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Marcin Barcz, Nils-Eyk Zimmermann (Hrg.)€¦ · schrift Tygodnik Powszechny (TP). Nach seinem Rauswurf aus der Stolica-Redaktion wegen eines Konflikts mit der staatlichen Zensur

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Marcin Barcz, Nils-Eyk Zimmermann (Hrg.)

Demokratie, Patriotismus,

Dialog

Über Władysław Bartoszewski

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Zur Verfügung gestellt und gerne geteilt von der Bartoszewski-Initiative und Bartoszewski.info http://bartoszewski.info

Redaktion: Nils-Eyk Zimmermann, Marcin BarczKorrektur: Weronika Priesmeyer-TkoczGestaltung: Nils-Eyk Zimmermann

Alle Rechte liegen, soweit nicht anders angegeben, bei den Autoren der einzelnen Beiträge.

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz. Abweichungen davon (insbesondere die Bilder betreffend) wurden an der jeweiligen Stelle kenntlich gemacht. Mehr Informationen zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de

Berlin 2019

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INHALTVorbemerkung.........................................................................7Lebenslinien............................................................................11Journalist und Schriftsteller...............................................23Bartoszewskis Rollen in den polnisch-deutschen Beziehungen..........................................................................29Bartoszewski: Patriot und Kosmopolit.............................52Reise einer Visitenkarte.......................................................70Toleranz, Courage, Mut zum Handeln..............................72Mein Bartoszewski................................................................81Rückblick auf Władysław Bartoszewski........................107Epilog: Glaubwürdig und authentisch erinnern............111Kleine Auswahl der Veröffentlichungen.........................118Über die Autoren..................................................................123

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Vorbemerkung

Am ersten August 2019 jährt sich der Beginn des War-schauer Aufstands zum 75. Mal. Dem Ereignis wird inDeutschland auch in diesem Jahr noch zu wenig Bedeu-tung geschenkt, wie Außenminister Heiko Maas in sei-ner in Warschau gehaltenen Rede zum Anlass bemerkt:

»Nicht nur den Toten schulden wir eine ehrliche Aufar-beitung der Vergangenheit. Wir sind sie uns auch selbst schuldig,denn erst das gemeinsame Erinnern bahnt den Weg für eine ge-meinsame Zukunft. Deshalb wollen wir etwas dagegen tun, dassdas Wissen um die polnischen Opfer des Krieges in Deutschlandoft zu kurz kommt. Dass auch der Warschauer Aufstand bisheute viel zu wenig thematisiert wird, gerade in Deutschland.«

Dass wir heute überhaupt zwischen den WarschauerAufständen differenzieren können, dass den Deutschenbewusst geworden ist, dass der Krieg »im Osten« keineabstrakte Sache war, über die es in Ordnung war, zuHause zu schweigen, das hat Deutschland anfangs ehernicht seinem Historiker-Mainstream zu verdanken. Daswaren oft Menschen, die aus »dem Osten« kamen, diepublizierten und die die kritische deutsche Öffentlich-keit motivierte, die richtigen Fragen zu stellen. Hierbeispielt sicherlich das Werk Władysław Bartoszewskis ei-ne wichtige Rolle.

Mit der Schilderung des Warschauer Aufstands unddes KZ Auschwitz als Zeitzeuge fing alles für ihn an,worüber in diesem Band oft die Rede sein wird.

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Später kamen weitere Verdienste Bartoszewskis umdie deutsch-polnischen Beziehungen hinzu. Er baute einpersönliches Netz in Staat, Wissenschaft und Zivilge -sellschaft und wusste dies für die demokratische polni-sche Sache und für das Erinnern an die deutschen Ver-brechen zu nutzen.

Nach der Wende begann Bartoszewski eine Alters-karriere als Diplomat und Politiker. Zum Schluss ist seinName besonders mit dem polnischen Willen zumKampf für Freiheit und Demokratie verbunden, Barto-szewski wendet sich seit 2007 offen als Liberalkonser-vativer gegen die Politik der Umgestaltung des polni-schen Staats, wie sie die PiS anstrebt. Der über 90jährigeBartoszewski zeigte, dass es sich lohnt, sich auf vielenEbenen einzusetzen: Auf Podien, im politischen Tages-geschäft und auch auf der Straße oder in Schulen undBibliotheken.

Für die Bartoszewski-Initiative war die Vielgestaltig-keit der Persönlichkeit dieses Mannes, seine Werke alsForscher und Chronist, seine Bemühungen als Intellek-tueller, Überlebender und die Geschichtspolitik Mitge-staltender Anlass, an ihn in Deutschland zu erinnern.Besonders setzen wir uns dafür ein, dass demokrati-sches Engagement in seinem Namen gefördert wird unddass der aktuellen nationalistisch gefärbten Geschichts-politik in Polen eine andere entgegengestellt wird, dievon unten getragen wird und alle Polinnen und Poleneinschließt. Bartoszewski war es immer wichtig zu beto-nen, dass die Erinnerung an den Kampf gegen die Deut-sche Gewalt allen Polinnen und Polen gehört. Ebenso istes Sache aller Deutschen und Polen, Menschen wie Bar-toszewski und ihren Werken zu erinnern.

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Hierzu möchte dieser Band beitragen. Er ist zusam-mengestellt aus Reden und Gesprächen, die im Rahmendes Ausstellungsprojekts »Władysław Bartoszewski 1922-2015« entstanden sind. Besonders zu danken ist an die-ser Stelle der Initiatorin des Projekts, Anita Baranow-ska-Koch, dem Team der Bartoszewski-Initiative undder Deutsch-Polnischen Gesellschaft Berlin.

Im Allgemeinen möchte der Band über unsere be-scheidenen Möglichkeiten hinaus zu einer reflexive(re)nBeschäftigung mit Bartoszewski anregen, die über einerein biographische Würdigung hinausgeht. Es wäreschön, wenn es mehr Forschungsinteresse an Barto-szewski gäbe, das sich mit der Wirkung, dem konkretenHandeln und den Spuren Bartoszewskis in Museums-beiräten, politischen und staatlichen Organen oder inden anderen Organisationen, für die er sich engagierte,beschäftigt. Dieses analytischere Interesse fehlt allge-mein auch in der Rezeption anderer der »großen Män-ner und Frauen« der Solidarność- und Wendezeit. Dabeizeigt sich doch Größe, je realistischer wir auf dieseMenschen blicken.

Da so manche derjenigen zum weiten Bekannten-und Freundeskreis Bartoszewskis gehörten und manWładysław Bartoszewski selbst kritischen Geist nach-sagte, würde er sich sicher auch darüber freuen.

Warschau/Berlin im August 2019Marcin Barcz, Nils-Eyk Zimmermann

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LebenslinienLeben und WirkenWładysław Bartoszewskis

Władysław Bartoszewski wurde am 19. Februar 1922 inWarschau geboren. In seiner Biographie spiegeln sichdie Zeitläufte und dramatischen Veränderungen in dereuropäischen Geschichte. Aufgewachsen im unabhängi-gen Polen, als Heranwachsender im KZ und im aktivenWiderstand gegen die deutsche Besatzung. In der Volks-republik Polen oppositionell eingestellt und nach derWende von 1989 engagiert für die polnische Integrationim neuen Europa.

Zwei für ihn elementaren Aspekten blieb Bartoszew-ski im Laufe des Lebens treu: Der Erinnerung an Ausch-witz und dem patriotischen Engagement, mit dem er alsjunger Mensch im polnischen Widerstand gegen dieDeutschen begann und das er bis zu seinem Tod 2015fortführte. Für seinem Grabstein wünschte er sich zweiWorte: »Żołnierz AK« (Soldat der Heimatarmee).

Seine Arbeit als Publizist, Diplomat und Politiker be-trachtete er als Umsetzung eines Entschlusses, den er1942 im besetzten Warschau im Beisein seines Beichtva-ters Jan Zieja fasste: Weil Gott ihm ermöglichte, Ausch-witz zu überleben, wollte er sein Leben denen widmen,die ihn am meisten brauchen. In den 1940er Jahren wardas der Weg in den Widerstand, in den Jahren daraufder Weg in die Widerständigkeit.

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Sich selbst hat er immer als Konservativen gesehen,doch eingesetzt hat er sich für eine politische Kultur inPolen, die das freie Wort schätzt, Respekt und Fairnessfür politische Gegner zeigt und die getragen wird voneiner demokratischen Bürgergesellschaft.

Als Politiker und Diplomat trug er entscheidend dazubei, dass die deutsch-polnischen Beziehungen auf eineneue Grundlage gestellt wurden. Seine Rede im April1995 im Deutschen Bundestag zeugt davon.

Wer mit Bartoszewski zusammenarbeitete schätzteseinen Humor, seinen scharfen Intellekt und sein Tem-perament. »Ich renne herum wie ein wilder Tapir«, so be-schrieb er sich selbst.

MEIN AUSCHWITZUnter diesem Titel wurde das letzte von Bartoszewski indeutscher Sprache veröffentlichte Buch 2015 veröffent-licht. Es ist zugleich ein Titel, der viel über Bartoszewskisagt. Marek Zając, ehemaliger Sekretär des Internationa-len Auschwitz-Rats, schrieb: Die Erinnerung an seine Zeitin Auschwitz sei für Bartoszewski »der Grund für seineunermüdliche Arbeit und eine große treibende Kraft« gewesen[Schäfer 2017: 21]. Am 19. September 1940 wurde er wäh-rend einer Massenverhaftung festgenommen und kamam 22. September im Konzentrationslager an. Er warpolitischer Häftling Nummer 4427.

Nach 199 Tagen und schwerer Krankheit wurde er ausdem Lager entlassen. Damals war dies noch möglich, seies, weil jemand Bestechungsgelder zahlte oder, weil Fir-men intervenierten, in denen Häftlinge angestellt wa-ren. Zur Entlassung von Bartoszewski gibt es drei Mut-maßungen: Das Rote Kreuz, für das Bartoszewski vorder Verhaftung arbeitete, sorgte für dessen Entlassung.

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Oder ein Bekannter der Mutter, ein Deutscher, konnteetwas bewegen. Es ist auch möglich, dass die PolnischeNationalbank, die Arbeitsstelle seines Vaters, seine Frei-lassung erreichte.

Nach der Entlassung begann der schwer erkrankeWładysław Bartoszewski das Erlebte zu verarbeiten undfestzuhalten. Ermutigt von seiner 1944 mit 22 Jahren er-mordeten Freundin Hanka Czaki, verfasste er mit ihr1942 den ersten Auschwitz-Bericht: Ausschwitz. PamiętnikWięźnia (Ausschwitz, Erinnerungen eines Häftlings).

Nach dem Krieg setzte er seine Dokumentationsar-beit fort. Er stellte Listen der Terroropfer der Deutschenin Warschau zusammen. Als Journalist begleitete er dieExhumierungen der Massengräber (unter anderem inden Wäldern um das Dorf Palmiry), hielt Vorlesungenund dokumentierte das Schicksal der Juden sowie derHilfe leistenden Polen. Daraus entstanden zahlreicheBücher. Bis zu seinem Lebensende engagierte sich Bar-toszewski im polnischen Gedenkstättenrat, dem Ratzum Schutz der Erinnerung an Kampf und Märtyrertum (RadaOchrony Pamięci Walk i Męczeństwa), als Vorsitzender seit2001. Nach Bartoszewskis Tod wurde der Rat 2016 aufBetreiben der Regierungspartei Prawo i Sprawiedliwość(PiS – Recht und Gerechtigkeit) aufgelöst. Er war zudem imInternationalen Auschwitz-Rat und 2011 Mitgründer derAuschwitz-Birkenau Stiftung, deren Auftrag der Erhalt unddie Restaurierung der Gedenkstätte ist.

WIDERSTAND UND BESATZUNGDoch zunächst nahm der 18-Jährige Władysław Barto-szewski nach der Entlassung Kontakt zu Widerstands-kreisen auf. Über die bereits erwähnte Hanka Czaki kamer in Kontakt zum konspirativen von der Autorin Zofia

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Kossak-Szczucka initiierten Żegota – Hilfskommittee fürJuden. Der Widerstandsorganisation schloss sich Barto-szewski unter dem Decknamen Ludwik an.

An der Verborgenen Universität studierte Bartoszewskiund begann 1942 für die im Untergrund herausgegebeneZeitschrift Prawda Młodych zu schreiben. Nun schloss ersich auch unter dem Pseudonym Teofil der Armia Krajowa(AK – Heimatarmee) an. 1944 nahm er am Warschauer Auf-stand in der Rundfunkpropaganda um den Sender Annateil. Nach der Niederschlagung war Bartoszewski unteranderem Sekretär des Informationsbulletins der AK. Erwurde dafür mit dem Tapferkeitskreuz und dem Verdienst-kreuz in Silber mit Schwertern ausgezeichnet.

NACHKRIEGSZEIT UND VOLKSREPUBLIKNach dem Krieg arbeitete Bartoszewski für die Block-partei Polnische Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe,PSL) und für deren gemäßigt oppositionelle Volkszeitung(Gazeta Ludowa).

Im nun stalinistischen Polen unter dem Regime desKommunisten Bronisław Bierut wurde er wieder inhaf-tiert. Zwischen 1946 und 1948 saß er in Warschau im Si-cherheitsamt in der Koszykowa-Straße und im Gefäng-nis in der Rakowiecka-Straße ein.

1948 konnte Bartoszewski dann an der UniversitätWarschau ein Studium aufnehmen. Dieses wurde jedochdurch eine erneute Verhaftung 1949 unterbrochen. Zwi-schen 1949 und 1954 saß Bartoszewski in Warschau, Ra-wicz und Racibórz im Gefängnis. Danach setzte er seinStudium einige Zeit fort, konnte es aber aufgrund derpolitischen Verfolgung und seiner schweren materiellenLage nicht abschließen.

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Erwähnenswert ist auch Bartoszewskis Engagementals Mitbegründer der Liga zum Kampf mit dem Rassismus(Ogólnopolska Liga do Walki z Rasizmem). Die Organisationist 1946 auf Initiative von ehemaligen Żegota-Mitglie-dern entstanden. Sie veröffentlichte nach dem blutigenPogrom von Kielce im Sommer 1946 einen Aufruf gegenden Antisemitismus. Für diese brachte er die ZeitschriftPrawo Człowieka heraus, doch ihr Erscheinen wurde jähdurch Bartoszewskis Verhaftung beendet. 1947 gerietdie Liga unter stalinistische Kontrolle und stellte ihrWirken endgültig 1951 ein.

Nach der Freilassung und im Zuge des politischenTauwetters nach dem Tod Stalins fand Bartoszewski1955 Arbeit im Polnischen Bibliothekarsverband (Stowarzys-zenie Bibliotekarzy Polskich). Seine Schwerpunkte warender Verlag und die Zeitschrift des Verbands. 1969 bis1972 war er zudem Präsidiumsmitglied. BartoszewskisVerbindung mit dem Verband bestand über zwanzigJahre, bis 1976.

Als Autor arbeitete er 1956-60 für die Zeitschrift Sto-lica (Die Hauptstadt). Von 1957 an schrieb er auch für dieliberal-katholische und weitgehend von der kommu-nistischen Zensur verschonte katholische Wochenzeit-schrift Tygodnik Powszechny (TP). Nach seinem Rauswurfaus der Stolica-Redaktion wegen eines Konflikts mit derstaatlichen Zensur vertiefte sich diese Zusammenarbeit.Unter anderem war Bartoszewski Korrespondent für TPin Warschau. Er schrieb über Biografien Verstorbenerund Artikel zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs. SeitMitte der 60er-Jahre gehörten auch deutsch-polnischeThemen zu seinen Schwerpunkten, wie die 1965 begin-nenden Berichte aus Deutschland.

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Eine ähnliche Verbundenheit bestand auch mit derKatholischen Universität Lublin. Dort lehrte Bartoszewskizwischen 1973 und 1985 jüngere Geschichte.

In den frühen 1960er-Jahren knüpfte Bartoszewskials Redakteur für TP erste Kontakte zunächst mit kirch-lichen Kreisen in Deutschland. Dies waren Begegnungenorganisiert von Znak, der auch im Sejm vertretenen ka-tholischen Laien-Organisation, auf der deutschen Seitemit Vertretern von Aktion Sühnezeichen oder Pax Christi.1965/66 besuchte Bartoszewski das erste Mal die Bun-desrepublik Deutschland.

1963 wurde ihm auf Initiative des Jüdischen Histori-schen Instituts das polnische Kavalierskreuz für seinen Ein-satz in Żegota verliehen. Im gleichen Jahr nahm er stell-vertretend für Żegota auch die Medaille der GedenkstätteYad Vashem entgegen. 1965 wurde ihm diese auch per-sönlich gewidmet. Von allen Ehrungen und Preisen wa-ren ihm diese Medaille und das Tapferkeitskreuz von 1944wohl am wichtigsten.

Lange war Bartoszewski dem PEN Club Polen verbun-den, seit 1969 im Vorstand und ab 1972 neun Jahre alsGeneralsekretär (bis zur Zwangsschließung des Clubsdurch die Regierung im Kriegsrecht). 1995 war er dannsein stellvertretender Präsident, ab 2001 und bis 2010auch sein Präsident.

Seit 1963 und während seiner Auslandsaufenthalte inIsrael und Österreich bemühte Bartoszewski sich umden Kontakt zu Radio Free Europe um Tadeusz Żenczy-kowski und Jan Nowak-Jeziorański. Unter tätiger Unter-stützung des österreichischen Journalisten Kurt Skalnikarbeitete er dann 18 Jahre illegal für das polnische Pro-gramm des von der amerikanischen Regierung finan-zierten Rundfunksenders. Dieses Engagement brachte

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Bartoszewski um 1970 zahlreiche Verhöre, Durchsu-chungen und ein fünfjähriges Reiseverbot ein, wennihm auch der Sicherheitsdienst nichts nachweisen konnte.

Als Mitbegründer der Gesellschaft für wissenschaftlicheKurse unterstützte er die Opposition (fliegende Universitä-ten). Zudem publizierte Bartoszewski in Untergrund-zeitschriften und engagierte sich seit 1980 für die oppo-sitionelle Gewerkschaft Solidarność, unter anderem alsMitbegründer deren Gefangenen-Hilfskomitees (Komi-tet Obrony Więzionych za Przekonania).

Während des Kriegsrechts wurde Bartoszewski zusam-men mit anderen Oppositionellen zwischen Dezember1981 und April 1982 im Lager Jaworze interniert. SeineVerhaftung rief insbesondere unter Holocaust-Überle-benden im Auslands große Empörung hervor. Durchden Druck von Stefan Grajek, Überlebender der Ghetto-Aufstands von 1943, konnte die schnelle Entlassung Bar-toszewskis aus der Haft erwirkt werden. Er bemerktemanchmal scherzhaft, dass er seine »Freilassung deut-schen Bischöfen und jüdischen Rabbinern« verdanke.

1982/83 verbrachte er darauf in Berlin und die näch-sten Jahre ebenfalls in der Bundesrepublik Deutschland.Es schlossen sich Gastprofessuren und Lehraufträge in Mün-chen (1983), Eichstätt(1985/86), München (1986-88) undAugsburg (1988-90) an.

Die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buch-handels im Oktober 1986 machte die breite westdeutscheÖffentlichkeit auf Bartoszewski als Historiker, Zeitzeu-gen und unabhängige Stimme Polens in der Bundesre-publik Deutschland aufmerksam. Er veröffentlichte da-mals den autobiografischen Band Herbst der Hoffnungen(auch bekannt unter dem Namen Es lohnt sich, anständigzu sein und später wesentlich erweitert). Über das War-

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schauer Ghetto informierte: Das Warschauer Ghetto – wiees wirklich war: Zeugenbericht eines Christen. Zur Preisver-leihung veröffentlichte er eine Auswahl verschiedenerTexte: Aus der Geschichte lernen? Aufsätze und Reden zurKriegs- und Nachkriegsgeschichte Polens.

IM DEMOKRATISCHEN POLENNach 1989 gelang es Bartoszewski, seine vielfältigenKontakte in Polen und Europa zu verknüpfen und soBrücken zwischen den Gesellschaften zu bauen. Er hattezahlreiche staatliche und gesellschaftliche Ehrenämterinne, war in beratenden Funktionen tätig und Empfän-ger nationaler und internationaler Auszeichnungen.

1990 startete Bartoszewski auf Bitte des ersten infreien Wahlen gewählten polnischen Premierministers,Tadeusz Mazowiecki, eine diplomatische Karriere, dieihn bis 1995 als Botschafter Polens nach Wien führte.

Ebenfalls 1990 entsteht der Internationale Rat des Mu-seums Auschwitz-Birkenau und Bartoszewski wird zu des-sem Vorsitzenden (2000 umbenannt in InternationalerAuschwitz-Rat).

1995 wurde Bartoszewski überraschend unter Premi-erminister Józef Oleksy von den Vereinigte Linksdemokra-ten (Sojusz Lewicy Demokratycznej – SLD) Außenminister.

Zwischen 1997 und 2000 war er Senator und Vorsit-zender der Senatskommission für die Europäische Integration(als Parteiloser über die Liste der liberalen Partei UniaWolności). Parallel arbeitete er für die Polnische Robert-Schuman-Stiftung (Polska Fundacja im. Roberta Schumana).

Zum wiederholten Mal wurde Bartoszewski im Jahr2000 zum Außenminister Polens berufen, von Jerzy Bu-zek von der konservativen Wahlaktion Solidarität (AkcjaWyborcza Solidarność – AWS).

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In den letzten Jahren seines Lebens widmete sichBartoszewski intensiv der Arbeit an biografischenBüchern.

Zugleich mischte er sich zunehmend auch in dieTagespolitik ein. Obwohl Sympathien für die konserva-tiven Kräfte in der politischen Landschaft Polens zei -gend, Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS)eingeschlossen, brach er mit dieser Partei 2006/2007.Den Ausschlag gab die Außenpolitik der Koalition ausPrawo i Sprawiedliwość, Samoobrona und der Liga PolskichRodzin. Im Anschluss entstand eine enge Zusammenar-beit mit der oppositionellen Bürgerplattform (PlatformaObywatelska – PO). Unter anderem war er der Vorsit-zende ihres Ehrenrats.

Nach dem Wahlsieg der PO 2007 war Bartoszewskibis 2015 Staatssekretär in der Kanzlei des Premiermini-sters und arbeitete unter Donald Tusk und Ewa Kopaczals Bevollmächtigter für Angelegenheiten des internationalenDialogs. Am 24. April 2015 verstarb Władysław Barto-szewski mit 93 Jahren in Warschau.

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W. Bartoszewski 1954 F: Nachlass Bartoszewski, Rechte: Ossolineum, Wrocław

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W. Bartoszewski 1970 F: Danuta B. Łomaczewska, Rechte: Nachlass Bartoszewski

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W. Bartoszewski 2015 F: Marcin Barcz

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Journalist und SchriftstellerDer heute vergessene Bartoszewski

Marcin Barcz

Władysław Bartoszewski wird heute meist als Diplomat,Staatsmann oder Politiker wahrgenommen. Dabei wirdoft vergessen, dass er vor allem Publizist, Schriftstellerund Chronist war. Die diplomatische Karriere startete erhingegen erst im Alter von 68 Jahren. Die meisten Men-schen gehen in diesem Alter schon in Rente oder sindbereits pensioniert. Bartoszewski war zu dieser Zeit be-reits ein bekannter Schriftsteller, unter anderem Frie-denspreisträger des Deutschen Buchhandels 1986, sowieAutor wichtiger Publikationen zur Zeitgeschichte.

Er fing früh an. Schon als Zwölfjähriger schrieb er ineiner Schülerzeitung: »Ich möchte Reporter werden«. Mit 20arbeitete er im Krieg in der Redaktion der katholischenUntergrundzeitschrift Prawda (Die Wahrheit). Er warauch Chefredakteur ihrer Jugendausgabe Prawda Mło-dych, (Wahrheit der Jugend). Dort wurde unter anderemauch das Nachkriegsverhältnis zu Deutschland disku-tiert. Bartoszewski warnte seinerzeit vor dem Bedürfnisnach Rache.

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In der Zeit des Warschauer Aufstands 1944 publi-zierte er Tagesberichte im Radio – wiadomości z miasta iwiadomości radiowe.

ERINNERUNG ALS AUFTRAGNach 1945 begann er die Kriegsverbrechen zu dokumen-tieren. In der Tageszeitung Gazeta Ludowa beschrieb erExhumierungen und verfasste oft unter Umgehung derZensur Berichte zum Warschauer Aufstand. Nach zwei-maliger Verhaftung und sechs Jahren Haft arbeitete Bar-toszewski Mitte der 1950er Jahre im Verband der Polni-schen Bibliothekare und für die Wochenzeitschrift Stolica(Hauptstadt). Dort machte er sich als Chronist des War-schauer Aufstands verdient.

