Masterarbeit zum Thema - netzwerk-nahtoderfahrung.orgUNI/masterarbeit_kirsten... · Kirsten Dückinghaus Universität Hannover Philosophische Fakultät Institut für Theologie und

Kirsten Dückinghaus

Universität Hannover

Philosophische Fakultät

Institut für Theologie und Religionswissenschaft

Abteilung Evangelische Theologie und Religionspädagogik

Erstprüfer: Prof. Dr. Friedrich

Zweitprüfer: Jens Riechmann

Sommersemester 2014

Masterarbeit zum Thema

Die Nahtoderfahrung


Alte Dorfstraße 3

49626 Bippen/OT Klein-Bokern

Tel.: 0173/8573716

E-Mail: [email protected]

4. Semester, Master of Education

Evangelische Theologie, Geschichte

Matr.-Nr.: 2806550

Die Nahtoderfahrung Veränderung des Lebens ?

Institut für Theologie und Religionswissenschaft

Abteilung Evangelische Theologie und Religionspädagogik

Erstprüfer: Prof. Dr. Friedrich Johannsen

Masterarbeit zum Thema:

Die Nahtoderfahrung - eine Veränderung

des Lebens?

Bokern

Mail: [email protected]

4. Semester, Master of Education

Evangelische Theologie, Geschichte

Die Nahtoderfahrung – eine Veränderung des Lebens ?

eine Veränderung

2

Kirsten Dückinghaus Die Nahtoderfahrung – eine Veränderung des Lebens ?

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ................................................................................................................ 5

2 Nahtoderfahrung in der Forschung ...................................................................... 7

2.1 Definition ............................................................................................................ 7

2.2 Kennzeichen der Nahtoderfahrung ..................................................................... 7

2.2.1 Unbeschreiblichkeit ...................................................................................... 8

2.2.2 Das Hören der Todesnachricht .................................................................... 8

2.2.3 Gefühle von Frieden und Ruhe .................................................................... 9

2.2.4 Das Geräusch .............................................................................................. 9

2.2.5 Der dunkle Tunnel ...................................................................................... 10

2.2.6 Das Verlassen des Leibes ......................................................................... 11

2.2.7 Begegnung mit Anderen ............................................................................ 13

2.2.8 Das Lichtwesen .......................................................................................... 13

2.2.9 Rückschau ................................................................................................. 14

2.2.10 Die Grenze oder Schranke ..................................................................... 16

2.2.11 Die Umkehr ............................................................................................. 16

2.2.12 Mitteilungsversuche ................................................................................ 18

2.2.13 Folgen im Leben ..................................................................................... 18

2.2.14 Neue Sicht des Todes ............................................................................ 20

2.2.15 Bestätigung ............................................................................................. 20

3 Interview mit Nahtoderfahrenden ....................................................................... 23

3.1 Beschreibung der Ausgangssituation ............................................................... 24

3.1.1 Das Leben davor ........................................................................................ 24

3.1.2 Auslöser des Nahtodes .............................................................................. 25

3.2 Parallelen zwischen Nahtoderfahrenden .......................................................... 26

3.2.1 Unbeschreiblichkeit .................................................................................... 26

3


3.2.2 Das Hören der Todesnachricht .................................................................. 27

3.2.3 Gefühle von Frieden und Ruhe .................................................................. 27

3.2.4 Das Geräusch ............................................................................................ 28

3.2.5 Der dunkle Tunnel ...................................................................................... 28

3.2.6 Das Verlassen des Leibes ......................................................................... 29

3.2.7 Begegnung mit Anderen ............................................................................ 29

3.2.8 Das Lichtwesen .......................................................................................... 31

3.2.9 Rückschau ................................................................................................. 32

3.2.10 Die Grenze oder Schranke ..................................................................... 32

3.2.11 Die Umkehr ............................................................................................. 32

3.2.12 Mitteilungsversuche ................................................................................ 33

3.2.13 Folgen im Leben ..................................................................................... 34

3.2.14 Neue Sicht des Todes ............................................................................ 34

3.2.15 Zeit-und Raumempfinden ....................................................................... 35

3.3 Das Leben danach ........................................................................................... 36

3.3.1 Persönlichkeitsveränderung ....................................................................... 36

3.3.2 Konsequenzen ........................................................................................... 38

3.3.3 Sinn des Lebens ........................................................................................ 39

3.3.4 Christliche Elemente .................................................................................. 41

3.4 Vergleich der Ergebnisse mit den Forschungsansätzen................................... 42

3.4.1 Kennzeichen der Nahtoderfahrung ............................................................ 42

4 Christliche systematische Position zum Tod .................................................... 58

4.1 Auferstehungsgedanken ................................................................................... 58

4.1.1 Katholische Sichtweise .............................................................................. 58

4.1.2 Protestantische Sichtweise ........................................................................ 59

4.1.3 Bezug zu den Nahtoderfahrenden ............................................................. 60

4.2 Angst vor dem Tod ........................................................................................... 60

4


5 Persönliches Resümee ........................................................................................ 63

6 Literaturverzeichnis ............................................................................................. 65

7 Anhang ..................................................................................................................... I

7.1 Musterleitfaden .................................................................................................... I

7.2 Interviews ........................................................................................................... II

7.2.1 Interview D. .................................................................................................. II

7.2.2 Interview L................................................................................................. VII

7.2.3 Interview R. ................................................................................................. X

7.2.4 Interview S. ............................................................................................... XII

7.2.5 Interview V. .............................................................................................. XIX

7.3 Leitfäden ......................................................................................................... XXI

7.3.1 Leitfaden B. .............................................................................................. XXI

7.3.2 Leitfaden E. ............................................................................................ XXIII

7.3.3 Leitfaden K. ...........................................................................................XXVII

7.3.4 Leitfaden M . ..........................................................................................XXIX

7.4 Zusammenschriften ......................................................................................XXXI

7.4.1 Zusammenschrift V. ...............................................................................XXXI

7.4.2 Schilderung einer Nachtoderfahrung .................................................. XXXVI

7.5 Zeitungsartikel ......................................................................................... XXXVIII

7.5.1 Anzeige zur Suche von Interviewpartnern ........................................ XXXVIII

7.5.2 Artikel aus der Zeitschrift „neue woche“ .............................................. XXXIX

8 Plagiatserklärung ............................................................................................... XLI

5


1 Einleitung

„Wer so etwas nicht selbst erlebt hat, der kann es nicht begreifen; wer es erlebt hat, der

versteht es ohne viele Worte.“1

Die Nahtoderfahrung ist ein Erlebnis, welches nicht jeder nachvollziehen kann, eine

Erfahrung, die den Menschen verändert. Zurück im Leben sortieren sich die Betroffenen

sowie deren Umwelt wieder neu. Hierüber soll meine Masterarbeit zum Thema „Die

Nahtoderfahrung - eine Veränderung des Lebens?“ handeln.

Die Schauspielerin Nina Hoger hat es beispielsweise erlebt, wie es sich anfühlen muss, zu

sterben.2 Auch in der Sendung „Jenkes Begegnung mit dem Tod“3 war die Thematik der

Nahtoderfahrung elementar. In dieser führte Jenke von Wilmsdorff Selbstversuche mit dem

Tod durch und setzte sich mit speziellen Themen zu diesem Kontext auseinander.

Ein Teil des Experimentes war etwa ein Interview mit Christine Stein, welche ihm ihre

persönlichen Erfahrungen darlegte, die sie in ihrem Buch „Like an Angel - einmal Himmel

und zurück“ verarbeitet hat.

Was macht dieses persönliche Erlebnis so bedeutend? Was sind die immer wiederkehrenden

Elemente?

Auch diese Fragen werden im Zuge dieser Arbeit thematisiert. Den Schwerpunkt bilden

allerdings die selbst geführten Interviews mit Probanden, die eine solche Nahtoderfahrung,

wie Nina Hoger oder Christine Stein, erfahren haben und wie sie die Veränderung im

zurückgekehrten Leben erleben. Gerade die Individualität der Schicksale macht das Thema

für mich so reizvoll. Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang bei allen, die bereit waren,

mir von ihren ganz persönlichen Erfahrungen mit dem Tod zu berichten.

Wo sehen sie danach den Sinn des Lebens? Welche gravierenden Einschnitte im Leben sind

im Nachhinein zu verzeichnen?

Ebenso wird die Verbindung der Ergebnisse mit der Forschungslage in meiner Arbeit

hergestellt und dabei die auffälligen Unterschiede sowie die Parallelen dargestellt. Das

Standardmodell von Raymond Moody dient dabei als Leitfaden.

Abschließend wird ein Bezug zu unserem christlichen Glauben hergestellt. Wie ist die

christliche Position zum Tod zu sehen? Dabei wird auf den Auferstehungsgedanken aus 1 Brock/Daiker/Bayer 2007, 18.

2 vgl. Anhang, XXXIX-XL.

3 Ausstrahlung am 24.03.2014 bei RTL.

6


katholischer und protestantischer Sicht eingegangen. Des Weiteren wird dem Punkt „Angst

vor dem Tod“ Raum gegeben, da nach einer Nahtoderfahrung ein gezielter Wandel in

diesem Bereich vollzogen wird.

7


2 Nahtoderfahrung in der Forschung

2.1 Definition

Unter Nahtoderfahrungen werden außergewöhnliche Erlebnisse, die im Zusammenhang mit

der Diagnose des klinischen Todes stattfinden, verstanden.4 Ursachen für derartige

Erfahrungen können schwere Verletzungen, die beispielsweise durch Unfälle, Gewalt oder

unerwarteten Krankheiten hervorgerufen werden, sein. Häufig kommt es aber auch durch

Nakosemaßnahmen zu Situationen, in denen Patienten sich dem Tod nahe fühlen.5 Das

verdeutlicht, dass „generell […] die Umstände, unter denen [Nahtoderfahrungen] auftreten,

nicht eindeutig“6 sind.

Das Phänomen der psychologischen Todesnähe, welches stressbedingt auftreten kann, wird

auch als Auslöser einer Nahtoderfahrung beschrieben.7 Es handelt sich daher um ein weites

Feld, welches sich mit der „unerwarteten Konfrontation mit dem Tod“8 befasst.

2.2 Kennzeichen der Nahtoderfahrung

Der amerikanische Psychologe Raymond Moody erforschte durch den Vergleich von

Nahtoderfahrungen fünfzehn immer wiederkehrende Merkmale. Diese stellte er in seinem

ersten Buch „Leben nach dem Tod“ vor. Wichtig ist dabei zu nennen, dass eine einzelne

Erfahrung nicht alle Merkmale beinhaltet. Jeder erlebt sie anders, dennoch bildet jede

Erfahrung in sich eine Einheit.9 Es gibt gewisse Überschneidungen, doch ist die

Problematik, dass die Erfahrenden das Erlebte häufig nicht in Worte kleiden können, von

enormer Bedeutung für die Forschung.10

Die Kernelemente der Nahtoderfahrung nach Moody sollen im Folgenden als Leitlinie

dienen, um die Forschungsebene darzulegen.

4 Jakoby 2011, 15.

5 Vgl. Kübler-Ross 2005, 12.

6 Högl 2000, 12.

7 Vgl. Jakoby 2011, 15.

8 ebd.

9 Vgl. Van Lommel 2011, 37.

10 Vgl. Swihart 1979, 11.

8


2.2.1 Unbeschreiblichkeit

Die Unbeschreiblichkeit sei die schwere Hürde, die die Erfahrenden leisten müssen, um ihre

Erlebnisse den Mitmenschen zu berichten. Grund dafür sei, dass ihnen der eigene

Wortschatz in dem Sinne fehle, das Erlebte zu beschreiben. Es sei eine „Kluft zwischen

Wort und Erlebten“.11 Einer Person, die solch eine Erfahrung nicht erlebt habe, sei es

schwierig zu verdeutlichen, was da mit einem passiert ist. Moody schreibt davon, dass die

folgende Welt, in der sich die Nahtoderfahrenden befunden haben, nicht kompatibel mit

unserer dreidimensionalen Welt und somit mit dem dort zur Verfügung stehenden

Wortschatz sei. Es handle sich schlicht und einfach um zwei Erfahrungswelten.12 Eine

gemeinsame Ebene des Verstehens können nur die Menschen aufbauen, die Ähnliches

gesehen und gespürt haben. „Es war zu viel! Einfach zu viel, um es in menschliche Worte

zu fassen.“13 Nahtoderfahrende untereinander benötigen nur wenige Worte, sie verstehen

sich in gewisser Weise blind. Beide haben die unsagbare Welt außerhalb wahrgenommen.14

Ansonsten kämpfen sie während der Verarbeitung des Erlebten mit

Kommunikationsproblemen, da sie außerstande sind, den Mitmenschen ein

nachvollziehbares Bild zu vermitteln.15 Hartl erwähnt in diesem Zusammenhang, dass es ein

„kommunikatives Paradox“16 sei. Schwierig sei es dabei, die bildlich wahrgenommenen

Geschehnisse, währenddessen die Sprache in den Hintergrund tritt, auszudrücken.17

2.2.2 Das Hören der Todesnachricht

Manche Nahtoderfahrenden berichten zurück im Leben davon, dass sie während der

unbeschreiblichen Erlebnisse Aussagen anderer Personen vernommen haben, die sie zu dem

Zeitpunkt für Tod erklärt haben. Interessant ist dabei, dass sie selbst wissen, dass dies nicht

der Fall sei. Dennoch wird bei der Wiedergabe auch die Tatsache angeführt, dass man

während der Außerkörperlichkeit kein Körpergefühl vernommen habe.18 Aussagen, die von

Probanden in Verbindung mit ihrem Gesundheitszustand angeführt wurden, waren

11

Bieneck/Hagedorn/Koll 2006, 87. 12

Vgl. Moody 2008a, 42. 13

Van Lommel 2011, 45. 14

Vgl. Moody2008a, 98. 15

Vgl. Moody 2008a, 43. 16

Hartl 1999, 131. 17

Vgl. ebd. 18

Vgl. Moody 2008a, 43-44.

9


beispielsweise: „Dr. James, ich habe Ihre Patientin […] umgebracht“19 oder „Machen wir

noch einen letzten Versuch, bevor wir´s aufgeben“20 Diese Beispiele beziehen sich auf die

Untersuchung von Moody. Im Buch „Ich habe ins Jenseits geblickt“ unter anderem von

Hans-Bernd Hagedorn wurde folgendes Zitat angeführt: „Wenn die nicht in 10 Minuten im

OP ist, geht sie über den Jordan“21.

2.2.3 Gefühle von Frieden und Ruhe

Nach dem Passieren des dunklen Tunnels tritt bei den Erfahrenden häufig eine Wende ein.

Es strömen positive Gefühle, die das Stadium der Überwältigung in einem Auslösen.22

Häufig wird auch von einem Schwebezustand berichtet, währenddessen Wärme,

Geborgenheit und Frieden sowie Ruhe auftauchen. Der vorher im Leben vorhandene

Schmerz wird ausgetauscht23, beispielsweise durch die „unbedingte Liebe“24, wie Frau

Kübler-Ross es schilderte.

Diese schöne Erfahrung, schmerzfrei und ausgeglichen zu sein, wird auch häufig als

Gottesnähe interpretiert.25 Es sei ein Zustand, der nicht mit dem Leben zu vergleichen sei.

Dementsprechend wird als Folge dieses Phänomens häufig davon gesprochen, dass die, die

es erlebten, keine Angst mehr vor dem Tod haben und diesen als etwas Positives deuten, da

es sich um angenehme Gefühle und Sinneswahrnehmungen handle.26 Manche Personen

wollen daher gar nicht mehr zurück in ihr altes Leben und verbinden die Rückkehr mit

negativen Gefühlen wie Wut oder Traurigkeit.27

2.2.4 Das Geräusch

Während der Sterbephase könne es zu akustischen Einflüssen kommen. Auf der einen Seite

treten sonderbare oder sogar unangenehme Elemente auf. Diese Erfahrungen bleiben häufig

das ganze Leben lang in Erinnerung. Sei es ein „Dröhnen“28 oder ein „lautes Tönen“29.

19

Moody 2008a , 43. 20

a.a.O., 44. 21


Vgl. a.a.O., 71. 23

Vgl. Jakoby 2011, 17. 24


Vgl. ebd. 26

Vgl. Brock/Daiker/Bayer 2007, 24. 27

Vgl. Bieneck/Hagedorn/Koll 2006, 71. 28

Moody 2008a, 46. 29

ebd.

10


Auf der anderen Seite können es aber auch Klänge der Freude sein, die als eine Art Musik

beschrieben werden. „Gleichzeitig vernahm ich eine gewaltige Musik, so gewaltig, wie ich

sie mir nie hätte vorstellen können.“30 Assoziationen in Form von Glockenklängen oder

Blasmusik, die von den Nahtoderfahrenden als schön empfunden werden.31 Auch Pim van

Lommel geht auf diese Besonderheit ein, indem er sich auf die Wahrnehmung einer

außerweltlichen Umgebung bezieht. Dabei spiele die Musik eine entscheidende Rolle, aber

auch Landschaftsbilder mit besonderen Farben, Blumen und Bauten zähle er dazu. Dennoch

scheine nicht alles wie in der Realität, stattdessen trete die Ungewöhnlichkeit in den

Vordergrund.32

2.2.5 Der dunkle Tunnel

Der Tunnel beschreibe eine Art Übergang von der Gegenwart ins Jenseits, der von den

Nahtoderfahrenden mit Hilfe verschiedener Symboliken erfasst werde. Es handle sich dabei

um Durchgangsstadien, die sich in vielerlei Formen, wie etwa Brücken, Rohren oder einem

Vakuum ausdrücken lassen.33 So erzählte ein Erfahrender, dass er den Wechsel als „langen

dunklen Gang“ wahrgenommen habe und versuchte diesen mit der Beschreibung eines

Rohres darzustellen.34 Dieses Tunnelerlebnis kann vorwärts, aber auch rückwärts von

Statten gehen. Optische Wahrnehmungen blieben somit während einer Nahtoderfahrung

vorhanden.35

Bei einer Frau war es eher etwas Organisches mit kräftigen Farben, was das Gefühl eines

Strudels vermittelte.36 Währenddessen könne es zur Begleitung von „sichtbaren und

unsichtbaren Wesen“37 oder musikalischer Unterstützung kommen.

Besonders sei dabei die Geschwindigkeit, in der der Übergang vollzogen werde. Dieser

werde als rascher wirkungsvoller Sog umschrieben, welcher in atemberaubendem Tempo

vonstatten gehe. „Momente der Zeitlosigkeit“38, so die Beschreibung eines

Nahtoderfahrenden.

30


Vgl. Moody 2008a, 45-46. 32

Vgl. Van Lommel 2011, 59-60. 33

Vgl. Moody 2008a, 46 und Brock/Daiker/Bayer 2007, 31-32. 34

Vgl. Moody 2008a, 46. 35

Vgl. Schröter-Kuhnhardt 1999, 92. 36

Vgl. Rubisch 2013, 65. 37

Van Lommel 2011, 54. 38

Bieneck/Hagedorn/Koll 2006, 75.

11


Dieses Phänomen sei als Erweiterung des Bewusstseins zu sehen, worin der Aspekt der

jenseitigen Welt aufgegriffen werde. Es scheine wie eine Ausdehnung des Ich-

Bewusstseins. Die Wahrnehmung werde übersinnlich dargestellt, man spreche dabei von

einer Intensivierung der Sinnesempfindungen.39 Ein Betroffener schilderte den

Zusammenhang dieser Zustände, indem er in seinen Beschreibungen anführte, dass es sich

dabei um „einen Zustand erhöhter Bewusstheit“40 handele, währenddessen die Empfindung

von Raum und Zeit aussetze.41

Gerald F. Rubisch sieht das Tunnelerlebnis als ein Stadium an, indem der Nahtoderfahrende

noch emotional mit dem Diesseits verbunden sein könne, sich allerdings auf der Reise ins

Jenseits befinde, wodurch der Kontakt nach dem Übergang abbreche.42

Parallel dazu werde von den Erfahrenden am Ende des Tunnels ein Licht gedeutet, welches

den Tunnel abrunde.43 In der Forschung wird dieses Phänomen als Lichtwesen angesehen.

