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KULTUR - UND KUNSTGESCHICHTE von der Steinzeit bis ins 21. Jahrhundert MARTIN MEIER FÜR LEHPERSONEN • Beispiele für den Unterricht auf Sekundarstufe I & II • CD-ROM mit allen im Buch verwendeten Bildern • aufklappbarem Zeitstrahl zur Verortung • Arbeitsblättern mit Fragen, Spielen etc.

MARTIN MEIER KULTUR - UND KUNSTGESCHICHTE von der ... · des griechischen Schriftsteller Lukian. So kann man dann auch von der Entdeckung der Linear- So kann man dann auch von der

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KULTUR - UND KUNSTGESCHICHTEvon der Steinzeit bis ins 21. Jahrhundert

MARTIN MEIER

FÜR LEHPERSONEN• Beispiele für den Unterricht auf Sekundarstufe I & II• CD-ROM mit allen im Buch verwendeten Bildern• aufklappbarem Zeitstrahl zur Verortung• Arbeitsblättern mit Fragen, Spielen etc.

Steinzeit

Aegypten

Griechenland, Rom

Romanik

Gotik

Altniederländische Malerei

Frührenaissance

Hochrenaissance

Manierismus

Barock

Rokoko und Klassizismus

Romantik

Naturalismus, Realismus

Impressionismus

Symbolismus

Wegbreiter der Moderne

Expressionismus

Futurismus

Konstruktivismus

Dada

Neue Sachlichkeit

Surrealismus

Abstrakter Expressionismus

Konkrete Malerei

Pop Art

Situationismus, Fluxus

Minimalismus

Konzeptkunst

Arte Povera

Land Art

Rückblick

Ausblick

Kunst und Geld

Computerkunst

Selbstportraits

der Körper heute

Kunst und Gesellschaft

Glossar

THEORIE ZUR KULTUR- UND KUNSTGESCHICHTE: INHALT

01

03

04

06

07

08

09

11

12

13

14

15

Epoche Seitewichtige Begriffe aus Kultur und Kunst

Nomaden, Schamanismus, Farbauftrag

Pharaonen, Register, Proportionsfigur, Bedeutungsmasstab

Republik, Kalokagathia, Kontrapost, Mosaik, Fresko/Secco

Monotheismus, Enkaustik, Bildersturm, Ikone

Flügelaltar, Tafelbild, Alchemie

Temperamalerei, Ölmalerei, Plastizität, Schatten

Künstlerbiografie, Humanismus, Kulturpolitik

Künstlerwanderungen, Harmonie, sfumato

Reformation, Figura Serpentinata, Kunst- und Realraum

Gegenreformation, Absolutismus, Bildgattungen, chiaroscuro

Revolution, Aufklärung, verändertes Geschichtsbild, l‘art pour l‘art

Gesellschaftskritik, Orientalismus, Traum und Fantasie

Zeit

3‘000 v.u.Z.

395 v.u.Z.

600

1250

1500

1580

1500

1520

1600

1750

1830

1850

30‘000 v.u.Z.

3‘000 v.u.Z.

1‘100 v.u.Z.

486

1150

1420

1420

1500

1520

1600

1715

1800

Paracelsus

van Eyck, Bosch, Bruegel

Giotto, Masaccio, Donatello, Boticelli

da Vinci, Dürer, Raffael, Bellini

Tizian, Parmigianino, Giambologna

Pozzo, Bernini, Steenwyck, Caravaggio

Chardin, Thorvaldsen, David, de Goya

Friedrich, Delacroix, Géricault, Turner, Spitzweg, Füssli

UNTERRICHTSTHEMEN CHRONOLOGISCH GEORDNET

Vertreter

Komposition

Raster •

Verkürzung ••

Proportion ••

Plastizität ••

Perspektive • / •• / •••

Lichtdramaturgie

Farbkontraste

Kunstkiosk

praktische Arbeiten Seite Seite

Farbherstellung •

Amarna-Stil ••

die Schriftentwicklung •

Kathedralenbau • Ikone ••

der Flügelaltar •

Naturstudium ••

Goldener Schnitt •

Farbenlehre

Fotografie

Multiples

vertiefende Themen

DIE FRÜHRENAISSANCE : 1420 –1500 Seite 9

Renaissance bedeutet Wiedergeburt und geht wie der Begriff „Gotik“ auf Giorgio Vasari zurück, der die Wiedergeburt des Alten Rom meinte, deren Kunstwerke Vorbildcharakter besassen. Die Renaissance war aber nicht von einem Tag auf den anderen da, sondern löste sich im Norden nur langsam – wenn überhaupt – vom Stil der Gotik, während im Süden Europas, in Florenz oder Venedig, vorerst orientalische Einflüsse massgebend waren.