Zu diesem Zeitpunkt verfasste er auch erste Bücher.Es erschienen, beginnend 1961 mit dem Band Prawda ovon dem Bachu (Die Wahrheit über von dem Bach), vier weite-ren Werke: Palmiry, Warszawski pierścień śmierci (Der Todes-ring um Warschau), 1859 dni Warszawy (1859 Tage von War-schau) sowie Dni walczącej Warszawy (Tage des kämpfendenWarschaus).

REDAKTEUR BEI TYGODNIK POWSZECHNY Nach seiner Entlassung aus der Stolica-Redaktion be-gann Bartoszewski für das relativ unabhängige katholi-sche Wochenblatt Tygodnik Powszechny zu schreiben. Dortpublizierte er seine Berichte von ersten Deutschlandbe-suchen 1965/66.

So entstanden erste Kontakte nach Westdeutschlandund Bartoszewski begann allmählich mit 40 Jahren zumBrückenbauer zwischen den Ländern zu werden. Diesbezeugen auch die Bücher Und reiß uns den Hass aus der

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Seele aus dem Jahr 2005 oder Kropla drąży skałę (SteterTropfen höhlt den Stein) von 2011.

Aus seiner Arbeit im polnischen PEN-Club berichteteer 2013 in Mój PEN Club (Mein PEN Club, zusammen mitIwona Smolka und Adam Pomorski).

AUTOBIOGRAFISCHESBereits in den 80er Jahren begann Bartoszewski auto-biografisch zu schreiben. Unter verschiedenen Titeln wieHerbst der Hoffnungen oder Erfahrungen meines Lebens be-ziehungsweise Es lohnt sich, anständig zu sein wurden dieseTexte jeweils in unterschiedlicher Länge veröffentlicht.Eine polnische Ausgabe wurde später veröffentlicht, istdafür aber ausführlicher (Warto być przyzwoitym).

Auch in den letzten Lebensjahren blieb Bartoszewskials Schriftsteller aktiv. Er beendete kurz vor dem Tod einmehrteiliges Projekt mit Erinnerungen an viele der Per-sonen, mit denen er im Laufe des Lebens befreundetwar, und verfasste mehrere autobiografische Bände:

• Środowisko naturalne• Pod prąd. Moje środowisko niepokorne 1945-55 • Wiosna jesienią• Bóg, Honor, Obczyzna. Przyjaciele znad Jordanu i Tamizy • Kryptonim »Bonza«• Prawda leży tam, gdzie leży

AUSCHWITZ ALS LEBENSAUFGABEVor allem blieb er der Erinnerung an Auschwitz treu. Imfreien Polen nach 1989 wurde er zum Vorsitzenden desInternationalen Auschwitz-Rates. Im hohen Alter konnteBartoszewski noch die Auschwitz-Birkenau-Stiftung grün-den, die sich um den Erhalt der historischen Gebäude

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des Vernichtungslagers kümmert. Auch im letzten In-terview an seinem Todestag bezog er sich darauf. Seinletztes Buch aus dem Jahr 2015 war die deutsche Aus-gabe von Mój Auschwitz – Mein Auschwitz.

Auschwitz hilft uns, diesen weniger bekannten Bar-toszewski zu verstehen. Aus seinem Aufenthalt dort zogBartoszewski zwei Lehren: Erstens wolle er niemals imAngesicht des Bösen untätig sein und zweitens müsse erZeugnis vom Erlebten ablegen. Dazu bewogen ihn zweiEreignisse: Ein Appell, in dessen Verlauf die SS-Männervor den Augen der untätigen Häftlinge einen Mithäft-ling erschlugen, sowie ein Gespräch zweier Ärzte überseinem Krankenbett, die überlegten, ob sie den jungenMann retten sollen. Einer sagte: »Er hat eine Überlebens-chance, er kann später von uns erzählen…«. Die Tatsache, dasser Auschwitz überleben konnte, trieb ihn bis zum Le-bensende an.

Bartoszewski schrieb unermüdlich und hielt Vorträ-ge über die Gefahren für die Menschenrechte. Im Jahr1986 brachte ihm dieser Einsatz auch den Friedenspreisdes deutschen Buchhandels ein.

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Bartoszewskis Rollen in den polnisch-deut-schen Beziehungen

Nils-Eyk Zimmermann

»Mein Traum ist die völlige Abschaffung der Imperien, derSupermächte in der Welt.‹ Derlei läßt sich in der FrankfurterPaulskirche hören und es ehrt den, dessen Alpträume zumTrauma des Jahrhunderts gehören. Władysław Bartoszewskiist ja kein Politiker.«

1986 stand in der ZEIT, was heute vergessen scheint.Auch Bartoszewski selbst sprach in dieser Zeit von sichals Publizisten und Zeithistoriker. Es ist nur ein paarJahrzehnte her, doch die Erinnerung an den späten Bar-toszewski, der als Außenpolitiker und Berater der polni-schen Regierung die Geschicke seines Landes, Europasund der deutsch-polnischen Beziehungen mitgestaltete,überlagern die Erinnerung an den Bartoszewski, der1986 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels ver-liehen bekam, in Bayern lehrte und einer der oppositio-nellen Polen war, die sich in öffentlichen Debatten inder alten Bundesrepublik Gehör verschaffen konnten.

Dank der Redaktion des TV-Magazins Panorama kön-nen wir Bartoszewskis Spuren und Rollen in der Bun-

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desrepublik gut nachzeichnen. 1965 ließ man ihn wäh-rend seines ersten Deutschlandbesuchs ein fünfzehnmi-nütiges Schwarz-Weiß-Feature drehen, in dem er überseine Erlebnisse reflektierte, Interviews führte sowieverschiedene Städte Westdeutschlands besuchte. GanzJournalist nahm er mit kritischem und neugierigemBlick war, was im Land des Wiederaufbaus passierte.Bartoszewski mokierte sich über Schundhefte und zuviel Werbung, wunderte sich über teure Preise für kultu-relle Angebote und versuchte der Gesinnung der Bevöl-kerung im Land der Täter auf die Spur zu kommen.»Satte Menschen, gut angezogen, im Wohlstand lebend« sagteer über die Deutschen. Doch Bartoszewski nahm auchdie Zwischentöne war: Revanchismus der Vertriebenen-verbände und das Erstarken der NPD auf der einen Sei-te. Der Kontakt zur Jugend und ihre Zivilcourage gabenihm Hoffnung auf Veränderung.

Der Film ist nicht allein wegen seiner Beobachtungenbemerkenswert. Auch Besucher aus anderen Ländernbeschrieben die Bundesrepublik. Das Besondere ist,dass Bartoszewski einmal in aller Unauffälligkeit zu se-hen ist. In späteren Jahren ist er immer irgendwie auf-fällig, hier hingegen wirkt er beinahe gecastet. Habituellscheinen die 1960er vor 1968 sein Jahrzehnt gewesen zusein. Eine Zeit, in der es sehr geschätzt wurde, wenn je-mand höflich ist, nicht unbedingt Wert auf modische,aber unbedingt auf korrekte Kleidung legt und mit brei-ter allgemeiner Bildung zu reüssieren weiß. WładysławBartoszewski entsprach diesem Ideal eigentlich bis zuseinem Lebensende. Doch lange Haare, Zigarette, T-Shirt oder Bart, wie sie danach immer mehr auch in diebürgerliche Kultur vordrangen, das war nicht seine Sa-che. Allerdings änderte sich die Welt um ihn schnell.

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Demzufolge wirkte er in den späteren Jahrzehnten aufviele Deutschen wie ein freundlicher und zwar weltoffe-ner aber doch auch altmodischer Intellektueller. Dasgalt jedoch weniger für viele der deutschen Bekanntenaus dem wertkonservativen und liberalen Bürgertum,die diese Eigenschaften und Vorlieben teilten. JoachimRogall erwähnt in seinem Beitrag in diesem Band diechristlich geprägten Persönlichkeiten im katholischenBensberger Kreis und aus protestantischen Netzwerken.

ÜBERLEBENDERAn verschiedenen Stellen ist in diesem Band die Redevon Auschwitz als Schlüsselerlebnis Bartoszewskis. ImAngesicht des einstigen Gegners, den Deutschen liegtdie Frage nahe, welche Art der Beziehung nach diesemmiterlebten Zivilisationsbruch möglich sein kann.

Dazu hatte Bartoszewski eine klare Haltung: »Schonim Krieg hatten wir in unseren Widerstandgruppen darüber dis-kutiert. Es kann keine allgemeine Rache geben. Die Deutschenhaben schwere Untaten auf sich geladen. Sie werden auch schwerdafür büßen müssen. Gerechtigkeit, ja. Wahrheit über die Vor-gänge, ja. Rache, nein!« [Bartoszewski 1989: 99]

Das heißt aber auch: Erinnern, unbedingt. Der Über-lebende weiß jedoch, wie kompliziert sich diese Einsichtzur Wirklichkeit verhält. Auf Rache zu verzichten fälltvielen schwer. Zudem haben auch andere Menschen undVölker Unrecht erlitten und beanspruchen Erinnerungund Aufmerksamkeit für sich. Wer in Deutschland weißvon der Leningrader Blockade? Erinnerung ist auch einAnker kollektiver Identitäten und steht als solcher inKonkurrenz zu anderen Perspektiven. Für manche istkollektives Erinnern mit kollektiven Ansprüchen an et-was verbunden, an das auch andere Ansprüche erheben.

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So gerät man in Interessenauseinandersetzungen undwird Partei in einem Kampf um Identität, Ressourcenoder Aufmerksamkeit.

Überlebende haben deshalb nicht die Pflicht, denFinger in die Wunde zu legen, Streit offenzulegen undGewissheiten in Frage zu stellen. Auch kann man nichtvon ihnen verlangen, dass sie prmär den Weg zu Friedenund Gerechtigkeit aufzeigen. Das ist zuerst die Verant-wortung aller anderen Mitbürgerinnen und Mitbürger.

Das Thematisieren, Aufbrechen, in der schmutzigenWäsche wühlen, hat ein höheres Ziel als es Tagespolitikoder die tägliche mediale Aufregung hat. Die wichtigsteAufgabe von Überlebenden und Zeitzeugen ist das Erin-nern und durch Erinnerung das Menschliche (wieder) indie Geschichte einzuschreiben. Denn die Überlebendenzeigen, dass Kriegsstatistiken aus menschlichen Opfernbestehen. Damit ermutigen sie alle anderen, die nichtleichten Schritte zu gehen und über Schatten zu sprin-gen, die sie sich ansonsten nicht zu überspringen trau-en. Weil sie Menschen sind, die zeigen, dass es um dasMenschliche geht. Das ist, was Paul Celan [Celan 1968:16] in Schräg und tief zum Ausdruck brachte:

Ihr mahnt uns: Ihr lästert!Wir wissen es wohl,es komme die Schuld über uns. Es komme die Schuld über uns aller warnenden Zeichen,es komme das gurgelnde Meer, der geharnischte Windstoß der Umkehr,der mitternächtliche Tag,es komme, was noch niemals war!

Es komme ein Mensch aus dem Grabe.

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Bartoszewski war in diesem Sinne nicht zuvörderstunbequemer Mahner oder Lehrer, sondern ein Menschmit einer Haltung. Diese war geprägt von Zuversicht indie Fähigkeit der Menschen zu Veränderung und ein an-ständiges Leben zu führen und das strahlte er aus: »ImGrunde genommen soll man Gott lieben und seinen Nächstenwie sich selbst. Dies ist genug. Dann kann man sogar alles verlie-ren und kann doch weiterleben.« [Albus 2009]

Man verstünde ihn falsch, wenn man die folgendePassage aus der berühmten Rede vor dem DeutschenBundestag, gehalten am 28. April 1995, als pragmatischbegreift: »Das Gedenken und die historische Reflexion müssenunsere Beziehungen begleiten. Sie sollten dafür jedoch nichtHauptmotor sein, sondern den Weg bereiten für die gegenwärti-gen und in die Zukunft gerichteten Motivationen.« Die Trag-weite dieser Sätze erschließt sich dann, wenn man sichbewusst macht, dass sie ein Überlebender spricht. Siesind auch als Mahnung zur konstruktiven Mitgestal-tung der Welt zu begreifen.

VERMITTELNDERVermittler sind Wanderer zwischen zwei Welten. So warBartoszewski den Deutschen in mancherlei Dingenfremd, vieles erschien ungewöhnlich. Sein Stil, seineEloquenz und Wortgewandtheit ließ ihn herausstechenund fanden Bewunderer, aber, wie die ehemalige Bun-destagspräsidentin Rita Süssmuth feststellte, es gabauch Gesprächspartner, die diese Art anstrengend fan-den. Respekt hatten aber die meisten vor ihm. Barto-szewski war sehr klar und transparent. Er hatte eineMeinung zu den Dingen, die man besprach. Außerdemwar er missionsgetrieben und begriff sein Handeln alsAuftrag zur gesellschaftlichen Mitgestaltung. Viele der-

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jenigen, die ihn näher kannten, schrieben Bartoszewskiauch Aufmerksamkeit, Bescheidenheit sowie Unkomp-liziertheit und Authentizität zu. »Er ist ja nicht nur ein Po-litiker, er ist ein Mann der Kultur und Geschichte«, sagt Hans-Dietrich Genscher (der Bartoszewski als Außenministerder Bundesrepublik Deutschland kennenlernte) anläss-lich Bartoszewskis 90. Geburtstags.

Natürlich war für die Westdeutschen BartoszewskisHerkunft aus dem »Ostblock« interessant. Es ist ja nichtso, dass die Westdeutschen an der Wende der 1970er zuden 1980er Jahren der polnischen Opposition desinter-essiert gegenüber gestanden hätten, wie manche heutebehaupten. Im Gegenteil: In den bundesdeutschen Zei-tungen erschienen zum Beispiel 1980 einige Artikel überdas Komitee zur Verteidigung der Arbeiter – KOR, Essays vonAdam Michnik oder Reportagen aus der Danziger Lenin-Werft. Auch die zurückhaltende Haltung der Bundesre-gierung zu den August-Streiks 1980 thematisierte diewestdeutsche Publizistik. Und ein Jahr später, im Zugedes Kriegsrechts, kam es zu breiten Solidarisierungenmit der polnischen Bevölkerung.

Für manche aus dem Umfeld der dogmatischen undundogmatischen Linken war die polnische EntwicklungAnlass zum Bruch mit ihren Überzeugungen. Jedoch zudiesem an Mittel- und Osteuropa interessierten Milieuund zu ökologischen, antiautoritären, Friedensgruppenoder den Grünen sind keine engen Kontakte Bartoszew-skis überliefert. In Stanisław Lems Vorworten zu Barto-szewskis deutschen Büchern werden diese zur Gefahr.»Mit Entsetzen« befürchtete der prominente Autor, dassihr Utopismus schnell nach ihrer Machtergreifung zuneuen Gefängnissen führe. [Bartoszewski 1986: 9f.]

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SPD-Außenpolitiker, und viele der Etatisten in derbundesdeutschen Elite hatten ihre Schwierigkeiten mitdem destabilisierenden und von unten getragenen Cha-rakter der polnischen Opposition. Sie taktierten undsetzten darauf, dass die Herrschenden die Lage unterKontrolle bringen, weniger aus Sympathie mit der Polni-schen Vereinigten Arbeiterpartei – Polska Zjednoczona PartiaRobotnicza, sondern aus Angst um die Stabilität Europas.

Komischerweise war es gerade Spiegel-HerausgeberRudolf Augstein, der sich wie sonst wenige für die in-nere Demokratisierung der westdeutschen Gesellschafteinsetzte, aber 1981 nur halbherzig den polnischen Frei-heitswillen mit der Realpolitik abwägte: »Auch den ‚Soli-daritäts‘-Leuten um Lech Walesa [sic] ist es nicht gelungen,einen vernünftigen Mittelkurs durchzusetzen. Die Partei hat biszum äußersten stillgehalten, vielleicht sogar zu lange.« Die pol-nische Entwicklung als Bedrohung für das Demokratie-labor namens Bundesrepublik?

In der gleichen Ausgabe des Spiegel, in der Augsteindiese Sätze schreibt, findet sich in der Titelgeschichte»Operation Kanarienvogel« aber auch eine andere Sicht aufPolen: »Dabei war, was zwischen August 1980 und Dezember1981 in Polen ablief, der wohl aufregendste Versuch, das sowjet-kommunistische System nicht nur für die kleine Machtelite derPartei, sondern für jene Menschen akzeptabel zu machen, dieentgegen den hohl tönenden Phrasen des Regimes die Ausgebeu-teten und Beherrschten sind.« [Spiegel 52/1981] In diesemSinne kann man das Interesse oder Desinteresse anPolen und der Demokratiebewegung in den realsozialis-tischen Ländern nicht mit den Parteicleavages der Bun-desrepublik erklären. Polenfreunde und -skeptiker gabes in allen Lagern.

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In Bezug auf die aktuelle Politik der Bundesrepubliksieht Bartoszewski seine Rolle auch in der Beeinflus-sung der offiziellen Haltung gegenüber Polen. Er kriti-siert die sozialliberale Koalition und den BundeskanzlerHelmut Schmidt deshalb deutlich: »Von allen Polen, mitdenen ich darüber gesprochen habe, wird er eindeutig negativbeurteilt. Sie hatten von dem Repräsentanten der Bundesrepu-blik und prominenten Sozialisten mehr erwartet. Doch außer einbißchen unverbindlicher Kritik schien er den Standpunkt zu ver-treten, daß größerer Schaden entsteht, wenn er sich gegen diepolnische Regierung und für das polnische Volk äußert. Als erunseren Parteichef Gierek für tauglich hielt, in seine Regierungs-mannschaft einzutreten, sagten bei uns die Leute: Warum willder Schmidt denn nur der deutschen Nation einen solchen Tortantun?« [Spiegel 42/1982]

Bartoszewskis explizit politische Äußerungen zurZukunft Polens waren oft taktisch geprägt. Er ist in die-sem Sinne, wie Marcin Barcz in diesem Band feststellt,ein ziviler Diplomat für Solidarność und die Opposition.Dabei sind von ihm keine allzu dezidierten Bekennt-nisse zum Pluralismus zu erwarten, sondern in derRegel Hinweise darauf, dass der Führungsanspruch derPartei nicht zwangsläufig auch totale Führung bedeu-ten müsse und dergleichen. Sicherlich hatte er in Run-den mit westdeutschen Meinungsführern und Persön-lichkeiten zu einem wesentlich realistischeren Polen-Bild beigetragen, als regierungsnahe Kreise.

Als Zeithistoriker gewann Bartoszewski Gewichtdurch seine Bücher über Auschwitz und den WarschauerAufstand. Die Deutschen betrachtete er mit einer Mi-schung aus der erwähnten Zugewandtheit und Realis-mus. Den Autoren von Tygodnik Powszechny Anton Gołu-biew zitierend, teilt Bartoszewski die Einschätzung, dass

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Friedenspreis des deutschen Buchhandels 1986

F: Bundesarchiv, B 145 Bild-F073571-0003 / Wienke, Ulrich

CC-BY-SA 3.0 | 5. Oktober 1986

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es doch leichtsinnig wäre, »sich darauf zu verlassen, dass inDeutschland im Verhältnis zu uns die Giftstoffe des Nationalis-mus spurlos verschwunden sind«. [Bartoszewski 1986: 341]Er setzte daher auf Aufklärung, Bücher, Vorträge. Bar-toszewski recherchierte intensiv in Archiven. Er greiftdas damalige Dauer-Debatten-Reizwort »Kollektivschuld«auf und setzt sich auch mit der 1949 von Bundespräsi-dent Theodor Heuss entwickelten »Kollektivscham« aus-einander. Aus Bartoszewskis Perspektive muss nebenGefühlen wie »Scham« besonders Verantwortungsübernah-me stehen. Diese, die sich aus dem Wissen von den Ur-sachen und Wirkungen ableitet, verhindert, dass ausBefindlichkeiten wieder neue, gegen Andere gerichteteHandlungen entspringen. Er schrieb dazu: »Eine Kollek-tivschuld gibt es nicht. Aber es gibt doch so etwas wie Kollektiv-ursachen, und es gibt Kollektivwirkungen der nationalsozia-listischen Vergangenheit. Es gibt auch eine Kollektivscham. Ausdiesem Grund erwachsen oft Minderwertigkeitsgefühle, diedoch sehr an Überempfindlichkeit und Aggression grenzenkönnen…« [Bartoszewski 1995: 101].

Viele Deutsche hatten ein Informationsdefizit in Be-zug auf den Zweiten Weltkrieg, manche wollten sichund ihre Nächsten individuell von der Beschäftigungmit Schuld entlasten, wenn auch nicht unbedingt dieVerbrechen Deutschlands leugnen. Die meisten wusstennichts von den beiden polnischen Aufständen, vielleichtkannten sie den Ghettoaufstand und erinnerten das Bildvon Willy Brandts Kniefall in Warschau. So hörten siebisweilen Neues, wenn Bartoszewski darlegte, dass derNationalsozialismus gezielt neben den Juden auch diepolnische Nation ausrotten wollte und nahmen über-haupt zur Kenntnis, dass Polen ein eigenes Land im»Ostblock« ist und nicht lediglich eine Filiale Moskaus.

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ERINNERUNGS- UND VERSÖHNUNGSPOLITIKERNach der politischen Wende änderte sich BartoszewskisRolle. Nun nahm er als offizieller Repräsentant Polensan Diskussionen und Konferenzen teil und zur binatio-nalen kam auch eine europäische Perspektive hinzu.Das Spielfeld, auf dem sich Bartoszewski bewegte, än-derte sich nun. Seine Persönlichkeit änderte sich jedochweniger. Letztlich nutzte Bartoszewski seine Kontakteund Beziehungen aus den 1980er Jahren wie gewohntweiter. Nur seine Wirkung war eine andere. Unter ande-rem stand er häufiger im medialen Fokus und in der di-rekten Auseinandersetzung.

Kannte man ihn in den an Zeitgeschichte interessier-ten Kreisen in Westdeutschland bereits seit 1986 als ei-nen Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels, solernte ihn die breite Öffentlichkeit (wieder) durch seineRede im Bundestag zum 50. Jahrestag des Endes desZweiten Weltkriegs kennen. Bundestagspräsidentin Ri-ta Süssmuth lud Bartoszewski ein, auch um eine diplo-matischen Herausforderung vom Anfang des Jahres1995 zu einem glücklichen Ende zu führen. Die polni-sche Regierung bemängelte, dass der für sie wichtigeJahrestag im Mai ohne polnische Repräsentanten inDeutschland begangen werden sollte, lediglich im Krei-se von Franzosen, Russen, Briten und US-Amerikanern.Bartoszewski als einzigen ausländischen Gast in eineparlamentarische Feierstunde kurz vor dem erwähntenStaatsakt einzuladen, war die kreative Lösung eines di-plomatischen Problems. Ein Kritiker konnte eingebun-den werden und dem deutsch-polnischen Gedenken einbesonderer Platz gegeben werden. Die Zeit bemerkte da-mals süffisant unter dem Titel Protokollfragen sind Macht-fragen: »Wahrscheinlich wäre Rita Süssmuth ihrem Gast am

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liebsten um den Hals gefallen. Jedenfalls rühmt sie später die›großartige Haltung‹ des Außenministers bei seinem Bonner An-trittsbesuch und spricht von ihrer eigenen ›Erleichterung‹« [DieZeit 15/1995]. Damit lag sie auch nahe an der Einschät-zung des Neuen Deutschland, das eine Woche vor demEreignis eine »Verlegenheitslösung« befürchtete. Władys-ław Bartoszewskis Verdienst war, mit persönlicherGröße und einer besonderen Rede diese Vorgeschichteignoriert zu haben, der Veranstaltung Würde gegebenund gerade dadurch einen neuen deutsch-polnischenErinnerungsort maßgeblich gestaltet zu haben.

Überhaupt übernahm Bartoszewski mehr und mehrhistorisch- und versöhnungspolitisch relevante Aufga-ben. Er engagierte sich etwa für die Stiftung Kreisau, dieden Ort der Versöhnungsmesse von 1989 in Krzyżowabei Świdnica mit Begegnung und Bildungsangeboten er-hält. Ebenso für die Stiftung deutsch-polnische Zusammen-arbeit und die Stiftung polnisch-deutsche Aussöhnung.Zudem setzte er sich für die Eröffnung des in Berlinansässigen Zentrums für Historische Forschung der Polni-schen Akademie der Wissenschaften ein.