2.2.6 Das Verlassen des Leibes

Das Austreten aus dem eigenen Körper sei ein Phänomen der Nahtoderfahrung. Die

Erfahrenden können ihrer eigenen Reanimation am Unfallort oder im Operationssaal von

oben her beiwohnen. Sie seien in einer Zuschauerposition und sehen sich dabei als eine

weitere Person im Geschehen. Dabei sei ihnen nicht immer direkt bewusst, dass es sich um

ihren Körper handle, um deren Leben die Ärzte kämpfen.44 Sie seien von einer Leichtigkeit

während des Schwebezustandes umgeben. Die Verbindung zu ihrem Körper, auf den sie

herab schauen, sei sehr unterschiedlich - von Anteilnahme bis zur Gleichgültigkeit.45 Im

„spirituellen Leib“, so wie Ausleibigkeit oftmals empfunden werde, biete den Erfahrenden

die Möglichkeit, sich als eine Art Spion zu verhalten. Sie scheinen immateriell zu sein, da

sie feste Strukturen, wie beispielsweise Wände einfach passieren können.46 Die anderen

Personen nehmen einen dabei nicht war, weder sehend noch hörend, ein Tastsinn besitze der

neue Zustand nicht. Auch die Fähigkeit des Gedankenlesens, sei eine Besonderheit, die in

diesen Bereich fällt.47

39

Jakoby 2011, 20. 40

Brock/Daiker/Bayer 2007, 33. 41

Vgl. ebd. 42

Vgl. Rubisch 2013, 60 und 65. 43


Vgl. Van Lommel 2011, 47. 45

Vgl. Moody 2008a, 50-53. 46


Vgl. Moody 2008a, 58-67.

12


Während dieses Erlebnisses habe die Seele den eigenen Körper verlassen. Das bedeute, dass

das Bewusstsein somit die Fähigkeit besitze, ohne den menschlichen Leib zu existieren.

Diese Trennung ermögliche die Aufhebung von Raum und Zeit.48 Dadurch werden Abläufe

beschleunigt und die Wahrnehmungsfähigkeit ausgeweitet. Das heiße, dass das Aufhalten in

verschiedenen Sphären zur gleichen Zeit möglich sei.49 Einem Betroffenen wurde zum

Beispiel beim Gedanken an seine Tochter die direkte Umgebung, in der sie sich gerade

aufhielt, vor Augen geführt. Er sah genau, was sie tat und wie sie gekleidet war. Dieses Bild

wurde ihm später von seiner Tochter bestätigt. Die dargestellte Fähigkeit wird als

Entkörperlichung oder „paranormale Wahrnehmung“50 beschrieben. Dabei sei das Erfassen

von weit entfernten Geschehnissen möglich. Eine „kaum vorstellbare Ausdehnung der

bewussten Wahrnehmung“51.

Während dieser Erfahrung, außerhalb des eigenen Körpers, reise unser Bewusstsein und sei

befähigt, Dinge, die unserem Bewusstsein im alltäglichen Leben verweigert werden, zu

erfahren.52

Der Austritt selber könne meist nicht direkt geschildert werden. In seltenen Fällen werde

von einem „Rauschen [oder einem] elektrisierendem Gefühl“53 gesprochen. Die Umgebung

im außerkörperlichen Zustand könne auch geräuschlos wirken, wobei Äußerungen in

Verbindung mit Furcht oder Angst trotzdem subliminal54 wahrgenommen werden können.55

Abschließend sei zu erwähnen, dass die Beschreibungen darauf hin deuten, dass sich die

Seele vom eigenen Körper lösen könne, unabhängig von dem Vorgang des Heraustretens.56

Den Nahtoderfahrenden bleibe dabei ihre Identität, ihre Wahrnehmung, ihr Bewusstsein

sowie ihre emotionale Ebene erhalten.57 Jedoch werde dieser Zustand unterschiedlich

gedeutet. Manche vermuten, dass der Geist ohne den Körper weiterexistieren und den Tod

überdauern könne. Andere sehen die Nahtoderfahrung nur als eine subjektive

48

Vgl. Jakoby 2011, 17-18. 49

Vgl. Brock/Daiker/Bayer 2007, 26-27. 50

Kelly/Greyson/Stevenson 1999, 106. 51

Jakoby 2011, 18. 52

Vgl. Brock/Daiker/ Bayer 2007, 27-28. 53

Rubisch 2013, 56. 54

Subliminal bedeutet eine Wahrnehmung von Reizen, die dem Bewusstsein nicht zugänglich sind (vgl.

http://de.wikipedia.org/wiki/Subliminal_%28Psychologie%29 [Stand: 27.08.2014]) 55

Vgl. Schröter-Kuhnhardt 1999, 70. 56


Vgl. Van Lommel, 47.

13


Wahrnehmung, da die Erlebnisse außerhalb des Köpers beispielsweise auch allein durch die

Fähigkeit des Hörens während der Reanimationsphase herbeigerufen werden könnten.58

2.2.7 Begegnung mit Anderen

Die Begegnung mit Anderen ist ein weiteres Phänomen, welches während einer

Nahtoderfahrung auftreten kann. Die Betroffenen berichten von einem Wiedersehen mit

bereits vorher verstorbenen Verwandten, Freunden oder Nachbarn.59 Es sei ein „freudiges

Zusammentreffen“60 gewesen, welches eine schützende Funktion aufwies. Interessant sei in

diesem Zusammenhang, dass Erfahrende sogar von Verwandten sprachen, die sie zu

Lebzeiten gar nicht mehr gekannt haben. Beispielsweise die Großmutter, die bereits vor der

Geburt verstorben war.61

Während der Begegnung mit den ihnen Bekannten werde oft angeführt, dass diese gesünder

wirken im Gegensatz zu ihrem Todeszeitpunkt. Personen, die in einem jungen Alter

verstorben waren, treten den Nahtoderfahrenden häufig im Erwachsenenalter entgegen, so

Pim van Lommel.62

Bei jeglichem Aufeinandertreffen war die „Unmöglichkeit des Erkennens“63 vorhanden.

Eine Kommunikation ohne das Gegenüber deutlich zu sehen, stattdessen lediglich ein

Gefühl der Vertrautheit. Fragen wurden ohne wenn und aber beantwortet, womit der

Unklarheit kein Raum mehr gelassen wurde. Sie werden häufig als „spirituelle Helfer“64

bezeichnet, welche dem Nahtoderfahrenden deutlich machen, dass sein Leben noch

weitergehen müsse und ihn somit zur Umkehr ins Leben weisen.65

2.2.8 Das Lichtwesen

Die Menschen, die eine Nahtoderfahrung erlebt haben, sprechen häufig von einem hellen

warmen Licht, welches sie als angenehm empfunden haben. Das Licht sei die „absolute

Geborgenheit“. Häufig werde es auch mit der Assoziation „Gold“ in Verbindung gebracht,

indem beispielsweise ein „goldenes Licht“ beschrieben werde. Das Licht vermittle den

Erfahrenden Trost, Wärme, Ruhe, aber auch Frieden. Es sei eine positive Wahrnehmung

58

Vgl. Kelly, Greyson & Stevenson, 104f. 59


Moody 2008a, 69. 61

Vgl. Högl 2000, 24. 62



Moody 2008a, 71. 65

Vgl. a.a.O., 70-71.

14


gewesen, in der das Licht Harmonie und Geborgenheit ausstrahle.66 Ein Betroffener deutet

dieses Zusammentreffen mit dem Licht als all umfassbare Liebe, die eine Regeneration

hervorrufe, bevor es zurück ins Leben gehe.67 „Liebesenergie, [die] alle Fasern meines

Seins durchflutete“68, so ein anderer Mann. In diesem Zusammenhang falle oft die

Umschreibung eines Lichtwesens, welches eine enorme Anziehungskraft ausübe, der sich

die Nahtoderfahrenden mit entschlossener Bejahung hingeben. Manche äußern eine

Übertragung der Gedanken ohne jegliche Kommunikationsprobleme, wodurch möglichen

Missverständnissen vorgebeugt werde. Dabei finde ein Kontakt mit „tiefem Wissen und

Weisheit“69 statt.

Dieses Licht werde unterschiedlich gedeutet. Im religiösen Kontext umschreiben Betroffene

es zum Bespiel als Engel oder meinen Jesus darin erfasst zu haben. Dabei spiele der

religiöse Hintergrund eine Rolle, in welcher Form sie das Licht umschreiben.70

Problematisch sei allerdings das Mitteilen der erlebten Faszination. Diese zu umschreiben

beziehungsweise zu vermitteln scheine gar unmöglich, so gehe es aus den

Erfahrungsberichten hervor. Dabei unterlägen die Erfahrenden der „Schwierigkeit des

Übersetzens“71.

Die dargestellte Begegnung mit dem Licht werde als „Hauptelement der

Nahtoderfahrung“72 eingeordnet, da diese sich auf die Emotionalität des Betroffenen

auswirke. Sie bringe später zurück im Leben eine tief greifende Persönlichkeitsveränderung

mit sich. „Das Gefühl der geistigen Erneuerung, der Reinigung durch die Liebe, die in dem

Licht erfahren wird, bewirkt eine Transformation der Persönlichkeitsstruktur“73, so

Bernhard Jakoby.

2.2.9 Rückschau

Häufig komme es während der Begegnung mit dem Licht oder dem Lichtwesen zu einer

Abspulung des eigenen Lebensfilmes. Es scheine die Position eines Zuschauers

eingenommen zu werden, währendessen das bisher gelebte Leben einem vor Augen geführt

66


Vgl. Jakoby 2011, 177. 68


Van Lommel 2011, 61. 70

Vgl. ebd. 71

Moody 2008a, 72-73. 72

Jakoby 2011, 21. 73

a.a.O., 22.

15


werde.74 Eine Art doppelte Perspektive. Auf der einen Seite der Beobachter, der distanziert

den Film betrachte und auf der anderen Seite jedoch emotional beteiligt sei.75

Eigene Gefühle und Gedanken sowie die der Anderen spielen dabei eine große Rolle.

Dadurch sei man in der Lage Konsequenzen aus gewissen Situationen zu ziehen und kann in

dem zweiten Leben, welches einem nach der Nahtoderfahrung geschenkt werde, mögliche

Veränderungen vornehmen.76 Die Rückschau könne einem bewusst machen, dass man

egoistische oder aggressive Verhaltenszüge in der Vergangenheit aufwies, da man

beispielsweise in der Kindheit Mitschüler gehänselt habe.77 Schuldgefühle oder auch das

Gefühl von Versäumnis können in diesem Zusammenhang bei Erfahrenden auftreten78,

wodurch eine radikale Persönlichkeitsveränderung im neuen Leben vollzogen werde.

Einsicht und Liebe seien dabei wichtige Merkmale. Die Rückschau finde ohne jegliche

Verurteilung statt, es handle sich lediglich um eine Konfrontation mit der Vergangenheit, in

der die nachhaltige Wirkung von den eigenen Gedankenbildern, Ausdrücken und

Umsetzungen wahrgenommen werde.79 Van Lommel und Fenwick sind überzeugt davon,

dass die eigenen Gedanken, Worte und Taten in persönlichen Energiefeldern der geistigen

Welt gespeichert werden,80 eine Art private Festplatte. Man stehe in dem vorgestellten

Lebenspanorama daher seinem eigenen Gewissen gegenüber, ohne dass dabei eine Wertung

vollzogen werde.81 Diese besondere Fähigkeit werde als kosmisches Gesetz beschrieben,

indem es heißt: „Alles, was man bei anderen bewirkt, erfährt man letztlich auch selbst, und

das betrifft sowohl Liebe und Zuneigung als auch Gewalt und Aggression“82, so Pim van

Lommel. Dies sei eine Belehrung des tieferen Sinnes im Leben, das heißt, dass jeder

Mensch für sich selbst verantwortlich sei.83

Die Umsetzung der Lebensrückschau könne auf der einen Seite rückwärts oder auf der

anderen Seite von Geburt an geschehen.84 Sie scheine lebendig und lebensecht, da die

Betroffenen ihre Gefühle ein weiteres Mal durchleben, als sei der Film unter erzieherischem

Streben des Lichtwesens zu verbuchen. Dabei gehe es gezielt um die Liebeserfahrung und

74


Vgl. Jakoby 2011, 22. 76


Vgl. Jakoby 2011, 79. 78


Vgl. van Lommel 2011, 63. 80

Vgl. Brock/Daiker/Bayer 2007 ,35. 81


Van Lommel 2011, 63. 83


Vgl. Rubisch 2013, 74.

16


den Wissenserwerb im Leben, die durch die Fähigkeit der Rückbesinnung den

Nahtoderfahrenden vor Augen geführt werden.85 Aber eine Nahtoderfahrung und der damit

verbundene Lebensfilm seien nicht immer an ein Licht gebunden. Es sei auch ohne die

Anwesenheit eines Wesens möglich. Wenn allerdings der „spirituelle Begleiter“86, welcher

verständnisvoll dem Erfahrenden gegenübertritt, vorhanden sei, ziehe dieser sich,

währenddessen die einzelnen Personen ihr Leben Revue passieren lassen, zurück und taucht

erst danach in Form des Lichtes wieder auf.87

2.2.10 Die Grenze oder Schranke

Die Nahtoderfahrung sei durch eine Grenze gekennzeichnet, die den Weg zurück ins Leben

weise. Ein derartiger Wendepunkt kann durch Symbole wie Türen, Nebel, Gewässer oder

einfachen Linien gekennzeichnet sein.88 Für den Erfahrenden trete aber an der Scheidelinie

eher das Gefühl ein, dass es keine Rückkehr mehr ins Leben gäbe, so van Lommel.

Während des Grenzerlebnisses kann es zur Begegnung mit anderen Wesen kommen. Diese

stellen beispielsweise bekannte Verstorbene oder die Gestalt des Lichtwesens dar.89 Es

komme zu einer Kommunikation, die durch Gedankenübertragung oder der Gestik, wie dem

„Winken“90, hervorgerufen werde. Einerseits rufen die Verstorbenen den

Nahtoderfahrenden zu sich, aber andererseits gäbe es auch das Phänomen, dass sie den Weg

versperren und ihn zurück ins Leben schicken.91 Oft sei diese Umkehr mit einer Aufgabe

verbunden, die noch auf ihn wartet. Dies könne die Sorge um Familienangehörige sein.

Andere wissen hingegen nicht mehr die genauen Aufträge, sondern nur die Tatsache, dass

sie sich noch in der Welt einbringen müssen.92

2.2.11 Die Umkehr

Menschen, die eine Nahtoderfahrung erlebt haben, deuten diese Rückkehr sehr

unterschiedlich. Sie waren dem Tod nahe und haben dort meist ein Gefühl der Liebe und

Akzeptanz wahrgenommen. Als Folge resultiere daraus, dass sie sich gar nicht unbedingt

vorstellen konnten, in ihr altes Leben, in ihren Körper zurückzukehren. Umso tiefer das

85

Vgl. Moody 2008a, 77-78. 86

Jakoby 2011, 78. 87

Vgl. Moody 2008a, 79-81. 88

Vgl. a.a.O., 85. 89

Vgl van Lommel 2011, 66-67. 90

Vgl. Moody 2008a, 87. 91

Vgl. a.a.O., 87-88. 92

Vgl. van Lommel 2011, 67.

17


Erlebte desto größer das Verlangen in der jenseitigen Welt zu bleiben.93 „Die Nähe dieses

Wesens wollte ich nie mehr verlassen“94, so ein Betroffener. Der neue Bewusstseinszustand

scheine in irgendeiner Art und Weise angenehmer zu wirken. Mit dieser Tatsache sei auch

die aufkommende Todessehnsucht mancher Nahtoderfahrenden verbunden, da sie nur

widerwillig Heim kehrten. 95

Aber bevor es zur Todessehnsucht kommen kann, werde eine Entscheidung für das Leben

getroffen. Diese könne auf unterschiedliche Weise von Statten gehen. Einerseits aus

persönlichen Beweggründen, wie Vollendung von Projekten oder Versorgung von

Familienangehörigen, andererseits durch die Wirkung des Lichtwesens, welches verfügt,

dass die Zeit zum Sterben noch nicht gekommen sei.96 Auch Moody gehe darauf ein, indem

er von einem Zwiespalt zwischen der persönlichen Ebene und der Verpflichtung berichtete.

Die persönliche Seite bevorzuge zum Teil die jenseitige Welt, in der das Gefühl der

Geborgenheit dominiere. Die verpflichtende Seite hingegen führe einem die Verantwortung

für die eigenen Kinder oder anderen Personen vor Augen. Aber auch der Grund, eine

angefangene Ausbildung zu vollenden, käme in diesem Zusammenhang zum Tragen.97

Die Erlaubnis zum Weiterleben kann auch explizit von Gott gegeben werden. Ein

Erfahrender führte an, dass es der Herr gewesen sei, der ihm erlaubte weiterzuleben. Aber

wenn die Entscheidung gefallen sei, persönlich oder unbewusst, dann stelle sich die Frage,

wie dieser Wiedereintritt vollzogen werde. Die Menschen, die so eine Erfahrung erlebt

haben, sprechen meist von einer unbewussten Handlung. Entweder wachen sie einfach aus

einem Schlaf wieder auf oder bemerken einen Bewusstseinsverlust. Daraus resultiere das

Wiedererwachen im stofflichen Körper.98

Egal, ob durch einen Sog oder durch eine unbewusste Handlung der Rückkehr in das alte

Leben, es führe in den meisten Fällen zu einer Persönlichkeitsveränderung. In diesem

Zusammenhang können Gefühle wie Trauer99, aber auch aus den herrlichen Ereignissen

Kraft zu schöpfen, auftauchen. Eine „lohnende Aufgabe“100 auf Erden könne auch eine

schöne Emotion auslösen, so ein Nahtoderfahrender.

93

Vgl. Moody 2008a, 89-90. 94

a.a.O., 90. 95

Vgl. Brock/Daiker/Bayer2007, 37. 96

Vgl. Jakoby 2011, 24. 97

Vgl. Moody 2008a, 90. 98

Vgl. a.a.O., 91-93. 99


Moody 2008a, 91.

18


2.2.12 Mitteilungsversuche

Nach einer Nahtoderfahrung sei es für die Erlebenden sehr schwer, ihre Erfahrungen in der

jenseitigen Welt in Worte zu fassen, wie es unter 2.2.1 „Unbeschreiblichkeit“ schon

angesprochen wird. Hinzu käme die Tatsache, dass sie diese Erfahrung als komplett real

ansehen und dementsprechend eine Halluzination ausschließen. Es war schlicht und einfach

Wirklichkeit, keine Einbildung, kein Traum. Mit dieser Einstellung stoßen sie bei ihren

Mitmenschen häufig auf Unverständnis und Skepsis. Ein Betroffener beschreibt es als

„geistig labil“101. Die Folge aus dieser Erkenntnis sei, dass Personen, die eine

Nahtoderfahrung erlebt haben, sich in der Gesellschaft nicht ernst genommen fühlen und

deshalb den Weg des Schweigens wählen. Oder wenn sie den Weg der Kommunikation

gehen, tasten sie es erstmal nur bei Angehörigen an. In der Hoffnung, dass diese versuchen,

Verständnis zu zeigen, soweit es überhaupt möglich sei, wenn man diese jenseitige Sphäre

noch nicht betreten habe. Deshalb sei es auch nicht ungewöhnlich, dass Erfahrende denken,

verrückt zu sein und sich mit ihrem Erlebnis allein gelassen fühlen. Manche bringen sogar

an, dass sie nicht glauben, dass diesen unfassbaren Ort schon einmal jemand anderes

betreten habe. Dies ändert sich ab dem Zeitpunkt, wo ein Austausch zwischen

Nahtoderfahrenden stattfindet und die Erfahrenden sich bewusst werden, dass sie nicht

anders sind im Sinne von Verrücktheit.102

2.2.13 Folgen im Leben

Nach einer Nahtoderfahrung sei nichts mehr, wie es einmal war. Es käme zu einer

Umstrukturierung des Lebens - eine Art Wertigkeitsveränderung. Die Betroffenen wissen

auf einmal, dass der Tod nicht existiere und somit wurde ihnen die Angst davor

genommen.103 Die Rückkehr auf Erden ist mit einer neuen Orientierung verbunden.

Geistlichkeit und moralische Werte werden neu ausgelegt. Es findet ein ständiges

Nachdenken über das eigene Leben statt.104 „Früher wurde ich gelebt, und heute lebe ich

selbst.“105 Das Leben wird auf den Kopf gestellt durch Veränderung und Revidierung.106

Des Weiteren durchströmt diesen Menschen häufig ein enormes Streben nach Wissen.

Dabei seien sie vertieft und nachdenklich und häufig nehme das Interesse an der Philosophie 101

Moody 2008a, 96. 102

Vgl. a.a.O., 95-99. 103

Vgl. Jakoby 2011, 25. 104

Vgl. Rubisch 2013, 110. 105

a.a.O., 111. 106

Vgl. Lachner 2013, 83.

19


zu. Das Leben werde in einem anderen Licht gesehen. Die Frage nach dem Sinn stehe im

Mittelpunkt. Vorurteile und das schwarzweiß Denken treten dabei in den Hintergrund.107

Stattdessen verstärke sich bei manchen die Bedeutung einer göttlichen Existenz im Leben.