VORBILDER Giotto di Bondone lebte um 1267–1337 und war für die Italiener, was Jan und Hubert Van Eyck für die Niederländer waren: als Erster in Italien verstand er es, die Flachheit mittelalterlicher Darstellungen in plastische Malerei zu verwandeln, obwohl seine Fi-guren noch keine Schatten haben und die Themen immer noch biblischen Szenen verbunden blieben – denn nur langsam wählten die Künstler der Renaissance das Literarische weltlicher Themenkreise oder antiker Mythologien als Vorbild für ihre Werke.Der antike römische Schriftsteller Cicero (106–43 v.u.Z.) war für die frühe Generation der Re-naissance ein Held: ein Beispiel eines Stilisten von elegantem Latein und das Modell eines ge-bildeten Mannes, der sich sein Leben lang aktiv in die Politik der Republik einschaltete. Ciceros Leitmotiv war die studia humanitatis. In der Renaissance wurde daraus der Humanismus: „Da es ein Charakteristikum des Menschen ist, gelehrt zu werden, und die Gelehrten menschlicher sind als die Ungelehrten“. Anders als in der Gotik und ihren sieben freien Künsten, konzentrierten sich die Humanisten auf folgende fünf: Ethik, Poetik, Geschichte, Rhetorik, Grammatik – also alles Künste, die sich mit der Sprache befassten. Sie erlaubte es dem Menschen, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden (wie im Bild „Die sieben freien Künste“ von Sandro Botticelli, 1490). Der Glaube an die Macht des Wortes zeigte sich auch im Interesse an der Kabbala, einer hebräischen, mystischen Tradition, in der versucht wurde, sich Gott über die Meditation seiner zahlreichen Namen anzunähern.

ARCHITEKTUR In der Stadt Rom überlebten viele Bauwerke der Antike, wie zum Beispiel das Pantheon oder das Kolloseum. Die Architekten Filippo Brunelleschi (1377–1446) und Donato Bramante (1444–1514) aus Florenz studierten zusammen diese Bauwerke, vermas-sen sie, um ihre eigenen Entwürfe nach den klassischen Prinzipien auszurichten. Dies wurde durch eine antike Abhandlung über Architektur erleichtert, welche die Jahrhunderte überlebt hatte und um 1486 zum ersten Mal in den Druck ging: die „Zehn Bücher über die Baukunst“ des Römers Vitruv. Er betont die Wichtigkeit von Symmetrie und Proportion für die Architektur und vergleicht die Struktur eines Bauwerks mit der des menschlichen Körpers.

MALEREI In der Malerei wurde Masaccio (1401–1428) trotz seines frühen Todes schnell berühmt. Sein Fresko der „Dreifaltigkeit“ 1427 bewies, dass er die Regeln der Perspektive ge-lernt hatte, während der monumentale Stil des „Zinsgroschen“-Freskos an Giotto erinnert. Diese Bilder standen in öffentlichen Gebäuden und waren für jedermann zugänglich. Es gab aber auch die Auftragskunst, die sich weniger auf biblische Themen konzentrierte: Botticellis „Primavera“ stand in einem Privathaus und war angesichts seiner Bezüge zur Literatur und Philosophie nur wenigen Menschen verständlich. Botticelli kannte man hauptsächlich wegen seiner Buchillustra-tionen zu Dantes „Göttliche Komödie“, für die er Holzschnitte anfertigte.Auch in der Malerei war der Mensch zum Mittelpunkt des Geschehens geworden. Antike Quel-len und Vorlagen waren weit schwieriger zu finden. Abgesehen von ein paar Wandmalereien in Neros „Goldenem Haus“ in Rom, war die antike Malerei zu Renaissancezeit unbekannt (eine Tat-sache, die sich erst im späten 18. Jh. mit der Ausgrabung Pompejis änderte). Das Bild „Die Ver-leumdung des Appelles“ (um 1495) von Sandro Botticelli (1445–1510) folgt der Beschreibung des griechischen Schriftsteller Lukian. So kann man dann auch von der Entdeckung der Linear-perspektive reden: es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass die antiken Künstler diese Grundsätze kannten, aber auf jeden Fall waren sie bis zu ihrer Wiederentdeckung durch Brunelleschi und seine Freunde im 15. Jh. verloren. Leon Battista Alberti (1404–1472) schliesslich brachte 1436 das Buch „De Pictura“ (Über die Malerei) heraus, in dem er die Entdeckungen Brunelleschis beschrieb und mit eigenen Experimenten ergänzte.