Auf Einladung des damaligen Warschauer Stadtprä-sidenten Lech Kaczyński beteiligte sich Bartoszewskian der Konzeption des Museums des Warschauer Aufstan-des zwischen 2002 und 2004. Er konnte dieses 2004 miteiner Rede neben Lech Kaczyński eröffnen.

Die Auseinandersetzungen über die Gestaltung derGedenkstätte Auschwitz-Birkenau verfolgte Władysław Bar-toszewski schon allein wegen seiner Funktionen in denbeiden mit der Gedenkstätte verbundenen Räten aktiv.Er setzte sich entschlossen für den Erhalt der Authenti-zität des Ortes ein, etwa, indem er auch die Rückgabeeiner Baracke aus dem Holocaust-Museum in Washing-

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ton forderte oder künstlerische Umgestaltungen kritischbetrachtete. Die Errichtung der Auschwitz-Birkenau-Stif-tung mit Piotr Cywiński und Jacek Kastelaniec war seineletzte größere Initiative in Bezug auf Auschwitz.

Bartoszewski begleitete auch die Entstehung des mo-dernen Museums für die polnischen Juden Polin. Er warMitglied des Museumsrats (unter anderem zusammenmit dem Überlebenden Marian Turski, aktuell Vorsit-zender des Rats). Einige persönliche Exponate übertrugBartoszewski dem Museum.

Auf Einladung von Paweł Machcewicz war er zudemMitglied im Programmrat des Museums des Zweiten Welt-kriegs in Danzig und unterstützte den zeitgemäßen undmultiperspektivischen Ansatz der Ausstellung nachdem Konzept ihres Initiators und Gründungsdirektors.Auch dieser Sammlung schenkte er einige Exponate ausder Żegota-Zeit. Allerdings erlebte er die Eröffnung 2017nicht mehr, da er 2015 bereits verstarb. Kurz nach derEröffnung wurden von der PiS-Regierung veranlasst,einige Aspekte im Konzept verändert sowie der Grün-dungsdirektor abberufen. Auf Machcewiczs Initiativeund unterstützt vom Danziger Stadtpräsidenten PawełAdamowicz sowie der Platforma Obywatelska im Stadtrat,wurde der Platz vor dem Museum auch umbenannt inWładysław-Bartoszewski-Platz.

KONTROVERSEN UM VERTREIBUNG UND FLUCHTAuf Initiative von Peter Glotz und Erika Steinbach wur-de am 6. September 2000 die Stiftung Zentrum gegen Ver-treibungen gegründet. Beanspruchend ein Projekt der eu-ropäischen Versöhnung zu sein, warfen dem Projektviele Kritiker vor, die Vertreibung der Deutschen zu sehrin den Vordergrund zu stellen, die Vertreibung durch

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Deutsche relativieren zu wollen und durch die Thema-tisierung verschiedener Völkermorde und Vertreibun-gen in der Welt, geschichtspolitisch an einer partiellenEntschuldung der Deutschen mitwirken zu wollen.

Bartoszewski unterstützte den als Reaktion auf dieseGründung zu verstehenden von Markus Meckel initiier-ten Aufruf vom 17. März 2003 für ein neues EuropäischesZentrum gegen Vertreibungen: »Die Gestaltung als vorwiegendnationales Projekt, wie es in Deutschland die Stiftung der Hei-matvertriebenen plant, ruft das Mißtrauen der Nachbarn hervorund kann nicht im gemeinsamen Interesse unserer Länder sein«

Heute existieren zwei Institutionen. Nach wie vor dieStiftung Zentrum gegen Vertreibungen als private Stiftungvertriebenennaher Persönlichkeiten sowie die 2005 er-richtete Bundesstiftung: Bundesstiftung Flucht, Vertreibung,Versöhnung mit Sitz in Berlin. Deren Entstehung wurdevon der polnischen Regierung um Donald Tusk (und sei-nen Berater Władysław Bartoszewski) nicht öffentlich-keitswirksam bekämpft, aber auch nicht gutgeheißen.Zu erinnern sei, dass das zuvor erwähnte Museum desZweiten Weltkriegs in Danzig als polnische Antwort aufdie Initiativen der Deutschen entwickelt wurde, so wiees Donald Tusk 2007 in einem FAZ-Interview am 10.Dezember 2007 darstellte: »Ich frage mich, ob es nicht bes-ser wäre, ein weit umfassenderes Projekt zu realisieren, das anden Zweiten Weltkrieg erinnern würde. An diesem Projekt könn-ten Deutsche, Polen und vielleicht noch andere teilnehmen - allezusammen. In einem solchen großen Museum des Zweiten Welt-kriegs würde das Schicksal der Zwangsumsiedler seinen Platz indem entscheidenden und umfassenden Kontext finden.« Weilman auf internationalen Druck verzichtete und statt-dessen ein eigenes Projekt forcierte, wurde es der Bun-desregierung der CDU-Kanzlerin Angela Merkel ermög-

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licht, die Bundesstiftung umzusetzen. Als sich die Vor-sitzende des Bundesverbands der Vertriebenen und Mitgliedder Regierungspartei CDU, Erika Steinbach, 2009 aller-dings in den Stiftungsrat der Bundesstiftung wählenlassen wollte, protestierte Bartoszewski scharf. Er löstedie Steinbach-Bartoszewski-Kontroverse aus, zu deren Auf-takt er Steinbach Revisionismus im Stil des rechtsextre-men Bischofs Williamson vorwarf. Diese unterstellteihm begleitet von viel medialer Aufmerksamkeit»schlechten Charakter«, musste sich darauf entschuldigenund verzichtete in Konsequenz 2010 dauerhaft aufeinen Sitz im Rat der Bundesstiftung. Einige Beobach-ter, wie Konrad Schuller in der Frankfurter AllgemeinenZeitung am 2. März 2009, fragten jedoch auch, ob nichtweniger Engagement Bartoszewskis der Sache ange-messener gewesen wäre, da Steinbach ihre radikalenPositionen im Laufe der Jahre ja teilweise revidierthabe: »Władysław Bartoszewski also mag authentischeGründe empfinden für sein spätes Gefecht und daneben vielleichtauch ein paar taktische. Jedenfalls aber hat er schon ruhm-reichere Kämpfe gekämpft in seinem langen Leben.«

Auch Helga Hirsch und ihre Unterstützung der Ideeeines Zentrums gegen Vertreibungen folgt einer ande-ren Intention als Revanche oder Entschuldung, wie siein der Akademie Tutzing 2005 darlegt: »Wenn wir endlichanfangen, einander wirklich zuzuhören und dem Leid des ande-ren Aufmerksamkeit zu schenken, werden sich Gemeinsamkei-ten in den Erfahrungen ergeben, die ein Mitgefühl ermöglichen,das weder Verrat an der eigenen Nation noch Verlust der eigenenIdentität bedeutet.« [Hirsch: 2005] Sie argumentiert, dassdie institutionelle Beschäftigung mit Vertreibung underzwungener Flucht neben der gesellschaftlichen Aner-

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kennung auch die psychische Bewältigung für die über-wiegend betroffenen Frauen erleichtern könnte.

Dabei ist Bartoszewski nicht taub gewesen für dieBelange Geflüchteter und Vertriebener. Zwar kann manin der eingangs erwähnten Dokumentation von 1965 ei-ne Aussage des jungen Bartoszewskis zu einer Kundge-bung der Verbände, finden, die ihn entsetzt. Dort sagter: »Mir schien es in Bonn, dass die Heimatvertriebenen, oft-mals ältere Leute, ausgenutzt und dazu belogen wurden.«Bereits hier scheint eine gewisse Empathie für einzelneOpfer durch. In seiner Rede im Bundestag 1995 betonter, auf Jan Józef Lipski referierend, »das uns angetaneBöse, auch das größte, ist aber keine Rechtfertigung und darfauch keine sein für das Böse, das wir selbst anderen zugefügthaben.« Ähnliches mag Bartoszewski 2008 bewogenhaben, als Schirmherr für einen Atlanten zu »Umsied-lung, Vertreibung, Flucht 1939-1959« bereitzustehen.

Lange vor seiner Zeit als Diplomat und Politikerstand Bartoszewski außerdem im konstruktiven Aus-tausch mit den Vertriebenenverbänden. Deren Vorsit-zender, der CDU-Bundestagsabgeordnete Herbert Czaja,diskutierte mit ihm 1984 etwa in einem persönlichenBrief einen Text Adam Michniks und fragte Bartoszew-ski um Rat, »ob man für verfolgte Polen hier versuchen soll,deutlich das Wort zu ergreifen, oder ob das den Betreffendenschaden könne.« Zudem scheinen Persönlichkeiten wie erzu denen zu gehören, die ein Interesse an der Linderungder Situation des Kriegsrechts haben. Bartoszewski waralso nicht taub für einige Anliegen der Vertriebenen,allerdings zweifelte er speziell an Erika Steinbachs Hal-tung und Interessen.

2019 wartet man noch auf die Umsetzung der er-wähnten Ausstellung durch die Bundesstiftung, deren

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Konzeption 2017 veröffentlicht wurde und deren wis-senschaftlicher Beraterstab durch Auseinandersetzun-gen von sich reden machte. Die Stiftung leidet nach wievor unter mangelnder wissenschaftlicher Akzeptanzvon polnischer Seite, nachdem die erst 2010 benanntenHistoriker Krzysztof Ruchniewicz und Piotr Madajczyk2015 zurücktraten: »Es handelt sich nicht um eine Filiale desBundes der Vertriebenen«, so Ruchniewicz damals.

DIE POLARISIERUNG DER GESELLSCHAFTIn Polen war Bartoszewski keiner konkreten Partei zu-gehörig, obgleich er sich zum liberalkonservativen La-ger zählte. Er war Abgeordneter für die liberale UniaWolnośći, diente einem Postsozialisten als Außenminis-ter und stand auch im Austausch mit Vertretern von PiS,etwa als Gast an Sitzungen ihres oberen Entscheidungs-gremiums (Rada Polityczna – Politischer Rat).

Bereits im Zuge der Kartoffel-Affäre 2006 wird eineDistanz Bartoszewskis zur polnischen Regierung sicht-bar. Präsident Lech Kaczyński sagte als Reaktion auf ei-nen ihn beleidigenden satirischen Beitrag der alternati-ven Tageszeitung taz die Regierungskonsultationen imRahmen des Weimarer Dreiecks ab. Bartoszewski hieltdies für keine gute Idee und drängte mit sieben ehemali-gen Außenministern in einem kritischen Brief auf bal-dige Nachholung des Treffens: »Die enge Zusammenarbeitmit Deutschland und Frankreich als Schlüsselpartnern Polens inder EU liegt im allergescheitesten Interesse Polens«.

2007 erklärt Bartoszewski schließlich in einem Zei-tungsartikel, warum er nicht mehr bewusst zwischenPrawo i Sprawiedliwość und Platforma Obywatelska zu lavie-ren gedachte. Es ist vor allem eine Abrechnung, die diepolitische Moral der Koalition von PiS mit der skandal-

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trächtigen Populistenpartei Samoobrona kritisiert. Spezi-ell geht Bartoszewski auf die Außenpolitik ein, er blicktdabei implizit auf die Deutschen: »Unsere Position in derinternationalen Arena fand sich am schlechtesten Punkt seit1989 wieder. Das Polen Jarosław Kaczyńskis zeigt jedem dieZunge und spannt die Muskeln. Schade nur, dass diese Schein-stärke nur im Spiegel sichtbar ist… Die, die hingegen von derSeite auf uns schauen, können nicht verstehen, um was es daeigentlich geht.« [Dziennik 22. Oktober 2007] Eine weitereZuspitzung war seine Rede beim Wahlkonvent 2007 derPlatforma Obywatelska. Er unterstützte diese Partei alsVorsitzender des Ehrenrats: »Ich verbitte mir kategorischdass Polen regiert wird durch inkompetente Leute, Parteikader,inkompetente Doofplomaten.« (Original: »dyplomatołków«).Die doppeldeutige Anspielung auf den DramatikerRostworowski, man solle die Dinge beim Namen nen-nen, also »aufhören, ein Rindvieh für ein Nicht-Rindvieh zuhalten«, sorgte für große Aufregung.

In der Folge der Flugzeugkatastrophe von Smolenskverschärfte sich das gesellschaftliche Klima weiter. Bar-toszewski wurde nun als Teil des gegen PiS gerichtetenLagers wahrgenommen. Im Grunde sah er sich als Ver-treter eines selbstverständlichen an gemeinsame Wertegebundenen Patriotismus, den es gegen einen ausgren-zenden und akklamierenden Nationalismus zu verteidi-gen gelte. In einem Gespräch mit Bogdan Borusewiczaus dem Buch To, co najważniejsze führte er den Gedankenaus: Patriotismus während des Widerstands »war ein Ele-ment unserer Identität, unserer Anwesenheit im Leben. Ähnlichwie die Beziehung zu den Eltern. Wie Respekt gegenüber Älteren.Wie der Grundsatz, dass man einen liegenden nicht treten soll.Wie jemandem Hilfe holen, der hingefallen ist. Wie ein Kind vordem Verbrennen oder Ertrinken bewahren. Da spricht man nicht

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drüber, das macht man oder nicht.« Seine in die Okkupati-onszeit reichende Überzeugung steht im Gegensatz zurin der sozialistischen Zeit sowie der Rechten dominan-ten national-ethnischen Vorstellung. Nach Bartoszew-ski könne man aber spätestens nach dem WarschauerAufstand Patriotismus nur unter Akzeptanz der Ge-meinschaft der Vielen verstehen: »Es wurde offensichtlich,dass wir mit Menschen unterschiedlicher weltanschaulicherSchattierungen zusammenleben müssen, zumal sie in gleichemMaße uns ausgesetzt sind und das gleiche tun.«

Bartoszewski zeigte, wie der Traditionsbegriff demo-kratisiert werden kann. Gleichzeitig stellt er sein Enga-gement für die Aussöhnung mit dem ehemaligen Geg-ner als Konsequenz des patriotischen Engagements dar.Damit wird er zur Zielscheibe von Vertretern nationa-listischer monoidentitärer Vorstellungen. Kraft seinerBiografie kann er aber nicht einfach als unpatriotischdiskreditiert werden. Ex post beruft sich deshalb dieSammlungsbewegung Komitee zur Verteidigung der Demo-kratie (Komitet Obrony Demokracji) auf Bartoszewski, dieihn aufgrund dieser Haltung zu ihrem Patron erkor.

EIN MANN DER SECHZIGER JAHRE IN DER MEDIENGESELLSCHAFTWenn manches hier zitiertes Beispiel zeigt, wie Barto-szewski selbst die Zuspitzung nicht scheute, so führtuns ein in Polen aufmerksam registriertes Interview ausder deutschen Zeitung Die Welt vom 26. Februar 2011 auf,wie die Mechanismen funktionieren, die im Zuge vonSocial Media nach Bartoszewskis Tod erfolgreich einnegatives Image von ihm formten. Je nach ideologischerRadikalität gilt er Vielen als Deutschenfreund, Polen-feind oder Lügner.

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Im Interview befragte der Journalist Gerhard GnauckBartoszewski nach seinen Erfahrungen im Widerstandgegen die Deutschen und dieser antwortete: »Ich lebte ineinem Haus voller Intelligenzija, in der Mickiewicz-Str. 37, II.Stock. Aber wenn jemand Angst hatte, dann nicht vor den Deut-schen. Wenn ein Offizier mich auf der Straße sah und nicht Be-fehl hatte, mich festzunehmen, musste ich nichts fürchten. Aberder polnische Nachbar, der bemerkte, dass ich mehr Brot kaufteals üblich, vor dem musste ich Angst haben.« [Die Welt, 26.02.2011]

Manche leiteten daraus ab, dass Bartoszewski diePolen kritisieren wolle und die Deutsche Rolle währendder Besatzung relativiere. Die Zeitung Fakt machte dar-aus etwa: »Bartoszewski: Ich hatte keine Angst vor Deutschen,nur vor Polen.« Oder das Magazin Wprost: »Bartoszewski: Inder Kriegszeit fürchtete ich mehr die Polen als die Deutschen.«Jedoch ging es in dem Gespräch um eine realistischeSchilderung der Bedrohungssituation aus Sicht einesWiderstandskämpfers und nicht aus der Perspektive derNation. Kollaborateure waren wie Bartoszewski an ver-schiedenen Stellen seines Werks ausführte für diese nuneinmal gefährlicher, weil sie viel wissen und weil sie derGegner sind, mit dem man nicht rechnet. Marcin Barczgeht in seinen Ausführungen in »Mein Bartoszewski« indiesem Band darauf ein.

Bartoszewski war wortgewandt, kämpferisch undkommunikationsbegabt. Er hat Menschen zusammen-geführt, die die Geschicke ihrer Länder beeinflussten. Erhat das Wissen über unsere Länder verbreitet und vielfür die Verständigung zwischen Bürgern und Länderngetan. Er hat mit seinen Büchern in Deutschland dazubeigetragen, dass die deutschen Verbrechen begangenan Juden und Polen hier bekannt wurden und erinnertwerden. Als Erinnerungspolitiker hat er einflussreich

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viele Museumsprojekte begleitet. Dabei ist interessant,dass es durchaus unterschiedliche Projekte sind. DasMuseum des Warschauer Aufstands steht etwa in einerzu viel kritische Reflexion abweisenden märtyrologi-schen patriotischen Tradition, die 2004 nicht nur vonPiS sondern auch von der PO getragen wurde [Machce-wicz 2012: 20]. Außerdem war er erster Vorsitzender desMuseumsrats des im Bau befindlichen GroßprojektsMuseums für die Geschichte Polens. Das Museum für diepolnischen Juden Polin und das Museum des Zweiten Welt-kriegs hingegen repräsentieren eine reflexive multiper-spektivische Sicht auf die Geschichte. Bartoszewski istalso kein besonders radikaler oder einseitig agierenderGeschichtspolitiker. Als solcher, im aktuellen Sinne vonpolityka historyczna mit ihrer »brutalen Sprache im politi-schen Kampf« [Machcewicz 2012: 183], hat Bartoszewskisich auch nicht gesehen, sondern als »Zeugen«.

Trotz seiner Eloquenz, Anschlussfähigkeit für kon-servative Positionen und Glaubwürdigkeit hat er es nichtvermocht, die gegen ihn und seine Überzeugungengerichteten Kommunikationsstrategien in Blogs, rech-ten Medien und Onlineforen zu kontern. Gegen Verfäl-schungen war dieser nicht auf den Mund gefallene undkreative Mensch leider machtlos. Wohl auch, weil an-dere, die es besser wissen müssten, nicht schnell genugüber kommunikative Gegenstrategien nachdachten. Somusste der Patriot, Widerstandskämpfer und Dienerseines Staats zusehen, wie er schrittweise zu einer frag-würdigen Person der Zeitgeschichte umgedeutet wurdevon einem unsichtbaren Schwarm irgendwo zwischenAllpolnischer Jugend, ONR-Faschisten, Verschwörungsthe-oretikern, Fußball-Hooligans, religiösen Fundamentali-sten und dem PiS-Lager. Diese sehen in Bartoszewski ei-

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nen Kollaborateur mit Deutschen oder Juden. Einen, derin seiner Biografie schummelte, oder der eigentlichJude, also kein Pole sei.

Bartoszewski hat die Konsequenz gezogen und sichentgegen seiner Pläne am Ende seines Lebens wie niezuvor tagespolitisch eingebracht. Die Demokratiebewe-gung Komitee zur Verteidigung der Demokratie – KOD hat esihm postum gedankt, doch eine breite Front von ganzrechts diskreditiert ihn, den liberalen Konservativen,als »Liberalen« und möchte ihn als einen Vertreter einesdemokratisch fundierten Patriotismus entweder verges-sen machen oder diskreditieren.

Bartoszewski ist nach seinem Tod von einem Gestal-ter von Erinnerungspolitik zum Objekt geschichtspo-litischer Auseinandersetzung geworden, die heute ana-log und online geführt wird: Im Internet, über Museen,Straßen, offizielles Gedenken sowie zivilgesellschaft-liches Erinnern. Die Deutschen sind in Bezug auf Barto-szewski weitgehend verstummt. Aktuell gibt es nur ge-ringes Interesse an seinen Büchern und bei Tagungenund Debatten wird wenig bis gar nicht auf ihn und seineVerdienste eingegangen.

Viele Unterstützer und Wegbegleiter Bartoszewskisschauen auf die Veränderungen in Polen im analogenund digitalen Leben wie Angela Merkel auf das von ihrso bezeichnete »Neuland«. Bartoszewski würde die Rat-losigkeit schnell zu überwinden versuchen.

Deshalb scheint die Zeit reif zu sein für eine Erneue-rung des demokratischen Elans aus der Mitte der Ge-sellschaft. »In diesem 21. Jahrhundert oder nachher wird mannachlesen, dass es oft die ganz einfachen Menschen waren,schlichte Ordensschwestern, kleine Bauern, ganz gewöhnlicheMenschen ohne herausragende Bildung, die das Richtige getan

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haben. Das sind die Menschen, auf denen die Gesellschaft in un-seren Ländern aufbaut.« [Bartoszewski 1995: 105]

Auf den Anfang dieses Beitrags zurückkommend,hofft man heute auf den Mut und Durchhaltewillen derideellen Nachfolgerinnen und Nachfolger Bartoszew-skis heute. Sie sind normale Menschen, sie nicht über-mäßig auffallen und aussehen mögen wie die Schau-spieler aus M jak Milość oder die Nachbarn in einer derMickiewicz-Straßen Polens.

Was sie auszeichnet ist, dass sie Zivilcourage zeigenund auch unter ihresgleichen das offene Wort und Inter-esse an Politik wieder salonfähig machen. Sie entwi-ckeln Interesse an ihren Nachbarn und ihren Nachbar-ländern. Indem sie für eine freie demokratische Kulturfür Alle einstehen, zeigen sie, dass Bartoszewski rechthatte mit dem Satz: »Es lohnt sich, anständig zu sein.«

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Bartoszewski: Patriot und Kosmopolit

Joachim Rogall

Meine Erinnerungen an Władysław Bartoszewski rei-chen zurück bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts.Als Gastprofessor in Deutschland begeisterte er unsStudenten der Geschichte an der Universität Mainz miteinem Vortrag über die deutsch-polnischen Beziehun-gen. Seither trafen wir uns noch bei vielen Gelegenhei-ten, in Polen wie in Deutschland.

Ich möchte deshalb im folgenden keine rein histori-sche Darstellung geben, sondern aufgrund vieler Begeg-nungen und Gespräche meine persönlichen Gedankenüber die Person Bartoszewski, als einen Versuch, nach-zuvollziehen, was diesen Menschen geprägt hat. EinenMenschen, der so viele Höhen und Tiefen der deutsch-polnischen Beziehungen der letzten 100 Jahre in seinerPerson vereint.

Geboren 1922 in Warschau, bezeichnete sich Barto-szewski mehrfach als einen Angehörigen der goldenenGeneration. Nach langer Teilungszeit geboren im unab-hängigen Polen, im Westen mit einer schwierigen Nach-barschaft zu Deutschland. Er lernte in der Schule bereitsdie Literatur, Kultur und Geschichte seines westlichenNachbarlandes gründlich kennen. Für ihn war Deutsch-

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land von Beginn an deshalb immer auch ein kulturhis-torischer Begriff. 1939 legte er am katholischen Gymna-sium in Warschau die Reifeprüfung, unter anderemüber Lessings Minna von Barnhelm, ab. Natürlich las erdie deutschen Klassiker im Original und lernte in derSchule die unterschiedlichen Aspekte der Geschichteunserer Länder kennen. In seinen Augen war es über1.000 Jahre zumeist eine friedliche und gute Nachbar-schaft gewesen. Ihn beeindruckte, dass die polnischenAufständischen, die 1831 aus dem zum russischen Reichgehörenden Kongresspolen fliehen mussten, im Nach-barland Deutschland begeistert aufgenommen wurden.Das Hambacher Fest 1832 ist bis heute ein Symbol dafür.

Von seinem Vater berichtete er den Ausspruch: »Es istist mir egal, welcher Herkunft ein Mensch ist, er muss ehrlichsein, das ist schon genug.« Solche einfachen, von den Elternvermittelte Maximen prägten den jungen Mann offen-bar nachhaltig. Vor dem Krieg war er nach eigener Aus-sage nicht strenggläubig. Seine Eltern, Angehörige derneuen Mittelschicht in dem wieder erstandenen polni-schen Staat, lebten ihm einen traditionellen Katholizis-mus vor, der großen Wert auf religiöse Praxis legte. Sieschickten ihn deshalb auch auf eine katholische Schule.