Betroffene führen an, dass Gott ihr Leben führe und es ein Weiterleben nach dem

psychischen Tod gäbe. Diese Tatsache bringe aber große Probleme in der neuen

Lebensbewältigung mit sich. Die Mitmenschen nehmen es nicht immer so auf, dass sie den

Erfahrenden Raum zur Verarbeitung bieten. Missverständnis und Unverständnis sind

Alltagssituationen, denen sie ausgesetzt sind. Sie selbst wünschen sich hingegen

Unterstützung bei ihrem Lebenswandel, indem sie das Erlebte in der jenseitigen Welt mit

dem Leben in der Gegenwart verbinden müssen.108 Die Konfrontation mit

Einbildungserscheinungen und der Aussage, dass man froh sein soll, überhaupt noch am

Leben zu sein, stehen im Vordergrund bei den Angehörigen. „Ich passte nicht mehr in diese

wohlstrukturierte Welt“109, so bringt ein Nahtoderfahrender seine Rückkehr auf den Punkt.

In Verbindung hiermit ist die starke Verschlossenheit der Erfahrenden zu sehen. Sie

behalten das Erlebte meist für sich, um nicht mit dem Unverständnis der Außenwelt

konfrontiert zu werden.110

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es zu einer Kehrtwende der eigenen Anschauung

im Zusammenspiel mit einer Persönlichkeitsveränderung kommen kann. Die materielle

Ebene verliere zunehmend an Bedeutung. Stattdessen käme es möglicherweise zu einer

„spirituellen Suche“. Die Fähigkeit übersinnliche Wahrnehmungen zu erkennen.111 Jeder

verarbeite das Erlebte anders. Gravierende Wenden im neuen Leben können beispielsweise

bewusst getroffene Trennungen von geliebten Menschen sein112, aber auch von der äußeren

Umgebung, indem man an einem anderen Ort zu sich selbst findet.113 Die Nahtoderfahrung

war der Auslöser dafür, dass diese Personen der Überzeugung seien, dass der Tod die Tür zu

einem neuen Leben öffnet und nicht verschließt.114

107

Vgl. Moody 2008a, 99-100. 108


Rubisch 2013, 117. 110

Vgl. Moody 2008a, 99. 111

Vgl. Jakoby 2011, 25-26 und 147. 112


Vgl. Jakoby 2011, 25. 114

Vgl. Kelly/Greyson/Stevenson 1999, 101.

20


2.2.14 Neue Sicht des Todes

Es verändert sich die Einstellung zum körperlichen Tod. Die Menschen, die eine derartige

Erfahrung erleben durften, haben keine Angst mehr vor dem Tod, da sie wissen, dass der

Tod nicht existiere. Nach dem Sterbeprozess warte eine jenseitige Welt, in der es keine

belohnenden und strafenden Komponenten gäbe. Manche beschreiben es wie eine Befreiung

aus einem gefängnisartigen Zustand, an den unser Körper gebunden sei. Keiner der

Nahtoderfahrenden zweifelt an der Weiterexistenz nach dem Tod. Sie sehnen sich

stattdessen nach Gott oder dem Lichtwesen, die ihnen den richtigen Weg weisen. Der

Zeitpunkt sei allerdings ungewiss und auch die Verweildauer in der für sie harmonisch

erscheinenden Welt sei unvorstellbar. Aber das spiele für die meisten Betroffenen keine

Rolle, da sie auf der Erde noch persönliche Aufgaben zu erfüllen haben. Aber die

Möglichkeit des Suizides, der ihnen die Nähe zu dieser für sie wunderschönen Sphäre biete,

sei für die meisten Nahtoderfahrenden nicht tragbar.115 Ihre Zeit der „Heimkehr“116 zu den

Vorangegangenen werde von alleine kommen.

Die Persönlichkeitsveränderung bewirke bei vielen, dass sie den Umgang mit dem Tod und

den damit verbundenen Beerdigungsritualen aus einem anderen Blickwinkel betrachten.

Freude über das, was der Verstorbene in seinem Leben erfahren durfte, wird als zentralerer

Aspekt angesehen anstatt der Trauer, dass ein geliebter Mensch gehen musste, Raum zu

geben. Schließlich sei man sich bewusst, dass der Tod keine Grenze darstelle, sondern eher

eine Station.117 „Man geht nur von einem zum nächsten – wie man weitergeht von der

Grundschule zur Oberschule zur Hochschule“118, so das Statement eines

Nahtoderfahrenden.

2.2.15 Bestätigung

Raymond Moody führte als letztes Kernelement die „Bestätigung“ an. Schließlich stellt sich

für die Forschung, aber auch für die Menschen ohne solch eine Erfahrung, die Frage, ob

wirklich von einer Nahtoderfahrung gesprochen werden kann. Dementsprechend begutachte

er in diesem Zusammenhang die Beweislage. Was spricht für die Echtheit dieses

sonderbaren Erlebnisses?

115

Vgl. Moody 2008a, 103-107. 116

a.a.O., 106. 117

Vgl. Moody 2008a, 103-107. 118

a.a.O., 106.

21


Gerade das Phänomen der Außerkörperlichkeit, welches unter 2.2.6 „Verlassen des Leibes“

konkretisiert wird, sei hierbei von wesentlicher Bedeutung. Die Forschung kontrolliere die

detaillierte Darstellung der Betroffenen mit der Handlung des Arztes. Dabei sei auf die

medizinische Kenntnis zu achten, die ein tot Gesagter nicht einsehen könne. Somit führte

Moody detaillierte Abgleichungen der Reanimationsphasen durch und kam zu dem Fazit,

dass dabei die Genauigkeit sowie richtige Wiedergabe durch den Nahtoderfahrenden

wegweisend sei.119 „Also erzählte ich ihm die ganze Geschichte von dem Moment an, in

dem ich aufhörte zu atmen, bis zu dem Zeitpunkt, in dem ich wieder zu mir kam“120, so der

Bericht eines Erlebenden. Dies stelle auch den behandelnden Mediziner vor ein Rätsel.

Unfassbarkeit ist dabei nicht selten. Dies werde etwa durch weiteres Nachfragen des Arztes

nach Einzelheiten ausgedrückt.

Aber auch die Tatsache, dass das Bewusstsein des Toten das Verhalten von anderen

Menschen, beispielsweise Angehörigen in anderen Räumen, wahrnehme und deren

Gedanken und Gespräche speichere, sei eine klare Beweisebene.121 Frau Kübler-Ross sei

ebenfalls der Meinung, dass es Beweise für das Leben nach dem Tod gäbe. Nun wäre der

schon zweitausend Jahre zurückliegende Glaube mit Hilfe der Nahtoderfahrung bestätigt.122

Sie beschreibe die Begabung der Wiedergabe von Einzelheiten als Bestätigung der

Nahtoderfahrung, da die Probanden deutlich darlegen, dass sie Anwesende, Gründe für den

Aufenthalt der Personen am Reanimationsort, sowie die Kontaktaustausche der dortigen

Helfer, zur Kenntnis genommen haben.

Die Bestätigung durch sich nicht im Raum aufhaltender Personen gäbe einen weiteren

Anhaltspunkt, dass die Todesnähe-Erlebnisse echt seien. Hierbei nehmen die

Nahtoderfahrenden oft die Verzweiflung ihrer Mitmenschen wahr, die um das Leben

bangen, welches das eigene ist.123 „Ich dachte an meine Familie und befand mich

augenblicklich im Warteraum. Mein Mann und die Kinder waren völlig verstört.“124

Zuletzt ist die Besonderheit der Kleidung zu erwähnen. Nicht nur Gespräche seien durch die

Erlebenden signalisiert worden, sondern auch die genaue Bekleidung von Personen.125

„Ich […]dachte […] an meine Tochter und befand mich unmittelbar in der

Gegenwart. Sie lebte damals 500 km von meinem Wohnort weg. […] Sie

119

Vgl. Moody 2008a, 108. 120

a.a.O., 109. 121

Vgl. a.a.O., 108-109. 122

Vgl. Swihart 1979, 22. 123

Vgl. ebd. 124

Jakoby 2011, 78. 125

Vgl. Moody 2008a, 108-109.

22


trug einen rosafarbenen Kaschmirpulli und eine grau-weiße gepunktete

Hose. […] Sie können sich vielleicht das Erstaunen meiner Tochter

vorstellen, als ich sie einige Tage später anrief und sie all meine

Beobachtungen bestätigte“126

,

so die Schilderung eines Nahtoderfahrenden.

126

Jakoby 2011, 18.

23


3 Interview mit Nahtoderfahrenden

Die Grundlage dieser Masterarbeit sind selbstgeführte Interviews und ausgefüllte Leitfäden

von Probanden, die im Anschluss mit den zuvor dargestellten Forschungsergebnissen

verglichen werden. Problematisch war es, in diesem Kontext Menschen mit einer

Nahtoderfahrung zu finden, die auch bereit waren, mit mir in ein persönliches Gespräch zu

treten. Schließlich ist dies eine Erfahrung, die einen sehr geprägt hat und damit häufig die

Persönlichkeit verschließt. Hinzu kommt die Tatsache, dass auch nicht jeder so etwas erlebt

hat. Dementsprechend habe ich versucht über Bekannte, über das Internetforum „Netzwerk-

Nahtoderfahrung“ und auf diversen anderen Seiten im Internet auf austauschbereite

Interviewpartner zu stoßen. Außerdem habe ich den Weg über das Medium „Zeitung“

gesucht und bei der Neuen Osnabrücker Zeitung eine Anzeige geschaltet, in der ich explizit

nach Betroffenen gesucht habe.127

Die Suche hat sich gelohnt. Am Ende hatte ich die Möglichkeit drei persönliche Interviews

sowie zwei in Form eines Telefonates zu führen. Das Telefonat wurde gewählt, weil zum

einen die Entfernung zu weit gewesen wäre, da der Herr in Bayern lebt und sich auf einen

Gästebucheintrag von mir beim „Netzwerk-Nahtoderfahrung“ gemeldet hat und zum

anderen, weil die andere Person nicht so gerne für ein Gespräch mit Augenkontakt bereit

war.

Aus diesem Grund sind auch die anderen Leitfäden entstanden. Die Nahtoderfahrenden

haben sich auf meine Anzeige gemeldet und ich merkte schon aufgrund des späteren

Zeitpunktes der Kontaktaufnahme, dass sie noch nicht offen darüber reden können, aber

gerne ihre Geschichte preisgeben wollen, um sie vielleicht auch ein Stück weiter zu

verarbeiten. Daher habe ich meine Grundidee, nur persönliche Interviews zu führen, um die

dort herrschende Atmosphäre wahrzunehmen, verworfen und mich auf die verschiedenen

Wege eingelassen. Den Betroffenen habe ich meinen vorher entworfenen Leitfaden

zugemailt, damit sie ihn in aller Ruhe für sich beantworten konnten. Nach einer gewissen

Zeit hat mir jeder eine ausgefüllte Version zukommen lassen.

Bei den Interviews, egal ob per Telefon oder persönlich, war mir wichtig, dass sich die

Nahtoderfahrenden wohlfühlten, währenddessen ich ihnen Fragen stellte. Daher habe ich sie

in ihrer gewohnten Umgebung Zuhause besucht oder mit Ihnen telefoniert. Bernhard Jakoby

127

vgl. Anhang, XXXVIII.

24


schreibt in seinem Buch auch darüber, dass der Mensch einen geschützten Rahmen

bräuchte, damit er bereit wäre, über seine Erfahrungen zu berichten.128

Bei allen Probanden bin ich herzlich empfangen worden und habe mich nicht als Last

gesehen. Es war eine große Bereitschaft da, mir bei meiner Arbeit zu helfen. Eine Frau

erklärte mir beim Vorgespräch am Telefon, dass sie mich unterstützen möchte, da das

Thema noch mehr Raum in der Forschung bräuchte.

3.1 Beschreibung der Ausgangssituation

Wie war das Leben der Probanden vor ihrer Nahtoderfahrung? Gab es spezielle Probleme,

die den ausschlaggebenden Punkt gegeben haben könnten?

3.1.1 Das Leben davor

Das Leben der Nahtoderfahrenden zuvor war unterschiedlich geprägt. Hierbei trat

beispielsweise Arbeitsstress in den Vordergrund. Mein Interviewpartner aus Wietmarschen

beschrieb mir, dass es zuvor finanzielle Schwierigkeiten gab. „Der Stallbau war 2005

gewesen und es lief alle vorne und hinten nicht und finanziell ging es … auch eher

rückwärts als vorwärts.“129 Er weiß zwar nicht, ob diese enorme Belastung mit den

gesundheitlichen Problemen zusammenhängt, aber er kann es sich gut vorstellen.

Bei einer Frau fiel mir auf, dass sie die Nahtoderfahrung selbst als einen weiteren

Berührungspunkt mit der Thematik Tod sah. Ihr Leben war bereits vorher durch Trauer und

Abschied geprägt, da sie in jungen Jahren ihren Vater verloren hat.130

Viele sprachen auch nicht gezielt von der Zeit davor. Zwischen den Zeilen konnte ich häufig

lesen, dass ihr Leben bis zu diesem Zeitpunkt meist sorgenfrei verlief. Beispielsweise durch

vorherige Geburten, die ohne Komplikationen stattfanden und daher auf keine Verengung

im Geburtskanal hinwiesen131 oder durch eine Kindheit, die von Familienausflügen geprägt

war.132

128

Vgl. Jakoby 2011, 29. 129

Interview L., VII. 130

Vgl. Leitfaden K., XXVIII. 131

Vgl. Leitfaden E., XXIII. 132

Vgl. Leitfaden M., XXIX.

25


3.1.2 Auslöser des Nahtodes

Die Nahtoderfahrungen können ganz unterschiedliche Auslöser haben, das zeigen die

verschiedenen Interviews. Auch die unterschiedliche Altersspanne ist zu erwähnen.

Eine Frau hatte ihre Erfahrung 1958 mit acht Jahren. Dort wäre sie fast in einem

provisorischen Freibad während des Sommerurlaubes ertrunken.133 Ein Mann erfuhr im

selben Jahr ein ähnliches Schicksal im Alter von zehn Jahren. Er ertrank beinahe in dem

Schwimmbad der Klosterschule, die er damals besuchte.134 Interessant ist in diesem

Kontext, dass beide im selben Jahr fast dem Wasser zum Opfer gefallen wären.

Ganz anders bei einer Frau aus dem Landkreis Osnabrück. Sie war mit ihrem zweiten Kind

schwanger als sich die Erfahrung ereignete. Es handelte sich um eine

Risikoschwangerschaft. Problematisch war ihr zu eng gebauter Geburtskanal, der im

Vorfeld nicht erkannt wurde. Ihr erstes Kind kam per Kaiserschnitt zur Welt und

dementsprechend verlief die Geburt ohne Komplikationen. Die Geburt ihres Sohnes am

17.04.1985 hingegen führte dazu, dass ihr Unterleib aufriss und eine Ohnmacht auftrat.

Dreizehn Blutinfusionen waren die Folge.135

Aber auch im Zuge eines künstlichen Komas kam es zu besonderen Erlebnissen. Zwei

Männer, die ich interviewt habe, berichteten mir davon. Bei dem einen kam es im eigenen

Schweinestall zu einem „Knall im Kopf“136, worauf verschiedenen Krankenhausaufenthalte

sowie das künstlich hervorgerufene Koma folgten. Dies war 2007 im Alter von 50

Jahren.137 Ende November 2011 fiel der andere Interviewpartner ins Koma, der mit

Herzproblemen damals eingeliefert wurde, ein Darmdurchbruch hätte ihm allerdings später

fast das Leben gekostet. Er war zu diesem Zeitpunkt auch schon über 50 Jahre.138

Auch hier ist wieder eine Parallele zu entdecken. Beide Männer sind im ähnlichen Alter und

machten ihre persönliche Erfahrung mit dem Tod während der Zeit im Koma.

Eine weitere Möglichkeit, dem Tode nahe zu sein, ist die sogenannte „Schlafapnoe“. „Ein

sogenannter Schlafaussetzer, […] also praktisch ein Atemstillstand, der eine halbe bis

zwei/drei Minuten dauern kann.“139

133

Vgl. Leitfaden M., XXIX. 134

Vgl. Interview V., XIX. 135



Vgl. ebd. 138

Vgl. Interview R., X. 139

Interview D., II.

26


Meine erste Interviewpartnerin schilderte mir, dass sie auch während des Erlebnisses im

Krankenhaus war. Sie wurde am Knie operiert. Ein Protesenwechsel sollte vollzogen

werden. Dabei traten Komplikationen in Form einer Infektion auf. Enormer Blutverlust war

die Folge. Dies Szenario spielte sich 2007 ab. Die Frau ist heute 62 Jahre alt.140

Zum Schluss ein Beispiel, dass eine Nahtoderfahrung bei einem Autounfall auftreten kann.

Eine Kölnerin berichtete mir, dass sie bei Glatteis von der Straße abkam und bei dem daraus

resultierenden Schleuderakt eine Rückschau auf ihr Leben erlebte. Sie war zu diesem

Zeitpunkt Mitte dreißig.141

3.2 Parallelen zwischen Nahtoderfahrenden

Im Folgenden sollen die Ergebnisse der geführten Interviews miteinander verglichen

werden. Dabei dienen die einzelnen Kernelemente nach Moody, die unter 2.2 „Kennzeichen

der Nahtoderfahrung“ dargelegt wurden, als Leitfaden. Später werden unter 3.4 „Vergleich

der Ergebnisse mit den Forschungsansätzen“ konkrete Gemeinsamkeiten und Unterschiede

im Zusammenhang mit der Forschung herausgearbeitet.

3.2.1 Unbeschreiblichkeit

„Dann war ich an einem ganz anderen Ort. Und ab hier ist jedes Wort,

was wir kennen eigentlich nur ein Beschreibungsversuch, denn da es eine

ganz andere Umgebung ist, als wir sie kennen, kann man die Umgebung

und Gefühle nicht auf unsere irdischen Wahrnehmungen übertragen, weil

einfach nichts Vergleichbares vorliegt.“142

Diese Darstellung der Unbeschreiblichkeit von einer Frau aus Osnabrück stellt nach meinem

Empfinden kurz und knapp dar, wo das Problem für Nahtoderfahrende zurück im Leben

liegt. Sie haben ein besonderes Erlebnis gehabt, welches sie den Mitmenschen nicht präzise

darlegen können.

Dementsprechend ist es nicht verwunderlich Gesprächsstücke wie „eine Röhre oder

Ähnliches“143 oder „ab und zu erschien ein Zeichen, das aussah, wie ein winkender Finger

… so wie komm, komm …“144 wahrzunehmen.

140

Vgl. Interview S., XII. 141

Vgl. Leitfaden K., XXVII. 142

Leitfaden M., XXIX. 143

ebd.

27


Auch ein anderer Proband äußerte die Unbeschreiblichkeit. Es sei schwer dafür die

passenden Worte zu finden, weil es für einen selber viel realistischer erscheine.

Dementsprechend fügte er an, dass er Verständnis für andere habe, die aufgrund der

fehlenden Erfahrungen seine Schilderungen nicht nachvollziehen können. Er versuche daher

den Weg über bildliche Assoziationen zu wählen.145

3.2.2 Das Hören der Todesnachricht

Die Nahtoderfahrenden erwähnten in meiner Anwesenheit nicht, dass sie an der

Reanimationsstelle Personen wahrgenommen haben, die sie für Tod erklärt hätten.

3.2.3 Gefühle von Frieden und Ruhe

„Ich wusste einfach, dass ich in einem Zustand bin, der ganz einfach schön war“146, so eine

Frau aus Hilter. Während einer Art Schwebezustandes fühlte sie sich geborgen und hat sich

ganz und gar wohlgefühlt. Leichtigkeit und Wärme rahmten das Geschehen ein. Diese

Situation fand sie „total genial“147 und hätte den Moment am liebsten für die Ewigkeit

festgehalten.

Auch ein Mann beschrieb mir, dass sein persönliches Erlebnis schön war. Es war geprägt

von Ruhe, Helligkeit und Stille.148 Dieses faszinierende Gefühl verglich er beispielsweise

mit der Metapher vom „schöne[m] Wetter“149, welches er als angenehm empfand. Es wäre

für ihn nicht undenkbar gewesen, an diesem besonderen Ort zu bleiben.150 Frau S. teilte mir

mit Hilfe des Leitfadens ähnliche Erfahrungen mit. Sie erzählte ihrer Mutter, nachdem sie

außer Lebensgefahr war, Folgendes: „Es war wunderschön und ich wollte bleiben“151.

Währenddessen wurde sie von einem Glücksgefühl regelrecht durchdrungen.152

Es schien wie eine Art Droge. Meine Interviewpartnerin aus Hilter war sich

zwischenzeitlich nicht sicher, ob dieser unbekannte Zustand nicht vielleicht durch spezielle

144

Leitfaden E., XXIII. 145

Vgl. Interview D., V. 146

Interview S., XII. 147

ebd. 148


ebd. 150

Vgl. ebd. 151

Leitfaden M., XXX. 152

Vgl. ebd.

