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startin up 6 Marketing | Zukunftsforschung für Gründer Beobachten statt Berechnen Rechnerische Planspiele und das Wissen um aktuelle Trends bringen Gründern erste Erkenntnisse über die Zukunft. Wichtiger ist das systematische Beobachten des konkreten Marktes, um ihn zu verstehen und aktiv mitzugestalten. N atürlich gehört das Glänzen auf dem Theorie-Parkett und das Schreiben von zahlenbasierten Businessplänen für Gründer zum Pflichtprogramm, um bei- spielsweise der Hausbank zu zeigen, wie man am Markt einsteigen und be- stehen will; aber es kann und darf nicht zum Selbstzweck werden und vollständig das überlagern, weswegen der ganze Aufwand eigentlich betrieben wird: Nämlich mit vollem Einsatz ein unterneh- merisches Konzept zu erar- beiten, es umzusetzen und unermüdlich weiterzuentwi- ckeln. Denn nicht nur für aus der Not heraus geborene Gründungen gilt, dass sie stets ein Wagnis dar- stellen; und zwar eben nicht nur ein betriebs- wirtschaftliches. Dass sie mit der Person des Gründers oder der Gründerin untrennbar zu- sammenhängen. Und dass sie entscheidend darauf beruhen, dass die Neu-Unternehmer den Einsatz und Willen haben, etwas zu ge- stalten! Wie geht das, ein spezielles Markt-Um- feld – in der Regel eine Nische, ein Regional- markt oder ein enger Zielgruppen-Fokus – langsam und stetig (erstens) entlang klarer, konkreter, auf das eigene Unternehmen zuge- schnittener Marktqualitätskriterien zu entwi- ckeln und (zweitens) anhand von Indikatoren für eine Marktdynamik auch in der Richtung, in die man selber will, zu lenken? Dieser Kern- frage wollen wir uns im Folgenden widmen. Strategic Foresight Im angelsächsischen Kulturkreis ist für derlei Fragestellungen bereits seit Jahrzehnten eine Profession zuständig – und bestens etabliert –, die sich ausschließlich um genau solche Markt-Taktik und Business-Manöver küm- Text: Dr. Friedericke Müller-Friemauth Text: Dr. Friederike Müller-Friemauth

Marketing | Zukunftsforschung f r Gr nder · zisester Zahlen und professionellem Plan am falschen ãBusiness-BesteckÒ Ð die Folge: Opera - tion gelungen, Patient tot! In der Zukunftsfor

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Marketing | Zukunftsforschung für Gründer

Beobachten statt Berechnen

Rechnerische Planspiele und das Wissen um aktuelle

Trends bringen Gründern erste Erkenntnisse über die Zukunft. Wichtiger ist das systematische

Beobachten des konkreten Marktes, um ihn zu verstehen

und aktiv mitzugestalten.

Natürlich gehört das Glänzen auf dem Theorie-Parkett und das Schreiben von zahlenbasierten Businessplänen

für Gründer zum Pflichtprogramm, um bei-spielsweise der Hausbank zu zeigen, wie man

am Markt einsteigen und be-stehen will; aber es kann und darf nicht zum Selbstzweck werden und vollständig das überlagern, weswegen der ganze Aufwand eigentlich betrieben wird: Nämlich mit vollem Einsatz ein unterneh-merisches Kon zept zu erar-beiten, es umzusetzen und unermüdlich weiterzuentwi-ckeln. Denn nicht nur für aus der Not heraus geborene

Gründungen gilt, dass sie stets ein Wagnis dar-stellen; und zwar eben nicht nur ein betriebs-wirtschaftliches. Dass sie mit der Person des

Gründers oder der Gründerin untrennbar zu-sammenhängen. Und dass sie entscheidend darauf beruhen, dass die Neu-Unternehmer den Einsatz und Willen haben, etwas zu ge-stalten! Wie geht das, ein spezielles Markt-Um-feld – in der Regel eine Nische, ein Regional-markt oder ein enger Zielgruppen-Fokus – langsam und stetig (erstens) entlang klarer, konkreter, auf das eigene Unternehmen zuge-schnittener Marktqualitätskriterien zu entwi-ckeln und (zweitens) anhand von Indikatoren für eine Marktdynamik auch in der Richtung, in die man selber will, zu lenken? Dieser Kern-frage wollen wir uns im Folgenden widmen.