Giotto di Bondone: „Die Beweinung Christi“, 1305

Masaccio: „Fresko der Dreifaltigkeit“, 1427

Donatello: „David“, um 1435

BILDHAUEREI Die Interessen des Bildhauers Donatello (1386–1466) an der antiken Skulptur zeigt sich an seinem David (um 1435), der ersten nackten Vollplastik seit der Antike. Wie Brunelleschis Entwurf für die Kuppel des Doms in Florenz, war auch Donatellos Reiter-Standbild des Condottiere (Söldnerführers) Gattame-lata 1447 eine erfolgreiche Lösung eines statischen Problems.

KULTURPOLITIK Diese Neuerungen fanden alle in Florenz statt. Die Künst-ler wurden unter der Kulturpolitik der florentinischen Herrscher Cosimo und Lorenzo de’ Medici gefördert, indem diese sich bemühten, die Künstler an Höfe in Rom, Neapel, Mantua, Ferrara und anderswo unterzubringen, um so den guten Ruf von Florenz über die Landesgrenzen hinweg zu verbreiten. Dabei blickte wohl manches Mitglied des eu-ropäischen Hochadels mit einem hämischen Lächeln auf die Medici: denn was waren sie ursprünglich anderes gewesen als simple Tuchhändler? Ins Geldgeschäft einge-stiegen, gelang ihnen ein beispielloser Aufstieg. Das Bankhaus Medici besass Filialen in ganz Europa und mit Papst Leo X. stellte die Familie 1513 erstmals das Haupt der Christenheit. Durch Gold und andere Gunstbeweise, aber auch mit Gewalt hatte sich der Clan die Herrschaft über das republikanische Florenz gesichert, schliesslich waren die Medici aufgestiegen zu Herzögen, den Grossherzögen der Toskana. Medici-Familienwappen

Donatello: „David“, um 1435Sandro Botticelli: „La Primavera“, 1482

THEORIEBLÄTTER

Die Griechen der Antike glaubten, dass richtige Proportionen (das Verhältnis eines Teiles zum Ganzen) im Leben wie auch in der Kunst zu Ge-sundheit und Schönheit führen. Diese Harmonie fand Pythagoras in den Zahlenverhältnissen der musikalischen Intervalle. In seiner Schrift „Die Elemente“ (um 300 v.u.Z.) demonstrierte Euklid ein Streckenverhältnis, das Platon „die Teilung“ nannte und das später als „Goldener Schnitt“ bekannt wurde. Bei den Römern waren Kreis, Dreieck und Quadrat perfekte Formen, nach denen sie die Schrift (Kapitalis Monumentalis) entwickelten. Im Mittelalter glaubte man, der Goldene Schnitt verkörpere die Vollkommenheit der Schöpfung. Den Künstlern der Renaissance schliesslich war er Beweis für die göttliche Logik. Der Goldene Schnitt gilt dehalb als perfekt, weil er bis ins Unendliche weiter konstruiert werden kann und doch immer die selben Proportionen widergibt.

DER GOLDENE SCHNITT •

DIE TEILUNG NACH EUKLID

A B

C

Mm M

m

Wie entsteht das Dreieck?Eine Strecke (bei uns AB, 10 cm lang) wird einmal halbiert und zur rechten vertikalen Seite eines Dreiecks (BC, 5 cm).Von C aus zieht man einen Kreis mit dem Radius BC. Dieser Kreis teilt AC im Punkt X.Danach zieht man einen Kreis mit A als Zentrum mit Radius AX.Auf AB entstehen neu die Strecken AY und YB – der Goldene Schnitt.

Die Proportionen des Goldenen Schnittes werden mit Major und Minor be-zeichnet. Major (M) ist der längere Teil, Minor (m) der Kürzere.

X

AB ist Major im Verhätnis zur Strecke AY, die Minor ist.AY hingegen wird im Verhätnis zur Strecke YB zu Major, YB ist Minor

Y

FIBONACCIS ZAHLENREIHELeonardo da Pisa, auch Fibonacci genannt (~1180 – ~1241) war Rechenmeister in Pisa und gilt als der bedeutendste Mathematiker des Mittelal-ters. Seine Zahlenreihe steigt so an, dass jede Zahl die Summe der beiden vorherhehenden ist: 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89, 144, 233 ...Da es im Goldenen Schnitt immer um ein Verhältnis geht, nähert sich die Zahlenreihe je höher sie steigt kontinuierlich der perfekten Proportion (233:144 = 1,618056).