28


Medikamente hervorgerufen wurde.153 „So stelle ich mir quasi die Wirkung von einer

Droge vor. Da man halt immer in so einem genialen … Zustand ist.“154

Es sei eine Umgebung gewesen, die einem hell und freundlich erschien.155 „Warme

Pastellfarben“156 dominierten den Raum, wodurch dem Betroffenen ein Gefühl der

Unendlichkeit vermittelt wurde.157

3.2.4 Das Geräusch

Von einem Geräusch zur Zeit seiner Nahtoderfahrung schilderte mir nur ein Herr, der mir

meinen Leitfaden per Mail zurücksandte. Die Besonderheit seiner Erfahrung sei das

angenehme Gefühl gewesen, welches er währenddessen verspürt habe. Eine orchesterartige

Musik wurde gespielt. Es seien einfach Wärme und schöne Klänge um ihn gewesen, die ihm

sein Erlebnis positiv in Erinnerung behalten ließen.158

3.2.5 Der dunkle Tunnel

Das Durchdringen eines tunnelähnlichen Ganges nimmt jeder Nahtoderfahrende anders

wahr. Es bildet die Grenze zum irdischen Leben. Eine Art Durchgang. Frau M. betonte, dass

dieser Übergang „rasend schnell“159 vollzogen wurde. Sie hatte das Gefühl herangezogen zu

werden. Den Tunnel versuchte sie allerdings in Form eines Rohres zu beschreiben. Das war

die einzige Symbolik, die nach ihrem Empfinden einigermaßen passend erschien.160

Auch Frau E. verwendete die Beschreibung eines Rohres. Da „sah ich ein langes Rohr, an

den Innenwänden waren lange Feuerzungen in gelb und rot, kein Brennen, kein Rauch, am

Ende war eine Öffnung“161.

Interessant ist in diesem Kontext, dass Frau M. währenddessen sie durch ein Rohr gezogen

wurde, ihre Rückschau erlebte.162 Andere Nahtoderfahrende, die mir von solch einem

Erlebnis berichteten, erwähnten dieses Kernelement einer Nahtoderfahrung nicht.

Stattdessen lag ihr Augenmerk auf einem hell erscheinenden Licht. Mein Interviewpartner

153


ebd. 155

Vgl. Interview D., III. 156

ebd. 157

Vgl. ebd. 158

Vgl. Leitfaden B., XXI. 159


Vgl. ebd. 161



29


aus Wietmarschen betonte dieses helle Licht besonders, eine Art Tunnel, welches er mit

dem „Einschub in [einen] Hubschrauber“163 verband, war dabei nur nebensächlich. „Ja

sicher, bisschen Tunnel ist das, dieser Schwanz (vom Hubschrauber) da, ich habe immer…,

ich guck nach hinten in ein helles Licht.“164

Frau E. betonte hingegen die Situation, in der sie das lange Rohr passierte. Es war ein

ereignisreicher Moment, in dem sie sich von der Öffnung fernhalten wollte. Das Licht

fixierte sie zwar, aber ihr innerer Wille regte sie zum Festhalten am Ende des Rohres an.165

3.2.6 Das Verlassen des Leibes

Explizit beschrieb mir keiner meiner Interviewpartner, dass er oder sie ihren eigenen Körper

an der Reanimationsstelle gesehen habe, eine Art Schwebezustand haben jedoch zwei

wahrgenommen. Frau S. aus Hilter betonte, wie schön dieses Gefühl zu schweben war. Die

Leichtigkeit stand dabei im Vordergrund.166

Eine Frau aus Osnabrück erfuhr das Schwebegefühl ebenfalls. Sie beschrieb, dass ihr direkt

zu Beginn auffiel, dass es „keine Schwerkraft“167 gab. Der eigene Körper schien nicht wie

ein „festes Gewebe, man schien zu schweben“168. Dabei war einem die Möglichkeit

gegeben worden, sich mit Hilfe der eigenen Gedanken an einen anderen Ort zu bewegen.169

Die damaligen „Patienten“, die sich zu dem Zeitpunkt in einem kritischen

Gesundheitszustand befanden, beschrieben, dass sie während ihrer Erfahrung keine

Schmerzen mehr hatten. „Schönes Gefühl war das, ja…auch wenn mich heute einer fragt,

wenn ich so sterben würde, habe ich gesagt, würde ich sofort unterschreiben, weil ohne

Schmerzen“170, so ein Betroffener. Die plötzliche Schmerzfreiheit hat ihn damals so

beeindruckt, dass er es als regelrechte Befreiung empfunden hat.

3.2.7 Begegnung mit Anderen

Ein Mann aus Wietmarschen erzählte mir von seiner Begegnung mit zwei bereits

verstorbenen Freunden. In einem Licht erschienen ihm sein damaliger Nachbar und bester

Freund sowie sein alter Stammtischkollege. Deren Auftreten war wie in seiner

163

Interview L., VIII. 164

ebd. 165



ebd. 168

ebd. 169


Interview R., X.

30


Erinnerung.171 „Der [Stammtischkollege] immer in Anzug und Krawatte und [der Nachbar]

so in T-Shirt.“172 Auf meine Nachfrage, ob er zu Lebzeiten ein enges Verhältnis zu ihnen

hatte, antwortete er, dass er mit beiden im freizeitlichen Kontakt gestanden habe.

Interessant war für ihn die Tatsache, dass der Todeszeitraum seiner beiden Freunde weit

auseinander lag. Sein Nachbar verstarb bereits 1983 durch einen Unfall, sein

Stammtischkollege allerdings im hohen Alter im Jahre 2006.173 „Und die beiden liegen auch

auf dem Friedhof zusammen, mit dem Kopf aneinander. Ob das was zu bedeuten hat, keine

Ahnung.“174 Diese Tatsache beschäftigte ihn. Es schien als ob er einen Grund dafür suchte,

dass er gerade diese beiden Freunde im Licht wahrgenommen habe.

Ein Mann aus Bayern nahm ebenfalls eine vor ihm verstorbene Bekannte wahr. Sie sei 2004

im Alter von 47 Jahren verstorben. Sie war barfuß und mit einem weißen Gewand bekleidet.

Dieser Kleidungsstyl war untypisch für sie.175 „So etwas hätte die im Leben nie

getragen“176, so der Betroffene. Stattdessen erinnerte er sich an ihre eher „flippig/poppig“177

wirkende Bekleidung. Doch trat sie ihm mit diesem weißen Gewand gegenüber und sah

dabei anders aus, sie schien im jüngeren Alter gewesen zu sein. „Im blühenden Leben sag

ich mal so…28/30 [Jahre alt]“.178

Die Kommunikation zwischen dem Nahtoderfahrenden und der Verstorbenen fand über die

Gedanken statt. Sie wies ihn darauf hin, sich selbst einmal zu betrachten. Auch er trug ein

weißes Gewand und hatte keine Schuhe an.179 „Scheiße, jetzt bist du tot“180, war sein

persönliches Fazit, als er genauso gekleidet war. Dabei verspürte er kein Gefühl der Angst.

Es wurde regelrecht hingenommen. Er folgte ihr und hatte dabei das Gefühl auf einem

watteähnlichen Boden zu gehen.181

Ansonsten wurde mir von keiner anderen Begegnung berichtet. Eine Frau schrieb im

Leitfaden, dass sie eine Sehnsucht verspürt habe, ihre Mutter, die fünf Jahre zuvor

verstorben war, zu sprechen.182

171

Vgl. Interview L., VII. 172

a.a.O., VIII. 173

Vgl. a.a.O., VII. 174

ebd. 175


ebd. 177

ebd. 178

ebd. 179

Vgl. a.a.O., VII-VIII. 180

a.a.O., VIII. 181

Vgl. ebd. 182

Vgl. Leitfaden E., XXIV.

31


3.2.8 Das Lichtwesen

Bevor Lichtwesen wahrgenommen werden, benötigt es zuerst einmal die Erscheinung eines

allgemeinen Lichtes. Dieses Licht wird von den Betroffenen auf unterschiedliche Weise

beschrieben. Der eine sah ein „ganz helles Licht, ganz rund“183, ein anderer nahm ein

„wunderbares Licht“184 wahr, ein „grünliches Licht nach oben“185 äußerte ein anderer und

ein nächster definierte es als ein „helles strahlendes Licht“186.

Gerade dieses Phänomen der Nahtoderfahrung hat die Interviewpartner zumeist geprägt.

Herr L. betonte bei der Beschreibung seines Erlebnisses die Wahrnehmung des Lichtes

enorm. „Da sah ich ein ganz helles Licht, ganz rund, wie der kleine Hubschrauber dann

hinten so ist, ganz hell und in diesem hellen Licht.“187

Ein Mann aus Merzen sprach ebenfalls von einem hellen Licht und auf meine Nachfrage, ob

es blendend wirkte, antwortete er verneinend. Stattdessen stand für ihn der

Wohlfühlcharakter im Vordergrund.188

Wenn man nun näher auf die Darstellung eines Lichtwesens eingehe, sei einerseits der

„winkende Finger“,189 welcher im Licht erschienen ist, zu erwähnen. Er wollte Frau E. den

Weg ins Jenseits weisen. Eine Osnabrückerin nahm andererseits zwei Lichtgestalten wahr,

die eine Bewachungsfunktion ausübten. Äußerlich erschienen sie groß. Ihre Gesichter

konnte sie nicht erkennen.190 „Sie hatten die Entscheidung über Einlass oder nicht.“191 Über

die Gedanken kam es zu einer Art Gespräch. Auf der einen Seite die Lichtwesen, die die

Nahtoderfahrende zurück ins Leben schicken wollten und auf der anderen Seite sie selbst,

die stattdessen ihr weiteres Dasein im Jenseits sah.192 Ein Gesprächsbeispiel führte Frau S.

in ihrem Leitfaden an: „Du bist noch nicht soweit“. „Ich will aber nicht mehr auf die Erde“.

„Du bist noch nicht soweit. Du musst noch […] auf der Erde leben und wenn du jetzt

bliebest, hättest du noch ein extra Leben dazu.“193 Letzten Endes bewirkten die beiden

Gestalten eine Kehrtwende. Sie kehrte zurück ins Leben. Der Hinweis auf die

zurückgebliebenen Angehörigen, die traurig darüber gewesen wären, dass die Erlebende im

183



Zusammenschrift V., XXXII. 186



Vgl. Interview R., XI. 189


Vgl. Leitfaden M., XXX. 191

ebd. 192

Vgl. ebd. 193

ebd.

32


Alter von acht Jahren schon nicht mehr unter ihnen verweilen würde, war der

ausschlaggebende Grund für die Umkehr. „So dachte ich, wenn es sowieso so ist, mache ich

lieber dieses Leben zu Ende, einige Jahre sind ja schon vorbei.“194 Eine verwunderliche

Aussage für ein Kind, welches ihr ganzes Leben noch vor sich hatte.

3.2.9 Rückschau

Eine Rückschau kann mit dem Durchdringen eines tunnelähnlichen Zustandes verbunden

sein. „Währenddessen sah ich mein ganzes bisheriges Leben, jede Situation wurde gezeigt.

Aber nicht nur gezeigt, sondern auch gefühlt und bewertet“195, so eine Nahtoderfahrende.

Sie gab als Beispiel ihr damaliges Verhältnis zum eigenen Vater an. Ihrem Vater, der es nur

gut mit ihr meinte, trat sie mit frechen Gesten gegenüber. Diese Szene war eine von vielen,

die ihr während des rasenenden Passierens eines Rohres visuell verbildlicht wurde.

Zeitgleich trat das verletzende Gefühl des Vaters in ihr auf sowie ihr eigener Schmerz

darüber, wie sehr sie ihren Vater damals damit verletzt hat.196

Eine andere Begegnung mit der Vergangenheit hatte eine Frau aus Köln. Sie nahm ebenfalls

kleine Sequenzen aus ihrem Leben wahr, konnte sie aber nicht näher beschreiben.197

3.2.10 Die Grenze oder Schranke

Die Nahtoderfahrenden, die ich befragt habe, berichteten mir nicht explizit von einem

Grenzerlebnis. Dennoch wiesen einige darauf hin, dass sie im Licht auf Verstorbene oder

Lichtwesen trafen, die ihnen bei der Entscheidung, zurück ins Leben oder ins Jenseits zu

treten, beratend zur Seite standen. Auf diese Begegnungen, welche rein über

Gedankenübertragung oder Gestik kommuniziert wurden, wurde bereits unter 3.2.7

„Begegnung mit Anderen“ und unter 3.2.8 „Das Lichtwesen“ näher eingegangen.

3.2.11 Die Umkehr

Eine Umkehr und die damit verbundene Rückkehr ins Leben kann auf unterschiedliche

Weise hervorgerufen werden.

Einerseits das achtjährige Mädchen, welches währenddessen sie zu ertrinken drohte, die

persönliche Entscheidung traf, im Jenseits bleiben zu wollen.198 „Ich wollte so gerne hinein,

194


a.a.O., XXIX. 196

Vgl. a.a.O., XXX.. 197

Vgl. Leitfaden K., XXVII.

33


ich wollte bleiben und nicht zurück.“199 Dennoch kehrte sie zurück. Die Entscheidung traf

sie nicht selbst, sondern zwei Lichtgestalten, die eine Art Übergang bewachten. Sie sei noch

nicht für den Tod bereit. Stattdessen sollte sie zurück auf Erden, um dort noch „zu lernen

und gewisse Dinge zu meistern“.200 Erst wenn man seine persönlichen Aufgaben in der

Gegenwart erfolgreich absolviert und eine „gewisse Reife erlangt [habe, dürfe] man den

„Aufenthalt an diesem unbeschreiblichen Ort“201 genießen.

Ein Mann hätte ebenfalls kein Problem damit gehabt, wenn er hätte sterben müssen. Es wäre

ein schöner Zustand gewesen.202

Andererseits hielt sich eine Frau regelrecht an ihrem irdischen Leben fest. Im Licht winkte

ihr ein Finger zu. Sie solle ihm folgen. Doch sie habe sich mit aller Kraft „am Ende des

Rohres“203 festgehalten. Wie ein „Wunder von Gott“204 gegeben, kehrte sie zurück.

Ein Zehnjähriger bezog sich ebenfalls bei seiner Rückkehr auf Gott. Während seines

Todeskampfes habe er sich Gott ergeben und wachte kurze Zeit später auf einer Bank im

Schwimmbad auf.205

3.2.12 Mitteilungsversuche

„Vielleicht hatte ich auch Angst davor, ausgelacht zu werden oder Sprüche zu hören, dass

ich mir das nur einbilde.“206 Diese Erkenntnis beziehungsweise Ängste führen zu einer

Haltung des Schweigens. Nahtoderfahrende fühlen sich zum Teil in der Gesellschaft nicht

wahrgenommen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass ein damaliger Junge den Weg der

Verdrängung wählte.207

Die Mutter einer damals Achtjährigen tat die Darstellungen ihrer Tochter damit ab, als sei es

Spinnerei, jedoch war sie zeitgleich über die detailgetreue, für ihre Tochter eigentlich

ungreifbare Darstellung, verwundert.208 Für viele war es daher schwer über das Erlebte zu

sprechen. „Ich habe ein paar Tage […] mit Niemanden darüber gesprochen.“209

198

Vgl. Leitfaden M., XXX-XXXI. 199

ebd. 200

ebd. 201

ebd. 202



a.a.O., XXV. 205


Leitfaden E., XXV. 207



Interview D., IV.

34


Andere haben diese Art der Begegnung nicht gemacht. Sie wurden von ihren Angehörigen

unterstützt. Sicherlich sei es nicht wirklich nachvollziehbar gewesen, aber deren

persönliches Erlebnis mit dem Tod wurde respektiert.210

Interessant ist die Ebene, die zwischen Nahtoderfahrenden herrscht. Ein geschützter

Rahmen, der Raum für einen realen, nachvollziehbaren Austausch untereinander bietet. Man

fühlt sich verstanden. „Vor allen Dingen auch mal mit Leuten darüber spricht, die

Ähnliches erlebt haben und dass man auch ernst genommen wird oder auch die ernst

nehmen kann.“211 Diese Nahtoderfahrende war dankbar über den Gesprächsaustausch mit

einem Schlaganfallpatienten, der ähnliche Kernelemente beschrieb. In diesem Kontext ist

auch die Bereitschaft der Interviewpartner zu erwähnen, die die Chance genutzt haben, mit

mir über ihre Erfahrungen zu sprechen und sie vielleicht ein wenig weiter zu verarbeiten.

Ich stehe ihnen als Person mit Interesse an ihrem Schicksal gegenüber.

3.2.13 Folgen im Leben

Auf die „Folgen im Leben“, welche ein Kernelement der Nahtoderfahrung nach Moody

darstellen, werde ich unter 3.3.1 „Persönlichkeitsveränderungen“ eingehen.

3.2.14 Neue Sicht des Todes

Nach so einer Erfahrung ist es nicht verwunderlich, wenn sich die Sichtweise bezüglich des

Todes ändert. Die Nahtoderfahrenden haben erlebt, dass der Zeitpunkt des Todes immer

eintreten kann. „Es kann einen jederzeit erreichen“.212 Ein Religionslehrer aus Osnabrück

sieht den Tod seitdem als „gewöhnlichen Begleiter“213. Ihm ist durch sein persönliches

Erlebnis mit dem Tod bewusst geworden, dass dieser auch überraschend eintreten kann.

„Von einer Sekunde zur anderen“214 kann unser Leben vorbei sein.

Die besonderen Erfahrungen an der Grenze zum Jenseits haben die Nahtoderfahrenden und

speziell ihre Einstellung zum Tod verändert. Typisch ist es, dass sie keine Angst mehr vor

dem Tod haben.215 Nachvollziehbar machen das Aussagen wie „ich bin mir ziemlich sicher,

dass man sich dann wieder in diesen Zustand […] begibt“216 oder der bestätigte Glaube an

210

Vgl. Interview D., V. 211

Interview S., XVI. 212

a.a.O., XIV. 213

Interview V., XIX. 214

a.a.O., XX. 215


Interview S., XIV.

35


ein Leben danach.217 Auch Frau M. aus Osnabrück glaubt seitdem daran, dass nach dem

Leben nicht alles aus und vorbei ist. „Mit dem Tod ist [nicht] alles zu Ende – nein, etwas

Phantastisches fängt an.“218 Und das wird jeder Mensch erleben, denn sie ist der festen

Überzeugung, dass das der Ort ist, an dem sich alle Verstorbenen begeben.219 Frau E.

schöpft daraus Trost. Sie hat ihren Sohn im Alter von siebzehn Jahren an Krebs verloren

und schöpft noch heute aus ihrer Erfahrung Kraft. Sie ist der Ansicht, dass sie ihren Sohn im

Licht wiedersehen wird.220

Durch dieses besondere Erlebnis ist es nicht verwunderlich, wenn im Interview geäußert

wurde, dass Nahtoderfahrende ein „größeres Wissen um den Tod“221 aufweisen. Sie sind

dem Tod in gewisser Weise näher.222 Dadurch verändert sich auch die Sicht auf

verschiedene Schicksalssituationen. Todesnachrichten werden beispielsweise anders

aufgenommen. Ein Motorradfahrer, der bei einem Unfall ums Leben kam, hatte die

Möglichkeit bei seinem Hobby zu sterben oder was will man mehr, als mit 88 Jahren ruhig

im Bett einzuschlafen.223

Letzten Endes bestätigten alle Interviewpartner, dass „das Leben an einem seidenen Faden

hängt, der jederzeit reißen kann“224. Aber es braucht keiner Angst vor seinem persönlichen

irdischen Lebensende zu haben. So äußerte Frau S. aus Hilter in einem Telefonat mit ihrer

Schwester nach ihrer Erfahrung: „Also vorm Tod brauchst du keine Angst haben … also der

Tod, das ist total toll, das kann ich dir jetzt schon sagen. Ab jetzt habe ich keine Angst mehr

vor dem Tod.“225

3.2.15 Zeit-und Raumempfinden

Die Nahtoderfahrenden betonten während der Interviews beziehungsweise in ihren

Leitfäden, dass sich ihr Zeit- und Raumempfinden verändert habe. Diese Wahrnehmung ist

kein einzelner Punkt bei Moodys Kernelementen, dennoch soll er an dieser Stelle angeführt

werden.

217

Vgl. Leitfaden E., XXVI. 218

Leitfaden M., XXXI. 219

Vgl. a.a.O.., XXIX. 220

Vgl. Leitfaden E., XXIV. 221

Interview V., XX. 222

Vgl. ebd. 223

Vgl. Interview D., V-VI. 224

Zusammenschrift V., XXXIV. 225

Interview S., XIII.

