Marcel Lepper Foucaults Skepsis - z-i-g.de · PDF file117 Paul Veyne: Foucault. Sa pensée, sa personne. Paris: Albin Michel, Bibliothèque Idées, 2008, 216 S . Muss man sich Michel

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    Paul Veyne: Foucault. Sa pense, sa personne. Paris: Albin Michel, Bibliothque Ides, 2008, 216 S.

    Muss man sich Michel Foucault als Skeptiker vorstellen? Dies jedenfalls legt Foucaults lang-jhriger Historikerkollege und Weggefhrte Paul Veyne in seinem persnlich gefassten intellektu-ellen Portrait nahe. Damit greift Veyne, wie er selbst eingesteht, das Urteil des amerikanischen Philosophen John Rajchman auf, der bereits 1985 konstatierte, Foucault sei der groe Skeptiker un-serer Epoche. Skeptizismus meint hier, das versteht sich, keine philosophiegeschichtlich konturierbare Tradition, sondern, in einem weniger strikten Sinne, unterschiedliche Formen des Antidogmatis-mus und Antiessentialismus. Eine solche Charakte-risierung der philosophischen Position lebt von Verneinungen: Nein, Foucault sei kein Historist ge-wesen, nein, auch kein Linker, kein Freudianer, nicht Marxist, nicht Heideggerianer, weder Bour-dieu-Leser noch Figaro-Abonnent. Auch das Struktu-ralismus-Dementi, das bekanntlich zum integralen Bestand strukturalistischer Theoriebildung gehrte, bleibt nicht aus. Veyne appliziert das skeptische Programm, das er seinem Gegenstand zu entlocken glaubt, auf diesen selbst, indem er sich htet, ihn zu fassen. Foucault, der Listenreiche eine home-rische Einladung zur erneuten Foucault-Lektre.

    In elf Kapiteln, die nach diskursiven Zusammen-hngen, nicht nach historischen Stationen angeord-net sind, entkommt Veyne der bloen Negation, in-dem er eine Reihe intellektueller Vergleichsfi guren aufbietet: Augustinus, Nietzsche, Heidegger, vor allem aber, und dies ist vielleicht die am wenigsten

    erwartbare Nachbarschaft, Max Weber (S. 5557). Foucault selbst habe Weber als Rationalisierungs-theoretiker verkannt und den Nominalisten Weber nicht genau genug gelesen. In welchem Verhltnis freilich Diskursbegriff und Idealtypenlehre konkret zueinander stehen, enthlt auch Veyne dem Leser vor. Ungleich verteilt sind die Kapitel: Geschichte, Anthropologie, Soziologie, Politik erweisen sich als disziplinre Gliederungen, die Veyne zugun-sten sentenzis zugespitzter Thesen zurckstellt: Tout est singulier dans lhistoire universelle. Und: Il nest da priori quhistorique. Man wnschte sich Przision, wo Veyne fl chtig skizziert. Dass Foucault zur Methodologie der Annales in ge-spanntem Verhltnis steht, ist bekannt; aber wenn Kosellecks Studien zur Historik zitiert werden, wre man fr Erluterungen dankbar (S. 26). Frucht-bar sind hingegen die Bemerkungen zu Wlffl in, dessen Bedeutung nicht nur fr den sthetischen Diskurs in Frankreich, sondern auch fr die Vor-geschichte strukturalistischer Theoriebildung lan-ge Zeit unterschtzt wurde. Der Wlffl in-Leser Foucault bemerkt, so zeigt Veyne, dass die Her -aus forderung, Geschichte ohne Eigennamen zu schreiben, ihre eigene komplexe Vorgeschichte hat (S. 151153).

    Der Skeptiker Foucault, das leugnet Veyne nicht, verbirgt unvermeidlich den Dezisionisten. Auf-merksamkeit verdient die Kampfmetaphorik: Le combat, et non la raison, est une relation essentielle de la pense (S. 58). Unverhohlen nietzscheanisch erscheint ein Ethos der intellektuellen Streitbarkeit wenn es nicht ausgerechnet jener aristokratischen Tugend zum Verwechseln hnlich she, wie sie in den elitren Zirkeln der normaliens eingebt wurde. Foucault, ein Samurai? Nur eine Verfremdung der humanistischen Metapher von der spitzen Feder, die wie ein Degen gefhrt wird? Veyne entleiht den Ehrentitel kriegerischer Eleganz bei Jean-Claude Passeron. Solche fernstliche Verkleidung hat seit den Lumires ihren Reiz. Gezielt werden nicht die chinesisch-staatstragenden Mandarine Simone de