DER GOLDENE SCHNITT IN DER NATURKÖRPERPROPORTIONENLeonardo Da Vincis berühmte Zeichnung „Die Proportionen der menschlichen Fi-gur“ (1492) basiert auf der Proportionslehre, die der römische Architekt Vitruv 27 v.u.Z. entwickelt hat. Er nahm den menschlichen Körper als Mass und entwarf ein System von Längenverhältnissen, das der Konstruktion von Gebäuden, Plastiken und Gemälden dienen sollte: „Legt man einen Menschen flach auf den Rücken, mit ausgestreckten Händen und Beinen und zieht vom Nabel einen Kreis, dann berühren beide Hände und Füsse diesen Kreis.“ Leonardos Figur demonstriert die Proportionen des Körpers gemäss des Goldenen Schnittes. Dieses Verhältnis findet sich auch zwischen den einzelnen Teilen des Skeletts.

DAS GOLDENE RECHTECKDas grosse dick umrahmte Rechteck unten links ist nach dem Goldenen Schnitt unterteilt: es entsteht ein grosses Quadrat in der linken Hälfte und ein sogenanntes „Goldenes Rechteck“ in der rechten Hälfte. Diese Teilung kann (theoretisch) bis ins Unendliche fortgeführt werden. Verbindet man die Eckpunkte miteinander, entsteht eine Spirale wie bei einem Schneckenhaus oder einer Nautilusmuschel.

Im Vergleich zur Parallelperspektive im Technischen, bzw. Geometrischen Zeichnen, die immer eine Vereinfachung der menschlichen Wahrnehmung ist, ein schema-tisches System, bildet die Linearperspektive die Welt so ab, wie wir sie mit unseren Augen sehen. Um sich die Unterschiede zwischen der Parallel- und der Linearpers-pektive besser vorstellen zu können, vergleichen wir zuerst beide Arten miteinan-der. Wir denken uns einen Würfel, der auf einem Blatt Papier steht. Der Betrachter schaut auf diese Komposition durch eine Wand – das ist die Bildebene. In ihr ist ein quadratisches Fenster ausgeschnitten– das ist der Bildrand (die Linien, die die unteren Abbildungen beschränken.

Betrachter, Bildebene und Würfel stehen parallel zueinander.

Die Höhe der Augen des Betrachters heisst Augenhöhe.Sie ist in der Linearperspektive auch der Horizont, der Ort wo das Bild endet.

DIE LINEARPERSPEKTIVE • Seite 1

45°

PARALLELPERSPEKTIVE

Die Fläche des Würfels, die parallel zur Bil-debene steht, zeigt seine reale Grösse. Alle anderen Linien laufen in einem Winkel von 45° parallel zueinander. Da bei einem Wür-fel alle Seiten gleich lang sind, werden die Strecken, die nach hinten laufen deshalb um die Hälfte gekürzt –es entsteht eine schema-tische Darstellung, in der die Position des Betrachters nicht ermittelt werden kann.

LINEARPERSPEKTIVE

Die horizontalen Linien laufen immer noch parallel zueinander. Der Gegenstand wird nach hinten aber kleiner und so treffen sich diejenigen Linien, die auf dem Blatt nach oben, bzw. nach hinten in die Tiefe laufen (vom Betrachter flüchten), alle in einem Punkt: dem Fluchtpunkt (FP). FP liegt auf der Augenhöhe, bzw. dem Horizont.

VERGLEICH

Bei diesem Beispiel sehen wir zwei Strassen. Links bei der Parallelperspektive können wir nicht genau sagen, wohin die Strasse führt, wir sehen nur einen kleinen Ausschnitt.Rechts sehen wir die Strasse in der Linear-perspektive und wir können genau bestim-men, wo sie endet.

FP

WICHTIG: DIE FLUCHTPUNKTE KÖNNEN – ANDERS ALS AUF DIESEN ABBILDUNGEN EBEN SO GUT AUSSERHALB DES BILDES LIEGEN !

LINEARE ZENTRALPERSPEKTIVE

Hier ist dargestellt, was der Betrachter auf der oberen Fotografie sieht.Der FP liegt in der Mitte von H. H selber bleibt vertikal beweglich, d.h. die Augenhöhe kann sich mal weiter oben, mal weiter unten befinden, je nach Grösse des Betrachters.

EIN-FLUCHTPUNKT-PERSPEKTIVE

FP liegt in der rechten Hälfte des Bildes, der Betrachter sieht hier die vordere sowie die rechte Seite des Würfels. Die Ein-Fluchtpunkt-Perspektive ist die ein-zige Perspektive, bei der die Position des Betrachters die vertikale FP-Position ist!