In seinen Erinnerungen beschreibt Bartoszewski alsentscheidendes Jugenderlebnis, dass er in einer Stadtmit einem Drittel jüdischer Bevölkerung aufwuchs. Erselber wohnte an der Grenze zu dem mehrheitlich vonJuden bewohnten Teil der Stadt und hatte auch jüdischeSpielkameraden. Das war in seiner Schulklasse durch-aus nicht die Regel. Bartoszewskis Mutter hatte, wie ersich erinnerte, die im polnischen Katholizismus nichtseltenen antisemitischen Vorurteile, aber sein Vaterstand, wie das oben genannte Zitat bereits verdeutlicht,

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eher über solchen Stereotypen. Aber trotzdem war erein Kind seiner Zeit.

Nach dem Abitur im Mai 1939 überlegte er ernsthaft,Priester zu werden. Zunächst wäre für ihn allerdings derWehrdienst obligatorisch gewesen. Aber der deutscheÜberfall auf Polen am 1. September 1939 änderte alles.Bartoszewski meldete sich sofort freiwillig. Im Chaosder Zeit wurde er aber nicht mehr eingezogen, sondernleistete Dienst in einem Krankenhaus beim Roten Kreuz.Dabei wurde er einmal beim Retten von Verwundetenbeinahe von einem deutschen Tiefflieger erschossen.Dieses Erlebnis erschütterte ihn bis ins Mark und nahmihm, wie er rückblickend feststellte, seine jugendlicheNaivität und Leichtigkeit.

Im September 1940 wurde er als Angehöriger derpolnischen Intelligenz verhaftet und in das Konzentra-tionslager Auschwitz deportiert. Dieses war damals nochkein Vernichtungslager, sondern ein Lager für Polen,deren Führungsschicht die Nazibesatzung liquidierenwollte. Der Kommandant zeigte den ›Neuzugängen‹ zurBegrüßung den rauchenden Krematoriums-Schornsteinund sagte: »Der einzige Weg hier raus führt durch diesenKamin«. Bartoszewski hat in der folgenden Lagerzeit allebekannten Grausamkeiten und Schikanen erlebt, hatteaber am Ende ›Glück‹ im Unglück. Er bekam eine Lun-genentzündung, die er dank der Fürsorge einiger Pflegerund Ärzte überlebte.

Am 8. April 1941 wurde er dann überraschend als ei-ner von ganz wenigen aus dem KonzentrationslagerAuschwitz wieder entlassen, vermutlich aufgrund einerIntervention des Roten Kreuzes, bei dem er ja vorher gear-beitet hatte. Unterernährt und mit Blutvergiftung kamer nach Warschau zurück und konnte Vertretern des in

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der Zwischenzeit entstandenen polnischen Untergrund-staats über die Situation im deutschen Lager berichten.

Seit Ende 1942 war er dann selbst im Untergrund inverschiedenen Funktionen tätig. Dabei engagierte ersich für alle Opfer der deutschen Besatzungszeit, auchfür Juden, was damals keinesfalls selbstverständlichwar, weil dafür die Todesstrafe drohte. Bartoszewskiwurde anonym bei der Gestapo denunziert, weil er Judengeholfen hatte. Eine unbekannte Beamtin im Postamt inWarschau hatte diesen Brief geöffnet und stellte ihnBartoszewski und nicht der Gestapo zu. Dieser wechseltesofort die Wohnung und konnte sich so retten. Währenddes Warschauer Aufstandes im Jahr 1944 kämpfte er gegendie Deutschen und überlebte dessen Niederschlagungund die letzten Kriegsmonate mehrfach nur knapp.

Was hatte dieser junge Mann 1945 mit noch nichteinmal 23 Jahren schon alles an menschlicher Grausam-keit und Brutalität, aber eben auch an Solidarität undHilfsbereitschaft erlebt! Es muss schon eine besonderePersönlichkeit sein, die aus diesen Erlebnissen keineRachegefühle, sondern das Bedürfnis nach Versöhnungentwickelt. Viele Polen hatten in der damaligen Zeiteinen Hass gegen die Deutschen und alles Deutsche.Bartoszewski hat es geschafft, aus diesem Erleben ohneHass und stattdessen mit dem Wunsch nach Versöh-nung herauszukommen.

In der Zeit nach Kriegsende arbeitete er zunächst fürdie Bauernpartei, die wichtigste Oppositionspartei gegendie unter sowjetischem Schutz die Macht übernehmen-den Kommunisten. Trotz zunehmender Terrormaßnah-men konnte er auf dem Lande für diese Partei arbeiten.So stellte er sich beispielsweise auf einen Marktplatz,unter misstrauischer Aufsicht der Sicherheitsorgane.

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Von einem Laster oder einem Podest aus, an den umlie-genden Hauswänden schon die Symbole der neuenHerrschaft als Plakate oder Fahnen präsent, sagte erbeispielsweise: »Wisst Ihr, Kollegen und Kolleginnen, Ihr solltniemals vergessen, dass wir Polen alles, was wir heute sind, derSowjetunion verdanken. Alles verdanken wir der Sowjetunion«.Die Leute wussten genau, was er meinte, doch man kon-nte ihm nichts vorwerfen. In solcher für ihn typischenironisch-subtilen Weise verstand er es, den Terror beimNamen zu nennen, aber nicht angreifbar zu sein.

Wen wundert es, dass er trotzdem bald vom polni-schen kommunistischen Sicherheitsdienst verhaftetwurde? Weil man Bartoszewski Spionage und Subver-sion aufgrund seiner getätigten Äußerungen nicht nach-weisen konnte, wurde er zwar wieder entlassen, aller-dings erst nach gut einem Jahr. Bartoszewski vermutete,dass wohl jüdische Beamte im Sicherheitsapparat undseine Auschwitz-Vergangenheit ihn vor Schlimmerenbewahrten. Wie er schreibt, saß er im polnischen kom-munistischen Gefängnis mit einem Priester, einemWiderstandskämpfer und einem Gestapo-Offizier zu-sammen in einer Zelle. Die Erfahrungen und Erlebnissedort, die er später ganz lakonisch beschrieben hat, ha-ben ihn tief geprägt. Aus den Schikanen ist er schließ-lich als jemand hervorgegangen, der es sich zur Aufgabemachte, Brücken zu bauen.

Bartoszewski war ein polnischer Patriot, wie mansich keinen besseren vorstellen kann. Aber in Bezug aufdie universellen menschlichen Werte war er ein Kosmo-polit. Und die Tatsache, dass ihm in Israel, Deutschlandund Polen in Ehren gedacht wird, zeigt, dass seine Be-deutung weit über den nationalen Tellerrand und dennationalen Bedeutungshorizont hinausreicht. Obwohl

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eigentlich in seinem Leben zunächst alle äußeren Um-stände dagegen sprachen, wurde er zudem Brücken-bauer zwischen Deutschen, Polen und Juden.

Im Jahre 1954 wurde er endgültig aus der Haft entlas-sen, nachdem bei ihm Tuberkulose und ein Schaden desHerzmuskels festgestellt wurden. Man hatte ihn gewis-sermaßen zum Sterben nach Hause geschickt. Ein jüdi-scher Anwalt nahm sich dieses Auschwitzhäftlings an,kümmerte sich um ihn und sorgte dafür, dass er im Zugeder einsetzenden Entstalinisierung als unschuldig an-erkannt wurde und sogar eine Entschädigung bekam.

Er konnte dann bei der katholischen WochenzeitungTygodnik Powszechny arbeiten. Nach eigener Aussage wur-de er nach und trotz Auschwitz zum gläubigen Katholi-ken. Immer wieder wurde er in den nächsten Jahren vonden Sicherheitsbehörden der Volksrepublik Polen ver-hört und schikaniert. Ab 1970 hatte er Ausreiseverbot.Er engagierte sich trotzdem oder wahrscheinlich geradedeshalb bei den sogenannten Fliegenden Universitäten.Diese waren illegale Bildungsangebote für polnische Ju-gendliche. Ein Vorbild für diese Universitäten gab esschon während des Krieges unter deutscher Besatzung.Unter kommunistischer Herrschaft wurden sie neu ge-gründet, um Orte zu schaffen, in denen man den Kin-dern die Wahrheit über Katyn erzählte und die Zusam-menarbeit der Sowjetunion mit Hitlerdeutschland undihre Mitschuld am Krieg von 1939 zum Thema machte.Alles Dinge, die im offiziellen Schulunterricht nicht zurSprache kamen. Diese Untergrunduniversitäten, die im-mer an wechselnden Orten und in Privatwohnungenstattfanden, auch bei Bartoszewski zu Hause, haben ei-ne ganze polnische Generation geprägt.

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Die ersten Kontakte zu Deutschen nach der Nazizeitwaren Jugendliche aus der DDR, die im Rahmen derAktion Sühnezeichen nach Polen reisten. Wenn sie in War-schau waren, wurden Sie von Władysław Bartoszewskidurch die Stadt geführt. Er hat ihnen die Kriegszeit ge-schildert und sie auch über polnische Geschichte infor-miert. Erste Kontakte nach Österreich gab es auch. Je-doch erst 1965 konnte Bartoszewski auf Einladung einerdeutsch-französischen Zeitschrift in die BundesrepublikDeutschland reisen. Offiziell wurde das deklariert als Be-such der Dokumentationsstelle für NS-Verbrechen in Lud-wigsburg bei Stuttgart, da Bartoszewski schon in denersten Jahren nach dem Krieg seine Erinnerungen anden Warschauer Aufstand und die Judenverfolgung pu-bliziert hatte. So glaubten ihm die polnischen Behörden,dass er für weitere Recherchen zur Dokumentationsstel-le nach Deutschland fahren musste.

Er lernte nun nach der Nazizeit das andere Deutsch-land kennen. Zum Beispiel Menschen, die die Verant-wortung für die eigene Schuld annahmen und an einerechten Versöhnung interessiert waren. Er stellte aberauch fest dass das Interesse der Polen an Deutschland,auch zur damaligen Zeit, ungleich größer war als umge-kehrt. Während sich in Polen jeder für die Entwicklungin Deutschland interessierte, war das Interesse an Polenin der Bundesrepublik Deutschland eigentlich nur beiden Vertriebenen vorhanden. Also bei denjenigen, dieaus den Oder-Neiße-Gebieten nach Deutschland fliehenmussten und sich für ihre frühere Heimat noch interes-sierten. Nicht alle waren in den ostdeutschen Lands-mannschaften und im Bund der Vertriebenen organi-siert. Zu den anderen gehörten beispielsweise MarionGräfin Dönhoff, Klaus von Bismarck oder Richard von

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Weizsäcker mit preußisch-evangelischem Hintergrund.Durch sie kam Bartoszewski mit wichtigen intellektuel-len Kreisen in Westdeutschland in Verbindung. 1966 warmit dem Bensberger Kreis eine Gruppe entstanden, derauch katholische Politiker wie Bernhard Vogel oderHans Maier angehörten. Sie vermittelten Bartoszewskiebenfalls wichtige Kontakte, da er ja auch für einekatholische Wochenzeitschrift in Polen arbeitete.

1972 wurde Bartoszewski Generalsekretär des polni-schen PEN Clubs. Dies ermöglichte ihm, seine Auslands-kontakte zu erweitern, nicht nur in den kapitalistischenWesten sondern auch in andere Länder. Er schrieb sehrironisch über seine Begegnungen mit dem PEN-Club derDDR. Außer in Polen waren alle PEN-Club-Vertreter imfrüheren Ostblock natürlich staatstreu. Als er zum ers-ten Mal mit seinem DDR-Kollegen zusammentraf, hattedieser natürlich erwartet, einen überzeugten Kommu-nisten anzutreffen. Er war entsetzt über BartoszewskisEinstellung. Bartoszewski fand die DDR seinerseitsschwer verdaulich und bemühte sich nicht sehr um dieseBeziehung: »Wissen Sie, Preußen und Kommunisten das warfür uns Polen einfach zu viel.«

Ab 1974 hatte Bartoszewski an der Katholischen Univer-sität in Lublin einen Lehrauftrag zur Zeitgeschichte Po-lens inne. Nach Deutschland liefen die Kontakte damalsvor allem über die katholische Laienorganisation PaxChristi unter Reinhold Lehmann, dem jüngeren Bruderdes damaligen Kardinals Lehmann. Pax Christi war sehrin Richtung Polen orientiert, aber für BartoszewskisGeschmack waren diese westdeutschen Katholiken zulinks orientiert. Dem Episkopat in Polen galten sie sogarals linksradikal. Der einzige, der mit ihnen zusammen-arbeitete, war der Krakauer Kardinal Karol Wojtyła, zu

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dessen Diözese Auschwitz gehörte. Er ermöglichte PaxChristi, an diesem Ort die deutsch-polnischen Ausch-witz-Seminare zu veranstalten, an denen Bartoszewskials Zeitzeuge mitwirkte.

1975 kam Reinhold Lehmann mit einem halb offiziel-lem Auftrag nach Polen, um Entschädigungsfragen zubesprechen. Er forderte Bartoszewski als Kontaktpersonbei den polnischen Behörden an. Aber Bartoszewskihatte zu dieser Zeit Reiseverbot. Er wurde deshalb beimAmt für Kirchenfragen einbestellt und der Zuständigesagte ihm: »Ich gebe Ihnen die Reiseerlaubnis. Diese Idioten ausdem Innenministerium haben für Sie eine riesige Reklame ge-macht, indem sie ihnen das Reisen verboten haben. So wurdenSie in Deutschland zum Märtyrer. Das ist eine Dummheit. Ichwürde sie sogar gerne für ein ganzes Jahr nach Deutschlandschicken«. Tatsächlich schützte ihn die Vergangenheit alsWiderstandskämpfer und Auschwitz-Häftling, aber erwar dennoch in Volkspolen eine Unperson, weil er alsKämpfer der Heimatarmee auf der nach damaliger Dok-trin falschen Seite des Widerstandes gewesen war. Hel-den waren damals nur die wenigen kommunistischenPartisanen.

Die nächsten Jahre eröffneten Bartoszewski die Mög-lichkeit, seine Kontakte nach Deutschland zu intensivie-ren. Er war kurz nach dem ersten Sekretär der PolnischenVereinigten Arbeiterpartei, Edward Gierek, in der Bun-desrepublik, der im Jahr 1976 Helmut Schmidt besuchte.Bartoszewski hat sich immer über die große Sympathiedort für Gierek gewundert. Helmut Schmidt sagte sogar,er hätte ihn gerne in sein Kabinett aufgenommen.

Es wurde ihm deutlich, dass man in Deutschlandüber die Entwicklung in Polen und über den Rückhaltder damaligen Machthaber in der Bevölkerung völlig

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falsche Vorstellungen hatte. Seine deutschen Gesprächs-partner gingen davon aus, dass Gierek ein von der Be-völkerungsmehrheit getragener Politiker sei, nicht derFührer einer Unterdrückungspartei. Bartoszewski hataus seiner Kritik an der deutschen Haltung gegenüberden Führungskreisen im Ostblock, die auch Grundlageder Entspannungspolitik von Willy Brandt war, nie ei-nen Hehl gemacht. Aus seiner Sicht waren das »die richti-gen Anliegen, aber mit den falschen Leuten«.

Als dann 1978 der ihm sehr verbundene KardinalWojtyła zum Papst gewählt wurde und im nächsten Jahrals Johannes Paul II. nach Polen kam, war dies für Bar-toszewski ein Schlüsselerlebnis. Er zitiert den Schrift-steller Kazimierz Brandys: »Johannes Paul wird mit demHubschrauber vom Flughafen zum Siegesplatz in Warschau flie-gen. Der Heilige Vater, der im Himmel über Warschau schwebt.Ein polnischer Papst, der aus den Wolken herab steigt, direkt insHerz der kommunistischen Hauptstadt. Man rede mir bittenicht von den Visionen der Romantiker und Surrealisten. Einsolches Bild hätte sich kein Dichter ausdenken können«. Barto-szewski war bei der Predigt des Papstes vor einer Mil-lion Menschen dabei, der ersten freien Veranstaltung inder Volksrepublik Polen, mit der Botschaft: »Hab keineAngst. Komm heiliger Geist und ändere das Antlitz der Erde«.Bartoszewski sagte, er habe sich umgesehen, und in die-sem Moment sei die kommunistische Ideologie Schneevon gestern geworden. Keiner, der dabei war, habe an-schließend auf diese Ideologie noch einen Złoty gesetzt.

Damals gründete sich auch die erste freie Gewerk-schaft Solidarność – Solidarität, was wiederum von denwestdeutschen Politikern sehr zurückhaltend aufge-nommen wurde. Willy Brandt hat damals geäußert, diePolen sollten lieber arbeiten als demonstrieren. Solche

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Meinungen waren in Deutschland damals nicht seltenund fanden östlich der Oder ein negatives Echo.

In der Bundesrepublik zweifelte man an den Chan-cen einer freien Gewerkschaft im Ostblock. Bartoszew-ski sagte zu deutschen Gesprächspartnern: »Wenn Sie ineinem Land mit 34 Millionen Einwohnern, davon 23 Millionenüber 18 Jahren, innerhalb eines Monats zehn Millionen Mitglie-der dieser Gewerkschaft organisiert haben, das kann man nichtmehr rückgängig machen.«

In einer Diskussion im deutschen Fernsehen wurdeBartoszewski damals geradezu bedauert. Als Pole sei erja in einer schwierigen geopolitischen Lage. Er entgeg-nete: »Ja, es ist wahr. Polen hat eine besonders schwierige geo-politische Lage zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Esgibt nur ein Land das eine noch schwierigere geopolitische Lagehat. Das ist die Sowjetunion, zwischen Polen und China.«

1981 wurde durch General Wojciech Jaruzelski dasKriegsrecht verhängt und viele Oppositionelle wurdeninterniert. Bartoszewski wurde zusammen mit Solidar-ność-Aktivisten wie Tadeusz Mazowiecki oder BronisławGeremek verhaftet. Bartoszewski meinte: »Das war schongut gedacht, dass wir so den negativen Einfluss auf die Arbeiter-schaft nicht mehr ausüben konnten. Doch weil wir jetzt alle zu-sammen waren, konnten wir uns gegenseitig ermuntern und inaller Ruhe die künftige Strategie ausarbeiten«. Er hat auch er-zählt, dass er im Lager aufgrund seiner großen Hafter-fahrung zum Lagerältesten gewählt wurde. Die ‚jungenWilden‘ von den Solidarność-Anhängern, die am liebstenin Hungerstreik getreten wären, beruhigte er: »Kommtmal, nichts da, wir essen hier alles, was es gibt. Auch die Zula-gen. Wir müssen gesund und fit sein, damit wir die Zukunft be-raten können. So einfach kriegen wir das nie wieder. Die haben

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uns alle zusammen gesperrt, früher waren wir über das ganzeLand verstreut.«

Dazu gehörte auch früh die Erkenntnis, dass ein frei-es Polen nur möglich war, wenn es die DDR nicht mehrgab. Schon Anfang der 1980er Jahre, als die Wiederver-einigung für viele in Deutschland nur noch ein Themafür Sonntagsreden war, gab es in der polnischen Oppo-sition eine intensive Beschäftigung mit der Vision einesfreien und vereinten Deutschlands nach dem westli-chem Muster. Das wurde damals auch erleichtert durchdie große Solidarität der deutschen Bevölkerung, diesich etwa in den Polen-Paketen ausdrückte und die dasDeutschlandbild in Polen nachhaltig positiv geprägt hat.

Bartoszewski wurde schon im April 1982 wieder ent-lassen. Andere wie Mazowiecki oder Geremek musstennoch viel länger im Lager bleiben.

Bartoszewski bekam ein Stipendium für Berlin. Erwar dort ein Jahr am Wissenschaftskolleg tätig und hat aneinem Buch über das Warschauer Ghetto geschrieben.Durch Vermittlung von Hans Maier, damals bayerischerKultminister, und der Katholischen Akademie Bayern be-kam er 1983 ein Angebot, am Lehrstuhl für politischeWissenschaft am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwis-senschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in Mün-chen zu unterrichten. Bartoszewski hatte zwar etwasLehrerfahrung an der Katholischen Universität in Lublingesammelt. Aber ihm war nicht ganz geheuer, nun alswestdeutscher Professor eingesetzt zu werden. Dochmeinte er trocken, er habe das nach der Bauernweisheitakzeptiert: Nimm, wenn dir etwas gegeben wird.

Bartoszewski sagte zu seinen Münchener Studenten,dass er es persönlich vielleicht nicht mehr erleben wür-de, aber sie würden noch ein wiedervereinigtes Deutsch-

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land kennenlernen und den Zusammenbruch derSowjetunion sehen. Darauf hätten diese dann immergetuschelt über den liebenswerten katholischen Spin-ner, ein bisschen reaktionär sei er auch, katholisch halt.

Nach der Wiedervereinigung hätten manche seinerfrüheren Studenten ihm dann Briefe geschrieben undgefragt, wie er das denn damals schon gewusst hätte.Darauf habe er geantwortet, »dass ich es wusste, weil es sorichtig ist. Denn einmal muss die Gerechtigkeit siegen, so wurdeich einfach erzogen.«

Im Oktober 1983 wurde er in einer Fernsehdiskussionanlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises anLech Wałęsa von Moderator Klaus Bednarz gefragt, obeine solche Verleihung an einen im Untergrund befindli-chen Oppositionellen nicht für den Frieden in Europaetwas Schlechtes sei. Da verlor Bartoszewski vor laufen-der Kamera seine Fassung: »Dass ich in diesem Land hier sowenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von politi-scher Unzuverlässigkeit der Polen zu hören bekomme, daserscheint mir einfach unglaublich.« Es war schwer für ihn zuertragen, dass viele Deutsche, zumindest offiziell, sicheher mit dem Regime abgaben, anstatt mit der Opposi-tion. Es gab deutsche Staatsbesuche, bei denen man mitder Opposition nicht sprach. Bartoszewski sagte dazu:»Es mag ja sein dass die Motivation vieler deutscher Sozialdemo-kraten und überzeugter Antifaschisten edler Natur war. Aber dieDurchführung ihrer Unternehmen war leider nicht auf demNiveau der guten Absichten.«

Für ihn war klar, nach der Solidaritäts-Episode 1980/81wird das System in Polen nicht mehr lange bestehen.Inzwischen bekam Bartoszewski 1986 den Friedenspreisdes Deutschen Buchhandels. Es war bezeichnend, dass keinVertreter der polnischen Botschaft anwesend war. Auf

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der Buchmesse 1986 in Frankfurt gab es auf dem polni-schen Stand keine Bücher von ihm. Berichte über dieVerleihung des Friedenspreises erreichten Polen nurüber den Tygodnik Powszechny. In Deutschland erreichteBartoszewski durch den Preis eine große Bekanntheit.Er bekam nun unzählige Einladungen zu Vorträgen, tratim Fernsehen sowie im Radio auf und teilte seine Sichtauf Polen mit einem größeren Publikum.

Er sagte aber auch: »Wenn ich das alleine gemacht hätte,hätten sie es mir mich nicht geglaubt, dann wäre ich wie für dieStudenten in München der arme katholische reaktionäre Spinnergeblieben.« Gleichzeitig waren auch noch andere Solidar-ność-Vertreter in Deutschland unterwegs. Unter ande-rem der Warschauer Historiker Jerzy Holzer, der die Ge-schichte der Gewerkschaft Solidarität schrieb. Der Autordieser Zeilen war damals an der Universität Mainz. Pro-fessor Holzer, den ich aus Warschau bereits kannte, wardort am Institut für europäische Geschichte Stipendiat. Ein-mal kam er abends zu mir und sagte: »Ich muss mich malmit jemanden unterhalten, der Polen kennt. Ich bin hier aneinem Institut, an dem mir von den deutschen Mitarbeitern täg-lich die Vorzüge des Sozialismus geschildert werden. Die wollenmich überzeugen, dass es das richtige System ist. Ich habe denengesagt, kommt mit, ich zeige euch mal, wie es da ist. Aber sie wol-len nicht kommen und sich ihre Ideale von der Realität kaputtmachen lassen.«

Bartoszewski sagte, weil er wie Holzer Vorträge überPolen hielt und beide Männer das kommunistische Po-len kritisierten, hätten sie manchmal erreicht, dass dieLeute dachten, wenn zwei dasselbe sagten, dann sei viel-leicht etwas dran. Durch sein Lebensschicksal hatte ereine besondere Glaubwürdigkeit für unterschiedlichepolitische Gesprächspartner. »Man hat mich doch immer

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geschätzt und gewürdigt. Für die Linken war ich der, der unterHitler gelitten hat und in Auschwitz war. Für die Christdemo-kraten war ich der, der unter Stalin gelitten hat. Für beide Lagerwar ich ein vertrauenswürdiger Gesprächspartner.« Barto-szewski machte sich dies für seine Aufklärungsmissionin der Bundesrepublik zunutze.

