, italienischen und amerikanischen Instruk-teuren geleiteten faschistischen militärischen und politischen Trai-ningskursen teilzunehmen.Diese neuen militärischen Prinzipien sind im wesentlichen der Anlaßfür die «Stellungskrieg»-Politik Tschiang Kai-scheks, nach der seineTruppen immer nur stückweise vorrückten und sich nach jedem An-lauf sofort wieder verschanzten.

12. In einer Kritik über den ungarischen Kommunisten Bela Kunsagte Lenin, daß dieser «das Wichtigste am Marxismus, die lebendi-ge Seele des Marxismus, nämlich die konkrete Analyse der konkre-ten Bedingungen aufgegeben habe». (<Kommunismus> in W. I.Lenin Gesammelte Werke.)13. Der Erste Parteikongreß im Grenzbezirk von Hunan-Kiangsiwurde am 30. Mai 1928 in Maoping im Distrikt Ningkang abgehal-

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ten.14. Die Bezeichnung «Marodeurstum» bezieht sich auf die Plünde-

rungen und Ausschreitungen, die sich aus einem Mangel an Diszi- plin, Organisation und eindeutiger politischer Führung ergeben.15. Bei ihrem Langen Marsch von 25 000 Li (12 500 km) zog dieRote Armee von der Provinz Kiangsi in den Nordteil der ProvinzShensi. Im Oktober 1934 begann die Erste Frontarmee, also die Zentrale Rote Armee,

 bestehend aus der Ersten, der Dritten und der Fünften Armeegruppeder Roten Armee der chinesischen Arbeiter und Bauern, ihren großenstrategischen Rückzug. Sie brach von Changting und Ninghua imwestlichen Fukien und von Juichin und Yutu im südlichen Kiangsiauf und durchzog die elf Provinzen Fukien, Kiangsi, Kwangtung,Hunan, Kwangsi, Kweichow, Szechuan, Yünnen, Sikang, Kansu undShensi. Sie überwand hohe, von ewigem Schnee bedeckte Berge undmarschierte quer durch wilde, unbewohnte Sumpfgebiete. Nachdemdie Rote Armee unsagbare Leiden erduldet und immer wieder die

Einkreisungs-, Verfolgungs- und Störversuche des Feindes zunichtegemacht hatte, beendete sie im Oktober 1935 ihren ununterbrochenen Marsch über 25 000 Li und langtesiegreich im revolutionären Stützpunktgebiet von Nordshensi an.16. In der alten chinesischen Farbsymbolik verkörpert die Farbe Rotdas Erfreuliche, Lebendige, das Glück; hingegen wird Weiß stets zur Kennzeichnung des Unglücks, der Trauer und des Todes gebraucht.

(Anm. Red.)17. Die Zeit nach der Niederschlagung des Dezemberaufstands von1905, in der die revolutionäre Flut in Rußland allmählich abebbte.Siehe hierzu 'Kurzer Abriß der Geschichte der KPdSU (B), Kap. 3,Abschnitte 5 und 6.18. Der Friedensvertrag von Brest-Litowsk wurde im März 1918zwischen Sowjetrußland und Deutschland abgeschlossen. Die revo-

lutionären Truppen, die sich einer offensichtlich überlegenen Streit-macht gegenübersahen, mußten vorübergehend zurückweichen, umzu vermeiden, daß die deutschen Imperialisten einen Angriff gegendie neuentstandene Sowjetrepublik unternahmen, die noch nicht über eine eigene Armee verfügte. Durch den Abschluß dieses Vertragesgewann die Sowjetrepublik Zeit, um die politische Macht des Prole-tariats zu festigen, die Wirtschaft zu reorganisieren und die Rote

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Armee aufzubauen. So konnte das Proletariat eindeutig die Führungüber die Bauern übernehmen und eine Streitmacht auf die Beine

stellen, die stark genug war, die Weißgardisten und dieInterventionstruppen Großbritanniens, der Vereinigten Staaten,Frankreichs, Japans, Polens und anderer Staaten in den Jahren 1918-20 zu schlagen.19. Am 30. Oktober 1927 begannen die Bauern von Haifeng undLufeng in der Provinz Kwangtung unter Führung der Kommunisti-schen Partei Chinas mit ihrem dritten Aufstand. Sie besetzten Hai-feng, Lufeng und die umliegenden Gebiete, organisierten eine RoteArmee und eine demokratische Arbeiter- und Bauernregierung. Spä-ter wurden sie besiegt, weil sie den Fehler begingen, den Feind zuunterschätzen.20. Im Herbst 1936 vereinigten sich die Vierte Frontarmee und dieZweite Frontarmee der Roten Armee und zogen gemeinsam aus demnordöstlichen Teil von Sikang nach Norden. Chang Kuo-tao beharrtezu dieser Zeit noch auf seiner Rückzugsund Liquidierungspolitik, die

er bis dahin verfolgt hatte. Als dann im Oktober desselben Jahres dieZweite und die Vierte Frontarmee in Kansu eintrafen, befahl ChangKuo-tao den Vorhuteinheiten der Vierten Frontarmee, die insgesamtmehr als 20 000 Mann stark waren, sich zu einer Westkolonne zu-sammenzuschließen, die den Gelben Fluß überschreiten und westlichgegen Chinghai vorstoßen sollte. Nachdem diese Westkolonne schonim Dezember 1936 durch Niederlagen in mehreren Schlachten prak-

tisch vernichtet wurde, erfolgte ihre endgültige Vernichtung im März1937.21. Siehe hierüber den Brief von Marx an Kugelmann über die Pari-ser Kommune.22. <Shui Hu Chuan> ist der Titel eines berühmten chinesischenRomans, in dem ein Bauernkrieg beschrieben wird. Er wird Shih

  Nai-an zugeschrieben, der gegen Ende der Yuan-Dynastie und zu

Beginn der Ming-Dynastie (im 14. Jahrhundert n. Chr.) lebte. LinChung und Chai Chin sind Helden dieses Romans. Hung ist der Ausbilder auf dem Besitztum Chai Chins.23. Die Staaten Lu und Chi waren zwei Feudalstaaten der Frühlings-und Herbstära (722—481 v. Chr.). Der Staat Chi war ein großer Staatin der Mitte der heutigen Provinz Shantung, der Staat Lu war kleiner und lag im südlichen Teil dieser Provinz. Der Herzog Chuang regier-

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te von 693 bis 662 v. Chr. über Lu.24. Tsochiu Ming war der Verfasser des <Tso Chuan>, einer klassi-

schen Chronik der Tschou-Dynastie. Der zitierte Abschnitt steht indem Kapitel dieses Werks, das die Überschrift <Das zehnte Jahr desHerzogs Chuang> (684 v. Chr.) trägt.25. Die alte Stadt Chengkao im Nordwesten des heutigen BezirksChengkao der Provinz Honan war von großer militärischer Bedeu-tung. Sie war Schauplatz der Kämpfe, die im Jahre 203 v. Chr. zwi-schen dem König Liu Fang von Han und dem König Hsiang Yu vonChu stattfanden. Zuerst nahm Hsiang Yu Yunyang und Chengkao,und Liu Pangs Truppen wurden fast völlig geschlagen. Liu Fangwartete den Augenblick ab, in dem Hsiang Yus Truppen, die denChishui-Fluß überquerten, sich mitten im Strombett befanden. Dannstürzte er sich auf sie und eroberte Chengkao zurück.26. Die alte Stadt Kunyang im Norden des heutigen Bezirks Yehhsi-en der Provinz Honan war der Ort, an dem Liu Hsiu, der Begründer der östlichen Han-Dynastie, im Jahre 23 v. Chr. die Truppen Wang

Mangs, des Kaisers der Hsin-Dynastie, schlug. Zahlenmäßig bestandein außerordentlich großer Unterschied zwischen den beiden Partei-en, denn Liu Hsius Streitkräfte betrugen insgesamt 8000 bis 9000Mann, während Wang Mang über ein Heer von 400 000 Mann ver-fügte. Aber Liu Hsiu machte sich die Sorglosigkeit der Befehlshaber Wang Mangs, der Generäle Wang Shun und Wang Yu, die den Feindunterschätzten, zunutze, und es gelang ihm, mit nur 3000 Mann Eli-

tetruppen die Hauptmacht Wang Mangs zu schlagen. Dann rundeteer seinen Sieg ab, indem er den Rest der feindlichen Truppen in dieFlucht jagte.27. Kuantu lag im Nordosten des heutigen Bezirks Chungmou der Provinz Honan und war der Schauplatz der Schlacht, welche sich dieArmeen Tsao Tsaos und Yuan Shaos im Jahre 200 n. Chr. lieferten.Yuan Shao war mit 100 000 Mann angetreten, während Tsao Tsao

nur eine schwache, schlecht ausgerüstete und versorgte Streitmachthatte. Dann nutzte er jedoch die mangelnde Wachsamkeit der Trup-  pen Yuan Shaos, der verächtlich auf seinen Gegner herabsah, aus,schickte seine leichtfüßigen Soldaten zu einem Überraschungsangriff vor und ließ sie das Versorgungslager des Feindes in Brand setzen.Yuan Shaos Armee geriet in schwere Verwirrung, und ihre Haupt-macht wurde vernichtet.

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28. Der Staat Wu wurde von Sun Chuan regiert, der Staat Wei vonTsao Tsao. Chihpi liegt am Südufer des Jangtsekiang, also im Nord-

osten von Chiayu in der Provinz Hupeh. Im Jahre 208 n. Chr. führteTsao Tsao eine Armee von mehr als 500 000 Mann er behauptetesogar, sie sei 800 000 Mann stark zum Angriff gegen Sun Chuan.Dieser brachte zusammen mit Tsao Tsaos Gegner Liu Pei eineStreitmacht von 30 000 Mann auf. Sun Chuan und Liu Pei, die wuß-ten, daß Tsao Tsaos Armee von Seuchen befallen und nicht darangewöhnt war, auf dem Wasser zu operieren, setzten mit vereintenKräften Tsao Tsaos Flotte in Brand und schlugen seine Armee.29. Yiling, das im Osten des heutigen Bezirks Ichang in der ProvinzHupeh gelegen ist, war der Ort, an dem Lu Sun, ein General desStaates Wu, im Jahre 222 n. Chr. die Armee Liu Peis, des Herrschersvon Shu, schlug. Im Anfang des Krieges hatten die Truppen Liu Peisnacheinander mehrere Siege errungen und waren 500 oder 600 Liweit in das Gebiet von Wu bis nach Yiling eingedrungen. Lu Sun,der Yiling verteidigte, wich mehr als sieben Monate lang einer 

Schlacht aus, bis Liu Pei «am Ende seiner Geduld angelangt undseine Truppen erschöpft und demoralisiert waren». Dann aber schlugLu Sun die feindliche Armee, indem er sich einen günstigen Windzunutze machte und ihr Zeltlager in Brand setzte.30. Hsich Hsuan, ein General der östlichen Tsin-Dynastie, schlug imJahre 383 n. Chr. Fu Chien, den Herrscher des Staates Chin, amFeishui-Fluß in der Provinz Anhwei. Fu Chien befehligte mehr als

600 000 Mann Fußvolk, eine 270000 Mann starke Reiterei und dazueine Elitetruppe von mehr als 30000 Mann, während die Streitkräfte,welche die östliche Tsin-Dynastie zu Lande und auf dem Fluß auf-

 bringen konnte, sich insgesamt auf nur 80 000 Mann beliefen. Alsdie Armeen an den beiden Ufern des Feishui-Flusses aufmarschiertwaren, machte sich Hsieh Hsuan die Überheblichkeit und den Dün-kel der feindlichen Truppen zunutze und forderte Fu Chien auf, seine

Einheiten etwas zurückzunehmen, so daß die Truppen der östlichenTsin-Dynastie den Fluß überqueren und den Kampf auf dem jenseiti-gen Ufer austragen könnten. Fu Chien kam dieser Aufforderungnach; doch als er den Rückzug befahl, gerieten seine Truppen inPanik und waren nicht mehr zu halten. Die Armee der östlichen Tsin-Dynastie nahm diese Gelegenheit wahr, überquerte den Fluß, eröff-nete den Angriff und schlug den Feind.

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31. Nanchang, die Hauptstadt der Provinz Kiangsi, war der Schau- platz des berühmten Aufstandes vom 1. August 1927, den die Kom-

munistische Partei Chinas unternahm, um die GegenrevolutionTschiang Kai-scheks und Wang Ching-weis zu bekämpfen und dieRevolution von 1924-27 weiterzuführen. Mehr als 30 000 Mannnahmen an diesem von den Genossen Tschou En-lai, Chu Teh, HoLung und Yeg Ting angeführten Aufstand teil. Am 5. August zogsich die Armee der Aufständischen, wie geplant, von Nanchang zu-rück, erlitt jedoch eine Niederlage, als sie sich den Orten Chaochowund Swatow in der Provinz Kwangtung näherte. Ein Teil der Trup-

 pen schlug sich dann unter dem Befehl der Genossen Chu Teh, ChenYi und Lin Piao in die Chingkang-Berge durch und vereinigte sichdort mit den Streitkräften der Ersten Division der Ersten Revolutio-nären Armee der Arbeiter und Bauern, die von dem Genossen MaoTse-tung angeführt wurde.32. Der berühmte Aufstand zur Herbsternte unter der Führung desGenossen Mao Tse-tung brach im September 1927 aus und wurde

von den bewaffneten Volkseinheiten von Hsiushui, Pinghsiang,Pingkiang und Liuyang alles Distrikte im Grenzbezirk von Hunan-Kiangsi durchgeführt. Diese Einheiten bildeten zusammen die ErsteDivision der Ersten Revolutionären Armee der Arbeiter und Bauern.Genosse Mao Tse-tung führte diese Streitmacht in die Chingkang-Berge, wo ein revolutionärer Stützpunkt begründet wurde.33. Die A-B-Gruppe (die Anti-Bolschewisitsche Gruppe) war eine

konterrevolutionäre Organisation von Geheimagenten der Kuomin-tang in den roten Gebieten.34. Siehe hierzu einige Aufsätze in W. I. Lenin (Gesammelte Wer-ke» sowie 'Kurzer Abriß der Geschichte der KPdSU (B)>, Kap. 7,Abschnitt 7.35. Die Gebiete, auf die hier angespielt wird, sind die von den Tibe-tern bewohnten in Sikang sowie diejenigen Bezirke in den Provinzen

Kansu, Chinghai und Sinkiang, die von den Hui-Völkern besiedeltsind.36. Der «achtbeinige Aufsatz» war die für die Aufsätze vorgeschrie-

  bene Form bei den kaiserlichen Auswahlprüfungen des feudalenChina vom 15. bis zum 19. Jahrhundert. Ein solcher Aufsatz mußtesich aus Einleitung, Mittelteil, Weiterführung und Abschluß zusam-mensetzen, wobei jeder dieser Teile wiederum in zwei Unterabtei-

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lungen aufzugliedern war. Genosse Mao Tse-tung benutzt das Bildder Entwicklung des Themas in einem derartigen Aufsatz, um die

Entwicklung der Revolution in ihren verschiedenen Stadien zu illu-strieren. Im allgemeinen jedoch verwendet Genosse Mao Tse-tungden Ausdruck «achtbeiniger Aufsatz», um den Dogmatismus zu ver-spotten.37. Unter dem Einfluß der anschwellenden allgemeinen Empörunggegen Japan im ganzen chinesischen Volk sagten sich die Anführer der 19. Feldarmee der Kuomintang gemeinsam mit den Li Chi-shenunterstehenden Streitkräften der Kuomintang im November 1933öffentlich von Tschiang Kai-schek los und begründeten die «Revolu-tionäre Volksregierung der Republik China» in Fukien. Dabeischlossen sie ein Abkommen mit der Roten Armee, um TschiangKai-schek anzugreifen und Japan Widerstand zu leisten. Im Textwerden diese Ereignisse als «Zwischenfall von Fukien» bezeichnet.Die 19. Frontarmee und die Volksregierung von Fukien brachenallerdings später unter den Angriffen der Truppen Tschiang Kai-

scheks zusammen.

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Strategische Fragen im Guerillakrieg gegen Japan

Mai 1938 

Zu Beginn des Widerstandskrieges gegen Japan haben viele Men-schen innerhalb und außerhalb der Partei die strategische Bedeutungdes Guerillakrieges unterschätzt und ihre Hoffnung nur auf die regu-läre Kriegführung insbesondere auf die Operationen der Kuomin-tang-Truppen, gesetzt. Genosse Mao Tsetung wandte sich gegen

diese Einstellung und schrieb diesen Aufsatz, um den Weg aufzuzei-gen, den die Guerillakriegführung im Kampf gegen Japan einschla-gen muß. Daraufhin wuchsen die Achte Frontarmee und die NeueVierte Armee, die zu Beginn des Widerstandskrieges, also im Jahre1937, kaum mehr als 40 000 Mann zählten, immer mehr an, bis sieschließlich im Jahre 1945, als die Japaner sich ergaben, zu einer gro-ßen Armee von einer Million Mann geworden waren. Diese Armeen

  bauten viele revolutionäre Stützpunkte auf und spielten eine großeRolle in diesem Krieg, was Tschiang Kai-schek davon abhielt, vor den Japanern zu kapitulieren oder einen Bürgerkrieg im ganzen Lan-de zu entfachen. Als er dann im Jahre 1946 schließlich einen solchenBürgerkrieg entfachte, war die Volksbefreiungsarmee, zu der dieAchte Frontarmee und die Neue Vierte Armee sich zusammenge-schlossen hatten, stark genug, um seinen Angriffen Widerstand zuleisten.

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1. KapitelWarum stellen wir im Guerillakrieg

die Frage der Strategie?

Im Widerstandskrieg gegen Japan steht die reguläre Kriegführung anerster Stelle, der Guerillakrieg an zweiter. Dieser Punkt ist bereitshinreichend erörtert. Wenn sich demnach im Guerillakrieg nur takti-sche Probleme ergeben, warum stellen wir dann die Frage nach der Strategie?

Wäre China ein kleines Land, in dem der Guerillakriegführung ledig-lich die Aufgabe zufiele, die Operationen der regulären Truppen über kurze Entfernungen zu unterstützen, so erhöben sich selbstverständ-lich nur taktische, aber keine strategischen Probleme. Wäre Chinaandererseits so stark wie die Sowjetunion und imstande, entweder den eindringenden Feind rasch wieder zu vertreiben oder ihn, fallsdiese Vertreibung länger dauern sollte, daran zu hindern, größere

Gebiete zu besetzen, dann würde die Guerillakriegführung bei allenmilitärischen Operationen ebenfalls nur eine Nebenrolle spielen, undsie würde nur taktische, aber keine strategischen Probleme stellen.In unserem Fall jedoch erhebt sich die Frage der Strategie im Gueril-lakrieg, denn China ist kein kleines Land und nicht so stark wie dieSowjetunion, sondern es ist ein großes und schwaches Land. Diesesgroße und schwache Land, das sich allerdings in einem Stadium des

Fortschritts befindet, ist von einem kleinen und starken Land ange-griffen worden; daraus ergibt sich das ganze Problem. AusgedehnteGebiete sind so in die Hand des Feindes geraten, und daraus hat sichein verlängerter Krieg entwickelt. Der Feind hält weite Gebiete unse-res großen Landes besetzt; aber Japan ist ein kleines Land und ver-fügt nicht über genügend Soldaten, das Land lückenlos zu besetzen,so daß unsere Guerillakriegführung gegen Japan im wesentlichennicht aus Operationen auf den inneren Kampflinien zur Unterstüt-zung der Feldzüge der regulären Truppen, sondern in unabhängigenOperationen auf den äußeren Kampflinien besteht. Außerdem istChina fortschrittlich, das heißt, es kann auf eine zuverlässige Armeeund breite Volksmassen zählen, beide geführt von der Kommunisti-schen Partei, so daß es sich nicht um irgendeinen kleinen Krieg han-delt, sondern der antijapanische Guerillakrieg ist von größter Bedeut-

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samkeit. Hieraus ergibt sich eine ganze Reihe von Problemen, wiedie der strategischen Defensive, der strategischen Offensive usw. Die

lange Dauer des Krieges und die ihm eigene Härte stellte die Gueril-lakriegführung vor ungewöhnliche Aufgaben, so zum Beispiel vor die Probleme der Stützpunktgebiete, die Entwicklung der Guerilla-kriegführung zum Bewegungskrieg usw. Aus all diesen Gründen hatChinas Guerillakriegführung gegen Japan die Grenzen der Taktik gesprengt und den Bereich der Strategie betreten, so daß man ihnalso auch vom strategischen Standpunkt aus betrachten muß. Beson-ders beachtenswert ist hierbei die Tatsache, daß in der gesamtenKriegsgeschichte ein derart ausgedehnter und lange dauernder Gue-rillakrieg etwas völlig Neues ist, und das ist nicht davon zu trennen,daß wir uns jetzt im vierten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts

 befinden und die Kommunistische Partei und die Rote Armee haben.Hier liegt der Kern der Dinge. Unser Feind hegt vermutlich nochimmer süße Träume davon, Eroberungsfeldzüge nachzuahmen, wiesie die Mongolen gegen die Sung-Dynastie führten, die Mandschu

gegen die Ming-Dynastie, die Engländer gegen Nordamerika undIndien oder die Spanier und Portugiesen gegen Mittelund Südameri-ka. Doch solche Träume haben im China von heute keinen prakti-schen Wert, weil es gewisse Faktoren aufweist, die den historischenBeispielen fehlten, und einer davon ist die Guerillakriegführung einvöllig neues Phänomen. Wenn unser Feind diese Tatsache übersieht,wird ihn das teuer zu stehen kommen.

Dies sind die Gründe, warum unsere Guerillakriegführung gegenJapan, obgleich sie innerhalb des gesamten Widerstandskrieges nur eine untergeordnete Rolle spielt, doch vom strategischen Gesichts-

 punkt aus betrachtet werden muß.Warum sollten wir dann nicht die allgemeinen strategischen Prinzi-

 pien des Widerstandskrieges auch auf die Guerillakriegführung an-wenden?

Tatsächlich ist die Frage der Strategie in unserer antijapanischenGuerillakriegführung mit der Frage der Strategie in unserem gesam-ten Widerstandskrieg aufs engste verknüpft, da beide vieles gemein-sam haben. Andererseits jedoch unterscheidet sich die Guerillakrieg-führung von regulärer Kriegführung. Sie hat ihre eigenen Merkmale,und infolgedessen enthält auch die Frage der Strategie in der Gueril-lakriegführung Eigentümlichkeiten. Es ist nicht möglich, die strategi-

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schen Prinzipien des Widerstandskrieges im allgemeinen auf dieGuerillakriegführung mit all ihren Besonderheiten anzuwenden.

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2. KapitelDas Grundprinzip des Krieges ist,

die eigene Kraft zu erhaltenund den Gegner zu vernichten 

Bevor wir die Frage der Strategie in der Guerillakriegführung imeinzelnen untersuchen, sind einige Worte über das Grundproblemdes Krieges notwendig.Alle für die militärischen Operationen bestimmenden Prinzipienlassen sich aus dem einen Grundprinzip herleiten: Alles ist daranzu-setzen, die eigenen Kräfte zu erhalten und die des Gegners zu zerstö-ren. Bei einem revolutionären Krieg ist dieses Prinzip unmittelbar mit den Grundprinzipien der Politik verknüpft. So ist zum Beispieldas politische Grundprinzip, das China bei seinem Widerstandskrieggegen Japan verfolgt, also sein politisches Ziel, die Vertreibung des

 japanischen Imperialismus und der Aufbau eines unabhängigen, frei-

en und glücklichen neuen China. In militärischen Begriffen bedeutetdas, daß wir mit der Waffe in der Hand unser Vaterland verteidigenund die japanischen Eindringlinge daraus vertreiben müssen. Umdieses Ziel zu erreichen, werden die bewaffneten Einheiten alles tun,was ihnen irgend möglich ist, um die eigenen Kräfte zu erhalten unddie des Gegners zu zerstören. Wie rechtfertigen wir es dann, wennwir zu heroischen Opfern im Krieg aufrufen? Jeder Krieg fordert

seinen Preis, zuweilen einen außerordentlich hohen. Steht dies nichtim Widerspruch zu dem Gebot der Selbsterhaltung? Tatsächlich be-steht hier nicht der geringste Widerspruch, denn Opfer und Selbster-haltung sind zwei einander ergänzende Gegensätze. Das Opfer istgenau gesagt nicht zur Vernichtung des Feindes, sondern auch zur Erhaltung der eigenen Kräfte vonnöten — ein teilweises und vorü-

 bergehendes «Sich-nicht-Erhalten» (das Opfer, das Zahlen des Prei-

ses) ist zugunsten einer allgemeinen und dauernden Selbsterhaltungnotwendig. Aus diesem Grundprinzip lassen sich alle Prinzipienmilitärischer Operationen herleiten, von den Grundregeln des Feuer-gefechts (daß man Deckung nehmen muß, um sich selber zu schüt-zen, und daß man vollen Gebrauch von der eigenen Feuerkraft ma-chen muß, um den Feind zu vernichten) bis zu den Richtlinien der Strategie sind sie sämtlich vom Geist dieses Grundprinzips erfüllt.

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Alle technischen, taktischen und strategischen Prinzipien stellen nur Anwendungen dieses Grundprinzips dar. Der Grundsatz der Selbst-

erhaltung und der Vernichtung des Feindes ist der Ausgangspunktaller militärischen Prinzipien.

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3. KapitelSechs spezifische Probleme der Strategie

im Guerillakrieg gegen Japan

Wir wollen jetzt untersuchen, welche Methoden oder Prinzipien imGuerillakrieg gegen Japan Anwendung finden müssen, wenn wir unser Ziel der Selbsterhaltung und der Vernichtung des Feindes er-reichen wollen. Da die Guerillaeinheiten im Widerstandskrieg (undin allen anderen revolutionären Kriegen) gewöhnlich aus dem Nichts

erstehen und sich aus einer kleinen zu einer großen Macht entwik-keln, müssen sie bestrebt sein, sich selber zu erhalten und vor allemsich zu vergrößern. Die Frage ist, welche Methoden oder Prinzipienwir anwenden müssen, um unser Ziel zu erreichen: das Ziel, uns zuerhalten und zu vergrößern und den Gegner zu vernichten.Allgemein gesprochen sind die wichtigsten Prinzipien die folgenden:1. Initiative, Flexibilität und Planung bei den Offensiven innerhalb

der Defensive, schnelle Entscheidungsschlachten in einem verlänger-ten Krieg und Operationen auf den äußeren Kampflinien innerhalbder Operationen auf den inneren Kampflinien; 2. Zusammenarbeitmit der regulären Kriegführung; 3. Errichtung von Stützpunktgebie-ten; 4. Strategische Defensive und strategische Offensive; 5. DieEntwicklung des Guerillakrieges zum Bewegungskrieg; 6. RichtigeZusammenarbeit der einzelnen Kommandos.

Diese sechs Punkte umreißen das gesamte strategische Programmdes Guerillakrieges gegen Japan, und sie zeigen uns Mittel und We-ge, die notwendig sind, um unsere Kräfte zu erhalten und zu vergrö-ßern, den Feind zu vernichten und zu vertreiben, für die Zusammen-arbeit mit der regulären Kriegführung und für die Erringung des Sie-ges.

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4. KapitelInitiative, Flexibilität und Planung

 bei den Offensiven innerhalb der Defensive,schnelle Entscheidungsschlachten in einem verlänger-

ten Krieg und Operationen auf denäußeren Kampflinien innerhalb der Operationen

auf den inneren Kampflinien

Der Gegenstand läßt sich in vier Rubriken behandeln: 1. das Ver-hältnis zwischen Defensive und Offensive, zwischen Verlängerungund rascher Entscheidung, zwischen inneren und äußeren Kampflini-en; 2. die Initiative bei allen Operationen; 3. flexibler Einsatz der Truppen; 4. die Planung bei allen Operationen.Um mit dem ersten zu beginnen:Wenn wir den Widerstandskrieg als Ganzes und die Tatsache be-

trachten, daß Japan, der Angreifer, eine starke Nation, und China,das sich verteidigen muß, schwach ist, so ergibt sich, daß unser Kriegstrategisch ein Widerstandskrieg und ein Krieg von langer Dauer ist.Was die Operationslinien betrifft, so operiert Japan auf den äußerenKampflinien und wir auf den inneren. Das ist der eine Aspekt unserer Lage. Es gibt jedoch noch einen anderen Aspekt, der genau das Ge-genteil besagt. Der Feind ist zwar (hinsichtlich der Bewaffnung,

 bestimmter Eigenschaften der Soldaten und gewisser anderer Fakto-ren) stark, dabei aber zahlenmäßig schwach, während wir (hinsicht-lich der Bewaffnung, bestimmter Eigenschaften der Soldaten undgewisser anderer Faktoren) schwach, jedoch zahlenmäßig stark sind.

  Nimmt man die Tatsache hinzu, daß der Feind eine fremde Nationist, die in unser Land eindringt, wir jedoch seiner Invasion auf unse-rem eigenen Boden Widerstand leisten, so ergibt sich hieraus diefolgende Strategie. Es ist möglich und notwendig, taktische Offensi-ven innerhalb der strategischen Defensive anzuwenden, Schlachtenund schnelle Entscheidungsgefechte innerhalb eines strategisch ver-längerten Krieges und Schlachten und Gefechte auf den äußerenKampflinien innerhalb strategischer innerer Kampflinien zu schla-gen. Derart ist die im Widerstandskrieg angewandte Strategie, undsie gilt sowohl für die reguläre Kriegführung wie für die Guerilla-

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kriegführung. Die Guerillakriegführung unterscheidet sich nur inWirkung und Form. In der Guerillakriegführung sollten Offensiven

gewöhnlich die Form von Überraschungsangriffen haben. Obgleichman auch in der regulären Kriegführung Überraschungsangriffe un-ternehmen kann und soll, ist hier doch der Grad der Überraschunggeringer. In der Guerillakriegführung ist die Notwendigkeit groß, dieOperationen zu einem schnellen Abschluß zu bringen, und unsereäußere Kampflinie, der Ring der Umzingelung des Feindes inSchlachten und Gefechten, ist sehr eng. All das unterscheidet sie vonder regulären Kriegführung.Somit versteht es sich, daß die Guerillaeinheiten bei ihren Operatio-nen bemüht sein müssen, ein Höchstmaß an Truppen zu konzentrie-ren, geheim und rasch zu handeln, den Feind überraschend anzugrei-fen und eine schnelle Entscheidung der Gefechte herbeizuführen,und daß sie jede träge Verteidigung, jede Verzögerung und jede Auf-splitterung ihrer Kräfte vor dem Kampf unbedingt vermeiden müs-sen. Natürlich schließt die Guerillakriegführung nicht nur die strate-

gische, sondern auch die taktische Verteidigung ein. Zur letzterengehören unter anderem Ablenkungs- und Vorpostenmanöver wäh-rend der Kämpfe, die Postierung von Widerstandskräften an Engpäs-sen und strategischen Punkten, an Flußufern und in Ortschaften, umden Feind zu binden und zu erschöpfen, und die Deckung von Rück-zugsbewegungen. Das Grundprinzip der Guerillakriegführung mußder Angriff sein, der viel offensiver als im regulären Krieg ist. Oben-

drein muß er die Form des Überraschungsangriffes zeigen. In der Guerillakriegführung ist es noch weniger erlaubt als im regulärenKrieg, sich durch eine auffällige Zurschaustellung der Kräfte zu ex-

 ponieren. Aus der Tatsache, daß der Feind stark ist und wir schwachsind, folgt notwendigerweise, daß bei den Operationen der Guerillas

  jeder Kampf rasch entschieden sein muß diese Vorschrift ist hier noch bindender als in der regulären Kriegführung. Das schließt nicht

aus, daß unter bestimmten Umständen ein Kampf sich auch über mehrere Tage hinziehen kann, zum Beispiel bei einem Angriff auf eine kleine und isolierte Feindgruppe, die von jeder Hilfe abgeschnit-ten ist. Die Guerillakriegführung kann sich ihrer Beweglichkeit we-gen überallhin ausdehnen, und in Störaktionen, beim Binden undAufreiben feindlicher Einheiten und beim massierten Angriff ist dasPrinzip die Verteilung der Kräfte; andererseits jedoch muß eine Gue-

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rillaeinheit oder -formation ihre Hauptkräfte zusammenziehen, wennsie zur Vernichtung des Feindes ansetzen und vor allem, wenn sie

einen feindlichen Angriff zurückwerfen will. «Konzentriert einegroße Truppe, um eine kleine feindliche Truppe zu schlagen» lauteteines der Operationsprinzipien in der Guerillakriegführung.Für den Widerstandskrieg im allgemeinen gilt also die Regel, daßwir das Ziel unserer strategischen Defensive und die Vernichtung des

 japanischen Imperialismus nur durch die konzentrierte Wirkung vie-ler Offensivunternehmungen und -gefechte im regulären wie im Gue-rillakrieg erreichen können, das heißt durch die Wirkungkonzentrierter siegreicher Angriffsaktionen. Und nur durch diekonzentrierte Wirkung vieler rasch entschiedener Schlachten undGefechte, das heißt durch die konzentrierte Wirkung vieler in raschentschiedenen Schlachten und Gefechten errungener Siege könnenwir das Ziel unserer strategischen Verlängerung erreichen; was

 bedeutet, daß wir Zeit gewinnen, unsere Widerstandskraft zu stärken,während wir Veränderungen in der internationalen Situation

abwarten und den inneren Zusammenbruch des Feindes fördern, mitder Absicht, eine strategische Gegenoffensive zu beginnen und die

  japanischen Eindringlinge aus China hinauszuwerfen. Wir müssengrößere Kräfte zusammenziehen und in jeder militärischen Schlachtund in jedem Gefecht Operationen auf den äußeren Kampfliniendurchführen gleichgültig ob wir uns in der strategischen Defensiveoder in einer strategischen Gegenoffensive befinden -, um die

feindlichen Einheiten einzukreisen und zu vernichten. Wenn wir nicht alle einkreisen können, so müssen wir wenigstens einen Teileinkreisen; wenn wir nicht alle Eingekreisten vernichten können, somüssen wir wenigstens einen Teil von ihnen vernichten, und wennwir nicht viele Gefangene machen können, so müssen wir demeingekreisten Feind wenigstens schwere Verluste zufügen. Nur durchdie Gesamtwirkung vieler solcher Vernichtungskämpfe können wir 

das Kräfteverhältnis zwischen dem Feind und uns verändern, seinestrategische Einkreisungspolitik also seine Operationen auf denäußeren Kampflinien endgültig durchbrechen und schließlich imZusammenwirken mit internationalen Kräften und demrevolutionären Ringen des japanischen Volkes die japanischenImperialisten stellen und ihnen den Gnadenstoß geben. Diese Erfolgesind vor allem durch die reguläre Kriegführung zu erreichen, und dieGuerillakriegführung spielt hierbei eine untergeordnete Rolle. Für 

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 bei eine untergeordnete Rolle. Für beide jedoch gilt das Prinzip, daßdie Anhäufung vieler kleiner Siege schließlich zu einem großen Sieg

führt. Und eben darin liegt die große strategische Bedeutung der Guerillakriegführung im Widerstandskrieg. Jetzt wollen wir uns denFragen der Initiative, der Flexibilität und der Planung in der Gueril-lakriegführung zuwenden. Was ist in der Guerillakriegführung Initia-tive?In jedem Krieg ringen die Gegner um die Initiative — ob auf demSchlachtfeld, auf einem größeren Abschnitt, in einer Kampfzoneoder im ganzen Krieg; denn Initiative bedeutet Handlungsfreiheit für eine Armee. Wenn eine Armee die Initiative verliert, in eine passiveLage gedrängt wird und ihre Freiheit einbüßt, gerät sie in Gefahr,geschlagen oder vernichtet zu werden. Natürlich ist es schwierig, dieInitiative zu gewinnen, wenn man sich in der strategischen Defensive

 befindet und auf den inneren Kampflinien operiert, während man beiAngriffsoperationen auf den äußeren Kampflinien viel leichter dieInitiative ergreifen kann. Der japanische Imperialismus weist jedoch

zwei grundlegende Schwächen auf: seine geringe Truppenzahl unddie Tatsache, daß er auf fremdem Boden kämpft. Abgesehen davonhaben die Unterbewertung der Stärke Chinas durch die Japaner undgewisse Zwistigkeiten unter den japanischen Militärs zu vielen Feh-lern in der Truppenführung Anlaß gegeben. Die nötigen Verstärkun-gen trafen nur langsam ein, die strategische Zusammenarbeit klapptenicht, gelegentlich war kein einheitlicher Angriffsplan vorhanden,

  bei einigen Operationen versäumte man es, günstige Gelegenheitenauszunutzen und umzingelte Einheiten zu befreien; das alles kannman als die dritte Schwäche des japanischen Imperialismus bezeich-nen. Obwohl die japanischen Militaristen den Vorteil haben, in der Offensive zu sein und auf den äußeren Kampflinien zu operieren,verlieren sie doch allmählich an Initiative, weil sie nicht über genü-gend Truppen verfügen (wegen ihres kleinen Staatsgebietes, ihrer 

geringen Bevölkerungszahl, ihrer unzulänglichen Hilfsquellen undihres feudalistischen Imperialismus), weil sie auf fremdem Bodenkämpfen (und somit einen imperialistischen und barbarischen Kriegführen) und weil sie in der Truppenführung stumpfsinnig sind. Japanist zur Zeit weder gewillt noch imstande, den Krieg zu entscheiden,noch ist seine strategische Offensive zum Stillstand gekommen, aber die generelle Entwicklung zeigt, daß die Offensive gewissen Be-

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schränkungen unterworfen ist eine unvermeidliche Folge der dreiSchwächen. Japan kann nicht unablässig weiter vordringen und

schließlich ganz China schlucken. Schon jetzt sind Anzeichen dafür vorhanden, daß es sich eines Tages in einer äußerst passiven Lage  befinden wird. China andererseits befand sich bei Ausbruch desKrieges in einer sehr passiven Lage. Inzwischen hat es jedoch Erfah-rungen gesammelt und wendet sich jetzt einer neuen Politik des offe-nen Bewegungskrieges zu, indem es zur Offensive übergeht, rascheEntscheidungen anstrebt und bei Schlachten und Gefechten auf denäußeren Kampflinien operiert, was zusammen mit der Politik der systematischen Ausbreitung des Guerillakrieges China dazu verhilft,von Tag zu Tag die Initiative stärker an sich zu ziehen.Im Guerillakrieg ist die Frage der Initiative von noch entscheidende-rer Bedeutung. Denn die meisten Guerillaeinheiten operieren unter sehr schwierigen Umständen. Sie kämpfen ohne Hinterland, sie ste-hen mit ihren schwachen Kräften den starken Kräften des Feindesgegenüber, es fehlt ihnen (vor allem wenn es sich um neu zusam-

mengestellte Einheiten handelt) an Erfahrung und zumeist auch anVerbindung mit anderen Einheiten. Trotzdem kann auch die Gueril-lakriegführung die Initiative ergreifen; es kommt nur darauf an, daßsie sich die drei Schwächen des Feindes zunutze macht; indem sieaus der geringen Truppenzahl des Feindes Nutzen ziehen (wenn manden Krieg als Ganzes betrachtet), können die Guerillaeinheiten unbe-sorgt weite Gebiete als Operationsfeld benutzen; indem sie aus der 

Tatsache Nutzen ziehen, daß der Feind ein landfremder Eindringlingist und eine barbarische Politik betreibt, können die Guerillas klar mit der Unterstützung von Millionen und aber Millionen Menschenrechnen; indem sie Nutzen ziehen aus dem Stumpfsinn der feindli-chen Truppenführung, können die Guerillaeinheiten ihre eigene Ge-schicklichkeit voll zur Wirkung bringen. Wenn schon die reguläreArmee alle Schwächen des Feindes ausnutzen muß, um sie in die

klingende Münze des Sieges umzuwandeln, dann ist dies um sowichtiger für die Guerillaeinheiten. Sie können so ihre eigeneSchwäche im Verlauf der Kämpfe allmählich beheben, ja, zuweilenliefert ihnen eben diese Schwäche die beste Vorbedingung zum Er-greifen der Initiative. So können zum Beispiel die Guerillaeinheiten,gerade weil sie klein und schwach sind, bei ihren Operationen hinter den feindlichen Linien geheimnisvoll auftauchen und wieder ver-

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schwinden, ohne daß der Feind ihnen etwas anhaben kann. Sie ge-nießen so eine Handlungsfreiheit, die eine große reguläre Armee

niemals haben kann.Wenn der Feind aus verschiedenen Richtungen angreift, kann eineGuerillaeinheit nur schwerlich die Initiative ausüben und sie allzuleicht verlieren. Schätzt sie in einem solchen Fall die Lage nicht rich-tig ein und trifft infolgedessen falsche Vorkehrungen, so besteht dieGefahr, daß sie in die Passivität gedrängt wird und infolgedessen dieaus mehreren Richtungen angreifenden Feinde nicht vernichten kann.So etwas kann sogar geschehen, wenn der Feind in der Defensive ist,während wir angreifen. Denn die Initiative erwächst aus einer richti-gen Einschätzung der Lage (sowohl der eigenen wie der des Feindes)und daraus, daß die richtigen militärischen und politischen Vorberei-tungen getroffen werden. Eine zu pessimistische Einschätzung, diemit den objektiven Bedingungen nicht im Einklang steht, und eindaraus resultierendes passives Verhalten werden zweifellos zumVerlust der Initiative führen und uns in eine passive Lage bringen.

Andererseits werden eine zu optimistische Einschätzung, die mit denobjektiven Bedingungen nicht im Einklang steht, und daraus resultie-rende gewagte (allzu gewagte) Maßnahmen ebenso zum Verlust der Initiative führen und uns schließlich in eine Lage versetzen, die der der Pessimisten gleicht. Die Initiative ist nicht eine angeborene Ei-genschaft des Genies, sondern etwas, was ein intelligenter Befehls-haber sich durch unvoreingenommene Untersuchung und zutreffende

Abschätzung der objektiven Bedingungen sowie durch richtige mili-tärische und politische Maßnahmen erwerben kann. Daraus folgt, daßdie Initiative kein fertiges Produkt ist, sondern ernsthaft erarbeitetwerden muß.Wenn eine Guerillaeinheit infolge unzutreffender Einschätzung der Umstände und falscher Dispositionen oder durch die Übermacht desFeindes in eine passive Lage gedrängt wird, muß sie danach streben,

sich daraus zu befreien. Wie dies zu bewerkstelligen ist, hängt vonden Umständen ab. In vielen Fällen ist es notwendig, sich abzuset-zen. Die Beweglichkeit ist das hervorstechende Merkmal der Gueril-laeinheit. Wenn sie aus einer passiven Lage herauskommen und dieInitiative zurückgewinnen will, so wird sie zumeist zu diesem Mittelgreifen. Doch der Abzug ist nicht die einzige Methode. Gerade der Augenblick, in dem der Feind seine Kräfte am energischsten einsetzt

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und wir die größten Schwierigkeiten haben, stellt oft den Punkt dar,an dem das Kampfgeschehen sich gegen den Feind und zu unseren

Gunsten wendet. Eine günstige Situation stellt sich oft wieder ein,und wenn man ein wenig länger aushält, kann man dann die Initiativewieder an sich reißen.Untersuchen wir jetzt den Begriff der Flexibilität.Flexibilität ist ein konkreter Ausdruck der Initiative. Der flexibleEinsatz der Kräfte ist im Guerillakrieg noch wichtiger als im regulä-ren Krieg.Ein Befehlshaber von Guerillaeinheiten muß sich darüber klar sein,daß er mit dem flexiblen Einsatz seiner Truppen das beste Mittel inder Hand hat, um das Kräfteverhältnis zwischen sich und dem Feindzu verändern und die Initiative zu ergreifen. Es liegt in der Natur desGuerillakrieges, daß die Guerillatruppen jeweils entsprechend der vorliegenden Aufgabe eingesetzt werden und daß dieser Einsatz sichden verschiedensten Umständen anzupassen hat: der Feindlage, demGelände und der örtlichen Bevölkerung. Die hauptsächlichsten For-

men des Einsatzes sind das Auflockern der Kräfte, ihre Konzentrati-on und die Verlegung der Position. Wenn der Guerillakommandeur seine Truppen einsetzt, gleicht er dem Fischer, der sein Netz aus-wirft, es weit spannt und eng zusammenzieht. Der Fischer muß beimAuswerfen auf die Tiefe des Wassers, die Schnelligkeit der Strö-mung und auf Hindernisse achten. Ebenso muß ein Guerillakom-mandeur, der seine Einheiten ausschwärmen läßt, genau achtgeben,

um sich nicht durch Unkenntnis der Lage oder falsch berechneteAktionen Verlusten auszusetzen. So wie der Fischer die Schnüre festin der Hand haben muß, um sein Netz eng zusammenziehen zu kön-nen, muß der Guerillakommandeur die Verbindung mit all seinenTruppenteilen aufrechterhalten und stets ein ausreichendes Kontin-gent seiner Streitkräfte zur direkten Verfügung haben. Und genauwie beim Fischen erweist sich auch beim Einsatz der Guerillatruppen

ein häufiger Wechsel der Position als nötig. Auflockerung, Konzen-tration und Verlegung der Position sind die drei Mittel zum flexiblenEinsatz der Truppen im Guerillakrieg.Allgemein gesprochen wendet man das Auseinanderziehen der Gue-rillaeinheiten oder «die Aufteilung des Ganzen» vor allem in denfolgenden Fällen an: l. Wenn man den in der Defensive befindlichenFeind mit einem breiten Frontalangriff erschrecken will und im Au-

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genblick keine Möglichkeit besteht, die eigenen Truppen zu einer massierten Aktion zusammenzuziehen; 2. wenn man den Feind in

einem Gebiet, in dem er nur über schwache Kräfte verfügt, bedrän-gen und aufspalten will; 3. wenn man nicht in der Lage ist, die Um-zingelung des Feindes zu sprengen, und darum einen Versuch unter-nehmen will, möglichst unauffällig zu entkommen; 4. wenn mandurch das Gelände behindert ist oder über zuwenig Hilfsmittel ver-fügt; 5. wenn man in einem weiten Gebiet eine Massenoperationdurchführt. Gleich unter welchen Umständen, muß man bei der Ver-teilung der Truppen auf das Folgende achten: 1. Wir dürfen unsereTruppen niemals völlig gleichmäßig verteilen, sondern müssen einenverhältnismäßig großen Teil in einem zum Manövrieren geeignetenGebiet aufstellen, so daß wir allen etwa auftauchenden Schwierigkei-ten begegnen können und einen Schwerpunkt für die Aufgabe erhal-ten, die durch das Auseinanderziehen der Truppen erfüllt werdensoll. 2. Wir sollten den auseinandergezogenen Einheiten klar umris-sene Aufgaben nennen, genaue Operationsgebiete, Zeitpläne für die

Aktionen, Orte zum Sammeln und Verbindungsmittel und Wege.Die Konzentration der Kräfte oder die «Zusammenziehung der Teilezu einem Ganzen» wird gewöhnlich angewendet, wenn es gilt, einenangreifenden Feind zu vernichten gelegentlich auch, um gewissestehende Einheiten eines Feindes, der sich in der Defensive befindet,zu vernichten. Mit Konzentration der Kräfte ist keine absolute Kon-zentration gemeint, sondern die Massierung der Hauptstreitmacht,

die in einer bestimmten Richtung eingesetzt werden soll, währendweitere Einheiten zurückbehalten oder in einer anderen Richtung inMarsch gesetzt werden, um den Feind aufzuhalten, zu bedrängenoder aufzuspalten.Die flexible Streuung oder die Konzentration der Kräfte je nach denUmständen ist die wichtigste Kampfmethode im Guerillakrieg; wir müssen außerdem wissen, wie wir unsere Truppen flexibel verlegen

können. Wenn der Feind sich durch Guerillas ernstlich bedroht fühlt,wird er Truppen vorschicken, um diese Einheiten anzugreifen undzurückzuschlagen. Daher müssen die Guerillaeinheiten die Lagegenauestens überprüfen. Falls es ratsam ist, müssen sie an Ort undStelle kämpfen; andernfalls dürfen sie keine Zeit verlieren und müs-sen sich schleunigst absetzen. Um die feindlichen Einheiten einenach der anderen zu vernichten, müssen die Guerillaeinheiten, die

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soeben eine Feindgruppe geschlagen haben, manchmal augenblick-lich weiterziehen, um mit einer anderen Gruppe aufzuräumen;

manchmal, wenn ein bestimmter Platz zum Kampf ungeeignet er-scheint, sollte die Guerillaeinheit sich möglichst rasch vom Feindlösen und ihn an einer anderen Stelle angreifen. Wenn die Kräfte desFeindes sich an einer bestimmten Stelle als besonders bedrohlicherweisen, dürfen die Guerillaeinheiten nicht lange zögern, sondernmüssen mit Blitzesschnelle abziehen. Im allgemeinen sollte eineVerlegung der Position möglichst geheim und rasch vorgenommenwerden. Um den Feind zu täuschen oder ihn in eine Falle zu locken,sollten wir immer wieder zu Kriegslisten greifen, beispielsweise imOsten einen Scheinangriff führen, während wir im Westen angreifen,

  jetzt im Süden und gleich darauf im Norden auftauchen, Überra-schungsangriffe mit sofortigem Rückzug oder nächtliche Aktionendurchführen.Flexibilität bei der Auseinanderziehung und Konzentration der Kräf-te sowie beim Verlegen der Positionen ist der konkrete Ausdruck der 

Initiative im Guerillakrieg, während Starrheit und Trägheit unweiger-lich Passivität nach sich ziehen und unnötige Verluste verursachen.Ein Kommandeur beweist seine Klugheit nicht allein, wenn er er-kennt, wie wichtig es ist, seine Truppen flexibel einzusetzen, sondernauch in der Geschicklichkeit, mit der er sie den besonderen Umstän-den entsprechend auseinanderzieht, konzentriert oder verlegt. DieseKlugheit, Veränderungen vorauszusehen und den richtigen Augen-

 blick zum Handeln zu wählen, erwirbt sich nicht leicht; sie kann nur von denen erreicht werden, die mit empfänglichem Geist studierenund alle Umstände sorgfältig prüfen und abwägen. Nur diese Haltungkann verhindern, daß sich Flexibilität in unüberlegtes Handeln ver-wandelt.Schließlich wollen wir noch von der Planung sprechen.Ohne Planung sind Siege im Guerillakrieg unmöglich. Die Vorstel-

lung, der Guerillakrieg lasse sich vom Zufall abhängig machen, be-ruht entweder auf Leichtfertigkeit oder völliger Unkenntnis. Sowohlden Gesamtoperationen in einer Guerillazone wie denen einer ein-zelnen Guerillaeinheit oder -formation muß eine möglichst gründli-che Planung vorausgehen, bei der jede Aktion im voraus festgelegtwird. Die Aufgaben eines Guerillakommandeurs, die er sorgfältigdurchdenken und gewissenhaft ausführen und kontrollieren muß,

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sind sehr vielfältig: Er muß die Situation erfassen, die Aufgabenverteilen, die Kräfte einteilen, sich um die militärische Ausbildung

und die politische Erziehung kümmern, die Versorgung sichern, dar-auf achten, daß die Ausrüstung in Ordnung ist, sich die Unterstüt-zung der Bevölkerung zunutze machen usw. Tut er dies nicht, gibt eskeine Initiative, keine Flexibilität und keinen Angriff. Zwar lassendie Bedingungen des Guerillakrieges nicht eine so vollständige Pla-nung zu wie die des regulären Krieges, und es wäre ein Fehler, einederart vollständige Planung versuchen zu wollen. Aber es ist trotz-dem nötig, so vollständig zu planen, wie die objektiven Bedingungenes irgend gestatten, denn jeder sollte sich darüber klar sein, daß eskein Spaß ist, den Feind zu bekämpfen.Die oben genannten Punkte dienen der Erklärung des wichtigsten der Prinzipien der Guerillakriegführung: Der Gebrauch der Initiative,Flexibilität und Planung beim Führen von Offensiven innerhalb der Defensiven; rasche Entscheidungsschlachten innerhalb eines Kriegesvon langer Dauer und Operationen auf den äußeren Kampflinien

innerhalb der Operationen auf den inneren Kampflinien. Hierin liegtdas Kernproblem der Strategie im Guerillakrieg. Was die militäri-sche Führung betrifft, so bietet die Lösung dieses Problems die besteGarantie für einen Sieg der Guerillakriegführung.Obgleich wir es hier mit einer Vielzahl von Themen zu tun haben,

  betreffen sie doch alle die Frage der Offensive in Schlachten undGefechten. Nur nach einem Sieg in der Offensive kann die Initiative

endgültig übernommen werden. Jede Angriffsoperation muß nachunserer Initiative geplant, sie darf niemals unter Druck angesetztwerden. Flexibilität im Einsatz der Truppen bezieht sich auf die Be-mühungen, zur Offensive überzugehen, und Planung ist notwendig,um den Erfolg bei Angriffsoperationen zu sichern. Maßnahmen zur taktischen Verteidigung sind sinnlos, wenn sie nicht gleichzeitigdarauf abgestellt sind, eine Offensive direkt oder indirekt zu unter-

stützen. Rasche Entscheidung ist abhängig vom Tempo der Offensi-ve, und die äußeren Kampflinien sind abhängig von deren Ausmaß.Die Offensive ist das einzige Mittel, um den Feind zu vernichten,und sie ist zugleich das wichtigste Mittel zur Selbsterhaltung, wäh-rend Verteidigung und Rückzug allein nur eine vorübergehende Ne-

 benrolle für die Selbsterhaltung spielen können und für die Vernich-tung des Feindes ohne jeden Wert sind.