Strategic ForesightIm angelsächsischen Kulturkreis ist für derlei Fragestellungen bereits seit Jahrzehnten eine Profession zuständig – und bestens etabliert –, die sich ausschließlich um genau solche Markt-Taktik und Business-Manöver küm-

Text: Dr. Friedericke Müller-FriemauthText: Dr. Friederike Müller-Friemauth

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mert: Strategic Foresight, die Zukunftsfor-schung. Hierzulande ist allerdings, wenn überhaupt, eher der Ableger der Trendfor-schung bekannt. Und das auch fast nur in Großunternehmen oder einigen Lifestyle-Branchen, die sich’s leisten können. Ansons-ten stößt Zukunftsforschung auf Skepsis – nicht zuletzt dank einiger Trend-Gurus, die unverdrossen am eigenen Ruf basteln und lustige Trend-Labels und vielerlei Spielchen erfinden. Mit durchaus hohem Unterhal-tungs-, aber allem Anschein nach wenig Ge-brauchswert. Zukunftsforschung rangiert da-her in der Einschätzung vieler gleich hinter „Astrologie 2.0“. Was aber ist wirklich dran an dieser scheinbar exotischen Disziplin?

Das richtige Business-BesteckGründer sind geradezu verdammt, einen Markt „aufzurollen“ – oder einen gänzlich neuen zu erschließen. Es gibt gute Gründe zu bezweifeln, dass so etwas mit Berechnung und Optimie-rung (BWL) oder mit neumodischen Kreativi-tätsspielchen (Trends zur Anregung der Fanta-sie) funktioniert. Neu-Unternehmer brauchen, wie alle anderen Unternehmer auch, wenn sie am Markt bestehen wollen, einen ganz speziel-len Werkzeugkasten für ihre Eingriffe. Quasi ein chirurgisches „Besteck“: Präzise Instrumente, die die Schnitte (Business-Manöver) so setzen, dass keine allzu großen Schmerzen (Kosten) entstehen, die Infusion (Produkt) dennoch ex-akt den Wirkungsort (Markt) erreicht und so letztlich die Gesundung (erfolgreiche Bedarfs-befriedigung) herbeigeführt werden kann. Die Grundregeln dafür sind einfach, aber wir-kungsvoll. Und vor allem völlig unabhängig von der jeweiligen Unternehmensgröße.

Sich präparieren statt nur orientierenGründer sollten sich vor der irreführenden Fra-ge hüten, was denn mit ihnen als Markt-Einstei-ger oder als Markt-Erweiterer geschehen wird. Wer dergleichen wissen will, sollte tatsächlich lieber auf seinen Haus-Astrologen setzen: Das weiß (außer Glaskugelbesitzern) nämlich nie-mand. Weiterführender ist die Frage nach zu-künftigen konkreten Handlungsoptionen: Was werde ich tun, wenn mein Konzept blitzschnell kopiert wird, wenn meine Umsatz-Kalkulation sich nach X Wochen nicht bestätigt, wenn mei-ne potenziellen Kunden nicht wie erwartet re-agieren, wenn Breitseiten von den etablierten Wettbewerbern kommen? Tja – was? Vorberei-ten, durchspielen, aufschreiben, präsent ma-chen! Gründer können sich in einem sicher

sein: Irgendein Störfall ereignet sich garantiert. Gedankliche Vorbereitung auf Ereignisse die-ser Art ist also beileibe keine graue Theorie, sondern einschlägiger Wettbewerbsvorteil.

Marktbeobachtung statt Trend-WatchingMarktbeobachtung? Ja! Klassisches Monitoring? Nein! Trends für Gründer stehen nicht „einfach so“ in der Zeitung. Und auf den kostenpflichtigen Grün-der-Messen er fährt man eini-ges über die neueste Buchhal-tungssoftware aus der Cloud, IHK-Termine und News zu den Kürzungen der staatlichen Gründerhilfen – aber wirklich weiterhelfende Trends? Grün-der können sich stattdessen folgende Fragen stellen (siehe die nebenstehenden „Fragen zum Markt“).

