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D ie Kasse im Priener Regional- Markt zeigt 17.80 an. Aber Kun- din Inge Gerber zückt weder Euro-Banknote noch EC-Karte. Sie reicht einen bunten Chiemgauer- Schein über den Tresen. Geschäfts-Inha- berin Julia Kollmannsberger nimmt ihn ohne Zögern entgegen. „Acht bis zehn Kunden sind es im Durchschnitt, die jeden Tag bei uns mit dem Chiemgauer bezah- len“, sagt sie. Der Chiemgauer ist eine Regionalwährung. Es gibt ihn in Scheinen zu je einem, zwei, fünf, zehn, zwanzig und fünfzig Chiemgauern und mittlerweile so- gar im bargeldlosen Zahlungsverkehr. Anfangs konnten lediglich die Schülerin- nen und Schüler der Priener Waldorfschu- le ihren Pausensnack damit bezahlen, mittlerweile hat sich der Chiemgauer zur erfolgreichsten Regionalwährung Deutsch- lands gemausert. Wirtschaftslehrer Chris- tian Gelleri hatte 2002 im Projekt-Unter- richt ein SchülerInnen-Unternehmen ge- gründet, ein Jahr später wurde das Re- gionalgeld der Öffentlichkeit vorgestellt. Heute nehmen 640 Geschäfte in den Landkreisen Rosenheim und Traunstein den Chiemgauer entgegen. Etwa 1.500 Menschen bezahlen mit den Regios, wie das Geld der Regionalwährung in Abgren- zung zum Euro heißt. Wer mitmachen möchte, muss zunächst Mitglied in einem Verein werden. Das kostet nichts, man erhält so aber die elek- tronische Regiocard, mit der man bei 42 Ausgabestellen Euros gegen Regios ein- tauschen kann. Der Wert eines Chiemgau- ers entspricht einem Euro. Die Regional- währung ist eurogedeckt. Aber die Chiemgauer können eben nur in einem geographisch eng umgrenzten Gebiet zir- kulieren. Nicht nur im Chiemgau auch in vielen an- deren Gegenden Deutschlands hat man die komplementären Währungen entdeckt: Sie heißen Bremer Roland, Havelblüte oder Tauber-Franken. Initiativen sprießen über- all aus dem Boden. 28 geben mittlerweile Regionalwährungen heraus, 35 weitere ar- beiten daran. Sie scheinen einen Nerv der Zeit zu treffen. Die Regios sollen den Euro nicht ersetzen, sondern eine zu- sätzliche „Währung“ bieten, die nur in der Region ausgegeben werden kann. Haupt- ziel ist, die regionale Wirtschaft zu stärken und das Geld in der Region zu halten. Denn egal ob in Prien, Tauberfranken oder Bremen – die Uhren gehen überall gleich. Discounter und große Lebensmittelketten machen es vielen kleinen Geschäften schwer zu bestehen. Handwerker und Dienstleister aus der Region haben mit großer Konkurrenz zu kämpfen. Architek- tur-Professorin Margrit Kennedy, die sich seit vielen Jahren mit komplementären Währungen befasst und ein Buch dazu herausgegeben hat, umreißt die Misere: „Wenn man sein Geld zur Bank bringt und der Bank überlässt, wie sie es anlegt, dann ist sie dazu verpflichtet, das Geld dahin zu bringen, wo es die höchsten Gewinne er- wirtschaftet. Wenn das jetzt gerade China ist, dann fließt eben das Geld aus der gan- zen Welt dorthin. Und nicht in die Region, 40 11/08 KDFB Engagiert Regionalwährungen auf dem Vormarsch Eine Währung, die nur in der Region ausgegeben werden kann Regio

Margrit Kennedy - Regio statt Euro

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Die Finanzmärkte wackeln, das Geld fließt in einer globalisierten Welt immer stärker in große Finanz- zentren ab. Zurück bleiben ratlose VerbraucherInnen und geschwäch- te Regionen. Mehr und mehr Initia- tiven in Deutschland steuern mit eigenen Zahlungsmitteln gegen. Regio statt Euro heißt ihre Devise. Auch der Chiemgau ist dabei.

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Page 1: Margrit Kennedy - Regio statt Euro

D ie Kasse im Priener Regional-Markt zeigt 17.80 an. Aber Kun-din Inge Gerber zückt wederEuro-Banknote noch EC-Karte.