ZWEI-FLUCHTPUNKT-PERSPEKTIVE

Da sie nicht mehr parallel zueinander ste-hen, hat hier jeder Gegenstand seine eige-nen Fluchtpunkte (das Papier P1 und P2, der Würfel W1 und W2). Wie in der Zentralperspektive befindet sich der Betrachter in der Zwei-Fluchtpunkt-Per-spektive in der horizontalen Mitte – nur die vertikale Position (H) kann variiert werden!

P1 W1 P2 W2HH H

DER GROSSE UNTERSCHIED

BEISPIELE AUS DER BILDENDEN KUNST

DIE LINEARPERSPEKTIVE •• Seite 2

KURZÜBUNGEN

1) Wo befindet sich der Betrachter? Zeichne die vertikale Position (Augenhöhe) und die horizontale Position (Standort) ein.

Andrea Mantegna „Die Folter des Hl. Jakob“, 1455Robert Campin „Verkündigung“, 1430Oberrheinischer Meister „Verkündigung“, um 1440

Liegt AH in der unteren Hälfte des Bildes, sprechen wir von Froschperspektive; liegt sie in der oberen Hälfte, sprechen wir von Vogelperspektive.

Der Humanist und Gelehrte Leon Battista Alberti (1404–1472) brachte 1436 das Buch „De Pictura“ (Über die Malerei) heraus, in dem er die perspek-tivischen Gesetzmässigkeiten des Architekten Filippo Brunelleschi (1377–1446) beschrieb und mit eigenen Experimenten ergänzte. Unten ist Schritt für Schritt aufgezeigt, wie Alberti eine lineare Zentralperspektive konstruiert und die Raumtiefe mit Bodenplatten simuliert.

DIE BODENPLATTEN-KONSTRUKTION NACH L.B. ALBERTI ••

SEITENANSICHT RÜCKENANSICHT

1

2

3

4

5

1

2

3

4

5

Alberti setzte die Durchschnittsgrösse eines Menschen auf 180 cm. In damaligen italienischen Massen sind dies 3 bracco, eine Bodenplatte misst 1 bracco. Wir sehen die Augenhöhe (AH) und die Leinwand (L), vor der der Künstler steht. Hier sind AH und das obere Ende von L gleich hoch. Bei der Rückenansicht wird der Standpunkt der Person mit einer senkrechten, gestrichelten Mittellinie (ML) angezeigt.

Alberti arbeitete wie Brunelleschi mit Sehstrahlen (S), die von den einzelnen Bodenplatten aus gehen und sich im Auge des Betrachters treffen.

Da hier alles streng geometrisch zu verstehen ist, kann man die Schnittpunkte S/L auf die rechte Leinwand übertragen. Ebenso treffen sich S auf AH/ML

So sieht die fertige Konstruktion ohne Hilfslinien aus.

Alberti empfahl, eine Gerade durch die Eckpunkte der Bodenplatten zu ziehen, um die Exaktheit der Konstruktion zu überprüfen.

AH

L L

ML

S

Seite 3

BODENPLATTEN-KONSTRUKTION MIT ZWEI FLUCHTPUNKTEN • •• Seite 4

Leon Battista Albertis Demonstrati-on greift nur bei einer linearen Zen-tralperspektive. Doch auch bei einer Zwei-Fluchtpunkt-Perspektive kön-nen Bodenplatten konstruiert werden – mit einem kleinen Trick.Auf der vertikalen Ebene ziehen wir zwischen der Augenhöhe und dem unteren Bildrand, der dem Betrachter am nächsten ist, eine Referenzhöhe (RH). Auf dieser horizontalen Linie können wir nun in immer gleichmäs-sigen Abständen den Durchmesser der Bodenplatte abtragen.Das funktioniert deshalb, da alle ho-rizontalen Linien in der Konstruktion ja nicht verzerrt dargestellt sind, son-dern – da sie parallel zur Betrach-ter-Ebene liegen – die tatsächlichen Masse widergeben.