Es ist ratsam, sich zu aus-führlichen Antworten auf jede einzelne Frage zu zwingen. Und Vorsicht vor scheinbar un -fehlbaren Allerweltstipps! Es ist schon mancher Gründer mit seinem Pflegedienst verun-glückt, weil er das Gerede vom bevorstehenden „demo-graphischen Wandel“ konkret auf sich und seine Umgebung bezogen hat. Derlei – Globali-sierung, Frauenförderung usw. – sind für Gründer keine Trends, sondern Infotain-ments: interessant, aber un-spezifisch. Der Trick für Grün-der und Kleinst-Unternehmer besteht darin, die eigenen Trends und Treiber zu identifi-zieren. Das geht! Allerdings nur durch präzises Beobach-ten der eigenen Umfelder. Und Selberdenken: Denn der Wan-del von Umfeldern wird nur dadurch zu einzel-nen Trends, dass man ihn konsequent durch die Brille des eigenen Unternehmens betrachtet. Keine Entwicklung ist „von sich aus“ ein Trend!

Marktverständnis statt Mainstream-BWLKnapp daneben ist nämlich auch vorbei. Die Betriebswirtschaftslehre ist von Hause aus eine Profession, die Kennzahlen ermittelt und be-

Statt Trends zu jagen ist für Gründer Marktbeobachtung effektiver. Folgende Fragen sind hierbei zu beantworten:

Wie statisch oder dynamisch war der Markt in den letzten zwei Jahren?

Wie trendsetterhaft, wie beweglich ist meine Zielgruppe? An welchen Rändern bekommt sie Zulauf, wo nimmt sie ab?

Wie mode- oder technologieab-hängig – in Bezug auf neue Sprünge oder Hypes – ist das Segment?

Welche Entwicklungen spielen mir in die Hände? Und zwar nicht Entwick-lungen der globalen Wirtschaft, der Bundespolitik oder der Gesamtge-sellschaft, sondern Veränderungen in der jeweiligen Region, beim Machtwechsel im Stadtrat, beim Wegfall spezieller Angebote in der Stadt/Region, bei Preissteigerungen der Wettbewerber usw.

Durch welche Städtepartnerschaft oder Messepräsenz der Wirtschafts-förderung werden mir Sprungbretter gebaut?

Wer sind überhaupt die wichtigsten Wettbewerber – und: Habe ich ausreichendes Wissen über deren Markttreiber?

Fragen zum Markt:

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wertet. Für Hochrechnungen in einem stetig gleichbleibenden Markt gut und sinnvoll – aber wo gibt es so etwas in der heutigen hoch-kom-plexen und ultra-beschleunigten Welt noch?

Und zudem: Hochzurechnen gibt’s für Gründer eh noch nichts. Extrapolationen be-ziehen sich nun mal auf die Vergangenheit; auf Geschäftsbilanzen, die bereits vorliegen und das Bisherige dokumentieren. Soviel zum Unsinns-Kern von Business-Plänen. Echtes Marktverständnis und gründerisches Ent-

wicklungspotenzial kann da-mit weder erfasst noch gene-riert werden. Wer über den Status quo hinaus will, sollte ei-nen Hinweis aus Psychologie und Neurobiologie beachten: Dass nämlich unser Vorstel-lungsvermögen einer der wich-tigsten Wahrnehmungsfilter und Selektionskanäle für Infor-mationen darstellt. Beispiel: Nur wenn der Trendsport-An-

bieter einmal spielerisch überhaupt die Mög-lichkeit erwogen hat, auch in den Vertrieb von Sportgeräten einzusteigen, wird ihm die Kurznachricht erst auffallen: Dass wenige Straßen entfernt eine Privat-Schule mit ambiti-oniertem Fitness-Accessoires-Angebot öffnet. Soll heißen: „Man sieht, was man sieht!“ Das hört sich banal an. Aber: Nur das, was wir uns einmal ganz konkret vorgestellt haben, ist für das Gehirn als Information aus der Umwelt relevant und damit auch anschlussfähig. Der schwedische Neurobiologe David Ingvar nennt das „Erinnerungen aus der Zukunft“. Fazit: Wer gedanklich und konzeptionell nicht in seine (Unternehmer-)Zukunft investiert, kann sie auch nicht gestalten – weil er sie gar nicht erfassen kann.