36


Während des persönlichen Erlebnisses, welches sich nahe dem Tod abspielte, sei ein

unendlicher Raum aufgetreten.226 Diesen erlebte auch eine Autofahrerin als sie ins

Schleudern geriet. Das Gefühl der Unendlichkeit wurde durch die Orientierungslosigkeit

hervorgerufen.227

„Während meines Erlebnisses war ich völlig ohne Zeit und Raum. Ich vermute, dass es sich

um Stunden gehandelt haben wird. Aber dies ist nur eine Vermutung“,228 so eine

Nahtoderfahrende.

Nicht nur die Unendlichkeit des Raumes kann bei solch einer Erfahrung auftreten. Auch das

Zeitgefühl ginge verloren. Auf meine Frage, wie das Zeitempfinden war, antwortete eine

schlicht und einfach mit „unendlich“.229 Ein Anderer stellte direkt klar, dass es ab dem

Zeitpunkt der Nahtoderfahrung kein Zeitempfinden mehr gab.230 „Das war total weg, ich

habe … im Nachhinein gedacht, es wäre wahnsinnig lange gewesen“231, wobei die

Diagnose nur ein Schlafaussetzer war. „Als würde ich rasend schnell durch eine Röhre oder

Ähnliches gezogen“.232 Diese Aussage einer Frau, die im Kindesalter fast ertrunken wäre,

deutet ebenfalls daraufhin. Abschließend ein Mann: „Das war praktisch dieses ganze

Erlebnis, aber es war für mich unheimlich lang und unheimlich realistisch233“.

3.3 Das Leben danach

Zurück im Leben sind die Nahtoderfahrenden meist nicht mehr dieselben Persönlichkeiten.

Diese Erfahrung, dem Tod einmal nahe gewesen zu sein, geht nicht spurlos an ihnen vorbei.

3.3.1 Persönlichkeitsveränderung

„Viele entwickeln völlig neue Denkmuster.“234

Wenn sich die Nahtoderfahrenden zurück im Alltag befinden, sind sie nach ihrer Erfahrung

nicht mehr unbedingt die für andere bekannten Persönlichkeiten. Es hat sich durch dieses

226



Leitfaden E., XXIV. 229


Vgl. Interview D., IV. 231

ebd. 232


Interview D., IV. 234

Jakoby 2011, 150.

37


Erlebnis in einem selbst etwas verändert. Die Nahtoderfahrung ist in gewisser Weise

prägend. Die Betroffenen selbst nehmen es vielleicht selbst nicht immer als gravierend

wahr.

Die meisten Interviewpartner bestätigten mir aber, dass es einen Lebenswandel gab.

Gewisse Dinge, die einem früher wichtig waren, treten bewusst in den Hintergrund. Diese

Tatsache bringe zum Teil ein Gefühl der Erleichterung mit sich. Man selbst stehe wieder

mehr im Vordergrund.235 „Die Lektion der Selbstakzeptanz führt zu einer Befreiung des

Menschen“236, so Jakoby. Auch die Ehefrau eines Interviewpartners bestätigte, dass man

heute anders über das Leben nachdenke.237 „Ich sehe viele Dinge jetzt auch mit anderen

Augen. Ich bin da großzügiger gegenüber Sachen, Menschen und Einstellungen“238, so die

Worte eines anderen Interviewpartners.

Ein Mann aus Merzen sprach von einem bewussteren Lebensstil. „Ich sage mal …, ich

mache mir eigentlich…nicht mehr so viele Gedanken/Sorgen. […] Ich lebe jetzt vielleicht

auch ein bisschen bewusst, genieße mehr.“239 Diesen Wandel bestätigte auch ein Landwirt

aus Wietmarschen. Sein Vorsatz war es, auch in gewisser Weise zu leben. Die Arbeit dürfte

einem nicht die Luft zum Atmen nehmen.240

Andere schöpfen aus ihrer Nahtoderfahrung Kraft und Energie für den weiteren irdischen

Lebensweg. „Mit all meiner Kraft und viel Liebe war ich für meine Kinder da“241, so eine

Betroffene. Gerade in schweren Zeiten, in denen Krankheit und Alkoholsucht des

Ehemannes ihr Familienleben dominierten, erlangte sie die nötige Energie für ihr Leben.242

Die entwickelte Kraft „hilft uns ja auch durch solche [schweren] Zeiten zu kommen“243.

Das Leben wird einfach anders angegangen. „Gelassenheit“244, ruhigere Arbeitsweise245

sowie ein positives Lebensgefühl246 sind neue Lebensinhalte. Die unter 3.2.14 „Neue Sicht

des Todes“ bereits beschriebene, nicht mehr vorhandene Angst vor dem Tod, ruft zeitglich

eine Art sorgenfreiere Atmosphäre im Zusammenhang mit lebensbedrohlichen Situationen

235

Vgl. Interview S., XVII. 236

Jakoby 2011, 151. 237

Vgl. Interview L., IX. 238

Interview D., V. 239

Interview R., XI. 240



vgl. ebd. 243


a.a.O., XVIII. 245

Vgl. Interview L., VIII. 246

Vgl. Interview R., XI.

38


hervor. „Und da fand ich es schon klasse, dass das so sorgenfrei ging“.247 Das zeigt auch

eine neu entwickelte Ebene, in der die neu gewonnene Kraft Raum bekommt.

Dennoch sei er sich seiner Endlichkeit sowie seiner Persönlichkeit bewusst.248 Neue

Persönlichkeitsstrukturen wie „Sensibilität“249 oder das Phänomen, dass man seitdem

„leicht am Wasser gebaut ist“250 sind hingegen Prägungen, die im neuen Leben Emotionen

zulassen. „Da habe ich vor lauter Wut geheult …, weil ich stinkig war, Hilflosigkeit

halt.“251 Mitleid spielt dabei auch eine Rolle. Das damals achtjährige Mädchen hat nach

ihrer besonderen Erfahrung die Menschen ohne solch ein Erlebnis bedauert.252 Schließlich

sei es für sie ein „Riesengeschenk“253 gewesen.

3.3.2 Konsequenzen

Nachdem ein Einblick in gewisse Persönlichkeitsveränderungen erlangt wurde, ist es

interessant einmal zu schauen, inwiefern diese das Leben der Nahtoderfahrenden gravierend

verändert haben. Sind spezielle Einschnitte in ihrem Lebensweg zu verzeichnen?

Kleine Lebensveränderungen können beispielsweise Entscheidungen sein, verpflichtende

Aufgaben an Acta zu legen. Ehrenamtliches Engagement tritt etwa bewusst zurück oder

auch die Tatsache, die Erziehung der Enkel allein Aufgabe deren Eltern sein zu lassen.254

Dieses widerspricht der Ansicht Jakobys, dass andere das Bedürfnis entwickeln, Anderen zu

helfen und zu unterstützen.255 Jede Persönlichkeitsveränderung vollzieht sich

dementsprechend anders.

Andere haben auf der Erde „Prüfungen“256 zu erledigen, um weiterhin leben zu dürfen oder

sie müssen noch weiter lernen und „Dinge […] meistern“257, wovon der Eintritt ins Jenseits

abhängt.258

Vorsorge nach so einem kritischen Gesundheitszustand ist allerdings auch nicht

verwunderlich. Eine Interviewpartnerin, deren Leben von Krankheitsphasen geprägt war,

247

Interview S., XV. 248


ebd. 250



Vgl. Leitfaden M., XXXI. 253

a.a.O., XXX. 254

Vgl. Interview S., XVII. 255

Vgl. Jakoby 2011, 151. 256



Vgl. ebd.

39


betonte, dass sie nach ihrem Berührungspunkt mit dem Tod „Betreuungsvollmachten [und]

Patientenvorsorge“259 abgeschlossen habe. „Das hat sich geändert, […] dass man auch so

praktisch das Ganze mehr angegangen ist.“260 Der Tod gehört nun als gewöhnlicher

Begleiter mit zu ihrem Leben dazu.

Gravierende Veränderungen sind auch Entschlüsse, betriebliche Umstrukturierungen

vorzunehmen, auch wenn zuvor noch in einen neuen Stall investiert wurde. Das Leben

bestehe nicht nur aus Stress, der durch die Arbeit bedingt sei.261 Ein Wandel kann auch die

Trennung von dem Ehemann sein. Die Kraft, die ein Betroffener/eine Betroffene aus diesem

Ereignis schöpft, um aus dem gewohnten Leben auszubrechen, die Last ein wenig hinter

sich zu lassen und sich auf die eigenen Bedürfnisse zu konzentrieren.262

Letzten Endes gibt es viele Möglichkeiten, mit dieser Erfahrung umzugehen und in den

Alltag zurück zu finden.

Ein damals zehnjähriger Junge, der im Schulbad fast ertrunken wäre, wählte den Weg der

Verdrängung. Dies ist auch eine Folge aus dem Erlebten. Die einzigen Anzeichen der

Persönlichkeitsveränderung waren Tränen, die bei diesem Thema hoch kamen und eine Art

Abwehrhaltung. Diese verdeutlichte den Mitmenschen, dass er nicht darüber sprechen

wollte. Die Thematik selbst kam bei ihm nur bei gewissen Szenen kurz hoch. Immer in

Verbindung mit Wasser.263 „Mir selber war das schon immer bewusst, so für einen kurzen

Moment so, wenn ich so ins Wasser sprang oder so, dann war das für einen Moment häufig

da.“264

Das Erlebte selbst bekam erst im Alter von 45 Jahren in einer Kur wieder Raum in seinem

Leben und wurde verarbeitet.265

3.3.3 Sinn des Lebens

Einen neuen Sinn des Lebens nach so einer Erfahrung mit dem Tod zu entwickeln, ist nicht

abwegig. Aber was ist für mich der Sinn des Lebens? Mit dieser Frage hatten die

Nahtoderfahrenden Probleme. Explizit konnten mir die meisten der Probanden keine

Antwort darauf geben. Alle versuchten es in irgendeiner Form zu umschreiben.

259

Interview S., XIV. 260

ebd. 261


Vgl. Telefonat mit Frau E. 263


ebd. 265

Vgl. Zusammenschrift V., XXXIV.

40


Allgemein wurde häufig gesagt, dass das Geschehene Kraft für den weiteren Lebensweg auf

Erden gäbe. Kraft, die man in der Gegenwart brauche, um das Leben weiterhin zu

bewältigen.266

Andere hingegen hatten große Probleme mit dieser Annahme. „Wenn ich mein Leben

Revue passieren lasse, hat mir dieses (zweite) Leben zumindest immer wieder Kraft

gegeben. Es war ansonsten sehr schwer, in allem was passiert ist, einen Sinn zu sehen.“267

Ein Zitat von einer Nahtoderfahrenden, deren weiteres Leben von vielen Schicksalsschlägen

geprägt war.

Als weiteres Kennzeichen wird die neu gewonnene Gelassenheit beschrieben. Das Leben

wird anders gelebt. „Es gibt noch Wichtigeres als den aktuellen Streit“268, so drückte es ein

Mann aus Osnabrück schlicht und einfach aus. Dies ist mit einer neuen Wertschätzung

verbunden.

Auch eine auf dem Land lebende Frau betonte den Gelassenheitsfaktor in ihrem zweiten

Leben. „Eine größere Gelassenheit [ist] seitdem da, das kann ich wirklich sagen.“269

Aber stellt sich nicht bei allem, was wir machen, immer die Frage: „Wozu sind wir auf

Erden?“270 Mit der Auseinandersetzung verbindet ein Interviewpartner den Sinn des Lebens

beziehungsweise die Suche nach dem Sinn des Lebens. Die Erkenntnis, dass er wirklich

lebe, sei sicherlich vorhanden, aber nicht mehr so relevant. Stattdessen stehe die

Geistlichkeit im Vordergrund. „Dass es mehr darauf ankommt, dass es innerlicher, so

verinnerlichter, geistlicher zu sein.“271 Es kam zu einer Kehrtwende. Der Sinn des Lebens

sei auch in sich selbst zu suchen, nicht nur in der Gesellschaft.

Ein Interviewpartner antwortete hingegen direkt auf meine Frage nach seinem

Sinnverständnis im Leben: „Wir sind keine Körperwesen mit einer Seele, Geist oder

Bewusstsein, sondern Geistwesen, die für die irdische Verweildauer einen Körper

bekommen“272. Später fand er in Schriften von Professor van Lack Bestätigung, der

Ähnliches verfasst hat. „Wir sind nicht menschliche Wesen, die geistige Erfahrungen

machen, sondern geistige Wesen, die menschliche Erfahrungen machen.“273

266

Vgl. Interview S., XVI. 267

Leitfaden E., XXVI. 268


Interview S., XVIII. 270

Interview L., IX. 271

Interview S., XVIII. 272

Interview D., VI. 273

Zitiertes Zitat von Professor von Lack durch meinen Probanden.

41


3.3.4 Christliche Elemente

Als angehende Religionslehrerin ist es interessant, die Interviews und Leitfäden auf

christliche Elemente zu untersuchen. Inwiefern spielte beispielsweise Gott bei der

Todesnähe eine Rolle?

Auf der einen Seite gab es die Äußerungen, in denen sich die Nahtoderfahrenden sicher

waren, dass sie Gottes Nähe verspürt haben. Nachdem der zehnjährige Junge sich bewusst

Gott ergeben hatte, kam es zur Umkehr.274 „I knew that I was next door to heaven: Ich sah

klar das Ende meines Lebens gekommen und habe auf dem Boden des Schwimmbades eine

grundsätzliche Entscheidung für Gott getroffen.“275

Eine Mutter, die während der Geburt ihres zweiten Kindes in Lebensgefahr schwebte, ist

sich darüber im Klaren, dass es sich um ein Wunder, welches von Gott gegeben sei,

handelte. Sie hatte beispielsweise Überlegungen, darum etwas Besonderes aus ihrem

geschenkten Leben machen zu müssen. Aber es kam anders. Schicksalsschläge prägten ihr

Leben und Gott, der zu Beginn einen zentralen Raum in ihrem neuen Leben eingenommen

hatte, wurde durch die alltäglichen Belastungen zurückgedrängt.276

Es ist nicht untypisch, dass Gott und der Glauben allgemein in schweren Zeiten den

Leidenden wieder bewusst werden. Eine Frau überbrückte ihre Zeit im Krankenbett mit dem

Singen von Kirchenliedern.277 Außerdem führte sie an: „Und was ich interessant fand, dass

ich dann natürlich auch wieder zum Gebet finde … komischer Weise.“278 Sie suchte darin

Unterstützung bei den bereits verstorbenen Bekannten. Selbst beschrieb sie sich als eine

christliche Persönlichkeit, die aber mit der Institution Kirche selbst nicht so eng verbunden

sei.279

In diesem Zusammenhang führte sie auch eine Kritik an, die in gewisser Weise auch auf sie

selbst zutrifft. „Aber was ich schade finde, nach ihrer Frage nach dem Glauben, […] dass

man dann betet, dann nah bei Gott ist und wenn es einem wieder gut geht, dann ist das nicht

mehr.“280 Das Alltagsgeschehen überdeckt, wie im Beispiel der Mutter, den Glauben an

Gott.

274


Zusammenschrift V., XXXIII. 276

Vgl. Leitfaden E., XXV. 277


ebd., XVII. 279

Vgl. a.a.O., XVI-XVII. 280

a.a.O., XVIII.

42


Auf der anderen Seite habe ich Schilderungen von Nahtoderfahrungen bekommen, die sich

sicher waren, dass es eine Existenz nach dem Leben gäbe, es sich dabei aber definitiv nicht

um Gott handle. So führte es eine Frau aus Osnabrück an. Sie sah hingegen Wesen, die im

Auftrag von Gott die Wache zum Jenseits ausübten.281 Eine andere Dimension sei

vorhanden laut einer Kölnerin, in der Gott für sie aber nicht vorhanden sei.282

Es sei des Weiteren eine Definitionssache. „Also Wenn Gott das Licht, die Liebe und die

Wärme ist, dann ja“283 , so ein bayerischer Proband.

3.4 Vergleich der Ergebnisse mit den Forschungsansätzen

3.4.1 Kennzeichen der Nahtoderfahrung

Nachdem die Ergebnisse der Interviews sowie Leitfäden dargelegt wurden, wird ein

Vergleich zwischen diesen und den unter 2.2. beschriebenen Forschungsansätzen gezogen.

Wo sind Parallelen und wo Unterschiede zu verzeichnen? Als Strukturhilfe dienen auch hier

die von Moody verfassten Kernelemente der Nahtoderfahrung.

3.4.1.1 Unbeschreiblichkeit

Nach den Gesprächen mit Nahtoderfahrenden stellt sich heraus, dass es ihnen teilweise

schwer fällt, das Erlebte in Worte zu fassen. Laut Moody handle es sich schließlich im

Jenseits um eine andere Welt, die nicht mit unserer dreidimensionalen Welt kompatibel

sei.284 Auch Frau K. beschrieb mir in ihrem Leitfaden, dass sie von einer „neuen

Dimension“285 sprechen würde.

Eine „Kluft zwischen Wort und Erlebten“286 müssten die Betroffenen zurück im Leben

meistern. Das sei häufig schwierig, da die Nachvollziehbarkeit der Mitmenschen fehle. Eine

Osnabrückerin schilderte mir, dass es sich bei ihren Darstellungsversuchen regelrecht nur

um Beschreibungsversuche handle. Es sei eine andere Welt, die nicht mit unserer

vergleichbar wäre. Unsere irdischen Empfindungen seien nicht mit denen im Jenseits gleich

zu setzen.287

281

Vgl. Leitfaden M., XXXI. 282


Interview D., 4. 284

Vgl. Moody 2008a, 42. 285

Leitfaden K., XXVII. 286



43


Gleichgesinnte benötigten hingegen nur wenige Worte, um sich über ihre Nahtoderfahrung

auszutauschen. „Ich bin so froh, dass ich nicht der Einzige bin, der dieses Erlebnis hinter

sich hat“288, so die Aussage eines Betroffenen.

Dieses Phänomen wurde indirekt auch von einer anderen Interviewpartnerin angesprochen.

Sie erzählte mir, dass sie von einem Bekannten nach seinem Schlaganfall angesprochen

worden sei, ob sie eine Egal-Haltung kennen würde.289„Das fand ich dann auch nochmal

ganz spannend. Wenn man ihn auch kennt, er hängt so am Leben, dass er sagt, da konnte

man sich einfach so hingeben“290, so Frau S. Sie sah in gewisser Weise Parallelen und

konnte seine Einstellung total nachvollziehen.

Alles in Allem ist es für die Erfahrenden schwierig, ihre Erlebnisse mit anderen zu teilen, da

sie außerstande sind, den Mitmenschen ein nachvollziehbares Bild zu vermitteln.291

3.4.1.2 Das Hören der Todesnachricht

Das Hören der Todesnachricht ist laut Forschung ein häufiger auftretendes Element

während einer Nahtoderfahrung. Die Erfahrenden schildern, dass sie das Erklären ihres

eigenen Todes durch andere Personen wahrgenommen haben. Ein Körpergefühl wird zu

dem Zeitpunkt der Ausleibigkeit nicht registriert.292 Meine Interviewpartner berichteten mir

nicht davon, dass sie Gespräche mit weltlichen Personen verfolgt hätten. Nur die Tatsache,

dass sie währenddessen keine Körperempfindungen hatten, kam zur Sprache. Ein Mann

vermittelte mir, dass der Tod für ihn nicht schlimm gewesen wäre, es war ein Moment, der

ohne Schmerzen war.293

3.4.1.3 Gefühle von Frieden und Ruhe

Nach dem Passieren des dunklen Tunnels trete bei den Erfahrenden häufig ein positives

Gefühl auf. Es sei eine Überwältigung zu spüren.294 Ein genialer Zustand, man meine zu

schweben.295 „Das brauche nie wieder aufhören, das ist ja total genial“296, so beschrieb Frau

288

Moody 2008a, 98. 289


ebd. 291

Vgl. Moody 2008a, 43. 292

Vgl. a.a.O., 43-44. 293




ebd.

44


S. ihre Nahtoderfahrung. Das Phänomen des Schwebens wurde mir auch an anderer Stelle

genannt: „Man fühlte seinen Körper nicht als festes Gewebe, man schien zu schweben.297“

Herr R. verband das schöne Gefühl mit dem Eintreten der Schmerzfreiheit. Hinzu kam die

wohlfühlende Umgebung, die er mit Ruhe, Helligkeit und Stille umschrieb.298

Frau M. wollte als Kind sogar gar nicht zurück. Sie wehrte sich gezielt gegen die Rückkehr

in ihr Leben als achtjähriges Mädchen. Sie wollte das Jenseits kennenlernen.299

Abschließend lässt sich hier eine Verbindung zum Angstverständnis gegenüber dem Tod

ziehen.300 Alle Personen, mit denen ich über ihre persönliche Nahtoderfahrung gesprochen

habe, schilderten mir, dass ihnen das Erlebnis mit dem Tod die Angst davor genommen

habe. Er sei laut einem Osnabrücker zum „gewöhnlichen Begleiter“301 geworden.