Tatsächlich brach dann 1989 für viele Deutsche über-raschend das kommunistische System in Polen zusam-men. Es gab eine nicht-kommunistische Regierung un-ter Tadeusz Mazowiecki. Dieser ernannte Bartoszewskizum ersten freien polnischen Botschafter in Wien. Bar-toszewski sagte: »Mazowiecki kam zu mir und sagte: Duwirst Botschafter in Wien. Ich sagte zu ihm: Aber ich habe Bot-schafter noch nie gemacht. Da erwiderte Mazowiecki: Ich Mini-sterpräsident vorher auch noch nicht.«

1990 wurde er vor der Wiedervereinigung Deutsch-lands im österreichischen Fernsehen gefragt, mit wel-chen Gefühlen er als Pole denn die Wiedervereinigungdes westlichen Nachbarlandes sehe. Er sagte: »Ich finde esganz toll und betrachte es mit sehr positiven Gefühlen. Morgengehe ich in die deutsche Botschaft und feiere mit. Das ist einbedeutender Tag, auch für Polen. Erstmals einen demokratischendeutschen Rechtsstaat als Nachbarn. Das haben wir so gewolltund wir akzeptieren es voll und ganz.«

Eine solche Aussage eines prominenten Polen warfür die internationale Akzeptanz der deutschen Einheitkaum zu überschätzen. Jeder dachte, wenn jemand da-gegen sei, dann mit Sicherheit die Polen. Die Wirkungdieser Haltung haben wir Deutschen damals wohl nichtso richtig geschätzt. Ein besseren Botschafter der deut-schen Interessen hätten wir uns in Wien damals nichtwünschen können. Das ist eine Seite von Bartoszewski,die ich für besonders erwähnenswert halte.

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Er wurde dann 1995, wovon er nie zu träumen wagte,polnischer Außenminister. Gleich im ersten Jahr konnteer etwas bedeutendes zur Verbesserung der schwierigendeutsch-polnischen Beziehungen tun. In Deutschlandwollte man das Gedenken an das Kriegsende mit denVertretern der alliierten Sieger begehen, hatte abernicht vor, den polnischen Präsidenten einzuladen. Daswurde in Polen damals sehr übel aufgenommen. Barto-szewski erreichte durch seine Kontakte, vor allem zurCDU, dass er im Bundestag vor den deutschen Abgeord-neten die Festrede halten durfte, sicherlich eine Stern-stunde der beiderseitigen Beziehungen. Ein Auschwitz-häftling war der Festredner im Deutschen Bundestag. Erhat in dieser Rede auf das bis heute nicht ausreichendbekannte Schicksal der Polen unter der deutschen Be-satzungszeit hingewiesen, hat aber auch die Vertreibungder Deutschen aus ihren östlichen Heimatgebieten nach1945 beim Namen genannt. Abschließend rief er zueiner friedlichen und guten Nachbarschaft auf. Dabeiwar er durch seine Vita so authentisch. Er sagte immer:»Ich habe nichts vergessen in meinem Leben. Ich habe Auschwitznicht vergessen, aber auch nicht die guten Taten der guten Men-schen. Freundschaft muss man aufbauen, das ist ein Prozess. Sielässt sich nicht per Dekret einführen. Das war nur die Vorstel-lung im Kommunismus, wo politische Zungenküsse von Partei-sekretären die Meinungen von Völkern zu ersetzen schienen.«Was man brauche, sei ein gesundes, normales Verhält-nis, sagte Bartoszewski, nämlich einfach Normalität.

In diesem Zusammenhang sei auch sein sehr prag-matisches Verhältnis zu einer damaligen Streitfrage er-innert, an die Ortsbezeichnungen in Polen. Es war bis indie 1990er Jahre in Deutschland fast ein politisches Be-kenntnis, ob man für Städte wie Danzig, Breslau oder

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Posen die deutsche oder die polnische Bezeichnungwählte. Bartoszewski hat in solchen Diskussionen im-mer darauf hingewiesen, dass die Bezeichnungen schonseit Jahrhunderten nebeneinander existierten, dass diePolen schon immer Wrocław und die deutschen Breslausagten, als es noch gar nicht um die staatliche Zugehö-rigkeit ging. Für ihn war das ein linguistisches Problem.

Als Außenminister veröffentlichte er mit seinemdeutschen Amtskollegen Hans-Dietrich Genscher einegemeinsame Erklärung, nach der im offiziellen Sprach-gebrauch beider Länder in deutschsprachigen Textenjeweils der gebräuchliche deutsche Name, in polnisch-sprachigen Texten der polnische zu verwenden sei. Ermeinte: »Erst, wenn kein Pole mehr unangenehm berührt ist,wenn ein Deutscher Danzig oder Stettin sagt, dann haben wirNormalität. Das muss unser Ziel sein.« In diesem Sinne sindwir heute seinen Zielen sehr nahe gekommen.

Bis zum letzten Atemzug, in fast schon biblischemAlter, setzte er sich offiziell wie privat für die Verbesse-rung der deutsch-polnischen Beziehungen ein. Auf dieFrage, wie er es geschafft habe, geistig und körperlich sofit geblieben zu sein, sagte er: »Ach wissen Sie, in den vielenJahren der Haft habe ich natürlich zweifellos und nolens volensmoralisch und sittlich gelebt. Und blieb somit unverbraucht.«

Es gab vermutlich niemanden, den Bartoszewski kaltließ. Die Zahl seiner Freunde wie seiner Kritiker nahmwährend seines Lebens kontinuierlich zu. Er provozier-te gerne und forderte seine Gesprächspartner heraus.

Mal begeisterte er, mal stieß er vor den Kopf. Selbstgute deutsche Freunde wie Hans Maier brachte er bei-spielsweise mit seiner kategorischen Ablehnung einesDenkmals für die deutschen Vertriebenen gegen sichauf. Dies war für viele unverständlich, da er ansonsten

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in Polen immer auch auf das Schicksal der deutschenVertriebenen hingewiesen hatte, was ihm wiederumdort in vielen Kreisen vorgeworfen wurde.

Er konnte einen innerhalb weniger Minuten erst zumWeinen und dann zum Lachen bringen. Er war apodik-tisch, Widerspruch war nicht vorgesehen. Ich habe langeAutofahrten in Erinnerung, wo ich lediglich mal »ja«oder »wirklich« sagen konnte. Denn wenn er mal zu re-den anfing, dann sprudelte es aus ihm heraus. Er konnteauch gut über sich selbst lachen, und war für seinenspitzen Humor berüchtigt. So sagte er gerne, man sollesich die Italiener anschauen, dann würde man auch diePolen besser verstehen. »Die sind lustig, nicht immer seriös,an sich sympathisch, es läuft nicht alles so ab, wie man denkt, dieRegierungen ändern sich in jedem Jahr oder zweiten Jahr, dochniemand interessiert sich zu sehr dafür.« Und zum Abschlussseiner Ausführungen sagte er oft: »Ich lebe noch. Und dasgeschieht meinen Feinden ganz recht.« Tatsächlich genoss erden Triumph, dass ihn die totalitären Systeme des 20.Jahrhunderts nicht hatten brechen können und er vieleseiner Gegner letztlich besiegt hatte. Getreu dem Motto,das auch Titel eines seiner Bücher war: »Es lohnt sich,anständig zu sein.«

Bartoszewski sagte einmal über Reinhold Lehmann:»Gibt es unersetzliche Leute? Es gibt sie nicht, aber es gibt äußerstschwierig zu ersetzende Menschen. Nach den menschlichen Ge-fühlen bleiben die Leute unersetzbar, man kann zwar noch an-dere Freunde haben, aber kein Freund ersetzt den anderen.« Indiesem Sinne bleibt Bartoszewski für uns Deutsche undfür mich unersetzbar.

Der Beitrag basiert auf einer im Rathaus zu Berlin am 12. Juli 2018 gehaltenen Rede.

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Reise einer VisitenkarteErinnern verknüpft Zeiten und Menschen, auch nach 54 Jahren

Unter den Gästen einer Erinnerungsveranstaltung anBartoszewski in Dresden befand sich eine der Teilneh-merinnen der ersten deutsch-polnischen Begegnungen,die Aktion Sühnezeichen in den 1960er Jahren organisierte.Die heute 80-Jährige erinnert sich an die Besichtigungdes KZ Majdanek in Lublin. Sie half bei Bauarbeiten aneiner Kirche in Danzig und besichtigte Warschau.

Hier wurde die Gruppe zu einer Begegnung mit pol-nischen Publizisten aus dem Umfeld des Klubs der Katho-lischen Intelligenz – KIK – und von Tygodnik Powszechny ein-geladen. Im Sommerhaus der KIK-Mitgründerin AnielaUrbanowicz vor den Toren Warschaus trafen sie unter

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anderem auf Tadeusz Mazowiecki und Władysław Bar-toszewski. Irgendwann im Verlauf der Begegnung fragteBartoszewski nach den weiteren Plänen der deutschenGäste in Polen. Zwei von Ihnen beabsichtigten per An-halter nach Krakau zu fahren, obwohl sie dort nochnicht mal einen Schlafplatz hatten. Władysław Barto-szewski empfahl ihnen, sich bei der Redaktion von Ty-godnik Powszechny an der Wiślna 12 zu melden. Zur Emp-fehlung händigte er ihnen seine Visitenkarte aus, aufdie er die Namen seiner Redaktionskollegen KrzysztofKozłowski und Mieczysław Pszon schrieb. Auf derenRückseite fügte Bartoszewski handschriftlich hinzu: »Namiłość Boską! Przenocujcie te dwie dziewczyny z ›Aktion Süh-nezeichen‹. Władek« (»Bei der göttlichen Liebe! Lasst die zweiMädchen von ›Aktion Sühnezeichen‹ übernachten..Władek«)

In Krakau angekommen fanden die jungen Tramper-innen weder Kozłowski noch Pszon vor. Aufgenommenwurden sie stattdessen vom Priester Andrzej Bardecki,dem seinerzeitigen Leiter des Religionsressorts von Ty-godnik Powszechny. Er organisierte den beiden Übernach-tungen im Krakauer Ursulanerkloster.

Die Visitenkarte blieb seit dieser Reise ein gehegtesErinnerungsstück und zusammen aufbewahrt mit ei-nem Autostopp-Buch, dem in der damaligen Zeit obli-gatorischen Versicherungsheft für Tramper.

Auch Władysław Bartoszewski hat verschiedene Ma-le die Begegnung mit den Mitgliedern von Aktion Sühne-zeichen erwähnt, zu denen er zunächst ohne größerenEnthusiasmus vom Chefredakteur Jerzy Turowicz ab-geordnet wurde. Aus dieser ersten Begegnung mit denDeutschen seit Kriegszeiten entwickelte sich sein Enga-gements für die polnisch-deutschen Beziehungen.

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Toleranz, Courage, Mutzum HandelnFrühe Prägung, Erfahrungen im Widerstand und wie daraus trotz-dem Versöhnungsbereitschaft entstehen konnte.

Władysław Teofil Bartoszewski

Kaum jemand in Polen hatte eine so lange und so kom-plizierte Beziehung mit den Deutschen wie mein Vater.Schon im Gymnasium weckte sein Lehrer Tadeusz Mi-kułowski seine Liebe zur deutschen Kultur. Er las täglichGoethe, Herder, Lessing und Heine. Viele Jahre späterrezitierte er noch deutsche Gedichte aus dem Kopf. Esist bittere Ironie des Schicksals, dass der Tadeusz Mi-kułowski, der die deutsche Kultur so liebte, im August1944 durch deutsche Soldaten getötet wurde. Mein Vaterlandete im Alter von 18 Jahren in Auschwitz. Er hat dortnur 199 Tage verbracht, jedoch in gewisser Weise diesesLager nie verlassen.

Warum war mein Vater, wie er war? Schauen wir aufseine erste Lebensetappe, also Familie, Eltern und Schu-le. Seine Eltern waren sehr tolerante Menschen. MeinGroßvater war ein hoher Angestellter der polnischen

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Nationalbank und lebte in einer Dienstwohnung bei derBank, an der Grenze zum jüdischen Viertel gelegen.Dort lebten damals ungefähr 300.000 jüdische Ein-wohner, ungefähr ein Drittel der Warschauer Bevölke-rung. Die Kinder, mit denen mein Vater im Garten desKrasinski-Palasts spielte, waren jüdische Kinder. So hater auch jiddisch gelernt. Meine Großeltern haben regel-mäßig Freunde eingeladen, die jüdische Polen waren.Für meinen Vater war es nichts ungewöhnlich, dass Leu-te mit einer anderen Kultur und Religion zu ihm nachHause kamen. Es hat ihn eher irritiert, dass, wenn diejüdischen Freunde aus der Finanzwelt kamen, sein Vatersich mit Ihnen im Zimmer einschloss, um gemeinsamBriefmarken zu betrachten. Großvater war ein passio-nierter Briefmarken- und Münzsammler.

Mein Vater hat die ersten Schuljahre zu Hause miteiner Gouvernante gelernt. Ab dem Gymnasium undLyzeum ist er auf eine private Jesuitenschule gegangen.Dort hat er eine profunde Bildung von Lehrern aus demOrden erhalten, die ihm auch Toleranz und die Ableh-nung von Gewalt vermittelten. Speziell lehrten sie ihnden Respekt vor anderen Meinungen. Bis zum Ende sei-nes Lebens erinnerte er sich an seine vier bis fünf Lieb-lingslehrer, die ihn beeinflussten.

Noch vor Juli 1942, als die ersten Massentransportevon Juden nach Auschwitz kamen, wurden ca. 9% derAuschwitzhäftlinge entlassen, so auch mein Vater. Erkam krank und ratlos zurück und suchte seinen Platz imLeben. Was er damals ganz im Kontrast zu den oben er-wähnten Tugenden über die Deutschen dachte, schilderter sehr freimütig:

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»Aber ich kann nicht leugnen, dass ich in der Zeit nach mei-ner Entlassung aus dem Lager, bis zum Herbst 1942, manch-mal eine tiefe Abneigung allen Deutschen gegenüber verspür-te. Ich freute mich, dass Ihre Städte bombardiert wurden,dass dort Menschen umkamen, dass ihre Familien litten undweinten, so wie es auch unsere Familien hilflos taten. Michfreuten sogar scheinbare oder gar verfälschte Nachrichtenüber deutsche Misserfolge an der Front, obwohl das Reich biszum Winter 1942 im Grunde genommen nichts als Erfolgeverzeichnen konnte. Ich kann mich auch erinnern, dass ichmich freute, als ich einen Verletztentransport von der Ost-front sah. Vollkommen unkritisch, vor allem für jemanden,der katholische Schulen besucht hatte, lehnte ich jeden Deut-schen ab.«

Und dann passierte etwas, was das Leben meinesVaters grundlegend veränderte. Er machte Bekannt-schaft mit dem Priester Jan Zieja und legte die Beichteab. Der Priester war auch Feldkaplan im Jahr 1920. Nachder Beichte meines Vaters sagte er: »Du lebst, Gott hat dichgerettet, das ist ein Zeichen komm mal jetzt musst du etwassinnvolles machen.« Und mein Vater fragte: »Was kann ichals Student ohne Geld und Einfluss denn Gutes tun?« DerPriester antwortete, er solle denen helfen, die in einerschlechteren Lage sein als er selber. Und diese Leuteseien hinter der Mauer. Also: Hilf den Juden.

Die zweite Person mit sehr großem Einfluss auf mei-nen Vater war Zofia Kossak, eine bekannte katholischeSchriftstellerin: Sie reagierte als Erste auf die Massen-deportationen der Juden aus dem Warschauer Ghettoins Todeslager Treblinka. Keine zwei Wochen nach denersten Deportationen publizierte sie in 5.000 Exempla-ren ein Flugblatt mit dem Titel »Protest.« Sie schrieb:

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»Jeder, der tatenlos zusieht, wie Juden ermordet werden, ist mit-schuldig. Kein Christ darf das zulassen.« So entstand dannder Hilfsrat für die Juden Żegota. Die Gespräche mit denbeiden haben die Einstellung meines Vaters zu denDeutschen verändert: »Erst Zofia Kossak und Pater Ziejabeeinflussten mich, und ich begann meine – ich würde sagen –grenzenlose Abneigung einer Überprüfung zu unterziehen. Ichnahm an Diskussionen teil, die von Studenten in Privatwohnun-gen geführt wurden. Wir überlegten, was für eine Krankheit derHass war, mit dem die Menschen durch den von Hitler begonne-nen Krieg infiziert wurden. Ich wiederhole: Wir glaubten daran,dass die Deutschen verlieren, und das erfüllte uns mit Befriedi-gung. Aber langsam begannen wir zu begreifen, dass damit keinekollektive Abneigung gegen ein anderes Volk einhergehen darf.«

Statt Rache, geht es ihm um an rechtstaatliche Prin-zipien gebundene Gerechtigkeit: »Ich war sicher, dass Hit-ler den Krieg verliert, in meiner Generation hatten wir diesbe-züglich keine Zweifel, sogar als die Deutschen an der Wolgastanden. Und wenn Hitler verliert, fallen die Täter in die Handder Sieger - Großbritannien und Amerika. Und das wiederumsind christliche, demokratische Länder, die sich an bestimmteFormen halten, die zwischen Menschen und über Menschen zurAnwendung kommen sollten. Und eine dieser Formen ist einProzess und ein Urteil.«

Zu seinen persönlichen Motiven sowie zu seiner Ein-stellung zu Rache, Gewalt und Strafe führt er dann aus:

»Ich habe in meinem Leben niemanden geschlagen und wolltedas auch nicht. Ich habe auch niemanden getötet, obwohlandere mich töten wollten. Ich habe mich immer in der Rolledes Zeugen und nicht der Rolle des Rächers gesehen: Du hastes gesehen und du musst die Wahrheit sagen. Deshalb bist duda. Wenn Gott dich am Leben ließ, sollst Du Zeugnis ablegen.

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Meine gesamte schriftstellerische Tätigkeit ist dadurch moti-viert, Zeugnis über Menschen, Dinge und Fakten abzulegen.Bewertungen oder endgültige kategorische Aussagen, die sichaufdrängen, bemühe ich mich jedoch, mit Bedacht zu formu-lieren.«

Mit dem Begriff des Zeugen ist auch der der Erinne-rung verbunden. Ein außergewöhnliches Buch dazumöchte ich hervorheben: Der Todesring um Warschau(Warszawski pierścień śmierci), mit dem mein Vater sichbemühte, jeden durch die Deutschen getöteten War-schauer Bürger zu dokumentieren. Mit Namen, Adresseund wo er getötet wurde. Das kann sonderbar erschei-nen, aber es gab den Familien der Opfer großen Frieden.Vater bekam tausende Dankesbriefe von Familien, dienun wussten, was mit ihrem Angehörigen passierte.

Die Erfahrung meines Vaters aus der Schule, aus derFamilie oder dem Gespräch mit Priester Zieja bewirkte,dass er anders auf die Welt schaute. So reifte in ihm derGedanke an Versöhnung. Als er im stalinistischenGefängnis saß, verbrachte er die Tage mit politischenHäftlingen, manchmal auch Kriminellen und Deut-schen. Mein Vater hat es nicht zugelassen, dass letzteremalträtiert wurden. Er sagte, dass er sich deshalb Gehörverschaffen konnte, weil er eine Haft im Keller des Ju -stizministeriums hinter sich hatte.

Es kommt das Jahr 1965, nach dem Versöhnungs-appell der deutschen und polnischen Bischöfe. Mankann sagen, der Brief der polnischen Bischöfe findetkein besonderes Echo bei den deutschen katholischenBischöfen, auch nicht in der polnischen Bevölkerung.Eine kleine Gruppe von katholischen Laien aus Polen,zu denen Tadeusz Mazowiecki, Mieczysław Pszon, Sta-

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nisław Stomma und mein Vater gehörten, begann mitdem Segen des polnischen Episkopats Beziehungennach Deutschland aufzubauen.

Schlussendlich gipfelte das viel später am 12. Novem-ber 1989 in der Versöhnungsmesse in Kreisau mit Mini-sterpräsident Tadeusz Mazowiecki und BundeskanzlerHelmut Kohl. Niemand sagt heute mehr, dass Versöh-nung zwischen Deutschen und Polen nicht möglich odernicht erwünscht sei.

Erinnernswert ist ebenfalls die Eigenschaft meinesVaters, sich stets um Wahrheit zu bemühen. Als etwaErika Steinbach die Geschichte des Zweiten Weltkriegesumschreiben wollte, war seine Antwort sehr entschie-den. So entschieden, dass manche in Deutschland mei-nen Vater einen polnischen Nationalisten nannten. Einpaar Jahre vor seinem Tod hat ihn eine deutsche Journa-listin gefragt: »Haben sie den Deutschen verziehen?« MeinVater antwortete, dass er keinem deutschen Verbrecherverziehen habe und auch kein deutscher Verbrecher ihnum Verzeihung gebeten habe. Dies sind zwei unter-schiedliche Dinge: Er hat sich mit den Deutschen ver-söhnt, aber eben mit anderen Deutschen. Und ist bei sei-ner Wahrheit geblieben.

Mein Vater sagte immer, man solle die Geschichtekennen und nicht verfälschen. Und besonders solle mansich auf die Zukunft konzentrieren. Die Zukunft betref-fend hat ihn Manches ausgezeichnet, was für uns Hin-weise zur Erinnerung an ihn geben kann.

Erstens ist dies unabhängiges und kritisches Denken.Er folgte nicht den Massen. Er hat sich Souveränitätbewahrt im Denken und Tun.

Zweitens, Engagement in öffentlichen Angelegenhei-ten. Er schätzte das Lamentieren und reine Philosophie-

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ren gar nicht, auch wenn viele seiner guten Freunde Phi-losophen waren. Er sagte gerne: »Wenn du etwas Sinnvolleskannst, dann mache es. Und wenn nicht, dann probiere es.«

Drittens hatte er Zivilcourage und erwartete dieseauch von anderen. Dazu gehört auch, sich den Mächti-gen zu widersetzen, wenn das nötig ist.

Man kann viertens sagen, er lebte in Wahrheit, auchwenn er nicht immer die Wahrheit sagen konnte, etwaunter der NS-Besatzung oder der kommunistischenRegierung. Aber er hat nicht gelogen. So war er stolz dadrauf, das er sich für kein Wort dass er geschrieben hat,schämen musste.

Fünftens, war er ein Mann des Dialoges. Er konntesich mit Leuten mit völlig anderer Meinung unterhalten.Aber ehrlich gesagt, mit Nazis und Kommunisten hat ersich nicht ausgetauscht, weil er meinte, das sei dann ei-ne Unterhaltung zwischen Häftling und Wächter. Erhatte übrigens auch klare Meinungen in Bezug auf diestrategischen Interessen Russlands, die nicht mit denstrategischen Interessen Polens übereinstimmten. Aberer hat sich mit allen russischen Außenministern ver-standen. So wurde er der einzige polnische Außenmi-nister, der eine spezielle goldene Medaille des russi-schen Außenministeriums verliehen bekam. EinVorgänger war Fürst Adam Czartoryski, der den russi-schen diplomatischen Dienst aufbaute.

Typisch für ihn war auch, vielleicht erklärt durch seinunabhängiges Denken, dass er sich keiner Massenbewe-gung angeschlossen hat. Massenpsychologie lag ihmnicht, auch wenn er ein großartiger Redner war, auchvor großen Menschenmengen. Nur einmal war er ineiner Partei, der Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe)

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unter Stanisław Mikołajczyk. Genauer gesagt von 1945bis 1947, als es noch eine tolerierte Opposition gab.

Was kann man im Sinne meines Vaters, tun? Ihnernst nehmend lautet die Antwort wohl: Man soll es injedem Fall versuchen. Ich beantwortete diese Frage mitder Mitgründung der Stiftung Fundacja Instytut im. Wła-dysława Bartoszewskiego – Stiftung Władysłæw Bartoszewski-Institut. Ihr allgemeines Ziel ist es, im Sinne meines Va-ters besonders im Bereich der internationalen Verstän-digung zu wirken.

Der Beitrag basiert auf einer im Rathaus zu Berlin am 30. August 2018 gehaltenen Rede.