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Die vorstehend erläuterten Prinzipien gelten grundsätzlich sowohlfür den regulären Krieg wie für den Guerillakrieg. Ein gradueller 

Unterschied besteht nur in der Ausdrucksform. Aber im Guerilla-krieg ist es wichtig und notwendig, auf diesen Unterschied zu achten,denn gerade dieser Unterschied in der Form charakterisiert die Ope-rationsmethoden des Guerillakrieges gegenüber denen des regulärenKrieges. Wenn wir diese beiden verschiedenen Ausdrucksformen desPrinzips verwechseln, wird der Sieg im Guerillakrieg unmöglich.

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5. KapitelZusammenarbeit

mit der regulären Kriegführung

Das zweite strategische Problem ist die Zusammenarbeit der regulä-ren Kriegführung mit der Guerillakriegführung. Man muß, was dieOperationen betrifft, die Beziehungen der Guerillakriegführung zuder regulären Kriegführung klären unter Berücksichtigung des ge-genwärtigen Standes der Guerillaoperationen. Das richtige Verständ-

nis dieser Beziehung ist äußerst wichtig, um den Feind erfolgreich zuschlagen.Die Zusammenarbeit der Guerillakriegführung und der regulärenKriegführung kann auf dreierlei Art erfolgen: in der allgemeinenStrategie, in Feldzügen und einzelnen Schlachten.Im großen und ganzen ist der Guerillakrieg hinter den feindlichenLinien — er lahmt den Feind, hält ihn fern, unterbricht seine Nach-

schubwege, begeistert die regulären Truppen und die Bevölkerungim ganzen Land — in der Strategie dem regulären Krieg koordiniert.

 Nehmen wir den Fall des Guerillakrieges in den drei nordöstlichenProvinzen. Natürlich hat sich die Frage der Zusammenarbeit vor demganz China ergreifenden Widerstandskrieg nicht gestellt, aber seitAusbruch des Krieges ist ihre Bedeutsamkeit offensichtlich gewor-den. Jeder feindliche Soldat, den die Guerillas töten, jede Kugel, die

sie den Feind vergeuden lassen, jeder feindliche Soldat, den sie daranhindern, südlich der Großen Mauer weiter vorzurücken, muß alsBeitrag zur Stärke des Widerstands betrachtet werden. Abgesehendavon üben die Guerillas einen zweifellos demoralisierenden Einflußauf die feindliche Armee und ganz Japan aus, während sie bei unse-rer Armee und unserem gesamten Volk den Mut immer von neuementfachen. Noch deutlicher wird diese strategische Zusammenarbeit

  bei der Tätigkeit, die die Guerillas an den Eisenbahnstrecken Pei-  ping-Suiyuan, PeigingHankow, Tientsin-Pukow, Tatung-Puchow,Chengting-Taiyuan und Shanghai Hangchow ausübten. Die Guerilla-einheiten arbeiten mit den regulären Truppen nicht nur in unserer gegenwärtigen strategischen Defensive zusammen, zu einem Zeit-

 punkt, in dem der Feind sich in der strategischen Offensive befindet;nicht nur, nachdem der Feind seine strategische Offensive beendet

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haben wird und dazu übergeht, seinen Gewinn zu sichern, werden dieGuerillas mit den regulären Truppen darin zusammenarbeiten, die

Macht des Feindes in dem besetzten Gebiet zu brechen, sondern siewerden auch mit ihnen zusammenarbeiten, wenn es darum geht, denFeind hinauszuwerfen und alle verlorenen Gebiete zurückzuerobern,also zu einem Zeitpunkt, zu dem reguläre Truppen die strategischeGegenoffensive beginnen. Die wichtige Rolle der Guerillas bei einer solchen strategischen Zusammenarbeit darf keinesfalls übersehenwerden. Sowohl die Kommandeure der Guerillaeinheiten als auchdie der regulären Truppen sollten sich hierüber klar sein.Außerdem findet die Zusammenarbeit zwischen Guerillakriegfüh-rung und regulärer Kriegführung in Feldzügen statt. So haben zumBeispiel in dem Feldzug in Hsinkou nördlich von Taiyuan die Gue-rillas eine bemerkenswerte Rolle gespielt, indem sie nördlich undsüdlich von Yenmenkuan die Eisenbahnstrecke Tatung—Puchowsowie die Fernstraßen durch Pinghsingkuan und Yangfangkou un-

 brauchbar machten. Oder nehmen wir ein anderes Beispiel. Nachdem

der Feind Fenglingtu besetzt hatte, haben die Guerillas, die in der ganzen Provinz Shansi ohnehin sehr zahlreich waren, eine noch grö-ßere Rolle innerhalb der Zusammenarbeit gespielt, indem sie (haupt-sächlich unter Führung der regulären Truppen) in die Verteidigungs-kämpfe westlich des Gelben Flusses in der Provinz Shensi und süd-lich des Gelben Flusses in der Provinz Honan eingriffen. Und als der Feind südlich von Shantung angriff, haben die Guerillas in den fünf 

Provinzen Nordchinas durch ihre Zusammenarbeit mit den Truppenunserer Armee einen wesentlichen Beitrag geleistet. Bei der Erfül-lung derartiger Aufgaben müssen die Führer eines jeden Guerilla-Stützpunktes hinter den feindlichen Linien oder die Kommandeureeiner Guerillaformation, die dorthin beordert ist, ihre Kräfte wohl-überlegt einsetzen und mit einer der Zeit und dem Ort angepaßtenTaktik den Feind entschlossen an den heikelsten und verwundbarsten

Stellen angreifen, um ihn zu schwächen und festzuhalten, seine Nachschubwege zu unterbrechen, unseren auf den inneren Kampfli-nien kämpfenden Truppen Mut einzuflößen und so ihre Aufgabe der Zusammenarbeit zu erfüllen. Wenn jede Guerillazone oder -einheitauf eigene Faust handelt, ohne die Zusammenarbeit mit den Opera-tionen der regulären Truppen zu beachten, werden sie im strategi-schen Gesamtplan an Bedeutung verlieren, auch wenn diese Einhei-

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ten in der allgemeinen Strategie noch eine gewisse Rolle spielen.Alle Guerillakommandeure sollten diese Tatsache ernsthaft beden-

ken. Um in Feldzügen ein reibungsloses Zusammenarbeiten zu er-möglichen, ist es unbedingt nötig, daß sämtliche größeren Guerilla-einheiten und -formationen über eine Funkausrüstung verfügen.Schließlich ist in Schlachten die Zusammenarbeit mit der geradekämpfenden Truppe die Aufgabe aller Guerillaeinheiten, die sich inder Nachbarschaft des auf der inneren Kampflinie gelegenenSchlachtfeldes befinden. Natürlich gilt dies nur für Guerillaeinheiten,die ohnehin eng mit den regulären Kräften zusammenarbeiten, oder für reguläre Einheiten, die vorübergehend mit Guerillaaufgaben be-traut wurden. In solchen Fällen hat eine Guerillaeinheit jede Aufgabezu übernehmen, die der Befehlshaber der regulären Truppen ihr zu-teilt. Gewöhnlich geht es darum, daß die Guerillas bestimmte Trup-

  penteile des Feindes binden, seine Nachschubwege unterbrechen,daß sie Erkundungsgänge ausführen oder den regulären Truppen alsVorhut dienen. Aber auch ohne Anweisung sollten die Guerillaein-

heiten aus eigener Initiative diese Aufgaben ausführen. Müßig ab-seits zu stehen, untätig und ohne zu kämpfen, oder umherzuziehen,ohne zu kämpfen, ist ein für eine Guerillaeinheit unzulässiges Ver-halten.

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6. KapitelErrichtung von Stützpunktgebieten

Das dritte strategische Problem im Guerillakrieg gegen Japan ist dieErrichtung von Stützpunkten, das wegen der langen Dauer und der Härte dieses Krieges besonders wichtig und wesentlich ist. Da mitder Wiedereroberung unserer verlorenen Gebiete erst nach der Eröff-nung der strategischen Gegenoffensive in ganz China begonnen wer-den kann, wird der Feind bis dahin seine Front tief nach Zentralchina

hinein vorgeschoben und es von Norden nach Süden aufgespaltenhaben, und ein Teil — vermutlich sogar ein großer Teil unseres Lan-des wird in die Hände des Feindes gefallen und zu seinem Hinterlandgeworden sein. Wir aber werden den Guerillakrieg auf das ganzeweite, vom Feind besetzte Gebiet ausdehnen; wir werden das Hinter-land des Feindes zur Front machen und ihn zu unablässigen Kämpfenin diesem ganzen Gebiet zwingen. Bis unsere strategische Gegenof-

fensive begonnen hat und wir unsere verlorenen Gebiete zurückero- bert haben, wird es daher nötig sein, im Hinterland des Feindes denGuerillakrieg fortzusetzen, sicherlich für eine ziemlich lange Zeit,obwohl man die Dauer noch nicht genau bestimmen kann; auf jedenFall aber wird es ein lange andauernder Krieg sein. Um seine Erobe-rungen in den besetzten Gebieten zu sichern, wird der Feind seineMaßnahmen gegen die Guerillas vervielfachen müssen, und wennseine strategische Offensive erst einmal zum Stehen gekommen ist,wird er sich mit schonungsloser Härte in diesen Kampf stürzen. Dierigorose Härte und die lange Dauer des Krieges werden es unmöglichmachen, den Guerillakrieg hinter den feindlichen Linien ohne Stütz-

 punkte zu führen.Was sind diese Stützpunkte? Es sind strategische Basen, über die dieGuerillaeinheiten unbedingt verfügen müssen, wenn sie ihre strategi-schen Aufgaben erfüllen, wenn sie ihre eigenen Kräfte erhalten, sich

ausdehnen und den Feind schlagen und vertreiben wollen. Ohne sol-che strategischen Basen würden wir bei der Ausführung unserer Aufgaben und der Bemühung, das Kriegsziel zu erreichen, keinenfesten, verläßlichen Punkt haben. Es ist ein Merkmal des Guerilla-kriegs hinter den feindlichen Linien, daß die Einheiten ohne Hinter-land kämpfen müssen. Ohne Stützpunkte jedoch kann ein Guerilla-

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krieg nicht von Dauer sein und sich auch nicht ausbreiten. Die Stütz- punktgebiete sind sein Hinterland.

Die Geschichte kennt viele Bauernkriege, die von umherziehendenRebellen geführt wurden, aber keiner dieser Kriege endete mit einemSieg. Heute, im Zeitalter des Fortschritts von Kommunikation undTechnik, ist die Vorstellung, man könne einen Sieg erringen, wennman nach Art der umherziehenden Rebellen kämpft, vollends unsin-nig. Und doch existiert diese Vorstellung noch immer unter den ver-armten Bauern, und in den Köpfen von Guerillaführern verbindet siesich mit der Ansicht, Stützpunkte seien weder nötig noch wichtig.Will man sich daher zur Errichtung von Stützpunkten entschließen,so ist es erforderlich, zunächst diese Vorstellung aus den Köpfen der Guerillaführer zu vertreiben. Die Frage, ob man Stützpunkte errich-ten soll oder nicht und ob man sie als wichtig anzusehen hat oder nicht, mit anderen Worten, der Konflikt zwischen der Überzeugung,daß man Stützpunkte errichten müsse, und der Vorstellung, mankönne kämpfen wie die umherziehenden Rebellen, ergibt sich in

  jedem Guerillakrieg, und bis zu einem gewissen Grad macht darinauch unser Guerillakrieg gegen Japan keine Ausnahme. Darum istdie Rebellenideologie um jeden Preis zu bekämpfen. Nur wenn wir sie völlig überwinden, wenn wir den Gedanken, Stützpunkte zu er-richten, aufgreifen und in die Tat umsetzen, schaffen wir günstigeBedingungen für die langfristige Aufrechterhaltung eines Guerilla-krieges.

 Nun, da wir die Notwendigkeit und Bedeutung der Stützpunkte er-läutert haben, wollen wir uns den Problemen zuwenden, die bei der Errichtung von Stützpunkten begriffen und gelöst werden müssen,nämlich: die Typen der Stützpunkte und der Guerillazonen, die Be-dingungen für die Errichtung, Befestigung und Ausdehnung der Stützpunkte und die Formen der Einkreisung.

1. Typen des Stützpunkts

Die antijapanische Guerillakriegführung kennt hauptsächlich dreiTypen von Stützpunkten: die im Gebirge, die in der Ebene und die inFluß-, See- oder Mündungsgebieten befindlichen.Die Vorteile der Stützpunkte in Gebirgsgegenden sind offensichtlich.Sämtliche Stützpunkte, die wir in den Gegenden der Changpaiberge1,

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der Wutaiberge 2, der Taihangberge 3, der Taishanberge 4, der Yens-hanberge 5 und der Maoshanberge 6 hatten und noch haben, gehören

zu diesem Typ. An allen diesen Stellen kann der Guerillakrieg gegenJapan auf fast unbegrenzte Zeit durchgehalten werden; sie sind diewichtigsten Festungen in unserem Widerstandskrieg. Wir müssendaher in allen Gebirgsgegenden hinter den feindlichen Linien denGuerillakrieg entwickeln und Stützpunkte errichten.

 Natürlich sind die Ebenen weniger geeignet als die Berge, doch ist estrotzdem keineswegs ausgeschlossen, dort den Guerillakrieg vorzu-

  bereiten oder Stützpunkte zu errichten. Die Guerillakämpfe in denEbenen von Hopei und im nördlichen und nordwestlichen Shantung

 beweisen, daß es möglich ist, auch in der Ebene einen Guerillakriegzu führen. Zwar ist bisher noch nicht erwiesen, daß sich Stützpunktein derartigen Gegenden lange halten lassen, aber man weiß doch, daßMöglichkeiten für die Einrichtung vorübergehender Stützpunkte

 bestehen. Eigentlich sollte es auch möglich sein, derartige Basen zuschaffen, die von kleineren Einheiten ständig oder doch einige Mo-

nate hindurch benutzt werden können. Einerseits hat unser Feindnicht genügend Truppen und betreibt eine beispiellos brutale Politik,andererseits verfügt China über ein riesiges Territorium und über eine überaus große Anzahl von Menschen, die den Japanern wider-stehen, so daß also die objektiven Bedingungen für die Ausbreitungdes Guerillakrieges und die Errichtung von zeitweiligen Stützpunk-ten in den Ebenen gegeben sind. Einer geschickten militärischen

Führung sollte es selbstverständlich gelingen, hier Stützpunkte für kleinere Guerillaeinheiten zu errichten, die nur für längere Zeit ge-

 plant sind.7 Wenn die strategische Offensive des Feindes zum Still-stand gekommen ist und er sich an die Sicherstellung der erobertenGebiete begibt, wird er zweifellos heftige Angriffe gegen alle Gueril-lastützpunkte unternehmen, und natürlich werden die in der Ebenegelegenen der Wucht dieser Angriffe am meisten ausgesetzt sein. Die

größeren in der Ebene operierenden Guerillaeinheiten werden dann bald nicht mehr imstande sein, ihre Kampftätigkeit hier fortzusetzen,und sich deshalb den Umständen entsprechend in die Berggegendzurückziehen, so z, B. die Guerillas aus der Hupei-Ebene in die Wu-taiund Taishangberge, und aus der Shantung-Ebene in das Taishan-gebirge und in den östlichen Teil der Shantung vorgelagerten Halb-insel. Trotzdem dürften die besonderen Umstände, unter denen unser 

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nationaler Widerstand geführt wird, es auch dann noch vielen kleinenGuerillaeinheiten ermöglichen, in verschiedenen Bezirken der weiten

Ebene eine Art beweglichen Kampf zu führen, indem sie ihre Stütz- punkte dauernd von einem Ort zum anderen verlegen. Und auf jedenFall kann ein Guerillakrieg geführt werden, der sich die Jahreszeitzunutze macht, den «Grünen Vorhang» der sommerlichen Getreide-felder und die zugefrorenen Flüsse des Winters. Da der Feind ge-genwärtig mit seinen Kräften haushalten muß und, selbst wenn er über ausreichende Truppen verfügte, doch niemals imstande wäre,sich um alles zu kümmern, ist es unbedingt nötig, daß wir uns ge-genwärtig zu der Politik entschließen, die Guerillatätigkeit so weitwie möglich auszudehnen und in den Ebenen provisorische Stütz-

 punkte zu errichten. Für die Zukunft müssen wir uns darauf einrich-ten, den Guerillakrieg durch kleine Einheiten aufrechtzuerhalten,auch wenn sie nur für Monate operieren können und dann verlegtwerden müssen.Die Möglichkeiten, den Guerillakrieg zu entwickeln und Stützpunkte

zu errichten, sind objektiv gesehen in den Fluß-, See- und Mün-dungsgebieten größer als in den Ebenen, wenn auch nicht ganz sogroß wie im Gebirge. Unsere Geschichte kennt die vielen dramati-schen Schlachten der «Piraten» und «Wasserbanditen» und auch dieGuerillatätigkeit, die wir zur Zeit der Roten Armee rund um denHunghu-See mehrere Jahre hindurch ausübten, was beides die Mög-lichkeit beweist, den Guerillakrieg auszubreiten und Stützpunkte in

Fluß-, See- und Mündungsgebieten zu errichten. Die politischenParteien und die Massen, die Japan widerstehen, haben bisher dieser Möglichkeit geringe Aufmerksamkeit gewidmet. Aber wenn auchvorläufig die subjektiven Bedingungen noch nicht erfüllt sind, solltenwir diese Frage doch ernsthaft erwägen und beginnen, an ihrer Lö-sung zu arbeiten. Eine Seite der Ausbreitung des ganz China ergrei-fenden Guerillakrieges ist dann Organisierung im Gebiet des Hungt-

se-Sees nördlich des Yangtsekiang und im Gebiet der TaihuSeessüdlich des Yangtsekiang, desgleichen in sämtlichen Fluß-, See- undMündungsgebieten der vom Feind besetzten Landesteile am Yangt-sekiang sowie an der Meeresküste. An solchen Plätzen und in ihrer Umgebung sollten wir feste Stützpunkte errichten. Wenn wir dieseSeite unserer Aufgabe außer acht lassen, verschaffen wir damit demFeind Transportmöglichkeiten zu Wasser. Hier klafft eine Lücke in

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unserem strategischen Plan für den Widerstandskrieg, die möglichst bald ausgefüllt werden muß.

2. Guerillazonen und Stützpunkte

Im Guerillakrieg hinter den feindlichen Linien unterscheidet manzwischen Guerillazonen und Stützpunkten. Vom Feind eingekreisteLandesteile, deren Kerngebiete jedoch nicht in seiner Hand oder wieder von uns zurückerobert sind — wie z. B. gewisse Gegendenim Wutaigebirge (das Grenzgebiet von Shansi-Chahar—Hopei) so-wie einige Bezirke im Taihangund im Taishangebirge —, bieten sichals Stützpunkte für die Einheiten im fortschreitenden Guerillakrieggeradezu an. In anderen Gegenden dieser Bezirke hingegen ist dieLage anders, so z. B. in den östlichen und nördlichen Gebieten desWutaigebirges, die Teile des westlichen Hopei und des südlichenChahar einschließen, ebenso an einigen Orten östlich von Paotingund westlich von Tsangchow. Zu Beginn des Guerillakrieges konn-

ten die Einheiten diese Bezirke nicht vollständig besetzen, sondernnur häufige Angriffe und Streifzüge unternehmen, so daß diese Ge-

 biete von den Guerillas nur bei deren Anwesenheit kontrolliert wer-den und sonst durch das japanische Marionettenregime. Diese Gebie-te, die noch keine richtigen Stützpunkte sind, nennen wir Guerillazo-nen. Derartige Zonen werden zu Stützpunkten, sobald sie die nötigenProzesse des Guerillakrieges durchlaufen haben, d. h. sobald hier 

größere Kontingente feindlicher Truppen geschlagen und vernichtetworden sind, sobald die Marionettenregierung abgesetzt ist, dieVolksmassen aktiviert und antijapanische Organisationen gegründetsind, sobald die Bewaffnung großer Teile der Bevölkerung fortge-schritten und eine antijapanische politische Macht etabliert ist. Wennwir von einer Ausdehnung unserer Stützpunkte sprechen, so meinenwir damit die Zusammenfügung bereits vorhandener Stützpunkte.

An einigen Orten, wie z. B. im östlichen Hopei, war das gesamteGebiet der Guerillaoperationen von Anfang an eine Guerillazone.Hier hält sich das Marionettenregime schon jahrelang, und von An-fang an war das gesamte Operationsgebiet eine Guerillazone, dennaus lokalen Aufständen war die bewaffnete Volksmacht hervorge-gangen, und Guerillaabteilungen waren aus den Wutaibergen ent-sandt worden. Anfänglich konnten sie sich nur ein paar günstige

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Plätze als Hinterland oder vorübergehende Stützpunkte wählen. DieUmwandlung solcher Guerillazonen in einigermaßen stabile Stütz-

  punkte läßt sich erst dann vollziehen, wenn die feindlichen Kräftezerschlagen sind und die Aktivierung der Volksmassen in vollemGange ist.Somit ist also die Umwandlung einer Guerillazone in einen Stütz-

  punkt ein schwieriger schöpferischer Prozeß, dessen Vollendungvom Ausmaß der Vernichtung des Feindes und der Aktivierung der Massen abhängt.Viele Bezirke werden auf lange Zeit Guerillazonen bleiben. Der Feind wird hier nicht imstande sein, seine Marionettenregierungen zustabilisieren, sosehr er sich auch bemühen mag, die Kontrolle zu

 behalten, während wir andererseits nicht in der Lage sind, unser Ziel,eine antijapanische politische Macht zu etablieren, zu erreichen, so-sehr wir uns auch um die Ausdehnung der Guerillazone bemühen.Beispiele hierfür finden sich in den vom Feind besetzten Landestei-len entlang den Eisenbahnstrecken, in der Nachbarschaft großer 

Städte und in gewissen Regionen des Flachlandes.Was die großen Städte, die Eisenbahnstationen und einige Gebieteim Flachland betrifft, in denen der Feind starke Garnisonen errichtethat, so muß sich die Guerillatätigkeit hier auf die Randbezirke be-schränken. Diese Orte und Gebiete, die eine verhältnismäßig stabileMarionettenregierung haben, sind uns unzugänglich. Das ist eineandere Situation.

Fehler unserer Kommandostellen oder starker Druck des Feindeskönnen gelegentlich eine Umkehrung des oben beschriebenen Zu-stands bewirken. So kann ein Stützpunktgebiet zu einer Guerillazonewerden und diese zu einem Gebiet, über das der Feind eine einiger-maßen feste Herrschaft ausübt. Derartige Veränderungen sind mög-lich, und sie erfordern erhöhte Wachsamkeit der Guerillakomman-deure.

Infolge des Guerillakrieges und der Kämpfe zwischen uns und demFeind zerfällt demnach das gesamte vom Feind besetzte Gebiet in diefolgenden drei Kategorien: 1. antijapanische Stützpunkte, die vonunseren Guerillaeinheiten und unseren Organen der politischenMacht kontrolliert werden; 2. Gebiete, die sich in der Hand des japa-nischen Imperialismus und seiner Marionettenregierungen befinden;3. Gebiete, die dazwischen liegen und von beiden Seiten umkämpft

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werden mit anderen Worten Guerillazonen. Die Guerillakomman-deure haben die Pflicht, die Gebiete der ersten und dritten Kategorie

so weit wie irgend möglich auszudehnen und die der zweiten Kate-gorie auf ein Minimum zu beschränken. Das ist die strategische Auf-gabe der Guerillakriegführung.

3. Bedingungen für die Errichtung von Stützpunkten

Die grundsätzlichen Bedingungen für die Errichtung eines Stütz- punktes sind, daß erstens antijapanische bewaffnete Kräfte vorhan-den sind, daß zweitens diese bewaffneten Kräfte dazu eingesetztwerden, den Feind niederzuwerfen und die Bevölkerung zur Tat auf-zurufen. Insofern geht es bei der Errichtung eines Stützpunktes inerster Linie um den Aufbau einer bewaffneten Macht. Die Befehls-haber im Guerillakrieg müssen ihre ganze Energie einsetzen, um eineoder mehrere Guerillaeinheiten aufzustellen, und sie müssen sie imVerlauf der Kämpfe nach und nach in Guerillaformationen umwan-

deln oder sogar in reguläre Einheiten und Formationen. Der Aufbaueiner bewaffneten Macht ist der Schlüssel zur Errichtung einesStützpunktes; wenn keine oder nur eine schwache bewaffnete Machtvorhanden ist, läßt sich nichts erreichen. Das ist die erste Bedingung.Die zweite unerläßliche Bedingung zur Errichtung eines Stützpunk-tes besteht darin, daß die bewaffneten Kräfte gemeinsam mit der Bevölkerung eingesetzt werden müssen, den Feind zu schlagen. Alle

Orte unter feindlicher Kontrolle sind feindliche und nicht eigeneStützpunkte und lassen sich demnach erst, wenn der Feind geschla-gen ist, in Guerillastützpunkte umwandeln. Wenn wir die Angriffedes Feindes nicht abwehren und ihn nicht schlagen, werden sogar von uns besetzte Stellungen in die Hand des Feindes geraten, unddann wird es uns unmöglich sein, Stützpunkte zu errichten.Die dritte unerläßliche Bedingung zur Errichtung eines Stützpunktes

ist der Einsatz all unserer Kräfte einschließlich unserer bewaffnetenStreitmacht um die Erhebung der Massen zum Kampf gegen Japanzu bewerkstelligen. Im Verlauf dieses Kampfes müssen wir das Volk 

 bewaffnen, d. h. örtliche Milizen und Guerillaeinheiten organisieren.Im Verlauf dieses Kampfes müssen wir eine Massenbewegung entfa-chen, wir müssen die Arbeiter, Bauern, die Jugend, die Frauen, dieKinder, Kaufleute und die Intellektuellen — je nach dem Grad ihres

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  politischen Bewußtseins und ihres Kampfwillens in die verschiede-nen zum Kampf gegen Japan nötigen Organisationen eingliedern,

und wir müssen diese Organisationen Schritt um Schritt ausdehnen.Ohne Organisation kann die gegen Japan gerichtete Kraft des Volkesnicht wirksam werden. Im Verlauf dieses Kampfes müssen wir dieoffenen und versteckten Verräter ausmerzen eine Aufgabe, die wir nur im Vertrauen auf die Kraft des Volkes erfüllen können. In die-sem Kampf ist es besonders wichtig, daß wir das Volk dazu bringen,die gegen Japan gerichteten lokalen politischen Organe zu festigen

  bzw. solche zu begründen. Dort, wo der Feind die ursprünglichenchinesischen politischen Einrichtungen nicht zerstört hat, müssen wir sie mit der Unterstützung der breiten Masse neu organisieren undstärken; dort, wo sie zerstört sind, müssen wir sie mit Hilfe des Vol-kes neu aufbauen. Es sind Organe der politischen Macht, dazu be-stimmt, die Politik der antijapanischen Nationalen Einheitsfrontdurchzuführen und alle Kräfte des Volkes im Kampf gegen unserenFeind, den japanischen Imperialismus und seine Handlanger, die

Verräter und Reaktionäre, zu vereinen.Ein Stützpunkt für den Guerillakrieg kann nur dann tatsächlich er-richtet werden, wenn sich die drei Grundbedingungen schrittweiseerfüllen lassen, d. h. wenn bewaffnete Kräfte gegen Japan aufgebautsind, wenn der Feind Niederlagen erlitten hat und wenn das Volk sich erhoben hat.Wir müssen hier auch noch die geographischen und wirtschaftlichen

Bedingungen erwähnen. Was die geographischen Bedingungen an-geht, so sprachen wir bereits im vorhergehenden Abschnitt über diedrei verschiedenen Typen von Stützpunkten und brauchen jetzt nur noch auf eine wichtige Forderung einzugehen: das Gebiet muß großgenug sein. An Orten, wo der Feind uns von allen Seiten oder vondrei Seiten eingekreist hat, bieten Gebirgsregionen selbstverständlichdie besten Bedingungen für die Errichtung von Stützpunkten, die wir 

auf lange Zeit hinaus halten können; die Hauptsache ist jedoch, daßdie Guerillas genügend Raum haben, um manövrieren zu können.Wenn das Terrain groß genug ist, kann der Guerillakrieg auch insFlachland ausgedehnt und dort erhalten werden, ganz zu schweigenvon den Fluß-, See- und Mündungsgebieten. Im allgemeinen ist diesefür die chinesischen Guerillas so wichtige Vorbedingung schondurch die Größe des chinesischen Territoriums und die Truppen-

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knappheit des Feindes erfüllt. Es ist die grundlegende Bedingung für die Möglichkeit, einen Guerillakrieg zu führen, und kleine Länder 

wie z. B. Belgien, bei denen diese Bedingung nicht erfüllt ist, verfü-gen kaum oder gar nicht über diese Möglichkeit. In China ist dieseBedingung gegeben, sie stellt kein Problem dar, sie wartet geradezudarauf, genutzt zu werden.8 Soweit die natürlichen Bedingungen betroffen sind, gleichen diewirtschaftlichen den geographischen Bedingungen. Wir behandelnhier schließlich nicht die Errichtung von Stützpunkten in einer Wü-ste, in der kein Feind anzutreffen ist, sondern in dem Gebiet hinter den feindlichen Linien; in jeder Region, in die der Feind eindringenkann, sind bereits eine chinesische Bevölkerung und die wirtschaftli-chen Bedingungen für ihre Existenz vorhanden, so daß sich die Fragenach der Wahl ökonomischer Bedingungen bei der Errichtung vonStützpunkten gar nicht stellt. Wir sollten ohne jede Rücksicht auf diewirtschaftlichen Bedingungen unser Äußerstes tun, um den Guerilla-krieg voranzutreiben, und überall, wo eine chinesische Bevölkerung

und Feindkräfte anzutreffen sind, ständige oder provisorische Stütz- punkte errichten. In politischer Hinsicht allerdings werfen die wirt-schaftlichen Bedingungen ein Problem auf, und zwar ein Problemder Wirtschaftspolitik, das für die Errichtung von Stützpunkten le-

 benswichtige Bedeutung hat. Die Wirtschaftspolitik der Stützpunktemuß die Grundsätze der antijapanischen Nationalen Einheitsfront

 befolgen, indem sie die finanziellen Lasten gerecht verteilt und den

Handel schützt. Weder die lokalen politischen Organe noch die Gue-rillaeinheiten dürfen gegen diese Grundsätze verstoßen, da ein sol-ches Verhalten sich zum Schaden der Stützpunkte und der Aufrecht-erhaltung des Guerillakrieges auswirken würde. Mit der gerechtenVerteilung der finanziellen Lasten ist gemeint, daß «diejenigen, dieGeld besitzen, Geld beisteuern sollen», während die Bauern die Gue-rillaeinheiten innerhalb gewisser Grenzen mit Getreide zu versorgen

haben. Mit dem Schutz des Handels ist gemeint, daß die Guerillaein-heiten unbedingte Disziplin wahren müssen und daß es streng verbo-ten sein muß, Läden zu konfiszieren, abgesehen von den Fällen, indenen die Inhaber als Verräter entlarvt worden sind. Das wird nichtimmer leicht sein, aber es ist unsere Politik, die durchgeführt werdenmuß.

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4. Die Befestigung und Erweiterung von Stützpunkten

Um die feindlichen Eindringlinge auf wenige Befestigungen also auf die großen Städte und entlang den Verbindungslinien — zu be-schränken, müssen die Guerillas sich mit allen Kräften bemühen, denKrieg von ihren Stützpunkten aus so weit wie möglich voranzutragenund die Befestigungen des Feindes zu umzingeln, um so seine Exi-stenz zu bedrohen und durch die Erweiterung der eigenen Stützpunk-te seine Moral zu erschüttern. Das ist lebenswichtig. In diesem Zu-sammenhang müssen wir uns dem Konservatismus im Guerillakriegwidersetzen. Der Konservatismus, gleichgültig ob er aus demWunsch nach einem bequemen Leben oder aus einer Überschätzungdes Feindes hervorgeht, kann im Widerstandskrieg nur zu Verlustenführen und wirkt sich ungünstig auf den Guerillakrieg und die Stütz-

  punkte aus. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, unsere Stütz-  punkte zu konsolidieren, denn es ist unsere Hauptaufgabe, dieVolksmassen zu aktivieren und zu organisieren und Guerillaeinhei-

ten sowie lokale Milizen auszubilden. Eine derartige Konsolidierungist sowohl für die Aufrechterhaltung eines verlängerten Krieges alsauch für die Expansion des Guerillakrieges vonnöten ohne sie isteine kraftvolle Erweiterung nicht möglich. Wenn wir uns im Gueril-lakrieg nur um die Expansion bemühen und die Konsolidierung au-ßer acht lassen, werden wir nicht in der Lage sein, den Angriffen desFeindes standzuhalten, und infolgedessen nicht nur jede Möglichkeit

einer Expansion einbüßen, sondern auch das Bestehen der Stütz-  punkte selbst gefährden. Wir müssen also Expansion und Konsoli-dierung miteinander verbinden; das ist eine gute Methode, die unsgestattet, je nach Wunsch anzugreifen oder in die Defensive zu ge-hen. Da es sich hier um einen lange dauernden Krieg handelt, ist für 

 jede Guerillaeinheit immer wieder von neuem die Aufgabe gestellt,die Stützpunkte zu befestigen und zu erweitern. Ihre konkrete Lö-

sung hängt selbstverständlich von den äußeren Umständen ab. Ein-mal kann der Schwerpunkt auf der Expansion, also auf der Erweite-rung der Guerillazonen und der zahlenmäßigen Verstärkung der Gue-rillaeinheiten liegen. Zum anderen liegt er auf der Konsolidierung,also auf der Aktivierung der Massen und der Ausbildung der Trup-

 pen. Da Expansion und Konsolidierung ihrer Natur nach verschiedensind und da folglich die militärischen Anweisungen und andere Auf-

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gaben voneinander abweichen, ist eine erfolgreiche Lösung des Pro-  blems nur möglich, wenn wir den Schwerpunkt je nach Zeit und

Umständen verlagern.

5. Formen der Einkreisung

Betrachtet man den Widerstandskrieg als Ganzes, so kann kein Zwei-fel an der Tatsache bestehen, daß wir strategisch vom Feind einge-kreist sind, da er eine strategische Offensive führt und auf den äuße-ren Kampflinien operiert, während wir uns in der strategischen De-fensive befinden und auf den inneren Kampflinien operieren. Dies istdie erste Form der Einkreisung durch den Feind. Wir unsererseitskreisen jede feindliche Kolonne ein, die auf getrennten Wegen gegenuns vorrückt, weil wir die Politik der Offensive und der Operationenauf den äußeren Kampflinien in Schlachten und Gefechten anwen-den, indem wir zahlenmäßig überlegene Kräfte gegen die (aus Rich-tung ihrer äußeren Kampflinien) vorrückenden feindlichen Kolonnen

einsetzen. Dies ist die erste Form unserer Einkreisung des Feindes.Wenn wir sodann die Guerillastützpunkte im Hinterland des Feindes

  betrachten, so ist jeder dieser Stützpunkte einzeln gesehen — vonallen Seiten durch den Feind eingekreist, wie z. B. das Gebiet in denWutaibergen, oder auch von drei Seiten, wie z. B. das Gebiet imnordwestlichen Shansi. Dies ist die zweite Form der Einkreisungdurch den Feind. Wenn man jedoch alle Guerillastützpunkte insge-

samt und in ihrem Verhältnis zu den Kampffronten der regulärenTruppen betrachtet, so sieht man, daß wir wiederum eine große An-zahl feindlicher Truppen einkreisen. So haben wir beispielsweise inder Provinz Shansi die Eisenbahnstrecke TatungPuchow von dreiSeiten (vom Osten, vom Westen und vom Süden her) und die StadtTaiyuan von allen Seiten eingekreist. Es gibt eine ganze Reihe ähnli-cher Beispiele in den Provinzen Hopei und Shantung. Dies ist die

zweite Form unserer Einkreisung des Feindes. Das sind also die bei-den Formen feindlicher Einkreisung und die beiden Formen unserer Einkreisung. Schlachten und Gefechte auf beiden Seiten gleichen der Art, wie die Weichi-Spieler 9 die gegnerischen Steine nehmen, unddie Errichtung von Befestigungen durch den Feind und von Guerilla-stützpunkten durch uns läßt sich mit den Zügen vergleichen, die der Spieler macht, um bestimmte Felder auf dem Spielbrett zu beherr-

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schen. Eben in der «Beherrschung der Operationsfelder» offenbartsich die große strategische Bedeutung der Guerillastützpunkte im

Hinterland des Feindes. Wir schneiden dieses Problem des Wider-standskrieges an mit der Absicht, daß die militärischen Autoritätender Nation und die Kommandeure aller Guerillastützpunkte die Aus-dehnung der Guerillakriegführung hinter den feindlichen Linien unddie Errichtung von Stützpunkten, wo es nur irgend möglich ist, auf die Tagesordnung setzen und als eine strategische Aufgabe betrach-ten. Falls es uns möglich ist, auf internationaler Ebene eine antijapa-nische Front im Pazifikraum zu bilden, bei der China eine strategi-sche Einheit darstellt, der sich die Sowjetunion und andere Länder als weitere strategische Einheiten anschließen, werden wir den Feindin einer Form einkreisen können, die ihm nicht zu Gebote steht, wir werden die Operationen auf der äußeren Kampflinie in den Pazifi-schen Raum ausdehnen können und damit das faschistische Japaneinkreisen und vernichten. Im Augenblick ist das von geringer prak-tischer Bedeutung, aber eine solche Perspektive ist nicht unmöglich.

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7. KapitelStrategische Defensive und

strategische Offensive im Guerillakrieg

Das vierte strategische Problem im Guerillakrieg betrifft die strategi-sche Defensive und die strategische Offensive. Hier erhebt sich dieFrage, wie die Politik einer offensiven Kriegführung, die wir in unse-rer Behandlung des ersten Problems erwähnten, in die Tat umgesetztwerden kann, gleich ob wir im Guerillakrieg gegen Japan in der De-

fensive oder in der Offensive sind.Innerhalb der sich über ganz China erstreckenden strategischen De-fensive oder strategischen Offensive (genauer ausgedrückt: der stra-tegischen Gegenoffensive) finden in der Umgebung der einzelnenGuerillastützpunkte strategische Defensiv- und Offensivoperationenkleineren Ausmaßes statt. Mit strategischer Defensive bezeichnenwir eine strategische und politische Situation, in der der Feind in der 

Offensive ist, während wir in der Defensive sind; mit strategischer Offensive bezeichnen wir eine strategische und politische Situation,in der der Feind in der Defensive ist und wir uns in der Offensive

 befinden.

1. Die strategische Defensive im Guerillakrieg

  Nachdem der Guerillakrieg ausgebrochen ist und einen gewissenUmfang angenommen hat, wird der Feind unweigerlich die Stütz- punkte der Guerillas angreifen — vor allem dann, wenn seine strate-gische Offensive gegen das ganze Land zum Stillstand gekommen istund er dazu übergeht, die eroberten Gebiete nach Möglichkeit zusichern. Es ist wichtig, daß wir die Unvermeidlichkeit solcher An-griffe erkennen; denn sonst würden sie die Guerillakommandeurevöllig unvorbereitet treffen, und angesichts der schweren feindlichenAngriffe könnten sie in ihrer Aufregung die Übersicht verlieren undihre Truppen würden gänzlich vernichtet.Um die Guerillas zu vertreiben und ihre Stützpunkte zu überrennen,setzt der Feind häufig konzentrische Angriffe an. So ging er z. B. in

 jeder der vier oder fünf «Strafexpeditionen» gegen die Gebirgsregionvon Wutai gleichzeitig mit drei, vier und sogar sechs oder sieben

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Kolonnen vor. Je größer das Ausmaß der Guerillakämpfe, je wichti-ger die Lage der Stützpunkte ist und je größer die Gefahr, die sie für 

die strategischen Zentren und die lebenswichtigen Verbindungsliniendes Feindes bedeuten, um so verbissener werden seine Angriffe. Jeheftiger die feindlichen Angriffe auf einen Guerillastützpunkt sind,desto deutlicher zeigt sich, daß die Guerillakriegführung erfolgreichist und wirkungsvoll mit den regulären Truppen zusammenarbeitet.Wenn der Feind einen konzentrischen Angriff in mehreren Kolonnenunternimmt, sollten die Guerillas bestrebt sein, ihn durch einen Ge-genangriff zu vernichten. Das kann leicht geschehen, wenn jede der vorrückenden feindlichen Kolonnen nur aus einer größeren oder kleineren Einheit besteht, wenn der Feind nicht frontal nachdrängenund entlang der Vormarschstraße keine Truppen stationieren, keineStützpunkte errichten und keine Autostraßen bauen kann. Sobald der Feind einen konzentrischen Angriff unternimmt, befindet er sich inder Offensive und operiert auf den äußeren Kampflinien, währendwir uns in der Defensive befinden und auf den inneren Kampflinien

operieren. Wir sollten in diesen Fällen unsere Hilfstruppen dazu ein-setzen, mehrere Kolonnen des Gegners zu binden, während unsereHauptstreitmacht gegen einzelne Feindkolonnen Überraschungsan-griffe (vor allem in Form von Überfällen aus dem Hinterhalt) unter-nimmt. Der Feind, der sich im Angriff befindet, wird, wie stark er auch sein mag, durch solche wiederholten Überraschungsangriffegeschwächt. Häufig wird er sich in diesem Fall zurückziehen, auch

wenn er schon auf halbem Wege ist. Dann können die Guerillaein-heiten während der Verfolgung weitere Überraschungsangriffe gegenihn führen und ihn noch stärker schwächen. Gewöhnlich besetzt der Feind, bevor seine Offensive zum Stillstand kommt und er sich zu-rückzuziehen beginnt, die Bezirkshauptstädte oder andere Ortschaf-ten innerhalb unseres Stützpunktgebietes. Daraufhin müssen wir diese Städte umzingeln, die Lebensmittelzufuhren des Feindes ab-

schneiden und seine Verbindungswege unterbrechen, auf daß wir,sobald er nicht mehr standhalten kann und zu weichen beginnt, dieGelegenheit, ihn zu verfolgen und anzugreifen, ausnutzen können.Wenn wir eine Feindkolonne vernichtet haben, müssen wir unsereKräfte verlegen, um eine andere zu vernichten, und indem wir eineKolonne nach der anderen zerschlagen, zerschmettern wir den kon-zentrischen Angriff.

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Ein großes Stützpunktgebiet wie das Wutaigebirge bildet einen mili-tärischen Bezirk, der wiederum in vier, fünf oder sogar mehr militä-

rische Unterbezirke zerfällt, jeder mit eigenen bewaffneten Kräften,die unabhängig operieren. Bei Anwendung der oben beschriebenenTaktik haben diese Kräfte oft die Angriffe des Feindes entweder gleichzeitig oder nacheinander zurückgeschlagen.In unserem Operationsplan gegen einen konzentrischen Feindangriff stellen wir unsere Hauptstreitmacht gewöhnlich auf den innerenKampflinien auf. Verfügen wir jedoch über genügend Truppen, sosollten wir die Hilfskräfte aus verschiedenen Guerillaeinheiten diesesBezirkes oder sogar Abteilungen der Hauptstreitmacht auf die äuße-ren Kampflinien werfen, um die Verbindungswege des Feindes zuunterbrechen und seine Verstärkung zu binden. Falls der Feind sichin unserem Stützpunktgebiet festsetzt, bietet sich für uns die Umkeh-rung dieser Taktik an: Dann müssen wir einen Teil unserer Kräfte imStützpunktgebiet belassen, damit sie den Feind hier einschließen,während wir mit unserer Hauptstreitmacht einen Angriff in der Rich-

tung führen, aus der er gekommen ist, und unser möglichstes tun, umihn zum Rückzug und zu einem Angriff auf unsere Hauptstreitmachtzu veranlassen. Es ist dies die Taktik desjenigen der «den Staat Chao

 befreit, indem er den Staat Wei belagert.»10 Im Verlauf der Operationen gegen einen konzentrischen Angriff sollten die lokalen antijapanischen Selbstverteidigungstrupps sowiesämtliche Massenorganisationen in Aktion treten und unsere Trup-

  pen in jeder Weise bei der Bekämpfung des Feindes helfen. ImKampf gegen den Feind erweist es sich als nötig, das Kriegsrecht inder betreffenden Gegend zu verschärfen und soweit irgend möglich

 — «unsere Verteidigungstätigkeit zu erhöhen und die Felder abzu-ernten». Der Zweck der ersten Maßnahme besteht darin, Verräter zu

 beseitigen und zu verhindern, daß der Feind Informationen erhält; diezweite Maßnahme zielt darauf ab, unsere eigenen Operationen

(durch Verstärkung unserer Verteidigungsarbeit) zu unterstützen unddie Lebensmittelbelieferung des Feindes (durch das Abernten der Felder) zu unterbinden.Wenn der Feind sich zurückzieht, brennt er häufig die Häuser in denStädten und Ortschaften nieder, die er zuvor besetzt hatte, und dieDörfer, dif an seinem Rückzugsweg liegen, um so etwaige Stütz-

  punkte für die Guerillas zu zerstören. Aber damit beraubt er sich

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selber aller schützenden Dächer und der Lebensmittel, die er beiseiner nächsten Offensive benötigt, und der Schaden fällt auf sein

eigenes Haupt zurück. Das ist ein anschaulicher Beweis für unsereThese, daß ein und dieselbe Sache zwei gegensätzliche Aspekte ha- ben kann.Ein Guerillakommandeur darf nie daran denken, seinen Stützpunktzu verlassen und weiterzuziehen — es sei denn, wiederholte Opera-tionen hätten erwiesen, daß es unmöglich ist, die schweren konzen-trischen Angriffe des Feindes zu zerschlagen. Unter diesen Umstän-den muß er sich vor Pessimismus hüten. Solange die Kommandeurekeine grundsätzlichen schweren Fehler begehen, ist es normalerweisemöglich, derartige Angriffe abzuschlagen und die Stützpunkte inGebirgsgegenden zu halten. Nur wenn in der Ebene ein schwerer konzentrischer Angriff erfolgt, sollte der Guerillakommandeur ange-sichts dieser besonderen Umstände andere Maßnahmen erwägen. Indiesem Fall sollte er zahlreiche kleinere Einheiten, die Einzelopera-tionen durchführen können, zurücklassen und die großen Guerilla-

formationen vorübergehend in gebirgige Regionen verlegen, ausdenen sie dann zurückkehren und ihre Tätigkeit im Flachland wie-deraufnehmen können, sobald die Hauptstreitmacht des Feindes ab-gezogen ist.Im allgemeinen können die Japaner nicht das Prinzip eines Netzesvon Stützpunkten übernehmen, das die Kuomintang zur Zeit desBürgerkriegs verfolgte, weil ihre Kräfte im Verhältnis zu dem unge-

heuren Territorium Chinas völlig unzureichend sind. Wir sollten  jedoch mit der Möglichkeit rechnen, daß sie dieses Prinzip bis zueinem gewissen Grade gegen solche Stützpunkte der Guerillas an-wenden, die eine besondere Gefährdung ihrer lebenswichtigen Posi-tionen darstellen. Aber auch in diesem Fall sollten wir uns darauf gefaßt machen, den Guerillakrieg in derartigen Gebieten aufrechtzu-erhalten. Da es uns möglich war, während des Bürgerkriegs die Gue-

rillatätigkeit immer weiterzuführen, kann auch nicht der leisesteZweifel daran bestehen, daß wir in einem nationalen Krieg in weitgrößerem Umfang dazu imstande sind. Zwar muß hinsichtlich desmilitärischen Kräfteverhältnisses gesagt werden, daß der FeindTruppenkontingente, die uns quantitativ und qualitativ weit überle-gen sind, gegen einige unserer Stützpunkte einsetzen kann; doch

  bleiben nach wie vor der unlösbare nationale Gegensatz zwischen

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uns und dem Feind und die unvermeidlichen Schwächen in seiner Führung. Unsere Siege beruhen auf sorgfältiger Aufklärungsarbeit

unter den Massen und der anpassungsfähigen Taktik unserer Opera-tionen.