ABSCHLIESSENDE BETRACHTUNG Die Theoretiker der Renaissance erklärten die Perspektive (lat. perspicere = mit Blicken durchdringen) am Beispiel des Bogenschützen. So wie dieser ein Auge schliesst, wenn er sein Ziel anvisiert, so soll der Künstler sich eine gerade Linie von Auge zu Fluchtpunkt vorstellen.Der junge Andrea Mantegna (1431–1506) hat um die Mitte des 15. Jahrhunderts das Pfeilmotiv in der Ovetari-Kapelle in Padua benutzt, als ihm eine Heiligenlegende dafür Gelegenheit bot. Vom Leben des Christophorus wird berichtet, dass die Pfeile, die ihm galten, auf den „König“ abgelenkt wur-den, der sein Martyrium anordnete. Bei Mantegna wird der König hinter dem Fenster eines Palastes, von wo aus er das Schauspiel beobachtet, von einem Pfeil überrascht, so dass er zurück prallt und die Sicht verliert.Alberti hatte jedoch eine andere Deutung im Auge, wenn er davon spricht, dass ein Maler „vergeblich den Bogen spannt, wenn er nicht weiss, worauf er mit dem Pfeil zielen“ und wie er die Perspektive anwenden soll. Die Metapher vom Bogenschützen wird in einem Holzschnitt um 1610 direkt ins Bild gesetzt: Der Schütze „visiert“ den Betrachter an, um den Pfeil in dessen Auge zu schiessen. Das ist im Sinne der Per-spektive wörtlicher gemeint, als wenn wir sagen, dass wir mit der Kamera ein Foto „schiessen“. Es ist nicht der Maler, der ein Bild schiesst, sondern die perspektivische Konstruktion, die dem Betrachter Gewalt antut, wenn sie auf sein Auge abzielt, da die Regeln der Konstruktion eingehalten werden müssen.

geringfügig veränderter Auszug aus dem Buch „Florenz und Bagdad“ von Hans Belting, erschienen 2008 im Verlag C.H. Beck, München

links: Ausschnitt aus der Christophorus-Legende, 1457

rechts: Jacques de Gheyn II. „Bogenschütze“, 1610

VOM UNIVERSELLEN ZUM INDIVIDUELLEN BLICK Mit der Linearperspektive kann man genau angeben, wo sich der Betrachter im Bild befindet. Es ist kein Zufall, dass Leon Battista Alberti, der erste Theoretiker der Perspektive, das Emblem des Auges für sich beanspruchte. Die Perspektive war in seiner Sicht sowohl Technik wie Symbol des eigenen Blicks. In der Neuzeit wollte man sich vor einem Bild so souverän fühlen, wie man Gott als souverän gegenüber der Welt gedacht hatte. Das Auge Albertis überträgt seinen eigenen Blick in ein Bild, in dem sich der Betrachter innerhalb der Welt sieht. Dieser Blick und mit ihm die Darstellung einer bestimmten Szene ist ab 1500 individuell, d.h. an eine Person, einen Betrachter gebunden.

FOLIE MIT ABBILDUNGEN UND LÖSUNGEN Seite 5

45°

H

HFP P1 W1 P2 W2

H

PRAKTISCHE ARBEITEN

1

Der Raum, in dem man seiner beruflichen Tätigkeit nachgeht, ist gefüllt mit Zeichen: Möbel, Werkzeuge und Materialien verweisen auf ein bestimmtes professionelles Vorgehen, welches wiederum Spuren im Raum hinterlässt. Der Konstruktion eines perspektivischen Raumes in der Renaissance ging eine lange Entwicklungszeit voraus, die im Folgenden kurz skizziert wird.

ARBEITSPLATZ – DIE KONSTRUKTION EINES REPRÄSENTATIVEN RAUMES • ••

Duccio di Buoninsegna „Maestâ“, 1308–1311

Der Begriff Ikone stammt vom byzantinischen ei-kóna, welcher schon im Altgriechischen verwendet wurde und „Ebenbild“, „bildliche Darstellung“ be-deutet.Die Personen (Jesus, Maria, Apostel, Heilige) wur-den auf frühen Ikonen flach dargestellt. Die Bedeu-tungsperspektive wurde angewendet, d.h. wichtige Personen sind am grössten, unbedeutende am kleinsten gemalt. Die Zweidimensionalität betont zusammen mit der falschen Perspektive und dem Fehlen von Raum, dass die Ikone ein Abbild der Wirklichkeit und nicht die Wirklichkeit selbst ist. Der Hintergrund ist auf mittelalterlichen Ikonen üblicherweise goldfarben (Blattgold). So wird der Himmel – das göttliche Licht – symbolisiert.

Pietro Lorenzetti „Geburt Mariae“,1342 Robert Campin „Verkündigung“, 1430

Robert Campins Verkündigungsdarstellung zeigt die im Norden länger gültige und ältere Methode der Innenraumwiedergabe: einen Eiblick in das Innere einer gotischen Kathedrale, deren Aussenseite gleichzeitig sichtbar ist. Das Moment aber, das die Interieurillusion besonders fördert, ist die Einführung eines neuen Grössenverhältnisses zwischen Figur und Umwelt: zum ersten Mal sind die Wohnräume, Hallen und Kirchenchöre so hoch und weiträumig genug, um eine Bewegung, ein Leben der Bewohner in ihnen glaubhaft zu machen.