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Mein BartoszewskiEin Gespräch mit Marcin Barcz, Wolfgang Templin und Nils-Eyk Zimmermann

Nils-Eyk Zimmermann: Mein Bartoszewski, das ist inso-fern ein irreführender Titel für unsere Runde, als wiraufgrund des vielfältigen Wirkens Bartoszewskis an-nehmen müssen, dass es sich bei Władysław Bartoszew-ski um viele Bartoszewskis handelt, so viele wie die An-wesenden hier zumindest. Weil wir als Bartoszewski-Initiative die Erinnerung an ihn zum Ziel haben, gehörtdazu ein differenziertes Bild von der Person WładysławBartoszewski, von seiner Wirkung in die Gesellschaftenund auch von seinem Werk. Besondere Aufmerksamkeitverdient die Frage, wie es Bartoszewski in Deutschlandund in Polen schaffte, in der Zivilgesellschaft und in diepolitischen Verhältnisse hinein wirksam zu werden. Wirkönnen das hier erfreulicherweise mit zwei Menschendiskutieren, die ihren Bartoszewski auch aus sehr un-terschiedlichen Perspektiven erleben durften: MarcinBarcz und Wolfgang Templin.

Wenn wir mit Menschen über Bartoszewski spre-chen, hängt vieles davon ab, wo ihn die jeweiligen Men-schen kennenlernten: In Polen, in Deutschland, im in-ternationalen Kontext oder als Außenminister oderStaatssekretär auf einer Tagung? Wer ihn in Polen er-

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lebte, hat ihn wesentlich öfter im Dialog mit Bürgernoder Jugendlichen gesehen. Allgemein ist heute seinspäteres Wirken als Politiker, politischer Berater undDiplomat präsenter. Genau darum soll es hier nicht aus-schließlich gehen, sondern auch um die anderen Statio-nen im Leben Władysław Bartoszewskis.

Marcin Barcz, wenn du auf das Leben Bartoszewskisschaust, was wären denn der Bartoszewski, den du ger-ne hervorheben möchtest?

Marcin Barcz: Meinen Bartoszewski lernte ich nicht inPolen oder Deutschland, sondern in Österreich kennen.Wenn ich von meinem persönlichen Bartoszewski er-zähle, dann nicht von einem Politiker und Diplomaten.Ich erzähle von Bartoszewski dem Publizisten, Journa-listen Schriftsteller und Chronisten. In diesen Funktio-nen hat er sich selbst gesehen.

Es ist sehr passend, das wir uns heute in einer Buch-handlung treffen. Erstens sieht es hier etwas aus wie imArbeitszimmer von Bartoszewski in der Karolinki-Stra-ße in Mokotów. Zweitens gibt das den Geist von Bar-toszewski als Schriftsteller wieder. Sein Debüt hatte er1934 als Zwölfjähriger in der Schülerzeitung. Er erzähltein diesem Aufsatz: Ich möchte gerne Geograph werdenund wenn das nicht möglich ist, könnte ich auch Repor-ter werden. Was dann später ja auch wahr wurde, viel-leicht unter anderen Bedingungen als vorgestellt. Wäh-rend des Krieges und der Besatzung Warschaus warBartoszewski bereits als Journalist tätig, zunächst in derkatholischen Untergrundzeitschrift Prawda im Umkreisum Zofia Kossak. Während des Warschauer Aufstandesarbeitete er in der Informations- und unter Radiostelle(Sender Anna).

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Nach dem Krieg, 1946, war Bartoszewski Journalist-bei der Gazeta Ludowa, dem eigentlich einzigen oppositi-onellen Blatt im Nachkriegs-Polen. Und dort schrieb erhauptsächlich Berichte über die Massenerschießungenund Exhumierungen rund um Warschau. Aufgrund die-ser Berichte sind später seine wichtigen Bücher entstan-den: Todesring um Warschau beschreibt die Massentötun-gen der Wehrmacht und NS-Besatzung. Als Journalistvon Gazeta Ludowa wurde Bartoszewski 1946 verhaftet.Dann befand er sich erneut eineinhalb Jahre in Isolati-onshaft des Sicherheitsdienstes. Erneut verhaftet imHerbst 1949 und nach weiteren 5 Jahren im Gefängniskam Bartoszewski frei und was machte er? Er setzteseine journalistische Tätigkeit fort für die Wochenzeit-schrift Stolica, ebenfalls mit dem Schwerpunkt als Chro-nist des Warschauer Aufstandes. Damit verbunden istauch eine lustige Geschichte. Einmal verlangte die Zen-sur von ihm, dass er Fotos ändern solle. Bartoszewskientgegnete: Ja, mache ich, aber sie stehen dann als Mit-autoren auf dem Umschlag.

Daraus ergab sich eine größere Affäre. Er wurde ent-lassen und trat 1957 in die Redaktion von Tygodnik Pow-szechny ein. Hier blieb Bartoszewski die weiteren Jahreund dort begannen seine ersten Deutschlandkontakte.

Nicht zu vergessen sind Bartoszewskis wichtigste Bü-cher: Prawda o von dem Bach (Die Wahrheit über vom Bach)oder Ten jest z mojej ojczysny (Der ist aus meiner Heimat), dasvielleicht wichtigste Buch aus dem Jahre 1967, das dieHilfe von Polen für Juden beschreibt. Es gibt auch eineenglische Fassung des Buches. Der Todesring um Warschauvon 1967 beziehungsweise in deutsch 1969 erschienen,wäre ebenfalls zu erwähnen.

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Zusammengefasst: Vorrangig war Bartoszewski einPublizist und Schriftsteller und meine Tätigkeit bei ihmwar demzufolge auch Hilfe bei der Herausgabe seinerTexte, an denen er bis zum letzten Lebenstag arbeitete.

Publikumsfrage: In Deutschland publizierte er auch,zum Beispiel im Rheinischen Merkur…

MB: Ja, in den 70er Jahren fing er an, in Westdeutsch-land zu publizieren, auch für die Welt die Berichte aus Po-len. Bartoszewski hat achtzig Bücher und um die 3.000Beiträge verfasst.

Wolfgang Templin: Meinen Bartoszewski gibt es nicht,wenn, dann unseren Bartoszewski, so müsste ich wohlanfangen. Natürlich ist der meine eingeschlossen, aberich sehe mich stellvertretend für eine ziemlich zahlrei-che Gruppe von Menschen, die aus ihrer DDR Erfahrungmit Bartoszewski in Berührung kamen. Die einen schondirekt, etwa durch Polenbesuche in den 1970er Jahren.Andere hörten viel früher von ihm und trafen dann spä-ter auf ihn. Sein Name war damals fast schon eine Le-gende. Meine Beziehung ist in eine Freundschaft einge-bettet mit Ludwig Mehlhorn. Ludwig Mehlhorn wird oftim Zusammenhang mit den polnischen Beziehungender DDR-Opposition genannt. Wir beide bemühten unssehr um die Brücken zu Solidarność in den Jahren vor1989. Unsere sehr verschiedenen DDR-Biografien, konn-ten sich auf wunderbare Weise ergänzen. Ich würde sa-gen, mittendrin stand eine Person, diese Person warBartoszewski. Als 2009 Ludwig und ich den Dialog-Preis bekamen und dieser uns von Władysław Barto-szewski überreicht wurde, war das für uns beide einerder bewegendsten Momente unseres Lebens. Seine fan-tastische Rede berührte uns sehr und gab uns einenHoffnungsschub. Ich konnte neben Ludwig stehend

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hören, wie er uns als Protagonisten eines authentischen Dia-logs zwischen Deutschen und Polen in Zeiten offizieller Verloge-nenheit« würdigte. Ja, Bartoszewski hatte die wunderbareEigenschaft, wichtige Momente mit etwas Scherz undIronie in einer solchen Form zu verbinden, dass die Be-deutung des Momentes klar wurde, aber man konntesich auch menschlich annähern, miteinander lachen.

Wenn ich ein paar Momente erinnere, die ich auchvorher schon mit Bartoszewski verband, würde ich ei-nen aus dem Jahr 2004 herausgreifen. In der Ukrainebrach die Orangene Revolution aus. Studienreisen undmeine Polen Kontakte ließen mich schon vorher zwarnicht diese Situation vorher sehen aber öffneten mich fürdie mit der Orangenen Revolution verbundenen Fragen.Was geschah in der Ukraine und was konnten wir dazubeitragen, bereits mit einem polnischen Nachbarn, derauch schon in der EU ist? Anfang Dezember, währendsich auf dem Majdan das Weitere entschied, bekam icheine Einladung des polnischen Pen-Clubs. In Warschaudiskutierte ich mit Bogumiła Berdychowska, die starkverbunden war mit der Pariser Kultura, und die die Fra-gen der Ukraine jahrzehntelang in Polen hochhielt, mitdem bekannten ukrainischen Publizisten Mykola Rjabt-schuk, während Władysław Bartoszewski moderierte.Er verstand es, uns drei binnen Sekunden zu verbinden,die wir uns vorher nicht kannten. Verbunden mit demAppell: Es ist an uns, diese Situation ernst zu nehmen.

Wir unterhielten uns später am Abend bei BogumiłaBerdychowska noch lange mit Mykola Rjabtschuk undmir wurde klar, die nächsten Jahre würden mich undmeine Frau Christiane Schubert immer wieder in derUkraine sehen. In solchen Momenten merkt man, wel-che Wirkung individuelle Signale haben können.

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NEZ: Man hört heraus, dass dort Leute am Tischsaßen, die sich nicht in erster Linie um ihre eigene His-torisierung bemühten. Ihnen ging es offensichtlich viel-mehr darum, herauszufinden, wie sie Ihre individuellenErfahrungen und Hintergründe in den Dienst einesfriedlicheren Europas stellen können. Alle die Anwe-senden hätten sich ja auch längst schon zurücklehnenkönnen, Preise entgegennehmen.

WT: Ja, und zwar ermöglicht durch eine ganz beson-dere Atmosphäre. Ich kenne Polen und ich kenne dieDebatten und Auseinandersetzungen, in denen dasnicht passiert. Hier war es der Charme und die Fröhlich-keit, mit der uns Władysław Bartoszewski zusammenbrachte. Er wusste gar nicht so viel über uns, aber erspürte instinktiv, was in dieser Runde steckt. UnsereKontakte brachen seitdem nicht ab.

NEZ: Wenn wir Bartoszewski hier hätten und Barto-szewski über Bartoszewski sprechen würde, was würdeer über sich sagen. Was war sein Antrieb?

MB: Ja, Bartoszewski sprach tatsächlich viel überBartoszewski und manche Menschen verstanden dasfalsch. Mehrmals hörte ich, der erzählt dauernd vonsich. Die begriffen nicht, dass Bartoszewski nicht übersich selbst sprach, sondern über die Sachen, die ihmwichtig waren. Ja, er sprach von eigenen Erfahrungen.Um sich selbst ging es ihm nicht vordergründig.

Auf die Frage, woher Bartoszewski seine Kraftschöpfte, hat Marek Zając eine Antwort gegeben. Erschreibt an einer Bartoszewski Biografie und war Sekre-tär im Internationalen Auschwitz-Rat. Bartoszewskiwar ein Mensch, der sich die Mühe machen wollte.Einer, der am Morgen aufstehen wollte, um den Tagnicht zu verlieren.

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Woher kam das? Ich denke das ist eine Eigenschaft,die ehemaligen KZ-Häftlingen sehr oft gemein ist. Bar-toszewski war ja ein Auschwitzhäftling. Im Herbst 1940als 18 jähriger verhaftet, im Frühjahr 1941 nach 199 Ta-gen entlassen. Er blieb immer dieser Verpflichtung desÜberlebenden treu. Bartoszewski erinnerte sich regel-mäßig an zwei Ereignisse: Er sprach von einem Appellam 22 September kurz nach seiner Ankunft. Dort stell-ten die SS-Leute die Neuankömmlinge zusammen,zogen einfach wahllos einen von ihnen heraus, wohl einLehrer aus Warschau, und schlugen ihn vor den Augender dort stehenden jungen Männer zu Tode. Bartoszew-ski sagte, dieses Ereignis steckte in ihm bis bis zu sei-nem Lebensende in den Gliedern. Er schämte sich dafür:Da standen tausende junge Männer. Vor ihren Augenschlug man einen Menschen zu Tode und keiner rührteaus Angst den Finger. Für ihn war das ein Moment dergrößten Scham.

Das zweite Ereignis war, als Bartoszewski im Lagerschwer erkrankte und in den Krankenbau kam. Immerwieder erinnerte er sich an das Gespräch zweier polni-scher Ärzte: Einer der beiden sagte, das sei ein hoff-nungsloser Fall. »Wir nehmen einen anderen der eine Überleb-enschance hat.« Der andere sagte: »Ich kenne den, das ist einjunger Student aus Warschau, der ist kräftig, der hat die Chancezu überleben. Er hat die Chance, von uns zukünftig zu erzählen.«Der Arzt hieß Nowak und kam später in Majdanek um.Dieser Mensch rettete Bartoszewski das Leben. Barto-szewski tat alles, um die Chance, die ihm so gegebenwurde, nicht zu verschwenden. Zeitlebens setzte er sichgegen Totalitarismus, Fremdenhass und gegen denKrieg der Menschen gegen die Menschen auch im Alltag

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ein. Er selbst sprach nicht direkt von dieser wichtigstenseiner Energiequellen, aber er schöpfte daraus die Kraft.

Allem äußeren Anschein entgegen war Bartoszewskinicht immer der energiegeladene Mensch, besonders imAlter. Ich erlebte meinen Bartoszewski als einen Men-schen, der manchmal sehr wohl sehr müde war. Einmalerinnere ich mich an eine Situation in Breslau, da wollteBartoszewski zu einer Veranstaltung, ebenfalls in einerBuchhandlung, und wohnte in einem Hotel um die Ecke.Vom Hotel gingen wir zu Fuß zur Buchhandlung. An derEcke sagte Bartoszewski: »Moment mal, ich muss kurz auf-atmen, ich habe keine Kraft.« Eine Minute hat er sich erholtnahm seinen Stock und ist dann zügig marschiert.

Außerdem erlebte ich einen Bartoszewski, kaum zuglauben, der keine Lust hatte, zu reden. Wir verbrachtenlange Stunden miteinander und jeder erledigte seineArbeit wir schwiegen. Sogar seine Frau Zofia Barto-szewska, die Redegewandtheit ihres Mannes gewohnt,sagte, das sei ja unbegreiflich, wenn der Marcin kommt,dann sei es auf einmal so still hier in ihrem Haus. Barto-szewski wollte sich auch manchmal erholen von demganzen Gerede. Wir saßen einmal auf dem Hauptbahn-hof in Warschau auf dem Weg nach Krakau. Bartoszew-ski bemerkte, dass auf dem Bahnsteig auch NormanDavies stand. Er sagte zu mir: »Stellen Sie sich vor mich,wenn der mich sieht, muss ich die ganzen zweieinhalb Stundensprechen. Ich will einfach in Ruhe Zeitung lesen.«

WT: Es gibt ein mittlerweile fast berühmtes Zitat vonihm aus dem Jahre 2007: »Ich bin jetzt 87 und möchte meinLeben in einem freien Polen beschließen« Er hatte in den letz-ten Jahren eine Ahnung von den Herausforderungenund von der Prüfung, die uns erwartet. Wir lernten unspersönlich kennen, kurz nachdem ich in Warschau an-

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kam, um das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung zu leiten.Ein wunderschöner Frühlingstag. Ich saß in dem großenArbeitszimmer an einem sehr großen runden Tisch, erwollte dass wir unbedingt an beiden Seiten des RundenTisches sitzen, das war der Tisch aus dem Arbeitszim-mer Tadeusz Mazowieckis. Bartoszewski sprach ja nunlaut. Wir unterhielten uns fast eine Stunde und ichsprach allmählich auch lauter. Nun schien er der Mei-nung gewesen zu sein, dass ich schwerhörig bin, weil ichso laut spreche und legte mit seiner Stimme noch mehrzu. Wir tauschen uns in wunderbarer Stimmung aus,obwohl es auch um ernsthafte Dinge ging. Die Fensterzum Park waren offen und wenn jemand unten lang lief,musste er denken, da seien ein paar Verrückte am Werk,die sich gegenseitig anbrüllen.

Ich weiß noch mit welcher Wachheit er eigentlich dieBedeutung der neuen Situation schon ahnte. Das war kurznach Smolensk und nach dem Ausbruch des Kultur-kampfes auf der Krakowskie Przedmiejscie. Diese in-tensiven Erfahrungen trieben ihn bis zu seinem Todsehr um.

MB: Rastlosigkeit - Sein Sohn fragte ihn warum erdenn so renne. Bartoszewski entgegnete: »Mein Junge, duhast noch Zeit. Ich muss laufen.«

NEZ: Wir waren schon in den 1970er Jahren, bei denverschiedenen Grüppchen, Abgefallene, prinzipiellnicht mit dem Sozialismus Einverstandenen, bei derheterogenen Sammlung unter dem Dach von Solidarność,dem Bündnis von Intellektuellen und Arbeitern. Barto-szewski war zu dieser Zeit eigentlich schon am Ende sei-nes beruflichen Lebens. Als Lehrer wäre er schon längstpensioniert worden, aber er machte wieder mit. Ist dasseine Rastlosigkeit? Ist das nun die Chance, mit seinen

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neuen Möglichkeiten Verantwortung mit einer anderenWirkung wahrnehmen zu können, besonders mit denKanälen nach Deutschland und in die Welt?

MB: 1981 setzte er eigentlich einfach nur seine Tätig-keit fort. Zur Sprache kamen die akademischen Tätig-keiten. Bartoszewski war Lehrbeauftragter an der Katho-lischen Universität Lublin (KUL) in den 70er Jahren. ZuBeginn der 80er Jahre verfasste er viele Untergrund-schriften, zum Beispiel gibt es Stenogramme seiner Vor-träge zum polnischen Untergrundstaat oder zum War-schauer Aufstand. Er gab eine Reihe von Vorträgen beiden Dominikanern in Breslau, in Poznań, Kraków oderin Lublin an der KUL. Da kamen viele Studenten auchvon anderen Studienrichtungen, in Lublin auch von derMarie-Curie-Skłodowska-Universität. Zu Bartoszewski ehe-maligen Studenten gehört auch der spätere Marschalldes Senats der Republik Polen, Bogdan Borusewicz, oderMinister a. D. Janusz Krupski, der in der Flugzeugkata-strophe von Smolensk umkam. Die beiden waren zweiLieblingsstudenten.

Die ersten deutschen Kontakte Bartoszewskis kamenerst 1965 zustande. Damals war er schon über vierzigund Redakteur von Tygodnik Powszechny. Dort fragte ihnsein Chefredakteur Jerzy Turowicz, ob er nicht eineGruppe junger Ostdeutscher von Aktion Sühnezeichendurch das Gelände des ehemaligen KZ Auschwitz führenkönne. Diese Aufgabe übernahm er ungern. Bis dahinwar er dort noch nicht einmal. Auf einmal junge Leuteohne Wehrmachtsuniform aus Deutschland, mit gutemWillen, die tatsächlich etwas machen wollen. Späterkam Bartoszewski 1965/66 nach Westdeutschland zuden ersten Deutschlandreisen. Ein Dokumentarfilm vonNDR Panorama legt darüber Zeugnis ab. Unter dem Titel

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Ein Pole besucht die Bundesrepublik beschrieb Bartoszewskidort, was aus heutiger Perspektive manchmal schonkomisch klingt: Etwa wenn er über die Werbung überallim öffentlichen Raum räsonierte. Er äußerte sich in die-sem Film aber auch sehr kritisch, etwa darüber, dassehemalige Nazis in der deutschen Verwaltung präsentwaren und besuchte ein Vertriebenentreffen. In derBundesrepublik knüpfte er weitere Freundschaften.Darauf kehrte er immer wieder nach Deutschland zu-rück. In den 1970er Jahren nahm er an den Seminarenvon Tygodnik Powszechny, Więż und Pax Christi und anKonferenzen teil und war ein bekannter Vortragender.

In den 80er Jahren, nach dem Ausruf des Kriegszu-stands in Polen, wurde Bartoszewski dann Gastprofes-sor in Westdeutschland. Schließlich bekam er den Frie-denspreis des Deutschen Buchhandels im Jahr 1986.

WT: Ich kann da etwas ergänzen: Ich sprach schonvon Ludwig Mehlhorn. Man muss sich uns beide in den70er Jahren vorstellen. Er ein sehr gläubiger Protestant,ich vom falschen Glauben abgefallen als junger beken-nender Kommunist. Ich kannte die Biografien von Ku-ron, Modzelewski und Michnik bereits im Detail. Vompolnischen Katholizismus hingegen, von Znak, TygodnikPowszechny, selbst von der Aktion Sühnezeichen hatte ichkaum eine Ahnung. Dafür aber Ludwig. Auf die unge-heure Bedeutung des neuen Papstes musste mich Lud-wig förmlich mit der Nase stoßen.

In den letzten Wochen und Monaten habe ich nocheinmal nachgelesen, wie eigentlich der linke Teil derKOR-Aktivisten und der Solidarność-Opposition sichzum Brückenbauen öffnete - da hatte Bartoszewski einezentrale Rolle. In einem Gesprächsbuch aus den Neun-ziger Jahren: „Między panem a plebanem“ tauschen sich Jó-

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zef Tischner, eine faszinierende Gestalt des liberalenpolnischen Katholizismus, Adam Michnik und JacekŻakowski als Moderator aus. Es geht unter anderemdarum, wie sie eigentlich in die Dialogbereitschaft ka -men. Das war schwieriger als man von heute aus denkt.Michnik machte in den siebziger Jahren seine erstenAnnäherungsversuche aus der Häutung des Jungkom-munisten und richtete sich an die liberalen Katholiken.Tischner reagierte noch zweifelnd, er fragte sich, wasdiese Post-Kommunisten wohl wollten. Kuroń suchte intiefster privater Verzweiflung nach den Sinnfragen. Eswaren Menschen wie der Priester Jan Zieja, als ältestesMitglied des KOR, die ihm hier beistanden. Jan Zieja,der auch Beichtvater von Bartoszewski war, und Barto-szewski selbst zeigten, es gibt nicht den einen kanoni-schen Weg zum Glauben. Wenn man das Evangeliumernst nimmt, heißt das, geh deinen eigenen Weg, nimmDeinen Mitmenschen in den Arm und dann findest dudas, was dir bisher gefehlt hat. Wir haben in den 1980erJahren immer gerätselt, wie geht das eigentlich? Wiekann man mit so verschiedenen Biografien, Vorerfahr-ungen und Traditionen ein solches Wunder des gesamt-gesellschaftlichen Dialogs vollbringen?

Die Kehrseite dessen ist, dass alles im nächsten Mo-ment wieder zerreißen kann, dass man eine Brücke, dieman einmal baute, immer wieder befestigen muss undweiter an ihr arbeiten muss, oder sie fällt auseinander.

Das erlebte ich dann zehn Jahre später. Ich weißnicht, ob Bartoszewski persönlich dabei war, als wir amrunden Tisch vor der großen Frage standen: Wie geht esmit uns weiter? Im Januar 1990 kam ich mit einer Dele-gation unseres gerade begründeten Runden Tisches inWarschau an. Es gab Begegnungen, Bilder mit Geremek,

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Mazowiecki und Michnik und ich entsinne mich derguten Ratschläge aus ihren Erfahrungen: »Bleibt zusam-men schließt den richtigen Kompromiss, lasst euch nicht ausein-ander dividieren.« Ein halbes Jahr später brach der Kriegan ihrer Spitze aus. Das ist die Kehrseite und das führtzur Frage: Was ist der Preis, solche Wunder zu erhalten?

MB: Bartoszewski hatte in seiner Umgebung Men-schen ganz unterschiedlicher politischer Anschauungenund Überzeugungen. Trotzdem waren alle bereit zumDialog. Er zeigte das immer am Beispiel seiner FreundeJan Józef Lipski, Sozialist, und Wiesław Chrzanowski.Nationaldemokrat. Sie konnten sich lange freundschaft-lich unterhalten.