2. Die strategische Offensive im Guerillakrieg

Wenn wir einen feindlichen Angriff zurückgeworfen haben, befindetsich der Feind, bevor er eine neue Offensive startet, in der strategi-schen Defensive, während wir uns in der strategischen Offensive

 befinden.In dieser Zeit ist es unser Operationsprinzip, nicht jene feindlichenKräfte anzugreifen, die sich in ihre Verteidigungsstellen verschanzthaben und die zu besiegen wir nicht sicher sein können, sondernsystematisch die kleinen feindlichen Einheiten und die Truppen sei-ner Marionetten dort zu vernichten oder zu vertreiben, wo unsereGuerillaeinheiten stark genug sind, es mit ihnen aufzunehmen; au-

ßerdem unsere Gebiete auszudehnen, die Massen im Kampf gegenJapan zu aktivieren, unsere Truppen aufzufüllen und auszubilden undneue Guerillaeinheiten zu organisieren. Sollte der Feind trotzdemnoch immer in der Defensive verharren, können wir unsere neuenGebiete noch mehr erweitern, schwachbesetzte Ortschaften und Ver-

 bindungslinien angreifen und sie so lange halten, wie die Umständees gestatten. Dies alles sind Aufgaben der strategischen Offensive,

und sie zielen darauf ab, den Defensivzustand des Feindes auszunut-zen, um unsere militärische Kraft und die Volksmacht aufzubauen,die Kraft des Feindes entsprechend zu schmälern und Vorbereitun-gen zu treffen, damit wir den Feind methodisch und empfindlichschlagen können, sobald er wieder zu einer Offensive ansetzt.Es ist wichtig, daß wir uns gelegentlich eine Ruhepause gönnen undunsere Truppen ausbilden. Das geschieht am besten dann, wenn der 

Feind sich in der Defensive befindet. Allerdings dürfen wir dabeinicht alles andere unberücksichtigt lassen; wir sollten vielmehr Zeitzum Ausruhen und für die Ausbildung finden, während wir unsereStützpunkte erweitern, mit den kleineren feindlichen Einheiten auf-räumen und die Bevölkerung zu aktivieren suchen. Gewöhnlich istdies auch der geeignete Zeitpunkt, um schwierigere Probleme wiedie Beschaffung von Lebensmitteln, Bettzeug und Kleidung in An-

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griff zu nehmen.Jetzt bieten sich auch Gelegenheiten, viele Verbindungslinien des

Feindes abzuschneiden, seine Transporte zu behindern und den regu-lären Truppen bei ihren Kampfhandlungen direkte Unterstützungzukommen zu lassen.Zu dieser Zeit erfüllt die Guerillas neuer Mut. Die vom Feind verwü-steten Gebiete werden allmählich wieder bewohnbar gemacht, undneues Leben erwacht. Auch die Bevölkerung in den zuvor vom Feind

 besetzten Bezirken ist sichtlich erleichtert, und überall hört man Lob-sprüche auf die Guerillas. Im Lager des Feindes und seiner streunen-den Hunde, der Verräter, hingegen nehmen Panik und Unordnung zu,und mit ihnen wächst der Haß auf die Guerillas und ihre Stützpunkte.Die Vorbereitungen, mit ihnen aufzuräumen, werden verstärkt. Dar-um dürfen sich die Befehlshaber während der strategischen Offensi-ve niemals ihren freudigen Gefühlen so weit überlassen, daß sie da-

  bei den Feind unterschätzen und vergessen, die Einigkeit in ihreneigenen Reihen zu fördern und ihre Stützpunkte sowie ihre Streit-

kräfte zu konsolidieren. Sie müssen in diesen Zeiten sorgsam auf   jeden Hinweis achten, der auf eine baldige Offensive des Feindesschließen läßt, damit sie im gegebenen Moment ihre eigene strategi-sche Offensive abschließen, sich wieder der strategischen Defensivezuwenden und so die Offensive des Feindes vernichten können.

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8. KapitelDie Entwicklung des Guerillakrieges

zum Bewegungskrieg

Das fünfte strategische Problem im Guerillakrieg gegen Japan be-trifft seine Entwicklung zum Bewegungskrieg, die sich als möglichund sogar notwendig erweist, da es sich hier um einen lange dauern-den und erbarmungslosen Krieg handelt. Wenn China die japani-schen Eindringlinge in kurzer Zeit schlagen und rasch seine verlore-

nen Gebiete zurückerobern könnte, und wenn dieser Krieg weder lange dauerte noch erbarmungslos geführt würde, wäre dies nichtnotwendig. Da der Krieg aber lange dauert und erbarmungslos ist,kann die Guerillakriegführung nur die Form des Bewegungskriegesannehmen. Bei einem verlängerten und erbarmungslosen Krieg be-steht die Möglichkeit, daß die Guerillaeinheiten die nötige Kampfer-fahrung gewinnen und sich so allmählich in reguläre Truppen ver-

wandeln, so daß ihre Operationsmethoden sich nach und nach Regelnunterwerfen und der Guerillakrieg zum Bewegungskrieg wird. Gue-rillakommandeure, die diesen Umwandlungsprozeß folgerichtig undsystematisch durchführen wollen, müssen die Möglichkeiten und die

 Notwendigkeit einer solchen Entwicklung klar erkennen.In vielen Gegenden, wie z. B. im Wutaigebirge, ist die Entwicklungder gegenwärtigen Guerillakriegführung durch die hierher abkom-

mandierten starken Abteilungen der regulären Truppen bestimmt.Obgleich die Operationen hier durchweg im Stil des Guerillakriegsgeführt werden, enthielten sie doch von Anfang an gewisse Elementedes Bewegungskrieges. Diese Elemente werden sich im Verlauf der Kämpfe immer mehr verstärken. Hierin liegt der Vorteil, nämlich dieMöglichkeit, den gegenwärtigen Guerillakrieg gegen Japan rasch zuerweitern und ihn in kürzester Zeit auf eine höhere Stufe zu bringen.So sind hier die Bedingungen für den Guerillakrieg wesentlich gün-stiger als seinerzeit in den drei nordwestlichen Provinzen. Um ausGuerillaeinheiten reguläre Truppen zu machen, die einen Bewe-gungskrieg führen, müssen zwei Vorbedingungen erfüllt werden: dieErhöhung der Truppenzahl und der Qualität. Abgesehen von der direkten Mobilisierung der Bevölkerung und ihrer Eingliederung indie Kampfeinheiten läßt sich eine Erhöhung der Truppenzahl auch

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durch die Zusammenlegung kleinerer Einheiten erreichen. Eine hö-here Qualität erzielt man durch eine gute Ausbildung der Mannschaf-

ten und eine Verbesserung ihrer Bewaffnung im Verlauf des Krieges.Bei der Zusammenlegung kleinerer Einheiten müssen wir uns davor hüten, einem Lokalpatriotismus, der lediglich auf lokale Interessenausgerichtet ist und jede Zentralisierung erschwert, Vorschub zuleisten. Gleichzeitig müssen wir aber auch einen rein militärischenStandpunkt vermeiden, bei dem alle lokalen Interessen beiseite ge-schoben werden.Man findet den Lokalpatriotismus bei den einzelnen Guerillaeinhei-ten und den lokalen Verwaltungen, die häufig nicht weit denkenkönnen und das allgemeine Interesse vernachlässigen oder die amliebsten auf eigene Faust handeln, weil sie es nicht gewöhnt sind,sich größeren Gruppen einzuordnen. Die Kommandeure der Haupt-streitmacht der Guerillas und auch die der größeren Formationenmüssen dieser Tatsache Rechnung tragen, indem sie Teile ihrer loka-len Einheiten allmählich zusammenlegen und andererseits den loka-

len Guerillaführern gestatten, einige ihrer Truppen zu behalten undden Guerillakrieg auszudehnen. Die Kommandeure sollten dieseEinheiten zu gemeinsamen Operationen einsetzen und so allmählicheine Verschmelzung zustande bringen, ohne ihre ursprünglichenOrganisationen zu zerstören oder die Kader umzugruppieren, so daßdie kleineren Gruppen reibungslos in den größeren aufgehen können.Ein ebenso falscher Standpunkt wie der Lokalpatriotismus ist die

rein militärische Einstellung, die in der Hauptstreitmacht von jenenvertreten wird, die allein nach der Verstärkung ihrer Kräfte trachtenund die Unterstützung der lokalen bewaffneten Einheiten vernachläs-sigen; sie haben nicht begriffen, daß der Wechsel vom Guerillakriegzum Bewegungskrieg nicht die Aufgabe der Guerillakriegführung

  bedeutet, sondern inmitten eines weitausgedehnten Guerillakriegesdie schrittweise Umbildung einer zum Bewegungskrieg befähigten

Haupttruppe, einer Truppe, die von zahlreichen Guerillaeinheitenumgeben sein muß, die ausgedehnte Guerillaoperationen unterneh-men. Diese Guerillaeinheiten sind wertvolle Hilfskräfte der Haupt-truppe und stellen für ihr stetiges Anwachsen eine unerschöpflicheReserve dar. Wenn daher der Kommandeur einer Haupttruppe auf Grund seiner rein militärischen Einstellung den Fehler begangen hat,die Interessen der örtlichen Bevölkerung und ihrer Verwaltung zu

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vernachlässigen, muß er sich korrigieren und von nun ab der Ver-stärkung der Haupttruppe wie der Vermehrung der lokalen bewaffne-

ten Einheiten gleichermaßen seine Aufmerksamkeit widmen.Will man die Qualität der Guerillaeinheiten verbessern, so ist es zu-nächst unerläßlich, ihr politisches und organisatorisches Niveau zuheben, sie besser auszurüsten und ihnen militärische Technik, Taktik und Disziplin zu vermitteln, so daß sie sich allmählich der regulärenArmee anpassen und ihre Guerillamethoden ablegen können. Wasdie politische Einstellung betrifft, so müssen sowohl die Komman-deure als auch die Soldaten von der Notwendigkeit überzeugt wer-den, die Guerillaeinheiten auf das Niveau der regulären Truppen zu

 bringen, sie in ihrem Streben auf dieses Ziel hin zu ermutigen unddie Erreichung dieses Ziels durch politische Aufklärung zu garantie-ren. Hinsichtlich der Organisation stellt sich die Aufgabe, schrittwei-se alle Anforderungen zu erfüllen, die an eine reguläre Formationgestellt werden: sie betreffen die militärischen und politischen Orga-ne, Methoden des Kommandos und des Aufbaus, ein geordnetes

Versorgungssystem, ärztliche Betreuung usw. Was die Ausrüstungangeht, so ist es nötig, für eine bessere und vielseitigere Bewaffnungzu sorgen und für den Ausbau der notwendigen Verbindungsmittel.Hinsichtlich der Disziplin ist es dringend erforderlich, das allgemei-ne Niveau zu heben, so daß einheitliche Richtlinien befolgt, jeder Befehl sofort ausgeführt und jede Nachlässigkeit verhindert wird.Die Erfüllung all dieser Aufgaben setzt beharrliche Bemühung vor-

aus, sie läßt sich nicht über Nacht erreichen; aber jedenfalls ist diesdie Richtung, in der die Entwicklung gehen muß. Nur so kann in

  jedem Stützpunktgebiet eine Haupttruppe gebildet werden, nur sokönnen wir in einem Bewegungskrieg wirksamere Angriffe gegenden Feind führen. Dort, wo abkommandierte Formationen oder Ka-der der regulären Truppen zur Verfügung stehen, läßt dieses Ziel sichleichter erreichen. Daher erwächst für alle regulären Truppen die

Verantwortung, den Guerillaeinheiten bei ihrer Umwandlung inreguläre Einheiten zu helfen.

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9. KapitelOrganisation der Truppenführung

Das letzte strategische Problem im Guerillakrieg gegen Japan betrifftdie Beziehung zwischen den Führungsstellen. Eine gute Lösung die-ses Problems ist eine der Vorbedingungen für die reibungslose Ent-wicklung der Guerillakriegführung.Da Guerillaeinheiten eine geringere Form der Organisation zeigen,die durch verstreute Operationen charakterisiert ist, kann die Trup-

 penführung im Guerillakrieg nicht so stark zentralisiert werden, wiees in der regulären Kriegführung üblich ist. Versuchte man, dieKommandomethoden der regulären Kriegführung auf die Guerilla-kriegführung einfach zu übertragen, würde ihre große Flexibilitätunvermeidlich eingeschränkt und ihre Vitalität untergraben werden.Ein stark zentralisiertes Kommando widerspricht der großen Flexibi-lität des Guerillakrieges und kann und darf daher hier keine Anwen-

dung finden.Andererseits kann ohne eine gewisse Zentralisierung der Truppen-führung auch der Guerillakrieg nicht erfolgreich entwickelt werden.Wenn ausgedehnte Operationen der regulären Truppen mit ausge-dehnten Operationen der Guerillas einhergehen, bedarf es einer ent-sprechenden Koordinierung, das heißt eines vereinten strategischenKommandos des nationalen Generalstabs und der Kommandeure der Kriegszone. In einer Guerillazone oder einem Stützpunktgebiet mitmehreren Guerillaeinheiten gibt es gewöhnlich eine oder mehrereGuerillaeinheiten (manchmal gemeinsam mit Formationen der regu-lären Truppen), die die Haupttruppe bilden, eine Anzahl größerer oder kleinerer Guerillaeinheiten, die die Hilfstruppen darstellen, undzahlreiche bewaffnete Einheiten der arbeitenden Bevölkerung. Diefeindlichen Kräfte hingegen bilden einen einheitlichen Komplex, umihre Operationen gegen die Guerillas zusammenzufassen. Demzufol-

ge stellt sich das Problem, wie man in derartigen Guerillazonen oder Stützpunkten eine einheitliche oder zentrale Kommandostelle errich-ten kann.Das Prinzip des Kommandos im Guerillakrieg sollte, obwohl es sichabsoluter Zentralisation und absoluter Dezentralisation widersetzt,ein zentralisiertes strategisches Kommando vorsehen und ein dezen-

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tralisiertes Kommando in Schlachten und Gefechten.Ein zentrales strategisches Kommando umfaßt die Planung und Lei-

tung des gesamten Guerillakrieges durch den Staat, die Koordinie-rung des Guerillakrieges mit der regulären Kriegführung in jeder Kriegszone und die einheitliche Leitung aller antijapanischen be-waffneten Kräfte in jeder Guerillazone und jedem Stützpunkt. Indieser Hinsicht muß jeder Mangel an Harmonie, Einheitlichkeit undZentralisierung sich unheilvoll auswirken; wir müssen mit allenKräften danach streben, Harmonie, Einheitlichkeit und Zentralisie-rung zu garantieren. In allgemeinen strategischen Fragen sollten dieUnterführer den Höheren Bericht erstatten und ihre Instruktionen

 befolgen, um so eine einheitliche Aktion zu sichern. Allerdings darf die Zentralisierung nicht über diesen Punkt hinausgehen, denn eswäre schädlich, den Unterführern in Detailfragen, zum Beispiel be-sondere Vorkehrungen für eine Schlacht oder ein Gefecht, hineinzu-reden. Denn solche Detailfragen müssen unter Berücksichtigung der 

 jeweiligen Umstände behandelt werden, und diese wandeln sich von

Tag zu Tag und von einem Ort zum anderen und entziehen sich so-mit der Kenntnis der entfernten höheren Kommandostellen. Dies ist,was mit dem Prinzip eines dezentralisierten Kommandos in Schlach-ten und Gefechten gemeint ist. Das gleiche Prinzip gilt auch für vieleOperationen der regulären Truppen, vor allem wenn die Verbin-dungslinien unzureichend sind. Kurz gesagt: innerhalb der Struktur einer vereinheitlichten Strategie muß die Guerillakriegführung ver-

hältnismäßig unabhängig bleiben.Wo ein Guerillastützpunkt ein militärisches Gebiet bildet, das inverschiedene Untergebiete aufgeteilt ist, deren jedes mehrere Bezirkeumfaßt, die ihrerseits wieder in Distrikte zerfallen, ist die Beziehungzwischen den Hauptquartieren des militärischen Gebiets und denender Untergebiete, bis hinunter zu den Kommandostellen der Bezirkeund Distrikte, durch ein System der Unterordnung charakterisiert.

Jeder Truppenteil muß seiner Stellung entsprechend unter dem direk-ten Kommando einer dieser Befehlsstellen stehen. Gemäß dem dar-gelegten Prinzip sollten in der Organisation des Kommandos Fragender allgemeinen Politik auf höherer Ebene zentralisiert werden, wäh-rend tägliche Operationen unter Berücksichtigung der spezifischenUmstände von den Unterführern ausgeführt werden sollten, die dasRecht zu einer gewissen Handlungsfreiheit haben sollten. Wenn eine

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höhere Stelle sich über gewisse Operationen zu äußern wünscht, dievon den Befehlshabern kleinerer Einheiten durchgeführt werden, so

sollte sie ihre Ansichten in Form von «Richtlinien» und nicht alsstrenge und rasch erteilte «Befehle» vorbringen. Je ausgedehnter dasGebiet, je komplexer die Lage und je größer die Entfernung zwi-schen den höheren und den niederen Kommandostellen ist, um soratsamer ist es, den unteren Kommandostellen hinsichtlich ihrer täg-lichen Operationen eine größere Unabhängigkeit zu gewähren; dennnur so können sie sich den jeweiligen Erfordernissen richtig anpas-sen, nur so können die Befehlshaber der kleineren Einheiten und ihreLeute die Fähigkeit selbständigen Handelns entwickeln, komplizierteSituationen meistern und den Guerillakrieg erfolgreich weitertragen.Solange eine bewaffnete Einheit oder eine größere Formation aneiner einheitlichen Operation teilnimmt, muß hinsichtlich der Bezie-hung zwischen den Kommandostellen das Prinzip der Zentralisationvorherrschen, da die höchste Stelle einen klaren Überblick über dieLage hat. Sobald jedoch diese Einheit oder Formation zu einer Ein-

zelaktion angesetzt wird, tritt in allgemeinen Fragen das Prinzip der Zentralisation, in Detailfragen das der Dezentralisation in Kraft, dader höheren Kommandostelle die spezifischen Probleme der Einzel-situation nicht klar sein können.Mangel an Zentralisierung dort, wo sie nötig wäre, deutet auf Nach-lässigkeit seitens der höheren Kommandostellen oder auf eine Auto-ritätsanmaßung seitens der unteren Stellen hin. Beides kann in der 

Beziehung zwischen höheren und niederen Stellen nicht geduldetwerden, schon gar nicht in der militärischen Sphäre. Wird die Dezen-tralisierung dort, wo sie vonnöten ist, nicht angewandt, so kann mandaraus schließen, daß die höheren Kommandostellen ein Monopolder Macht errichten wollen oder daß die niederen es an Initiativefehlen lassen. Auch das kann nicht geduldet werden schon gar nicht,wenn es um die Führung des Guerillakrieges geht. Die oben darge-

legten Prinzipien stellen die einzig korrekte Lösung des Problems der Organisation der Truppenführung dar.

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Anmerkungen

1. Die Kette der Changpaiberge zieht sich an der nordöstlichenGrenze Chinas hin. Nach der japanischen Invasion am 18. September 1931 wurde diese Gegend zu einem Stützpunkt der von der Kommu-nistischen Partei Chinas angeführten antijapanischen Guerillas.2. Die Kette der Wutaiberge liegt im Grenzgebiet der ProvinzenShansi und Hopei und der ehemaligen Provinz Chahar. Im Oktober 1937 begann die von der Kommunistischen Partei Chinas angeführte

Achte Frontarmee mit dem Aufbau des antijapanischen StützpunktesShansi-Chahar-Hopei, dessen Mittelpunkt die Wutaiberge bilden.3. Die Kette der Tainghaberge liegt im Grenzgebiet der ProvinzenShansi, Hopei und Honan. Im November 1937 begann die AchteFrontarmee mit dem Aufbau eines antijapanischen Stützpunkts imsüdöstlichen Shansi. Den Mittelpunkt dieses Stützpunkts bilden dieTaihangberge.

4. Der Taishan ist einer der bedeutendsten Gipfel in der Mitte der Provinz Shantung gelegenen Taiyiberge. Im Winter 1937 begannendie von der Kommunistischen Partei Chinas angeführten Guerilla-einheiten mit dem Aufbau des antijapanischen Stützpunktes Mittels-hantung, dessen Zentrum das Taiyigebirge darstellt.5. Die Kette der Yenshanberge liegt im Grenzgebiet von Hopei undder ehemaligen Provinz Jehol. Im Sommer 1938 begann die AchteFrontarmee mit dem Aufbau des antijapanischen Stützpunktes

Osthopei, dessen Mittelpunkt die Yenshanberge bilden.6. Die Maoshanberge liegen im südlichen Kiangsu. Im Juni 1938

 begann die Neue Vierte Armee unter Führung der KommunistischenPartei Chinas mit dem Aufbau des antijapanischen StützpunktesSüdkiangsu, dessen Mittelpunkt die Maoshanberge bilden.7. Unsere im Widerstandskrieg gewonnene Erfahrung hat bewiesen,daß es möglich war, im Flachland Stützpunkte zu errichten, die unse-

re Truppen für lange Zeit halten konnten. Dieser Erfolg wurde er-möglicht durch die Größe und Bevölkerungsdichte der betreffendenGebiete, durch die Richtigkeit der von der Kommunistischen Parteiverfolgten Politik, die starke Mobilisierung der Bevölkerung und dieTruppenknappheit des Feindes. Genosse Mao-Tsetung hat in späte-ren Hinweisen diese Möglichkeit noch entschiedener betont.

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8. Seit Beendigung des Zweiten Weltkriegs ist die nationale unddemokratische revolutionäre Bewegung in Asien, Afrika und Latein-

amerika im Anwachsen begriffen. In vielen Ländern hat das Volk,von seinen eigenen fortschrittlichen und revolutionären Kräften ge-führt, zu den Waffen gegriffen, um die finsteren Mächte des Imperia-lismus und der Reaktion zu stürzen. Damit ist bewiesen, daß unter den neuen historischen Umständen unter denen das sozialistischeLager, die revolutionären Kräfte der Völker in den Kolonialländernund die Massen des Volkes, die in allen Ländern um Demokratie undFortschritt ringen, mit Riesenschritten vorwärts eilen, während daskapitalistische System in der ganzen Welt immer schwächer wirdund das imperialistische System des Kolonialismus seiner völligenAuflösung entgegengeht daß unter diesen Umständen der Guerilla-krieg, den die Bevölkerung gewisser Länder heute führt, nach ande-ren Bedingungen verläuft als der Guerillakrieg, den das chinesischeVolk seinerzeit gegen Japan führte. Mit anderen Worten, auch inLändern, die nicht über ein großes Territorium verfügen, wie z. B.

Kuba, Algerien, Laos und Südvietnam, läßt sich ein erfolgreicher Guerillakrieg führen.9. Weichi ist ein altes chinesisches Spiel, bei dem zwei Spieler ver-suchen, die Steine des Gegners auf dem Spielbrett einzukreisen.Wenn die Steine eines Spielers eingekreist sind, gelten sie als «tot»(oder gefangen). Liegt jedoch noch eine genügende Anzahl freier Felder zwischen den eingekreisten Steinen, so gelten diese Steine

noch als «lebendig» (oder nicht gefangen).10. Im Jahre 353 v. Chr. belagerten die Truppen des Staates Wei dieHauptstadt des Staates Chao namens Hantan. Der König des StaatesChi, der mit Chao verbündet war, befahl seinen Generalen Tien Chiund Sun Pin, Chao mit ihren Truppen zu Hilfe zu eilen. General SunPin, der genau wußte, daß die Elitetruppen von Wei in Chao einge-drungen waren und im eigenen Land nur schwach besetzte Garniso-

nen zurückgelassen hatten, griff den Staat Wei an, der nun seineTruppen zurückzog, um sein Land zu verteidigen. Die Befehlshaber von Chi machten sich die Erschöpfung der Truppen von Wei zunut-ze: Sie griffen an und schlugen sie bei Kueiling (nordöstlich desheutigen Bezirks Hotse in Shantung). So wurde die belagerte Haupt-stadt Hantan entsetzt. Seit jenem Ereignis bezeichnen chinesischeStrategen eine solche Taktik mit den Worten: «Den Staat Chao be-

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freien, indem man den Staat Wei belagert.»

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Über den verlängerten Krieg

Mai 1938 

Genosse Mao Tse-tung hielt diese Vorträge vom 26. Mai bis zum 3.Juni 1938 vor der Yenan-Gesellschaft zum Studium des Wider-standskrieges gegen Japan in Yenan.

Darstellung des Problems

1. In wenigen Wochen, am 7. Juli, jährt sich zum erstenmal der Tag,an dem unser großer Widerstandskrieg gegen Japan begann. Seit fasteinem Jahre stehen die Kräfte der ganzen Nation einmütig zusam-men, bekämpfen den Feind und leisten in beharrlicher EinheitsfrontWiderstand. Die Völker der ganzen Welt beobachten aufmerksam

diesen Krieg, der in der Geschichte des Ostens ohne Vorbild ist undauch in die Weltgeschichte als einer der großen Kriege eingehenwird. Jeder Chinese, der unter den Schrecken des Krieges leidet undum das Weiterbestehen seiner Nation kämpft, sehnt tagtäglich denSieg herbei. Aber wie wird dieser Krieg nun weitergehen? Könnenwir ihn gewinnen? Können wir ihn rasch gewinnen? Viele reden voneinem verlängerten Krieg. Aber warum wird dieser Krieg lange dau-ern? Und wie sollen wir einen langen Krieg führen? Viele Leutesprechen auch von einem endgültigen Sieg. Aber warum wird er unszufallen? Wie sollen wir ihn anstreben? Noch hat nicht jeder Ant-worten auf diese Fragen gefunden; ja, in Wirklichkeit wissen bis zumheutigen Tage die meisten noch keine Antwort darauf. Darum sindnun auch die Defaitisten, die Anhänger der Theorie einer nationalenUnterjochung auf den Plan getreten und haben dem Volk erzählt, daßChina unterjocht werden wird und den endgültigen Sieg nicht errin-

gen wird. Andererseits sind auch ein paar stürmische Geister aufge-treten und haben dem Volk erzählt, China werde diesen Krieg sehr schnell und ohne jede größere Anstrengung gewinnen. Sind dieseAnschauungen richtig? Wir haben bereits erklärt, daß sie es nichtsind. Trotzdem haben die meisten das, was wir gesagt haben, nochnicht begriffen. Zum Teil liegt dies daran, daß wir noch nicht genü-

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gend Propaganda- und Aufklärungsarbeit geleistet haben, und zumTeil daran, daß die objektive Entwicklung der Ereignisse dem Volk 

ihre wahre Natur noch nicht klar und eindeutig enthüllt hatte, so daßdie meisten Menschen noch nicht in der Lage waren, die Gesamtrich-tung und das Ziel zu überblicken, und sich daher kein vollständigesBild von der Politik und Taktik machen konnten. Nun jedoch liegendie Dinge anders. Die Erfahrung von zehn Monaten Krieg hat vollauf ausgereicht, um zu beweisen, wie grundlos die Theorie einer nationa-len Unterjochung ist und auch unseren stürmischen Freunden dieVorstellung von einem raschen Sieg zu nehmen. Unter diesen Um-ständen wünschen sich viele Menschen eine Erklärung der Lage inForm einer Zusammenfassung. Sie wünschen das vor allem in Hin-

 blick auf den Begriff eines lange dauernden Krieges und zwar nichtwegen der einander entgegengesetzten Theorien über nationale Un-terjochung und raschen Sieg, sondern weil sie die Natur dieses Krie-ges noch nicht recht erfaßt haben. «Seit dem Zwischenfall von Lu-kouchiao steht unser Volk von vierhundert Millionen in gemeinsa-

mer Anstrengung zusammen, und der endgültige Sieg wird Chinagehören.» Dieses Wort ist weit verbreitet. Es ist grundsätzlich rich-tig, man muß ihm nur mehr Inhalt geben. Unser Ausharren im Wi-derstandskrieg und in der Einheitsfront war auf Grund einer Reihevon Faktoren möglich. In China umfaßt sie alle politischen Parteiendes Landes, von der Kommunistischen Partei bis zur Kuomintang,alle Menschen, von Arbeitern und Bauern bis zur Bourgeoisie, und

alle Streitkräfte, von den regulären Truppen bis zu den Guerillas.International reicht die Einheitsfront vom Land des Sozialismus biszu den gerechtigkeitsliebenden Menschen aller Länder, und im Lager des Feindes reicht sie von den Menschen in Japan, die gegen denKrieg sind, bis zu denjenigen japanischen Soldaten an der Front, dieebenfalls gegen den Krieg sind. Kurz, alle diese Kräfte haben auf ihre Weise zu unserem Widerstandskrieg beigetragen. Und jeder 

Mensch mit Gewissen sollte sie willkommen heißen. Zusammen mitallen anderen gegen Japan eingestellten politischen Parteien und demgesamten Volk verfolgen wir Kommunisten nur das eine Ziel, alleKräfte zusammenzufassen, um diese teuflischen japanischen Ein-dringlinge zu besiegen. Der 1. Juli dieses Jahres wird der 17. Jah-restag der Gründung der Kommunistischen Partei Chinas sein. Nun-mehr ist eine ernsthafte Untersuchung des lange dauernden Krieges

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angezeigt, damit jeder Kommunist in die Lage versetzt wird, einegrößere und wirksamere Rolle in unserem Widerstandskrieg zu spie-

len. Zu diesem Zweck werde ich mich in meinen Vorträgen mit einer solchen Untersuchung befassen. Ich werde mich bemühen, über allefür den verlängerten Krieg wichtigen Probleme zu sprechen, kann

 jedoch in einer Vortragsreihe nicht auf sämtliche Einzelheiten einge-hen.2. Alle Erfahrungen der zehn Kriegsmonate beweisen, daß sowohldie Theorie von der unausweichlichen Unterjochung Chinas wie dieTheorie von Chinas schnellem Sieg ein Irrtum war. Die erste Theorieverführt zu der Tendenz, nachzugeben, die zweite zu der Tendenz,den Feind zu unterschätzen. Beide Einstellungen zu dem Problemsind subjektiv und einseitig mit einem Wort: unwissenschaftlich.3. Vor dem Ausbruch des Widerstandskrieges war viel von nationa-ler Unterjochung die Rede. Einige sagten: «China ist hinsichtlichseiner Bewaffnung unterlegen und muß daher unweigerlich einenKrieg verlieren.» Andere sagten: «Wenn China bewaffneten Wider-

stand leistet, wird es mit Sicherheit zu einem zweiten Abessinien.»Seit Ausbruch des Krieges spricht man in der Öffentlichkeit nichtmehr von der nationalen Unterjochung, aber im geheimen geht diesesGerede noch allerorts weiter. So entsteht beispielsweise von Zeit zuZeit eine Atmosphäre des Nachgebenwollens, und die Verfechter dieser Tendenz behaupten, daß «die Fortdauer des Krieges Unterjo-chung bedeutet»1. Ein Student schrieb aus Hunan in einem Brief:

«Auf dem Lande ist alles sehr schwierig. Bei meiner Propagandaar-  beit muß ich zu den Leuten reden, wann und wo ich sie antreffenkann. Die Menschen, zu denen ich gesprochen habe, sind keineswegsIgnoranten; sie haben alle bis zu einem gewissen Grade begriffen,was vor sich geht, und sind an dem, was ich zu sagen habe, sehr in-teressiert. Wenn ich jedoch meine eigenen Verwandten treffe, sagensie immer: <China kann nicht gewinnen, es ist zum Untergang verur-

teilt.) Diese Menschen machen mich krank! Glücklicherweise gehensie nicht umher und verbreiten ihre Ansichten, sonst stände es wirk-lich schlimm. Die Bauern würden womöglich auf das vertrauen, wassie sagen.»Derartige Exponenten der Theorie von Chinas unausweichlicher Unterjochung bilden die soziale Basis, die der Tendenz zum Kom-

 promiß Vorschub leistet. Man findet sie überall in China, und darum

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müssen wir auch darauf gefaßt sein, daß das Problem des Kompro-misses jederzeit innerhalb der antijapanischen Front auftauchen kann

und vermutlich bis zum Ende des Krieges vorhanden sein wird. Jetzt,da Hsuchow gefallen und Wuhan bedroht ist, durfte es meiner An-sicht nach an der Zeit sein, mit der Theorie einer nationalen Unterjo-chung ein für allemal aufzuräumen.4. Während dieser zehn Kriegsmonate sind allerlei Ansichten lautgeworden, die auf einen Mangel an ruhiger Überlegung schließenlassen. So waren z. B. bei Ausbruch des Krieges viele Menschengrundlos optimistisch. Sie unterschätzten die Japaner und glaubtensogar, diese könnten niemals bis nach Shansi vordringen. Einigeunterschätzten auch die strategische Rolle des Guerillakrieges inner-halb des Widerstandskrieges und zweifelten an dem Satz: «Im Hin-

 blick auf das Ganze steht der Bewegungskrieg an erster, der Gueril-lakrieg an zweiter Stelle; im Hinblick auf das einzelne steht der Gue-rillakrieg an erster und der Bewegungskrieg an zweiter Stelle.» DieseMenschen mißtrauten auch dem Grundsatz der Achten Frontarmee:

«Der Guerillakrieg ist die Hauptsache; aber man darf sich unter gün-stigen Umständen keine Chance zu einem Bewegungskrieg entgehenlassen», was sie als einen mechanistischen Standpunkt ansahen.2 Während der Schlacht um Shanghai behaupteten einige: «Wenn wir den Kampf drei Monate lang durchhalten können, muß die interna-tionale Lage sich ändern. Dann muß die Sowjetunion uns Truppenschicken, und damit wird der Krieg vorüber sein.» Diese Menschen

machten ihre Hoffnung hinsichtlich der Zukunft des Widerstands-krieges von der ausländischen Hilfe abhängig.3 Nach dem Sieg beiTaierhchuang 4 erklärten einige, der Feldzug in Hsuchow sollte nunals der «endgültig entscheidende Feldzug» durchgeführt und diePolitik des lange dauernden Krieges müsse abgeändert werden. Manhörte die Sätze wie «Dieser Feldzug ist das letzte verzweifelte Rin-gen des Feindes» oder «Wenn wir siegen, werden die japanischen

Kriegsherren entmutigt und nur noch imstande sein, auf den Tagihres Gerichts zu warten»5. Der Sieg bei Pinghsingkuan verdrehtevielen Menschen den Kopf, und der darauffolgende bei Taierhchu-ang verdrehte ihn einer noch größeren Anzahl. Nun haben sich Zwei-fel erhoben, ob der Feind Wuhan angreifen wird. Manche meinen,«wahrscheinlich nicht», viele andere «bestimmt nicht». DerartigeZweifel können alle wichtigen Entscheidungen beeinflussen, z. B.

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die Entscheidung über die Frage, ob unsere antijapanische Macht bereits ausreicht. Manche Leute mögen hier positiv antworten, unse-

re gegenwärtige Stärke reiche aus, um den Vormarsch des Feindesaufzuhalten; warum also sollten wir sie noch erhöhen? Oder nehmenwir das Schlagwort, man müsse die «antijapanische Einheitsfrontkonsolidieren und erweitern». Trifft es noch zu? Manche mögen dieFrage verneinen und behaupten, die Einheitsfront sei zur Zeit schonstark genug, um den Feind zurückzuschlagen — warum sollte mansie dann noch konsolidieren und erweitern? Oder sollten wir unserediplomatischen Anstrengungen und unsere internationale Propagandaintensivieren? Auch hier kann man negative Antworten hören. Undsollen wir tatsächlich darangehen, unsere militärischen und politi-schen Einrichtungen zu reformieren, eine Massenbewegung ins Le-

  ben rufen, eine Kampagne für die Schulung im nationalen Wider-stand starten, Verräter und Trotzkisten entfernen, die Kriegsindustriefördern und den Lebensstandard des Volkes heben? Oder sind bei-spielsweise die Slogans, die zur Verteidigung Wuhans, Kantons und

des Nordwestens aufrufen und für eine energische Ausbreitung desGuerillakriegs im Hinterland des Feindes eintreten, noch richtig?Auch auf diese Frage bekommt man sicherlich manche negativeAntwort. Es gibt sogar Leute, die, sobald die Kriegslage eine nur einigermaßen günstige Wendung nimmt, die Gegensätze zwischender Kuomintang und der Kommunistischen Partei wieder aufwärmenund die allgemeine Aufmerksamkeit von der Außenpolitik auf die

Innenpolitik verlagern wollen. Solche Entscheidungen sind fast un-vermeidlich, sobald eine größere Schlacht gewonnen oder der Vor-marsch des Feindes vorübergehend ins Stocken geraten ist. Alle ebenerwähnten Ansichten müssen als politische und militärische Kurz-sichtigkeit bezeichnet werden. So plausibel derartige Ausführungenauch klingen mögen, sie sind trügerisch und unhaltbar. Wenn wir unseren Widerstandskrieg siegreich fortsetzen wollen, müssen wir 

solchem Gerede ein Ende machen.5. Die Frage lautet also: Wird China unterjocht werden? Und dieAntwort heißt: Nein, es wird nicht unterjocht werden, sondernschließlich den Sieg erringen. Kann China schnell siegen? Nein, eskann nicht schnell siegen, sondern es wird einen lange dauerndenWiderstandskrieg führen müssen.6. Bereits vor zwei Jahren5 haben wir die wichtigsten Punkte dieser 

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Fragen schon einmal ausführlich behandelt. Am 16. Juli 1936, alsofünf Monate vor den Ereignissen in Sian und zwölf Monate vor dem

Zwischenfall in Lukouchiao, entwarf ich bei einem Gespräch mitdem amerikanischen Korrespondenten Edgar Snow ein allgemeinesBild der Situation im Hinblick auf den Krieg zwischen China undJapan und stellte mehrere für die Erringung des Sieges notwendigeGrundsätze auf. Die folgenden Auszüge mögen als eine Erinnerungdienen:6 FRAGE: Unter welchen Bedingungen kann das chinesische Volk Ihrer Ansicht nach die japanischen Streitkräfte schwächen und schla-gen?ANTWORT : Dreierlei wird unseren Erfolg gewährleisten: 1. dieBildung einer Nationalen Einheitsfront gegen den japanischen Impe-rialismus in China und 2. einer antijapanischen Einheitsfront in der ganzen Welt; 3. das Anschwellen der revolutionären Bewegung inJapan und in den japanischen Kolonien. Das wichtigste aber ist dieEinigung des chinesischen Volkes.

FRAGE: Wie lange wird ein solcher Krieg Ihrer Ansicht nach dau-ern?ANTWORT: Das hängt von der Stärke der chinesischen Volksfront,einer Reihe weiterer bedingender Faktoren in China und Japan unddem Ausmaß der internationalen Hilfe ab, die China zuteil wird,sowie auch von der Entwicklung der revolutionären Bewegung inJapan. Wenn die chinesische Volksfront als mächtiges Instrument

aufgestellt und nach allen Richtungen hin wirkungsvoll und gutdurchorganisiert wird; wenn die Regierungen und Völker, welche dieBedrohung ihrer eigenen Interessen durch den japanischen Imperia-lismus erkennen, China eine entsprechend beträchtliche Hilfe ange-deihen lassen und wenn die Revolution in Japan bald ausbricht, dannwird der Krieg kurz und der Sieg rasch errungen sein. Wenn sich

 jedoch diese Bedingungen nicht erfüllen lassen, wird der Krieg sehr 

lange dauern, aber er wird ebenfalls mit einer Niederlage Japansenden. China wird bestimmt gewinnen; nur wird es dafür größereOpfer bringen müssen, und die ganze Welt wird eine schwere Zeitdurchmachen.FRAGE: Wie lautet Ihre Ansicht über die vermutliche Entwicklungeines solchen Krieges in politischer und militärischer Hinsicht?ANTWORT: Nun, die Kontinentalpolitik der Japaner steht bereits

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fest und ist allgemein bekannt. Wer sich einbildet, China könnedurch einen weiteren Verzicht auf seine Hoheitsrechte und durch

wirtschaftliche, politische und territoriale Kompromisse und Zuge-ständnisse dem Vormarsch Japans Einhalt tun, ergeht sich nur inutopischen Phantasien. Wir wissen sehr genau, daß der Unterlauf desYangtsekiang sowie unsere südlichen Seehäfen bereits ihren festenPlatz im japanischen Kontinentalprogramm haben. Darüber hinausist es offensichtlich, daß Japan danach strebt, sich der Philippinen,Siams, Indochinas, Malayas und Niederländisch-Ostindiens zu be-mächtigen. Im Kriegsfall wird Japan versuchen, diese Länder zuseinen strategischen Stützpunkten zu machen, um so Großbritannien,Frankreich und Amerika von China fernzuhalten und die Alleinherr-schaft im südlichen Pazifik auszuüben. Alle diese Schachzüge gehö-ren zu Japans maritimer Strategie. China befindet sich unter diesenUmständen zwangsläufig in einer äußerst schwierigen Lage. Aber die Mehrheit des chinesischen Volkes glaubt, daß solche Schwierig-keiten überwunden werden können; nur die Reichen in den großen

Seehäfen sind Defaitisten, weil sie fürchten, ihr Vermögen zu verlie-ren. Manche Leute halten es für ausgeschlossen, daß China seinenKampf gegen Japan aufrechterhalten kann, sobald dieses eine Blok-kade erzwingt. Das ist Unsinn. Um diese Behauptung zu widerlegen,

 brauchen wir nur die Geschichte der Roten Armee heranzuziehen. Ineinem Krieg gegen Japan wäre das chinesische Volk in einer vielgünstigeren Lage als seinerzeit die Rote Armee bei ihren Kämpfen

gegen die Kuomintang. China ist einsehr großes Land. Selbst wennes den Japanern gelingen sollte, weite Gebiete Chinas zu besetzenProvinzen mit einer Bevölkerung von hundert oder sogar zweihun-dert Millionen Menschen —, selbst dann wären wir noch längst nichtgeschlagen. Uns blieben immer noch bedeutende Kräfte, die wir gegen Japan aufstellen könnten, und dieses wäre gezwungen, wäh-rend des ganzen Krieges in seinem Hinterland Verteidigungskämpfe

zu führen. Gewiß, China ist wirtschaftlich nicht geeint. Aber auchdie ungleichmäßige Entwicklung der Wirtschaft Chinas bietet ineinem Krieg gewisse Vorteile. So wäre zum Beispiel eine Abtren-nung Shanghais vom restlichen China für das gesamte Land keines-wegs so verhängnisvoll, wie eine Abtrennung New Yorks für Ameri-ka. Abgesehen davon kann Japan ganz China gar nicht isolieren; eswäre nicht imstande, den Nordwesten, den Südwesten und den We-

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sten unseres Landes zu blockieren. Und so zeigt sich wiederum der Kernpunkt des Problems : die Einigung des gesamten chinesischen

Volkes und der Aufbau einer Einheitsfront, so wie die Kommunisti-sche Partei es gefordert hat.FRAGE: Wenn der Krieg sich über eine lange Zeit hinziehen sollte,und Japan nicht völlig geschlagen würde, wäre die KommunistischePartei dann bereit, Friedensverhandlungen mit Japan zu führen undseine Herrschaft über das nordöstliche China anzuerkennen?ANTWORT : Nein. Ebensowenig wie das gesamte Volk wird dieKommunistische Partei Chinas den Japanern gestatten, auch nur einen Zollbreit chinesischen Boden zu behalten.FRAGE : Welche strategischen und taktischen Regeln sollten Ihrer Ansicht nach in diesem «Befreiungskrieg» befolgt werden?ANTWORT: Unsere Strategie sollte darauf abzielen, unsere Haupt-streitmacht im Bewegungskrieg auf einer ausgedehnten Front einzu-setzen, die immer wieder verlagert wird und keine festen Abgren-zungen kennt. Der Erfolg einer solchen Strategie hängt zum großen

Teil von der Fähigkeit der Truppen ab, in einem schwierigen Gelän-de beweglich zu bleiben, sich nach raschen Angriffen ebenso raschzurückzuziehen, sich rasch sammeln und ebenso rasch wieder aus-schwärmen zu können. Es wird viel mehr ein Bewegungskrieg ingroßem Maßstab sein als ein Stellungskrieg, der ausschließlich dar-auf abgestellt wäre, tiefe Gräben, hohe Festungen und ganze Kettenvon Stellungen zu verteidigen. Damit ist nicht gesagt, daß wichtige

strategische Punkte, die in einem Stellungskrieg so lange gehaltenwerden können, wie es vorteilhaft ist, ohne weiteres aufgegebenwerden. Der Angelpunkt unserer Strategie muß jedoch der Bewe-gungskrieg bleiben. Wenn wir gelegentlich zu Maßnahmen des Stel-lungskrieges greifen, so werden dies Hilfsmaßnahmen von zweitran-giger strategischer Bedeutung sein. Geographisch gesehen ist der Kriegsschauplatz so groß, daß wir die Möglichkeit haben, einen äu-

ßerst wirksamen Bewegungskrieg zu führen. Angesichts unserer kraftvollen Aktionen werden die Japaner zur Vorsicht gezwungensein. Sie verfügen nur über eine schwerfällige, langsam arbeitendeKriegsmaschinerie von begrenzter Wirksamkeit. Wenn wir unsereKräfte an einer oder zwei schmalen Fronten zusammenziehen unduns in der Verteidigung einer wichtigen Stellung erschöpfen wollten,so würden wir damit alle Vorteile unserer geographischen und wirt-

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schaftlichen Situation aus der Hand geben und den Fehler der Abes-sinier wiederholen. Wir müssen in den ersten Stadien dieses Krieges

große Entscheidungsschlachten vermeiden und zunächst einen Be-wegungskrieg führen, um so die Moral, den Kampfgeist und dieSchlagkraft der feindlichen Truppen allmählich zu brechen.Abgesehen von dem Einsatz unserer ausgebildeten Truppen im Be-wegungskrieg müssen wir eine große Anzahl von Guerillaeinheitenunter der bäuerlichen Bevölkerung aufstellen und ausrüsten. Das,was die freiwilligen Einheiten im Kampf gegen die Japaner in der Mandschurei geleistet haben, ist nur ein sehr schwacher Hinweis auf die latente Widerstandskraft, die überall in China unter der revolu-tionären Bauernschaft mobilisiert werden kann. Chinas Bauern ver-fügen über eine sehr große latente Kraft. Wenn solche Einheitenrichtig geführt und organisiert werden, können sie die Japaner vier-undzwanzig Stunden täglich in Atem halten und langsam erledigen.Man muß immer daran denken, daß dieser Krieg in China geführtwird. Das bedeutet, daß die Japaner auf allen Seiten von einem ihnen

feindlich gesinnten Volk umgeben sind. Sie werden gezwungen sein,ihre gesamten Vorräte von draußen hereinzubringen und zu bewa-chen, sie werden an allen Verbindungslinien starke Truppenkontin-gente stationieren müssen, die ständig auf Angriffe gefaßt sind, undsie werden auch ihre Stützpunkte in der Mandschurei und in Chinaselbst ausreichend besetzen müssen.Im Verlauf des Krieges wird China viele japanische Gefangene ma-

chen können und große Mengen an Waffen, Munition und Ausrü-stungsgegenständen in die Hand bekommen. So werden wir uns im-mer mehr einem Punkt nähern, an dem es möglich sein wird, unter Verwendung von Befestigungsanlagen und Verschanzungen einenStellungskrieg gegen die japanischen Streitkräfte zu führen; denn mitdem Fortschreiten des Krieges wird die technische Ausrüstung der Truppen, die Japan gegenüberstehen, wesentlich verbessert und mit

ausländischer Hilfe ergänzt werden können. Japans Wirtschaft aber wird unter dem Druck einer langen, kostspieligen Besetzung Chinaszusammenbrechen, und die Moral seiner Truppen wird durch die

  Nervenprobe zahlreicher, unentschiedener Gefechte aufgeriebenwerden. Die großen Reserven innerhalb des revolutionären chinesi-schen Volkes werden ununterbrochen Männer, die für ihre Freiheitkämpfen wollen, über unsere Linien ausschütten. Alle diese und

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noch andere Faktoren werden den Verlauf des Krieges bestimmenund uns in die Lage versetzen, endgültige und entscheidende Angrif-

fe gegen die japanischen Befestigungen und strategischen Stützpunk-te zu führen und Japans Besatzungsarmee aus China zu vertreiben.Die hier dargelegten Ansichten haben sich in den zehn Monaten un-serer bisherigen Kriegserfahrung als zutreffend erwiesen und werdensich auch in Zukunft bewähren.7. Bereits am 25. August 1937, also keine zwei Monate nach demZwischenfall von Lukouchiao, hat das Zentralkomitee der Kommu-nistischen Partei Chinas in seinem «Beschluß über die gegenwärtigeLage und die Aufgaben der Partei» folgendermaßen klar Stellung

 bezogen:Die Provokation durch die japanischen Eindringlinge bei Lukouchiaound ihre Besetzung von Peiping und Tientsin stellen nur den Beginnihrer in großem Maßstab geplanten Invasion Chinas südlich der Gro-ßen Mauer dar. In Japan ist bereits eine allgemeine Mobilmachungerfolgt. Der Propagandasatz, daß Japan «nicht den Wunsch hegt, die

Lage zu erschweren», ist lediglich ein Tarnmanöver für seine Invasi-on.Der Widerstand, den China am 7. Juli bei Lukouchiao geleistet hat,war der Ausgangspunkt für den Widerstandskrieg in ganz China.Ein neues Stadium der politischen Situation Chinas hat begonnen,das Stadium des eigentlichen Widerstandes. Das Stadium der Vorbe-reitung auf den Widerstand ist überwunden. Heute ist es unsere

wichtigste Aufgabe, alle Kräfte zu mobilisieren, um den Sieg imWiderstandskrieg zu erringen.Der Schlüssel zu diesem Sieg liegt darin, den bereits begonnenenWiderstandskrieg zu einem Krieg der ganzen Nation gegen Japanauszuweiten. Nur ein totaler, ganz China erfassender Krieg kann denSieg herbeiführen.Da unser Widerstandskrieg noch ernste Schwächen aufweist, können

uns in seinem späteren Verlauf noch viele Schwierigkeiten erwach-sen Rückschläge und Teilniederlagen, innere Zwistigkeiten und Ver-rat, vorübergehende und partielle Kompromisse. Deshalb müssen wir uns darüber klar sein, daß dies ein harter und lange dauernder Kriegsein wird. Wir glauben jedoch, daß der nun ausgebrochene Wider-standskrieg dank der Bemühungen der Partei und unseres ganzenVolkes mit Sicherheit alle Hindernisse überwinden wird und erfolg-

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reich weitergeführt werden kann. Auch diese Überlegung hat sich auf Grund einer zehnmonatigen Kriegserfahrung als zutreffend erwiesen,

und sie wird sich auch in Zukunft bewähren.8. Erkenntnistheoretisch gesprochen ist der Ursprung aller irrigenAnsichten über den Krieg in einer idealistischen und mechanisti-schen Bewertung dieser Frage zu suchen. Menschen mit derartigenTendenzen haben eine subjektive und einseitige Einstellung zu denProblemen. Entweder verlieren sie sich in sinnlosem und völlig sub-

  jektivem Gerede oder sie greifen einen einzelnen Aspekt oder einevorübergehende Erscheinung heraus, die sie dann mit gleicher Sub-

  jektivität zum Gesamtproblem aufbauschen. Es gibt jedoch zweiKategorien irriger Ansichten. Die eine beruht auf grundsätzlichenund fest eingewurzelten Irrtümern, die daher schwer zu berichtigensind; die andere beruht auf zufälligen und daher vorübergehendenIrrtümern, die leicht zu berichtigen sind. Da jedoch beide Arten vonAnsichten falsch sind, müssen beide berichtigt werden. Wenn wir daher einwandfreie Schlüsse über die Frage des Krieges ziehen und

eine objektive, allseitige Untersuchung darüber anstellen wollen,müssen wir den idealistischen und mechanistischen Tendenzen ent-gegentreten.