Sie reicht einen bunten Chiemgauer-Schein über den Tresen. Geschäfts-Inha-berin Julia Kollmannsberger nimmt ihnohne Zögern entgegen. „Acht bis zehnKunden sind es im Durchschnitt, die jedenTag bei uns mit dem Chiemgauer bezah-len“, sagt sie. Der Chiemgauer ist eineRegionalwährung. Es gibt ihn in Scheinenzu je einem, zwei, fünf, zehn, zwanzig undfünfzig Chiemgauern und mittlerweile so-gar im bargeldlosen Zahlungsverkehr. Anfangs konnten lediglich die Schülerin-nen und Schüler der Priener Waldorfschu-le ihren Pausensnack damit bezahlen,mittlerweile hat sich der Chiemgauer zurerfolgreichsten Regionalwährung Deutsch-lands gemausert. Wirtschaftslehrer Chris-tian Gelleri hatte 2002 im Projekt-Unter-richt ein SchülerInnen-Unternehmen ge-gründet, ein Jahr später wurde das Re-gionalgeld der Öffentlichkeit vorgestellt.Heute nehmen 640 Geschäfte in denLandkreisen Rosenheim und Traunsteinden Chiemgauer entgegen. Etwa 1.500Menschen bezahlen mit den Regios, wiedas Geld der Regionalwährung in Abgren-zung zum Euro heißt.

Wer mitmachen möchte, muss zunächstMitglied in einem Verein werden. Daskostet nichts, man erhält so aber die elek-tronische Regiocard, mit der man bei 42Ausgabestellen Euros gegen Regios ein-tauschen kann. Der Wert eines Chiemgau-

ers entspricht einem Euro. Die Regional-währung ist eurogedeckt. Aber dieChiemgauer können eben nur in einemgeographisch eng umgrenzten Gebiet zir-kulieren. Nicht nur im Chiemgau auch in vielen an-deren Gegenden Deutschlands hat man diekomplementären Währungen entdeckt: Sieheißen Bremer Roland, Havelblüte oderTauber-Franken. Initiativen sprießen über-all aus dem Boden. 28 geben mittlerweileRegionalwährungen heraus, 35 weitere ar-beiten daran. Sie scheinen einen Nerv der

Zeit zu treffen. Die Regios sollen denEuro nicht ersetzen, sondern eine zu-sätzliche „Währung“ bieten, die nur in derRegion ausgegeben werden kann. Haupt-ziel ist, die regionale Wirtschaft zu stärkenund das Geld in der Region zu halten. Denn egal ob in Prien, Tauberfranken oderBremen – die Uhren gehen überall gleich.Discounter und große Lebensmittelkettenmachen es vielen kleinen Geschäftenschwer zu bestehen. Handwerker undDienstleister aus der Region haben mitgroßer Konkurrenz zu kämpfen. Architek-tur-Professorin Margrit Kennedy, die sichseit vielen Jahren mit komplementärenWährungen befasst und ein Buch dazuherausgegeben hat, umreißt die Misere:„Wenn man sein Geld zur Bank bringt undder Bank überlässt, wie sie es anlegt, dannist sie dazu verpflichtet, das Geld dahin zubringen, wo es die höchsten Gewinne er-wirtschaftet. Wenn das jetzt gerade Chinaist, dann fließt eben das Geld aus der gan-zen Welt dorthin. Und nicht in die Region,

40 11/08 KDFB Engagiert

Regionalwährungen auf dem Vormarsch

Eine Währung, die nur in der Regionausgegeben werden kann

Regio statt EuroDie Finanzmärkte wackeln, das Geld

fließt in einer globalisierten Welt

immer stärker in große Finanz-

zentren ab. Zurück bleiben ratlose

VerbraucherInnen und geschwäch-

te Regionen. Mehr und mehr Initia-

tiven in Deutschland steuern mit

eigenen Zahlungsmitteln gegen.

Regio statt Euro heißt ihre Devise.

Auch der Chiemgau ist dabei.

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die aber trotzdem mit ihren Produktenkonkurrieren muss. Der Weltmarkt gibtein Preisniveau vor, das die meistenRegionen heute gar nicht halten können.“Für die Regiogeld-Expertin ist es ent-scheidend zu akzeptieren, dass es ver-schiedene Währungen für verschiedeneZwecke geben kann – Währungen, die denEuro ergänzen. Sie können nicht nur einenregionalen Schwerpunkt setzen, denkbarsind beispielsweise auch Bildungs- oderGesundheitswährungen. „Wenn wir diesozialen, ökologischen und kulturellenProbleme unserer Zeit lösen wollen, dannwird das schwierig sein, wenn unser Geldso konstruiert ist, dass es vorwiegenddahin fließen muss, wo es den größtenGeld-Gewinn erwirtschaftet. Was wirbrauchen, ist ein Geld, das dahin flie-ßen kann, wo es den größten sozialen,kulturellen oder ökologischen Nutzen stif-tet. Wie das aussieht, zeigen neue underprobte Modelle in vielen Teilen derWelt.“ So läuft beispielsweise in Japan