Unternehmen statt detailliert planenUm das zuvor bemühte Bild noch einmal aufzu-greifen: So mancher Gründer scheitert trotz prä-zisester Zahlen und professionellem Plan am falschen „Business-Besteck“ – die Folge: Opera-tion gelungen, Patient tot! In der Zukunftsfor-schung kommen Gründer und Unternehmer daher als Betriebswirte gar nicht vor. Schon eher als Künstler, die Neues „aus dem Nichts“

erschaffen. Mit den Künstlern teilen sie nicht nur die Kreativi-tät, sondern auch die Besessen-heit. Das Unternehmen (und sich selbst) zu entwickeln und den eigenen Markt aufzurollen, das

ist der Stoff, aus dem unternehmerischer Erfolg gemacht ist. Im krassen Gegensatz dazu grün-den Unternehmer heute im Zeitgeist der Dauer-optimierung. Bloß: Von was? Was soll eigentlich optimiert werden? Gründer gründen für was? Nämlich für die Zukunft – ihre eigene und die ihrer Kunden.

Neue Wettbewerbsräume schaffenGründer sollten sich keine grauen Haare wach-sen lassen über ihre „Positionierung“ und ihren Platz in „der aktuellen Wettbewerbssituation“. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, neue Wettbe-werbsräume zu entdecken. Diese Aufgabe den Fragen der Machbarkeit zu unterwerfen – nichts anderes macht ein Businessplan – bedeutet im Grunde, Ziele abzulehnen, wenn die Mittel zur Erreichung dieser Ziele nicht zur Hand sind. Dass ein Unternehmen alle für die Kommerzia-lisierung einer Innovation benötigten Ressour-cen hat, ist aber selbst bei gestandenen Unter-nehmen eine äußerst fragwürdige Annahme. Bei Gründern ist sie absurd. Ein Gegenvorschlag zur „Positionierung“ lautet demnach: Wettbe-werbsräume schaffen. Dazu gehört:

In konzeptionelle Führung investieren: Der Wettbewerb um unternehmerische Füh-rung findet außerhalb des Marktes statt. Die Aufmerksamkeit der meisten Manager in langlebigen Unternehmen gilt aber eher dem marktorientierten Wettbewerb. Darin liegt auch die Chance von Gründern.

Perspektive umdrehen: Statt via ausgedach-ter Kennzahlen die Gegenwart schrittweise in die Zukunft hochzurechnen lieber die Zukunft schrittweise in die Gegenwart her-überholen, d.h.: Die Umstände und Maß-nahmen identifizieren, die es zur Realisie-rung Ihres Ziels in der Zukunft bedarf. Zu-kunftsforscher nennen das „Backcasting“.

Imageneering statt Visioning! Statt Visionen zu entwickeln und sich im Wolkenku-ckucksheim zu verlieren lieber die eigene Vorstellungskraft konkret trainieren. Grün-der brauchen eine Kombination aus Er-kenntnissen und Alternativen: Einsichten in die Entwicklungstrends und Mechanismen ihres (Nischen-)Marktes und Wahlmöglich-keiten, wenn der Gang der Dinge anders läuft als erwartet, also eine Vorstellung da-von, was für einen selbst unter den ver-schiedenen, variablen Marktbedingungen jeweils herauszuholen ist.

Gründer brauchen, wenn sie am Markt bestehen

wollen, einen speziellen Werkzeugkasten für ihre

Eingri!e, eine Art chirur-gisches Business-Besteck

Über die Autorin: Dr. Friederike Müller-Friemauth unterstützt

speziell KMU und Kleinstunternehmen bei der taktischen Marktentwicklung,

www.denkenaufvorrat.de

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