Die Grundlage des Problems

9. Warum ist der Widerstandskrieg gegen Japan ein verlängerter 

Krieg? Warum wird China schließlich siegen? Worauf begründensich diese Behauptungen?Der chinesisch-japanische Krieg ist nicht irgendein Krieg, sondernein Kampf auf Tod oder Leben zwischen dem halbkolonialen, halb-feudalen China und dem imperialistischen Japan, der in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ausgefochten wird. Dies ist dieGrundlage des ganzen Kriegsproblems. Die beiden Parteien, die sich

gegenüberstehen, weisen viele entgegengesetzte Merkmale auf, diewir jetzt nacheinander betrachten wollen.10. Die japanische Seite. Japan ist ein mächtiger imperialistischer Staat, der, was seine militärische, wirtschaftliche und politisch-organisatorische Macht betrifft, im Osten an erster Stelle steht und zuden sechs oder sieben imperialistischen Großmächten der Welt ge-hört. Dies sind die grundlegenden Faktoren für Japans Aggressions-

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krieg. Die Unvermeidbarkeit des Krieges und die Unmöglichkeiteines raschen Sieges für China ergeben sich aus dem in Japan herr-

schenden imperialistischen System und seiner großen militärischen,wirtschaftlichen und politischen Macht. Zweitens jedoch bestimmtder imperialistische Charakter der japanischen Volkswirtschaft denimperialistischen Charakter seiner Kriegführung und stempelt diesenKrieg zu einem rückschrittlichen und barbarischen Krieg. In dendreißiger Jahren haben die inneren und äußeren Widersprüche des

  japanischen Imperialismus diesen Staat nicht nur in einen waghalsi-gen Krieg von unvergleichlichen Ausmaßen getrieben, sie haben ihnauch auf seinen endgültigen Zusammenbruch zugedrängt. Hinsicht-lich der sozialen Entwicklung ist Japan heute kein blühendes Landmehr, und der Krieg wird ihm nicht den Wohlstand bringen, denseine herrschenden Klassen sich wünschen, sondern das Gegenteildavon: den Untergang des japanischen Imperialismus. Diese Zu-sammenhänge meinen wir, wenn wir von dem rückschrittlichen Cha-rakter des japanischen Krieges sprechen. Und diese Rückschrittlich-

keit bestimmt zusammen mit dem militärisch-feudalen Charakter des japanischen Imperialismus die besondere Grausamkeit seiner Krieg-führung. All diese Umstände werden die Klassengegensätze inner-halb Japans, die Gegensätze zwischen der japanischen und der chine-sischen Nation und die Gegensätze zwischen Japan und den meistenanderen Ländern der Welt aufs äußerste verschärfen. Eben weil dieJapaner einen so reaktionären und barbarischen Krieg führen, müs-

sen sie ihn unweigerlich verlieren. Drittens verläßt sich Japan indiesem Krieg auf seine große militärische, wirtschaftliche und poli-tisch-organisatorische Macht, ohne jedoch gleichzeitig über genü-gend natürliche Mittel zu verfügen. Die militärische, wirtschaftlicheund politisch-organisatorische Macht Japans ist zwar groß, aber mengenmäßig unzureichend. Japan ist ein verhältnismäßig kleinesLand, das weder genug Soldaten noch genug militärische, finanzielle

und materielle Hilfsquellen hat; so kann es einen lange dauerndenKrieg nicht durchhalten. Die japanischen Politiker sind bestrebt,diese Schwierigkeit durch einen Krieg zu beheben; aber auch hier werden sie das Gegenteil erreichen: Der Krieg, den sie begonnenhaben, um ihre Schwierigkeiten zu beheben, wird diese noch ver-mehren und schließlich auch die ursprünglichen Hilfsquellen Japanserschöpfen. Viertens und letztens kann Japan zwar auf eine gewisse

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Unterstützung seitens der faschistischen Länder rechnen; aber eswird doch auf der ganzen Welt mehr Gegner finden als Bundesge-

nossen. Die Zahl dieser Gegner Japans wird allmählich anwachsen,  bis sie endlich nicht nur die Unterstützung aufwiegt, die ihm vonanderer Seite zuteil wird, sondern sich ernstlich gegen Japan aus-wirkt. Eine ungerechte Sache kann nun einmal nur schwache Unter-stützung finden; diese Folgerung ergibt sich aus der Natur des japa-nischen Krieges. Um es noch einmal zusammenzufassen: JapansVorteil liegt in seiner augenblicklich sehr guten Disposition zur Kriegführung; seine Nachteile liegen in der reaktionären und barbari-schen Art seiner Kriegführung, in der Unzulänglichkeit seiner Hilfs-quellen an Menschen und Material und an der schwachen Hilfe, dieihm aus dem Ausland zuteil wird. Dies sind die Merkmale auf japa-nischer Seite.11. Die chinesische Seite. Erstens sind wir ein halbkoloniales, halb-feudalistisches Land. Der Opiumkrieg, der Taipingaufstand, die Re-formbewegung von 1898 7, die Revolution von 1911 und die Nord-

expedition — all jene revolutionären oder reformistischen Bewegun-gen, die darauf abzielten, China aus seinem halbkolonialen, halbfeu-dalistischen Zustand zu erlösen trafen auf heftigen Widerstand, sodaß China schließlich blieb, was es war. Wir sind noch immer einschwaches Land und im Hinblick auf militärische, wirtschaftlicheund politisch-organisatorische Macht unserem Feind sichtlich unter-legen. Auch auf diesen Tatsachen begründet sich unter anderem die

Unvermeidbarkeit dieses Krieges und die Unmöglichkeit für China,einen raschen Sieg zu erringen. Zweitens aber hat die chinesischeFreiheitsbewegung, die während der letzten hundert Jahre immer stärker geworden ist, heute eine ganz andere Kraft als zu jeder ande-ren Zeit unserer Geschichte. Ihre Gegner im In- und Ausland habenihr zwar manchen schweren Rückschlag zugefügt, aber gleichzeitighaben sie das chinesische Volk gestählt. Wenn China auch in militä-

rischer, wirtschaftlicher, politischer und kultureller Hinsicht nochnicht so stark ist wie Japan, so ist es heute doch fortschrittlicher denn  je zuvor. Seine fortschrittlichen Faktoren sind die KommunistischePartei Chinas und die ihrer Führung unterstehende Armee. Auf Grund dieser Fortschrittlichkeit kann Chinas gegenwärtiger Befrei-ungskrieg lange andauern und mit einem Sieg abgeschlossen werden.Im Gegensatz zum japanischen Imperialismus, der sich auf der ab-

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steigenden Linie befindet, ist China ein Land, das aufsteigt wie dieMorgensonne. Chinas Krieg ist vom Fortschritt bestimmt, und darum

ist es ein gerechter Krieg. Weil es ein , gerechter Krieg ist, kann er die ganze Nation zu einer Einheit verschmelzen, die Sympathie der   japanischen Bevölkerung erregen und die meisten Länder der Weltveranlassen, uns Beistand zu leisten. Drittens und wiederum im Ge-gensatz zu Japan ist China ein sehr großes Land, mit reichen Boden-schätzen, einer zahlreichen Bevölkerung und vielen Soldaten undinfolgedessen in der Lage, einen lange dauernden Krieg auszuhalten.Viertens schließlich erhält China, eben weil es einen fortschrittlichenund gerechten Krieg führt, reichliche internationale Unterstützung,während Japan mit seinem ungerechten Krieg nur auf eine sehr dürf-tige Unterstützung rechnen kann. Um noch einmal alles zusammen-zufassen: Chinas Nachteil liegt in seiner militärischen Schwäche,seine Vorteile liegen in der fortschrittlichen und gerechten Natur seines Krieges, in der Größe seines Landes und der starken interna-tionalen Hilfe, die ihm zuteil werden wird. Dies sind die Merkmale

der chinesischen Seite.12. Aus alledem läßt sich entnehmen, daß Japan zwar große militäri-sche, wirtschaftliche und politisch-organisatorische Macht hat, je-doch einen reaktionären, barbarischen Krieg führt, nicht über genugMenschen und Material verfügt und, international gesehen, in einer ungünstigen Lage ist, während China andererseits in militärischer,wirtschaftlicher und politisch-organisatorischer Hinsicht weniger 

mächtig ist, sich jedoch in einem Zustand des Fortschritts befindet,einen fortschrittlichen und gerechten Krieg führt und obendrein eingroßes Land ist ein Umstand, der es befähigt, einen lange dauerndenKrieg durchzuhalten. Außerdem wird es von den meisten LändernUnterstützung erfahren. Das sind die grundlegenden, einander entge-gengesetzten Merkmale des chinesisch-japanischen Krieges. Siehaben alle politischen, strategischen und taktischen Maßnahmen der 

 beiden Seiten bestimmt und bestimmen sie noch immer. Sie warenund sind der Grund für die Verlängerung des Krieges und dafür, daßder schließliche Sieg China und nicht Japan zufallen wird. Dieser Krieg ist ein Kampf zwischen den genannten Merkmalen. Sie werdensich jedes seiner Natur entsprechend im Laufe des Krieges wandeln,und aus dieser Wandlung wird sich alles weitere ergeben. DieseMerkmale sind objektiv vorhanden und nicht etwa erfunden, um die

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Menschen zu täuschen. Sie stellen die grundlegenden Elemente desKrieges dar und sind keineswegs nur unvollständige Bruchstücke.

Sie durchdringen alle größeren und kleineren Probleme auf beidenSeiten und in allen Stadien des Krieges, und sie werden ihre Ergeb-nisse zeitigen. Wer bei einer Untersuchung des chinesisch-

  japanischen Krieges diese Merkmale nicht berücksichtigt, muß zufalschen Schlüssen gelangen, und auch wenn einige seiner Ideen für eine gewisse Zeit Anklang finden und richtig erscheinen mögen, sowird sich im Laufe des Krieges doch unweigerlich erweisen, daß siefalsch sind. Auf Grund dieser Merkmale wollen wir nun die Proble-me erörtern, die sich uns stellen.

Widerlegung der Theorie einer nationalen Unterjochung

13. Die Theoretiker der nationalen Unterjochung, die nichts als denKontrast zwischen der Stärke des Feindes und unserer Schwäche vor Augen hatten, pflegten zu sagen: «Widerstand zieht die Unterjo-

chung nach sich.» Heute sagen sie: «Die Weiterführung des Krieges bedeutet Unterjochung.» Durch die bloße Konstatierung der Tatsa-che, daß Japan zwar stark, aber klein ist, China hingegen schwach,aber groß, könnten wir diese Menschen nicht überzeugen. Sie wür-den historische Beispiele — wie die Zerstörung der Sung-Dynastiedurch die Yuan oder die Vernichtung der Ming-Dynastie durch dieChing anführen, um zu beweisen, daß ein kleines, aber starkes Land

durchaus ein großes, schwaches Land besiegen kann und daß auchein rückständiges Land ein fortschrittliches besiegen kann. Wenn wir dem entgegenhalten, daß diese Ereignisse weit zurückliegen undheute kaum einen Beweis darstellen, kann die Gegenpartei die Unter-

 jochung Indiens durch die Engländer anführen, um zu beweisen, daßein kleines, aber starkes kapitalistisches Land ein großes, aber schwaches und rückständiges Land erobern kann. Wenn wir also die

Verfechter der Unterwerfung zum Schweigen bringen und überzeu-gen wollen, müssen wir mit anderen Gründen aufwarten. Und wir müssen all denen, die mit der Propagandaarbeit beschäftigt sind,ausreichende Argumente liefern, damit sie diejenigen, die noch unsi-cher oder unentschlossen sind, überzeugen und ihren Glauben an denWiderstandskrieg stärken können.14. Welches sind nun die Gründe, die wir vorbringen sollen? Die

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Merkmale der Epoche. Diese Merkmale spiegeln sich deutlich einer-seits in Japans Rückschrittlichkeit und der geringen Unterstützung,

die ihm zuteil wird, andererseits in Chinas Fortschrittlichkeit und der starken Unterstützung, die es erhalten wird.15. Unser Krieg ist nicht irgendein Krieg, sondern ein Krieg, denChina und Japan in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhun-derts gegeneinander führen. Japan, unser Feind, ist eine zum Unter-gang verurteilte imperialistische Macht. Sie befindet sich bereits imAbstieg und kann mit dem Großbritannien jener Zeit, da dieses Indi-en eroberte, gar nicht verglichen werden; denn der britische Imperia-lismus war damals noch im Aufstieg begriffen. Aber das heutigeJapan ist auch dem Japan der Weltkriegszeit, also dem Japan vor zwanzig Jahren, völlig unähnlich. Der gegenwärtige Krieg begann zueinem Zeitpunkt, da der allgemeine Zusammenbruch des Weltimpe-rialismus und insbesondere der faschistischen Staaten unmittelbar 

 bevorsteht. Eben deshalb hat unser Feind sich in das Abenteuer die-ses Krieges gestürzt, der seiner Natur nach ein verzweifeltes letztes

Sichaufbäumen ist. Aus diesem Grund steht es mit unabänderlicher Gewißheit fest, daß nicht die Chinesen, sondern die herrschendenKreise des japanischen Imperialismus am Ende dieses Krieges dieVerlierer sein werden. Obendrein hat Japan diesen Krieg in einer Zeit eröffnet, in der auch andere Länder in kriegerischen Verwick-lungen begriffen sind oder sein werden, in der wir alle uns gegen

 barbarische Angreifer verteidigen oder uns darauf vorbereiten und in

der Chinas Schicksal mit dem Schicksal der meisten Länder undVölker dieser Welt verknüpft ist. Hier liegt der wesentliche Grundfür die Abneigung und Opposition, welche Japan bei diesen Ländernund Völkern erregt und in wachsendem Maße weiterhin erregenwird.16. Wie steht es mit China? Das China von heute ist mit dem Chinaanderer historischer Zeitabschnitte nicht zu vergleichen. Die Chine-

sen leben innerhalb einer halbkolonialen, halbfeudalen Gesellschaft,und China gilt infolgedessen als ein schwaches Land. Andererseits jedoch befindet es sich in einem Stadium des Fortschritts, und ebendas ist der Hauptgrund für die Tatsache, daß es imstande ist, Japan zu

  besiegen. Wenn wir erklären, daß unser Widerstandskrieg gegenJapan fortschrittlich ist, so meinen wir damit keine Fortschrittlichkeitim allgemeinen oder gewöhnlichen Sinne und auch keine Fortschritt-

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lichkeit, wie sie Abessinien in seinem Krieg gegen Italien bewiesenhat oder die Anführer des Taiping-Aufstands oder die der Revolution

von 1911, sondern wir meinen eine heutige, moderne Fortschrittlich-keit. Inwiefern ist das China von heute fortschrittlich? Es ist fort-schrittlich, weil es nicht mehr als ein völlig feudales Land bezeichnetwerden kann, weil wir bereits einen gewissen Kapitalismus, eineBourgeoisie und ein Proletariat aufweisen können, weil große Teileunseres Volkes wach geworden oder am Erwachen sind, weil wir eine Kommunistische Partei und eine politisch fortschrittliche Armeedie von der Kommunistischen Partei geführte Rote Armee haben,weil wir eine revolutionäre Tradition und eine revolutionäre Erfah-rung von vielen Jahrzehnten besitzen, insbesondere die Erfahrungder letzten siebzehn Jahre, der Jahre nach der Begründung der Kommunistischen Partei Chinas. Diese Erfahrung hat die Menschenund die politischen Parteien Chinas geschult, und sie ist die Grundla-ge für unsere heutige Einigkeit gegen Japan. Wenn man erklärt, der Sieg der russischen Revolution von 1917 sei undenkbar ohne die

Erfahrung von 1905, so können auch wir behaupten, daß es uns ohnedie Erfahrung der letzten siebzehn Jahre unmöglich wäre, unserenWiderstandskrieg zu gewinnen. Dies ist unsere innenpolitische Lage.International gesehen ist China in seinem gegenwärtigen Krieg nichtisoliert, und diese Tatsache ist erstmalig in der Geschichte. Bisher mußte China ebenso wie Indien seine Kriege in der Isolation aus-fechten. Erst heute treffen wir auf außerordentlich breite und tiefge-

hende weltweite Volksbewegungen, die sich gebildet haben oder noch im Entstehen sind und die China unterstützen. Auch die russi-sche Revolution von 1917 erhielt internationale Unterstützung, unddarum konnten die russischen Arbeiter und Bauern siegen; und dochwar diese Unterstützung noch nicht so umfangreich und tief begrün-det wie diejenige, die uns zuteil wird. In der ganzen Welt sind heuteVolksbewegungen von nie gekanntem Ausmaß im Gange. So stellt

insbesondere die Existenz der Sowjetunion in der internationalenPolitik der Gegenwart einen wesentlichen Faktor dar. Die Sowjet-union wird China zweifelsohne mit der größten Begeisterung unter-stützen. Vor zwanzig Jahren gab es derlei nicht. All diese Faktorensind wichtig und unabdingbar für Chinas schließlichen Sieg. Zwar erhalten wir bisher noch keine direkte, größere Hilfe das wird sicherst in der Zukunft ergeben -, doch China ist ein großes Land und es

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ist fortschrittlich, und diese Faktoren versetzen es in die Lage, denKrieg lange auszuhalten und die internationale Hilfe, die ihm mit

Sicherheit zuteil werden wird, abzuwarten.17. Noch ein Umstand kommt hinzu. Während Japan nur über einkleines Territorium, geringe Bodenschätze, eine niedrige Bevölke-rungszahl und eine sehr begrenzte Anzahl von Soldaten verfügt, istChina ein großes, weites Land mit reichen Bodenschätzen, einer dichten Bevölkerung und vielen Soldaten. Abgesehen von dem Wi-derspruch zwischen Stärke und Schwäche ergibt sich hier also einweiterer Widerspruch zwischen einem kleinen, rückschrittlichenLand, das über wenig Hilfsmittel verfügt und einem großen, fort-schrittlichen, mit reichen Hilfsmitteln gesegneten Land. Aus diesemGrund wird China niemals unterjocht werden. Aus dem Widerspruchzwischen Stärke und Schwäche kann man folgern, daß Japan für einegewisse Zeit und bis zu einem gewissen Ausmaß mit China nachBelieben verfahren kann, daß China vorerst einen schweren Weggehen muß und daß der Widerstandskrieg nicht rasch entschieden

sein, sondern lange dauern wird. Trotzdem aber ergibt sich aus demanderen Widerspruch dem Widerspruch zwischen einem kleinen,rückschrittlichen Land, das wenig Unterstützung von außen erfährt,und einem großen, fortschrittlichen Land, das lebhafte Unterstützungvon außen erfährt-, daß Japan nicht auf unbegrenzte Zeit nach sei-nem Belieben mit China verfahren kann und mit Sicherheit am Endeder Unterlegene sein wird, während China niemals unterjocht werden

kann, sondern mit Sicherheit schließlich den Sieg erringen wird.18. Warum wurde Abessinien besiegt? Erstens war dieses Landnicht nur schwach, sondern auch klein. Zweitens war es nicht sofortschrittlich wie China. Es war ein altes Land, das eben erst dieSklaverei und die Leibeigenschaft abgeschafft hatte, ein Land ohne

  jeden Kapitalismus, ohne bürgerliche politische Parteien ganz zuschweigen von einer kommunistischen Partei. Es verfügt nicht über 

eine Armee wie die chinesische Armee und schon gar nicht über einewie die 8. Frontarmee. Drittens hatte Abessinien nicht die Möglich-keit, sich zu verteidigen und internationale Hilfe abzuwarten, son-dern es mußte seinen Krieg in der Isolation führen. Viertens und vor allem aber unterliefen ihm bei der Führung seines Krieges gegenItalien Fehler. Darum wurde Abessinien unterjocht. Aber noch im-mer ist dort ein ausgedehnter Guerillakrieg im Gange, der es den

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Abessiniern schließlich ermöglichen wird, ihr Land zurückzuerobern,sobald die internationale Lage sich wandelt.

19. Wenn die Unterjochungstheoretiker sich auf das Fehlschlagenmancher Befreiungsbewegungen im modernen China berufen, umdamit Sätze zu untermauern wie «Widerstand zieht die Unterjochungnach sich» und «Die Weiterführung des Krieges bedeutet Unterjo-chung», so lautet auch hier wieder unsere Antwort: «Die Zeiten sindverschieden.» Alles ist heute anders: sowohl China selber als auchdie Lage in Japan und die Lage in den anderen Ländern. Es ist eineernst zu nehmende Tatsache, daß Japan heute stärker ist als zuvor,während China in seinem halbkolonialen, halbfeudalen Zustand nochimmer recht schwach ist. Und es ist ebenfalls eine Tatsache, daßJapan zur Zeit noch für Ruhe im eigenen Land sorgen und sich dieinternationalen Widersprüche zunutze machen kann, um in Chinaeinzudringen. Aber im Verlauf eines langen Krieges werden dieseDinge sich unweigerlich in ihr Gegenteil verkehren. Zwar sind dieseUmwandlungen bisher noch keine vollendeten Tatsachen, werden es

aber in Zukunft sein. Das ist ein Punkt, den die Vertreter der Unter-  jochungstheorie übersehen. Wir haben in China heute schon eineneue Bevölkerung, eine neue politische Partei, eine neue Armee undeine neue Politik des Widerstands gegen Japan. Wir befinden uns ineiner völlig anderen Situation als vor zehn Jahren, und was dasWichtigste ist diese Entwicklung muß und wird immer weiter fort-schreiten. Historisch gesehen trifft es zu, daß unsere Befreiungsbe-

wegungen immer wieder Rückschläge erfahren haben, so daß esChina nicht möglich war, größere Kräfte für den gegenwärtigen Wi-derstandskrieg aufzuspeichern. Das ist eine sehr schmerzliche histo-rische Lehre. Nie wieder werden wir eine unserer eigenen revolutio-nären Kräfte zerstören. Doch auch auf der jetzigen Grundlage kön-nen wir unter Aufbietung allergrößter Anstrengungen mit Sicherheitallmählich vorankommen und unsere Widerstandskraft erhöhen. Alle

diese Anstrengungen sollen sich in der Schaffung der großen antija-  panischen Nationalen Einheitsfront treffen. Was die Hilfe aus demAusland betrifft, so ist zwar eine direkte Unterstützung in großemMaßstab zur Zeit noch nicht in Sicht, doch da die internationale Si-tuation sich bekanntlich grundlegend gewandelt hat, können wir 

  bestimmt damit rechnen. Für die zahllosen Fehlschläge, welche dieBefreiungsbewegungen im modernen China erfuhren, gibt es sowohl

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subjektive als auch objektive Gründe; aber heute befinden wir uns ineiner völlig anderen Lage. Wenn auch heute noch viele Umstände

vorhanden sind, die unseren Widerstandskrieg erschweren die Stärkedes Feindes und unsere Schwäche und die Tatsache, daß JapansSchwierigkeiten erst beginnen, während andererseits unser Fort-schritt noch keineswegs ausreichend ist -, so existieren andererseitsauch schon viele günstige Vorbedingungen, den Feind zu besiegen.Wir brauchen lediglich unsere subjektiven Anstrengungen zu inten-sivieren, dann werden wir bestimmt imstande sein, alleSchwierigkeiten zu überwinden und zum Ziel, unserem Sieg zugelangen. Zu keinem Zeitpunkt unserer Geschichte haben wir sogünstige Bedingungen gehabt, und darum wird unser Widerstandskrieg gegen Japan nicht das Schicksal unserer früherenFreiheitsbewegungen teilen und wird nicht mit einem Fehlschlagenden.

Kompromiß oder Widerstand?Korruption oder Fortschritt?

20. Wir haben nunmehr ausreichend dargelegt, daß die Theorie einer   bevorstehenden Unterjochung Chinas jeder Grundlage entbehrt. Esgibt viele Menschen, die diese Theorie nicht vertreten, gute, ehren-hafte Patrioten, die trotzdem hinsichtlich unserer gegenwärtigen La-ge zutiefst besorgt sind. Zwei Dinge sind es, die sie beunruhigen: dieFurcht, wir könnten zu einem Kompromiß mit Japan bereit sein, und

der Zweifel an der Möglichkeit des politischen Fortschritts. Obgleichdiese beiden bedrohlichen Fragen immer wieder diskutiert wordensind, hat sich bisher noch keine Lösung gefunden. Wir wollen sie

 jetzt einmal näher untersuchen.21. Wie bereits erklärt, hat die Frage eines Kompromisses sozialeWurzeln, und solange diese Wurzeln vorhanden sind, wird die Frageimmer wieder auftauchen. Ein Kompromiß ist sinnlos. Um diese

Behauptung zu erhärten, brauchen wir uns nur noch einmal Japan,China und die internationale Lage vor Augen zu führen. Nehmen wir zuerst Japan. Schon bei Ausbruch des Widerstandskrieges waren wir der Ansicht, daß sich zu einem gewissen Zeitpunkt eine kompromiß-freudige Atmosphäre einstellen werde, oder, anders gesagt, daß Ja-

  pan, nachdem es Nordchina, Kiangsu und Chekiang besetzt habenwürde, vermutlich versuchen werde, China zur Kapitulation zu be-

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wegen. Und diesen Versuch hat es ja auch tatsächlich unternommen;doch der kritische Punkt war bald überwunden — unter anderem

deshalb, weil unser Feind sich überall so barbarisch aufführte, weil er so rücksichtslos raubte und plünderte. Hätte China kapituliert, sowäre jeder Chinese zu einem Sklaven ohne Land geworden. Dieräuberische Politik unseres Feindes, die darauf abzielt, China zuunterjochen, hat zwei Aspekte: einen materiellen und einen geistigen.Beide betreffen unterschiedslos alle Chinesen, also nicht nur dieMitglieder der unteren Volksschichten, sondern auch die der höhe-ren. Natürlich erfahren die zweiten eine etwas höflichere Behand-lung, aber das ist kein grundsätzlicher, sondern nur ein Gradunter-schied. Allgemein läßt sich sagen, daß der Feind die gleichen Maß-nahmen, die er in den drei nordöstlichen Provinzen praktiziert hat,nun auch in Zentralchina anzuwenden beginnt. In materieller Hin-sicht beraubt er das einfache Volk sogar seiner Nahrung und Klei-dung, so daß es vor Hunger und Kälte schreit. Er plündert die Pro-duktionsmittel und ruiniert und versklavt die nationalen Industrien

Chinas. In geistiger Hinsicht ist er bemüht, das Nationalbewußtseindes chinesischen Volkes zu zerstören. Unter der «Fahne der aufge-henden Sonne» würde kein Chinese dem Verhängnis entgehen, einfügsamer Knecht werden zu müssen, ein Lasttier, dem es verbotenist, auch nur die leiseste Spur von chinesischem Nationalgefühl zuzeigen. Diese barbarische feindliche Politik wird nun immer tiefer nach China hineingetragen werden. Das gefräßige Japan ist nicht

willens, den Kampf einzustellen. So ergab es sich unausweichlich,daß die politischen Richtlinien, die das japanische Kabinett am 16.Januar 1938 bekanntgab,8 noch immer stur befolgt werden ein Um-stand, der sämtliche Schichten des chinesischen Volkes empört hat.Diese Empörung richtet sich gegen den reaktionären und barbari-schen Charakter der japanischen Kriegführung, gegen das Motto«Keiner darf dem Verhängnis entgehen». Mit der Zeit hat diese

Stimmung sich zu absoluter Feindseligkeit verdichtet. Man kanndamit rechnen, daß der Feind bei irgendeiner sich bietenden künfti-gen Gelegenheit wiederum versuchen wird, China zur Kapitulationzu überreden, und daß dann einige Verfechter der Unterjochung wie-der an die Oberfläche kommen und sich höchstwahrscheinlich zuKomplicen gewisser ausländischer Elemente hergeben werden (dieman in England, in den Vereinigten Staaten und in Frankreich, vor-

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nehmlich jedoch in der britischen Oberschicht zu suchen hat). Dieallgemeine Tendenz der Ereignisse wird jedoch keine Kapitulation

zulassen, denn über diesen Aspekt der Frage hat die verbissene undso außerordentliche barbarische Kriegführung der Japaner entschie-den.22. Sehen wir uns, zweitens, China an. Hier erkennen wir drei Fak-toren, die Chinas Beharren auf einem Widerstandskrieg bestimmen.Erstens die Kommunistische Partei, die zuverlässige Kraft, die dasVolk zum Widerstand gegen Japan anleitet. Zweitens die Kuomin-tang, die von Großbritannien und den Vereinigten Staaten abhängigist und daher vor Japan nur kapitulieren wird, wenn es von diesenMächten die Weisung dazu erhält. Drittens die anderen politischenParteien und Gruppen, die fast alle gegen einen Kompromiß sind undfür den Widerstandskrieg. Solange Einigkeit unter diesen drei Fakto-ren herrscht, wird ein Mensch, der den Kompromiß befürwortet, stetsals Verräter gelten, den jeder bestrafen darf. Wer nicht zu den Verrä-tern zählen will, dem bleibt keine andere Wahl, als sich der allge-

meinen Strömung anzuschließen und den Widerstandskrieg bis zumEnde mit durchzufechten; daher ist ein Kompromiß kaum denkbar.23. Betrachten wir drittens die internationale Lage. Abgesehen vonJapans Verbündeten und gewissen Elementen in den Oberschichtenanderer kapitalistischer Staaten ist die ganze Welt der Ansicht, Chinadürfe keinen Kompromiß schließen, sondern müsse Widerstand lei-sten. Auch diese Tatsache verstärkt Chinas Hoffnungen. Heute rech-

nen im ganzen Land die Menschen damit, daß uns von seilen anderer Staaten in immer steigendem Maße Hilfe zuteil werden wird. Undwir werden nicht vergebens hoffen. Vor allem ist es die Existenz der Sowjetunion, die den Chinesen bei ihrem Widerstandskrieg Muteinflößt. Die sozialistische Sowjetunion, die heute so stark dastehtwie nie zuvor, hat seit jeher Chinas Freuden und Sorgen geteilt. ImGegensatz zu den Oberschichten aller kapitalistischer Länder, denen

es einzig um ihren Profit zu tun ist, sieht die Sowjetunion ihre Pflichtdarin, allen schwachen Nationen zu helfen und alle revolutionärenKriege zu unterstützen. Wenn China seinen Krieg heute nicht in der Isolation zu führen braucht, so liegt das nicht nur an der allgemeineninternationalen Hilfe, die ihm zuteil wird, sondern vor allem an der Unterstützung durch die Sowjetunion. Die Tatsache, daß China unddie Sowjetunion geographisch benachbart sind, verschärft die Krise

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Japans und erleichtert unseren Widerstandskrieg. Die geographische Nähe Japans erhöht die Schwierigkeiten für uns. Die geographische

 Nähe der Sowjetunion andererseits stellt eine günstige Vorbedingungfür unseren Widerstandskrieg.24. Aus dem Gesagten können wir schließen, daß die Gefahr einesKompromisses zwar vorhanden ist, aber überwunden werden kann.Selbst wenn der Feind seine Politik bis zu einem gewissen Gradeabändern sollte, grundlegend kann er sie doch nicht umwandeln. Diesozialen Wurzeln eines Kompromisses sind in China zwar vorhan-den, aber die Gegner dieser Haltung sind in der Mehrzahl. Auch auf internationaler Basis begünstigen gewisse Mächte einen Kompromiß,die wichtigsten jedoch begünstigen den Widerstand. Alle drei Fakto-ren zusammen ermöglichen es uns, die Gefahr eines Kompromisseszu überwinden und bis zum Ende in unserem Widerstandskrieg aus-zuharren.25. Jetzt wollen wir die zweite Frage beantworten. Politischer Fort-schritt im Lande und Ausdauer im Widerstandskrieg sind untrennbar.

Je größer der politische Fortschritt ist, desto ausdauernder könnenwir unseren Krieg führen; je ausdauernder wir unseren Krieg führen,desto größer ist der politische Fortschritt. Letztlich jedoch hängt allesvon unserer Ausdauer im Widerstandskrieg ab. Das Kuomintang-Regime hat auf verschiedenen Gebieten höchst ungesunde und be-drohliche Erscheinungen gezeigt, und die Anhäufung solcher uner-wünschter Faktoren über Jahre hinweg hat in den breiten Reihen

unserer Patrioten viel Kummer und Verdruß erregt. Trotzdem bestehtkein Grund zum Pessimismus, denn unsere im Widerstandskrieggewonnenen Erfahrungen haben bereits erwiesen, daß das chinesi-sche Volk in den letzten zehn Monaten einen Fortschritt gemacht hatwie sonst nicht in vielen Jahren. Und wenn auch die angestautenWirkungen einer jahrelangen Korruption das Anwachsen der Wider-standskraft unseres Volkes ernsthaft beeinträchtigt und so das Aus-

maß unserer Siege vermindert und Kriegsverluste verursacht haben,so ist unterdessen in China, in Japan und in der ganzen Welt die Lagederart, daß das chinesische Volk unweigerlich fortschrittlich seinmuß. Dieser Fortschritt wird langsam erfolgen, da die vorhandeneKorruption dem Fortschritte hinderlich ist. Der Fortschritt und seinlangsames Tempo sind zwei Merkmale der gegenwärtigen Lage. Daszweite Merkmal aber läßt sich schlecht mit den dringenden Erforder-

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nissen des Krieges vereinbaren und macht daher unseren Patriotenmanche Sorgen. Wir befinden uns jedoch mitten in einem revolutio-

nären Krieg, und ein revolutionärer Krieg ist ein Gegengift, das nichtallein das Gift des Feindes, sondern auch allen sonstigen Schmutzvertreibt. Jedem gerechten revolutionären Krieg wohnt eine unerhör-te Macht inne, die viele Dinge verändern oder den Weg für ihreUmwandlung frei machen kann. Der chinesisch-japanische Kriegwird China und Japan verändern. Vorausgesetzt daß China in seinemWiderstandskrieg verharrt und seine Einheitsfront beibehält, wird ausdem alten Japan sicherlich ein neues Japan und aus dem alten Chinaein neues China werden. Sowohl in China wie in Japan werden wäh-rend des Krieges und danach die Menschen und alles andere einedurchgreifende Wandlung erfahren. Darum müssen wir den Krieggegen Japan und unseren nationalen Wiederaufbau als zusammen-hängend betrachten. Und wenn wir sagen, daß auch Japan verwan-delt werden kann, so heißt das, daß der Aggressionskrieg seiner Be-herrscher mit einer Niederlage enden und zu einer Revolution des

  japanischen Volkes führen wird. Der Tag, an dem die japanischeVolksrevolution triumphiert wird für Japan der Tag der Wandlungsein. Alle diese Dinge sind mit Chinas Widerstandskrieg eng ver-knüpft, und wir sollten sie als Perspektive in Rechnung stellen.

Die Theorie einer nationalen Unterjochung ist falsch, und die Theo-rie eines rasch erkämpften Sieges ist ebenfalls falsch

26. In unserer vergleichenden Studie über die grundlegenden, einan-der entgegengesetzten Merkmale, die den Feind und uns charakteri-sieren, wie relative Kraft, relative Größe, Fortschrittlichkeit oder Reaktion und das relative Ausmaß der Unterstützung, haben wir dieTheorie einer nationalen Unterjochung bereits widerlegt und gleich-zeitig ausgeführt, warum ein Kompromiß aussichtslos wäre und war-

um politischer Fortschritt möglich ist. Die Verfechter der Unterjo-chungstheorie stützten sich auf den Widerspruch zwischen Stärkeund Schwäche und bauschen ihn so weit auf, daß er zur Grundlageihrer gesamten Argumentation wird. Alle anderen vorhandenen Wi-dersprüche indessen übersehen sie. Das ausschließliche Interessedieser Männer für den Gegensatz hinsichtlich der Stärke beweist ihreEinseitigkeit, und ihre Überbewertung dieser einen Seite zeigt, wie

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subjektiv sie denken. Wenn man hingegen die Zusammenhänge alsGanzes betrachtet, muß sich erweisen, daß die Ansichten dieser 

Männer grundlos und falsch sind. Was jene anderen betrifft, die we-der Unterjochungstheoretiker noch überzeugte Pessimisten, jedochaugenblicklich in einer pessimistischen Stimmung befangen sind, nur weil der Abstand zwischen unserer Stärke und der des Feindes zueinem bestimmten Zeitpunkt und in irgendeiner Hinsicht sie verwirrtoder die Korruption im Lande ihnen Sorgen macht, so sei ihnen ge-sagt, daß auch sie zu einer einseitigen und subjektiven Einstellungneigen. In ihrem Fall ist das leicht zu korrigieren. Wenn sie erst ein-mal darauf aufmerksam gemacht worden sind, so werden sie schon

  begreifen, denn ihr Irrtum ist nicht grundsätzlich, und schließlichsind sie Patrioten.27. Diejenigen, die einen raschen Sieg prophezeien, sind ebenfallsauf dem Holzweg. Entweder sie vergessen völlig den Gegensatz vonStärke und Schwäche und denken nur an die anderen Gegensätze,oder sie stellen Chinas Vorteile als so außerordentlich hin, daß diese

 jede Ähnlichkeit mit der Realität verlieren und kaum mehr wiederzu-erkennen sind, oder sie nehmen höchst verwegen das zu einem be-stimmten Zeitpunkt und einem bestimmten Ort herrschende Kräfte-verhältnis als stellvertretend für die Gesamtlage, so wie es in demalten Sprichwort heißt: «Ein Blatt vor dem Auge verdeckt den Tai-Berg.» Mit einem Wort, ihnen fehlt der Mut zuzugeben, daß der Feind stark ist, während wir schwach sind. Sie leugnen immer wieder 

diese Tatsache und leugnen demzufolge einen Aspekt der Wahrheit,und sie haben nicht den Mut, die Grenzen unserer Vorteile zu-zugeben, und sie leugnen demzufolge ebenfalls einen anderenAspekt der Wahrheit. Das Resultat ist, daß sie große und kleine Feh-ler machen, und auch hier sind es wieder Subjektivismus und Einsei-tigkeit, die den Schaden hervorrufen. Diese Menschen haben zwar das Herz auf dem rechten Fleck, und sie sind auch Patrioten. Aber 

wenn auch «die Bestrebungen der edlen Herren erhaben» sind, sosind ihre Ansichten doch falsch, und wer nach ihnen handeln wollte,würde sicherlich mit dem Kopf gegen die Wand rennen. Denn wenndie Einschätzung einer Lage nicht der Wirklichkeit entspricht, kanndie daraus folgende Handlung nicht ihr Ziel erreichen. Würden wir trotzdem nach diesen Prinzipien handeln, so würden wir damit die

 Niederlage unserer Armee und die Unterjochung Chinas herbeifüh-

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ren, also das gleiche Resultat erzielen wie die Defaitisten. Daher können wir mit dieser These von einem raschen Sieg auch nichts

anfangen.28. Leugnen wir die Gefahr einer nationalen Unterjochung? Nein,das tun wir nicht. Wir räumen ein, daß China vor zwei möglichenPerspektiven steht: Freiheit oder Unterjochung; sie stehen in einemheftigen Konflikt miteinander. Unsere Aufgabe ist es, die Befreiungzu erreichen und die Unterjochung abzuwenden. Die Bedingungenfür die Befreiung sind Chinas Fortschritt die wichtigste von allen! -,die Schwierigkeiten des Feindes und die internationale Unterstüt-zung. Wir unterscheiden uns grundsätzlich von den Unterjochungs-theoretikern. Indem wir die Lage objektiv und von allen Seiten be-trachten, erkennen wir die nationale Unterjochung und die Befreiungals die beiden Möglichkeiten, die sich uns bieten. Wir betonen, daßdie Möglichkeit einer Befreiung die größeren Chancen hat, weisendarauf hin, wie sie zu erreichen ist, und bemühen uns, die Bedingun-gen hierfür zu erfüllen. Die Unterjochungstheoretiker hingegen sehen

die Lage subjektiv und einseitig und erkennen nur eine Möglichkeit,die der Unterjochung, an. Sie leugnen die Möglichkeit der Befreiungund geben sich nicht die Mühe, die zu ihrer Erreichung nötigen Be-dingungen ausfindig zu machen oder gar ihre Erfüllung anzustreben.Und es kommt noch etwas hinzu. Wir räumen zwar ein, daß die Nei-gung zu Kompromiß und Korruption bei uns vorhanden ist, sehen

 jedoch auch andere Tendenzen und Erscheinungen, die, wie wir be-

haupten, allmählich stärker werden und schon jetzt in heftigem Kon-flikt mit den ersten begriffen sind. Außerdem zeigen wir die Bedin-gungen auf, die erfüllt werden müssen, damit diese heilsamen Ten-denzen und Erscheinungen die Oberhand gewinnen, und wir bemü-hen uns, jede Neigung zum Kompromiß zu überwinden und alleKorruption zu beseitigen. Daher sind wir im Gegensatz zu denUnterjochungstheoretikern ganz und gar keine Pessimisten.

29. Es ist nicht etwa so, daß wir uns nicht einen raschen Siegwünschten; jeder von uns wäre gewiß dafür, die «Teufel» über Nachtaus dem Lande zu jagen. Wir müssen jedoch darauf hinweisen, daß,solange bestimmte klar umrissene Bedingungen nicht erfüllt sind, einrascher Sieg nur in unseren Köpfen, nicht aber in der objektivenWirklichkeit vorhanden sein kann, daß er nichts ist als eine Illusion,eine irrige Theorie. Nachdem wir also eine objektive und einsichts-

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volle Überprüfung aller Umstände vorgenommen haben, die sowohlden Feind als auch uns betreffen, sind wir zu dem Ergebnis gekom-

men, daß nur die Strategie eines verlängerten Krieges zum schließli-chen Sieg führen kann, und wir lehnen deshalb die Theorie einesrasch zu erringenden Sieges als völlig unbegründet ab. Wir müssenuns nach Kräften bemühen, alle für den Sieg erforderlichen Bedin-gungen zu erfüllen. Je vollständiger und früher diese Bedingungenerfüllt sind, desto sicherer können wir mit einem Sieg rechnen unddesto eher können wir ihn erringen. Wir glauben, daß die Dauer desKrieges nur auf diese Weise abgekürzt werden kann, und weisen dieTheorie eines rasch zu erringenden Sieges zurück; sie ist nichts alstörichtes Geschwätz, geboren aus dem Wunsch, etwas ohne Anstren-gung zu erreichen.

Warum ein verlängerter Krieg?

30. Untersuchen wir nun das Problem des verlängerten Krieges. Eine

 befriedigende Antwort auf die Frage, warum wir einen lange dauern-den Krieg führen müssen, läßt sich nur finden, wenn wir alle grund-legenden Gegensätze zwischen China und Japan berücksichtigen.Wenn wir zum Beispiel lediglich behaupten, der Feind sei eine starkeimperialistische Macht, während wir ein schwaches, halbkolonialesund halbfeudales Land seien, geraten wir in die Gefahr, in die Theo-rie von der nationalen Unterjochung zu verfallen. Denn weder theo-

retisch noch praktisch kann ein Kampf dadurch in die Länge gezogenwerden, daß man lediglich den Schwachen gegen den Starken aus-spielt. Und er kann auch nicht dadurch in die Länge gezogen werden,daß man den Großen gegen den Kleinen ausspielt, den Fortschrittli-chen gegen den Reaktionär oder reiche Unterstützung gegen geringeUnterstützung. Die Annektierung eines kleinen Landes durch eingroßes oder die eines großen Landes durch ein kleines ist eine alltäg-

liche Erscheinung. Oft kommt es vor, daß ein fortschrittliches, aber nicht eben starkes Land durch ein großes, reaktionäres Land zerstörtwird, und dasselbe gilt für alles, was zwar fortschrittlich, aber nichtstark ist. Die Frage der reichlichen oder spärlichen Unterstützung istzwar recht wichtig, aber doch eine Nebenfrage, und der Grad ihrer Wirkung ist auf beiden Seiten von grundlegenden Faktoren abhän-gig. Wenn wir daher sagen, daß unser Widerstandskrieg gegen Japan

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ein verlängerter Krieg ist, so ist dies ein Schluß, den wir aus demIneinandergreifen sämtlicher auf beiden Seiten wirkenden Faktoren

gezogen haben. Der Feind ist stark und wir sind schwach, und daher die Gefahr der Unterjochung. In anderer Hinsicht jedoch ist der Feind im Nachteil und wir im Vorteil. Durch unsere Bemühungenwerden sich die Vorteile des Feindes verringern und seine Nachteilevergrößern lassen. Andererseits können wir durch unsere Bemühun-gen auch unsere Vorteile erhöhen und unsere Nachteile ausgleichen.So können wir schließlich den Sieg erringen und die Unterjochungabwenden, während der Feind schließlich unterliegen wird und denZusammenbruch seines gesamten imperialistischen Systems nichtvermeiden kann.31. Da der Feind nur in einem Punkt im Vorteil ist und in allen an-deren Punkten im Nachteil, während bei uns ein einziger NachteilVorteilen auf allen anderen Gebieten, gegenübersteht, erhebt sich dieFrage: Warum hat dieser Zustand nicht zu einem Kräfteausgleichgeführt, sondern im Gegenteil dazu, daß unser Feind sich gegenwär-

tig in einer stärkeren Position befindet und wir uns in einer schwä-cheren? Selbstverständlich können wir die Frage nicht so formalstellen. Tatsächlich besteht zwischen der Stärke des Feindes undunserer eigenen zur Zeit ein so großer Abstand, daß die Nachteile desFeindes noch nicht wirksam geworden sind und dies vorläufig auchnoch nicht können, um seiner Stärke ernstlichen Abbruch zu tun,während unsere Vorteile sich noch nicht genügend ausgewirkt haben

und dies vorläufig auch nicht können, um unsere Schwäche wettzu-machen. Deshalb kann es bisher noch kein ausgeglichenes Kräfte-verhältnis geben, sondern nur ein unausgeglichenes.32. Wenngleich unsere Bemühungen, den Widerstandskrieg undunsere Einheitsfront aufrechtzuerhalten, das Verhältnis zwischen der Kraft und Überlegenheit des Feindes und unserer eigenen Schwächeund Unterlegenheit ein wenig gewandelt haben, kann doch von ei-

nem grundlegendem Wandel bisher noch keine Rede sein. Darumwird während eines bestimmten Stadiums des Krieges und bis zueinem gewissen Grad der Feind siegreich sein, und wir werden Nie-derlagen einstecken müssen. Aber .warum müssen in diesem Stadi-um die Siege des Feindes und unsere Niederlagen begrenzt sein?Warum können sie sich nicht zu einem vollständigen Sieg und einer vollständigen Niederlage auswachsen? Dafür gibt es zwei Gründe.