landesweit mit großem Erfolg eine Pflege-währung (siehe Kasten Seite 42).Ob Brot, Käse, Pullover, Schuhe,Schulhefte, Druckerpatrone,Querflöte, Wimperntu-sche oder Fahrrad –die Liste, derBedarfsgü-ter, die

man mit dem Chiemgauer bezahlen kann,ist bunt. „Man bekommt fast alles. Ichsuche mir die Geschäfte auch danach aus,ob sie den Chiemgauer nehmen“, sagtKundin Inge Gerber. Für die Regio-Initia-tiven soll das Geld vor allem eine Funkti-on haben: die des Tauschmittels. Spekula-tion und Sparen sind keine Ziele desRegios. Damit der Chiemgauer wirklichunter die Leute gebracht wird, statt im

Sparstrumpf stecken zu bleiben, hat sichInitiator Christian Gelleri etwas besonde-res ausgedacht: Das Geld verliert an Wert,je länger es im Umlauf ist. So verliert einChiemgauer nach einem Vierteljahr zweiProzent seines Wertes. Dann muss er miteiner aufklebbaren Wertmarke für wieder-um drei Monate verlängert werden. Dashat zur Folge, dass die Verbraucher, woimmer möglich, zuerst ihre Chiemgauerausgeben. Die Chiemgauer-Scheine sinddreimal so schnell im Geldkreislauf unter-wegs wie der Euro. Wer seine Chiemgauer in Euro zurücktau-schen will, wird mit fünf Prozent des Wer-tes zur Kasse gebeten. Davon fließen zweiProzent in die Verwaltung der Regional-währung. Die übrigen drei Prozent kom-men der Region zugute. Ob der Kinder-garten vor Ort, der Trachtenverein oder dieFußballjugend – wer mitmacht, kann sich

sein Wunschprojektaussuchen, das dann

Fördergelder

Antwort auf den ruinösen Wettbewerbder Globalisierung

statt Euro

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erhält. Über 170 Vereine im Chiemgau ste-hen auf der Empfängerliste. Ein Anreiz fürVereinsmitglieder, zum Chiemgauer zugreifen. „Der Chiemgauer erreicht dieMenschen, die bewusst leben, regionalverortet sind, Bürgerengagement zeigenund hellhörig sind“, sagt Peter Fochler,stellvertretender Vorsitzender des Chiem-gauer-Vereins. Kundin Inge Gerber gehörtzu dieser Gruppe: „Ich zahle mit Chiem-gauern, weil ich die Waldorfschule inPrien unterstützen will, die meine Tochterbesucht. Außerdem ist regional für micherste Wahl. Ich möchte gezielt die heimi-

schen Produkte unterstützen.“ Als Antwortder Region auf die Globalisierung siehtPeter Fochler den Chiemgauer: „Er hatsicher einen ideellen Hintergrund, aber ereröffnet ganz praktisch einen Weg, selbstetwas zu tun.“ Also eigenes Geld drucken und die Regi-on damit stärken? So einfach ist es nicht.Deshalb werden die Chiemgauer-Scheineoffiziell auch als „Vereinsinterne Regio-Gutscheine“ bezeichnet. Die DeutscheBundesbank, Währungshüter in Deutsch-land, drückt ein Auge zu, so lange dieRegios sich auf ein beschränktes Gebietbeziehen und eine gewisse Ausgabemengenicht überschreiten. Die Geldmenge, umdie es bei den Regios geht, ist nach An-sicht der Bundesbank so gering, dass siedas Geldsystem nicht stört. Und das wirdsich in absehbarer Zeit auch nicht ändern. Es gibt so viele unterschiedliche Regional-geld-Systeme, wie es Regional-Währun-gen gibt. Jedes hat andere Spielregeln.Viele sind eurogedeckt. Andere, wie zumBeispiel der Sterntaler in der RegionBerchtesgaden, lassen auch tatkräftigesEngagement zu barer Münze werden. Wersich im örtlichen Tauschring engagiert,kann die dort erworbenen Talente inRegios umtauschen. Kritiker werfen den Regionalwährungenvor, sie seien zu teuer und ineffizient. Ih-nen hält Chiemgauer-GeschäftsführerChristian Gelleri entgegen: Die Ökono-men rechneten in den Preis der Warenmeist nicht ein, wie die Umwelt bei Er-zeugung und Transport geschädigt werde.„Für uns macht es aber einen Unterschied,ob ein Apfelsaft in zwanzig KilometernEntfernung hergestellt werden kann oderob er tausende Kilometer zurücklegt, be-vor er bei uns im Glas landet“, so Gelleri.Dort produzieren lassen, wo es am billigs-ten ist, meist ökonomische RichtschnurNummer eins, das ist nicht das Ziel derChiemgauer-Befürworter. Regionalgeld-Expertin Margrit Kennedyschildert die Situation der Verbraucher:„Im Moment sind die Leute wirtschaftlichgesehen in einem Dilemma gefangen.Kaufen sie in der Region, schaden sie sichselbst, das heißt, sie zahlen etwas mehr.Kaufen sie international ein, schaden sieder Region und können sich nicht wun-dern, wenn die Schreinerbetriebe dichtmachen und die Geschäfte vor Ort einge-hen. Ich glaube, dass Regionalwährungeneinen Ausweg bieten, der eben eines Tagesnicht nur das Gewissen und die Region