    Marcel Lepper

    Foucaults Skepsis Ein Portrait von Paul Veyne

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    Beauvoirs aufgerufen, sondern die gefahrliebenden japanischen Schwertaristokraten. Die Anspielung entbehrt brigens nicht eines historischen Hinter-grunds. Foucault lie sich 1978 in die Traditionen des kaiserlichen Japan einfhren. Maurice Pinguet, einer von Foucaults Vertrauten, schrieb ber den Freitod in Japan. Anders als bei Lvi-Strauss oder Barthes bleibt Foucaults Japanophilie freilich voller Vorbehalte.

    Warum dieses Portrt? Gilles Deleuze hat seinen Foucault geschrieben, Maurice Blanchot desgleichen. In deutscher Sprache bleibt Ulrich Johannes Schnei-ders intellektuelle Biographie (2004), die von Veyne zitiert wird (S. 47), unberboten. An Foucault-Lite-ratur besteht seit dem Erscheinen von Michel Fou-cault, un parcours philosophique (1984) und Michel Fou-cault philosophe (1989) kein Mangel. Diese Bemerkung ist schon deshalb nicht verzichtbar, weil Veyne noch zu Lebzeiten seines Helden ein wichtiges Kapitel beigetragen hat: Foucault rvolutionne lhistoire (in: ders.: Comment on crit lhistoire, Paris 1978, S. 201242). Schon dort hatte er gleich zu Beginn festgestellt, dass man Foucault nicht als Lacanianer missverstehen drfe und ihn, den Philosophen, als einen der grten zeitgenssischen Historiker gepriesen.

    Es wird anderen berlassen bleiben, das metho-dische Befremden, das Veyne aus Foucaults Dits et crits herausprpariert, auf den lngst in die Jahre gekommenen foucaldisme selbst konsequenter anzu-wenden. Soeben erschienen ist das von Judith Revel besorgte Dictionnaire Foucault (Paris: Ellipses, 2008), das nicht nur Genealogie, Archiv und Biopoli-tik lemmatisiert, sondern auch ber einen Artikel Iran verfgt. Das neue Foucault-Handbuch (Stutt-

    gart: Metzler, 2008) verspricht, seinen eigenen Bei-trag zur Theoriebilanz zu leisten. Paul Veyne fgt dem in systematischer Hinsicht nichts hinzu, leis-tet sich hingegen die Freiheit einer Akzentuierung, die Foucault aus den Niederungen kulturwissen-schaftlicher Einfhrungsmonographien zu retten, seine Denkstrategien wieder zu verfl ssigen ver-mag. Das ideenpolitische Portrt zeigt zugleich die Mglichkeiten einer Gattung, die sich weder der ar-gumentativen Strenge einer systematischen Studie noch der bibliographischen Akuratesse eines Hand-buchs verpfl ichtet wissen muss. Bewandert in der Kunst des scheinbar Kunstlosen, breitet Veyne sei-ne berlegungen und Schilderungen aus, die, wie nebenbei, das Verhltnis von Ideengeschichte und intellektuellem Habitus mitrefl ektieren; so steckt doch mehr Bourdieu in diesen Zeilen, als Veyne zugeben wrde.

    Der Althistoriker Veyne hat ein persnliches Buch geschrieben, das gerade durch seine perspekti-vischen Einseitigkeiten und die wiederkehrenden Beispiele aus der rmischen Geschichte glaubwr-dig wird, dabei freilich von geflligen Anekdoten und Eitelkeiten nicht ganz frei bleibt. Noblesse zeigt sich dort, wo Veyne sich Posen historischer Herab-lassung nicht gestattet. Zur Beantwortung der Fra-ge, von welchem Standort aus der Diskursarcholo-ge sich denn zu sprechen anmae, zitiert er Foucault: Il rpond humblement que cest partir de son propre discours (S. 129). Veyne verrt sei-nen Begleiter von der rue dUlm bis zum Collge de France nicht an den gigantischen Friedhof der groen toten Wahrheiten (S. 25), auf dem Foucault selbst zu Lebzeiten so unermdlich gegraben hat. Am Ende, im Sinne Montaignes: ein Buch ber die Freundschaft.

    Konzept & Krititk