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Erstens waren die Stärke des Feindes und unsere Schwäche vomBeginn des Krieges an relativ und nicht absolut, und zweitens haben

unsere Bemühungen, den Widerstandskrieg und die Einheitsfrontaufrechtzuerhalten, diese Relativität noch weiter erhöht. Im Ver-gleich mit der Ausgangssituation ist der Feind zwar noch immer stark, doch haben ungünstige Faktoren seiner Stärke Abbruch getanallerdings noch nicht in so genügendem Maße, als daß seine Überle-genheit dadurch zunichte gemacht wäre. Wir hingegen sind zwar immer noch schwach, doch haben günstige Faktoren unserer Schwä-che ein wenig aufgeholfen allerdings noch nicht so weit, daß damitunsere Unterlegenheit aufgehoben wäre. So stellt sich also heraus,daß der Feind relativ stark ist und wir relativ schwach sind, daß der Feind sich in einer relativ überlegenen Position befindet und wir unsin einer relativ unterlegenen. Auf beiden Seiten sind Stärke undSchwäche, Überlegenheit und Unterlegenheit niemals absolute Grö-ßen gewesen. Abgesehen davon haben unsere Bemühungen, denWiderstand gegen Japan aufrechtzuerhalten und unsere Einheitsfront

zu festigen, bereits während des Krieges weitere Verschiebungen desursprünglichen Kräfteverhältnisses zwischen uns und dem Feind

 bewirkt. Somit sind in diesem Stadium des Krieges Siege des Fein-des und Niederlagen unsererseits nur in beschränktem Ausmaß mög-lich, und eben darum wird der Krieg lange dauern.33. Die Umstände verändern sich jedoch ununterbrochen. Vorausge-setzt, daß wir die richtige politische und militärische Taktik verfol-

gen, keine grundsätzlichen Fehler machen und alle Kraft einsetzen,werden sowohl die Nachteile des Feindes als auch unsere Vorteilesich vergrößern, je länger der Krieg sich hinzieht, woraus sich dannunweigerlich ständige Verschiebungen im relativen Kräfteverhältnisergeben und somit in der relativen Position auf beiden Seiten. Wennein neues Stadium erreicht ist, wird sich ein großer Wandel im Kräf-teverhältnis vollziehen, der dann mit der Niederlage des Feindes und

unserem Sieg enden wird.34. Zur Zeit kann unser Feind es sich noch leisten, seine Stärke aus-zuspielen, denn unser Widerstandskrieg hat ihn noch nicht entschei-dend geschwächt. Die Unzulänglichkeit seiner Reserven an Men-schen und Material hat ihn bisher noch nicht veranlaßt, seine Offen-sive einzustellen; im Gegenteil, er kann sie noch bis zu einem gewis-sen Grad aufrechterhalten. Die reaktionäre und barbarische Natur 

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seines Krieges, ein Umstand, der die Klassengegensätze innerhalbJapans und den Widerstand der chinesischen Nation verschärft, hat

noch nicht eine Situation entstehen lassen, die den japanischen Vor-marsch radikal verhindert. Zwar ist unser Feind immer mehr auf sichselber angewiesen, doch ist seine Isolation noch nicht vollständig. Invielen Ländern, die uns ihre Hilfsbereitschaft bezeugt haben, belie-fern die kapitalistischen Rüstungsfabrikanten, die lediglich an ihrenProfit denken, Japan noch immer mit großen Mengen an Kriegsmate-rial 9, und ihre Regierungen 10 können sich noch immer nicht ent-schließen, dem Beispiel der Sowjetunion zu folgen und Sanktionengegen Japan anzuwenden. Aus alledem folgt, daß wir unseren Wi-derstandskrieg nicht rasch genug gewinnen können, sondern daß er sich zweifellos lange hinziehen wird. Was China betrifft, so ist hier zwar in diesen zehn Monaten des Widerstandes eine gewisse Verbes-serung in den militärischen, wirtschaftlichen, politischen und kultu-rellen Bereichen zu verzeichnen, aber bis zu dem Punkt, an dem wir imstande sein werden, eine weitere Offensive des Feindes zu verhin-

dern und unsere eigene Gegenoffensive vorzubereiten, ist noch einlanger Weg. Ja, wir mußten in quantitativer Hinsicht sogar einigeVerluste einstecken. Obgleich alle für uns günstigen Umstände auchtatsächlich positive Wirkungen haben, genügen sie noch nicht, umdie Offensive der Japaner aufzuhalten und unsere Gegenoffensivevorzubereiten, es sei denn, wir strengten uns gewaltig an. Weder istin China die Korruption abgeschafft und der Fortschritt beschleunigt

worden, noch sind im Ausland die projapanischen Kräfte einge-dämmt und die antijapanischen Kräfte verstärkt worden. Hierausgeht hervor, daß wir unseren Krieg nicht rasch gewinnen können,sondern daß es ein verlängerter Krieg sein wird.

Die drei Stadien des verlängerten Krieges

35. Da der chinesisch-japanische Krieg sich lange hinziehen und der Sieg China zufallen wird, kann man logischerweise annehmen, daßdieser lange dauernde Krieg drei Stadien durchlaufen wird. Das ersteStadium umfaßt die Zeit der strategischen Offensive des Feindes undunserer strategischen Defensive. Das zweite Stadium wird die Zeitumfassen, in welcher der Feind eine strategische Konsolidierungvornimmt, während wir uns auf die Gegenoffensive vorbereiten. Das

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dritte Stadium wird die Zeit unserer strategischen Gegenoffensiveund des strategischen Rückzugs der Japaner sein. Die genaue Situati-

on in diesen drei Stadien läßt sich nicht voraussagen; wir können jedoch unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Umstände gewissewesentliche Tendenzen des Krieges aufzeigen. Der Lauf der Dingewird außerordentlich ereignisreich und vielfältig sein; er wird sichimmer wieder winden und drehen, und niemand kann für den chine-sisch-japanischen Krieg ein «Horoskop» stellen. Trotzdem ist es für die strategische Leitung des Krieges erforderlich, eine Umrißlinieseiner Tendenzen zu skizzieren. Selbst wenn unsere Skizze den spä-teren Tatsachen nicht völlig entsprechen sollte, so ist sie trotzdemnötig, um eine feste und zielbewußte strategische Leitung für denverlängerten Krieg zu ermöglichen.36. Das erste Stadium ist noch nicht vorüber. Unser Feind hat dieAbsicht, Kanton, Wuhan und Lanchow zu besetzen und diese dreiOrte miteinander zu verbinden. Um dieses Ziel zu erreichen, wird der Feind mindestens fünfzig Divisionen also anderthalb Millionen

Mann einsetzen, anderthalb bis zwei Jahre darauf verwenden undmehr als zehntausend Millionen Yen ausgeben müssen. Dadurch daßer so tief in unser Land eindringt, wird der Feind auf unendlicheSchwierigkeiten treffen, die unvorstellbar schreckliche Folgen nachsich ziehen müssen. Um die gesamte Länge der EisenbahnstreckeKanton-Hankow und der Straße zwischen Sian und Lanchow zu

 besetzen, wird er gefahrvolle Schlachten schlagen müssen und trotz

alledem sein Ziel nicht erreichen. Wir sollten jedoch beim Entwerfenunseres Operationsplanes von der Annahme ausgehen, daß der Feinddiese drei Punkte und möglicherweise auch gewisse anschließendeGebiete besetzen und miteinander verbinden wird, und wir sollten für einen lange dauernden Krieg Vorbereitungen treffen, so daß wir im-stande sein werden, es dann mit dem Feind aufzunehmen. In diesemStadium werden wir im wesentlichen einen Bewegungskrieg führen

müssen, der durch Guerillatätigkeit und Stellungskrieg unterstütztwerden muß. Zwar wurde in der ersten Phase dieses Stadiums demStellungskrieg die Hauptrolle zugewiesen, doch geschah dies durch

  persönliche Irrtümer der Militärbefehlshaber der Kuomintang; demStellungskrieg kommt jedoch, wenn man diese Phase als Ganzes

 betrachtet, nur eine Nebenrolle zu. China hat in diesem Stadium be-reits eine breite Einheitsfront aufgestellt und eine noch nie dagewe-

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sene Einheit erreicht. Der Feind hat die gemeinsten und schamlose-sten Mittel angewandt, um uns zur Kapitulation zu verleiten, eine

rasche Entscheidung herbeizuführen und ohne viel Mühe ganz Chinazu erobern, und er wird diese Mittel auch weiterhin anwenden; aber  bisher ist er damit gescheitert und wird wohl auch in Zukunft keinenErfolg haben. China hat in diesem Stadium trotz beträchtlicher Ver-luste doch auch beträchtlichen Fortschritt zu verzeichnen, auf Grunddessen es seinen beharrlichen Widerstand im zweiten Stadium wirdaufbauen können. Die Sowjetunion hat uns im gegenwärtigen Stadi-um bereits wesentliche Hilfe zuteil werden lassen. Auf seilen desFeindes machen sich allmählich Anzeichen einer erschlaffendenMoral bemerkbar. Die Angriffskraft seiner Armee hat im Vergleichzur Anfangsphase in dieser mittleren Phase des ersten Stadiums et-was nachgelassen und wird in der Schlußphase noch weiter abneh-men. Seine Wirtschaft wie seine Finanzen beginnen sich zu erschöp-fen, unter der Zivilbevölkerung wie unter den Truppen greift dieKriegsmüdigkeit um sich, und in der Clique derer, die diesen Krieg

dirigieren, bemerkt man Zeichen von «Frustration», und der Pessi-mismus hinsichtlich der Perspektiven des Krieges wächst.37. Das zweite Stadium könnte man als das Stadium des strategi-schen Stillstands bezeichnen. Gegen Ende des ersten Stadiums wirdder Feind durch seinen Mangel an Truppen und unseren entschlosse-nen Widerstand gezwungen sein, gewisse Schlußpunkte für seinestrategische Offensive festzulegen. Sobald sie erreicht sind, wird er 

seine strategische Offensive beenden und darangehen, die besetztenGebiete zu sichern. Im zweiten Stadium wird der Feind sich mit die-ser Sicherung der besetzten Gebiete befassen und versuchen, sievöllig zu annektieren. Dabei wird er zu der betrügerischen Methodegreifen, Marionettenregierungen einzusetzen, während er anderer-seits das chinesische Volk bis aufs letzte ausplündert. Aber auch hier wird er dem hartnäckigen Guerillakrieg gegenüberstehen. Unsere

Guerillas werden sich den Umstand zunutze machen, daß das Hinter-land des Feindes ungeschützt ist, und sie werden während des erstenStadiums eine rege Tätigkeit entfalten, viele Stützpunkte einrichtenund die Konsolidierung der feindlichen Macht in den besetzten Ge-

 bieten ernstlich bedrohen. Auf diese Weise wird im zweiten Stadiumnoch immer eine weitverzweigte Kampftätigkeit zu spüren sein.Zwar wird China noch immer eine große reguläre Armee unterhalten,

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doch wird es gewisse Schwierigkeiten haben, mit ihr sofort zu einer strategischen Gegenoffensive anzutreten, weil der Feind in den gro-

ßen Städten und an den von ihm besetzten Hauptverbindungslinieneine strategische Defensivposition beziehen wird, während Chinaandererseits noch nicht über eine hinreichende technische Ausrü-stung verfügt. Abgesehen von den Formationen, die in frontale Ver-teidigungskämpfe mit dem Feind verwickelt sind, werden unsereTruppen in vergleichsweise sehr zahlreichen verstreuten Einheitenim Hinterland des Feindes operieren. Dort werden sie, ausgehendvon allen zur Zeit nicht vom Feind besetzten Stützpunkten, im Zu-sammenwirken mit den örtlichen bewaffneten Einheiten der Bevöl-kerung einen heftigen, intensiven Guerillakrieg gegen die vom Feind

 besetzten Orte entfesseln und die Japaner soweit wie irgend möglichin Bewegung halten, um sie im Bewegungskrieg zu schlagen, so wiees uns jetzt in der Provinz Shansi gelungen ist. Im zweiten Stadiumwird der Kampf erbarmungslos sein, und unser Land wird furchtbar verwüstet werden. Doch wird der Guerillakrieg erfolgreich sein, und

wenn er gut geführt wird, kann der Feind vielleicht nur noch einDrittel des ursprünglich besetzten Gebietes halten, während die ande-ren zwei Drittel in unsere Hände zurückfallen werden. Dies wird einegroße Niederlage für den Feind sein und ein großer Sieg für China.Das vom Feind besetzte Gebiet wird zu diesem Zeitpunkt in dreiKategorien zerfallen: erstens feindliche Stützpunkte, zweitens unsereStützpunkte für die Guerillakriegführung und drittens die Guerilla-

zonen, um deren Besitz beide Seiten kämpfen. Die Dauer dieses Sta-diums wird davon abhängen, inwieweit sich das Kräfteverhältniszwischen uns und dem Feind verschoben hat und welche Verände-rungen in der internationalen Situation eintreten; allgemein gespro-chen sollten wir uns jedoch darauf gefaßt machen, daß dieses Stadi-um verhältnismäßig lange dauern und harte Anforderungen an unsstellen wird. Es wird eine sehr schwierige Zeit für China sein, in der 

wir vor allem zwei große Probleme bewältigen müssen: die wirt-schaftlichen Schwierigkeiten und die zersetzende Tätigkeit der Ver-räter. Der Feind wird alles daransetzen, Chinas Einheitsfront aufzu-splittern, und die Verräterorganisationen in allen besetzten Gebietenwerden sich zu sogenannten «Einheitsregierungen» zusammentun.Der Verlust großer Städte und die Härten des Krieges werden man-che Wankelmütigen in unseren Reihen veranlassen, nach einem

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Kompromiß zu rufen, und der Pessimismus wird besorgniserregendeAusmaße annehmen. Unsere Aufgabe wird es dann sein, das gesamte

Volk zu mobilisieren, damit es wie ein Mann zusammensteht undden Krieg mit unbeugsamer Beharrlichkeit weiterführt. Wir müssendie Einheitsfront erweitern und festigen, den Pessimismus sowie

  jeden Gedanken an einen Kompromiß hinwegfegen, einen eisernenKampfeswillen heraufbeschwören und neue, dem Krieg angepaßteMethoden anwenden, um so alle Engpässe zu überwinden. Im zwei-ten Stadium werden wir das gesamte Land dazu aufrufen, ent-schlossen zu einer einheitlichen Regierung zu stehen und sich allenSpaltungen zu widersetzen. Außerdem müssen wir systematisch un-sere Kampftechnik verbessern, die bewaffneten Kräfte reformierenund das gesamte Volk mobilisieren und auf die Gegenoffensive vor-

 bereiten. Die internationale Lage wird sich für Japan noch ungünsti-ger gestalten, und die wichtigsten ausländischen Mächte werdendazu neigen, China noch mehr Hilfe angedeihen zu lassen, auchwenn möglicherweise dabei der sogenannte «Realismus» Chamber-

lainscher Prägung zitiert wird, der sich den faits accomplis anpaßt.Die Bedrohung Südostasiens und Sibiriens durch Japan wird wach-sen, und vielleicht wird hier sogar ein neuer Krieg ausbrechen. WasJapan betrifft, so werden viele seiner Divisionen unablösbar in Chinafestsitzen. Eine weitverbreitete Guerillakriegführung und die gegenJapan gerichtete Volksbewegung werden die große Streitmacht desFeindes zermürben, ihr schweren Schaden zufügen und auch ihre

Moral untergraben, indem sie in ihren Reihen Heimweh, Kriegsmü-digkeit und sogar Abneigung gegen den Krieg schüren. Obgleich esfalsch wäre, zu behaupten, Japan werde mit seiner großangelegtenAusplünderung Chinas überhaupt kein Resultat erzielen, so werdenseine Gewinne doch weder rasch errungen noch sehr beträchtlichsein, da Japan einerseits nicht genügend Kapital hat und es anderer-seits durch unseren Guerillakrieg ständig aufgerieben wird. Dieses

zweite Stadium wird innerhalb des gesamten Krieges das Übergangs-stadium sein.Es wird die mühsamste und zugleich die entscheidende Zeitspannesein. Ob China ein unabhängiges Land oder die Kolonie eines frem-den Staates sein wird, entscheidet sich nicht mit dem Verlust der großen Städte während des ersten Stadiums, sondern durch das Aus-maß der Anstrengungen, welche die gesamte Nation innerhalb des

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zweiten Stadiums macht. Wenn wir einen verlängerten Widerstands-krieg weiterführen und unsere Einheitsfront erhalten können, wird

China in diesem zweiten Stadium die Kraft gewinnen, sich aus einemschwachen zu einem starken Land zu entwickeln. Das wird der zwei-te Akt in dem dreiaktigen Drama des chinesischen Widerstandskrie-ges sein. Und durch die gemeinsamen Bemühungen des ganzen En-sembles wird es möglich sein, einen brillanten dritten Akt zu spielen.38. Das dritte Stadium wird das Stadium unserer Gegenoffensivesein, durch die wir die verlorenen Gebiete zurückerobern. Ob dieseRückeroberung gelingt, wird im wesentlichen davon abhängen, obChina im vorhergehenden Stadium genügend Kraft gesammelt hatund nun im dritten Stadium weiterhin an Stärke zunimmt. Doch Chi-nas Kraft allein wird nicht ausreichen; wir werden auch auf die Un-terstützung durch ausländische Mächte und den Wandel, der inner-halb Japans vor sich gehen wird, angewiesen sein sonst können wir den Krieg nicht gewinnen. Aus dieser Tatsache erwachsen uns inter-nationale propagandistische und diplomatische Aufgaben. Im dritten

Stadium wird unser Krieg nicht mehr aus einer strategischen Defen-sive bestehen, sondern aus einer strategischen Gegenoffensive, diesich in einzelnen strategischen Angriffen manifestieren wird. Wir werden nicht mehr auf den strategischen inneren Kampflinien kämp-fen, sondern unsere Kampftätigkeit allmählich auf die strategischenäußeren Kampflinien verlagern. Bevor wir uns nicht bis zum Yalu-Fluß durchgekämpft haben, wird der Krieg nicht beendet sein. Das

dritte Stadium wird das letzte im lange dauernden Krieg sein, undwenn wir davon sprechen, daß wir bis zum Ende ausharren wollen,so meinen wir damit, daß wir dieses dritte Stadium durchstehen müs-sen. Das Hauptgewicht wird auch hier noch auf dem Bewegungs-krieg liegen, aber daneben wird der Stellungskrieg an Bedeutungzunehmen. Während im jetzigen ersten Stadium die Stellungsdefen-sive der vorherrschenden Umstände wegen nicht als wesentlich be-

trachtet werden kann, wird im dritten Stadium die Stellungsoffensiveinfolge der veränderten Bedingungen und der alsdann auftretendenErfordernisse äußerst wichtig sein. Die Guerillakriegführung wirdder Armee auch im dritten Stadium durch ihren Bewegungs- undStellungskrieg noch eine strategische Unterstützung gewähren, dochwerden sie nicht mehr wie im zweiten Stadium die Hauptrollen spie-len.

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39. Es ergibt sich somit, daß der Krieg zweifellos lange dauert undkonsequenterweise grausam sein wird. Es wird dem Feind nicht ge-

lingen, ganz China zu schlucken; aber er wird eine ganze Reihe vonOrten für eine verhältnismäßig lange Zeit besetzen können. Chinawird nicht imstande sein, die Japaner schnell aus dem Lande zu trei-

 ben; aber der größte Teil unseres Territoriums wird doch in unserenHänden bleiben. Zum Schluß wird der Feind besiegt sein, und wir werden die Sieger sein, aber bis dahin werden wir noch einen schwe-ren Weg zu gehen haben.40. Im Verlauf dieses langen und grausamen Krieges wird das chi-nesische Volk gestählt werden. Und auch die politischen Parteien,die an dem Krieg teilnehmen, werden dadurch eine Härtung undPrüfung erfahren. Die Einheitsfront muß bleiben. Nur durch die Er-haltung der Einheitsfront können wir den Krieg weiterführen, könnenwir den Sieg erringen. Nur so können wir alle Schwierigkeiten über-winden. Wenn wir erst die schwere Wegstrecke hinter uns haben,werden wir auf die breite Landstraße gelangen, die zum Siege führt.

Das ist die natürliche Logik des Krieges.41. Die Verschiebungen im Kräfteverhältnis während der drei Stadi-en werden sich folgendermaßen abspielen. Im ersten Stadium ist der Feind uns kräftemäßig überlegen und wir sind ihm unterlegen. Hin-sichtlich unserer Unterlegenheit müssen wir für die Zeitspanne vomAusbruch des Krieges bis zur Beendigung des ersten Stadiums mitzwei Arten von Veränderungen rechnen. Die erste ist eine Verände-

rung zum Schlechten. Chinas an sich schon bestehende Unterlegen-heit wird durch Kriegsverluste noch verschärft werden — diese Ver-luste werden sich auf das Territorium, die Bevölkerung, das wirt-schaftliche und das militärische Potential und die kulturellen Institu-tionen erstrecken. Gegen Ende des ersten Stadiums werden die Ver-luste, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet, sehr beträchtlich sein.Und gewisse Leute werden diese Tatsache aufgreifen und zur Grund-

lage ihrer Theorien von nationaler Unterjochung und Kompromißmachen. Wir müssen jedoch auch die zweite Art der Veränderung,die zum Besseren, anmerken. Sie schließt vieles ein: die im Krieggewonnene Erfahrung, die von den Streitkräften erzielten Fortschrit-te, den politischen Fortschritt, die Mobilisierung des Volkes, dieEntwicklung der Kultur in einer neuen Richtung, den Beginn der Guerillakriegführung, den Zuwachs an internationaler Hilfe usw. Die

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Dinge, die sich während des ersten Stadiums auf der absteigendenLinie befinden, betreffen die Quantität und Qualität des Alten, wobei

der Hauptakzent auf der Quantität liegt. Im Aufsteigen begriffen sindhingegen die Quantität und die Qualität des Neuen, und hierbei liegtder Hauptakzent auf der Qualität. Diese zweite Art der 'Veränderun-gen liefert uns eine Grundlage, auf der wir einen verlängerten Kriegführen und den Sieg erringen können.42. Auch auf der Feindseite ereignen sich im ersten Stadium zweier-lei Arten von Veränderungen. Die erste Art, die Veränderung zumSchlechten, drückt sich in Hunderten und Tausenden vonMißlichkeiten aus, im Versiegen der Waffen- undMunitionsbestände, im Absinken der Truppenmoral, in der Unzufriedenheit der Zivilbevölkerung, im Niedergang des Handels,in den Ausgaben, die sich aus mehr als zehntausend Millionen Yen

  belaufen, in der Verurteilung durch die öffentliche Meinung der ganzen Welt usw. Auch dieser Trend erweitert unsere Möglichkeiten,einen verlängerten Krieg zu führen und den Sieg zu erringen. Wir 

müssen jedoch auch beim Feind mit der zweiten Art der Veränderungen, den Veränderungen zum Besseren, rechnen. Sie

  bestehen in einem Zuwachs an Territorien, Bevölkerung undnatürlichen Hilfsquellen. Und auch das ist ein Grund für dieVerlängerung unseres Widerstandskrieges und die Unmöglichkeiteines raschen Sieges, die außerdem bestimmte Menschen benutzenfür ihre Theorien der nationalen Unterjochung und des

Kompromisses. Wir müssen in Rechnung stellen, daß dieseWendung zum Besseren auf seilen des Feindes nur vorübergehendund partiell ist. Japan ist eine imperialistische Macht, die ihrem Un-tergang entgegeneilt; es kann nur vorübergehend chinesisches Gebiet

  besetzen. Außerdem wird das kraftvolle Anwachsen der Guerilla-kriegführung in China dafür sorgen, daß Japans Okkupation auf schmale Landstreifen beschränkt sein wird. Daneben wird die Beset-

zung chinesischen Gebiets durch Japan die vorhandenen Gegensätzezwischen Japan und anderen ausländischen Nationen verschärfenund zusätzlich neue schaffen. Allgemein gesprochen bringt eine sol-che Besetzung für die Japaner eine gewisse Zeit großer Ausgabenmit sich, denen vorerst keine Einnahmen entgegenstehen, wie dieErfahrung in den drei nordöstlichen Provinzen gelehrt hat. All dieseTatsachen liefern uns wiederum Argumente, um die Theorien der nationalen Unterjochung und des Kompromisses zu widerlegen und

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unsere Theorien über den verlängerten Krieg und den Sieg zu unter-mauern.

43. Im zweiten Stadium werden die eben erwähnten Veränderungenauf beiden Seiten zunehmen. Obgleich man die Einzelheiten der künftigen Situation nicht voraussagen kann, steht doch fest, daß Ja-

 pan sich nun weiterhin auf der absteigenden Linie, China hingegenauf der aufsteigenden befinden wird. So werden zum Beispiel Japansmilitärische und finanzielle Reserven durch unseren Guerillakriegernsthaft bedroht sein, die Unzufriedenheit der Zivilbevölkerungwird wachsen, der Kampfgeist der Truppen wird noch weiter absin-ken, und es wird auf internationaler Ebene immer isolierter dastehen.Was China betrifft, so wird es auf politischem, militärischem undkulturellem Gebiet und in der Mobilisierung seiner Bevölkerungweitere Fortschritte machen; der Guerillakrieg wird zunehmen; durchdie Entstehung kleiner Industrien und durch intensivere Bodenbestel-lung im Innern des Landes wird ein gewisser wirtschaftlicher Auf-schwung zu verzeichnen sein; wir werden in größerem Umfang auf 

internationale Hilfe rechnen können, so daß die Gesamtlage völliganders aussehen wird als heute. Dieses zweite Stadium wird mögli-cherweise einen sehr langen Zeitraum umfassen, in dem eine großeUmkehrung im Kräfteverhältnis stattfinden wird: China wird allmäh-lich emporsteigen und Japan wird allmählich absinken. China wirdaus seiner Unterlegenheit erlöst werden, Japan wird seine Überle-genheit einbüßen. Zuerst wird sich das relative Kräfteverhältnis der 

  beiden Länder ausgleichen, dann wird es sich umkehren. Danachwird China seine Vorbereitungen für die strategische Gegenoffensivefast beendet haben und in das Stadium der Gegenoffensive und der Vertreibung des Feindes treten. In diesem Zusammenhang müssenwir noch einmal darauf hinweisen, daß der Wechsel von Unterlegen-heit zur Überlegenheit und der Abschluß der Vorbereitungen zur Gegenoffensive dreierlei in sich begreifen wird: ein Anwachsen der 

Stärke Chinas, ein Anwachsen der Schwierigkeiten für Japan und einAnwachsen der internationalen Unterstützung. Das Zusammenwir-ken dieser drei Kräfte wird Chinas Überlegenheit und den Abschlußseiner Vorbereitungen zur Gegenoffensive zustande bringen.44. Da Chinas politische und wirtschaftliche Entwicklung sehr un-einheitlich ist, wird die strategische Gegenoffensive in der Anfangs-

 phase des dritten Stadiums kein einheitliches und gleichmäßiges Bild

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  bieten, sondern von Region zu Region verschieden aussehen. Hier wird sie anschwellen, dort abflauen. Während dieses Stadiums wird

unser Feind unermüdlich alle Kunstgriffe anwenden, um ChinasEinheitsfront aufzuspalten; darum wird die Erhaltung der chinesi-schen Einheitsfront zu unserer vordringlichsten Aufgabe werden.Wir müssen unbedingt verhindern, daß unsere strategische Gegenof-fensive infolge innerer Uneinigkeiten auf halbem Wege zusammen-

 bricht. In dieser Zeit wird sich die internationale Lage für China sehr günstig gestalten. Unsere Aufgabe ist es dann, diesen Umstand aus-zunützen, um uns endgültig zu befreien und einen unabhängigendemokratischen Staat zu begründen, der gleichzeitig seinen Beitragzur weltweiten antifaschistischen Bewegung leisten kann.45. Der Verlauf des chinesisch-japanischen Krieges muß sich un-weigerlich folgendermaßen darstellen: China rückt aus der Unterle-genheit zur Kräftegleichheit und dann zur Überlegenheit auf, wäh-rend Japan von der Überlegenheit zur Kräftegleichheit und dann zur Unterlegenheit absinkt; China geht von der Defensive zum Stillstand

und von da zur Gegenoffensive über, während Japan von der Offen-sive zur Sicherung der eroberten Gebiete und von da zum Rückzugübergeht.46. Daraus ergeben sich die folgenden Fragen und Schlüsse: WirdChina unterjocht werden? Die Antwort lautet: Nein, es wird nichtunterjocht werden, sondern den Sieg erringen. Kann China zu einemraschen Sieg gelangen? Die Antwort lautet: Nein, es kann nicht zu

einem raschen Sieg gelangen, der Krieg wird lange dauern. Sinddiese Schlüsse richtig? Ich meine doch, sie sind es.47. An diesem Punkt werden die Unterjochungs- und Kompromiß-theoretiker sofort wieder auf dem Plan erscheinen und sagen: «Umvon der Unterlegenheit zur Kräftegleichheit aufzurücken, benötigtChina eine militärische und wirtschaftliche Macht, die der Japansgleichkommt, und um von der Kräftegleichheit zur Überlegenheit

aufzurücken, wird es eine militärische und wirtschaftliche Macht benötigen, die der Japans überlegen ist. Das aber ist unmöglich, unddaher sind die oben gezogenen Schlüsse nicht richtig.»48. Das ist jene Theorie, nach der «die Waffen alles entscheiden»12 eine Theorie, die einer sehr mechanistischen Einstellung zur Fragedes Krieges entspricht und die sehr subjektiv und einseitig ist. Unse-re Einstellung ist völlig anders; wir sehen nicht nur auf die Waffen,

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sondern auch auf die Menschen. Waffen sind im Krieg ein wichtiger,aber nicht der entscheidende Faktor; Menschen, nicht Dinge, ent-

scheiden. Der Kampf der Kräfte ist nicht nur ein Kampf militärischer und wirtschaftlicher Macht, sondern auch ein Kampf menschlicher Stärke und Moral. Militärische und wirtschaftliche Macht wird not-wendigerweise von Menschen ausgeübt. Wenn die große Mehrheitder Chinesen, der Japaner und der Bevölkerung anderer Länder auf der Seite unseres Widerstandskrieges gegen Japan steht, wie kannman dann die militärische und wirtschaftliche Macht Japans, dieerzwungenermaßen von einer kleinen Minderheit getragen werdenmuß, als Überlegenheit ansehen? Und wenn man das nicht kann mußdann nicht China, obwohl es in militärischer und wirtschaftlicher Hinsicht vergleichsweise schwächer ist als Japan, schließlich der Überlegene sein? Kein Zweifel, Chinas militärische und wirtschaftli-che Macht wird allmählich anwachsen, vorausgesetzt, wir halten anunserem Widerstandskrieg und der Einheitsfront fest. Was aber unse-ren Feind betrifft, so wird er durch die Verlängerung des Krieges

sowie durch äußere und innere Unstimmigkeiten geschwächt werden,so daß seine militärische und wirtschaftliche Macht sich in der ent-gegengesetzten Richtung entwickeln muß. Besteht unter diesen Um-ständen irgendein Grund, warum China nicht schließlich der Überle-gene sein sollte? Aber das ist noch nicht alles. Zwar können wir bis-her noch nicht damit rechnen, daß andere Länder uns ihre militäri-sche und wirtschaftliche Macht offen und in größerem Umfang zur 

Verfügung stellen; aber besteht etwa ein Grund, warum dies in Zu-kunft nicht noch der Fall sein sollte? Wenn Japan es nicht mehr al-lein mit China zu tun hat, wenn künftig auch andere Länder ihre

  beträchtliche militärische und wirtschaftliche Macht defensiv oder offensiv gegen Japan einsetzen und uns offen zur Seite stehen, wirddann unsere Überlegenheit nicht noch weiter anwachsen? Japan istein kleines Land, sein Krieg ist reaktionär und barbarisch und es wird

immer stärker isoliert. China ist ein großes Land, sein Krieg ist fort-schrittlich und gerecht, und ihm wird in zunehmendem Maße dieUnterstützung der anderen Länder zuteil werden. Besteht etwa ir-gendein Grund, warum die langfristige Entwicklung dieser Faktorendas relative Kräfteverhältnis zwischen uns und unserem Feind nichtentscheidend verändern sollte?49. Die Anwälte des raschen Sieges jedoch machen sich nicht klar,

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daß ein Krieg ein Kräftemessen ist und daß wir, bevor ein gewisser Wandel im relativen Kräfteverhältnis zwischen uns und unserem

Gegner stattgefunden hat, keine Veranlassung zu dem Versuch ha- ben, strategisch entscheidende Schlachten zu liefern und so den Wegzu unserer Befreiung abzukürzen. Wollten wir derartige Vorstellun-gen in die Praxis umsetzen, so würden wir unweigerlich mit demKopf gegen eine Wand rennen. Vielleicht aber reden diese Menschennur so daher und haben gar nicht die ernstliche Absicht, ihre Ideen zuverwirklichen. Schließlich aber wird Frau Wirklichkeit kommen unddiesen Schwätzern einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf gießen.Dann wird jeder sehen, daß sie bloße Schaumschläger sind, die sichzu keiner Anstrengung aufraffen können und alles umsonst habenwollen. Wir haben schon früher solch törichtes Geschwätz hörenmüssen und müssen es immer noch, wenn auch nicht mehr so häufig.Wenn aber der Krieg ins Stadium des Stillstands und dann in das der Gegenoffensive tritt, wird dieses Gerede möglicherweise wieder aufkommen. Bis dahin besteht eine andere Gefahr. Wenn nämlich

China im ersten Kriegsstadium schwere Verluste erleiden und daszweite Stadium sich sehr lange hinziehen sollte, werden die Theorieeiner nationalen Unterjochung und die Kompromißbereitschaft wie-der größere Verbreitung finden. Darum sollte sich unser Feuer haupt-sächlich gegen die Verfechter dieser Theorien und erst in zweiter Linie gegen die dummen Schwätzer richten, die einen raschen Sieg

 prophezeien.

50. Daß der Krieg lange dauern wird, ist gewiß; aber niemand kanngenau voraussagen, über wie viele Monate oder Jahre er sich hinzie-hen wird, da die Beantwortung dieser Frage einzig von der Verschie-

  bung des Kräfteverhältnisses abhängt. Wer den Krieg abkürzenmöchte, dem bleibt keine andere Wahl, als alles daranzusetzen, unse-re Macht zu erhöhen und die des Feindes zu verringern. Das aber werden wir nur erreichen, wenn wir ständig bestrebt sind, immer 

mehr Schlachten zu gewinnen, die Truppen des Feindes zu zermür- ben, die Guerillakriegführung auszudehnen, um das vom Feind be-setzte Gebiet auf ein Minimum zu beschränken, unsere Einheitsfrontzu festigen und zu erweitern, um so die Kräfte der gesamten Nationzu sammeln, neue Armeen aufzustellen, neue Kriegsindustrien zuentwickeln, den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Fort-schritt zu beschleunigen, die Arbeiter, Bauern, Kaufleute, die Intel-

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lektuellen und alle anderen Volksgruppen zu mobilisieren, die Kräftedes Feindes zu zersplittern und seine Soldaten für unsere Sache zu

gewinnen, internationale Propaganda zu betreiben, um für uns dieHilfe des Auslands sowie die Unterstützung des japanischen Volkesund anderer unterdrückter Völker zu gewinnen. Nur wenn wir alldies tun, können wir die Dauer des Krieges verkürzen. Ein magischesSchnellverfahren gibt es nicht.

Der Krieg als Puzzlespiel?

51. Wir können überzeugt sein, daß unser verlängerter Widerstands-krieg gegen Japan ein großartiges und einzigartiges Blatt in der Kriegsgeschichte der Menschheit füllen wird. Eines der besonderenKennzeichen dieses Krieges ist durch die vielen ineinandergreifen-den, an ein Puzzlespiel erinnernden Einzelaktionen und Gesichts-

 punkte bedingt, die sich aus den gegensätzlichen Faktoren ergebenwie der Barbarei der Japaner und ihrem Truppenmangel auf der ei-

nen Seite und der Fortschrittlichkeit Chinas und der Weite seinesTerritoriums auf der anderen. Es hat in der Geschichte bereits andereKriege nach dem Puzzlespiel-Muster gegeben, wie zum Beispiel dendrei Jahre dauernden Bürgerkrieg in Rußland nach der Oktoberrevo-lution. Was aber unseren chinesischen Krieg von allen anderen un-terscheidet, ist seine besonders lange Dauer und seine besondersgroße Ausdehnung, die einen Rekord in der Geschichte aufstellen

wird. Das Puzzlespiel-Muster drückt sich in den folgenden Tatsachenaus:52. Innere und äußere Kampflinien. Im ganzen gesehen, wird der Krieg gegen Japan auf den inneren Kampflinien ausgefochten. Fas-sen wir jedoch die Beziehung zwischen der Hauptstreitmacht undden Guerillaeinheiten ins Auge, so bemerken wir, daß die erste auf den inneren, die zweite jedoch auf den äußeren Kampflinien operie-

ren und dabei den Feind sichtlich in die Zange nehmen. Das gleicheläßt sich über die Beziehung zwischen den einzelnen Guerillagebie-ten sagen. Von ihrem Gesichtspunkt aus befindet sich jedes einzelneGuerillagebiet auf inneren Kampflinien, die anderen hingegen auf äußeren. Zusammengenommen bilden sie eine ganze Reihe vonKampffronten, die den Feind in die Zange nehmen. Im ersten Stadi-um des Krieges zieht sich die reguläre Streitmacht, die strategische

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Operationen auf den inneren Kampflinien durchführt, zurück, wäh-rend die Guerillaeinheiten, die strategische Operationen auf den äu-

ßeren Kampflinien durchführen, in großen Sprüngen über weite Ge-  biete bis ins Hinterland des Feindes vorrücken im zweiten Stadiumwerden diese Vorstöße noch stürmischer ausfallen. So bietet sich nunalso ein bemerkenswertes Zusammenspiel von Rückzug und Vor-stoß.53. Besitz und Fehlen eines Hinterlandes. Die Hauptstreitmacht,welche die äußeren Kampflinien bis zu den äußersten Grenzen der vom Feind besetzten Gebiete ausdehnt, operiert, wenn man das Landals Ganzes betrachtet, vom Hinterland aus. Die Guerillaeinheiten,welche die Kampflinien bis ins feindliche Hinterland hinein ausdeh-nen, sind, wenn man das Land als Ganzes betrachtet, vom Hinterlandgetrennt. Doch jedes Guerillagebiet verfügt über ein kleines Hinter-land, auf das es sich bei der Aufstellung der beweglichen Kampflini-en stützen kann. Anders liegt der Fall bei den Guerillaeinheiten, dieaus einem Guerillagebiet zu kurzfristigen Operationen in das feindli-

che Hinterland desselben Gebietes abkommandiert worden sind; siehaben weder ein Hinterland noch eine eigentliche Kampflinie. Die«Operationen ohne Hinterland» bilden ein besonderes Merkmal desrevolutionären Krieges in der neuen Ära überall dort, wo ein ausge-dehntes Territorium, ein fortschrittliches Volk, eine moderne politi-sche Partei und eine Armee anzutreffen sind. Wir haben dabei nichtszu befürchten, aber viel zu gewinnen, und wir sollten vor derartigen

Aktionen nicht zurückscheuen, sondern sie im Gegenteil fördern.54. Einkreisung und Gegeneinkreisung. Nehmen wir den Krieg alsGanzes, so kann kein Zweifel daran bestehen, daß wir strategischvom Feind eingekreist sind, da er eine strategische Offensive durch-führt und auf den äußeren Kampflinien operiert, während wir uns inder strategischen Defensive befinden und auf den inneren Kampflini-en operieren. Dies ist die erste Form der Einkreisung durch den

Feind. Wir aber können unsererseits eine oder mehrere der feindli-chen Kolonnen einkreisen, die auf getrennten Wegen gegen uns vor-rücken, denn hier führen wir Schlachten und Gefechte von taktischäußeren Kampflinien aus, indem wir zahlenmäßig überlegene Kräftegegen die Feindkolonnen einsetzen, die von strategisch äußerenKampflinien auf uns zukommen. Dies ist die erste Form der Gegen-einkreisung des Feindes. Wenn wir sodann unsere Guerillastützpunk-

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te im Hinterland des Feindes betrachten, so sehen wir, daß jeder ein-zeln genommen von feindlichen Kräften umgeben ist, entweder auf 

allen Seiten wie im Gebiet des Wutaigebirges oder auf drei Seitenwie im nordwestlichen Teil von Shansi. Dies ist die zweite Form der Einkreisung durch den Feind. Betrachten wir jedoch alle Guerilla-stützpunkte zusammen und in ihrer Beziehung zu den Stellungen der regulären Truppen, so entdecken wir, daß wir unsererseits wieder einen großen Teil der feindlichen Streitkräfte einkreisen. So habenwir in der Provinz Shansi beispielsweise die Eisenbahnstrecke Ta-tung-Puchow von drei Seiten (von der Ostflanke, der Westflanke undvom südlichen Ende her) eingekreist und die Stadt Taiyuan sogar von allen Seiten. Auch aus den Provinzen Hopei und Shantung las-sen sich viele ähnliche Beispiele aufzählen. Dies ist die zweite Formder Gegeneinkreisung des Feindes. Wir kennen demnach zwei For-men der Einkreisung durch den Feind und zwei Formen der Einkrei-sung des Feindes durch uns beinahe wie in einem Weichi-Spiel13.Die von beiden Seiten durchgeführten Schlachten und Gefechte glei-

chen dem gegenseitigen Wegnehmen der Spielsteine, und die Befe-stigung von Ortschaften durch den Feind (wie z. B. der Stadt Taiyu-an) oder die Errichtung von Guerillastützpunkten (wie z. B. im Wu-taigebirge) gleicht den Zügen der Spieler, durch die sie die Felder auf dem Spielbrett beherrschen wollen. Überträgt man dieses Weichi-Spiel auf die ganze Welt, so ergibt sich noch eine dritte Form der Einkreisung, die sich aus der Wechselbeziehung zwischen der Ag-

gressivfront und der Friedensfront herleitet. Der Feind kreist China,die Sowjetunion, Frankreich und die Tschechoslowakei mit seiner Aggressivfront ein, während wir unsererseits Deutschland, Japan undItalien mit unserer Friedensfront einkreisen. Doch unsere Einkrei-sung wird sich wie die Hand Buddhas in den Berg der fünf Elementeverwandeln, der quer über dem Universum liegt, und die modernenSun Wu-kungs die faschistischen Aggressoren werden schließlich

darunter begraben sein und sich nie mehr erheben können.14

Wenn esuns gelingt, auf internationaler Ebene eine antijapanische Front imganzen Pazifikgebiet zu schaffen, bei der China eine strategischeEinheit bildet, die Sowjetunion und andere Länder, die sich ihr an-schließen wollen, weitere Einheiten und die japanische Volksbewe-gung als weitere strategische Einheit wenn wir so ein gewaltiges

  Netz spannen können, aus dem es für die faschistischen Sun Wu-

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kungs kein Entrinnen gibt, dann wird dies der Tag des Verhängnissesfür unseren Feind sein. Jawohl, der Tag, an dem dieses gigantische

  Netz gespannt ist, wird zweifellos der Tag des endgültigen Sturzesfür den japanischen Imperialismus sein. Diese Behauptung ist keinScherz; sie kennzeichnet die unabwendbare Entwicklung des Krie-ges.55. Große Gebiete und kleine Gebiete. Es besteht die Möglichkeit,daß der Feind den größeren Teil des chinesischen Territoriums süd-lich der Großen Mauer besetzen wird und daß nur ein sehr kleiner Teil vom Kriegsgeschehen unberührt bleiben wird. Dies ist die eineSeite der Situation. Doch innerhalb dieses größeren Teils, der diedrei nordöstlichen Provinzen nicht einschließt, kann der Feind nur die großen Städte, die Hauptverbindungslinien und einige Gegendendes Flachlandes fest in der Hand behalten Gebiete, zwar von strategi-scher Bedeutung, die jedoch im Hinblick auf Fläche und Bevölke-rungszahl des besetzten Territoriums nur einen kleinen Teil ausma-chen, während der größere Teil zu Operationszonen der überall auf-

tauchenden Guerillaeinheiten werden wird. Dies ist die andere Seiteder Situation. Gehen wir über das Gebiet südlich der Großen Mauer hinaus und beziehen die Mongolei, Sinkiang, Chinghai und Tibet inunsere Betrachtungen ein, so wird das unbesetzte Gebiet den größe-ren Teil des chinesischen Territoriums darstellen, während die vomFeind besetzten Gebiete, auch wenn wir die drei nordöstlichen Pro-vinzen einbeziehen, den kleineren Teil darstellen. Dies ist ein weite-

rer Aspekt der Lage. Auch das vom Krieg nicht berührte Gebiet istzweifellos von Bedeutung, und wir sollten uns ernstlich bemühen, eszu entwickeln nicht nur politisch, militärisch und wirtschaftlich, son-dern auch — und das ist wesentlich! — kulturell. Der Feind hat ausunseren ehemaligen Kulturzentren kulturell rückständige Gebietegemacht; nun müssen wir unsererseits die ehemals kulturell rück-ständigen Gebiete in Kulturzentren verwandeln. Daneben ist es un-

geheuer wichtig, hinter den feindlichen Linien ausgedehnte Guerilla-zonen zu entwickeln, und auch hier sollten wir jeden Aspekt dieser Unternehmung, einschließlich des kulturellen Aspekts, berücksichti-gen. Alles in allem werden so große Teile des chinesischen Territori-ums, insbesondere die Agrargegenden, in Gebiete des Fortschrittsund des Lichts verwandelt werden, während kleinere Teile, nämlichdie vom Feind besetzten Gebiete und besonders die großen Städte,

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vorübergehend zu Regionen der Rückständigkeit und der Finsterniswerden.

56. Wir sehen also, daß der verlängerte und weitgespannte Wider-standskrieg gegen Japan in militärischer, politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht das Bild eines Puzzlespiels aufweist. Das istein großartiges Schauspiel innerhalb der Geschichte des Krieges, einheroisches Unterfangen der chinesischen Nation, eine herrliche undwelterschütternde Tat. Dieser Krieg wird seine Wirkung nicht nur auf China und Japan ausüben und beiden Ländern ein starker Antriebzum Fortschritt sein; er wird auf die ganze Welt einwirken und alle

  Nationen — vor allem die unterdrückten Nationen wie Indien — anfeuern, vorwärts zu marschieren. Jeder Chinese sollte bewußt andiesem Puzzlespiel-Krieg teilnehmen, denn nur so kann die chinesi-sche Nation sich selber befreien. Dies ist die Form, in der ein großeshalbkoloniales Land in den dreißiger und vierziger Jahren des zwan-zigsten Jahrhunderts seinen Befreiungskrieg führen muß.

Der Kampf für einen dauerhaften Frieden

57. Die lange Dauer des chinesischen Widerstandskrieges gegenJapan ist unlöslich verbunden mit dem Kampf um den dauerhaftenFrieden in China und der ganzen Welt. Niemals in der Geschichtegab es eine Zeitspanne, in welcher der Krieg dem dauerhaften Frie-den so nahe war wie heute. Mehrere tausend Jahre hindurch, seit dem

Entstehen der Klassen, war das Leben der Menschheit von Kriegenerfüllt. Jede Nation hat zahlreiche Kriege geführt, so im eigenenLand wie gegen andere Länder. In der imperialistischen Epoche der kapitalistischen Gesellschaft werden die Kriege in einem besondersweiten Rahmen und mit besonderer Unerbittlichkeit geführt. Der erste große imperialistische Krieg vor zwanzig Jahren war der ersteseiner Art in der Geschichte, jedoch nicht der letzte. Einzig der 

Krieg, der nunmehr begonnen hat, könnte vielleicht der letzte Kriegsein, das bedeutet, er nähert sich dem dauerhaften Frieden der Menschheit. Ein Drittel der Weltbevölkerung ist im Kriegszustand.Seht: Italien, dann Japan; Abessinien, dann Spanien, dann China. DieBevölkerung all der Länder, die sich zur Zeit im Krieg befinden,zählt sechshundert Millionen, also rund ein Drittel der Weltbevölke-rung. Die Merkmale des gegenwärtigen Krieges sind seine Dauer 

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und seine Nähe zu einem dauerhaften Frieden. Warum dauert er an? Nachdem Italien Abessinien angegriffen hatte, griff es Spanien an,

und Deutschland folgte seinem Beispiel. Dann griff Japan China an.Was wird nun kommen? Zweifellos wird Hitler gegen die Groß-mächte zum Kampf antreten. «Faschismus bedeutet Krieg», das istvollkommen wahr. Dieser Krieg wird sich ohne Unterbrechung zueinem Weltkrieg entwickeln, und es wird der Menschheit nicht ge-lingen, dieses Unheil abzuwenden. Warum behaupten wir dann, der gegenwärtige Krieg sei dem dauerhaften Frieden nahe? Er ist dasErgebnis der allgemeinen Krise des Weltkapitalismus, die mit demErsten Weltkrieg begonnen hat. Diese allgemeine Krise treibt diekapitalistischen Länder in einen neuen Krieg, und sie treibt vor allemdie faschistischen Länder in neue kriegerische Abenteuer. Dieser Krieg, das können wir voraussehen, wird den Kapitalismus nichtretten, sondern seinen Zusammenbruch beschleunigen. Er wird wei-tere Gebiete erfassen und noch unbarmherziger geführt werden alsder Krieg vor zwanzig Jahren. Alle Nationen werden sich unaus-

weichlich darin verstrickt finden, er wird sich über eine lange Zeithinziehen, und die Menschheit wird schwer unter ihm zu leiden ha-

 ben. Dank der Existenz der Sowjetunion und dem wachsenden politi-schen Bewußtsein der Völker der Welt werden aus diesem Kriegzweifellos große revolutionäre Kriege entstehen, die allen konterre-volutionären Kriegen und so diesem Krieg den Charakter eines Rin-gens um den dauerhaften Frieden verleihen werden. Selbst wenn

später noch eine weitere Kriegsperiode kommen sollte, so wird dochder dauerhafte Weltfrieden nicht mehr fern sein. Wenn der Menscherst einmal den Kapitalismus ausgerottet hat, wird er die Ära desdauerhaften Friedens erreichen, in der kein Bedarf nach einem Kriegmehr sein wird. Man wird dann keine Armeen, keine Kriegsschiffe,keine Militärflugzeuge und kein Giftgas mehr brauchen. Danachwird die Menschheit für alle Zeiten keinen Krieg mehr kennen. Die

revolutionären Kriege, die bereits begonnen haben, sind ein Teil desKrieges für den dauerhaften Frieden. Der Krieg zwischen China undJapan, die zusammen eine Bevölkerung von mehr als fünfhundertMillionen Menschen haben, wird in diesem Krieg zur Vorbereitungdes dauerhaften Friedens eine wichtige Rolle spielen, und eines sei-ner Ergebnisse wird die Befreiung der chinesischen Nation sein. Das

  befreite neue China der Zukunft wird untrennbar mit der befreiten

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neuen Welt der Zukunft verbunden sein. Aus diesem Grunde nimmtunser Widerstandskrieg gegen Japan den Charakter eines Kampfes

um den dauerhaften Frieden an.58. Die Geschichte lehrt, daß es zwei Arten von Kriegen gibt: ge-rechte und ungerechte. Alle fortschrittlichen Kriege sind gerecht; alleKriege, die den Fortschritt verhindern wollen, sind ungerecht. Wir Kommunisten sind gegen alle ungerechten Kriege, die den Fort-schritt verhindern wollen; aber wir sind nicht gegen die fortschrittli-chen, gerechten Kriege. Wir Kommunisten sind nicht nur für diegerechten Kriege, wir nehmen auch aktiv daran teil. Ein Beispiel für die ungerechten Kriege ist der Erste Weltkrieg, in dem beide Seitenfür imperialistische Interessen kämpften; darum waren die Kommu-nisten in der ganzen Welt entschieden gegen diesen Krieg. Einenderartigen Krieg bekämpfen, heißt, alles Mögliche zu tun, ihn vor seinem Ausbruch zu verhindern, und sollte er ausbrechen Krieg mitKrieg zu bekämpfen, ungerechten Krieg mit gerechtem Krieg zu

 bekämpfen, wann immer dies möglich ist. Japans Krieg ist ein un-

gerechter Krieg, der den Fortschritt verhindert, und alle Völker der Welt einschließlich des japanischen Volkes sollten ihn bekämpfen,und sie bekämpfen ihn. In unserem Land haben Volk und Regierung,die Kommunistische Partei und die Kuomintang in unserem nationa-len revolutionären Krieg das Banner des Rechtes gegen die Aggres-sion erhoben. Unser Krieg ist geheiligt und gerecht, er ist fortschritt-lich, und sein Ziel ist der Frieden nicht nur in einem Land, sondern in

der ganzen Welt, nicht nur für eine gewisse Zeitspanne, sondern für alle Zeiten. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir einen Kampf auf Tod und Leben ausfechten, zu jedem Opfer bereit sein, bis zumEnde ausharren und nicht kurz vor dem Ziel innehalten. Wie großdas Opfer auch sein mag und wieviel Zeit wir auch brauchen mögen,um unser Ziel zu erreichen, so liegt doch eine neue Welt des dauer-haften Friedens und der strahlenden Helle klar vor uns. Wir führen

diesen Krieg, weil wir an das neue China und die neue Welt des dau-erhaften Friedens und der Helligkeit glauben und für sie kämpfenwollen. Der Faschismus und der Imperialismus möchten den Kriegverewigen; wir jedoch möchten ihm in einer nicht zu fernen Zukunftein Ende setzen. Darum sollte die große Mehrheit der Menschheitalle Kräfte anspannen, dieses Ziel zu erreichen. Das vierhundertfünf-zig Millionen zählende chinesische Volk bildet ein Viertel der Welt-

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 bevölkerung. Wenn es mit vereinten Kräften den japanischen Impe-rialismus stürzt und ein neues China der Freiheit und Gleichheit be-

gründet, wird es damit ganz gewiß einen unerhört wichtigen Beitragzum Kampf um den dauerhaften Weltfrieden leisten. Das ist keineleere Hoffnung; die ganze Welt muß sich im Verlauf ihrer sozialenund wirtschaftlichen Entwicklung diesem Punkt nähern, und voraus-gesetzt, daß die Mehrzahl der Menschen zusammensteht, werden wir unser Ziel mit Sicherheit in einigen Jahrzehnten erreichen.