Giovanni da Milano „Verkündigung“ 13xx

In den Bildern der Brüder Lorenzetti hingegen ist die deutliche Tendenz zu beobachten, die Aussenan-sicht der Gebäude auf ein Minimum zu reduzieren und ihr mehr den Charakter einer Rahmung der Dar-stellung zu geben, die sich ganz auf die Beschreibung des Innenraums konzentriert. Dieser Innenraum im Süden war aber ungleich kleiner und da mit der Reduktion des Formats auch die Körperlichkeit der Figuren starke Einbussen erlitt, fehlte die Möglichkeit, Figur und Umwelt in eine eindeutige räumliche Beziehung zu setzen. Mit der Richtigkeit der Grössenverhältnisse allein war eine überzeugende Lösung nicht möglich.Zukunftsträchtiger in Sachen der Interieurbehandlung erwiesen sich andere Ansätze, die sich ebenfalls in der Treccento-Malerei finden lassen, vor allem bei Giovanni da Milano in Oberitalien. In der Verkün-digungsszene lässt er uns in einen immer noch kastenartig engen, aber beinahe zentralperspektivisch konstruierten Innenraum blicken, von dessen Aussenseite wir kaum mehr als eine Leiste, den Wand-, Boden- und Deckendurchschnitt zu sehen bekommen. Innenraum ist hier so etwas wie ein halbierter Raumwürfel, die hohle Innenseite eines stereometrischen Körpers, über dessen Äusseres wir keinerlei Information bekommen. Das hat den Vorteil, dass der Charakter des Kastengehäuses als Fassungs-raum für Figurenvolumen präzisiert wird.

2

Ein anderer Lösungsansatz zeigen uns die folgenden drei Bilder. Es sind alles Gelehrtenportraits, in denen das Kasteninterieur eine realistische Mo-tivierung erfährt: Gelehrte pfleg(t)en in engen Stuben zu hausen und das bisschen Raum, das rund um den Tisch übrig bleibt, wird dann noch mit Büchern, Schreibgeräten, Truhen und allerhand Krimskrams bis zum Ersticken vollgeräumt, vollgestopft. Freiraumverdrängung scheint das Losungs-wort aller Bücherwürmer zu sein, und so liegt der Schwerpunkt dieser Darstellungen nicht in der Veranschaulichung des Hohlkörpers, sondern seines Inhalts, seines Mobiliars und Inventars.

ARBEITSPLATZ – DIE KONSTRUKTION EINES REPRÄSENTATIVEN RAUMES • ••

Tommaso da Modena „Hieronymus“ Petrarca „De viris illustribus“ Petrus Christus „Hieronymus“

Robert Campin „Mérodealtar“, um 1435, The Metropolitan Museum of Art, New York

Die Schöpfer dieser Gelehrtenbilder haben wohl instinktiv erkannt, dass in der zur Interieurvorstellung notwendigen Raumillusion zwei Faktoren zu-sammenwirken müssen: das Erlebnis der Dreidimensionalität eines architektonischen Hohlraumes als Aufenthaltsort des Menschen und die durch Schilderung der Einrichtungsgegenstände suggerierte Interieurstimmung. Ja, dass bei diesem Thema, wo es galt, den Innenraum als Aufenthaltsort einer wichtigen Arbeit, als Milieu, Existenzraum und nicht als Schauplatz irgendwelchen Geschehens zu veranschaulichen, der zweite Faktor der unvergleichlich wichtigere ist. Dass der Maler mit allen verfügbaren Mitteln die spezifische Interieurstimmung anzustreben hat, und sei es auch, dass dies auf Kosten der Klarheit der Raumstruktur geht. Auf diese Weise wurde auch eines der grössten Hindernisse, die einer vollen Interieurillusion entgegengestanden, beinahe zwangslos beseitigt: die Dominanz der menschlichen Figur – nämlich dadurch, dass auch der menschliche Bewohner mitsamt seinen vierbeinigen Gefährten allmählich in den unbelebten Hausrat eingegliedert wird und, gleichsam auf einer Stufe mit anderen „Einrich-tungsgegenständen“, zum integralen Bestandteil des Raum-Stilllebens wird. So zeigt auch Campins Altar unten einen kompletten Innenraum, der wohnlich ausgestattet ist mit all den Dingen, die die Illusion einer behaglichen Atmosphäre schaffen. Der Faktor der Interieurstimmung ist also berück-sichtigt – und wenn Marias Stube nicht gerade überladen wirkt, so kann es Josephs Werkstätte rechts nebenan ruhig mit den oberen Gelehrtenstuben aufnehmen. leicht abgeänderter Text von Otto Pächt: „ Van Eyck – die Begründer der altniederländischen Malerei“, Prestel Verlag, München 2007