3.4.1.4 Das Geräusch

Bei einer Nahtoderfahrung kann es zu akustischen Geräuschwahrnehmungen kommen. Die

auf der einen Seite unangenehm wirken oder auf der anderen Seite Freude vermitteln, da

beispielsweise angenehme Musikklänge vernommen werden.302

Belegt wurde mir persönlich nur von einem Mann, dass er während eines körperlichen

Zusammenbruchs musikalische Klänge wahrgenommen habe. Ein Orchester spielte, was er

als angenehm empfunden habe.303

Seine Frau, die vier Jahre später auch eine Nahtoderfahrung erlebt hat, betonte im Interview,

dass sie solche Eindrücke nicht hatte. „Ich kann auch nicht sagen, dass ich Musik oder

sowas gehört hätte.“304

Negative Töne wurden mir nicht geschildert. Diese hätten beispielsweise dröhnende oder

laute Geräusche sein können.305

3.4.1.5 Der dunkle Tunnel

„Als würde ich rasend schnell durch eine Röhre oder ähnliches gezogen“306, so nahm eine

Frau den Übergang vom irdischen Leben ins Jenseits wahr. Es handelt sich dabei um einen

297

Vgl. Leitfaden M., XII. 298




Interview V., XIX. 302

Vgl. Moody 2008a, 45-46. 303

Vgl. Leitfaden B., XXI. 304


Vgl. Moody 2008a, 46.

45


Fortgang, welcher in unterschiedlichen Formen dargestellt werden kann, zum Beispiel durch

ein Rohr oder eine Brücke.307 In der Forschung werden diese verschiedenen

Übergangsstadien meist als Tunnelerlebnis beschrieben. Frau E. verwendete ebenfalls die

Beschreibungsform eines Rohres. Sie sah ein Rohr, welches lang wirkte und mit

Feuerzungen in gelben und roten Farben verziert war. Typische Elemente von Feuer, wie

Rauch oder Verbrennen kamen nicht zur Geltung.308 In der Forschung wird auch auf

organische Elemente und kräftige Farben hingewiesen, die sich mit der Aussage von Frau E.

decken.309 Der Übergang endete mit einem Ausgang, worauf sie sich zentral zubewegte.310

Diese Öffnung wird häufig mit einem Licht in Verbindung gesetzt. Manche Betroffene

schilderten mir von einem hellen Licht, woraufhin der Aspekt des Tunnels nebensächlich

wurde. „Ja sicher, bisschen Tunnel ist das, dieser Schwanz [vom Hubschrauber] da, ich

guckte nach hinten in ein helles Licht.“311

Das Licht wirkte regelrecht anziehend. Frau E. hingegen wollte an ihrem bisherigen Leben

festhalten, indem sie das Rohr umklammerte.312 Herr Rubisch deutete in seinem Buch

darauf hin, dass der Tunnel den Nahtoderfahrenden zwar noch emotional mit dem Diesseits

verbinde, aber er sich bereits auf der Reise ins Jenseits befinde. Dadurch käme es zum

Abbruch zwischen den zwei Welten.313 Frau E. scheint daher noch eine starke emotionale

Ebene zur Gegenwart verspürt zu haben, wodurch der Wille zurückzukehren zu erklären ist.

Lässt man den Übertritt zu, so wird er meist in einem atemberaubendem Tempo vollzogen,

so wie das Zitat zu Beginn es schon verdeutlichte. „Rasend schnell“314 sei es gewesen.

Auch die Symbolik eines Soges wird häufig beschrieben. Dabei sei jegliches Zeit- und

Raumgefühl verloren gegangen.315

„Während meines Erlebnisses war ich völlig ohne Zeit und Raum“316, so Frau E. aus Hilter.

Ein Tunnelerlebnis kann laut Herrn Schröter-Kuhnhardt vorwärts, aber auch rückwärts

stattfinden. Ein Mann aus Wietmarschen beschrieb mir, dass er glaubt, dass es vorwärts war,

306



Vgl. Leitfaden E, XXIII. 309

Vgl. Rubisch 2013, 65. 310




Vgl. Rubisch 2013, 60 und 65. 314


Vgl. Bieneck/Hagedorn/Kroll 2006, 75. 316

Leitfaden E., XXIV.

46


jedoch war er sich dabei auch nicht hundertprozentig sicher. „Es kann auch sein, dass die

mich anders herum reingeschoben haben, ich habe keine Ahnung“317, so sein Statement.

Laut Forschung sind häufig mehrere Kernelemente der Nahtoderfahrung miteinander

verbunden318, so auch bei Frau M. aus Osnabrück. Ihr wurde das bisherige Leben beim

Übergang durch eine Art Rohr abgespult.319 Auch die Begleiterscheinung von anderen

Wesen oder musikalischen Eindrücken wäre denkbar320, trat allerdings bei den von mir

befragten Personen nicht in Verbindung mit dem Tunnelerlebnis auf.

3.4.1.6 Das Verlassen des Leibes

Unter dem Verlassen des Leibes wird die Außerkörperlichkeit verstanden, die es den

Nahtoderfahrenden ermöglicht, sich selbst an der Reanimationsstelle wahrzunehmen. Dieses

Phänomen der Nahtoderfahrung wurde mir allerdings von keinem Interviewpartner

geschildert. Die Möglichkeit als Art Spion zu wirken, war dementsprechend bei Niemandem

vorhanden. Andere Nahtoderfahrende waren laut van Lommel in einem immateriellen

Zustand, welcher das Passieren von Wänden ermöglichte.321 All dies war bei meinen

Interviewpartnern nicht der Fall. Den Forschungsansatz, dass die Seele den eigenen Körper

verlasse und somit das Bewusstsein unabhängig weiterexistieren könne322, kann anhand

meiner Untersuchung nicht bestätigt werden.

Einzig und allein wurde auf den Teilzustand eingegangen, dass sie sich in einem

Schwebezustand befanden. „Ich habe mich wohlgefühlt, ich habe mich geborgen gefühlt, es

war so ein Schwebezustand. Ich fühlte mich einfach ganz leicht.“323 Diese Darstellung einer

Frau kann durch die Aussage einer weiteren gestützt werden, die mir in ihrem Leitfaden

schrieb, dass ihr Körper zu diesem Zeitpunkt keine feste Substanz mehr beinhaltete, sondern

stattdessen ein Schwebezustand eintrat, währenddessen sie sich mit Gedanken fortbewegen

konnte.324 Des Weiteren wird hier zwar auf die Möglichkeiten des Ortwechsels

eingegangen. Dieser passierte allerdings nur über die Gedankenwelt. Ein bewusster

Raumwechsel wurde nicht dargelegt.

317





Vgl. a.a.O., 47. 322

Vgl. Vgl. Jakoby 2011, 17-18. 323



47


3.4.1.7 Begegnung mit Anderen

Während des Erlebens einer Nahtoderfahrung besteht die Möglichkeit, dass man auf andere

Personen trifft. Ein Wiedersehen unter alten Bekannten. Es können verstorbene Verwandte,

Freunde oder Nachbarn sein.325 Diese Begegnung hatte Herr L. als er ins Koma fiel. Er traf

direkt auf zwei alte Freunde, die ihn im Licht begrüßten. Zum einen sein

Stammtischkollege, welcher 1983 verstarb und zum anderen sein langjähriger Freund und

Nachbar. Dieser verstarb im Jahre 2006. Zu beiden pflegte er eine freundschaftliche

Bindung. Das Erscheinungsbild beider war wie in alten Zeiten.326 „Der [Stammtischkollege]

immer in Anzug und Krawatte und [der Nachbar] so in T-Shirt und …“327

Somit traf er sie nicht in einem späteren Alter an. Pim van Lommel hingegen erklärte, dass

es der Fall sein könne, dass die Verstorbenen den Nahtoderfahrenden in einem gesünderen

sowie im fortgeschrittenen Alter gegenüber treten.328 Dies wurde in keinem meiner

geführten Interviews bestätigt. Herr L. erlebte sie wie in Erinnerung und Herr D. aus Bayern

erschien eine Bekannte, die auf einmal viel jünger zu sein schien. „Im blühenden Leben sag

ich mal so…28/30 [Jahre alt].“329 Hier ist ein klarer Unterschied zu der Forschungslage zu

verzeichnen.

Interessant erschien mir die Tatsache, dass die Betroffenen versuchen,

Erklärungsmöglichkeiten herzuleiten. Herr L. wies mich darauf hin, dass seine beiden

Freunde, die er im Licht wahrgenommen hatte, gemeinsam auf dem Friedhof liegen würden.

„Und die beiden liegen auf dem Friedhof zusammen, mit dem Kopf aneinander. Ob das was

zu bedeuten hat, keine Ahnung.“330

Auch die Unfassbarkeit darüber, wie das äußerliche Auftreten war, wurde mir dargelegt. Die

Bekannte, die sonst auffällig gekleidet war, trug nun ein weißes Gewand und bewegte sich

barfuß.331 Diese Beschreibung deckt sich ebenfalls nicht mit der Forschungslage. Von einer

„Unmöglichkeit des Erkennens“332 kann bei beiden dargestellten Fallbeispielen nicht

gesprochen werden. Zwar gab es keine bewusst gesprochene Kommunikation, diese fand

nur über die Gedanken statt. Die Verstorbenen waren den Nahtoderfahrenden bildlich vor

Augen. Es herrschte auch ein Gefühl der Vertrautheit. Der eine Interviewpartner traf seine 325



a.a.O., VIII. 328


Interview D., III. 330



Bieneck/Hagedorn/Koll 2006, 81.

48


verstorbenen Freunde wie in Erinnerung an, was darauf schließen mag, dass es eine

gewohnte Umgebung für ihn war, abgesehen davon, dass er ihnen nach langer Zeit

wiederbegegnete.333 Der bayerische Betroffene erkannte seine Bekannte auch direkt und

merkte, dass sie aufgrund ihrer Kleidung anders auf ihn wirkte. Das deutet nach meinem

Empfinden auf eine vertraute Ebene zwischen ihnen hin, wobei ihr Todeszeitpunkt bereits

neun Jahre zurück lag. Seine Gedanken an die damalige Zeit waren somit noch präsent.334

Insgesamt diente das Aufeinandertreffen nicht als Wendepunkterlebnis. Herr L. ging

beispielsweise nicht gezielt darauf ein, dass sie ihn zur Rückkehr oder zum Übertritt ins

Jenseits bewegen wollten. Es kann daher nicht von „spirituelle[n] Helfern“335 gesprochen

werden.

3.4.1.8 Das Lichtwesen

Weiter wird auf das „Hauptelement der Nahtoderfahrung“336 laut Jakoby eingegangen. In

dieser Begegnung im Licht liege ein enormer Bestandteil, der sich im späteren Leben auf

die eigene Persönlichkeit auspräge. „Das Gefühl der geistigen Erneuerung, der Reinigung

durch die Liebe, die in dem Licht erfahren wird, bewirkt eine Transformation der

Persönlichkeitsstruktur.“337

So war es nicht verwunderlich als ein Wietmarschener bei der Beschreibung seiner

Nahtoderfahrung das Lichterlebnis zentral in den Raum stellte. „Da sah ich ein ganz helles

Licht, ganz rund, wie der kleine Hubschrauber dann hinten so ist, ganz hell und in diesem

hellen Licht. […] Auf jeden Fall, die habe ich da im ganz hellen Licht gesehen.“338

Dieses Licht sei nach Angaben von Herrn R. aber nicht blendend gewesen, sondern es

wirkte wohlfühlend.339 Es sei ein „wunderbares Licht“340. Damit wird die Annahme der

Forschung, dass das Licht den Erfahrenden positiv gegenübertrete und dabei absolute

Geborgenheit vermittle, bestätigt.341

333

Vgl. Interview L., VIII. 334


Moody 2008a, 71. 336

a.a.O., 21. 337

a.a.O., 22. 338




Vgl. Brock/Daiker/Bayer 2007, 33.

49


Des Weiteren sei die Lichterfahrung häufig mit einer Begegnung gekoppelt. Ein Lichtwesen

übe enorme Anziehungskraft auf den Nahtoderfahrenden aus. Eine entschlossene Bejahung

in Verbindung mit dem Übertritt ins Jenseits könne die Folge sein.342

Dieses Lichtwesen zeigte sich meinen Probanden zum Beispiel als „winkende[r] Finger“343

oder in Gestalt von zwei unerkennbaren Wesen, die eine Bewachungsfunktion inne hatten.

Diese haben die Aufgabe gehabt, darüber zu entscheiden, ob die Erfahrende zurück ins

Leben kehren dürfe oder nicht.344

Alles in Allem können die Lichtwesen sich unterschiedlich auf die Entscheidung der

Erfahrenden auswirken. Der winkende Finger symbolisiert deutlich, dass der Weg nach

deren Empfinden ins Jenseits führe. Die Gestalten hingegen betonten im

Gedankenaustausch, dass Frau S. noch nicht bereit wäre, die Erde zu verlassen. Es seien

noch Aufgaben vorhanden, die zuerst erledigt werden müssten. Dabei half auch nicht ihr

gezielter Wille, diese unbeschreibliche Sphäre nie wieder zu verlassen.345 So kam sie nach

der Kommunikation mit den Lichtwesen zu dem Entschluss: „Wenn es sowieso so ist,

mache ich lieber dieses Leben zu Ende, einige Jahre sind ja schon vorbei“.346 Eine

erstaunliche Aussage für ein damals achtjähriges Mädchen.

Laut Forschung können die Lichtwesen auch göttlich gedeutet werden. Etwa in Form eines

Engels oder sogar als Jesus persönlich.347 Diese Deutungsweise wurde mir nicht geschildert.

Dieses kann mit dem eher geringen christlichen Bezug meiner Probanden zusammen

hängen.

3.4.1.9 Rückschau

Das Leben noch einmal in einer Art Lebensfilm Revue passieren zu lassen, das ist eine

Fähigkeit, die den Nahtoderfahrenden teilweise ermöglicht wird. Nicht jedem wird sein

bisheriges Leben ausgebreitet. Aber eine Osnabrückerin schilderte mir genau dieses

Phänomen. Während sie einen rohrähnlichen Zustand durchdrang, sah, fühlte und bewertete

sie ihr altes Leben. Ihr wurde etwa bewusst, dass ihr Verhalten nicht immer gerecht war. Sie

habe ihrem Vater mit frechen Gesten weh getan, wobei er es mit ihr immer gut gemeint

342




Vgl. ebd. 346

ebd. 347

Vgl. Van Lommel 2011, 61.

50


habe.348 Sie beschrieb mir die Situation folgendermaßen: „Ich sah mich frech sein zu

meinem sehr wohlmeinenden Vater - gleichzeitig fühlte ich seinen Schmerz über mein

Verhalten, aber auch meinen Schmerz, ihn verletzt zu haben.“349 Es war eine Konfrontation,

die ohne jegliche Verurteilung stattfand. Sie selbst war gefordert, ihre ganz persönlichen

Schlüsse daraus zu ziehen und Veränderungen für ihr weiteres Leben zu generieren.350

Diese Rückschau werde laut Fenwick und van Lommel durch die Speicherung von eigenen

Gedanken, Worte und Taten in persönlichen Energiefeldern ermöglicht. Jeder Mensch trage

daher die Verantwortung für sich ganz allein und müsse mit den dargestellten

Rückschlüssen des eigenen Lebens umgehen.351 Mit den Worten Lommels gesprochen:

„Alles, was man bei anderen bewirkt, erfährt man letztlich auch selbst, und das betrifft

sowohl Liebe und Zuneigung als auch Gewalt und Aggression.“352 Biblisch gesehen heißt

es im Matthäusevangelium: „Erstens sollst du Gott lieben, der dich geschaffen hat, zweitens

deinen Nächsten wie dich selbst; „alles aber, was du willst, dass es dir nicht geschehe,

das tue auch du keinem anderen“ (Mt 7,12).

Zur Zeit einer Rückschau wird einem die aus der Bibel bekannte goldene Regel wieder vor

Augen geführt. Wichtig sei in diesem Kontext noch zu nennen, dass dabei eine

Zuschauerposition eingenommen wird. Das Leben werde von außen betrachtet. Eine

doppelte Perspektive herrsche dabei. Auf der einen Seite fungiere man als Beobachter und

auf der anderen Seite sei man emotional in das Geschehen eingebunden.353

Typischerweise findet die Darstellung des Lebensfilmes aber in Verbindung mit dem

Lichtwesen statt. Dabei werde der Blick auf die erzieherischen Maßnahmen der Gestalten

des Lichts gerichtet.354 Dies war jedoch bei meiner Probandin nicht der Fall. Sie erlebte

regelrecht das Tunnelerlebnis in Verbindung mit der Rückschau. Lichtgestalten traten bei

ihrer Nahtoderfahrung erst beim Übergang zum Jenseits auf.355 Jakoby bestätigt den Ablauf

der Nahtoderfahrung von Frau M., da er betont, dass eine Rückschau auch ohne Licht und

ohne anwesende Wesen möglich sei.356

348

Vgl. Leitfaden M., XXIX-XXX. 349

a.a.O., XXIX. 350


Vgl Brock/Daiker/Bayer 2007, 34-35. 352

Van Lommel 2011, 63. 353

Vgl. Jakoby 2011, 22. 354

Vgl. Moody 2008a, 77-78. 355


Vgl. Jakoby 2011, 78.

51


3.4.1.10 Die Grenze oder Schranke

Die Grenze ist ein Kernelement der Nahtoderfahrung, welches in den Fallbeispielen nicht

konkret vorhanden war. Keiner sprach von Türen, Nebel oder einer einfachen

Trennungslinie.357 Grundsätzlich wurde aber schon von einem Wendepunkt berichtet,

welcher über die Rückkehr ins Leben entschied. Dabei kam es auch zu Kommunikationen

zwischen den Nahtoderfahrenden und Lichtwesen oder bekannten Verstorbenen. Diese Art

von Begegnungen wurden bereits unter 3.4.1.7 „Begegnung mit Anderen“ und 3.4.1.8 „Das

Lichtwesen“ näher erläutert. Als Umkehrgrund wird häufig die Vollendung von

ausstehenden Aufgaben oder ähnlichem gesehen.358

3.4.1.11 Die Umkehr

Die Umkehr basiert auf einer Entscheidung, die bewusst oder unbewusst für das Leben

getroffen wird. Nahtoderfahrende können während der Kommunikation mit anderen

Persönlichkeiten, wie Lichtwesen oder Verstorbenen, dazu geleitet werden, ihre Rückkehr

in die Gegenwart anzutreten.

Es gäbe eine Kluft zwischen den persönlichen Tendenzen und der Verpflichtung, so Moody.

Die Betroffenen fühlen sich selbst vielleicht eher dem Jenseits mit den Gefühlen von

Akzeptanz und Liebe hingezogen, würden aber zeitgleich auf der Erde Familienangehörige

und individuelle Projekte zurück lassen.359

Diesen Zwiespalt beschreibt die Schilderung eines damals achtjährigen Mädchens, welches

persönlich die wunderbare unbeschreibliche Sphäre beiwohnen wollte und sich bewusst

gegen eine Rückkehr entschieden hatte. Andererseits standen ihr aber zwei Lichtgestalten an

der Grenze zur Seite, die sie gezielt zurück ins Leben drängten.360 „Ich wollte so gerne

hinein, ich wollte bleiben und nicht zurück.“361 Doch sie nahm die Weisung der Gestalten

des Lichtes an und kehrte zurück. Sie müsse noch dazu lernen, bis sie für das Jenseits bereit

wäre und ihr der Aufenthalt an diesem faszinierenden Ort gebühre.362 Hier wurde die Kraft

der Gestalten dargestellt, sie entscheiden über Einlass und Umkehr.

357

Vgl. Moody 2008a, 85. 358


Vgl. Moody 2008a, 92. 360

Vgl. Leitfaden M., XXX-XXXI. 361

ebd. 362

Vgl. a.a.O., XXX-XXXI.