Die Rolle des bewußten Handelns im Krieg

59. Wir haben nun erläutert, warum unser Krieg ein lange dauernder Krieg ist und warum der Sieg China zufallen wird. In der Hauptsachehaben wir uns damit beschäftigt, was ein lange dauernder Krieg ei-gentlich ist. Jetzt wenden wir uns der Frage zu, was wir tun müssenund was wir unterlassen müssen. Wie soll man einen lange dauern-den Krieg führen? Wie kann man den Sieg erringen? Ich gedenke

diese Fragen nachstehend zu beantworten. Hierzu müssen wir nach-einander die folgenden Probleme erörtern: die Rolle des bewußtenHandelns im Krieg, Krieg und Politik, politische Mobilisierung für den Widerstandskrieg, der Zweck des Krieges, Angriff innerhalb der Verteidigung, rasche Entscheidungen innerhalb des verlängertenKrieges, Kampf auf den äußeren Kampflinien innerhalb des Kampfesauf den inneren Kampflinien, Initiative, Flexibilität, Planung, beweg-

liche Kampfführung, Guerillakrieg, Stellungskrieg, Vernichtungs-krieg, Zermürbungskrieg, Möglichkeiten, sich die Fehler des Feindeszunutze zu machen, die Frage des entschiedenen Einsatzes im Krieggegen Japan und die Rolle von Armee und Volk als Vorbedingungfür den Sieg. Beginnen wir mit dem Problem des bewußten Han-delns.60. Wenn wir sagen, daß wir gegen eine subjektive Einstellung zu

den Problemen sind, so meinen wir damit, daß wir Ideen, die sichnicht auf objektive Tatsachen stützen oder ihnen nicht entsprechen,ablehnen, weil derartige Ideen phantastisch und trügerisch sind undzu einem Fehlschlag führen müssen, wenn man nach ihnen handelt.Doch alles, was getan wird, muß von Menschen getan werden; der lange dauernde Krieg und der Sieg lassen sich nicht ohne menschli-ches Handeln realisieren. Damit ein solches Handeln wirksam wird,

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muß es Menschen geben, die Ideen, Grundsätze oder Gesichtspunktevon den objektiven Tatsachen ableiten und sie in Pläne, Richtlinien

oder politische, strategische und taktische Maßnahmen umsetzen.Ideen, Grundsätze und Gesichtspunkte sind subjektiv, während Tatenund Handlungen eine Übertragung des Subjektiven ins Objektivedarstellen; beide jedoch repräsentieren das dem Menschen eigentüm-liche bewußte Handeln. Wir bezeichnen diese Art des bewußtenHandelns als «selbstbewußtes Handeln» und sehen darin ein Merk-mal, das den Menschen von allen anderen Lebewesen unterscheidet.Alle Ideen, die auf objektiven Tatsachen beruhen und ihnen entspre-chen, sind richtig, und alle Taten und Handlungen, die aus richtigenIdeen entspringen, sind richtige Handlungen. Solchen Ideen undHandlungen einer solchen bewußten Tätigkeit müssen wir volle Ent-faltung gewähren. Wir führen den Krieg gegen Japan, um den Impe-rialismus aus dem Lande zu jagen und aus dem alten China ein neuesChina zu machen. Das aber läßt sich nur erreichen, wenn das ganzechinesische Volk aktiviert wird und man seiner bewußten Tätigkeit

im Widerstand gegen Japan volle Entfaltungsfreiheit gewährt. Wennwir hingegen tatenlos dasitzen und nicht eingreifen, können wir nichts als Unterjochung erwarten. Dann wird es weder einen verlän-gerten Krieg noch einen Sieg für uns geben.61. Bewußtes Handeln ist eine Fähigkeit des Menschen. Im Kriegentfaltet der Mensch diese Fähigkeit besonders. Gewiß entscheidenüber Sieg oder Niederlage im Krieg die militärischen, politischen,

wirtschaftlichen und geographischen Gegebenheiten auf beiden Sei-ten, die Art, wie jede Seite den Krieg führt, und die Frage, inwieweitsie auf internationale Unterstützung rechnen kann; aber diese Fakto-ren sind nicht allein maßgebend. Sie bieten an sich nur die Möglich-keit von Sieg oder Niederlage, entscheiden jedoch nicht darüber. Umeine Entscheidung herbeizuführen, bedarf es einer subjektiven An-strengung, nämlich der Leitung und Führung des Krieges, des be-

wußten Handelns des Menschen im Kriege.62. Die Führer eines Krieges können bei ihrem Streben nach demSieg die von den objektiven Bedingungen gesetzten Schranken nichtüberschreiten. Innerhalb dieser Schranken jedoch können und müs-sen sie in ihrer Bemühung um den Sieg bewußtes Handeln entfalten.Die Aktionsbühne für die Befehlshaber in einem Krieg muß auf denobjektiven Möglichkeiten erbaut werden, aber sie können auf dieser 

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Bühne die Aufführung manches Schauspiels voller Ton und Farbe,Macht und Größe inszenieren. Die Befehlshaber im Krieg gegen

Japan müssen die ihnen gegebenen materiellen und objektivenGrundlagen ausnutzen, ihre ganze Tüchtigkeit entfalten und alleKräfte zusammennehmen, um den Feind der Nation zu schlagen, diegegenwärtige Situation, in der unser Land und unser Volk Aggres-sionen und Unterdrückungsmaßnahmen ausgesetzt sind, zu verän-dern und ein neues China der Freiheit und Gleichheit zu schaffen. Indieser Richtung können und müssen unsere subjektiven Fähigkeitender Kriegführung geübt werden. Es geht nicht an, daß irgendeiner unserer Befehlshaber sich im Kriege über die objektiven Bedingun-gen hinwegsetzt und wie ein Heißsporn blindlings darauflosgeht,sondern wir verlangen ganz entschieden von jedem unserer Befehls-haber, daß er sich als ein zugleich kühner und kluger General erwei-se. Unsere Befehlshaber sollen nicht nur den Mut haben, den Feindzu überwältigen, sondern auch die Fähigkeit, in allen verändertenLagen und Wechselfällen während des ganzen Krieges Herren der 

Situation zu bleiben. Wenn sie im Ozean des Krieges schwimmen,dürfen sie nicht ziellos das Wasser aufrühren, sondern müssen mitsicheren, abgemessenen Zügen das andere Ufer erreichen. Strategieund Taktik, die Gesetze der Kriegführung, stellen die Schwimmkunstim Ozean des Krieges dar.

Krieg und Politik 

63. «Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik.» In diesem Sinne istder Krieg Politik und die Kriegführung eine politische Handlung.Seit den ältesten Zeiten hat es nie einen Krieg gegeben ohne politi-schen Charakter. Der Krieg gegen Japan ist ein von der ganzen Nati-on geführter revolutionärer Krieg, und der Sieg ist untrennbar ver-

  bunden mit dem politischen Ziel des Krieges — den japanischen

Imperialismus aus dem Lande zu jagen und ein neues China der Freiheit und Gleichheit aufzubauen -, untrennbar verbunden mit der allgemeinen Politik des Beharrens im Widerstandskrieg und in der Einheitsfront, mit der Mobilisierung des gesamten Volkes und mit

  politischen Prinzipien wie der Einheit von Kommandeuren undMannschaften, der Einheit von Volk und Armee und der Zersplitte-rung der Feindkräfte; untrennbar verbunden auch mit der wirksamen

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Anwendung der Einheitsfront-Politik, der Mobilisierung auf demkulturellen Gebiet, mit dem Bemühen, internationale Hilfe und die

Unterstützung der Menschen in Japan zu gewinnen. Kurzum, mankann den Krieg auch nicht einen Augenblick lang von der Politik absondern. Jede Tendenz bei den gegen Japan angetretenen Streit-kräften, die Politik vom Krieg zu isolieren und die Idee zu vertreten,der Krieg sei «absolut», ist falsch und muß berichtigt werden.64. Der Krieg hat jedoch seine eigenen Merkmale und kann in dieser Hinsicht nicht mit der allgemeinen Politik gleichgesetzt werden.«Krieg ist nur die Fortsetzung der Politik mit anderen ... Mitteln.»16

Wenn die Politik in ein gewisses Stadium getreten ist, über das hin-aus sie mit den üblichen Mitteln nicht gelangen kann, dann bricht einKrieg aus, um die Hindernisse aus dem Weg zu räumen. So bildetzum Beispiel der halbselbständige Status Chinas ein Hindernis für das politische Anwachsen des japanischen Imperialismus, und darumhat Japan einen Aggressionskrieg entfesselt, um dieses Hindernis zu

 beseitigen. Und wie steht es mit China? Lange Zeit hindurch bildete

die imperialistische Unterdrückung ein Hindernis für die bürgerlich-demokratische Revolution Chinas, und darum wurden, in demBestreben, sie beiseite zu räumen, viele Befreiungskriege geführt.Jetzt wendet Japan das Mittel des Krieges an, um China zu unter-drücken und den Fortschritt der chinesischen Revolution völlig zu

 blockieren, und darum ist China gezwungen, einen Widerstandskriegzu führen, der dieses Hindernis beseitigen soll. Ist das Hindernis aus

dem Wege geschafft, dann ist unser politisches Ziel erreicht und der Krieg zu Ende. Wird das Hindernis jedoch nicht völlig beseitigt, somuß der Krieg noch weitergeführt werden, bis das Ziel endgültigerreicht ist. Deshalb muß jeder, der einen Kompromiß schließen will,

 bevor die Aufgabe des Krieges gegen Japan erfüllt ist, unweigerlicheinen Fehlschlag erleiden; denn selbst wenn aus dem einen oder an-deren Grund ein Kompromiß zustande käme, würde der Krieg doch

von neuem ausbrechen, da die breite Masse des Volkes bestimmtnicht die Waffen niederlegen, sondern weiterkämpfen würde, bis das politische Ziel des Krieges erreicht ist. Daher kann man sagen, daßPolitik Krieg ohne Blutvergießen ist, Krieg Politik mit Blutvergie-ßen.65. Aus den Besonderheiten des Krieges erwachsen besondere Orga-nisationen, besondere Methoden und ein besonderer Prozeß. Die

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Organisationen sind die bewaffneten Kräfte und alles, was damitzusammenhängt. Die Methoden sind Strategie und Taktik, die beide

zur Kriegführung nötig sind. Der Prozeß ist die besondere Form desgesellschaftlichen Verhaltens, bei dem die beiden Streitkräfte sichgegenseitig angreifen oder sich gegeneinander verteidigen und jenestrategischen und taktischen Maßnahmen anwenden, die für sie sel-

 ber günstig, für den Feind aber ungünstig sind. Demnach ist Kriegs-erfahrung eine besondere Art der Erfahrung. Alle, die an einemKrieg teilnehmen, müssen ihre gewöhnliche Lebensweise ablegenund sich dem Krieg anpassen, damit der Sieg errungen werden kann.

Politische Mobilisierung für den Widerstandskrieg

66. Ein so großer nationaler revolutionärer Krieg wie der unserekann ohne eine universelle und durchgreifende politische Mobilisie-rung nicht gewonnen werden. Vor dem Krieg gegen Japan fand beiuns keinerlei politische Mobilisierung des Widerstandes gegen Japan

statt. Das war ein großer Fehler, dem zufolge China sofort einen Zugim Kriegsspiel an seinen Gegner verlor. Nach Ausbruch des Kriegeswar die politische Mobilisierung keineswegs sehr weitgehend, ge-schweige denn durchgreifend. Erst das Geschützfeuer des Feindesund die Bomben, die aus feindlichen Flugzeugen auf unser Landfielen, machten der großen Mehrheit des chinesischen Volkes dieTatsache bewußt, daß wir uns im Krieg befanden. Auch das war eine

Art von Mobilisierung allerdings eine, die der Feind besorgte undnicht wir selber. Aber selbst jetzt lebt das Volk in den ferneren Ge-genden, in die der Lärm der Geschütze nicht dringt, so ruhig dahinwie seit eh und je. Dieser Zustand muß sich ändern, sonst können wir unseren Kampf auf Tod oder Leben nicht gewinnen. Wir dürfen imKriegsspiel nie wieder einen Zug an den Gegner verlieren, sondernmüssen im Gegenteil den Zug der politischen Mobilisierung voll

ausnutzen, um unseren Feind auszustechen. Dieser Zug ist entschei-dend und von erstrangiger Bedeutung, während unsere Unterlegen-heit hinsichtlich der Rüstung und anderer Dinge erst in zweiter Liniekommt. Durch die Mobilisierung der Volksmassen im ganzen Landwird ein riesiger See entstehen, in dem unser Feind ertrinken muß.Sie wird uns in die Lage versetzen, unsere Unterlegenheit hinsicht-lich der Rüstung und anderer Dinge wettzumachen, und sie wird die

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Vorbereitungen schaffen, um jeder Schwierigkeit des Krieges Herr zu werden. Wenn wir den Sieg erringen wollen, müssen wir den

Widerstandskrieg, die Einheitsfront und das Prinzip des verlängertenKrieges aufrechterhalten. Doch alles das ist undurchführbar ohne dieMobilisierung der Volksmassen. Wer den Sieg herbeiwünscht, je-doch die politische Mobilisierung vernachlässigt, handelt wie einer,der «nach Norden will und dabei seinen Wagen nach Süden lenkt».Damit aber wird er sich unweigerlich den Sieg verscherzen.67. Was ist politische Mobilisierung? Zunächst ist damit gemeint,daß wir der Armee und dem Volk das politische Ziel des Kriegessagen müssen. Es ist nötig, daß jeder Soldat und jeder Zivilist be-greift, warum dieser Krieg geführt werden muß und inwieweit er ihnselber betrifft. Das politische Ziel unseres Krieges ist es, «den japa-nischen Imperialismus aus dem Lande zu jagen und ein neues Chinader Freiheit und Gleichheit aufzubauen». Dieses Ziel müssen wir 

  jedem Soldaten und jedem Zivilisten deutlich machen, bevor wir damit rechnen können, daß Hunderte Millionen von Menschen sich

wie ein Mann gegen Japan erheben und ihre Kräfte dem Krieg zur Verfügung stellen. Zweitens aber genügt es nicht, wenn wir demVolk lediglich unser Ziel nennen; wir müssen ihm auch die Schritteund Maßnahmen zeigen, durch die es erreicht werden kann; wir müs-sen ihm ein politisches Programm geben. Wir haben bereits dasZehn-Punkte-Programm für den Widerstand gegen Japan und dieRettung der Nation und auch das Programm des Bewaffneten Wider-

stands und des Nationalen Wiederaufbaus. Diese beiden Programmemüssen wir der Armee und dem Volk verständlich machen und jedeneinzelnen mobilisieren, sich nach ihren Forderungen zu richten. Oh-ne ein klares und konkretes politisches Programm ist es nicht mög-lich, alle bewaffneten Kräfte und die gesamten Volksmassen so zumobilisieren, daß sie den Kampf gegen Japan bis zum Ende durch-stehen. Die dritte Frage lautet: Wie sollen wir sie mobilisieren?

Durch mündliche Unterweisung, durch Flugblätter und Bulletins,durch Zeitungen, Bücher und Aufsätze, durch Theaterstücke undFilme, durch Schulen, durch Massenorganisationen und durch unsereKader. Was in dieser Hinsicht bisher in den Gebieten der Kuomin-tang geschehen ist, gleicht einem Tropfen im Ozean. Obendrein ist esnoch auf eine Weise geschehen, die dem Geschmack des Volkesnicht entspricht, und in einem Geiste, der ihm nicht gemäß ist. Hier 

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muß ein gründlicher Wandel eintreten. Viertens ist mit der bloßenAufklärungsarbeit noch nicht genug getan; die politische Mobilisie-

rung für den Widerstandskrieg muß stetig weitergeführt werden.Wenn wir dem Volk nur mechanisch unser politisches Programmvorbeten, so erreichen wir überhaupt nichts; denn kein Mensch wirdso einer Rezitation lauschen. Wir müssen vielmehr die politischeMobilisierung für den Krieg mit den Entwicklungen, die sich imKrieg vollziehen, sowie mit dem Leben der Soldaten und Zivilistenin Verbindung bringen und alles zu einer fortwährenden Bewegungmachen. Dies ist ein ungeheuer wichtiger Punkt, von dem unser Siegin erster Linie abhängt.

Der Zweck des Krieges

68. Unser Thema ist nicht das politische Ziel des Krieges. Das politi-sche Ziel unseres Widerstandskrieges gegen Japan ist bereits defi-niert als: «Wir wollen den japanischen Imperialismus aus dem Lande

  jagen und ein neues China der Freiheit und Gleichheit aufbauen.»Hier haben wir es mit dem elementaren Zweck des Krieges zu tun,mit dem Krieg als «menschlicher Politik mit Blutvergießen», mitdem gegenseitigen Hinmorden durch einander gegenüberstehendeArmeen. Und in diesem Sinne heißt der Zweck des Krieges: «Sichselbst erhalten und den Feind vernichten.» (Den Feind vernichten

  bedeutet, ihn entwaffnen oder «ihn seiner Widerstandskraft berau-

  ben»; es bedeutet nicht die physische Vernichtung jedes einzelnenMitglieds der feindlichen Streitkräfte.) In früheren Zeiten führte manKrieg mit Speer und Schild. Den Speer brauchte man zum Angriff und zur Vernichtung des Gegners, den Schild zur Verteidigung undzur Erhaltung des eigenen Lebens. Noch heute sind alle Waffen ge-wissermaßen eine Erweiterung von Speer und Schild. Die Bombe,das Maschinengewehr, die Artillerie und das Giftgas sind Erweite-

rungen des Speers, während der Luftschutzraum, der Stahlhelm,Festungsanlagen und die Gasmaske Erweiterungen des Schilds dar-stellen. Der Tank ist eine neue Waffe, die beide Funktionen, die vonSpeer und Schild, vereint. Der Angriff ist die wichtigste Maßnahmezur Vernichtung des Gegners; aber auch die Verteidigung darf nichtaußer acht gelassen werden. Der unmittelbare Zweck des Angriffs istdie Vernichtung des Feindes, gleichzeitig jedoch auch die Selbster-

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haltung; denn wenn der Feind nicht vernichtet ist, wird er uns ver-nichten. Der unmittelbare Zweck der Verteidigung ist die Selbster-

haltung, gleichzeitig jedoch ist die Verteidigung auch eine Ergän-zung des Angriffs oder eine Vorbereitung auf den Übergang zumAngriff. Der Rückzug fällt unter die Kategorie der Verteidigung undist eine Fortsetzung derselben, während die Verfolgung eine Fortset-zung des Angriffs ist. Es muß hier darauf hingewiesen werden, daßdie Vernichtung des Feindes der primäre Zweck des Krieges und dieSelbsterhaltung der sekundäre ist, denn nur durch die Vernichtungdes Feindes in größerem Maß können wir uns mit einiger Sicherheitselbst erhalten. Deshalb ist der Angriff die wichtigste Maßnahme zur Vernichtung des Feindes, die Hauptsache, während die Verteidigungeine ergänzende Maßnahme zur Vernichtung des Feindes und eineder Maßnahmen zur Selbsterhaltung eine Nebenrolle zu spielen hat.In unserem gegenwärtigen Krieg fällt einmal der Verteidigung unddann wieder dem Angriff die Hauptrolle zu; sieht man den Krieg

 jedoch als Ganzes, so bleibt der Angriff das Wichtigste.

69. Wie rechtfertigen wir die Ermutigung zum heroischen Opfer imKrieg? Widerspricht sie nicht der Selbsterhaltung? Nein, das tut sienicht. Opfer und Selbsterhaltung sind Gegensätze, die sich einander ergänzen. Krieg ist Politik mit Blutvergießen und fordert einen Preis,zuweilen einen außerordentlich hohen. Zugunsten einer allgemeinenund dauernden Selbsterhaltung bedarf es eines partiellen und vorü-

 bergehenden Opfers (einer Nicht-Selbsterhaltung). Eben darum sag-

ten wir, daß der Angriff, der grundsätzlich eine Maßnahme zur Ver-nichtung des Gegners ist, auch die Funktion der Selbsterhaltung hat.Und aus diesem Grund sollte die Verteidigung immer vom Angriff 

 begleitet sein und nicht nur reine und einfache Verteidigung sein.70. Der Zweck des Krieges, nämlich die Selbsterhaltung und dieVernichtung des Feindes, ist das Wesen des Krieges und die Grund-lage aller kriegerischen Tätigkeiten; es durchdringt alle kriegerische

Aktivität von der rein technischen bis zur strategischen. Dieser Zweck des Krieges ist das ihm zugrunde liegende Prinzip, und keintechnischer, taktischer oder strategischer Begriff oder Grundsatz istimstande, ohne ihn auszukommen. Was ist zum Beispiel mit demPrinzip gemeint, man solle beim Schießen «in Deckung gehen» undseine Feuerkraft ausnutzen? Jenes zielt auf die Selbsterhaltung, die-ses auf die Vernichtung des Feindes. Aus jenem resultiert eine Tech-

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nik wie das sprungweise Vorgehen in aufgelöster Formation unter Ausnutzung des Geländes, aus diesem Techniken wie Säuberung des

Schlachtfeldes und die Erstellung eines Feuerplanes. Was die Sturm-truppen, die bindenden Truppen und die Reservetruppen in einer taktischen Operation angeht, so sollen die ersten den Feind vernich-ten, die zweiten sich selber erhalten und die dritten je nach den Um-ständen für andere Zwecke zur Verfügung stehen — entweder für dieVernichtung des Feindes (in welchem Fall sie die Sturmtruppen ver-stärken oder als Verfolgungstruppen fungieren) oder zur Selbsterhal-tung (in welchem Fall sie die bindenden Truppen verstärken oder alsDeckung fungieren). Auch so erweist sich wieder, daß man bei allentechnischen, taktischen oder strategischen Grundsätzen und Opera-tionen den Zweck des Krieges stets aufmerksam beachten muß, unddaß dieser Zweck im gesamten Krieg vom ersten bis zum letzten Tagständig gegenwärtig ist.71. Bei der Führung des Krieges gegen Japan müssen sich die Be-fehlshaber auf allen Stufen stets des Gegensatzes zwischen den

grundlegenden Faktoren auf beiden Seiten und des Zwecks des Krie-ges bewußt sein. Im Verlauf der militärischen Operationen entfaltensich diese gegensätzlichen grundlegenden Faktoren durch die An-strengungen beider Parteien, sich selbst zu erhalten und den Gegner zu vernichten. Bei jeder großen oder kleinen Feindberührung strebenwir in unserem Krieg danach, einen Teil der Truppen des Gegners zuentwaffnen und einen Teil dessen, was er an Menschen und Material

einsetzt, zu vernichten. Diese Teilerfolge bei der Vernichtung desFeindes müssen wir zu größeren strategischen Siegen anwachsenlassen, um so das politische Endziel zu erreichen: den Feind aus demLand zu jagen, die Heimat zu schützen und ein neues China aufzu-

 bauen.

Angriff in der Verteidigung, rasche Entscheidungen innerhalb desverlängerten Krieges, äußere Kampflinien innerhalb der innerenKampflinien

72. Überprüfen wir jetzt die im Widerstandskrieg gegen Japan erfor-derliche Strategie. Wir sagten bereits, daß im Widerstand gegen Ja-

 pan eine Strategie des verlängerten Krieges vonnöten ist, und das ist

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unbedingt richtig. Doch das ist eine allgemeine, keine spezifischeStrategie. Wie soll nun speziell der verlängerte Krieg geführt wer-

den? Das ist die Frage, die wir jetzt untersuchen wollen. UnsereAntwort lautet: In den beiden ersten Stadien des Krieges, also in denStadien, in denen der Feind angreift und seine Eroberungen zu si-chern trachtet, sollten wir innerhalb der strategischen Defensive An-griffsschlachten und -gefechte durchführen, innerhalb der Strategiedes lange dauernden Krieges rasche Entscheidungen bei Einzelaktio-nen erzwingen und auf den äußeren Kampflinien Schlachten undGefechte innerhalb der inneren strategischen Kampflinien liefern. Imdritten Stadium sollten wir dann zur strategischen Gegenoffensiveschreiten.73. Da Japan eine starke imperialistische Macht ist und wir einschwaches, halbkoloniales und halbfeudales Land sind, hat unser Feind die Politik der strategischen Offensive ergriffen, während wir uns in der strategischen Defensive befinden. Japan bemüht sich, ei-nen Krieg der raschen Entscheidung zu führen, wir hingegen sollten

ganz bewußt die Strategie des verlängerten Krieges betreiben. Japanhat Dutzende von recht schlagkräftigen Armeedivisionen eingesetzt(zur Zeit dreißig), dazu einen Teil seiner Kriegsmarine, um Chinavom Land wie von der See her zu blockieren, während seine Flug-zeuge es aus der Luft bombardieren. Die japanische Armee hat be-reits eine lange Front gebildet, die sich von Paotow nach Hangchowerstreckt, und die japanischen Schiffe haben Fukien und Kwangtung

erreicht, so daß also die Operationen auf der äußeren Kampflinieerhebliche Ausmaße angenommen haben. Andererseits sind wir inder Lage, auf den inneren Kampflinien zu operieren. All dies ergibtsich aus der Tatsache, daß der Feind stark ist und wir schwach sind.Das ist der eine Aspekt der Situation.74. Es gibt jedoch noch einen anderen Aspekt, der dem eben geschil-derten genau entgegengesetzt ist. Japan ist zwar stark, hat aber nicht

genug Soldaten. China hingegen ist schwach, verfügt aber über einriesiges Territorium, eine dichte Bevölkerung und zahlreiche Solda-ten. Daraus ergeben sich zwei wichtige Folgen. Erstens kann der Feind, der seine geringen Streitkräfte gegen ein großes Land einsetzt,nur einige große Städte, die wesentlichen Verbindungslinien undeinen Teil des Flachlandes besetzen. Demnach kann er weite Ge-

 bietsteile, die er nominell besetzt hat, nicht mit Truppen belegen, so

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daß diese zu einem ausgezeichneten Operationsfeld für unseren Gue-rillakrieg werden. Sieht man China als Ganzes, so kann unser Feind

selbst wenn es ihm gelingen sollte, die Verbindungslinie zwischenKanton, Wuhan und Lanchow sowie die angrenzenden Zonen in dieHand zu bekommen sich doch schwerlich der dahinterliegenden Re-gionen bemächtigen. Dadurch erhält China ein großes Hinterland mitwichtigen Stützpunkten, von denen aus wir den verlängerten Krieg

 bis zum Sieg weiterführen können. Zweitens wird der Feind, indemer seine zahlenmäßig kleinen Kräfte unseren Truppen entgegenstellt,von unseren großen Streitkräften eingekreist. Der Feind greift unsauf mehreren Straßen an; strategisch operiert er auf den äußerenKampflinien während wir auf den inneren operieren; strategisch ister in der Offensive, während wir uns in der Defensive befinden. Alldas sieht wie ein Nachteil aus. Aber wir können uns unsere beidenVorteile das weite Territorium und die zahlenmäßig große Streit-macht zunutze machen, wenn wir, anstatt in einem sturen Stellungs-krieg zu verharren, einen flexiblen Bewegungskrieg führen, mehrere

Divisionen gegen eine feindliche Division einsetzen, mehrere zehn-tausend Mann gegen zehntausend feindliche Soldaten, mehrere Ko-lonnen gegen eine Kolonne des Feindes, oder wenn wir eine einzelneKolonne plötzlich von der äußeren Kampflinie des Kampffeldes her umzingeln und angreifen. Auf diese Weise wird der Feind, der dochstrategische Angriffsoperationen auf den äußeren Kampfliniendurchführt, gezwungen sein, in einzelnen Schlachten und Gefechten

auf den inneren Kampflinien Verteidigungskämpfe zu führen. Wir hingegen gehen so von der strategischen Defensivoperation auf deninneren Kampflinien in einzelnen Schlachten und Gefechten zu An-griffsoperationen auf den äußeren Kampflinien über. So sollte manmit jeder vorrückenden feindlichen Kolonne verfahren. Beide soebendargelegten Folgen erklären sich aus der Tatsache, daß der Feindüber eine zahlenmäßig kleine Streitmacht verfügt, wir aber über eine

große. Allerdings ist die Streitmacht des Feindes zwar zahlenmäßiggering, dafür aber hinsichtlich ihrer Ausrüstung und Ausbildungstark, während unsere Streitmacht zwar zahlenmäßig groß, aber imHinblick auf ihre Ausrüstung und Ausbildung (jedoch nicht hinsicht-lich ihrer Kampfmoral) schwach ist. Wir müssen daher in den ein-zelnen Schlachten und Gefechten nicht nur zahlenmäßig bedeutendeKräfte gegen kleinere einsetzen und von den äußeren gegen die inne-

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ren Kampflinien operieren, sondern wir müssen hier auch versuchen,rasche Entscheidungen herbeizuführen. Um eine rasche Entschei-

dung herbeizuführen, sollten wir im allgemeinen den Feind angrei-fen, wenn er sich bewegt, und nicht, wenn er stillsteht. Sobald wir wissen, daß der Feind eine bestimmte Route einschlagen wird, müs-sen wir, bevor er vorrückt, starke Truppenkontingente seitlich dieser Route aufstellen, um ihn dann plötzlich einzukreisen und anzugrei-fen, bevor er noch weiß, was eigentlich geschieht. So können wir diese Aktion rasch für uns entscheiden. Wenn wir gut kämpfen, kön-nen wir vielleicht die gesamte uns entgegenstehende Streitmachtoder ihren größten Teil oder doch immerhin einen Teil davon ver-nichten, und selbst wenn wir nicht so gut kämpfen, werden wir demFeind doch immer noch schwere Verluste zufügen. Das gilt für jedeseinzelne Gefecht und jede Schlacht, die wir liefern. Wenn wir jedenMonat einen oder gar mehrere so beträchtliche Siege erringen könn-ten wie die bei Phinghsingkuan oder Taierhchuang, so würde das denFeind demoralisieren, den Kampfesmut unserer eigenen Truppen

anstacheln und das Ausland ermutigen, uns zu unterstützen. So ver-wandelt sich unsere Strategie des verlängerten Krieges in einzelnenOperationen in die Strategie der raschen Entscheidungen. Und dieauf rasche Entscheidungen abzielende Strategie des Feindes muß zueiner Strategie des verlängerten Krieges werden, wenn wir ihn ersteinmal in vielen einzelnen Schlachten und Gefechten besiegt haben.75. Mit einem Wort: das eben erläuterte Operationsprinzip für 

Schlachten und Gefechte ist eine «auf rasche Entscheidungen drän-gende offensive Kriegführung auf den äußeren Kampflinien». Essteht zwar im Gegensatz zu unserem strategischen Prinzip der ver-längerten defensiven Kriegführung auf den inneren Kampflinien, istaber trotzdem ein für die Durchführung dieser Strategie unentbehrli-ches Prinzip. Wenn wir auch für die Schlachten und Gefechte dasPrinzip einer verlängerten defensiven Kriegführung auf den inneren

Kampflinien anwenden wollten, so wie wir es zu Beginn des Wider-standskrieges taten, würde sich erweisen, daß es für die Umstände,unter denen die Streitmacht des Feindes klein, die unsere aber großist und in denen der Feind stark ist, wir aber schwach, völlig unge-eignet ist. Wir würden auf diese Weise niemals unser strategischesZiel eines verlängerten Krieges erreichen, sondern vom Feind besiegtwerden. Deshalb haben wir immer empfohlen, die Streitkräfte des

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ganzen Landes in großen Frontarmeen zusammenzufassen und dieseden einzelnen Frontarmeen des Feindes gegenüberzustellen, wobei

 jedoch unsere Armeen zwei-, drei- oder viermal so groß sein müßtenwie die des Feindes. Auf diese Weise könnten wir den Feind inÜbereinstimmung mit dem oben dargelegten Prinzip auf ausgedehn-ten Kriegsschauplätzen binden. Dieses Prinzip der «auf rasche Ent-scheidungen drängenden offensiven Kriegführung auf den äußerenKampflinien» kann und muß im Guerillakrieg ebenso angewendetwerden wie im regulären Krieg. Es ist auch nicht nur auf irgendeinStadium des Krieges anwendbar, sondern auf seinen gesamten Ver-lauf. Haben wir erst einmal das Stadium der Gegenoffensive erreicht,in dem wir technisch besser ausgerüstet und nicht mehr in der Situa-tion des Schwachen sein werden, der gegen einen Starken kämpft,dann werden wir auch imstande sein, viele Gefangene zu machenund Kriegsmaterial in großem Umfang zu erbeuten. Das wird uns umso eher gelingen, wenn wir konsequent zahlenmäßig starke Truppen-verbände von den äußeren Kampflinien her zu Offensivkämpfen

einsetzen, in denen wir eine rasche Entscheidung zu erreichen su-chen. Wenn wir zum Beispiel zwei, drei oder vier Panzerdivisionengegen eine Panzerdivision des Feindes einsetzen, können wir ziem-lich sicher damit rechnen, die letztere zu vernichten; es entspricht der normalen Logik, daß mehrere kräftige Burschen einen einzelnenleicht überwinden können.76. Bei entschlossener Anwendung dieser «auf rasche Entscheidung

drängenden Kriegführung auf den äußeren Kampflinien» werden wir nicht nur das Kräfteverhältnis auf dem betreffenden Kriegsschau-

 platz verändern, sondern mit der Zeit auch die allgemeine Lage. Auf dem Schlachtfeld werden wir die Offensive übernehmen, währendder Feind in die Defensive gedrängt ist; wir werden den zahlenmäßiggeringeren Truppen des Feindes, die auf den inneren Kampflinienoperieren, zahlenmäßig überlegene Truppen auf den äußeren Kampf-

linien entgegenstellen, und wir werden rasche Entscheidungen er-zwingen, während der Feind, sosehr er sich in Erwartung von Ver-stärkungen auch bemühen mag, die Kampftätigkeit länger auszudeh-nen, doch nicht dazu imstande sein wird. Aus all diesen Gründenwird die Lage des Feindes sich wandeln; er wird nicht mehr stark sein, sondern schwach; er wird uns nicht mehr überlegen sein, son-dern unterlegen. Wenn wir dann viele solcher Einzelschlachten sieg-

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reich überstanden haben, wird sich das Kräfteverhältnis zwischenuns und dem Feind umkehren. Wir werden also durch eine Anhäu-

fung von Siegen auf vielen Schlachtfeldern von Siegen, die wir miteiner auf rasche Entscheidung drängenden offensiven Kriegführungvon den äußeren Kampflinien her errungen haben allmählich unsselbst stärken und den Feind schwächen. Diese Entwicklung mußnotwendigerweise auch das allgemeine Kräfteverhältnis beeinflussenund verändern. Wenn dies eintritt, werden solche Veränderungengemeinsam mit anderen auf unserer Seite auftretenden Faktoren undmit den Veränderungen innerhalb des feindlichen Lagers und einer für uns günstigen internationalen Lage die allgemeine Situation zwi-schen dem Feind und uns umkehren. Zuerst wird sich eine Kräfte-gleichheit einstellen, dann werden wir unserem Gegner überlegensein. Damit aber ist der Zeitpunkt für uns gekommen, die Gegenof-fensive zu starten und den Feind aus dem Lande zu jagen.77. Krieg ist ein Messen der Kräfte; aber im Verlauf des Kriegesverändert sich das ursprüngliche Verhältnis der Kräfte. Die entschei-

dende Rolle spielt hierbei die subjektive Bemühung — das Strebendanach, immer mehr Siege zu erringen und immer weniger Irrtümer zu begehen. Die objektiven Faktoren bieten die Möglichkeiten für einen solchen Wandel; um jedoch diese Möglichkeiten zu Tatsachenwerden zu lassen, bedarf es sowohl einer richtigen Politik wie sub-

 jektiver Bemühungen, und zwar fällt die Hauptrolle hierbei den sub- jektiven Bemühungen zu.

Initiative, Flexibilität und Planung

78. Bei den auf eine rasche Entscheidung abzielenden Schlachtenund Gefechten einer Offensive auf den äußeren Kampflinien liegt,wie wir eben erklärten, das Hauptgewicht auf der Offensive. DieBezeichnung «äußere Kampflinien» bezieht sich auf den Raum der 

Offensive, der Begriff «rasche Entscheidung» auf ihre Dauer. Daher der Ausdruck «auf rasche Entscheidung drängende offensive Krieg-führung auf den äußeren Kampflinien». Er stellt das beste Prinzip für die Führung eines lange dauernden Krieges dar; doch gleichzeitig ister auch der Leitsatz für die sogenannte bewegliche Kriegführung. Er kann jedoch nicht ohne Initiative, Flexibilität und Planung in die Tatumgesetzt werden. Wir wollen diese drei Begriffe jetzt näher unter-

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suchen.79. Über bewußtes Handeln sprachen wir bereits — warum müssen

wir dann die Frage der Initiative noch einmal aufgreifen? Mit demAusdruck «bewußtes Handeln» meinen wir die einzig dem Menschengegebene Fähigkeit, bewußt tätig zu werden und sich bewußt umetwas zu bemühen. Diese menschliche Eigenschaft, die sich im Krieg

  besonders deutlich offenbart, haben wir bereits erörtert. Mit demWort «Initiative» meinen wir hier die Handlungsfreiheit einer Armeeim Gegensatz zu einem erzwungenen Verlust dieser Freiheit. Hand-lungsfreiheit ist das eigentliche Lebenselement einer Armee; ist sieverloren, so besteht ernste Gefahr, daß die Armee geschlagen oder vernichtet wird. Ein Soldat wird entwaffnet, wenn er seine Hand-lungsfreiheit eingebüßt hat und in eine passive Lage gedrängt wor-den ist. Das gleiche gilt für die Niederlage einer Armee. Aus diesemGrund streben im Krieg beide Parteien mit aller Kraft danach, dieInitiative zu ergreifen und jede Passivität zu vermeiden. Die auf ra-sche Entscheidung drängende offensive Kriegführung auf den äuße-

ren Kampflinien nun, wie wir sie befürworten, und die für ihreDurchführung nötige Flexibilität und Planung sind die besten Mittel,um die Initiative zu erlangen, den Feind in eine passive Lage zudrängen und so das Ziel des Krieges Selbsterhaltung und Vernich-tung des Gegners — zu erreichen. Initiative und Passivität hängen

  jedoch untrennbar mit der Überlegenheit oder Unterlegenheit der kriegführenden Parteien zusammen. Dementsprechend hängen diese

Begriffe auch direkt mit der Frage zusammen, ob die subjektive Füh-rung eines Krieges richtig oder falsch ist. Dazu kommt noch dasProblem, wie man die falschen Voraussetzungen oder die ungenü-gende Vorbereitung des Feindes ausnutzt, um in Besitz der Initiativezu kommen und den Gegner zur Passivität zu verurteilen. DiesePunkte werden wir nunmehr analysieren.80. Initiative ist untrennbar verbunden mit Überlegenheit in der 

Kriegführung, während Passivität mit Unterlegenheit in der Krieg-führung untrennbar verbunden ist. Solche Überlegenheit oder Unter-legenheit ist die objektive Grundlage für Initiative oder Passivität.Selbstverständlich läßt sich die strategische Initiative am bestendurch eine strategische Offensive aufrechterhalten und entwickeln;doch kann man die Initiative zu jeder Zeit und an jedem Ort also dieabsolute Initiative nur dort erhalten, wo absolute Überlegenheit einer 

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absoluten Unterlegenheit gegenübersteht. Trägt ein starker, gesunder Mann einen Ringkampf mit einem Krüppel aus, so hat er dabei die

absolute Initiative. Wenn Japan nicht durch unlösbare Widersprüchegehemmt wäre, wenn es zum Beispiel eine riesige Streitmacht vonmehreren oder gar zehn Millionen Mann auf einmal in den Kampf werfen könnte, wenn es über eine Mehrfaches seiner finanziellenReserven verfügte, wenn ihm im eigenen Lande oder von anderenLändern her keine Opposition erwüchse und wenn es nicht eine so

  barbarische Politik betriebe, die den verzweifelten Widerstand desganzen chinesischen Volkes wachrufen muß, dann wäre es gewiß inder Lage, die absolute Überlegenheit zu behalten und jederzeit undan jedem Ort die absolute Initiative zu haben. In der Geschichte isteine solche absolute Überlegenheit nur selten in den ersten Phaseneines Krieges oder eines Feldzugs anzutreffen, wohl aber gegen ihr Ende hin. So hatten zum Beispiel die Alliierten im Ersten Weltkriegdirekt vor der Kapitulation Deutschlands die absolute Überlegenheiterlangt, aus der sich zwangsläufig die Niederlage Deutschlands und

der Sieg der Alliierten ergaben. Dies ist ein Fall von absoluter Über-legenheit und absoluter Unterlegenheit gegen Ende eines Krieges.Kurz vor dem Sieg der Chinesen bei Taierhchuang andererseits wa-ren die isolierten japanischen Streitkräfte nach erbitterten Kämpfenin eine absolut unterlegene Position geraten, während unsere Kräftezu absoluter Überlegenheit gelangten, so daß der Feind geschlagenwurde und wir als Sieger dastanden. Dies ist ein Fall von absoluter 

Überlegenheit und absoluter Unterlegenheit gegen Ende einer Schlacht. Ein Krieg oder ein Feldzug kann jedoch auch mit einer nur relativen Überlegenheit der einen Partei oder mit Kräftegleichheit

  beider Parteien enden. In diesem Fall kommt es dann im Krieg zuKompromissen und bei einer Schlacht zur Waffenruhe. Im allgemei-nen aber entscheiden absolute Überlegenheit und Unterlegenheitüber Sieg und Niederlage. All das gilt für das Ende eines Krieges

oder eines Feldzuges, nicht für den Beginn. Das Ende des chinesisch-  japanischen Krieges läßt sich jetzt schon klar voraussagen: Japanwird absolut unterlegen sein und darum geschlagen werden; Chinawird absolut überlegen sein und darum den Sieg erringen. Zur Zeit

 jedoch gibt es auf keiner Seite eine absolute Überlegenheit oder Un-terlegenheit, sondern nur eine relative. Infolge seiner militärischen,wirtschaftlichen und politisch-organisatorischen Macht erfreut sich

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Japan einer gewissen Überlegenheit über unsere militärische, wirt-schaftliche und politisch-organisatorische Schwäche und kann darum

die Initiative ausüben. Da jedoch Japans militärische und anderweiti-ge Macht in quantitativer Hinsicht nicht groß ist und noch verschie-dene andere Nachteile hinzukommen, ist seine Überlegenheit durchdiese inneren Widersprüche begrenzt. Auf chinesischem Gebiet istJapans Überlegenheit noch weiter beeinträchtigt worden, weil es hier unserem weiten Territorium, den riesigen Volksmassen, großen Ar-meen und dem entschlossenen Abwehrwillen einer ganzen Nationgegenübersteht. Deshalb nimmt Japan nur eine relativ überlegeneStellung ein, und auch seine Möglichkeiten, die Initiative auszuübenund zu behalten, sind durch diese Fakten beschränkt und ebenfallsrelativ. Was China betrifft, so sieht es sich zwar strategisch in eineeinigermaßen passive Lage gedrängt, ist seinem Feind jedoch nichtallein an Größe des Territoriums sowie an Bevölkerungs- und Trup-

 penzahl überlegen, sondern auch im Hinblick auf die Moral seinesVolkes und seiner Armee und durch seinen patriotischen Haß auf den

Gegner. Zusammen mit anderen Vorteilen mindert diese Überlegen-heit das Ausmaß der Unterlegenheit Chinas auf militärischem, wirt-schaftlichem und anderen Gebieten und verwandelt sie zu einer rela-tiven strategischen Unterlegenheit. Auch Chinas Passivität wird da-durch verringert, so daß es sich jetzt in der strategischen Lage einer nur relativen Passivität befindet. Jede Passivität jedoch ist ein Nach-teil, und man muß sich nach Kräften bemühen, ihn zu überwinden.