Wolfgang Templin erwähnte den Priester Jan Zieja,der im Leben Bartoszewskis eine ganz bedeutende Rollespielte. Bartoszewski traf ihn das erste Mal nach seinerAuschwitz-Entlassung, als gebrochener junger Mensch,der seinen Glauben verlor. Ihm wurde Zieja empfohlenund Bartoszewski ging in dessen Kirche. Nach einerBeichte fragte er: »Was soll ich jetzt machen?« Ja, sagte der,er könne ihm nicht sagen warum er überlebt habe, aberer könne sich doch überlegen, ob das Überleben nichteinen tieferen Sinn hätte. Ob es nicht für ihn eine Rollegäbe? Bartoszewski entgegnete, dass er nur ein Studentsei, keine Kontakte habe und sich frage, was er dennjetzt tun könne? Der Priester entgegnete: »Sei einfachnicht gleichgültig. Die Kontakte werden schon kommen.« UndWochen später lernte Bartoszewski die SchriftstellerinZofia Kossak kennen. Er kam durch sie in die konspira-tiven Kreise und begann im Informationsbüro der Hei-matarmee mitzuarbeiten. Er gründete den konspirati-ven Hilferats für die Juden Żegota mit. Es gibt einigebekannte Namen, die Bartoszewski während des Krie-

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ges rettete. Die Beichte war ein wichtiger Wendepunktim Leben Bartoszewskis. Bartoszewski sagte immer,dass er sich nie von dem 1942 gegebenen Gelübde befreitfühlte. Man müsse dieses als früherer Soldat der Hei-matarmee auch weiter erfüllen.

WT: Wer die Debatten über den Sinn oder Unsinn desWarschauer Aufstands vor Augen hat wie sie aktuell ge-führt werden, dem sei die Perspektive Bartoszewskisempfohlen. Er nahm alle Kritik ernst und beschrieb denSinn des Aufstandes für sich, ohne kritiklos auf die da-maligen Akteure zu schauen.

Ich bin auf den polnischen Superspion Marian Za-charski, gestoßen. Den kann man mit ganz verschiede-nen Augen sehen, dennoch ergibt sich aus seinen Schil-derungen in Kody Wojny ein solides und differenziertesUrteil über den Aufstand. Bartoszewski sagte, er müssenicht jedes Wort ernst nehmen von einem Mann derDienste, aber sein Urteil nähme er zur Kenntnis. Er hieltKontakt zu ihm und sendete ihm auch ein Buch miteiner Widmung zu.

Bartoszewski baute Brücken in wirklich ganz ver-schiedene Richtungen. Nicht unkritisch, mit eigenemUrteilsvermögen, wissend dass eine klare Haltung imPolen der Nachkriegszeit unverzichtbar ist. Hätte mandas Gegenteil gemacht, sich in irgendeiner Art vongeistiger Festung eingemauert, wäre man an dieser Auf-gabe gescheitert.

MB: Bartoszewski stritt mit seinem Freund Stefan Ki-sielewski stundenlang über den Sinn des WarschauerAufstands. Der schrieb sogar in einem seiner Bücher:»Mein lieber Władysław hat mir meine Heimatstadt ruiniert.«

NEZ: Betrachten wir noch einmal die westdeutschePerspektive. Aus meiner Wahrnehmung sind die Jahre

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1980/1981 für die Westdeutschen ambivalent. Insbeson-dere diejenigen, die die Ostpolitik der sozialliberalenKoalition vorantrieben, identifizierten sich zwar mitWilly Brandts Versöhnungsgeste, doch Spitzenleute derSPD taten sich doch sehr schwer damit, eine positiveHaltung zu Solidarność nach außen zu tragen und anzu-nehmen. Mit Sicherheit ist es eines der Verdienste Bar-toszewskis, in Westdeutschland für das demokratischePolen die Trommel gerührt zu haben. Die Botschaft lau-tete: Vergesst dieses Land nicht. Vergesst auch Mitteleu-ropa nicht. Steigt nicht ein in dieses Grüne-Tisch-Spiel.Möglicherweise erleben wir ja gerade eine Situation, inder etwas Neues, etwas Positives passiert.

MB: Zu den Vorträgen Bartoszewskis im Deutsch-land der 80er Jahre erhellt eine kleine Anekdote diedamalige Einstellung.

Um 1987 sprach Bartoszewski einmal in einen Vor-trag in Bayern vor deutschen Studenten von der Wieder-vereinigung. Die Studenten schienen nicht so richtig be-geistert zu sein, sondern eher gelangweilt. Bartoszewskifragte später seinen Assistenten, was die eigentlich vonseinem Vortrag hielten. Der entgegnete, sie nannten ihneinen netten polnischen Träumer. Das war nur zwei Jah-re vor der Wiedervereinigung. Und es waren Studentender Politikwissenschaft.

NEZ: Das war eine Haltung die auch in den kritischen,sich an sich modern gebenden Kreisen in Westdeutsch-land ganz verbreitet war. Maxim Biller schrieb einmalüber diese komischen verträumten Typen aus der Tsche-choslowakei und aus Polen, die da plötzlich im Kultur-betrieb umherreisten und von einer Traumlandschaftnamens »Mitteleuropa« berichteten. Es ist nicht ganz un-verständlich, denn dahinter steckte die Befürchtung,

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Teile der deutschen Bevölkerung könnten die Gelegen-heit nutzen, sich der deutschen Schuld smart zu entledi-gen, alte Traditionsbestände im Sinne des imperialenNaumannschen Mitteleuropakonzepts recyceln und dendritten Weltkrieg provozieren. Menschen wie Barto-szewski passten da irgendwie nicht ins Bild. In derSprache von heute würde man sagen, die waren disrup-tiv. Aber man braucht natürlich Disruption, um neueImpulse aufnehmen zu können.

Publikumsfrage: Stimmt es dass Bartoszewski Jan To-masz Gross gegenüber sehr kritisch eingestellt war undwarum?

MB: Da gibt es auch eine Verbindung. Der Vater JanTomasz Gross‘ war ja Bartoszewskis Verteidiger in derkommunistischen Zeit und erwirkte seine Freilassung.Bartoszewski tätigte einige kritische Äußerungen überProfessor Gross. Aber eigentlich erzählte er selbst vielÄhnliches. Bartoszewski verschwieg nie die Mitschuldeiniger polnischer Bürger an den Judenmorden in Ost-polen. Das hatte übrigens Konsequenz seit der Zusam-menarbeit mit Zofia Kossak, die auch über die polnischeTeilnahme an manchen dieser Geschehnisse schrieb.Vor kurzem wurde etwa im polnischen Senat eine Aus-stellung über Zofia Kossak eröffnet. Ich weiß nicht, obdie Senatoren die Ausstellung richtig lasen, denn dasteht genau das, was heute eigentlich in Polen unterStrafe steht. Zofia Kossak schrieb nämlich von der Teil-nahme der Bewohner in Städten um Łomża an Judenpo-gromen. Bartoszewski war auch vom Frühling 1946 anMitglied in der Liga zum Kampf gegen den Rassismus. Gleichnach dem Pogrom von Kielce schrieb er eine erschüt-ternde Broschüre dazu.

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Die Beziehung zwischen Gross und Bartoszewski warkompliziert und begann mit seinem Vater. Barbara En-gelking vom Internationalen Auschwitz-Rat hätte dazuvielleicht mehr zu sagen.

Publikumsfrage: In Warschau suchte ich in drei Buch-handlungen nach Büchern Bartoszewskis und immerwurde mir gesagt: Bartoszewski? Den haben wir nicht.Auch bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin habe ich in Erinnerung, da war auchniemand von der offiziellen Seite Polens. Ich sprach ananderer Stelle darüber und erzählte, wie mich das är-gert. Es stellte sich heraus, der junge Herr war Diplomatbei der polnischen Botschaft und sagte: »Na, ja, wir sind jaauch nicht eingeladen worden.« Stichwort Kulturkampf: Wiemacht sich dieser an Bartoszewski fest?

MB: Über Bartoszewski herrscht in Polen heute eineschizophrene Haltung. Einerseits wird er auch vom In-stitut für nationales Erinnern (IPN) sehr wohl erwähnt, bei-spielsweise in einer Ausstellung anlässlich des Jahres-tages von Żegota. Auch in der Wochenzeitschrift GośćNiedzielny befand sich eine Beilage herausgegeben zu de-ren 75. Gründungstag – unter dem Motto »Die Heldenehren.« Verfasst vom Vizepräsidenten des eben erwähn-ten Instituts für nationales Erinnern ist auch ein Text überBartoszewski enthalten.

Auf der anderen Seite wenn Sie im Internet Barto-szewski eintippen und googlen, finden Sie schon nachdem Wikipedia-Eintrag eine populäre Seite, auf derBartoszewski als »Jude«, »Verräter« oder »Kollaborateur«bezeichnet wird. Aber interessant: Im Impressum derSeite steht ein gewisser Krzysztof Wyszkowski und derarbeitet für das IPN. Für mich unverständlich.

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NEZ: Jede Person, die es zu etwas gebracht hat, ins-besondere diejenigen, die über eine solche Biografie ver-fügen, haben ihre Gegner. Was wir in Polen erleben istaber, dass Bartoszewski zum Fokus von Kampagnenwird. Da wir als Initiative aber nicht nur ein unkriti-sches Erinnern an Bartoszewski anstreben, müssen wiruns auch abseits von hate speech damit beschäftigen, wasman kritisch an ihm sehen kann. Welche Eigenschaftenund Entscheidungen Bartoszewskis könnte man dennauch hinterfragen?

WT: Die beste Möglichkeit sich solchen Urteilen zuentziehen, ist einfach nichts zu machen oder wenig zumachen. Wer so viel und mit solch einer Intensität lebte,wird nicht fehlerfrei durchs Leben gehen. Ich könnteFehler finden, aber will ich das? In der Art seines Enga-gement, auch durch die Länge seines Redens, steckteauch in die Möglichkeit zur Selbstkorrektur.

Wir haben, wenn wir uns mit deutsch-polnischenBrückenbauern beschäftigen, Möglichkeiten. Manchevon Ihnen werden den neuen Film von Annette Dittertgesehen haben: Wohin treibt Polen? Eine sehr differen-zierte dreiviertel Stunde. Als ich danach auf die Websitedes Zweiten Deutschen Fernsehens ging, sah ich wenigeStunden nach der Ausstrahlung bereits hundert Kom-mentare meistens von deutscher Seite. Die repräsentier-ten die ganze Palette des deutschen Verhältnisses zu Po-len. Viele der Beiträge nahmen die Herausforderung fürdie deutsch-polnischen Beziehungen überhaupt nichtwahr, sondern fielen auf altbekannte Muster zurück. Ja,was soll das denn jetzt? Die Polen waren doch noch nieim Zentrum unserer Aufmerksamkeit. Das musste mandoch wissen, dass es so kommen wird! Die wollten dochnur in Deutschland arbeiten. Regt Euch nicht so auf, sol-

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len die doch selbst ihre Angelegenheiten regeln. EineMischung von Gleichgültigkeit Desinteresse bis zu Resi-gnation. Positive Stimmen gab es Gott sei Dank auch.Ich würde sagen, die Herausforderung besteht darin, imSinne von Bartoszewski damit umzugehen.

MB: Bartoszewski hat einmal gesagt: »Wenn jemand indie Öffentlichkeit geht, muss er eine harte Haut haben oder sichder Gärtnerei widmen.« Bartoszewski war nun kein Gärt-ner und für die dicke Haut haben schon alleine die Ge-fängnisaufenthalte gesorgt.

Kann man Mängel an ihm feststellen? Bartoszewskiselbst sagte dazu, wenn er sein Leben noch einmaldurchleben würde, würde er alles wahrscheinlich nocheinmal so machen. Vielleicht anders, vielleicht klüger,aber im Grunde genau dasselbe. Er selbst hat dieseMängel nicht gesehen.

Ich muss ehrlich sagen, mit reinem Gewissen kannich sagen, dass mich an Bartoszewski nichts störte. RitaSüssmuth beschrieb in ihren Erinnerungen Bundestags-kollegen und -kolleginnen, die meinten, manchmalkönnte er auch mal die Klappe halten. Eben nicht. Dennwenn er die Klappe gehalten hätte, wäre er nicht Barto-szewski gewesen.

NEZ: Andersherum gefragt: Wenn das so ist, was kön-nen wir dann von Bartoszewski lernen? Wenn wir ihnkritisch und zeitgemäß würdigen wollen, heißt das ja,dass wir denken, seine Fähigkeiten und seine Haltungfür unsere Arbeit in der heutigen Zeit nutzen zu kön-nen. Etwa für die deutsch-polnischen Beziehungen…

MB: Das Wichtigste an Bartoszewski war Authentizi-tät. Das Erzählen auch viele Journalisten, die sonst Poli-tiker gewohnt sind, die einstudierte Posen verinnerlichthaben. Bartoszewski spielte nicht, was manche störte.

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Es gab neulich eine Veranstaltung in London. Ein Herrstand auf und meinte, der Bartoszewski hätte nichtsagen sollen, dass er im Krieg Angst vor dem polnischenNachbarn in seinem Haus gehabt hätte, denn damitwürde er den Interessen Polens schaden. Ich sagte: Wirkennen diese Erfahrung nicht, Bartoszewski erlebte das.Er war im Untergrund tätig und im Bartoszewski-Archivgibt es einen Denunziationsbericht mit einem Brief vom22. Juli 1944: »Bartoszewski, wohnhaft in der Mickiewicz Stra-ße 37, Wohnung 14 gehört zu Organisationen, verteilt geheimeZeitungen und verfügt dabei über große Geldmengen.« Das wardas Geld von Żegota.

Wir haben nicht das Recht, zu urteilen, ob Barto-szewski vor seinen Nachbarn Angst gehabt haben sollteoder nicht. Außerdem steht im Interesse jeder Gesell-schaft auch das Anprangern und Öffentlichmachen derKollaborateure und Verbrecher. Auf heute bezogen hie-ße das ja, man darf keine Statistiken von Gewaltver-brechen mehr veröffentlichen, etwa um das katholischeBild der Gesellschaft nicht zu stören.

WT: Ja die Auseinandersetzung annehmen, das isteine Qualität von Bartoszewski im eigenen Land und imNachbarschaftsverhältnis. Wir sehen heute wachsendenNationalismus und Antisemitismus. Ich war nie Hurra-patriot und hätte mich auch nie mit »ich bin stolz, Deut-scher zu sein« anfreunden können. Aber ich bin durch diepolnischen Erfahrungen in Deutschland zum Vernunft-patrioten geworden. Ich habe begriffen, was dieses Landeigentlich wert sein kann. Gerade nach 89 mit allen Pro-blemen im Einigungsprozess und was wir aufs Spiel set-zen, wenn wir nicht rechtzeitig bestimmten Tendenzenentgegentreten. Wenn man das in Deutschland macht,dann hat man auch das Recht, vielleicht auch die Pflicht,

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in den deutsch-polnischen Beziehungen auf die andereSeite zu sehen. Da ist mir ein polnischer Nationalistgenauso zuwider wie der deutsche, ukrainische oderrussische. Worauf die hinaus wollen, ist Ausgrenzung,einseitige Favorisierung der eigenen Seite, den anderenals Feind gegenübertreten, mit dem man sich bestenfallsauf kalkulatorischem Wege einigen kann. Partnerschaftist in diesen Kreisen innerhalb der eigenen exklusivenGemeinschaft möglich. Das Gegenteil dessen wofür sichviele von uns ihr Leben lang eingesetzt haben.

NZ: Ich sehe da zwei bis drei Aspekte. Erstens denDialog zu suchen, auch wenn es eventuell nicht vergnü-gungssteuerpflichtig ist und wehtun kann. Der zweiteAspekt ist Zivilcourage, was bedeutet sich in Situationenöffentlich zu exponieren, in denen man bequemer füh-re, täte man das nicht. Drittens Verbindlichkeit im Sinnevon: stehen zu dem was man getan hat und denkt.

WT: Ja, und unabhängig davon, in welcher Situationder Einzelne ist. Jemand Engagiertes in der Zivilgesell-schaft hat andere, manchmal sogar leichtere Aufgaben,denn er kann direkter und unmittelbarer sein als einPolitiker oder Diplomat.

Aber das darf sich doch nicht immer so weit vonein-ander entfernen. Ich erlebe doch diese kleinen Rundenwo sich immer ausgetauscht wird, wer mit wem nochsprechen kann, Wen man denn noch einladen kann?Wer zivilgesellschaftlich unterwegs ist, hat es einfacheroffen zu sein, aber er soll auch nicht aufhören, Politikerund Diplomaten herauszufordern. Denn die müssendoch auch ihren Beitrag leisten. In einer Situation wiejetzt sicherlich mit mehr Intensität, als in Phasen vonunbelasteter Partnerschaft.

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MB: Seine gesamte diplomatische Tätigkeit gründeteauf seinen früheren privaten Kontakten aus den 70erund 80er Jahren. Das zeigt eigentlich, wie wichtig es ist,außerhalb der Politik Aktivitäten voranzutreiben undKontakte zu finden.

Publikumsfrage: Wir haben viel über den aktiven Bar-toszewski erfahren, den Akteur. Wie fand er sich eigent-lich als Diplomat, in einer Rolle, in der man eben nichtnur sich selbst repräsentiert?

MB: Also für Bartoszewski gab es damit keine Pro-bleme. Viel schwieriger war das für seine Mitarbeiter.Die haben manchmal tatsächlich fast graue Haare be-kommen.

NEZ: Warum?MB: Weil er Bartoszewski war und sich nicht in diplo-

matische Zwänge zwingen lies. Ja, die Zusammenarbeitmit Bartoszewski war manchmal anstrengend.

Einmal war ich mit Bartoszewski im deutschen Bun-deskanzleramt zu Besuch, um einen Besuch der Premi-erministerin Ewa Kopacz vorzubereiten. Bundeskanzle-rin Merkel fragte ihn: »Herr Professor, was halten Sie von derneuen polnischen Premierministerin?« »Frau Merkel,« sagteder, »das ist eine sehr sympathische Landärztin aus Radom«.Machen Sie daraus bitte eine diplomatische Notiz…

Publikumsfrage: Bartoszewski war für mich ein Vor-bild, das mich bewog, in die Diplomatie einzutreten.Was würde Bartoszewski zu den Ursachen des jetzigenZustands des Rechtsstaats sagen, ich denke an die Aus-einandersetzungen um das Trybunał Konstytucijny. Waswäre für ihn die Alternative?

MB: Er würde sagen, wir sollen uns mehr um die Zi-vilgesellschaft und die Bürgergesellschaft kümmern,das taten wir tatsächlich nicht intensiv genug.

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WT: Ich versuche den verschiedenen Stimmen nach-zugehen in Deutschland, Polen und weiter östlich aufunserem Kontinent. Es nimmt nicht nur das deutsch-polnische Verhältnis Schaden, es geht auch um das ge-samteuropäische deutsch-polnische Gewicht, um dieöstlichen Nachbarländer der EU auf ihrem Weg zuunterstützen. Was wäre das für eine Chance gegenüberdem zögernden westeuropäischen Verhalten, wenn wireine solche Verantwortungspartnerschaft hätten. Es gabnie in dem Maße die Russlandphobie der Polen. Es gabdurchaus Ansätze und hoffnungsvolle Zeichen polni-scher und deutscher Diplomatie in Bezug auf etwa dieUkraine, ich erwähnte 2004. Je länger die Zeit ist, diediese Initiativen brachliegen, desto schwerer wird es,daran anzuknüpfen. Über das deutsch-polnische Ver-hältnis in diesem Sinne hinaus schauen, das wäre sehrin seinem Sinne.

Publikumsfrage: Als Wolfgang Schüssel eine Koalitionmit der FPÖ in Österreich einging, wurde Österreich vonder ganzen Europäischen Union angefeindet. Barto-szewski hielt eine Rede vor dem Parlament in Wien undlas ihnen auf der einen Seite die Leviten, auf der ande-ren Seite sagte er, Ihr müsst mit diesen Leuten politischarbeiten dann kann man sie auch einfrieden. Das istdoch eine gute Erkenntnis: Wir können nicht immer nursagen das ist so rechts, so schrecklich…

MB: Bartoszewski war bekanntlich zweimal Außen-minister. Das illustriert eigentlich was sie erzählten.1995 war er ja Außenminister von Józef Oleksy, einemPostkommunisten. Manche meinten, er hätte sich ver-kauft an die früheren Feinde. Bartoszewskis Antwortwar: »Ich kann mich doch nicht beleidigt zeigen, weil mein Volkdiese Leute gewählt haben.« Man solle sich für Verbesserun-

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gen einsetzen und das, was er begann fortzusetzen,dafür habe er als Außenminister eine bessere Chance.

NEZ: Wir fanden einige Antworten auf die Frage, wasdie Methode Bartoszewski und die Haltung Bartoszew-skis für die Gegenwart bedeuten können. Gleichzeitighaben wir es mit Gedenken zu tun, denn er ist ja nichtmehr unter uns. Wir müssen uns deshalb Fragen zu Bar-toszewski als Teil der Erinnerungskultur und Erinne-rungspolitik stellen. Wie hat sich das Bild auf Barto-szewski in Polen und in Deutschland verändert seitseinem Tod?

WT: In Polen ist die Auseinandersetzung um Erinne-rung viel tiefer und unversöhnlicher, aber auch inDeutschland erlebe ich nach wie vor, dass die Frage, wieman es mit den letzten 20 bis 30 Jahren hält und dieFrage nach dem Umgang mit den Akteuren von 1989eine Rolle spielen.

So bitter manche der Konflikte in Polen sind, kannman darin vielleicht auch eine Chance zu sehen. Eszwingt zum Für und Wider und zur Auseinanderset-zung. Wenn ich die Wutangriffe auf Bartoszewski be-trachte, geht es darum, nicht nur ein Bild abzuwehrensondern sachlich dagegenzuhalten, das hält ab von eige-ner Verklärung.

Ein Beispiel für Polen: Wałęsa. Die üblen Angriffe aufihn können ja nicht beantwortet werden, indem manihn zum Heiligen erklärt. Mir ist die Haltung des Histo-rikers Andrzej Friszke lieber. Wir sollten nicht an ir-gendeinem schönen Bild festhalten. Wir müssen uns be-mühen der historischen Wahrheit näher zu kommen.Selbst wenn das über eine überzogene Auseinanderset-zung passiert, ist das für die nächste Phase eine Chance.

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In Deutschland habe ich seit Jahrzehnten damit zutun, dass die einen die DDR auf Mauer und Schießbe-fehl reduzieren, während die anderen immer noch ineinem Nostalgiebild festhängen. Ich bin froh, dass hiernun mehr differenziert wird nach frühem Widerstand,späterem Widerstand, den verschiedenen Vertretern derDDR-Eliten, nach dem friedlichen Übergang von 1989.Oder dass die Probleme im Vereinigungsprozess und dieUngleichgewichte in den neuen Bundesländern Beach-tung finden, die jetzt durch die Erfolge der Rechtspopu-listen wieder so brennend auf dem Tisch liegen.

Jede Auseinandersetzung ist Chance, dem realisti-schen Bild näher zu kommen. Gerade dieses Jahr wer-den wir in Polen 100 Jahre Unabhängigkeit erleben undsehen, wie sowohl Geschichtspropagandisten als auchkritische Zeitgenossen dieses Jubiläum begehen. Mankann nicht das ganze Land mit Propaganda überziehen,auch wenn sie das versuchen werden.

Heute gibt es bereits in die Zukunft gerichtete Bei -spiele – Das Danziger Museum des Zweiten Weltkriegs vonPaweł Machcewicz konzipiert im Bemühen die Ge-schichte des Zweiten Weltkriegs in Polen unter eineneuropäischen Fokus zu stellen und sich nicht einem ver-engten nationalistischen Bild hinzugeben. Die letztenAuseinandersetzungen um das Museum werden hierkeinen Schlusspunkt setzen.

Nach einer Phase voller Unversöhnlichkeit gibt es imnächsten Moment möglicherweise die Gelegenheit, a laKuroń und Krajobraz po bitwie - Landschaft nach derSchlacht, besonnen nach einem Neuanfang zu suchen. Ichbin für die mittlere Zeit der nächsten Dekaden, die wirhoffentlich alle noch vor uns haben, leicht optimistisch.

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MB: In den 80er Jahren z. B. hat Antoni Macierewiczdie Untergrund Zeitung Głos - Stimme herausgegeben. Indieser Zeitschrift gibt es auch einen Bericht von Barto -szewski. Wolfgang Templin sprach auch von der Land-schaft nach der Schlacht. Bartoszewski dokumentierte seinLeben lang Fakten, er war Chronist. Dank seiner Sam-melleidenschaft sind wertvolle Dokumente über dieGeschichte der Besatzungszeit übrig geblieben. Mit die-sen Fakten kann man wirksam auf die Angriffe gegenBartoszewski eingehen. Das ist mein Ansatz, Fakten denEinwürfen gegenüberstellen.

Das Gespräch fand am 25. Mai 2018 in der Berliner Buchhandlung buch|bund statt.