52


Nachdem das Mädchen lieber im Jenseits geblieben wäre, hielt eine andere Frau regelrecht

an ihrem alltäglichen Leben fest. „Am Ende des Rohres“363 klammerte sie sich mit aller

Kraft. Sie wollte der winkenden Gestalt nicht folgen. Ihren Wendepunkt zurück in die

Gegenwart sah sie als ein „Wunder von Gott“364 an. Bezüglich göttlicher Basis kann noch

ein Interviewpartner angeführt werden. Er hat sich bewusst als Kind, während er fast

ertrunken wäre, Gott ergeben. Danach war sein Todeskampf beendet.365 Diese Möglichkeit,

eine Erlaubnis zum Weiterleben von Gott zu erhalten, wird ebenfalls in der Forschung

beschrieben.366

Die Rückkehr in den eigenen Körper geschah bei meinen Probanden eher unbewusst. Keiner

führte zuvor an, das Verlassen des Leibes konkret miterlebt zu haben. Von daher ist es

schwierig, von einem Wiedereintritt zu sprechen. Ein Religionslehrer führte jedoch an, dass

er nach der Ergebung auf einer Bank im Schwimmbad wieder erwachte, nachdem er aus

dem Wasser gerettet worden sei.367 Ein anderer schilderte mir Folgendes:

„Dann passierte etwas ganz Tolles, ich fühlte mich ungefähr als würde man oben

im Kopf so Wasser rein füllen, warmes Wasser und es steigt dann von den Füßen

langsam auf, also ein unglaubliches Gefühl, was man eigentlich gar nicht kennt,

so was erlebt man ja gar nicht … Dann bin ich wieder zu mir gekommen.“368

Zurück muss jeder persönlich sehen, wie er mit den Ereignissen umgeht, ob er Kraft daraus

gewinnt oder eine „lohnende Aufgabe“369 in den Blick nimmt. Auf die Folgen im Leben,

welche unmittelbar mit der Rückkehr verbunden sind, wird im weiteren Verlauf

eingegangen.

3.4.1.12 Mitteilungsversuche

Die „Unbeschreiblichkeit“, welche unter 3.4.1.1 bereits dargelegt wurde, erschwert den

Erfahrenden, ihre Erlebnisse anderen Menschen mitzuteilen. Hinzu kommt die Problematik,

dass sie ihre Schilderungen als komplett real ansehen und somit die Annahme der

Halluzination entkräften. „Dieses ganze Erlebnis […war…] unheimlich realistisch“370, so

ein Mann aus Bayern. Diese Faszination ist für Mitmenschen schwierig nachzuvollziehen.

363


ebd. 365


Vgl.Moody 2008a, 91. 367


Interview D., IV. 369

Moody 2008a, 91. 370

Interview D., IV.

53


Dementsprechend wird die Darstellung einer Nahtoderfahrenden häufig unter „geistig

labil“371 verbucht. Die Folge ist ewiges Schweigen, da man in der Gesellschaft keinen

Raum bekommt. Auch Frau E. ging auf diese von ihr persönlich gewählte Haltung ein. Sie

habe nie das Bedürfnis verspürt, ihre Erlebnisse weiterzugeben. Erst bei einer Frauenrunde

mit der Thematik Geburt, wurde sie gezielt von einer Frau angesprochen. Diese habe sie bei

der Geburt ihres zweiten Kindes mit den auftretenden Komplikationen betreut. Daraufhin

wählte sie zum ersten Mal nach dem Ereignis den Schritt in die Öffentlichkeit. Sonst habe

sie immer das Gefühl gehabt, die anderen Frauen haben schlimme Geburten erlebt, da

wollte sie sie lieber in dem Glauben lassen. Wobei ihr Leben währenddessen am seidenen

Faden hing.372 „Alles war still…und dann erzählte ich das erste Mal in aller Öffentlichkeit

mein Nahtoderlebnis.“373

Die anderen Erfahrenden erwähnten zwar, dass sie es ihren Familienangehörigen mitteilten,

aber sich auch nicht mit der großen Masse darüber austauschten. Ein Landwirt teilte es

seiner Frau sowie den Angehörigen der Verstorbenen, welche er während seines

Nahtoderlebnisses wahrgenommen habe, mit.374 Es sei ein unglaubliches Geschehen

gewesen, welches für andere Menschen nicht nachzuvollziehen sei. Die Mutter des

achtjährigen Mädchens habe die Äußerungen ihres Kindes regelrecht abgetan, war auf der

anderen Seite aber über die vielen Einzelheiten bei der Darstellung verwundert.375 Hier

daher eine Situation, in der die Tochter ihr Erlebnis weitergeben wollte. Ein Junge hingegen

nahm eine Abwehrhaltung ein und verdrängte seine Todesnähe regelrecht.376 „Immer allen

so durch Tränen in den Augen signalisiert, sie sollten nicht weiter nachfragen.“377

Wichtig sei in diesem Zusammenhang der Austausch zwischen Gleichgesinnten. Diese

Gespräche führen dazu, dass sie sich nicht mehr als verrückt ansehen.378 Frau S. aus Hilter

ging auf eine ähnliche Situation ein. Sie wurde von einem Bekannten angesprochen, ob sie

das Gefühl des egal sein kennen würde. Gleich befand sie sich verstanden. „Ja und vor allen

Dingen auch [wenn man] mal mit Leuten darüber spricht, die Ähnliches erlebt haben und,

und das man auch ernst genommen wird oder auch die ernst nehmen kann … denn das ist ja

371

Moody 2008a, 96. 372


ebd. 374




ebd. 378

Vgl. Moody 2008a, 99.

54


die andere Geschichte, dass auch oft so etwas belächelt wird.“379 Dieser Ausschnitt aus dem

Gespräch verdeutlicht genau diese Problematik, mit der Nahtoderfahrende im alltäglichen

Leben umgehen müssen.

3.4.1.13 Folgen im Leben

Wenn ein Nahtoderfahrender gewollt oder widerwillig ins Leben zurückkehrt, ist nichts

mehr wie es mal war. Solch ein Erlebnis geht nicht spurlos an einem vorbei. Stattdessen

kommt es meist zu einem Lebenswandel. Eine Art Umstrukturierung wird vollzogen. Die

Nahtoderfahrung hat einem gezeigt, dass der Tod nicht mehr existiert, womit einem die

Angst davor genommen wurde.380

Ein besonderes Beispiel dafür ist ein Telefonat einer Interviewpartnerin mit ihrer Schwester,

welches an dem Tag nach der Operation und der damit verbundenen Erfahrung geführt

wurde. Die Betroffene wies ihre Schwester überzeugend darauf hin, dass sie keine Angst

vor dem Tod haben bräuchte.381 „Also vorm Tod brauchst du keine Angst haben…Also der

Tod, das ist total toll, das kann ich dir jetzt schon sagen. Ab jetzt habe ich keine Angst mehr

vor dem Tod.“382 Mit einer enormen Überzeugung äußerte sie ihr Verhältnis zu dem Tod,

wobei sie gerade dem Tod von der Schüppe gesprungen war. Dies war für die Schwester

schockierend. Frau S. selbst wusste von dem geführten Telefonat nichts mehr.

Diese Situation zeigt, wie prägend eine Nahtoderfahrung sein kann.

Herr V. schrieb ebenfalls, dass ihn die Erfahrung positiv geprägt habe. Er sei seitdem Gott

ergeben und habe seine berufliche Laufbahn daraufhin ausgerichtet. Er wurde später

Religionslehrer.383 Der Glaube an Gott kann bei den Nahtoderfahrenden hervorgerufen

beziehungsweise gestärkt werden. Andere sehen erst darin ein Wunder und werden dann

später wieder vom alltäglichen Leben überrollt und die Christlichkeit tritt wieder in den

Hintergrund.384 Auf die Persönlichkeitsveränderung im Hinblick auf den Glauben wird in

der Forschung ebenfalls eingegangen. Das Leben kann seitdem von Gott geführt sein.

Außerdem seien Betroffene der Überzeugung, dass es ein Weiterleben nach dem Tod

gäbe.385 Hierzu sei im weitesten Sinne ein Zitat einer Frau anzuführen, die mir einen

379


Vgl. Jakoby 2011, 25. 381

Vgl. Interview S., XXIV. 382

ebd. 383

Vgl. Zusammenschrift V., XXXI. 384


Vgl. Brock/Daiker/Bayer 2007, 39-40.

55


Leitfaden aufgefüllt hat: „Als Kind hatte ich gar keine Ahnung von Wiedergeburt! Nach

dieser Erfahrung steht Wiedergeburt folglich für mich fest!“386 Sie stehe mit ihrer Ansicht

zwar nicht für den christlichen Glauben, aber betont damit die Veränderung der religiösen

Seite allgemein.

Alles in Allem, egal wie der Wandel genau vollzogen wird, es ist nicht immer

selbstverständlich, dass die Mitmenschen dies als eine normale Persönlichkeitsveränderung

hinnehmen. Deshalb behalten Betroffene ihre Erfahrungen häufig für sich, um der

Konfrontation mit der Außenwelt aus dem Weg zu gehen.387 Eine Frau schilderte mir genau

so einen Fall. Sie beteiligte sich nicht an einem Gespräch über die Erfahrungen bei

Geburten. „Erfahrungsgemäß ist es so, dass alle es am Schlimmsten hatten und ich ungern

übertrumpfe.“388 Hier wird genau dieses Phänomen geschildert. Eine starke

Verschlossenheit ist zu erkennen, die Unverständnis entgegenwirken soll.

Des Weiteren treten Persönlichkeitsphänomene wie „leicht am Wasser gebaut“389 zu sein

oder die sensible Ader390 mehr in den Vordergrund. Diese Menschen leben mit einer

gesteigerten Gelassenheit und gehen das Leben in gewisser Weise auch ruhiger an. Dazu

zählt das Beispiel der Umstrukturierung des eigenen landwirtschaftlichen Betriebes, um

dem Körper und der Familie eine Schonzeit einzuräumen.391 Hinzu kommt die Energie, die

aus dem „genialen Zustand“392 mitzunehmen ist. Diese helfe einem durch schwere Zeiten,

so die Ansicht einer Dame aus Hilter.393 Für die Fürsorge sei sie auch nicht von Nachteil.

„Mit all meiner Kraft und viel Liebe war ich für meine Kinder da.“394

Abschließend ist zu sagen, dass jeder Nahtoderfahrende sein weiteres Leben anders meistert

und mit dem Erlebten anders umgeht. Der eine wird emotionaler, der andere wählt erstmal

den Weg des Verdrängens, bis es ihn dann zu einem späteren Zeitpunkt wieder einholt.395

Jeder Mensch zieht seine eigenen Konsequenzen aus den Geschehnissen. Darauf bin ich

bereits unter 3.3.2 näher eingegangen, und möchte an dieser Stelle keine Wiederholung

anführen. Für den einen ist es ein gravierender Wandel in Verbindung mit Trennung usw.

und für den anderen sind es die kleinen Dinge, die nun eine höhere Wertschätzung

386

Leitfaden S., XXV. 387

Vgl. Moody 2008a, 99. 388

Leitfaden E., XXV. 389





Vgl. a.a.O., XVI. 394


Vgl. Interview V., XIX-XX.

56


bekommen. Dabei spielt auch die Absicherung eine entscheidende Rolle, die Frau S. in

Form von Patientenverfügungen und Betreuungsvollmachten ansprach.396

3.4.1.14 Neue Sicht des Todes

Nach einer Nahtoderfahrung verändert sich vieles und es ist daher nicht verwunderlich, dass

sich auch die Sichtweise zum Tod geändert hat. Das Erlebnis, dem Tod so nahe gewesen zu

sein, geht meistens nicht spurlos an einem vorbei. Die Betroffenen sind sich bewusst, dass

das Leben endlich ist. „Das Leben [hinge] am seidenen Faden […], der jederzeit reißen

kann“397 oder „es kann einen jederzeit erreichen“398 waren Äußerungen meiner

Interviewpartner. Moody sehe im Tod daher eher eine Station des persönlichen Weges.399

Die Betroffenen wissen, dass der Tod nicht existiere und haben daher keine Angst mehr vor

ihm. Es gäbe eine Weiterexistenz danach.

Aber bis dahin kehren sie zurück ins Diesseits und haben häufig noch Aufgaben zu

erledigen, die ihnen etwa vom Lichtwesen aufgelegt worden sind.400 Ein Mann berichtete,

dass er Prüfungen zu absolvieren hatte, die ihm berechtigten, weiterzuleben.401 „Eine

Prüfung ablegen und wenn ich die nicht schaffe, dann bin ich tot“402, so seine Worte.

Eine Frau glaubt seit dem Zeitpunkt ihrer Nahtoderfahrung an die Wiedergeburt. Ihr

Statement für das zweite Leben ist daher: „Wenn man eine gewisse Reife erlangt habe,

brauche man nicht mehr [auf Erden] bleiben.“403 Sie ist der festen Überzeugung, dass es

eine „Existenz nach dem Leben“404 gäbe und es dort für sie positiver weitergehen wird.

Die Tatsache vermittle einem aber auch Trost für den weiteren Lebensweg. Eine Frau, deren

Rückkehr von Schicksalsschlägen wie Krankheit oder Trennung geprägt war, schöpfe aus

ihrer Nahtoderfahrung Trost. Aufgrund der Gewissheit, dass nach dem Leben nicht alles aus

und vorbei ist, weiß sie, dass sie ihren verstorbenen Sohn eines Tages im Licht wiedersehen

werde. Es sei nur eine Trennung auf Zeit, nicht für die Ewigkeit.405 Auch Frau S. bestätigte

dieses Phänomen im weitesten Sinne. Sie berichtete ihrer Schwester während eines

Telefonates freudig, dass der Tod total toll und jegliche Angst davor unbegründet sei. Der

396

Vgl. Interview S., XIV. 397


Interview S., XIV. 399

Vgl. Moody 2008a, 106-107. 400

Vgl. a.a.O., 107. 401


ebd. 403

Leitfaden S., XIV. 404

ebd. 405

Vgl. Leitfaden E., XXIV.

57


Tod sei eine geniale Umgebung, die sie irgendwann wieder besuchen werde. Daher kann sie

mit solch einer Überzeugung davon sprechen, dass die Angst vor dem Tod unbegründet

sei.406 Es warte keine Art Gericht, welches über das eigene Verhalten während der Zeit auf

Erden richte. Es gäbe keine lobende sowie bestrafende Komponente.407 Wenn den

Erlebenden ihr Leben in Form einer Rückschau gezeigt wird, dann fühle und bewerte man

zwar persönlich die einzelnen Szenen, aber es finde keine Bewertung durch die

beiwohnenden Gestalten statt.408

Der Zeitpunkt des endgültigen Eintrittes ins Jenseits träte allerdings von ganz alleine an, so

Moody.409 Der Tod stellt einen gewöhnlichen Wegbegleiter dar, schließlich könne das

persönliche Leben „von einer Sekunde zur anderen“410 beendet sein.

Dementsprechend sei der Tod nur eine Art Übergang, kein Ende. Dies betonte auch eine

Osnabrückerin, die mir schrieb: „Mit dem Tod ist [nicht] alles zu Ende - nein, etwas

Phantastisches fängt an.“411 Wir können somit gespannt sein, was uns im Jenseits erwartet.

Die Personen, die so etwas bereits erlebt haben, haben sicherlich ein „größeres Wissen um

den Tod“412 und können der restlichen Menschheit einen Einblick darüber geben, wie schön

es auf der anderen Seite sein wird.

406

Vgl. Interview S., XII-XIII. 407

Vgl. Moody 2008a, 107. 408


Vgl. Moody 2008a, 106. 410



Interview V., XX.

58


4 Christliche systematische Position zum Tod

4.1 Auferstehungsgedanken

Die Nahtoderfahrenden sind nicht in der Lage ein nachvollziehbares Bild über den Tod

sowie über ein mögliches Leben danach abzugeben. Trotzdem sind sie selbst von einer

anderen Welt, die nach dem irdischen Leben folgt, überzeugt. Sogar das Phänomen, sich

dort noch in einem leiblichen Körper zu befinden, wurde von Betroffenen genannt. „Ich

habe an […] mir herunter geguckt und habe genauso ein weißes Gewand angehabt und war

auch barfuß“413, so ein Interviewpartner. Diese Darstellung erinnert an die Auferstehung des

Leibes, welche im christlichen Glaubensbild verankert ist. Im Folgenden soll die Differenz

zwischen den Katholiken und Protestanten im Hinblick auf das Todesverständnis in

Verbindung mit der Auferstehung betrachtet werden.

4.1.1 Katholische Sichtweise

Die katholische Sicht im Hinblick auf das Todesverständnis bezieht sich auf das platonische

Menschenbild414, welches besagt, dass sich beim Sterbeakt die Seele vom Körper löse. Das

bedeute ein Überleben der Seele, so Leonhardt. Demnach sei die Seele während des

irdischen Daseins im Körper gefangen gewesen. Eine Art Verbot für die Seele, sich frei zu

bewegen. Der Tod hingegen bereite der Seele die Möglichkeit, unsterblich zu sein. So trete

dadurch die Erkenntnis der Wahrheit in den Vordergrund, welche an die Seele gekoppelt

sei. Diese war zuvor an die Leiblichkeit gebunden und durch sie beeinflusst, wodurch sie

dem Menschen auf Erden verborgen blieb.415 Auch ein Interviewpartner ging auf diese

Sichtweise ein, indem er anführte: „Das eine ist der Körper und das andere ist der Geist. Das

Geistwesen kann überall hin“.416

Auch in der Bibel sind Stellen zu finden, die sich auf die katholische Sichtweise beziehen.

Im Matthäusevangelium heißt es wörtlich: „Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib

413

Interview D., III. 414

Nach Platon (427 – 347 v. Chr.) ist der Mensch ein individuelles, unsterbliches Geistwesen, welches von

einem Körper umgeben wird. Das Geistwesen bildet die Seele, der Körper das Beherrschende.

(vgl. https://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/philo/geldsetzer/anthropologievl_98_99.pdf

[Stand 04.09.2014]) 415

Vgl. Leonhardt 2009, 262-263. 416

Interview D., VI.

59


töten, doch die Seele nicht töten können“ (Mt 10,28).Die Unsterblichkeit der Seele wird

demnach der Vergänglichkeit des Körpers gegenübergestellt.

4.1.2 Protestantische Sichtweise

Die protestantische Begründung bezieht sich hingegen auf eine andere Bibelstelle:

„Es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein

geistlicher Leib“ (1. Kor. 15,44)

so schrieb es der Apostel Paulus im ersten Korintherbrief. Es besteht dementsprechend eine

Einheit zwischen Seele und Leib. Gerade diese Tatsache betonte Martin Luther und

revidierte damit die Auffassung Platons. Dies begründete er damit, dass es keine

Vereinbarkeit mit dem Menschenbild, welches uns in der Bibel beschrieben werde, gäbe.

Auch heutige Theologen stützen sich auf die Ansicht Luthers. Der Tod sei der Zeitpunkt,

indem der Mensch sterbe und somit eine Zerstörung der gebildeten Einheit zwischen Seele

und Leib passiere. Das irdische Leben sei damit beendet. Im Jenseits bilde Gott den

Menschen neu. Er schaffe eine neue Gestalt, in der Seele und Leib wieder miteinander

verbunden sind.417 Der Blick des christlichen Glaubens wird daher auf die Auferstehung

ausgerichtet, da wir den irdischen Tod nicht umgehen können. Es gäbe definitiv keine

Unsterblichkeit der Seele, keine Möglichkeit, dass ein Teil des Menschen den Tod

überdauern könne, so Greshake.418

Aber was geschieht dann in dem Zeitraum zwischen Tod und Auferstehung, wenn kein

Überbleibsel des irdischen Daseins vorhanden ist?

Auf der einen Seite gibt es die Annahme, dass es eine „Zeitlosigkeit Gottes“ gäbe.419 Diese

orientiere sich an der Theorie des Seelenschlafes nach Martin Luther. Während dieses

Schlafzustandes sei die Seele ohne jegliche Empfindung, aber dennoch voller Inhalt, der

sich zur wachen Vollendung des Lebens abgrenzen solle; eine klare Abgrenzung, wodurch

der Schlaf die Position der Verachtung gegenüber dem Tod einnehme.420

417

Vgl. Leonhardt 2009, 414-415. 418

Vgl. Greshake 2010, 28. 419

Vgl. ebd. 420

Vgl. Thiede 1992,11-12.

60


Insgesamt verliere der Tod mit der Auferstehung seine Macht. „Nun aber ist Christus

auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind“ (1. Kor. 15,20),

so steht es in der Bibel geschrieben.

Alles in Allem sei der Mensch als Leib-Seele-Einheit aus protestantischer Sicht zu sehen.

Durch den Tod käme es zur kompletten Vernichtung beider Teile des irdischen Lebens.