3

Die Aufgabe lautet nun: Konstruiere einen Raum, der repräsentativ für eine bestimmte Berufsgruppe ist.Das Unternehmen gliedert sich in 6 Abschnitte:

1. Recherche Frage: Welchen Beruf will ich darstellen / welche Thematik interessiert mich? Mittel: Bildersuche im Internet, mit der eigenen Kamera, in Magazinen und Zeitschriften

2. Impressionen Frage: Welche der gesammelten Bilder passen zueinander, so dass ein repräsentatives Interieur entsteht? Mittel: Moodboard, Collage, Konzept

3. Konstruktion Frage: Welche architektonischen Ansprüche erhebt der Raum, in dem die gesammelten Bilder stehen? Mittel: Skizzen auf A4-Papier mit Bleistift

4. Eingrenzung Frage: Welche Skizze zeigt die optimale Lösung? Müssen gar mehrere miteinander kombiniert werden? Mittel: erste grosse Zeichnung auf A3-Papier mit Bleistift

5. Atmosphäre Auf einem A3-Transparentpapier wird die adäquate Wirkung von Licht und Schatten erprobt.

6. Umsetzung Nachdem die Zeichnung mittels Transparentpapier auf den A3-Malkarton übertragen wurde, wird die Malerei in Gouache oder Acryl ausgeführt.

Alle im Prozess entstandenen Materialien werden in einer Mappe gesammelt und dienen Dokumentationszwecken.Die oben beschriebene Reihenfolge ist verbindlich!

ANFORDERUNG AN DIE ARBEIT

- auf dem Bild erscheinen lediglich folgende drei repräsentative Komponenten: 1. architektonische Bestandteile des Innenraums (Boden, Wände, Decke, Zwischengeschosse, Fenster, Treppen), 2. Möbel oder andere Infrastruktur 3. Werkzeuge

- der Raum strukturiert sich wie folgt: 1. Vorder-, Mittel- und Hintergund müssen erkennbar sein 2. mindestens eine Ecke muss vorhanden sein

- die Atmosphäre des Raumes wird entscheidend bestimmt durch: 1. Komposition der Einrichtung 2. angemessene Farbkombination 3. konsequente Dramaturgie des Lichtes

BEWERTUNGSKRITERIEN

- Erkennt man die gewählte Berufsgruppe anhand des Bildes (ohne Begleitmaterial)?- Ist die Konstruktion des Raumes perspektivisch richtig?- Sind die in das Bild integrierten Elemente erkennbar und repräsentativ?- Unterstützt die Farbstimmung die vorgestellte Tätigkeit innerhalb des Raumes?- Wurde das Einbringen von Licht und Schatten sowie die thematisierte Malweise konsequent verfolgt?

TERMINE

1. Recherche Woche 44

2. Impressionen Woche 45

3. Konstruktion Woche 46

4. Eingrenzung Woche 47

5. Atmosphäre Woche 48

6. Umsetzung Woche 49, 50, 51

ARBEITSPLATZ – DIE KONSTRUKTION EINES REPRÄSENTATIVEN RAUMES • ••

Aufgabenstellung

Konstruiere eine eigene Komposition mit der Linearperspektive, die du anschliessend farbig gestaltest. Es ist Dir frei gestellt, ob du mit einer Ein-Fluchtpunkt- oder einer Zwei-Fluchtpunkt-Perspektive arbeitest.

Bedingungen für die perspektivische Konstruktion

- zeichne mindestens sieben Objekte- welche sich mindestens fünf mal überschneiden- mindestens zwei Objekte sollten einen Durchbruch haben- beschränke Dich auf geometrische Körper (Kreis, Dreieck, Quadrat)

Bedingungen für die farbige Ausgestaltung

wähle einen Überbegriff für die Farbgebung (zum Beispiel: Jahreszeiten, kalte Farben, warme Farben...)und gestalte dann die zwei Kompositionen mit jeweils verschiedenen Farben

Bewertungkriterien

Sind alle oben beschriebenen Punkte erfüllt?Zeigt das Bild einen Raum mit Tiefenwirkung?Wurde die Komposition sauber ausgemalt?

FARBIGE KOMPOSITION MIT LINEARPERSPEKTIVE •