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Rückblick auf Władysław Bartoszewski

Marcin Barcz

Ich begleitete Władysław Bartoszewski bei unzähligenöffentlichen Auftritten im In- und Ausland, auch in Ber-lin. Wenn ich im Festsaal des dortigen Rathauses dasBild mit Bismarck auf dem Berliner Kongress 1878ansehe, dann bin ich fast sicher, dass Władysław Barto-szewski dies zum Anlass einer Anekdote genommenhätte. So hätte er über seine langjährige Freundschaftmit dem Journalisten Klaus von Bismarck erzählen kön-nen, dem Urenkel des in Polen kritisch betrachtetenEisernen Kanzlers.

Unser letztes Gespräch hatten Władysław Barto-szewski und ich am Freitagnachmittag, dem 24. April2015. In seinem – in unserem – Büro in der Kanzlei derdamaligen Premierministerin Ewa Kopacz kamen wirzu einer Routinebesprechung zusammen. Ich sollte ihnam kommenden Samstag, wie jede Woche, um 11.00 Uhrzu Hause besuchen, um die laufenden Angelegenheitenin Ruhe zu besprechen. »Kaufen Sie unterwegs die Zeitun-gen«, sagte er beim Ausgehen, »und nehmen Sie den Kalen-der mit, damit wir uns die bevorstehenden Termine gemeinsam

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ansehen können.«Wenige Stunden später war WładysławBartoszewski nicht mehr am Leben.

Die Verabredung am Samstag hat er zum ersten undeinzigen Mal nicht eingehalten. Und in der Wochenend-ausgabe der Gazeta Wyborcza, die er lesen wollte, standbereits die erste kurze Notiz von seinem Tod. Gebliebensind im Kalender die Termine, die abgesagt werdenmussten. Vor allem seine Teilnahme an den Deutsch-Polnischen Regierungsgesprächen, die am kommendenMontag in Warschau stattfinden sollten und die Wła-dysław Bartoszewski mit seiner Festrede eröffnenwollte. An diesem Tag blieb sein Sessel im Sitzungssaalsymbolisch leer und Bundeskanzlerin Angela Merkeltrug sich als Erste im Kondolenzbuch ein.

Für mich war dies das Ende eines langen Lebens-abschnitts an der Seite Władysław Bartoszewskis. Plötz-lich gab es keine gemeinsamen Pläne, keine gemeinsa-men Termine mehr. Doch nur wenige Wochen spätererhielt ich, inzwischen schon kein Beamter mehr, uner-wartet eine Einladung der Premierministerin Ewa Ko-pacz. Sie wollte Władysław Bartoszewski in Form einerAusstellung würdigen. Meine Aufgabe solle darin beste-hen, Dokumente aus dem Familienarchiv, aus meinereigenen Sammlung und aus anderen Quellen zu sam-meln und aufzubereiten. So liegt ein großer Teil desNachlasses im Ossolinski-Institut in Breslau und in derWarschauer Hauptbibliothek.

Als Ergebnis dieser Zusammenarbeit entstand imVerlauf der Sommermonate 2015 eine Ausstellung. Ent-lang der Themen Widerstand, Erinnerung und Versöhnungführt sie durch die Lebensbereiche von Władysław Bar-toszewski, die ihm selbst am wichtigsten waren und denbesten Einblick in seine facettenreiche Persönlichkeit

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geben. Sie wurde nach einem Konzept von Cyryl Skibiń-ski und mir mit Prof. Andrzej Friszke realisiert. Bereitsim September 2015 konnte sie am Sitz der polnischenRegierung in Warschau eröffnet werden.

Nach dem Tod von Bartoszewski entstanden zahlrei-che Initiativen und Vereine, die an ihn erinnern wollten.Manche von ihnen nahmen den Kontakt mit mir auf,etwa um Informationen, Fotos oder Dokumente zu be-kommen oder weil sie nach Kontakten suchten, um mitder Familie in Verbindung zu treten. Damit erfülle ichauf gewisse Weise meine langjährige vertraute Rolle alsBartoszewski-Sekretär weiter, obwohl ich mich selbstnie als sein Nachlasspfleger betrachtet habe. Denn dafürgibt es unter anderem das Ossolinski-Institut in Wrocław.

Władysław Bartoszewski ist mir aber auch mittler-weile vier Jahre nach seinem Tod nicht egal. Ich fühlemich der Erinnerung an ihn, seiner Ideenwelt und denihm nahestehenden Menschen weiterhin verbunden.Solange mir die zahlreichen Bartoszewski-Nachfolgerdie Möglichkeit geben, sie zu begleiten, werde ich diesmit Überzeugung tun.

Marek Zając hat 2012 im Gedenkbuch zum 90.Geburtstag von Władysław Bartoszewski geschrieben:»Lieber Herr Professor. Vielen Dank. Ich stehe zu Diensten.«Diesen Worten schließe ich mich auch im Jahre 2019und darüber hinaus an.

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Epilog: Glaubwürdig und authentisch erinnern

Marcin Barcz

Bartoszewski schaffte es immer, das Interesse der Men-schen zu wecken. Studenten und Schüler hörten ihmgerne zu. Zu seinen Vorlesungen in den 70er und 80erJahren kamen Hunderte. Wie schaffte er das?

Bartoszewski war ein Mann der Nähe, auch als Bot-schafter und Minister kein unerreichbarer Würdenträ-ger. Besonders im kommunistischen Polen kamen vieleStudenten speziell zu seinen Vorlesungen, weil sie einenZeitzeugen treffen wollten, der ungefiltert sprach: überden polnischen Untergrundstaat, über die Heimatarmeeund den Warschauer Aufstand. In Deutschland war Barto-szewski eines der seltenen intellektuellen Exemplarevon der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Aber auchnach der Wende kamen viele Schüler zu seinen öffentli-chen Vorträgen. Bartoszewski hatte etwas gerade fürjunge Leute Ansprechendes: Er war offen und authen-tisch in seinen Aussagen.

Zudem bewunderten viele ihn, weil er sein Lebenlang gegen den Strom ging. Er hat Widerstand geleistetgegen jede Form der Unterdrückung des Einzelnen

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durch ideologische Systeme, in denen ein unklaresGebilde des Volkes, der Rasse, der Klasse, der Nation imVordergrund steht. Bartoszewski hat sich einer solchenidentitären Sicht auf die Welt stets widersetzt.

Das erklärt auch, warum Bartoszewski nicht nurgeschätzt, sondern auch angegriffen wurde. Wer heutenach Informationen zu seiner Biografie im Internetsucht, landet zwangsläufig auch auf gehässigen undbösartigen Beiträgen in Blogs. Das war Bartoszewskigewohnt. In der Kriegszeit war er bereits für die deut-schen Besatzer wie jeder Pole ein »Untermensch«. In derNachkriegszeit war Bartoszewski ein Gegner des Sys-tems, ein »Spion« oder »Reaktionär«. Aber nach 1989?Schnell wurde Bartoszewski diskreditiert, als »falscherProfessor«, als »gierig«, als Agent des Israelischen Ge-heimdienstes. Ein Wertkonservativer wurde zum Ver-räter. Warum?

Vielleicht gerade, weil Bartoszewski nicht von deranderen, der linken Seite kam. Er war ein ausgesproche-ner Patriot. Der naiven Sichtweise auf Gut und Böse derNationalisten konnte er aber nichts abgewinnen. Sosuchte er immer nach anständigen Menschen ungeach-tet ihren nationalen Zugehörigkeit. Demzufolge igno-rierte er auch nicht die Verbrechen eigener Landsleute,etwa die polnischen Judenmorde.

Wir müssen uns heute fragen, welche Rolle eine Per-sönlichkeit in der heutigen Zeit allgemein in unseremkollektiven Erinnern spielen kann und soll. Speziellstellt sich diese Frage in Bezug auf Bartoszewski füralle, die seinen Platz in der Erinnerung und damit derZukunft unserer Gesellschaften schaffen wollen. Hierbeimöchte ich drei Aspekte ansprechen:

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BIOGRAFISCHES ERINNERNDie Biografie von Władysław Bartoszewski kennenzu-lernen ist natürlich wichtig, es ist auch gut, dass man anihn als Person erinnert. So geht es auch darum, überAusstellungen und Archive Informationen zu erschlie-ßen und zu teilen.

Eine ganze Reihe von Gedenkinitiativen in War-schau, Sopot und Niederschlesien tut genau dies. Diegrößte Sammlung öffentlich zugänglicher Archive vonBartoszewski befindet sich in Breslau. Teile werden imOssolinski-Institut in der Ausstellung Misja Polska präsen-tiert. Auch unter dem Patronat des Verbandes PolnischerLehrer entstand eine Wanderausstellung. Die polnischePremierministerin Ewa Kopacz beauftragte unmittelbarnach Bartoszewskis Tod eine Ausstellung (WładysławBartoszewski 1922-2015) und präsentierte diese erstmalsim September 2015. Aktuell wird sie von der Bartoszew-ski-Initiative in Deutschland gezeigt.

HANDELN IM SINNE BARTOSZEWSKISDer tiefere Sinn des Gedenkens und Erinnerns liegtdarin, sich unter die ideelle Schirmherrschaft einer Per-son zu begeben. In unserem Kontext stellt sich dieFrage, wie man sich um die Lebensaufgaben und dieVerwirklichung von Bartoszewskis Zielen bemühenkann. Man kann etwa auf Menschen aufmerksam ma-chen, die in ihren Ländern wie früher Bartoszewskiheute als Journalisten und Menschenrechtler unter-drückt werden. Oder man kann Menschen ehren undunterstützen, die auf Fehlentwicklungen aufmerksammachen, die ihre Stimme erheben oder den Dialog zwi-schen Gruppen und Gesellschaften herstellen.

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Bartoszewski selbst beschrieb die Notwendigkeit vonpolitischer Bildung und von einem aus der Bürgerschaftgetragenen Engagement als Pfeiler einer demokrati-schen und partizipativen politischen Kultur: »Unseregrößten Parteien […] haben keine Traditionen und den Charak-ter von Wahlvereinen. Eine Demokratie braucht stabile Partei-en, die die Menschen an den demokratischen Prozessen beteiligenund sie auch politisch bilden. Politische Bildung ist in Deutsch-land überall bekannt, doch in Polen kaum. Es gibt leider nur Eli-tengruppen, in denen über zentrale Herausforderungen disku-tiert wird.« [Kerski 2009: 19] Auch dies ist, wenn nichtsogar der elementare, mindestens ein besonders wichti-ger Auftrag.

LERNEN VON BARTOSZEWSKIWładysław Bartoszewski war, noch lange bevor er inden diplomatischen Dienst berufen wurde, ein Diplo-mat. Er hat das inoffizielle Polen auf beste Weise bei sei-nen ersten Deutschlandbesuchen in den 1960-er Jahrenund später, in den 1970ern und als Gastprofessor in den1980ern vertreten. Auf gewisse Weise betrieb er eineunabhängige Bürgerdiplomatie (dyplomacja obywatelska). Indieser Tradition kann auch die Erinnerung an ihn undsein Wirken fortgeführt werden, wie zum Beispiel dieBartoszewski-Initiative zeigt. Bürgerinnen und Bürgerorganisieren, dass eine Ausstellung über Bartoszewskidurch verschiedene Städte reisen kann. Organisiert vonMenschen die von eigener Leidenschaft und eigenemBedürfnis angetrieben werden. Das würde WładysławBartoszewski bestimmt gefallen.

So kann man auch von seinem Knowhow lernen, derMethode Bartoszewski. Letztlich baut diese auf der grund-legenden Haltung auf: im Alltag wie unter schwierigsten

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Verhältnissen kann und soll man so handeln, dass mankeinem Menschen Schaden zufügen möge.

Daraus leitet sich ein prinzipieller Respekt fürAndere ab und die Courage, diesen in Schwierigkeitenbeizustehen. Damit kommen wir zum Kern: Nicht gleich-gültig vorbeigehen, das war das Lebensmotto von Wła-dysław Bartoszewski.

Vielleicht ist es das, was wir weitertragen sollen:Respekt für Andere und ihre Freiheit zeigen, das Ein-üben von Zivilcourage und Aufmerksamkeit für Anderepraktizieren, besonders diejenigen, die für Freiheit,Würde und Demokratie kämpfen.

EIN REALISTISCHES BILD VERMITTELNWas mich angeht: Ich habe Bartoszewski bewundertund war von ihm beeindruckt, habe aber in ihm keinunerreichbares Ideal gesehen. Er sagte selbst in einemseiner humorvollen Sprüche: »Wenn ich schon als Menschund nicht als Schwein auf die Welt gekommen bin, dann ist esdoch einfacher, mich wie ein Mensch zu benehmen.« Nach ei-nem Interview mit Władysław Bartoszewski sagte ein-mal ein Journalist: »In meiner langen Karriere hatte ich mitvielen wichtigen Politikern zu tun gehabt, zum ersten Mal aberhat mit mir jemand respekt- und zugleich sinnvoll gesprochen«.

Für mich war Władysław Bartoszewski mit seinen 93Jahren ein solider Ziegelstein, einer von glücklicherwei-se vielen im jahrtausendealten Mauerwerk der Mensch-lichkeit. Solchen Steinen verdanken wir, dass die Weltnie komplett zusammenbricht. Der ehemalige Botschaf-ter Israels in Polen, Szewach Weiss, sagte einmal: »Gottwar in Herzen von Menschen wie Bartoszewski«. Freut mansich nicht, wenn andere dies über einen sagen? Mussman nicht, gerade wenn man an die besondere Qualität

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der Persönlichkeit Bartoszewskis erinnern möchte, auf-merksam verhindern, dass die vielen pauschalenEhrungsformeln nicht überhand nehmen?Und dafürSorge tragen, dass das authentische Erinnern eineChance hat, sich durchzusetzen, gerade, wenn er selbstnicht mehr korrigierend eingreifen kann?

SPIRITUELLE DIMENSIONDamit sind wir bei der spirituellen Dimension des Erin-nerns. Denn weil Gott das Einfache und die Menschlich-keit liebt, fühlt er sich unter allzu strengen Verehrernunwohl. Strengen wir uns deshalb nicht zu sehr an, nachdem Unerreichbaren Ausschau zu halten. Suchen wirstattdessen die Vorbilder, die uns entsprechen, von de-nen wir mit Kopf und Herz lernen. Es sind Menschen,an andere vielleicht unbemerkt vorbeigehen. WładysławBartoszewski sagte: »Ich versuchte mein Leben lang, mirselbst treu zu bleiben. Das ist kein Heldentum. Das ist das Ein-fachste, was man tun kann.« Versuchen wir das Elementarehinter den vielen Rollen und Erwartungen zu sehen, dieBartoszewski als öffentliche Person konstituieren.

Die letzten Worte, die ich von Bartoszewski an sei-nem Todestag hörte, waren: »Głowa jest, laska jest, wiemjeszcze jak się nazywam, to cześć, znikam!« Auf Deutsch: »DerKopf und Gehstock sind da, ich weiß noch wie ich heiße, alsotschüss, ich verschwinde!«

Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Władys-ław Bartoszewski nicht verschwindet. Solange wir nochwissen, wie wir selbst heißen.

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Kleine Auswahl der Veröffentlichungen

WIDERSTANDStraceni na ulicach miasta; Warszawa 1970.Dni walcz cej stolicya̜cej stolicy ; Kronika Powstania Warszawskiego; Lon-don 1984, Warszawa 1984 (Nachdr.), 1989, 2004, 2008.Kronika wydarzeń w Warszawie 1939-1949; mit BogdanBrzeziński und Leszek Moczulski; Warszawa 1970.1859 dni Warszawy; Mit Beiträgen von A. Gieysztor, Z.Steczowicz-Sajderowa und Z. Bartoszewska; Kraków1974; 2. erw. Aufl. 1984; 3. erw. u. verb. Aufl. 2008. Opuszczeni bohaterowie Powstania Warszawskiego; Fotogra-fien v. Adam Bujak u. Eugeniusz Lokajski; Kraków 2008.Powstanie Warszawskie; Warszawa 2009, 2014 .Doświadczenia lat wojny 1939-1945, Kraków 2009.Polacy, Żydzi, Okupacja; Postum veröffentl.; Kraków 2016.

DEUTSCHE VERBRECHENPrawda o von dem Bachu; Warszawa 1961.Warszawski pierścień śmierci 1939-1944; Warszawa 1967.Der Todesring um Warschau 1939 – 1944; Warszawa 1969.Palmiry; Warszawa 1969.Das Warschauer Ghetto – wie es wirklich war. Zeugenberichteines Christen; Frankfurt am Main 1983.The Warsaw ghetto; Boston 1988; London 1989. Mój Auschwitz; Kraków 2010.Mein Auschwitz; Paderborn 2015.

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Los Żydów Warszawy 1939-1943; W 40. rocznicę powstania wgetcie warszawskim; London 1983, 1988; Lublin 1993.The Jews in Warsaw; Oxford 1991.

JUDEN UND POLENVergossenes Blut uns verbrüdert; Warszawa 1970.Uns eint vergossenes Blut; Frankfurt am Main 1987.Zegota; Paris 1992.Der Hilfsrat für Juden »Żegota« 1942-1945; Warszawa 2002. Polen und Juden in der Zeit der ›Endlösung‹; Wien 1990. Ten jest z ojczyzny mojej. Polacy z pomocą Żydom 1939-1945;mit Zofia Lewinówna; Kraków: 1967, 1969, 2007, 2013.Moja Jerozolima, mój Izrael. Władysław Bartoszewski w rozmo-wie z Joanną Szwedowską; mit einem Vorwort von AndrzejPączkowski; Warszawa 2005.I była dzielnica żydowska w Warszawie; mit Marek Edelman;Warszawa 2010.O Żegocie. Relacja poufna sprzed pół wieku; Warszawa 2013.

OPPOSITIONMetody i praktyki Bezpieki w pierwszym dziesięcioleciu PRL;Veröffentlicht unter dem Pseudonym Jan Kowalski; ver-schiedene Auflagen 1985/86.Na drodze do niepodległości; Paris: 1987.Dziennik z internowania. Jaworze 15.12.1981-19.04.1982; War-szawa 2006, 2011.Pod prąd. Moje środowisko niepokorne 1945-55. Wspomnieniadziennikarza i więźnia; Warszawa 2011.Wiosna jesienią – Październik ’56. Moje środowisko niepokorne1955-63; marzenia, nadzieje, rzeczywistość; Warszawa 2012.Syndykat zbrodni; mit Urszula Doroszewska unter Pseu-donym »ZZZ« veröffentlicht; Paris 1986; Warszawa 2016.Kryptonim »Bonza«; Mit Michał Komar; Warszawa 2015.

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DEUTSCH-POLNISCHE & INTERN. BEZIEHUNGENPonad podziałami. Wybrane przemówienia i wywiady - lipiec-grudzień 2000; Außenministerium der RP; Warszawa 2001.Wspólna europejska odpowiedzialność. Wybrane przemówieniai wywiady, styczeń-lipiec 2001; Außenministerium der RP;Warszawa 2001.Und reiß uns den Hass aus der Seele: Die schwierige Aussöhnungvon Polen und Deutschen; Warszawa 2004.O Niemcach i Polakach. Wspomnienia. Prognozy. Nadzieje;Kraków 2010.Kropla drąży skałę? Co mówiłem do Niemców i o Niemcachprzez ponad pół wieku; Warszawa 2011.Bóg, Honor, Obczyzna. Przyjaciele znad Jordanu i Tamizy; mitMichał Komar; Warszawa 2014.

BIOGRAFISCHESHerbst der Hoffnungen: es lohnt sich, anständig zu sein; Frei-burg im Breisgau 1983.Erfahrungen meines Lebens; Freiburg im Breisgau 1989.Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt; Freiburg i. B. 1986.Es lohnt sich, anständig zu sein – Meine Erinnerungen. Mit derRede zum 8. Mai; Freiburg im Breisgau 1995.Jesień nadziei: warto być przyzwoitym; Lublin: 1984, 1986.Warto być przyzwoitym. Teksty osobiste i nieosobiste; Poznań1990, veränderte Neuauflage 2005.Warto być przyzwoitym. szkic do pamiętnika; Paris 1988. Władysław Bartoszewski: wywiad-rzeka; Rozmowy z MichałemKomarem; Warszawa 2006.Władysław Bartoszewski: . . .mimo wszystko. Wywiadu rzekiksięga druga; Rozmowy z Michałem Komarem; Warszawa 2008 Mimo wzystko; Auswahl aus den beiden Interviewbändenmit Michał Komar; Warszawa 2013.Życie trudnie, lecz nie nudne; Kraków 2010.

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Pisma wybrane 1942-1957, Tom I; Kraków 2007.Pisma wybrane 1958-1968, Tom II; Kraków 2007.Pisma wybrane 1969-1979, Tom III; Kraków 2009.Pisma wybrane 1980-1990, Tom IV; Kraków 2010.Pisma wybrane 1991-2001, Tom V; Kraków 2011.Pisma wybrane 2002-2012, Tom VI; Kraków 2013.Mój PEN Club; Rozmowy z Adamem Pomorskim i IwonąSmolką; Warszawa 2013.Środowisko naturalne. Korzenie; mit Michał Komar; Kra-koẃ 2010..Prawda leży tam, gdzie leży; mit Michal Komar; Postum er-schienen; Warszawa 2016.

AUFSÄTZEAus der Geschichte lernen? Aufsätze und Reden zur Kriegs- undNachkriegsgeschichte Polens; Mit einem Vorwort von StanisławLem; München 1986. [Bartoszewski 1986]Kein Frieden ohne Freiheit. Betrachtungen eines Zeitzeugen amEnde des Jahrhunderts; Baden-Baden 2000.To, co najważniejsze; Gespräche zu politisch-moralischenKernbegriffen mit verschiedenen Gesprächspartnern;Warszawa 2012.

WEITERE VERWENDETE LITERATURMichael Albus (2009): Gespräch mit Władysław Barto-szewski in: OST-WEST-Europäische Perspektiven 02/2009, Regensburg; S. 98ff. Paul Celan (1968): Ausgewählte Gedichte; Zwei Reden;Frankfurt (Main).Helga Hirsch (2005): Akademiegespräch: Dr. HelgaHirsch: Flucht und Vertreibung - Erinnerung und Ge-genwart, Akademie für Politische Bildung Tutzing, am2. 3. 2005.

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Helga Hirsch (2003): Flucht und Vertreibung; KollektiveErinnerung im Wandel; In: Aus Parlament und Zeitge-schichte; Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament; B40–41/2003; Bonn.Basil Kerski (2009): Das Erbe der europäischen Revolu-tionen 1989: B. Kerski im Gespräch mit W. Bartoszewski,L. Mehlhorn, W. Templin und A. Schwall-Düren in:Deutsch-polnisches Magazin Dialog; Nr. 90 2009/10.Paweł Machcewicz (2006): Operacja »Olcha«: Władys-ław Bartoszewski, Radio Wolna Europa i Służba Bez-pieczeństwa in: Instytut Pamięci Narodowej; Pamięć iSprawiedliwość 5/2 (10), 115-142.Paweł Machcewicz (2012): Spory o historię 2000-2011,Kraków.Bettina Schaefer (Hrg.; 2017): Für Freiheit kämpfen –selbstbestimmt leben. Erinnerungen an Władysław Bar-toszewski; Hamburg.Stephan Raabe, Anne Velder (2010): Länderbericht PolenKonrad Adenauer Stiftung 3. 12. 2010: Flucht, Vertrei-bung, Versöhnung: Reaktionen in Polen auf die Besetz-ung des wissenschaftlichen Beirates, Vorgeschichte undKonzepte des Stiftungsprojekts.

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Über die Autoren

Dr. Marcin Barcz ist ein freischaffender Publizist undÜbersetzer. Er war enger Mitarbeiter von WładysławBartoszewski von 2002 bis zu dessen Tod 2015. Erbetreut den Nachlass sowie das Archiv von WładysławBartoszewski und lebt in Warschau.

Dr. Władysław Teofil Bartoszewski ist ein Anthropologe,Historiker und Investmentbanker und lebt in Oxford.Seit 2018 ist er Mitgründer der polnischen Stiftung Fun-dacja Institut im. Władysława Bartoszewskiego.

Prof. Joachim Rogall ist der Geschäftsführer der RobertBosch Stiftung und außerplanmäßiger Professor am Se-minar für Osteuropäische Geschichte der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

Wolfgang Templin ist ehemaliger Oppositioneller, Pub-lizist und Autor. Unter anderem engagierte er sich in derDDR in der Initiative für Frieden und Menschenrechte,war Büroleiter der Heinrich Böll Stiftung in Warschauund ist aktuell Teil der Bartoszewski-Initiative.

Nils-Eyk Zimmermann studierte Politikwissenschaft ander Universität Potsdam und ist Berater und Autor inden Feldern Aktive Bürgerschaft, Zivilgesellschaft undLernen. Teil der Bartoszewski-Initiative.

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