fördert, sondern auch in der eigenenTasche spürbar ist.“ Die Mitbegründerindes Verbandes Regiogeld, der viele deut-sche Regiogeld-Initativen zusammenfasst,glaubt an einen allmählichen Bewusst-seinswandel bei den Verbrauchern.Eine bessere Infrastruktur, da eine Vielfaltan kleineren Geschäften vor Ort überlebenkann, gesicherte Arbeitsplätze in der Regi-on, eine gestärkte Sozialgemeinschaftdurch gemeinsames Arbeiten an einerSache und durch Förderung von Vereinenvor Ort. Das sind die positiven Folgen, dieder Chiemgauer anstrebt. „In diesem Jahr können wir von einemWachstum von einem Drittel ausgehen. Esist überraschend gut angelaufen“, ziehtInitiator Christian Gelleri nach fünf JahrenBilanz. Etwa 270.000 Chiemgauer sind imUmlauf, etwa drei Millionen Umsatz wer-den damit in diesem Jahr erzielt. Dernächste Schritt: Erzeuger und Großhändlersollen stärker einbezogen werden, damitHändler ihre Waren beim Einkauf direkt inChiemgauern bezahlen können. EinenImagegewinn hat es dem Chiemgauer be-schert, dass Raiffeisenbanken und Spar-kasse mit eingestiegen sind. Sie fungierenals Ausgabestellen, und bei den Raiffei-senbanken werden Regio-Geld-Konten ge-führt, über die die elektronische Ab-rechung erfolgen kann. „Für mich ist der Chiemgauer ein Anstoß,sich wieder auf die eigenen Ressourcen inder Region zu besinnen“, sagt Julia Koll-mansberger. Sie hat sich zur Gewohnheitgemacht, als Kundin bei Händlern undWirten nachzufragen, ob sie den Chiem-gauer nehmen. Als Inhaberin eines Le-bensmittelmarkts, der auf regionale undmeist auch biologische Produkte setzt,erfährt sie täglich: „Bio ist in, regionalnoch nicht so.“ Genau das will der Chiem-gauer ändern.

Claudia Klement-Rückel

42 11/08 KDFB Engagiert

Wer in Japan pflegebe-

dürftig ist, engagiert oft

keinen professionellen

Pflegedienst, sondern

greift auf die Hilfe von

ehrenamtlichen Pfle-

gern zurück. Diese be-

kommen ein geringes

Entgelt und viel wichti-

ger: eine Gutschrift auf

ihrem Pflege-Konto.

Dank des landesweiten Systems können Kinder, die

weit weg von ihren Eltern wohnen, so Pflegestun-

den leisten und auf die hilfsbedürftigen Eltern über-

tragen. Oder sie sparen ihre Pflegestunden für das

eigene Alter auf. Fureai Kippu, Beziehungsticket,

heißt dieses beliebte System.

Der Verband Regiogeld bietet auf seinen

Internet-Seiten einen Überblick über die

Entwicklung: www.regiogeld.de

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www.chiemgauer.eu

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Margrit Kennedy / Bernard A. Lietaer:

Regionalwährungen. Neue Wege zunachhaltigem Wohlstand, Riemann,

2004, 18 Euro.

Japan: Eine Währung für die Pflege

INFOS

Regios in Deutschland: Die grünen Punkte ste-hen für bereits ausgegebene Währungen, diegelben für Initativen, die noch daran arbeiten.

Foto

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