Auf militärischem Gebiet geschieht dies am besten, indem man ent-schlossen einen auf rasche Entscheidungen drängenden Offensiv-krieg auf den äußeren Kampflinien führt, im Hinterland des Feindeseinen Guerillakrieg entfesselt und sich so in vielen Schlachten undGefechten des Bewegungs- und Guerillakrieges eine überwältigendelokale Überlegenheit und die Initiative sichert. Durch solche lokaleÜberlegenheit und lokale Initiative in vielen Gefechten können wir 

allmählich unsere strategische Überlegenheit und unsere strategischeInitiative aufbauen und uns so aus unserer strategischen Unterlegen-heit und Passivität herauswinden. Dies ist die Wechselbeziehungzwischen Initiative und Passivität, zwischen Überlegenheit und Un-terlegenheit.81. Nunmehr können wir auch die Beziehung zwischen Initiativeoder Passivität und der subjektiven Kriegführung verstehen. Wie wir 

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  bereits darlegten, können wir aus unserer relativen strategischenUnterlegenheit und Passivität herauskommen, wenn wir an vielen

einzelnen Stellen zu einer lokalen Überlegenheit und Initiative ge-langen, den Feind so seiner lokalen Überlegenheit und Initiative be-rauben und ihn zur Unterlegenheit und Passivität verdammen. Ausder Ansammlung vieler derartiger lokaler Erfolge ergibt sich für unsstrategische Überlegenheit und Initiative und für den Feind strategi-sche Unterlegenheit und Passivität. Ob diese Umkehrung der Lagezustande kommt, hängt von der subjektiv richtigen Kriegführungunsererseits ab. Warum? Weil nicht wir allein nach Überlegenheitund Initiative streben, sondern auch der Feind. Von diesem Ge-sichtspunkt aus gesehen ist der Krieg ein Wettstreit an subjektiver Geschicklichkeit zwischen den Befehlshabern der einander bekämp-fenden Armeen in ihrem Bemühen, auf der Grundlage der materiel-len Bedingungen der vorhandenen Streitkräfte und der finanziellenMittel Überlegenheit und Initiative zu erlangen. Aus diesem Wett-streit gehen jeweils ein Sieger und ein Besiegter hervor. Sehen wir 

einmal von dem Kräfteverhältnis zwischen den objektiven materiel-len Bedingungen ab, so wird der Sieger seinen Erfolg notwendiger-weise der richtigen subjektiven Führung des Krieges und der Besieg-te seine Niederlage der falschen Kriegführung zuzuschreiben haben.Wir räumen ein, daß das Phänomen des Krieges schwerer zu erfassenund durch größere Unsicherheitsfaktoren gekennzeichnet ist als jedesandere soziale Phänomen mit anderen Worten, daß es mehr als die

anderen eine Frage der «Wahrscheinlichkeit» ist. Doch andererseitsist der Krieg durchaus nichts Übernatürliches, sondern ein in dieser Welt vor sich gehender und den Gesetzen der Notwendigkeit unter-worfener Prozeß. Darum ist und bleibt der Grundsatz Sun Wu Tzus:«Erkenne deinen Feind und erkenne dich selbst, dann kannst du hun-dert Schlachten schlagen und gerätst doch nicht in die Gefahr, be-siegt zu werden» eine wissenschaftliche Wahrheit.17 Fehler entste-

hen, wenn man den Feind und sich selbst nicht richtig kennt. Im üb-rigen macht die besondere Natur des Krieges es in vielen Fällen un-möglich, beide Seiten tatsächlich einwandfrei zu erkennen. Aus die-ser Tatsache ergeben sich Unsicherheiten über militärische Bedin-gungen und Operationen, und hieraus wiederum erwachsen Fehler und Niederlagen. Doch wie die allgemeine Kriegslage und dieWechselfälle des Krieges auch aussehen mögen, ihre wesentlichen

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Gesichtspunkte und Merkmale lassen sich doch erkennen. Ein Be-fehlshaber kann die Irrtümer auf ein Minimum beschränken und

durchweg richtige Befehle erteilen, wenn er zuerst alle Erkundungs-möglichkeiten ausnutzt und dann seine Intelligenz anwendet, um dienötigen Schlüsse zu ziehen und die Lage zu beurteilen. Mit der Waf-fe der «allgemein richtigen Kriegführung» können wir immer mehr Schlachten gewinnen und so aus unserer Unterlegenheit Überlegen-heit machen und aus unserer Passivität Initiative. So hängen Initiati-ve oder Passivität mit der falschen oder richtigen subjektiven Krieg-führung zusammen.82. Die These, daß eine falsche subjektive Kriegführung Überlegen-heit und Initiative in Unterlegenheit und Passivität verwandeln kannund daß eine richtige subjektive Kriegführung den entgegengesetztenWandel bewirken kann, wird um so überzeugender, wenn wir einenBlick auf die Liste der Niederlagen werfen, die große und mächtigeArmeen erlitten haben, und auf die Liste der Siege, die kleine undschwache Armeen errungen haben. Sowohl in der chinesischen wie

in der Geschichte anderer Völker gibt es zahlreiche Beispiele hierfür.Beispiele in China sind die Schlacht von Chengpu zwischen denStaaten Tsin und Chu 18, die Schlacht von Chengkao zwischen denStaaten Chu und Han 19, die Schlacht, in der Han Hsin die Heere vonChao besiegte 20, die Schlacht von Kunyang zwischen den StaatenHsin und Han 21, die Schlacht von Kuantu zwischen Yuan Shao undTsao Tsao «, die Schlacht von Chihpi zwischen den Staaten Wu und

Wei 23, die Schlacht von Yiling zwischen den Staaten Wu und Shu 24,die Schlacht von Feishui zwischen den Staaten Chin und Tsin 25 usw.Zu den Beispielen in der Geschichte anderer Völker zählen die mei-sten Feldzüge Napoleons und der Bürgerkrieg in Rußland nach der Oktoberrevolution. In all diesen Fällen errangen kleine Heere Siegeüber große Heere, Unterlegene besiegten Überlegene. Jedesmal fügtedie kleinere Streitmacht dem Feind zuerst eine schwere Niederlage

  bei, indem sie ihre lokale Überlegenheit und Initiative gegen dielokale Unterlegenheit und Passivität des Gegners ins Treffen führte.Dann wandte sie sich gegen seine übrigen Truppen, schlug sie einenach der anderen und kehrte damit die generelle Lage um, indem sieÜberlegenheit und Initiative an sich riß. Dem Feind, der zuvor über-legen und in der Initiative gewesen war, widerfuhr das Gegenteil:infolge der subjektiven Fehler, die er beging, und innerer Widersprü-

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che büßte er manchmal eine ausgezeichnete oder doch recht gutePosition ein und wurde zu einem General ohne Armee oder zu einem

König ohne Königreich. Daraus kann man entnehmen, daß Überle-genheit oder Unterlegenheit in der Kriegführung zwar die objektiveGrundlage darstellt, aus der sich Initiative und Passivität ergeben,daß diese Tatsachen jedoch nicht in sich selbst gleichbedeutend sindmit Initiative oder Passivität; nur durch ein Miteinander-Ringen,durch einen Wettkampf der Geschicklichkeit kann wirkliche Initiati-ve oder Passivität entstehen. Bei diesem Wettkampf kann richtigesubjektive Kriegführung Unterlegenheit in Überlegenheit und Passi-vität in Initiative verwandeln; falsche subjektive Kriegführung aber 

 bewirkt das Gegenteil. Die Tatsache, daß die herrschenden Dynastienstets von den revolutionären Armeen besiegt wurden, zeigt, daß blo-ße Überlegenheit in mancher Hinsicht keine Garantie für Initiative,geschweige denn für den schließlichen Sieg bedeutet. Der Unterle-gene kann die Initiative an sich reißen und dem überlegenen Gegner den Sieg entwinden, indem er gewisse Bedingungen durch aktive,

subjektive und den gegebenen Umständen angepaßte Bemühungenzu seinen Gunsten ausnutzt.83. Wer die Lage falsch einschätzt und sich überrumpeln läßt, kannseine Überlegenheit und Initiative einbüßen. Daher gilt es als einesder wirksamsten Hilfsmittel zur Erlangung der Initiative und Überle-genheit, wenn man den Feind bewußt zu einer falschen Einschätzungder Lage verleitet und dann plötzlich Überraschungsangriffe gegen

ihn führt. Was ist eine falsche Einschätzung? Wenn man zum Bei-spiel «jeden Busch und jeden Baum auf dem Pakungberg für einenfeindlichen Soldaten ansieht»26. Und man verleitet den Feind zu ei-ner falschen Einschätzung, wenn man «im Osten einen Scheinangriff führt, während man im Westen angreift». Dort, wo wir genügendUnterstützung seitens der Bevölkerung haben, so daß keine Nach-richten durchsickern können, ist es oft möglich, den Feind durch

verschiedene Kriegslisten in einen wahren Sumpf von Fehlentschei-dungen und falschen Handlungen zu treiben, so daß er seihe Überle-genheit und Initiative einbüßt. Genau das ist damit gemeint, wennman sagt: «Im Krieg kann es nie genug Irreführung geben.» Was

  bedeutet «überrumpelt werden»? Es bedeutet «unvorbereitet sein».Ohne Vorbereitung ist Überlegenheit keine wirkliche Überlegenheitund kann daher auch nicht mit Initiative verbunden sein. Eine

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schwächere Streitmacht, die gut vorbereitet ist und ihren Vorteilkennt, kann oft einen überlegenen Feind durch einen Überraschungs-

angriff besiegen. So ist es zum Beispiel leicht, einen Angriff auf einesich bewegende Truppe des Feindes zu unternehmen, eben weil der Feind dann nicht auf der Hut, also unvorbereitet ist. Diese zweiMaßnahmen die Verleitung des Feindes zu falscher Einschätzung der Lage und plötzliche Überraschungsangriffe lassen den Feind dieganze Unsicherheit des Krieges fühlen, während man selber diegrößtmögliche Sicherheit gewinnt und auf diese Weise zu Überle-genheit, Initiative und einem Sieg gelangt. Vorbedingung für all dasist eine ausgezeichnete Organisation der Volksmassen. Darum ist esungeheuer wichtig, alle Menschen, die dem Feind Widerstand lei-sten, so zu aktivieren, daß sie sich bis zum letzten Mann bewaffnen,häufige Überfälle auf den Feind unternehmen, das Durchsickern von

  Nachrichten verhindern und so eine Art Schutzwand für unsereTruppen bilden. Auf diese Weise tappt der Feind im dunkeln undweiß nie, wo und wann unsere Truppen angreifen werden; damit ist

die Voraussetzung zu Fehlentscheidungen und einem Mangel anVorbereitung gegeben. Es ist weitgehend den organisierten bewaff-neten Volksmassen zu verdanken, daß die schwachen und zahlenmä-ßig geringen Streitkräfte der chinesischen Roten Armee in der Lagewaren, zur Zeit des revolutionären Agrarkrieges viele Schlachten zugewinnen. Ein nationaler Krieg muß logischerweise mit der Unter-stützung breiterer Massen rechnen können als ein revolutionärer 

Agrarkrieg. Trotzdem ist heute infolge mancher Fehler der Vergan-genheit 27 unser Volk nicht richtig organisiert und kann deshalb nichtunmittelbar zum Dienst an unserer Sache herangezogen werden; ja,einige lassen sich sogar vom Feind gebrauchen. Wenn wir uns je-doch eine unerschöpfliche Reserve heranbilden wollen, um allenErfordernissen des Krieges gewachsen zu sein, so bleibt uns nichtsübrig, als die Volksmassen auf breitester Basis zur Mitarbeit zu ge-

winnen. Abgesehen davon wird das Volk uns auch bei der Durchfüh-rung unserer taktischen Maßnahmen entscheidend unterstützen müs-sen wenn wir nämlich den Feind täuschen und ihn überrumpeln wol-len, um ihn so zu besiegen. Wir sind keine Menschen wie der HerzogHsiang von Sung und haben für seine törichten Ehrbegriffe nichtsübrig.28 Um den Sieg zu erringen, müssen wir den Feind so blind undtaub wie möglich machen, indem wir ihm Augen und Ohren versie-

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geln und seine Befehlshaber durch unsere Kriegslisten völlig verwir-ren und zur Verzweiflung treiben. Die eben erwähnten Tatsachen

 betreffen die Art, in der Initiative oder Passivität mit der subjektivenKriegführung verbunden sind. Eine solche subjektive Kriegführungaber ist unerläßlich, wenn wir Japan schlagen wollen.84. Im großen und ganzen hat Japan im Stadium seiner Offensive dieInitiative ausgeübt, weil es sich auf seine militärische Macht stützenund die Fehler, die wir begangen haben und noch begehen, ausnützenkonnte. Allmählich jedoch beginnt seine Initiative etwas abzuflauen;die Nachteile Japans machen sich bemerkbar, desgleichen die Fehler,die auch unser Gegner im Laufe des Krieges begangen hat (und diewir weiter unten näher betrachten wollen), sowie die Vorteile, über die wir verfügen. Die Niederlage der Japaner bei Taierhchuang undihre mißliche Situation in Shansi liefern einen deutlichen Beweishierfür. Dadurch, daß wir im Hinterland des Feindes einen so ausge-dehnten Guerillakrieg entfesselt haben, sind die Truppen, die er inden besetzten Gebieten stationiert hat, in eine völlig passive Lage

gedrängt worden. Obgleich er strategisch gesehen noch immer in der Offensive ist und noch immer die Initiative ausübt, ist doch abzuse-hen, daß mit seiner strategischen Offensive auch seine Initiative einEnde finden wird. Der erste Grund, warum unser Feind nicht imstan-de sein wird, die Initiative zu behalten, liegt in der Tatsache, daßseine Truppenknappheit es ihm unmöglich macht, die Offensive auf unbegrenzte Zeit weiterzuführen. Die örtlichen Einzelangriffe, die

wir gegen den Feind führen, und die Guerillatätigkeit, die wir hinter seinen Linien entfalten, bilden zusammen mit gewissen anderen Fak-toren den zweiten Grund, warum er seine Offensive nur bis zu einer 

  bestimmten Grenze vorantreiben und die Initiative nicht behaltenkann. Die Existenz der Sowjetunion und die Veränderung der inter-nationalen Lage stellen den dritten Grund dar. Aus alledem gehthervor, daß die Initiative unseres Feindes begrenzt ist und zerschla-

gen werden kann. Wenn es China gelingt, seine regulären Truppenimmer wieder in Schlachten und Gefechten offensiv werden zu las-sen, wenn es seine Guerillatätigkeit im Hinterland des Feindes kräf-tig entwickelt und seine Volksmassen in breitem Umfang politischaktiviert, so kann es sich nach und nach eine Position der strategi-schen Initiative aufbauen.85. Nehmen wir nunmehr den Begriff der Flexibilität. Was ist Flexi-

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 bilität? Es ist die konkrete Verwirklichung der Initiative in militäri-schen Operationen; es ist der flexible Einsatz der Streitkräfte. Der 

flexible Einsatz der Streitkräfte ist die wichtigste Aufgabe der Krieg-führung und zwar eine Aufgabe, die zu erfüllen außerordentlichschwierig ist. Die Kriegskunst nämlich besteht nicht nur in der Akti-vierung und Ausbildung der Truppen und Volksmassen, sondernauch im Kampfeinsatz der Truppen. All das ist erforderlich, um denSieg zu erringen. Es ist gewiß schwierig, eine Armee auf die Beinezu stellen, noch schwieriger aber ist es, sie richtig einzusetzen, vor allem wenn man als Schwacher gegen einen Starken kämpfen muß.Der Heerführer bedarf hierzu höchster persönlicher Fähigkeiten undmuß imstande sein, die für den Krieg so typische Verwirrung, Un-klarheit und Unsicherheit zu überwinden und Ordnung, Klarheit undSicherheit zu schaffen. Nur so kann das Gebot der beweglichenKriegführung verwirklicht werden.86. Das Grundprinzip der militärischen Operationen in unseremWiderstandskrieg gegen Japan ist die auf rasche Entscheidungen

drängende offensive Kriegführung auf den äußeren Kampflinien. Umdieses Prinzip in die Tat umzusetzen, gibt es verschiedene Taktikenoder Methoden: Man kann die Truppen auflockern oder massieren,man kann in auseinanderstrebenden Richtungen vorrücken oder inkonzentrischen Linien angreifen, man kann Offensiv- oder auch De-fensivkämpfe führen, man kann die feindlichen Stellungen stürmenoder auch die Truppen des Feindes binden, man kann den Gegner 

einkreisen oder umgehen, man kann vorrücken oder sich zurückzie-hen. Es ist leicht, diese Taktiken zu verstehen, aber es ist durchausnicht leicht, sie anzuwenden und entsprechend zu variieren. Die dreientscheidenden Faktoren hierbei sind Zeit, Ort und Truppenart. KeinSieg kann errungen werden, wenn man Zeit, Ort und Truppenartnicht richtig wählt. Wenn wir zum Beispiel beim Angriff auf einesich bewegende feindliche Streitmacht zu früh losschlagen, exponie-

ren wir uns und geben dem Feind eine Chance sich vorzubereiten;schlagen wir hingegen zu spät los, so hat der Feind möglicherweiseschon Stellung bezogen und seine Truppen konzentriert, so daß er uns eine harte Nuß zu knacken gibt. Dies betrifft die Frage der Zeit.Wählen wir einen Angriffspunkt auf der linken Flanke des Feindesund es stellt sich heraus, daß hier seine schwache Stelle ist, so wirdder Sieg uns leichtfallen, wählen wir hingegen einen Angriffspunkt

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auf der rechten Flanke und stoßen hier unerwartet auf Schwierigkei-ten, so werden wir nichts erreichen. Dies betrifft die Frage des Ortes.

Setzt man eine bestimmte Truppeneinheit zur Lösung einer bestimm-ten Aufgabe ein, so ist der Sieg möglicherweise leicht zu erringen,während eine andere Truppeneinheit bei der Lösung derselben Auf-gabe kaum einen nennenswerten Erfolg erzielen würde. Dies betrifftdie Frage der Truppen. Wir müssen nicht nur wissen, wie wir unseretaktischen Maßnahmen anwenden, sondern auch, wie wir sie variie-ren können. Bei einer beweglichen Truppenführung kommt es darauf an, von der Offensive zur Defensive und von der Defensive zur Of-fensive hinüberwechseln zu können, vom Vormarsch in den Rückzugund vom Rückzug in den Vormarsch, vom Binden der feindlichenTruppen zum Sturmangriff und vom Sturmangriff zum Binden der feindlichen Truppen, vom Einkreisen zum Umgehen und vom Um-gehen zum Einkreisen. Und vor allem kommt es darauf an, daß dieseÄnderungen richtig und rechtzeitig entsprechend dem Gelände undder Truppenkondition auf beiden Seiten durchgeführt werden. Dies

gilt für die Truppenführung in Schlachten und Feldzügen sowie auf der strategischen Ebene.87. Die Alten sagten: «Geschicklichkeit einer abwechslungsreichenTaktik hängt vom Mutterwitz ab.» Diese «Geschicklichkeit», die wir als Flexibilität bezeichnet haben, ist der Beitrag des intelligentenBefehlshabers. Flexibilität ist nicht dasselbe wie Unbekümmertheit,die wir unbedingt ablehnen müssen. Sie besteht in der Fähigkeit ei-

nes intelligenten Befehlshabers, auf Grund objektiver Bedingungenund nachdem er die Zeitumstände und die Situation eingeschätzt hat(wobei der Begriff «Situation» die Situation des Feindes, unsereeigene und die des Geländes einschließt), rechtzeitig geeignete Maß-nahmen zu treffen. Diese Flexibilität ist die «Geschicklichkeit einer abwechslungsreichen Taktik». Mit Hilfe einer solchen Geschicklich-keit können wir durch die auf rasche Entscheidungen drängende

offensive Kriegführung auf den äußeren Kampflinien immer neueSiege erringen, das Kräfteverhältnis zu unseren Gunsten beeinflus-sen, dem Feind die Initiative entreißen, ihn überwältigen und schla-gen, so daß der Sieg schließlich uns zufallen muß.88. Betrachten wir jetzt die Frage der Planung. Unsicherheit ist nuneinmal ein Kennzeichen des Krieges, und darum ist es hier vielschwieriger als bei allen anderen Tätigkeiten, einen Plan zu verfol-

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gen. Da jedoch «die Dinge gelingen, wenn man vorbereitet ist, undfehlschlagen, wenn man unvorbereitet ist», kann es auch im Krieg

ohne vorherige Planung und entsprechende Vorbereitungen keinenSieg geben. Zwar kennt man im Krieg keine absolute Gewißheit, unddoch geschieht nichts ohne einen gewissen Grad an relativer Gewiß-heit. Hinsichtlich unserer eigenen Lage sind wir uns einigermaßensicher. Was die Lage des Feindes betrifft, so ist unsere Sicherheitsehr gering; aber auch hier gibt es Zeichen, die wir entziffern kön-nen, Hinweise, denen wir folgen können, und Erscheinungen, die wir in Rechnung stellen können. Sie alle zusammen ergeben das, was wir einen Grad relativer Gewißheit nennen, der uns eine objektiveGrundlage für unsere Planung liefert. Die Entwicklung der modernenTechnik (Telegrafie, Radio, Flugzeuge, Automobile, Eisenbahnen,Dampfschiffe usw.) hat die Möglichkeiten einer Planung im Kriegenoch erweitert. Trotzdem ist eine vollständige oder unverrückbarePlanung sehr schwierig, eben weil man im Krieg nur eine sehr be-grenzte und vorübergehende Gewißheit erlangen kann. Der Plan muß

sich also mit der Bewegung des Krieges selber (seinem Fluß oder dem Wandel) verändern, und er muß je nach dem Umfang des Krie-ges auch seinen Umfang variieren. Taktische Pläne wie z. B. diePläne für Angriff oder Verteidigung kleiner Formationen oder Ein-heiten müssen oft an einem einzigen Tag mehrfach abgeändert wer-den. Ein Schlachtplan also ein Aktionsplan für größere Formationenläßt sich gewöhnlich bis zum Abschluß der Schlacht einhalten, wird

  jedoch in deren Verlauf oft teilweise oder sogar völlig abgeändert.Ein strategischer Plan, der auf der allgemeinen Situation der beidenkriegführenden Parteien beruht, ist dauerhafter, aber auch er läßt sichnur auf ein bestimmtes strategisches Stadium anwenden und mußabgeändert werden, wenn der Krieg in ein neues Stadium tritt. DasEntwerfen und Abändern größerer und kleinerer taktischer Pläne undstrategischer Pläne in Übereinstimmung mit den jeweiligen Umstän-

den ist ein maßgebender Faktor in der Kriegführung. Er ist der kon-krete Ausdruck der Flexibilität im Krieg mit anderen Worten, auch er ist «Geschicklichkeit einer abwechslungsreichen Taktik». Alle Be-fehlshaber in unserem Krieg gegen Japan sollten das beherzigen.89. Wegen der Unbeständigkeit des Krieges verneinen manche Leutekategorisch, daß einigermaßen stabile Kriegspläne oder Maßnahmenmöglich seien, und bezeichnen derartige Pläne und eine solche Poli-

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tik als «mechanistisch». Diese Ansicht ist falsch. Wir haben im vor-stehenden Abschnitt durchaus anerkannt, daß es im Krieg nur eine

relative Gewißheit geben kann, daß die Ereignisse sich dabei sehr rasch weiterentwickeln und daß darum Pläne oder Maßnahmen nur relativ beständig sein können und entsprechend den veränderten Um-ständen oder der Weiterentwicklung des Krieges rechtzeitig abgeän-dert oder revidiert werden müssen. Würden wir das nicht zugeben, sowären wir Mechanisten. Aber man darf auch nicht leugnen, daß für 

 bestimmte Zeitabschnitte relativ stabile Pläne oder Maßnahmen be-nötigt werden. Wer das negiert, der negiert alles einschließlich desKrieges und sich selber. Dort wo die militärischen Bedingungen undOperationen relativ beständig sind, müssen wir für die sich darauf aufbauenden Kriegspläne und Maßnahmen auch eine relative Stabili-tät gewährleisten. Nehmen wir zum Beispiel die äußeren Umständedes Krieges in Nordchina und die vielfältigen Operationen der Ach-ten Feldarmee. Da sie sich während eines bestimmten Stadiums alsrelativ beständig erwiesen haben, müssen wir für diese Zeit auch den

strategischen Operationsprinzipien der Achten Feldarmee eine relati-ve Beständigkeit zubilligen. Diese Prinzipien lauteten: «Der Gueril-lakrieg ist die Grundlage; bei günstigen Bedingungen dürfen wir uns

  jedoch keine Chance zu einem Bewegungskrieg entgehen lassen.»Die Gültigkeitsdauer eines Schlachtplans ist kürzer als die eines stra-tegischen Plans, und die eines taktischen Plans ist noch kürzer; jeder dieser Pläne aber ist für eine bestimmte Zeitspanne gültig. Wer diese

Tatsache leugnen wollte, hätte keinerlei Handhabe für die Kriegfüh-rung und würde zu einem Relativisten in Fragen des Krieges, zueinem Menschen ohne feste Ansichten, für den ein Entschluß eben-sogut oder schlecht ist wie der andere. Dabei wird niemand bestrei-ten, daß selbst ein für eine bestimmte Zeitspanne entworfener Planveränderlich ist; andernfalls könnte man nie einen Plan zugunsteneines anderen aufgeben. Er ist jedoch nur begrenzt veränderlich, d. h.

veränderlich im Bereich der verschiedenen Operationen, die zu sei-ner Durchführung unternommen wurden, nicht jedoch veränderlichseinem Wesen nach. Mit anderen Worten: er ist zwar quantitativ,aber nicht qualitativ veränderlich. Innerhalb einer bestimmten Zeit-spanne ist der Plan seinem Wesen nach unter keinen Umständenveränderlich, und aus diesem Grund sprechen wir von seiner relati-ven Gültigkeit für eine gewisse Zeit. In dem großen Fluß des gesam-

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ten Krieges, in dem das Prinzip der Veränderlichkeit herrscht, gibt eseinzelne Abschnitte, deren jeder relativ stabil ist. Dies ist unsere

Ansicht in bezug auf das Wesen der Pläne und Maßnahmen imKrieg.90. Nachdem wir nun die auf eine lange Dauer abzielende defensiveKriegführung auf den inneren Kampflinien (hinsichtlich der Strate-gie) und die auf eine rasche Entscheidung drängende offensiveKriegführung auf den äußeren Kampflinien (hinsichtlich einzelner Schlachten und Gefechte) sowie die Fragen der Initiative, der Flexi-

 bilität und der Planung behandelt haben, können wir unsere Ergeb-nisse kurz zusammenfassen. Der Krieg gegen Japan muß nach einemPlan geführt werden. Kriegspläne also die konkrete Anwendung vonStrategie und Taktik müssen flexibel sein, so daß sie sich den jewei-ligen Umständen des Krieges anpassen lassen. Wir müssen stets be-müht sein, unsere Unterlegenheit in Überlegenheit und unsere Passi-vität in Initiative zu verwandeln und somit das Kräfteverhältnis zwi-schen uns und unseren Feinden umzukehren. Die Methode, dies zu

erreichen, heißt auf rasche Entscheidung drängende offensive Krieg-führung auf den äußeren Kampflinien mit einzelnen Schlachten undGefechten und auf lange Dauer abzielende defensive Kriegführungauf den inneren Kampflinien in der Strategie.

Bewegungskrieg, Guerillakrieg und Stellungskrieg

91. Um es noch einmal zu sagen: Unser Krieg bedeutet auf rascheEntscheidung drängende offensive Kriegführung auf den äußerenKampflinien mit einzelnen Schlachten und Gefechten im Rahmeneiner Strategie, die einen auf den inneren Kampflinien verlaufendenDefensivkrieg führt und auf eine lange Dauer abzielt. Seiner Formnach haben wir es mit einem Bewegungskrieg zu tun. Bewegungs-krieg heißt die Kampfweise, nach der reguläre Truppen in Schlachten

und Gefechten auf den äußeren Kampflinien an weitgestrecktenFronten und in ausgedehnten Gebieten operieren. Gleichzeitigschließt dieser Begriff die «bewegliche Verteidigung» ein, die mannötigenfalls anwendet, um derartige Offensivschlachten zu erleich-tern. Hierzu kommen Angriff und Verteidigung aus der Stellungheraus, die jedoch eine Nebenrolle spielen. Die Kennzeichen desBewegungskrieges sind reguläre Truppen, Überlegenheit der Streit-

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kräfte in Schlachten und Gefechten, Offensive und Veränderlichkeit.92. China verfügt über ein großes Territorium und eine riesige Arv-

zahl von Soldaten, aber seine Truppen sind unzureichend ausgerüstetund ausgebildet. Die Truppen des Feindes andererseits sind zahlen-mäßig unzureichend, jedoch besser ausgerüstet und ausgebildet. An-gesichts dieser Lage kann kein Zweifel daran bestehen, daß wir hauptsächlich einen offensiven Bewegungskrieg führen müssen, der durch andere Operationen zu ergänzen ist. Alle unsere Operationenaber müssen sich dem Bewegungskrieg eingliedern. Wir müssen demLeitsatz «nur Rückzug, niemals Vormarsch» entgegentreten, weil er ständige Fluchtbereitschaft [flight-ism] bedeuten würde; aber gleich-zeitig müssen wir auch dem Leitsatz «nur Vormarsch, niemals Rück-zug» widersprechen, denn er ist ein Kennzeichen verzweifelter Un-

 bekümmertheit.93. Einer der Wesenszüge des Bewegungskrieges ist die Veränder-lichkeit, die einer Feldarmee nicht nur erlaubt, sondern auch gebietet,in großen Sprüngen vorzustürmen und sich zurückzuziehen. Eine

solche Operationsweise hat jedoch nichts gemein mit der Fluchtbe-reitschaft [flightism] eines Han Fu-chu 29. Das erste Gebot des Krie-ges ist die Vernichtung des Feindes, das zweite ist die Selbsterhal-tung. Ziel der Selbsterhaltung ist die Vernichtung des Feindes, unddie Vernichtung des Feindes ihrerseits ist das wirksamste Mittel der Selbsterhaltung. Darum ist der Bewegungskrieg keineswegs eineEntschuldigung für Menschen wie Han Fu-chu, und sein Prinzip wird

niemals besagen, man dürfe sich nur rückwärts und nicht vorwärts bewegen. Eine derartige «Bewegung», die den grundsätzlich offensi-ven Charakter des Bewegungskrieges negiert, würde in der Praxisganz China trotz seiner Größe schließlich aus dem Leben «heraus-

 bewegen».94. Allerdings ist auch der andere Standpunkt des «nur Vormarsch,niemals Rückzug», den wir als verzweifelte Unbekümmertheit kenn-

zeichneten, falsch. Wir befürworten den Bewegungskrieg, dessenWesen die auf rasche Entscheidung drängende offensive Kriegfüh-rung auf den äußeren Kampflinien hinsichtlich einzelner Schlachtenund Gefechte ist. Dieser Bewegungskrieg aber schließt als Hilfsmaß-nahmen auch den Stellungskrieg sowie «bewegliche Verteidigung»und Rückzug ein, ohne die er seinem Charakter niemals voll entspre-chen kann. Verzweifelte Unbekümmertheit ist militärische Kurzsich-

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tigkeit und erwächst aus der Angst, an Boden zu verlieren. EinMensch, der in verzweifelter Unbekümmertheit handelt, weiß nicht,

daß ein Merkmal des Bewegungskrieges seine Veränderlichkeit ist,die einer Frontarmee nicht nur erlaubt, sondern auch gebietet, sich ingroßen Sprüngen sowohl vorwärts als auch rückwärts zu bewegen.Wenn wir in einer günstigen Situation einen Kampf beginnen wollen,der für den Feind ungünstig, für uns aber günstig auslaufen soll, sosind hierfür gewöhnlich gewisse Vorbedingungen erforderlich. Der Feind soll sich möglichst in Bewegung befinden, er muß verwundbar sein, es muß ein passendes Terrain vorhanden sein, man muß sichdarauf verlassen können, daß die örtliche Bevölkerung das Durchsik-kern von Informationen verhindert, und wir müssen wissen, daß der Feind erschöpft und unvorbereitet ist. Das heißt also, daß wir denFeind ruhig vorrücken lassen und einen vorübergehenden Gebiets-verlust in Kauf nehmen müssen. Denn ein vorübergehender Verlustgewisser Gebietsteile ist der Preis, den wir für den dauernden Besitzunseres gesamten Territoriums und die Rückeroberung der verlore-

nen Gebiete zahlen müssen. Wenn wir jedoch in eine negative Situa-tion geraten, d. h. wenn der Feind uns in eine ungünstige Lage hin-eindrängt, die den Bestand unserer Streitkräfte ernstlich gefährdet,dann müssen wir den Mut zum Rückzug haben, um unsere Truppenzu schützen und den Feind schlagen zu können, sobald sich eine neueGelegenheit bietet. Die Verfechter einer verzweifelten Unbeküm-mertheit, die von einem solchen Prinzip nichts wissen, werden um

eine Stadt oder ein Stück Boden auch dann kämpfen, wenn ihre Lageoffensichtlich und ganz entschieden ungünstig ist; dabei werden sieaber nicht nur die Stadt oder das Stück Boden verlieren, sondernauch ihre eigenen Kräfte nicht erhalten können. Wir haben uns stetsdafür eingesetzt, «den Feind möglichst weit vorzulocken», eben weildies die wirksamste militärische Maßnahme ist, die eine schwache,strategisch in der Defensive befindliche Armee gegen einen starken

Feind anwenden kann.95. Unter den Formen der Kriegführung im Kampf gegen Japan stehtan erster Stelle der Bewegungskrieg und an zweiter der Guerilla-krieg. Wenn wir behaupten, daß innerhalb des gesamten Krieges der Bewegungskrieg die Hauptrolle und der Guerillakrieg die Nebenrollespielt, so heißt dies, daß der Ausgang des Krieges vor allem von der Tätigkeit der regulären Truppen, insbesondere in den Formen des

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Bewegungskrieges, abhängt und daß die Guerillas nicht die Haupt-verantwortung dafür auf sich nehmen können. Daraus folgt jedoch

noch keineswegs, daß die Rolle des Guerillakrieges in strategischer Hinsicht etwa unbedeutend wäre. Innerhalb der Strategie des gesam-ten Krieges spielt der Guerillakrieg nur im Verhältnis zum Bewe-gungskrieg eine Nebenrolle, weil wir ohne diesen den Feind nichtschlagen können. Bei der Aufstellung dieser These denken wir auchan die strategische Aufgabe, den Guerillakrieg allmählich zum Be-wegungskrieg auszubauen. Die Tätigkeit der Guerillas wird sich imVerlauf dieses langen und grausamen Krieges durchaus nicht immer gleich bleiben, sondern sie wird ein höheres Niveau erreichen undsich zum Bewegungskrieg entwickeln. So spielen die Guerillas alsoeine zweifache Rolle: Einerseits unterstützen sie die reguläre Krieg-führung, andererseits wachsen sie dabei selber in diese reguläreKriegführung hinein. Noch nie hat die Guerillatätigkeit eine solcheDauer und Ausdehnung erlangt wie im chinesischen Widerstands-krieg gegen Japan und eben darum ist es um so wichtiger, daß wir 

ihre strategische Rolle nicht unterschätzen. Der Guerillakrieg wirft inChina darum nicht nur taktische, sondern seine eigenen strategischenProbleme auf. Ich habe dieses Thema bereits in meiner Rede über «Strategische Fragen im Guerillakrieg gegen Japan» erörtert. Wieoben angedeutet, gliedern sich die Formen der Kriegführung wäh-rend der drei strategischen Stadien unseres Widerstandskrieges fol-gendermaßen auf: Im ersten Stadium steht der Bewegungskrieg an

erster Stelle, während Guerillakrieg und Stellungskrieg an zweiter Stelle stehen. Im zweiten Stadium wird der Guerillakrieg an denersten Platz rücken und durch den Bewegungskrieg sowie den Stel-lungskrieg unterstützt werden. Im dritten Stadium wird wiederum der Bewegungskrieg die Hauptrolle spielen, während dem Stellungskriegund dem Guerillakrieg die Nebenrollen zufallen werden. Jedoch wirdder Bewegungskrieg des dritten Stadiums nicht mehr allein von den

ursprünglichen regulären Truppen getragen werden, sondern einenTeil desselben — möglicherweise einen sehr wesentlichen Teil — werden Truppen übernehmen, die anfänglich als Guerillas kämpftenund allmählich zu Kämpfern im regulären Bewegungskrieg aufge-rückt sind. In allen drei Stadien des chinesischen Widerstandskriegesgegen Japan ist die Tätigkeit der Guerillas unentbehrlich. Unser Gue-rillakrieg wird ein dramatisches Bild bieten, das in der bisherigen

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Geschichte des Krieges nicht seinesgleichen hat. Aus diesem Grundeist es unerläßlich, zumindest einige hunderttausend Soldaten aus dem

millionenstarken chinesischen Armeen herauszuziehen und über allevom Feind besetzten Gebiete zu verteilen, damit sie dort die Volks-massen zu den Waffen rufen und gemeinsam mit ihnen einen Gueril-lakrieg führen. Die hierfür bestimmten regulären Truppen solltensich dieser Aufgabe gewissenhaft unterziehen und sich nicht etwadegradiert vorkommen, weil sie auf diese Weise nicht in großenSchlachten eingesetzt werden und fürs erste nicht als nationale Hel-den auftreten können. Solche Gedanken sind falsch. Der Guerilla-krieg bringt keine so raschen Ergebnisse wie der reguläre Krieg, undman erntet auch weniger Ruhm dabei; aber «ein langer Weg prüft dieKraft des Pferdes, und eine lange Aufgabe prüft das Herz des Man-nes». Im Verlauf dieses langen und grausamen Krieges wird auch der Guerillakrieg seine Bedeutung unter Beweis stellen er ist ganz gewißkein nebensächliches Unternehmen. Obendrein können die abgeord-neten Truppen, solange sie zerstreut sind, eine Guerillatätigkeit aus-

üben, und wenn sie konzentriert sind, einen Bewegungskrieg führen,so wie dies die Achte Frontarmee getan hat. Das Prinzip der AchtenFrontarmee lautet: «Der Guerillakrieg ist die Grundlage; bei günsti-gen Bedingungen dürfen wir uns jedoch keine Chance zu einer be-weglichen Kriegführung entgehen lassen.» Dieses Prinzip ist durch-aus richtig; die entgegengesetzten Ansichten sind falsch.96. Bei dem augenblicklichen technischen Stand der chinesischen

Armee ist ein Stellungskrieg, sei er defensiv oder offensiv, im allge-meinen undurchführbar. In diesem Punkt offenbart sich unsereSchwäche. Abgesehen davon benutzt der Feind auch die Weite unse-res Territoriums, um unsere befestigten Stellungen zu umgehen.Deshalb kann der Stellungskrieg für uns niemals eine wesentlicheoder gar die wichtigste Rolle innerhalb der Kriegführung spielen. Imersten und zweiten Stadium des Krieges jedoch ist es möglich und

auch nötig, einem lokalen Stellungskrieg im Rahmen des Bewe-gungskrieges eine Hilfsrolle in Feldzügen zuzuweisen. Ein nochwichtigerer Teil des Bewegungskrieges ist eine «bewegliche Vertei-digung» unter Verwendung von Stellungen, durch die man demFeind auf Schritt und Tritt immer neuen Widerstand leistet, um soseine Kräfte zu erschöpfen und Zeit zu gewinnen. China muß bemühtsein, seine Vorräte an modernen Waffen zu ergänzen, damit es die

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Aufgaben des Angriffs aus der Stellung heraus erfüllen kann, sobalddas Stadium unserer Gegenoffensive erreicht ist. In diesem dritten

Stadium wird der Stellungskrieg zweifellos eine größere Rolle spie-len; denn dann wird der Feind sich in seinen Stellungen festkrallenwollen, und wir werden unsere verlorenen Gebiete nicht zurückero-

 bern können, wenn wir nicht zur Unterstützung des Bewegungskrie-ges energische Positionsangriffe führen können. Trotz alledem müs-sen wir auch im dritten Stadium alle Kraft daransetzen, dem Bewe-gungskrieg seine strategische Hauptrolle zu erhalten. Denn die Kunstder Kriegführung und die aktive Rolle des einzelnen Soldaten sindim Stellungskrieg weitgehend aufgehoben das haben die Kämpfe inWesteuropa während der zweiten Hälfte des Ersten Weltkriegs be-wiesen. Es ist nur natürlich, daß unser Krieg «außerhalb der Schüt-zengräben» geführt werden muß, denn schließlich findet er in denweiten Gebieten Chinas statt, und unsere technische Ausrüstung wirdnoch auf lange Zeit recht dürftig sein. Und selbst wenn wir im drittenStadium über eine bessere technische Ausrüstung verfügen, werden

wir unserem Feind in dieser Hinsicht doch schwerlich überlegen seinund werden uns darum auf einen gesteigerten Bewegungskrieg kon-zentrieren müssen, ohne den wir den schließlichen Sieg nicht errin-gen können. Infolgedessen wird China während des gesamten Wi-derstandskrieges dem Stellungskrieg niemals den ersten Platz ein-räumen; die wichtigen und entscheidenden Formen sind und bleibenfür uns der Bewegungskrieg und der Guerillakrieg. Diese zwei For-

men aber werden der Kunst der Kriegführung und der aktiven Betä-tigung des einzelnen Mannes vollen Spielraum gewähren und das

 bedeutet für uns Glück im Unglück!

Zermürbungskrieg und Vernichtungskrieg

97. Wie wir bereits sagten, ist es Inhalt und Ziel des Krieges, sich

selbst zu erhalten und den Gegner zu vernichten. Zur Erreichungdieses Zieles gibt es drei Formen der Kriegführung: Bewegungs-krieg, Stellungskrieg und Guerillakrieg. Da diese Formen hinsicht-lich ihrer Wirksamkeit voneinander abweichen, folgt daraus eineUnterscheidung zwischen Zermürbungskrieg und Vernichtungskrieg.98. Zunächst muß darauf hingewiesen werden, daß der Krieg gegenJapan gleichzeitig Zermürbungskrieg und Vernichtungskrieg ist.

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Warum? Weil der Feind noch immer, gestützt auf seine Macht, der strategisch Überlegene ist und die strategische Initiative hat. Darum

können wir seine Macht nicht wirksam und rasch untergraben undseine Überlegenheit und Initiative nicht brechen, wenn wir keineVernichtungskämpfe und -gefechte führen. Wir sind noch immer mitunserer Schwäche behaftet und haben uns noch nicht aus unserer strategischen Unterlegenheit und Passivität gelöst. Wenn wir daher keine Vernichtungskämpfe und -schlachten führen, können wir auchnicht die nötige Zeit gewinnen, um unsere innere und äußere Situati-on zu verbessern und unsere ungünstigere Lage zum Guten zu wen-den. So sind also Vernichtungskämpfe das Mittel, um das Ziel der strategischen Zermürbung zu erreichen. In diesem Sinne ist der Ver-nichtungskrieg gleichzeitig Zermürbungskrieg. Wenn China seineStrategie eines lange dauernden Krieges durchführen will, so muß esvor allem zu der Methode greifen, den Feind durch Vernichtungs-kämpfe zu zermürben.99. Aber auch das Ziel der strategischen Zermürbung läßt sich durch

Vernichtungskämpfe erreichen. Allgemein gesprochen erfüllt der Bewegungskrieg die Aufgabe der Vernichtung, der Stellungskriegdie Aufgabe der Zermürbung, und der Guerillakrieg erfüllt gleichzei-tig beide Aufgaben, so daß sich also die drei Formen der Kriegfüh-rung auch in dieser Hinsicht voneinander unterscheiden. In diesemSinne ergibt sich eine Trennung von Vernichtungskrieg und Zermür-

 bungskrieg. Zermürbungskämpfe sind im langdauernden Krieg zwar 

nur Hilfsmittel, aber nötige Hilfsmittel.100. Betrachten wir theoretisch die Lage und die Ziele Chinas, sosehen wir, daß China, um das strategische Ziel einer weitgehendenSchwächung der feindlichen Kräfte zu erreichen, im Stadium seiner Defensive nicht allein die Vernichtung seines Gegners im Auge ha-

 ben sollte die sich vor allem durch den Bewegungskrieg und teilwei-se auch durch den Guerillakrieg erzielen läßt -, sondern auch seine

Zermürbung, die sich vor allem durch den Stellungskrieg (der an sichuntergeordnet ist) und teilweise durch den Guerillakrieg erzielenläßt. Im Stadium des Stillstands sollten wir dann die im Bewegungs-krieg und im Guerillakrieg erreichte Vernichtung und Zermürbungdes Gegners noch verstärken, um so die feindlichen Kräfte nachMöglichkeit zu erschöpfen. All dies zielt auf eine lange Dauer desKrieges ab, während der sich das allgemeine Kräfteverhältnis nach

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und nach zu unseren Gunsten wendet und wir die Bedingungen für unsere Gegenoffensive schaffen können. Bei unserer strategischen

Gegenoffensive sollten wir weiterhin die Methode der Zermürbungdurch Vernichtung anwenden, um dann schließlich den Feind zuvertreiben.101. Nun mußten wir aber in den letzten zehn Monaten die Erfah-rung machen, daß viele oder gar die meisten Kämpfe des Bewe-gungskrieges zu Zermürbungskämpfen wurden und daß der Gueril-lakrieg seine Vernichtungsaufgaben in bestimmten Gebieten nichthinreichend erfüllt hat. Positiv bei. alledem ist, daß wir zumindestdie Kräfte des Gegners erschöpft haben — ein wichtiges Ergebnis für unsere Strategie des lange dauernden Krieges sowie für unseren Siegund daß wir unser Blut nicht umsonst vergossen haben. Diesem Er-gebnis stehen jedoch auch negative Tatsachen entgegen: erstens, daßwir die Kräfte des Feindes nicht genügend erschöpft haben, undzweitens, daß wir ziemlich schwere Verluste nicht vermeiden konn-ten und nicht imstande waren, eine beträchtliche Kriegsbeute zu ma-

chen. Zwar müssen wir einräumen, daß es einen objektiven Grundfür diese Situation gibt: das Mißverhältnis zwischen unseren und denfeindlichen Truppen im Hinblick auf technische Ausrüstung undAusbildung; aber wir müssen sowohl theoretisch wie praktisch dar-auf dringen, daß unsere Haupttruppen energische Vernichtungs-kämpfe führen, wo und wann sich ihnen eine günstige Gelegenheit

 bietet. Und obgleich unsere Guerillaeinheiten bei der Erfüllung be-

stimmter Aufgaben wie Sabotageakten und Störunternehmungenreine Zermürbungskämpfe zu führen haben, sollten sie sich dochunbedingt auch mit Vernichtungskämpfen und -gefechten befassenund diese energisch durchführen, wann und wo sich ihnen eine gün-stige Gelegenheit dazu bietet, um so die Kräfte des Feindes nachMöglichkeit zu erschöpfen und unsere eigenen zu steigern.102. Die «äußeren Kampflinien», die «rasche Entscheidung» und

die «Offensive» bei der auf rasche Entscheidungen drängenden of-fensiven Kriegführung auf den äußeren Kampflinien sowie die «Fle-xibilität» in der beweglichen Kampfführung finden ihren wesentli-chen Ausdruck in der Durchführung solcher taktischer Operationen,wie sie die Umzingelung und der Flankenangriff darstellen. Darumsind die Zusammenziehung von Streitkräften und die Anwendungder Umzingelung und des Flankenangriffs die Vorbedingungen für 

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den Bewegungskrieg und damit für die auf rasche Entscheidungendrängende offensive Kriegführung auf den äußeren Kampflinien. All

dies zielt auf die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte ab.103. Die Stärke der japanischen Armee beruht nicht allein auf ihrenWaffen, sondern auch auf der Ausbildung ihrer Offiziere und Mann-schaften auf ihrer straffen Organisation, ihrer Zuversicht, die von der Tatsache herrührt, daß sie noch nie geschlagen wurden, ihrer aber-gläubischen Verehrung des Mikado und übernatürlicher Wesen, ih-rem Hochmut, ihrer Verachtung gegenüber dem chinesischen Volk und anderen derartigen Merkmalen. Sie alle lassen sich aus den Dok-trinen, welche die japanischen Kriegsherren jahrelang gepredigt ha-

 ben, und aus der nationalen Tradition Japans herleiten. Dies ist der Hauptgrund, warum wir sehr wenige Gefangene gemacht haben,obgleich doch eine große Anzahl feindlicher Soldaten getötet oder verwundet wurden. Bisher haben viele die Bedeutung dieser Tatsa-chen unterschätzt. Um diese Wesenszüge des Feindes zu erschüttern,wird es eines langen Prozesses bedürfen.

Zuerst müssen wir der ganzen Frage sehr ernsthaft unsere Aufmerk-samkeit widmen und dann unsere Ergebnisse geduldig und systema-tisch auf politischem Gebiet, auf dem Gebiet der internationalenPropaganda und bei der Propaganda innerhalb der japanischenVolksbewegung anwenden. Auf militärischem Gebiet ist natürlichder Vernichtungskrieg ein mögliches Mittel. Pessimisten können indiesen Eigenschaften unserer Feinde eine Grundlage für ihre Theorie

einer unausweichlichen nationalen Unterjochung finden, und passivgesinnte Militärs werden sich vielleicht darauf berufen, um gegeneinen Vernichtungskrieg zu opponieren. Wir hingegen halten an der Auffassung fest, daß diese Widerstandskerne der japanischen Armee

 beseitigt werden können und daß ihre Vernichtung auch bereits be-gonnen hat. Am besten kommen wir in dieser Hinsicht ans Ziel,wenn wir die japanischen Soldaten politisch für uns gewinnen. Dabei

dürfen wir ihren Stolz nicht verletzen, sondern sollten ihm verständ-nisvoll entgegenkommen und ihn in die richtigen Kanäle lenken,indem wir die japanischen Kriegsgefangenen milde behandeln undden japanischen Soldaten beweisen, daß die Aggressivität ihrer An-führer sich gegen ihr eigenes Volk richtet. Andererseits müssen wir den japanischen Soldaten vor Augen führen, von welch unbezähmba-rem Kampfgeist und welch heroischer, verbissener Kampfkraft die

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chinesische Armee und das chinesische Volk erfüllt sind: Wir müs-sen sie in Vernichtungsschlachten schlagen. Unsere Erfahrung der 

letzten zehn Monate hat gezeigt, daß wir durchaus imstande sind,feindliche Einheiten in militärischen Operationen zu vernichten Bei-spiele dafür sind die Schlachten bei Pinghsingkuan und bei Tai-erhchuang. Die Kampfmoral innerhalb der japanischen Armee be-ginnt bereits nachzulassen, ihre Soldaten verstehen den Sinn diesesKrieges nicht, sie fühlen sich wie begraben von der erdrückendenÜbermacht der chinesischen Armeen und des chinesischen Volkes,sie beweisen beim Angriff weniger Mut als die chinesischen Solda-ten usw. All das sind objektive Tatsachen, die unbedingt für Vernich-tungskämpfe sprechen, und je länger der Krieg dauert, um so deutli-cher werden sich diese Hinweise offenbaren. Da wir der anmaßendenArroganz des Feindes durch Vernichtungsschlachten einen tödlichenSchlag versetzen können, sind solche Schlachten eine Vorbedingungzur Verkürzung des Krieges und für eine baldige Befreiung der japa-nischen Soldaten und des japanischen Volkes. Katzen befreunden

sich mit Katzen; nirgends in der Welt befreunden sich Katzen mitMäusen.104. Andererseits müssen wir zugeben, daß wir unserem Feind, wasdie technische Ausrüstung und Ausbildung der Truppen angeht, imAugenblick noch unterlegen sind. Deshalb fällt es uns oft schwer, einMaximum an Vernichtung zu erreichen und beispielsweise eine gan-ze feindliche Einheit oder doch den größeren Teil derselben gefan-

genzunehmen. Vor allem gilt dies für die Kämpfe im Flachland. Indiesem Zusammenhang müssen wir auch die übertriebenen Forde-rungen der Theoretiker zurückweisen, die auf einen raschen Siegdrängen. Man kann von unseren Streitkräften im Krieg gegen Japannur verlangen, daß sie, soweit es ihnen möglich ist, Vernichtungs-kämpfe führen. Wenn die Umstände günstig sind, sollten wir bei

 jeder Aktion dem Feind überlegene Kräfte zusammenziehen und die

Taktiken der Einkreisung und des Flankenangriffs anwenden. Wir müssen uns bemühen, die gesamte feindliche Streitmacht, die unsentgegensteht, oder doch wenigstens einen Teil davon einzukreisen,alle eingekreisten Einheiten oder doch einen Teil derselben gefan-genzunehmen und einem Teil der eingekreisten Streitkräfte, wennwir ihn nicht gefangennehmen können, schwere Verluste zuzufügen.Wenn die Umstände für Vernichtungskämpfe ungünstig sind, müssen

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wir Zermürbungskämpfe führen. Unter günstigen Umständen müssenwir unsere Truppen zusammenziehen, unter ungünstigen müssen wir 

sie auflockern. Was die Leitung der Operationen betrifft, so solltenwir in den ersten Fällen das Prinzip der zentralisierten Befehlsgewalt  befolgen, in den letzten Fällen das der dezentralisierten Befehlsge-walt. Dies sind die Grundregeln für die militärischen Operationen imWiderstandskrieg gegen Japan.

Über die Möglichkeiten, die Fehler des Feindes auszunutzen

105. Die Befehlshaber des Feindes selbst liefern uns eine möglicheGrundlage für unseren Sieg über Japan. Die Weltgeschichte kenntkeinen unfehlbaren General, und ebenso wie wir gelegentlich Fehler kaum vermeiden können, begeht auch unser Feind Fehler. Nun be-steht aber für uns die Möglichkeit, die Irrtümer unseres Feindes aus-zunutzen. In den zehn Monaten seines Angriffskrieges hat der Feind

  bereits manchen strategischen und taktischen Fehler gemacht. Die

fünf wichtigsten seien nachstehend aufgezählt.Erstens: etappenweise Verstärkung. Dieser Umstand erklärt sicheinerseits aus der Tatsache, daß Japan China unterschätzt hat, ande-rerseits aus seiner Truppenknappheit. Der Feind hat stets auf unsherabgesehen. Nachdem es ihm verhältnismäßig mühelos gelungenwar, sich die vier nordöstlichen Provinzen zu schnappen, besetzte er das östliche Hopei und das nördliche Chahar und wandte überall das

Mittel der strategischen Erkundung an. Auf Grund dieser Erfolgekam er zu dem Schluß, China sei ein großer Haufen losen Sandes, inden man nur einmal kräftig hineinblasen müsse, um ihn zum Einsturzzu bringen. Darum entwarf er einen Plan der «raschen Entscheidung»und versuchte mit einer sehr geringen Streitmacht, uns in Panik zuversetzen und in die Flucht zu schlagen. Er war nicht darauf gefaßt,eine solche Einheit und eine so ungeheure Widerstandskraft vorzu-

finden, wie China sie in den letzten zehn Monaten gezeigt hat; denner hatte nicht bedacht, daß China sich in einer Ära des Fortschritts  befindet und bereits eine moderne politische Partei, eine moderneArmee und eine aufgeklärte Bevölkerung aufzuweisen hat. Nach denersten Rückschlägen verstärkte der Feind dann allmählich seineStreitkräfte von etwa zwölf auf dreißig Divisionen. Wenn er Fort-schritte erzielen will, wird er noch weitere Verstärkungen heranzie-

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hen müssen. Da Japan jedoch in einen Streit mit der Sowjetunionverwickelt ist und ohnehin über nur beschränkte Reserven an Men-

schen und Finanzen verfügt, sind der Anzahl von Soldaten, die eseinsetzen kann, und der Ausdehnung seines Vormarsches unweiger-lich Grenzen gesetzt.Zweitens: Fehlen einer Stoßrichtung des Angriffs. Vor der Schlacht

 bei Taierhchuang hatte der Feind seine Streitkräfte ziemlich gleich-mäßig zwischen Nordund Südchina aufgeteilt. Innerhalb dieser bei-den Gebiete hatte er wiederum eine gleichmäßige Aufteilung vorge-nommen. So verteilte er zum Beispiel in Nordchina seine Truppengleichmäßig auf die Eisenbahnstrecken Tientsin-Pukow, Peiping-Hankow und Tatung-Puchow. Als er dann an diesen Strecken gewis-se Verluste erlitt, stationierte er in den besetzten Plätzen gewisseTruppenkontingente und hatte danach nicht mehr genug Truppen, umweiter vorrücken zu können. Nach der Schlacht bei Taierhchuang,die ihm eine Lehre erteilte, zog der Feind seine Hauptstreitmacht inRichtung auf Hsuchow zusammen und korrigierte so vorübergehend

seinen Fehler.Drittens: Mangel an strategischer Koordination. Es besteht zwar einegewisse Koordination zwischen den einzelnen feindlichen Truppen-teilen in Nordchina und Zentralchina, im ganzen gesehen jedochscheinen diese beiden Truppenkomplexe eine völlig voneinander getrennte Strategie zu betreiben. Als die an der Strecke Tientsin-Pukow aufmarschierten Truppen der südlichen Sektion Hsiaopengpu

angriffen, rührten sich die Truppen der nördlichen Sektion nicht vomFleck, und als die Streitkräfte der nördlichen Sektion einen Angriff auf Taierhchuang unternahmen, rührten sich wiederum die Truppender südlichen Sektion nicht aus ihren Stellungen. Als dann die Un-ternehmungen des Feindes an beiden Plätzen ein schlimmes Endegenommen hatten, erschien der japanische Kriegsminister zu einer Inspektionstour, der Chef des Generalstabs trat in Erscheinung, und

für einen Augenblick sah es so aus, als gebe es hier eine Koordinati-on. In Japan bestehen ernste Meinungsverschiedenheiten zwischender Klasse der Landbesitzer, der Bourgeoisie und den Militärs. Der Mangel an militärischer Koordination ist eines der nach außen hinsichtbaren Ergebnisse dieser Zwistigkeiten.Viertens: das Verpassen strategisch günstiger Gelegenheiten. Dieser Fehler wurde besonders augenfällig, als der Feind nach der Beset-

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zung von Nanking und Taiyuan plötzlich haltmachte, weil er nichtüber genug Truppen verfügte und keine strategische Verfolgungs-

kraft besaß.Fünftens: Einkreisung großer, aber Vernichtung kleiner Truppenein-heiten. Vor der Schlacht bei Taierhchuang wurden in den Kämpfenum Shanghai, Nanking, Tsangchow, Paoting, Nankow, Hsinkuw undLinfen große chinesische Truppeneinheiten geschlagen. Der Feindmachte jedoch nur wenige Gefangene und bewies damit die Kurz-sichtigkeit seiner Befehlshaber.Diese fünf Fehler etappenweise Verstärkung, Fehlen einer Stoßrich-tung des Angriffs, Mangel an strategischer Koordination, Verpassenstrategisch günstiger Gelegenheiten und Einkreisung großer, aber Vernichtung kleiner Truppeneinheiten waren sämtlich der Unfähig-keit der japanischen Befehlsstellen vor der Schlacht bei Taierhchu-ang zuzuschreiben. Obgleich der Feind seither manches verbesserthat, wird er doch wegen seiner Truppenknappheit, seiner innerenZwistigkeiten und anderer Faktoren unweigerlich immer wieder in

die gleichen Fehler verfallen. Mehr noch was er heute an einer Stellegewinnt, verliert er morgen an einer anderen. Als er zum Beispiel in

 Nordchina eine große Streitmacht zusammenzog, um gegen Hsuchouzu marschieren, hinterließ er in den besetzten Gebieten im Nordenein großes Vakuum, das uns Gelegenheit bot, hier in vollem Umfangden Guerillakrieg einzuleiten. Für diese Fehler ist der Feind alleinverantwortlich, wir haben ihr Aufkommen nicht beeinflußt. Aber wir 

können auch bewußt den Feind dazu bringen, Irrtümer zu begehen,indem wir ihn irreleiten und ihn hinter der schützenden Wand einer gut organisierten lokalen Bevölkerung durch geschickte und wirksa-me Schachzüge in die gewünschte Position hineinmanövrieren – zumBeispiel indem wir «im Osten einen Scheinangriff führen, währendwir im Westen wirklich angreifen». Diese Möglichkeit haben wir 

 bereits besprochen. Alle soeben dargelegten Einzelheiten zeigen, daß

auch die Befehlshaber des Feindes selbst uns eine Grundlage für unseren Sieg liefern können. Natürlich dürfen wir uns bei unserer strategischen Planung nicht sehr weitgehend darauf stützen; im Ge-genteil. Die einzig verläßliche Methode ist es, bei unserer Planungvorauszusetzen, daß der Feind sehr wenig Fehler machen wird. Übri-gens kann der Feind auch unsere Fehler ausnutzen, genau wie wir dieseinen, und es ist daher die Pflicht unserer Führung, ihm möglichst

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wenig Gelegenheiten hierzu zu geben. Die feindlichen Befehlshaber andererseits haben Fehler begangen, werden in Zukunft wieder Feh-

ler begehen und können auch durch unsere Kunstgriffe dazu veran-laßt werden. Wir aber können alle diese Fehler zu unseren Gunstennutzen. Sache unserer Generale im Widerstandskrieg ist es daher,

 jede Anstrengung zu machen, um diese Fehler zu entdecken. Es mußallerdings betont werden, daß der Feind sich zwar in strategischenFragen und bei größeren Schlachten als unfähig erwiesen hat, daß er aber bei kleineren Gefechten und beim Einsatz kleinerer Einheitenund Truppenverbände eine hervorragende Taktik gezeigt hat, von der wir etwas lernen können.

Die Frage der Entscheidungskämpfe im Krieg gegen Japan

106. Man muß die Frage der Entscheidungskämpfe im Krieg gegenJapan von drei Seiten beleuchten. In allen Schlachten und Gefechten,

 bei denen wir mit einem sicheren Sieg rechnen können, sollten wir 

entschlossen auf eine Entscheidung drängen; in allen Schlachten undGefechten hingegen, bei denen wir nicht sicher mit dem Sieg rech-nen können, sollten wir eine Entscheidung vermeiden. Unter allenUmständen aber sollten wir eine strategische Entscheidung vermei-den, bei der das Schicksal der ganzen Nation auf dem Spiel steht. Diegleichen Merkmale, durch die unser Krieg gegen Japan sich vonallen anderen Kriegen unterscheidet, treten auch bei der Frage der 

Entscheidungskämpfe in Erscheinung. Im ersten und zweiten Stadi-um des Krieges, in denen der Feind stark ist und wir schwach, ist der Feind daran interessiert, daß wir unsere Truppen zu einer Entschei-dungsschlacht zusammenziehen. Wir verfolgen während dieser Zeitdas genau entgegengesetzte Ziel. Uns liegt daran, die für uns günsti-gen Bedingungen herauszufinden und nur dann Truppen zusammen-zuziehen und zu Entscheidungsschlachten oder -kämpfen anzutreten,

wenn wir mit einem sicheren Sieg rechnen können, wie z. B. in denSchlachten bei Pinghsingkuan oder bei Taierhchuang. Sind unsereSiegeschancen aber nicht sicher und die Umstände ungünstig, sostreben wir danach, Entscheidungskämpfe zu vermeiden. Diese Hal-tung haben wir z. B. in der Schlacht von Changteh und einigen ande-ren eingenommen. Was schließlich strategische Entscheidungen

 betrifft, von denen das Schicksal der ganzen Nation abhängt, so dür-

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fen wir uns darauf keineswegs einlassen. Das hat sich bei unseremkürzlich erfolgten Rückzug von Hsuchow gezeigt. Der Plan des

Feindes, eine «rasche Entscheidung» zu erzwingen, wurde dadurchvereitelt, und nun kann er nicht umhin, sich auf einen lange dauern-den Krieg mit uns einzulassen. In einem Land mit einem kleinenTerritorium sind solche Grundsätze nicht durchführbar, und in einem

 politisch sehr rückständigen Land sind sie nur schwer durchführbar.In China aber sind sie durchführbar, denn unser Land ist groß, undwir befinden uns in einer Zeit des Fortschritts. Wenn wir strategischentscheidende Operationen vermeiden können, dann «brauchen wir uns nicht um Feuerholz zu sorgen, solange die grünen Berge vorhan-den sind», denn selbst wenn wir einen Teil unseres Gebietes verlie-ren sollten, wird immer noch reichlich Raum zum Manövrieren vor-handen sein, so daß wir weiterziehen und abwarten können, bis unser Land weitere Fortschritte gemacht hat, internationale Hilfe eintrifftoder die inneren Schwierigkeiten unseres Feindes sich erhöht haben.Dies ist für uns die beste Politik im Krieg gegen Japan. Die stürmi-

schen Theoretiker, die einen raschen Sieg sehen wollen und nachschnell errungenen Triumphen lechzen, sind nicht fähig, die schwe-ren Prüfungen eines lange dauernden Krieges zu ertragen, und for-dern daher lärmend strategisch entscheidende Maßnahmen, sobalddie Situation eine nur einigermaßen günstige Wendung nimmt. Wennwir ihnen nachgeben wollten, so würden wir damit uns allen einenunermeßlichen Schaden zufügen, der Politik des lange dauernden

Krieges ein Ende bereiten und in die Todesfalle des Feindes tappen.Das wäre die schlimmste Politik, die wir betreiben könnten. Gewiß,wenn wir Entscheidungskämpfe vermeiden wollen, müssen wir dabei

 bestimmte Gebiete aufgeben, und wir müssen auch den Mut haben,dies zu tun, wenn es ganz unvermeidlich ist allerdings nur dann. Insolchen Fällen dürfen wir nicht das geringste Bedauern verspüren,denn es ist ein Gebot der politischen Klugheit, Raum gegen Zeit

einzutauschen. Wir wissen aus der Geschichte, daß Rußland einenmutigen Rückzug antrat, um eine Entscheidungsschlacht zu vermei-den, und dann Napoleon, den Schrecken seines Zeitalters, besiegte.China sollte diesem Beispiel heute nacheifern.107. Müssen wir nicht befürchten, daß man uns anprangert, denWiderstand zu verweigern? Nein, das brauchen wir nicht. Überhauptnicht kämpfen, sondern einen Kompromiß mit dem Feind schließen

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 — das ist Widerstandsverweigerung, und solch eine Haltung solltenicht nur angeprangert, sie darf unter keinen Umständen geduldet

werden. Wir müssen entschlossen unseren Widerstandskrieg durch-stehen; um jedoch nicht in die Todesfalle des Feindes zu gehen, müs-sen wir unbedingt vermeiden, daß der Feind unsere Hauptstreitmachtmit einem Schlag erledigt, denn damit würde er es uns fast unmög-lich machen, den Widerstandskrieg fortzusetzen mit einem Wort, wir müssen eine nationale Unterjochung um jeden Preis vermeiden. Andieser Tatsache zweifeln, hieße die Frage des Krieges in ihrem Kernverkennen; eine solche Ansicht führt geradewegs in die Reihen derer,die auf eine nationale Unterjochung hinsteuern. Wenn wir die ver-zweifelte Unbekümmertheit des Wahlspruchs «Nur Vormarsch, nie-mals Rückzug» kritisierten, so eben deshalb, weil er, wenn er sichdurchsetzen könnte, die Weiterführung des Widerstandskrieges un-möglich machen und uns der Gefahr aussetzen würde, schließlichdoch unterjocht zu werden.108. Wir sind für Entscheidungskämpfe sowohl in Schlachten wie in

größeren und kleineren Gefechten, wann immer die Umstände hier-für günstig sind, und in dieser Hinsicht werden wir keinerlei Passivi-tät dulden. Nur durch solche Entscheidungen können wir unser Zielerreichen, die feindlichen Kräfte zu vernichten oder zu erschöpfen.Jeder Soldat im Krieg gegen Japan sollte entschlossen seinen Teilhierzu beitragen. Zu diesem Zweck müssen teilweise beträchtlicheOpfer gebracht werden. Jedes Opfer vermeiden zu wollen ist die

Haltung von Feiglingen und solchen, die aus Angst vor den Japanernwie gelähmt sind ihr müssen wir energisch entgegentreten. Die Exe-kution von Li Fu-ying, Han Fu-chu und anderer Feiglinge, die ihr Heil in der Flucht suchten, war gerechtfertigt. Für eine richtigeKriegführung sind Anfeuerung, heroische Selbstaufopferung undkühnes Vorstürmen in der Schlacht absolut unentbehrlich und un-trennbar verbunden mit der Strategie des lang andauernden Krieges

und dem Erringen des Sieges. Wir haben die Fluchtbereitschaft desWahlspruchs «Nur Rückzug, niemals Vormarsch» streng verurteiltund sind für eine unbedingte Verschärfung der Disziplin eingetreten,weil wir unseren mächtigen Gegner nur durch Entscheidungskämpfe,die nach einem genauen Plan geführt werden, schlagen können;Fluchtbereitschaft [flight-ism] hingegen muß den Theoretikern, dieeine nationale Unterjochung prophezeien, neuen Auftrieb geben.

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109. Ist es nicht ein Widerspruch in sich selbst, wenn man zuerstheldenhaft kämpft und dann ein Territorium aufgibt? Werden unsere

heroischen Kämpfer dann nicht ihr Blut umsonst vergossen haben?Derartige Fragen sind völlig falsch gestellt. Essen, und dann seineGedärme entleeren heißt das nicht umsonst essen? Schlafen und dannwieder aufstehen heißt das nicht umsonst schlafen? Kann man solcheFragen überhaupt aufwerfen? Meiner Ansicht nach nicht. Ununter-

 brochen weiteressen, weiterschlafen, heldenhaft weiterkämpfen, biswir den Yalu-Fluß erreicht haben das sind subjektivistische und for-malistische Illusionen, die nichts mit der Realität des Lebens zu tunhaben. Wenn wir kämpfen und unser Blut vergießen, um Zeit zur Vorbereitung unserer Gegenoffensive zu gewinnen, und dabei gewis-se Gebiete aufgeben müssen, so haben wir damit, wie jeder weiß.Zeit gewonnen; wir haben unser Ziel, den Gegner zu vernichten undzu erschöpfen, erreicht; wir haben uns Kampferfahrung erworben;wir haben bisher tatenlose Menschen aktiviert, und wir haben unser Ansehen im Ausland erhöht. Haben wir dann unser Blut umsonst

vergossen? Ganz gewiß nicht. Es wurden Gebiete aufgegeben, umunsere militärische Schlagkraft zu bewahren und letzten Endes auch,um Gebiete zu erhalten; denn wenn wir dort, wo ungünstige Bedin-gungen vorliegen, nicht einen Teil unseres Gebietes aufgeben, son-dern uns blindlings in Entscheidungskämpfe stürzen, bei denen nichtdie geringste Aussicht auf einen Sieg besteht, werden wir unseregesamte Schlagkraft einbüßen und nicht mehr imstande sein, den

Verlust unseres gesamten Territoriums zu vermeiden ganz zuschweigen von einer Rückeroberung der bereits verlorenen Gebiete.Ein Kapitalist muß Kapital besitzen, um sein Geschäft zu betreiben,und wenn er alles verliert, ist er kein Kapitalist mehr. Sogar ein Spie-ler muß Geld haben, das er einsetzen kann. Wenn er alles auf einenWurf setzt und kein Glück damit hat, kann er nicht mehr spielen. DieEreignisse verlaufen nicht geradlinig, sondern sie machen Umwege

und Kurven, und der Krieg bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Nur Formalisten sind nicht fähig, diese Wahrheit zu begreifen.no. Meiner Ansicht nach gilt das eben Gesagte auch für die Ent-scheidungskämpfe im Stadium der strategischen Gegenoffensive.Obgleich der Feind dann der Unterlegene sein wird und wir der Überlegene, bleibt das Prinzip «man soll vorteilhafte Entscheidungs-kämpfe führen und unvorteilhafte vermeiden» noch immer in Kraft

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und wird in Kraft bleiben, bis wir uns zum Ufer des Yalu-Flussesdurchgekämpft haben. Mit diesem Grundsatz wird es uns gelingen,

von Anfang bis Ende die Initiative zu behalten. Was die «Herausfor-derungen» des Feindes und den «Hohn» der anderen betrifft, so soll-ten wir sie ungerührt beiseile schieben und übersehen. Nur Generale,die eine solche Charakterfestigkeit zeigen, können in unserem Wi-derstandskrieg als mutig und weise gelten. Aber das übersteigt denHorizont der Leute, die «aufspringen, sobald man sie berührt». Auchwenn wir im ersten Stadium des Krieges, strategisch gesehen, einemehr oder weniger passive Stellung einnehmen, so sollten wir dochin den einzelnen Gefechten die Initiative ausüben; und natürlich soll-te während der späteren Stadien die Initiative unbedingt auf unserer Seite sein. Wir sind für einen lang andauernden Krieg und den Sieg,wir sind keine Glücksspieler, die alles auf einen einzigen Wurf set-zen.

Die Armee und das Volk sind die Grundlage des Sieges

111. Der japanische Imperialismus wird nie in seinen Angriffen undseiner Unterdrückungspolitik gegenüber dem revolutionären Chinanachlassen; das ergibt sich schon aus dem Wesen des Imperialismus.Wenn China keinen Widerstand leisten würde, so würde Japan sichmit Leichtigkeit und ohne einen einzigen Schuß abzufeuern, ganzChinas bemächtigen, so wie es das schon mit den vier Provinzen im

 Nordosten gemacht hat. Da aber China Widerstand leistet, ergibt sichals unausweichliches Gesetz, daß Japan so lange versuchen wird,diesen Widerstand zu unterdrücken, bis die Kraft des chinesischenWiderstandes schließlich größer sein wird als die Kraft der Unter-drückung. Die japanischen Grundeigentümer und die japanischeBourgeoisie sind sehr ehrgeizig. Um südlich nach Südostasien undnördlich nach Sibirien vordringen zu können, haben sie sich ent-

schlossen, zunächst China anzugreifen, um dann vom Zentrum ausdurchzubrechen. Wer da denkt, Japan werde schon wissen, wo esinnehalten muß und sich mit der Besetzung von Nordchina und denProvinzen Kiangsu und Chekiang zufriedengeben, der ist sich nochnicht klar über die Tatsache, daß das imperialistische Japan, das einneues Stadium erreicht hat und sich seinem Untergang nähert,grundverschieden ist von dem Japan der Vergangenheit. Wenn wir 

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sagen, daß der Anzahl der Soldaten, die Japan herüberschicken kann,und dem Ausmaß seines Vormarsches eine Grenze gesetzt ist, so

meinen wir damit, daß Japan nur einen Teil seiner verfügbarenStreitkräfte nach China schicken und hier nur so weit vordringenkann, wie die Kapazität dieser Streitkräfte es erlaubt, da es ja nochweitere Angriffe in anderer Richtung beabsichtigt und Feinde hat,gegen die es sich verteidigen muß. Daneben hat China so deutlicheBeweise für seinen Fortschritt und seine hartnäckige Widerstands-kraft geliefert, daß jeder heftigere Angriff Japans unweigerlich auf den Widerstand Chinas treffen muß. Japan kann nicht ganz China

 besetzen, aber es wird keine Mühe sparen, um Chinas Widerstand inallen erreichbaren Gebieten zu unterdrücken, und es wird damit nichtaufhören, bevor die innere und äußere Entwicklung den japanischenImperialismus nicht an den Rand des Grabes gebracht hat. Für die

 jetzige politische Situation in Japan sind nur zwei mögliche Lösun-gen denkbar. Entweder der Zusammenbruch seiner gesamten herr-schenden Klassen erfolgt sehr rasch, die politische Macht geht in die

Hände des Volkes über und der Krieg findet so ein Ende was imAugenblick unmöglich ist -, oder die Grundbesitzer und die Mitglie-der der Bourgeoisie werden immer faschistischer und führen denKrieg bis zu ihrem Zusammenbruch weiter. Dies ist der Weg, denJapan zur Zeit geht. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Die Hoff-nung, daß die gemäßigten Kreise innerhalb der japanischen Bour-geoisie an die Macht kommen und dem Krieg Einhalt gebieten wer-

den, ist eine pure Illusion. Seit vielen Jahren schon sind den bürgerli-chen Gemäßigten in Japan durch die Grundbesitzer und die großenFinanzleute die Hände gebunden. Nun hat Japan einen Krieg gegenChina entfesselt. Solange der chinesische Widerstand ihm keinentödlichen Schlag versetzt und solange Japan über noch einigermaßenstarke Armeen verfügt, muß es darauf ausgehen, Südostasien oder Sibirien oder auch beide anzugreifen. Diese Angriffe werden erfol-

gen, sobald ein Krieg in Europa ausbricht; das haben sich die politi-schen Führer Japans in ihren von den Wünschen der herrschendenKlassen diktierten Berechnungen im großen Stil auskalkuliert. Natür-lich besteht auch die Möglichkeit, daß Japan seinen ursprünglichenPlan, in Sibirien einzumarschieren, fallenlassen und eine im wesent-lichen defensive Haltung gegenüber der Sowjetunion einnehmenmuß dafür sprächen die Macht der Sowjets und die ernste Schwä-

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chung, die Japan sich selbst durch seinen Krieg gegen China zuge-fügt hat. Doch in diesem Fall wird es in seinen Angriffen gegen Chi-

na nicht nachlassen, sondern sie im Gegenteil noch intensivieren,weil ihm dann kein anderer Weg mehr übrigbleibt, als den schwa-chen Gegner zu schlucken. Dann aber wird Chinas Aufgabe, amWiderstandskrieg, der Einheitsfront und der Strategie des lange dau-ernden Krieges festzuhalten, wichtiger sein als je zuvor, und mehr denn je wird es darauf ankommen, daß wir keinen Augenblick langin unseren Bemühungen erschlaffen.112. Die wichtigsten Bedingungen für einen Sieg Chinas über Japansind unter diesen Umständen eine die ganze Nation umfassende Ei-nigkeit und ein Fortschritt auf allen Gebieten, der zehnmal oder so-gar hundertmal rascher vor sich gehen muß als bisher. China befindetsich bereits in einer Ära des Fortschritts und ist zu einer großartigenEinigkeit gelangt; doch trotzdem reichen dieser Fortschritt und dieseEinigkeit noch nicht aus. Wenn Japan so große Teile unseres Landes

 besetzen konnte, dann hat es das teilweise seiner eigenen Kraft, aber 

auch teilweise der Schwäche Chinas zu verdanken. Diese Schwächeist das Ergebnis all der verschiedenen historischen Irrtümer der letz-ten hundert Jahre und insbesondere der letzten zehn Jahre, die denFortschritt auf seine gegenwärtigen Grenzen beschränkt haben. Es istunmöglich, einen so starken Feind zu besiegen, ohne sich einer au-ßerordentlichen und langwierigen Anstrengung zu unterziehen. Esgibt viele Dinge, um die wir uns bemühen müssen; ich möchte mich

hier nur mit zwei grundlegenden Fragen beschäftigen; dem Fort-schritt der Armee und dem Fortschritt des Volkes.113. Die Reform unserer Armee schließt ihre Modernisierung undeine verbesserte technische Ausrüstung ein, ohne die wir den Feindniemals über den Yalu-Fluß zurücktreiben können. Und was denEinsatz unserer Truppen betrifft, so müssen wir uns einer fortschritt-lichen, beweglichen Strategie und ebensolcher Taktiken befleißigen,

ohne die ein Sieg ebenfalls nicht errungen werden kann. Dennochsind die Soldaten die Grundlage einer Armee. Solange sie nicht voneinem fortschrittlichen politischen Geist erfüllt sind und solangeihnen ein solcher Geist nicht durch fortschrittliche politische Arbeiteingeflößt wurde, läßt sich eine echte Einheit zwischen Offizierenund Mannschaften nicht erreichen, kann die Begeisterung für unse-ren Widerstandskrieg nicht zu voller Kraft entfacht werden, wird sich

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eine verläßliche Basis für die wirksamste Anwendung unserer tech-nischen Ausrüstung und taktischen Maßnahmen nicht errichten las-

sen. Wenn wir sagen, daß Japan trotz seiner technischen Überlegen-heit zum Schluß doch der Unterlegene sein wird, so meinen wir da-mit, daß die Schläge, die wir unserem Feind durch Vernichtungs-und Zermürbungskämpfe zufügen, nicht nur Verluste seinerseits zur Folge haben, sondern mit der Zeit den Kampfgeist seiner Armee, der ihrer Ausrüstung nicht ebenbürtig ist, erschüttern werden. Bei unsdagegen wissen sich Offiziere und Mannschaften einig im Verfolgender politischen Ziele unseres Widerstandskrieges. Diese Tatsacheliefert uns die Grundlage für eine politische Propaganda in allen ge-gen Japan eingestellten Schichten. Der Armee muß eine gehörigePortion demokratischen Geistes eingeimpft werden, vor allem da-durch, daß wir die feudalen Praktiken des Einschüchterns und Schla-gens abschaffen und Kommandeure und Mannschaften dazu bringen,gute und böse Tage redlich miteinander zu teilen. Wenn das erreichtist, wird Einigkeit zwischen Kommandeuren und Mannschaften herr-

schen, die Kampfkraft der Armee wird entscheidend angestiegen seinund keiner wird mehr daran zweifeln können, daß wir imstande sind,den langen, grausamen Krieg zu überstehen.114. Die reichste Kraftquelle der Kriegführung liegt in den Volks-massen. Wenn Japan wagt, uns zu tyrannisieren, so vor allem des-halb, weil unsere Volksmassen noch so wenig organisiert sind. Istdieser Mangel erst einmal behoben, dann wird der japanische Ein-

dringling wie ein wilder Stier, der in einen Flammenring eingebro-chen ist, sich von Hunderten von Millionen Chinesen umgeben se-hen. Der bloße Ton ihrer Stimmen wird ihn mit Entsetzen erfüllen,und er wird in diesem Ring verbrennen. Chinas Armeen müssen eineununterbrochene Verstärkung erfahren, die Mißstände der Preßpa-trouillen und der gekauften Ersatzmänner 30, die in den unterenSchichten noch bestehen, müssen augenblicklich abgeschafft und

durch eine allseitige und begeisterte politische Aktivierung ersetztwerden, die uns Millionen von Freiwilligen zuführen wird. Wir ha- ben heute große Schwierigkeiten, das für den Krieg nötige Geld auf-zubringen, doch wenn das Volk erst einmal aktiviert ist, wird dieFinanzierung des Krieges kein Problem mehr sein. Warum sollte esauch einem so großen und volkreichen Land wie China an Geldmangeln? Die Armee muß mit dem Volk so verschmelzen, daß die-

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ses sie als seine eigene Armee ansieht. Eine solche Armee wird un- besiegbar sein, und eine imperialistische Macht wie Japan wird sich

mit ihr nicht messen können.115. Viele Leute meinen, falsche Methoden seien für die gespannteBeziehung zwischen Kommandeuren und Soldaten sowie zwischender Armee und dem Volk verantwortlich zu machen; doch ich haltedem immer entgegen, daß es sich hier um eine Frage der Grundhal-tung (oder eines Grundprinzips) des Respekts vor den Soldaten unddem Volk handelt. Diese Haltung ist es, aus der sich die verschiede-nen politischen Richtungen und Methoden ergeben. Wenn wir unsvon ihr lossagen, werden mit Sicherheit falsche politische Methodenund Formen überhandnehmen, und die Beziehungen zwischenKommandeuren und Soldaten sowie zwischen Armee und Volk müs-sen sich unbefriedigend gestalten. Mit unserer politischen Arbeitinnerhalb der Armee verfolgen wir vor allem drei Ziele: erstens dieEinigkeit zwischen Kommandeuren und Soldaten, zweitens die Ei-nigkeit zwischen Armee und Volk und drittens die Zerstörung der 

feindlichen Streitkräfte. Um diese drei Prinzipien wirksam anwendenzu können, müssen wir von dieser Grundhaltung des Respekts vor den Soldaten und dem Volk ausgehen und müssen hierzu noch denRespekt vor der Menschenwürde der Kriegsgefangenen fügen, so-

  bald sie die Waffen niedergelegt haben. Wer in alledem nur reintechnische Fragen und nicht eine Frage der Grundhaltung sieht, istim Irrtum und sollte seine Ansichten revidieren.

116. In diesem Augenblick, da die Verteidigung von Wuhan undanderen Orten akut geworden ist, erweist es sich von äußerster Wich-tigkeit, daß wir in der ganzen Armee und im ganzen Volk eine Be-geisterung wachrufen, die alle veranlaßt, sich ganz und gar aktiv inden Dienst des Krieges zu stellen. Es kann kein Zweifel daran beste-hen, daß die Aufgabe, Wuhan und die anderen Orte zu verteidigen,ernsthaft gestellt und ernsthaft erfüllt werden muß. Ob wir diese Orte

  jedoch halten können, hängt nicht von unseren persönlichen Wün-schen, sondern von den konkreten Bedingungen ab. Zu den wichtig-sten dieser Bedingungen gehört die politische Aktivierung und Mobi-lisierung der ganzen Armee und des ganzen Volkes. Wenn wir nichtenergische Anstrengungen machen, alle diese Bedingungen zu erfül-len, ja, selbst wenn wir nur eine dieser Bedingungen außer acht las-sen, werden sich unweigerlich solche Katastrophen, wie der Verlust

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von Nanking und anderer Orte, wiederholen. Jene Orte jedoch, wodiese Bedingungen erfüllt sind, wird China zu seinem Madrid ma-

chen. Bisher hat China noch kein Madrid aufzuweisen, und darumsollten wir von nun an bemüht sein, mehrere Madrids zu schaffendoch all das hängt, wie gesagt, von bestimmten Bedingungen ab,deren wesentlichste die Mobilisierung der ganzen Armee und desganzen Volkes ist.117. Bei allem, was wir tun, müssen wir stets darauf bedacht sein,die Nationale Einheitsfront gegen Japan zu bewahren. Denn nur mitdieser Politik können wir den Widerstandskrieg und die Strategie desverlängerten Krieges aufrechterhalten, eine allseitige und durchgrei-fende Verbesserung der Beziehungen zwischen Kommandeuren undSoldaten sowie zwischen der Armee und dem Volk zuwege bringenund in der ganzen Armee wie im ganzen Volk die nötige Begeiste-rung entfachen, damit sich alle aktiv für die Verteidigung der unsnoch verbliebenen Gebiete und für die Rückeroberung der verlorenenGebiete einsetzen und so schließlich den Sieg erringen.

118. Diese Frage der politischen Mobilisierung von Armee undVolk ist wirklich von größter Wichtigkeit. Wir haben sie auf dieGefahr hin, uns zu wiederholen, sehr ausführlich behandelt, ebenweil ein Sieg ohne eine solche Mobilisierung nicht möglich ist.Selbstverständlich ist für den Sieg noch die Erfüllung mancher Vor-aussetzung nötig, doch diese ist die grundlegendste von allen. Diegegen Japan gerichtete Nationale Einheitsfront schließt das ganze

Volk und die ganze Armee ein sie ist bestimmt nicht nur eine Ein-heitsfront der Hauptquartiere und der Mitglieder einiger politischer Parteien. Unser Hauptziel bei der Errichtung der gegen Japan gerich-teten Nationalen Einheitsfront ist die Mobilisierung und Einbezie-hung der gesamten Armee und des gesamten Volkes.

Zusammenfassung

119. Zu welchen Folgerungen sind wir gelangt?«Unter welchen Bedingungen kann das chinesische Volk Ihrer An-sicht nach die japanischen Streitkräfte schwächen und schlagen?»«Drei Bedingungen werden unseren Erfolg gewährleisten: erstens dieBildung der Nationalen Einheitsfront gegen den japanischen Impe-rialismus in China; zweitens die Bildung einer gegen Japan gerichte-

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ten Welt-Einheitsfront; drittens das Anschwelen der revolutionärenBewegung im japanischen Volk und in den japanischen Kolonien.

Die wichtigste dieser Bedingungen ist die Einigung des chinesischenVolkes.»«Wie lange wird ein solcher Krieg dauern?» «Das hängt von der Stärke der chinesischen Volksfront und von vielen anderen bedin-genden Faktoren in China und Japan ab ...»«Falls diese Bedingungen sich nicht erfüllen lassen, wird der Kriegzwar sehr lange dauern, aber am Ende wird Japan ebenfalls als Be-siegter und China als Heger dastehen; nur werden viel größere Opfer gebracht werden müssen, und :s wird eine schwere Zeit für die ganzeWelt sein.»«Unsere Strategie sollte darauf ausgerichtet sein, unsere Hauptstreit-kräfte im Bewegungskrieg auf einer ausgedehnten, sich ständig ver-schiebenden und nicht klar begrenzten Front einzusetzen. Für denErfolg einer solchen Strategie st ein hoher Grad von Beweglichkeitin schwierigem Geländer erforderlich.»

«Neben den ausgebildeten Armeen für den Bewegungskrieg müssenwir unier der Landbevölkerung eine große Anzahl von Guerillaein-heiten organisieren und ausrüsten.»«Schließlich wird ein Punkt erreicht sein, an dem es immer leichter möglich lein wird, den japanischen Armeen unter Benutzung vonBefestigungsanlagen und tiefen Schützengräben einen Stellungskriegzu liefern, da die technische Ausrüstung der gegen Japan angetrete-

nen Kräfte im Verlauf des Krieges außerordentlich verbessert werdenwird ... Japans Wirtschaft wird unter dem Druck der langen und kost-spieligen Besetzung Chinas zerbrechen, und die Moral seiner Trup-

 pen wird eines Tages der Belastung durch die zahllosen, aber unent-schiedenen Schlachten nicht mehr gewachsen sein. Aus den großenSammelbecken an Menschenmaterial innerhalb des revolutionärenchinesischen Volkes aber werden noch immer Menschen strömen,

die bereit sind, an unseren Fronten für ihre Freiheit zu kämpfen. Allediese und noch andere Faktoren werden den Lauf des Krieges beein-flussen und uns befähigen, die letzten und entscheidenden Angriffegegen die Befestigungen und strategischen Basen der Japaner zuführen und die japanische Besatzungsarmee aus China zu verjagen.»(Aus einem Interview mit Edgar Snow im Juli 1936.)«Ein neues Stadium der politischen Situation Chinas hat begonnen...

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Die Hauptaufgabe des gegenwärtigen Stadiums ist die Mobilisierungaller Kräfte zur Erringung des Sieges im Widerstandskrieg.»

«Der Schlüssel zum Sieg ist die Entwicklung des bereits begonnenenWiderstandskrieges zu einem totalen Krieg der ganzen Nation gegenJapan. Nur ein solcher totaler Krieg der ganzen Nation kann uns denSieg bringen.»«Da unser Widerstandskrieg noch viele ernste Schwächen aufweist,können in seinem künftigen Verlauf noch manche Schwierigkeitenauftreten Rückschläge und Rückzüge, innere Spaltungen und Verrä-tereien, vorübergehende und teilweise Zugeständnisse. Wir müssenuns deshalb darüber klar sein, daß es ein harter, sich lang hinziehen-der Krieg sein wird. Wir sind jedoch der Überzeugung, daß unser Widerstandskrieg, der bereits begonnen hat, durch die Anstrengun-gen der Partei und des ganzen Volkes mit Sicherheit alle Hindernisseüberwinden und weiter fortschreiten und sich entwickeln wird.»(«Beschluß über die gegenwärtige Situation und die Aufgaben der Partei», angenommen durch das Zentralkomitee der Kommunisti-

schen Partei Chinas, August 1937.)Dies sind unsere Folgerungen. In den Augen derer, die eine nationaleUnterjochung prophezeien, sind unsere Feinde Übermenschen unddie Chinesen verächtliche Kerle, während in den Augen derer, dieeinen raschen Sieg prophezeien, die Chinesen Übermenschen, dieJapaner hingegen nichtswürdige Kerle sind. Beide haben unrecht.Wir vertreten einen anderen Standpunkt: Der Widerstandskrieg ge-

gen Japan ist ein verlängerter Krieg, in dem China schließlich denSieg erringen wird. Das sind unsere Folgerungen.120. Meine Vorträge sind hiermit beendet. Der große Widerstands-krieg gegen Japan nimmt seinen Fortgang, und viele erhoffen sicheine Zusammenfassung der Erfahrungen, die uns helfen kann, einenvollständigen Sieg zu erringen. Das, was ich hier vorgetragen habe,ist nichts als die allgemeine Erfahrung der letzten zehn Monate, und

sie mag eine Art Zusammenfassung darstellen. Das Problem des langandauernden Krieges verdient, überall beachtet und diskutiert zuwerden. Ich habe hier lediglich eine Skizze angefertigt, die Sie, wieich hoffe, untersuchen, diskutieren, verbessern und erweitern wer-den.

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Anmerkungen

1. Diese Theorie einer unausweichlichen nationalen Unterjochungwurde von der Kuomintang vertreten. Die Kuomintang war nichtwillens, China zu verteidigen, und konnte nur unter Druck dazu ge-

 bracht werden, gegen Japan zu kämpfen. Nach dem Zwischenfall beiLukouchiao am 7. Juli 1937 beteiligte sich die Clique um TschiangKai-schek widerwillig am Widerstandskrieg, während die Clique umWang Ching-wei die Theorie der nationalen Unterjochung verkünde-

te und bereit war, Japan gegenüber zu kapitulieren und dies später auch tat. Allerdings war die Idee einer unausweichlichen nationalenUnterjochung nicht nur in den Kreisen der Kuomintang maßgebend;sie setzte sich auch in gewissen Teilen der mittleren Bevölkerungs-schichten und sogar bei einigen rückschrittlichen Elementen der Ar-

  beiterschaft durch. Als die korrupte und unfähige Kuomintang-Regierung eine Schlacht nach der anderen verlor und die japanischen

Truppen im ersten Jahr des Widerstandskrieges ungehindert bis indie Nähe von Wuhan vordringen konnten, bemächtigte sich vieler rückschrittlicher Chinesen ein tiefer Pessimismus.2. Auf derartige Ansichten stieß man innerhalb der Kommunisti-schen Partei. Während der ersten sechs Monate des Widerstandskrie-ges bestand hier die Tendenz, den Feind zu unterstützen, und einigeParteimitglieder vertraten die Meinung, Japan könne mit einem ein-zigen Schlag erledigt werden. Dabei hielten sie nicht etwa unsere

eigenen Kräfte für so stark, da sie ja genau wußten, daß die von der Kommunistischen Partei geführten Truppen und organisiertenVolkseinheiten zahlenmäßig noch sehr gering waren, sondern siesetzten ihre Zuversicht auf den Widerstand, den die Kuomintanggegen Japan begonnen hatte. Ihrer Ansicht nach war die Kuomintangsehr mächtig und durchaus imstande, gemeinsam mit der Kommuni-stischen Partei den Japanern wirkungsvolle Schläge zu versetzen. Sie

sahen an der Kuomintang nur die eine Tatsache, daß sie nämlichJapan Widerstand leistete, bedachten jedoch nicht, daß sie korruptund reaktionär war, und gelangten so zu einer falschen Einschätzung.3. Dies war die Ansicht Tschiang Kai-scheks und seiner Kumpane.Obgleich sie gezwungen waren, Japan Widerstand zu leisten, richte-ten Tschiang Kai-schek und die Kuomintang ihre Hoffnungen doch

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einzig auf eine rasche Hilfe aus dem Ausland und hatten keinerleiZutrauen zu ihrer eigenen Kraft, geschweige denn zu der Kraft des

Volkes.4. Taierhchuang ist eine Stadt im nördlichen Shantung. Im März1938 lieferten die Chinesen hier den japanischen Eindringlingen eineSchlacht. Sie stellten der 70 000 bis 80 000 Mann starken japani-schen Armee 400 000 Mann gegenüber und schlugen damit die Japa-ner.5. Diese Ansicht wurde in einem Leitartikel des Ta Kung Pao, desdamaligen Organs der Gruppe für Politische Wissenschaften in der Kuomintang, vertreten. Diese Gruppe machte den Wunsch zum Va-ter des Gedankens und meinte, daß noch einige Siege, wie der beiTaierhchuang, Japans Vormarsch Einhalt gebieten würden, so daß esnicht nötig sein würde, das Volk für einen langdauernden Krieg, der die Sicherheit ihrer eigenen Klasse gefährden mußte, zu organisieren.Dieser vom Wunsch beeinflußte Gedankengang wurde damals vonder ganzen Kuomintang geteilt.

6. Der Text basiert auf Edgar Snows Buch <Red Star over China>.Einige Änderungen hierzu wurden an Hand der chinesischen Veröf-fentlichung des Interviews angebracht.7. Die Reformbewegung von 1898, deren führende Köpfe Kang Yu-wei, Liang Chi-chao und Tan Sze-tung waren, repräsentierte dieInteressen eines Teils des liberalen Bürgertums und der Grundeigen-tümer. Begünstigt und unterstützt wurde diese Bewegung durch den

Kaiser Kuang Hsu, die Volksmassen dagegen hingen ihr nicht an.Yuan Shih-kai, der eine Armee hinter sich hatte, verriet die Reformi-sten an die Kaiserinwitwe Tzu Hsi, die Anführerin der extremenKonservativen, die nun wieder die Macht ergriff, den Kaiser KuangHsu einsperren und Tan Sze-tung sowie fünf andere Reformistenfüh-rer enthaupten ließ. So endete die Bewegung mit einer tragischen

 Niederlage.

8. Am 16. Januar 1938 erklärte das japanische Kabinett in einer förmlichen Verlautbarung, daß Japan China gewaltsam unterwerfenwerde. Gleichzeitig versuchte es, die Kuomintang-Regierung durchDrohungen und Schmeicheleien zur Kapitulation zu bewegen, underklärte, wenn die Kuomintang-Regierung «weiterhin den Wider-stand plane», werde die japanische Regierung eine neue Marionet-tenregierung in China einsetzen und bei Verhandlungen die Kuomin-

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tang nicht länger als «die andere Partei» anerkennen.9. Bezieht sich hauptsächlich auf die Kapitalisten in den Vereinigten

Staaten.10. Bezieht sich auf die Regierungen der imperialistischen StaatenGroßbritannien, Amerika und Frankreich.11. Genosse Mao Tse-tungs Voraussage, daß China einen Auf-schwung erfahren werde, sobald der Verteidigungskrieg in ein Stadi-um des Stillstands getreten sei, bewahrheitete sich voll und ganz inden der Kommunistischen Partei Chinas unterstehenden befreitenGebieten. In den von der Kuomintang beherrschten Gebieten aller-dings war anstatt des Aufschwungs ein Rückgang zu beobachten, dadie von Tschiang Kai-schek angeführte herrschende Clique sich pas-siv verhielt, wenn es um den Widerstand gegen Japan ging, jedochaktiv, wenn es um den Widerstand gegen die Kommunistische Parteiund das Volk ging. Diese Haltung erregte die Empörung der breitenVolksmassen und ließ ihr politisches Bewußtsein reifen.12. Nach dem Grundsatz «die Waffen entscheiden alles» hätte Chi-

na, das hinsichtlich seiner Bewaffnung Japan unterlegen war, in die-sem Krieg besiegt werden müssen. Das war auch die Ansicht aller Führer der Kuomintang einschließlich Tschiang Kai-scheks.13. Vgl. 'Strategische Fragen im Guerillakrieg gegen Japan', Anm. 9,S. 135.14. Sun Wu-kung ist der Affenheld des aus dem 16. Jahrhundertstammenden chinesischen Romans <Pilgerfahrt nach Westen>. Er 

konnte mit einem Purzelbaum die Strecke von 108 000 Li zurückle-gen. Als Buddha ihn jedoch in seiner Hand hielt, konnte er nichtentwischen, so viele Purzelbäume er auch schlug. Mit einer raschenHandbewegung verwandelte Buddha seine Finger in den fünfgipfli-gen Berg der Fünf Elemente und begrub Sun Wu-kung darunter.15. «Faschismus ist ungezügelter Chauvinismus und räuberischer Krieg», sagt Genosse Georgij Dimitrow in seinem Bericht mit dem

Titel <Die faschistische Offensive und die Aufgaben der Kommuni-stischen International, den er bei der Kommunistischen Internationa-le im August 1935 vorlegte. Im Juli 1937 veröffentlichte GenosseDimitrow einen Artikel mit dem Titel Faschismus ist Krieg».16. Lenin, (Sozialismus und Krieg>, Kap. I und <Der Zusammen-

 bruch der Zweiten Internationale», Abt. 3, <Gesammelte Werke>.17. Sun Wu Tzu, Kap. 3, <Die Strategie des Angriffs> 

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18. Die Stadt Chengpu, die im heutigen Bezirk Fanhsien der ProvinzShantung liegt, war der Schauplatz einer großen Schlacht zwischen

den Staaten Tsin und Chu im Jahre 632 v. Chr. Bei Beginn der Schlacht gewannen die Truppen von Chu die Oberhand. Nachdemdie Truppen von Tsin sich um 90 Li zurückgezogen hatten, griffensie die schwachen Stellen des Feindes, nämlich seine rechte undlinke Flanke, an und brachten ihm eine schwere Niederlage bei.19. Vgl. (Strategie des chinesischen revolutionären Krieges», Anm.25, S. 101.20. Im Jahre 204 v. Chr. führte Han Hsin, ein General des StaatesHan, seine Truppen in eine große Schlacht gegen Chao Hsieh beiChinghsing. Chao Hsiehs Armee war, wie es hieß, 200000 Mannstark, also mehrere Male so groß wie die Hans. Han Hsin stellte seineTruppen mit dem Rücken zum Fhrß in Gefechtsformation auf, führtesie in einen heldenhaften Kampf und sandte gleichzeitig mehrereEinheiten aus, die das schwach besetzte feindliche Hinterland angrei-fen und erobern sollten. Chao Hsiehs Truppen, die so in die Zange

genommen waren, erlitten eine schmähliche Niederlage.21. Vgl. (Strategie des chinesischen revolutionären Krieges», Anm.26, S. 101.22. Vgl. ebd., Anm. 27, S. 101.23. Vgl. ebd., Anm. 28, S. 102.24. Vgl. ebd., Anm. 29, S. 10225. Vgl. ebd., Anm. 30, S. 102.

26. Im Jahre 383 n. Chr. griff Fu Chien, der Regent des StaatesChin, die Truppen von Chin an, deren Stärke er unterschätzt hatte.Die Truppen von Tsin schlugen die vorrückenden Einheiten desFeindes bei Lochien im Bezirk Shouyang der Provinz Anhwei unddrangen zu Wasser und zu Lande vor. Fu Chien, der auf die Stadt-mauer von Shouyang gestiegen war, von hier aus den glänzendenAufmarsch der Truppen von Tsin beobachtete und dabei jeden Busch

und jeden Baum auf dem Pakungberg für einen feindlichen Soldatenansah, war erschrocken über die scheinbare Stärke des Feindes. Vgl.(Strategie des chinesischen revolutionären Krieges», Anm. 30, S.102.27. Bezieht sich auf die Tatsache, daß Tschiang Kai-schek undWang Chingwei, nachdem sie die erste nationale demokratische Ein-heitsfront der Kuominlang und der Kommunistischen Partei im Jahre

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1927 verraten hatten, einen zehnjährigen Krieg gegen das Volk be-gannen und es den Chinesen dadurch unmöglich machten, sich auf 

 breiter Basis zu organisieren. Die von Tschiang Kai-schek angeführ-ten Reaktionäre der Kuomintang sind für diese Fehler verantwort-lich.28. Herzog Hsiang von Sung regierte in der Frühlings- und Herbst-ära. Im Jahre 638 v. Chr. war der Staat Sung in einen Krieg mit demmächtigen Staat Chu verwickelt. Die Streitkräfte von Sung hattensich bereits in Schlachtposition aufgestellt, als die Truppen von Chuden Fluß überquerten. Einer der Offiziere von Sung meinte, daß jetzt,da die Truppen von Sung in der Überzahl seien, der gegebene Au-genblick für einen Angriff gekommen sei. Aber der Herzog erwider-te: «Nein, ein Ehrenmann darf nie einen unvorbereiteten Feind an-greifen.» Als die Truppen von Chu den Fluß überquert, aber ihreSchlachtaufstellung noch nicht vollendet hatten, schlug der Offizier noch einmal vor, man möge unverzüglich angreifen; aber wieder entgegnete der Herzog: «Nein, ein Ehrenmann darf nie eine Armee

angreifen, die ihre Schlachtaufstellung noch nicht beendet hat.» Der Herzog gab den Befehl zum Angriff erst dann, als die Truppen vonChu endgültig für den Kampf gerüstet waren. Das Ergebnis war, daßdie Truppen von Sung eine schwere Niederlage erlitten und der Her-zog selbst verwundet wurde.29. Han Fu-chu, ein Kriegsherr der Kuomintang, war mehrere JahreGouverneur von Shantung. Als die Japaner nach der Besetzung von

Peiping und Tientsin im Jahre 1937 entlang der EisenbahnlinieTientsin-Pukow nach Norden gegen Shantung vorstießen, floh HanFu-chu von Shantung bis nach Honan, ohne den Eindringlingen auchnur eine einzige Schlacht zu liefern.30. Die Kuomintang erhöhte den Truppenbestand ihrer Armee durchPreßpatrouillen. Ihre Soldaten und Polizeibeamten nahmen überallMänner fest, banden sie mit Stricken aneinander und behandelten sie

wie überführte Verbrecher. Wer Geld besaß, konnte die Offiziere der Kuomintang bestechen oder einen Ersatzmann bezahlen.