Damit ist aber nicht die Verbindung zu Gott durchtrennt. Der Tod bilde laut Moltmann eine

Durchgangspforte. Er sei als Grenze des Lebens auf Erden zu betrachten, aber nicht als

Scheidepunkt zwischen Gott und dem Menschen.421

4.1.3 Bezug zu den Nahtoderfahrenden

Insgesamt in Bezug auf die Berichte der Nahtoderfahrenden kann trotz geschilderter neu

erlebter Körperlichkeit nach christlichem Verständnis keine Deutungen über den Tod oder

das ewige Leben getroffen werden. Eine Nahtoderfahrung könne laut der „Evangelischen

Kirche in Deutschland“ zwar zu Persönlichkeitsveränderungen führen, aber keinesfalls zu

körperlichen. Schließlich sehe die Kirche den Hirntod als Tod an.422

4.2 Angst vor dem Tod

Nach der intensiven Beschäftigung mit den Erlebnissen von Nahtoderfahrenden ist

festzuhalten, dass sie nach ihrem Erlebnis mit dem Tod keine Angst mehr davor haben und

dies auch häufig betonen. Sterben sei nicht länger ein Angstfaktor, so Jakoby. Das Innere

ihrer Persönlichkeit bleibe nach dem Tod erhalten und somit sei dieser kein endgültiges

Lebensende.423 Prägend fand ich das Telefonat zwischen Frau S. und ihrer Schwester. Hier

rufe ich es nochmal in Erinnerung: „Also vorm Tod brauchst du keine Angst haben … Also

der Tod, das ist total toll, das kann ich dir jetzt schon sagen. Ab jetzt habe ich keine Angst

mehr vor dem Tod.“424 Mit einer Überzeugung hat sie am Tag nach der kritischen Operation

über den Tod gesprochen. Die Schwester war total schockiert. Eigentlich wollte sie sich

nach dem Gesundheitszustand informieren und ob alles gut verlaufen war.

Randolph Ochsmann bezieht sich auch auf diesen Aspekt der Angst vor dem Tod.

Grundsätzlich weiß jeder Mensch, dass er sterblich ist. Eines Tages wird der Zeitpunkt des

421

Vgl. Moltmann 1999. 422

Vgl. EKD 1990. 423

Vgl. Jakoby 2011, 153. 424

Interview S., XIII.

61


Todes kommen. Doch meistens werde diese Thematik aus dem Bewusstsein vertrieben.425

Eine Modeerscheinung der Neuzeit sei die „Ausbürgerung des Todes“426, so bezieht er sich

auf Philippe Ariès. Doch die Angst im Allgemeinen sei wichtig für das irdische Leben und

somit ein ständiger Begleiter. Sie präge unser Verhalten und würde durch alltägliche

Begebenheiten überdeckt.427

Die Erlösung vom Tode sei es hingegen, die eine neue Beziehung zu Gott herstelle und

ebenfalls zu einem neuen Selbstbild führe. Dementsprechend müsse die von uns persönlich

gebildete Angst vor dem Lebensende beseitigt werden. Es herrsche keine Art Fluch über

unserem Leben und unseren Taten.428 Im Neuen Testament steht wie folgt: „Denn das

Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der

Sünde und des Todes“ (Röm 8,2).Wer nicht in der Lage sei zu leben, der könne auch nicht

sterben. Leben und Sterben hängen unmittelbar zusammen. So beschreibt es Martin Luther.

Wir sollen es als Geschenk sehen, welches Jesus uns in Form seines Todes macht.429

Biblisch gesprochen: „Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem

Herrn. Darum: Wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn“ (Röm 14,8).Es handelt sich

dabei um einen Zirkel, der Leben und Sterben vereint.

Wer ja zum Leben sagt, darf den Tod nicht verneinen. Das Sterben gehört zu unserem

Leben dazu. „Es wäre eine Abstraktion, das Leben vor jeder Berührung mit dem Tod rein

bewahren zu wollen“.430 Todessehnsucht sowie Todesangst seien Phänomene, die nicht zum

wahren Leben dazu gehören. Stattdessen werde eine Konfrontation mit dem Lebensende als

Basis des wahren Lebens gesehen.431

Todessehnsucht sei daher ein Tabuthema im gesellschaftlichen Leben. Meine

Interviewpartnerin, welche der Schwester euphorisch von ihrer verschwundenen Angst vor

dem Tod berichtete, betonte in diesem Zusammenhang, dass sie danach jedoch keine

Todessehnsucht verspürte. Sie wüsste zwar, was für ein schöner Zustand im Tod auf sie

warte, aber es sei „kein Wunsch nach sterben, es ist keine Todessehnsucht.“432

Todesangst hingegen sei ein gewöhnlicher Begleiter unseres Lebens und dürfe nicht mit

Feigheit verwechselt werden. Stattdessen sei es eher eine Funktion des Schutzes. „In der

425

Vgl. Ochsmann 1998, 89. 426

Vgl. ebd. 427

Vgl. Ochsmann 1998, 89. (Bezug zu Bekker 1971,1973,1975) 428

Vgl. Jüngel 1973, 161. 429

Vgl. Jüngel 1973, 161. 430

a.a.O., 162. 431

Vgl. ebd. 432

Vgl. Interview S., XVIII.

62


Angst ist der Mensch um die Zukunft seiner Gegenwart bekümmert.“433 Die Hoffnung ist

auf den Fortgang der Gegenwart gerichtet. Angst und Hoffnung werden als menschliche

Eigenschaften betrachtet. Die Angst überwinden könne man nur, indem man sich mit ihr

auseinandersetze.434

Genau dies taten die Nahtoderfahrenden. Sie waren dem Tod so nahe, wie es

menschenmöglich ist. Sie haben eine Idee davon, was uns alle nach dem Lebensende auf

Erden erwartet. Daher fand eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Tod und der

damit verbundenen Angst statt. „Und natürlich das typische, keine Angst vor dem Tod, das

haben wir alle, die Nahtoderfahrenden“435, so brachte ein Betroffener den aus dem

persönlichen Erlebnis resultierenden Wandel auf den Punkt.

Die Angst gehört zu jedem Menschen dazu, auch Jesus war nicht davon ausgenommen. Das

bestätige uns, dass die Todesangst zu unserem Glauben dazu gehört. Der Glaube gehe

genauer gesagt darauf ein.436

433

Jüngel 1973, 162. 434

Vgl. a.a.O. 163. 435

Interview D., V. 436

Vgl. ebd.

63


5 Persönliches Resümee

Wer so etwas nicht selbst erlebt hat, der kann es nicht begreifen; wer es erlebt hat, der

versteht es ohne viele Worte.“437

Nach der intensiven Auseinandersetzung mit der Thematik „Nahtoderfahrung“ sowie den

Gesprächen mit Betroffenen, kann ich diese Aussage nur bestätigen. Während der

Interviews habe ich gemerkt, dass es den Probanden zwischenzeitlich schwer viel, die

passenden Worte zu finden. Unfassbarkeiten meinerseits waren auch vorhanden. Nachdem

ich mich nun intensiv mit diesem Thema beschäftigt habe, ist es für mich weiterhin schwer

vorstellbar, dass beispielsweise nach dem irdischen Tod ein Licht auftritt beziehungsweise

bereits Verstorbene auf mich warten und mir den Weg weisen. Diese Erfahrung muss

meiner Meinung nach jeder selbst gemacht haben, um sie nachvollziehen zu können.

Dennoch war es interessant gewisse Einblicke davon zu erhalten, die sich in den meisten

Fällen auch mit den Forschungsergebnissen deckten. Man kann daher von wiederkehrenden

Kernelementen sprechen, die aber wie Pim van Lommel schon darlegte, nicht alle in einer

Nahtoderfahrung vorkommen. Jede Erfahrung bilde selbst eine Einheit.438 Die Individualität

der Erlebnisse war faszinierend. Dabei ist die Offenheit der Erfahrenden zu erwähnen. Ich

wurde überall herzlich empfangen und es schien mir, als seien die Probanden froh darüber,

ihre Erfahrung mit dem Tod schildern zu dürfen. Es wurde ihnen somit ein Raum zum

Austausch geboten.

So unterschiedlich die Schilderungen der jeweiligen Nahtoderfahrungen waren, desto

unterschiedlicher auch die Persönlichkeitsveränderungen. Manche nahmen ihren

Lebenswandel stärker wahr, andere nur am Rande. Eine Veränderung, welche von allen

Betroffenen genannt wurde, war die verschwundene Angst vor dem Tod. Man wüsste nun

bereits, was einen nach dem irdischen Leben erwarte. Auf Erden zurück kam es zu

unterschiedlichen Ereignissen. Ein Leben war etwa von Krankheit und Trennung geprägt,

andere hingegen lebten nun bewusster. Jeder nutzte die gegebene Chance anders. Einer ist

zum Beispiel gläubig geworden, andere hingegen wurden vom Alltag schnell wieder

eingeholt; Verpflichtungen wie Versorgung der Kinder standen dabei im Vordergrund.

437


Vgl. Van Lommel 2013, 37.

64


Dementsprechend wurde das Erlebte auch unterschiedlich verarbeitet, offene

Kommunikation versus Verdrängung.

In Bezug auf das christliche Todesverständnis ist die Differenz zwischen katholischem und

protestantischem Glauben zu nennen. Wenn bei den Protestanten eine völlige Zerstörung

des Körpers und der Seele im Tod und eine kompletten Neuschaffung im Jenseits vollzogen

werde439, glauben die Katholiken hingegen an eine Trennung von Leib und Seele. Die Seele

lebe danach unabhängig weiter.440 Diese Thematik der unterschiedlichen Sichtweisen

konnte in dieser Arbeit nur am Rande betrachtet werden.

Alles in Allem war die Auseinandersetzung mit diesem Randthema faszinierend. Ich würde

mir wünschen, dass die Nahtoderfahrung mehr Raum in der Gesellschaft bekäme und die

Erlebenden keine Angst davor haben müssen, ihre Erfahrungen anderen Menschen Preis zu

geben. Zahlreiche Bücher, welche von Betroffenen verfasst wurden sowie Experimente wie

das von Jenke von Wilmsdorff machen den Anfang. Der Tod sollte als ein natürlicher

Bestandteil unseres Lebens gesehen werden. Er gehört zum Leben mit dazu.

439

Vgl. Leonhardt 2009, 414-415. 440

Vgl. a.a.O., 262-263.

65


6 Literaturverzeichnis

I. Bieneck, Andreas/Hagedorn, Hans-Bernd/Koll, Walter (Hrsg.): Ich habe ins

Jenseits geblickt. Nahtoderfahrungen Betroffener und Wege, sie zu

verstehen, Neuenkirchen-Vluyn2 2006.

II. Brock, Michael H./Daiker, Angelika/Bayer, Bernhard (Hrsg.): …und

Tschüss. „Farben zwischen Himmel und Erde.“ Kinder und Jugendliche

sehen, erleben und erfahren Sterben, Tod und Trauer, Stuttgart2 2007.

III. Burpo, Todd/Vincent, Lynn: Den Himmel gibt´s echt. Die erstaunlichen

Erlebnisse eines Jungen zwischen Leben und Tod, Holzgerlingen13 2011.

IV. Greshake, Gisbert: Das Verhältnis „Unsterblichkeit der Seele“ und

„Auferstehung des Leibes“ in problemgeschichtlicher Sicht. In: Brüntrup,

Godehard/Rugel, Matthias/Schwartz, Maria (Hrsg.), Auferstehung des

Leibes – Unsterblichkeit der Seele, Stuttgart 2010, 25-42.

V. Hartl, Lydia Andrea: Grenzerlebnisse in Todesgefahr – erschütternd

beängstigend oder erschütternd verheißungsvoll? In: Knoblauch,

Hubert/Soeffner, Hans-Georg (Hrsg.): Todesnähe. Interdisziplinäre Zugänge

zu einem außergewöhnlichen Phänomen, Konstanz 1999, 129-155.

VI. Högl, Stefan: Nahtod-Erfahrungen und Jenseitsreisen. Der Blick auf die

andere Seite der Wirklichkeit, Marburg 2000.

VII. Jakoby, Bernhard: Wege der Unsterblichkeit. Neue Erkenntnisse über die

Nahtoderfahrung, München 2011.

VIII. Jüngel, Eberhard: TOD. In: Schultz, Hans Jürgen (Hg.): Themen der

Theologie Band 8, Berlin3 1973.

IX. Kelly, Emily/Greyson, Bruche/Stevenson, Ian: Beweisen

Todesnäheerfahrungen das Überleben der menschlichen Persönlichkeit nach

dem Tod? In: Knoblauch, Hubert/Soeffner, Hans-Georg (Hrsg.): Todesnähe.

Interdisziplinäre Zugänge zur außergewöhnlichen Phänomen, Konstanz

1999, 101-127.

X. Knoblauch, Hubert: Berichte aus dem Jenseits, Breisgau 1990.

XI. Kübler-Ross, Elisabeth: Erfülltes Leben – würdiges Sterben, Gütersloh2

2005.

66


XII. Lachner, Raimund/Schmelter, Denis (Hrsg.): Nahtoderfahrungen. Eine

Herausforderung für Theologie und Naturwissenschaft, Berlin 2013.

XIII. Leonhardt, Rochus: Grundinformation Dogmatik, Göttingen4 2009.

XIV. Michels, Johannes: Berichte von der Jenseitsschwelle. Authentische Fälle

von Nahtoderfahrungen, Arkana/München 2008.

XV. Moody, Raymond A.: Leben nach dem Tod. Die Erforschung einer

unerklärlichen Erfahrung, Hamburg [1977] 2008a.

XVI. Moody, Raymond A.: Das Licht von drüben. Neue Fragen und Antworten,

Hamburg [1989] 2008b.

XVII. Ochsmann, Randolph: Angst vor Sterben und Tod , in: Becker,

Ulrich/Feldmann, Klaus/Johannsen, Friedrich (Hrsg.): Sterben und Tod in

Europa. Wahrnehmungen - Deutungsmuster - Wandlungen. Neukirchen-

Vluyn 1998, 85-93.

XVIII. Rawlings, Maurice S.: Zur Hölle und zurück. Leben nach dem Tod –

überraschende neue Beweise, Hamburg4 2001.

XIX. Rubisch, Gerald F.: Abenteuer Jenseits. Nahtoderfahrungen und wie das

Leben danach weitergeht, München 2013.

XX. Schröter-Kunhardt, Michael: NTE aus psychiatrisch-neurologischer Sicht.

In: Knoblauch, Hubert/Soeffner, Hans-Georg (Hrsg.), Todesnähe.

Interdisziplinäre Zugänge zu einem außergewöhnlichen Phänomen,

Konstanz 1999, 65-99.

XXI. Swihart, Philipp J.: Der Tod-wirklich anders? Eine Auseinandersetzung mit

den Berichten von Raymond A. Moody jr., Elisabeth Kübler-Ross und

Robert A. Monroe zum „Leben nach dem Tode“, Bad Liebenzell 1979.

XXII. Thiede, Werner: Auferstehung nach Martin Luther, in: EZW-Texte

(Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen). Impulse. 1992,

Heft 34.

XXIII. Thiede, Werner: Die mit dem Tod spielen: Okkultismus – Reinkarnation –

Sterbeforschung, Gütersloh 1994.

XXIV. Thiede, Werner: Todesnähe-Forschung – Annäherung an der Innenseite des

Todes? Zur Geschichte und Hermeneutik der Thanatologie. In: Knoblauch,

Hubert/Soeffner, Hans-Georg (Hrsg.): Todesnähe. Interdisziplinäre Zugänge

zu einem außergewöhnlichen Phänomen, Konstanz 1999, 159-186.

67


XXV. Van Lommel, Pim: Endloses Bewusstsein. Neue medizinische Fakten zur

Nahtoderfahrung, Ostfildern4 2011.

Internetquellen

- Evangelische Kirche in Deutschland (EKD): Publikationen – Organtransplantation

(Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD), in:

http://www.ekd.de/EKD-Texte/organtransplantation_1990.html, aufgerufen am

15.08.2014.

- Moltmann, Jürgen: Gibt es ein Leben nach dem Tod? Wo sind die Türen? Beitrag

zum Deutschen Evangelischen Kirchentag, Stuttgart 18.06.1999. Über: rpi-virtuell -

Materialsammlung Nahtod, in: http://www.rpi-

virtuell.net/explorer/workspace/E5B92356-43BE-4CCC-986D-

A3E96048070D/Nahtodeserlebnisse/, aufgerufen am 02.08.2014.

- https://www.phil-

fak.uniduesseldorf.de/philo/geldsetzer/anthropologievl_98_99.pdf, aufgerufen am

04.09.2014.

- http://de.wikipedia.org/wiki/Subliminal_%28Psychologie%29, aufgerufen am

27.08.2014.


7 Anhang

„Der Schlüssel zu Sinn und Bedeutung von Nahtoderfahrungen liegt in ihren Nachwirkungen“441

Kenneth Ring

7.1 Musterleitfaden

Leitfaden für die Interviews mit Nahtoderfahrenden

Herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview genommen haben. Sie haben

außergewöhnliche, vielleicht auch unerklärliche Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Tod

wahrgenommen. Im Kontext meiner wissenschaftlichen Untersuchung liegt der Schwerpunkt auf

den individuellen Wahrnehmungen und der Veränderung für das spätere Leben. Deshalb möchte

ich Sie zu ihren persönlichen Erfahrungen befragen.

- Wissen Sie noch, wie lange Ihre Nahtoderfahrung zurück liegt?

- Ich weiß, dass der Anlass, der zu solchen Ereignissen führt, sehr unterschiedlich sein

kann. Mögen Sie mir erzählen, was bei Ihnen der äußere Umstand für Ihre

Nahtoderfahrung war? Können Sie vielleicht Ihre damalige Situation beschreiben?

- Wenn Sie an ihre Nahtoderfahrung zurück denken, an was erinnern Sie sich in diesem

Zusammenhang? Mich interessiert dabei konkret, was Sie während dieser Erfahrung

erlebt haben. Vielleicht schildern Sie mir detailliert Ihre Erlebnisse, auch wenn es

schwierig ist, diese in Worte zu fassen.

Mögliche Nachfragen, um in die Tiefe zu gehen:

• Was haben Sie auf der anderen Seite wahrgenommen? Was haben Sie währenddessen

gefühlt?

• Wann begann die Rückschau Ihres Lebens?

• Wie war Ihr Zeitempfinden während dieser Erfahrung?

441

Rubisch 2013, 116.

II


• Hatten Sie Kontakt zu Verstorbenen?

• Konnten Sie Ihre Gefühle beziehungsweise Ihre Motive nachvollziehen?

• Würden Sie das Wesen Gott nennen?

- Haben Sie bereits mit anderen Personen über Ihre Nahtoderfahrung gesprochen? Wenn

dies der Fall war, wie haben Sie diese Gespräche in Erinnerung?

- Können Sie von einer Veränderung in Ihrem Leben nach dieser Erfahrung mit dem Tod

sprechen? Gab es vielleicht einen gravierenden Wandel in Ihrem „neuen“ Leben?

- Was hat bei Ihnen persönlich danach an Bedeutung zugenommen oder abgenommen?

- Wie deuten Sie Ihre Nahtoderfahrung? Was hat diese Erfahrung Ihnen gezeigt?

- Hat diese Erfahrung sich vielleicht auch auf Ihr Verständnis von „Sinn im Leben“

ausgeprägt?

Ich möchte mich für Ihre Bereitschaft an diesem persönlichem Interview teilgenommen zu

haben, recht herzlich bedanken.

7.2 Interviews

7.2.1 Interview D.

Telefonat mit Herrn D. aus Bayern am 29.07.2014

Herr D., welcher im Jahre 1949 geboren ist, erlebte am 24.04.2013 eine „Schlaf-Apnoe“442

(Dauer ½ bis 3 Minuten) eine Nahtoderfahrung.

Ich habe ihn über das „Netzwerk Nahtoderfahrung“ im Internet kennengelernt. Er hat sich auf

meine Anzeige im Gästebuch gemeldet.

442

Schlaf-Apnoe = Schlafaussetzer (Atemstillstand)

III


Ich: Dann erst mal herzlichen Dank, dass du443 dir die Zeit dafür nimmst.

Er: Nichts zu danken.

Ich: Wie lange liegt die Nahtoderfahrung zurück?

Er: Die war am 25.4.2013, also jetzt etwa gutes strammes Jahr ne, kann man sagen.

Ich: Und was für eine Ursache hatte die Nahtoderfahrung? Also in welchem Zusammenhang

ist das passiert?

Er: Das war eine sogenannte „Schlaf-Apnoe“ […] ist ein sogenannter Schlafaussetzer sagt man

da, also praktisch ein Atemstillstand, der eine halbe bis zwei/drei Minuten dauern kann.

Ich: Ok und wenn du an die Nahtoderfahrung zurück denkst, an was erinnerst du dich

konkret in diesem Zusammenhang? Also mich interessiert dabei konkret, was während dieser

Erfahrung halt erlebt wurde?

Er: Ja an alles! Also das ist präsent, das ist komplett präsent. Ich habe es ja auch [meine

Erfahrung] verschriftlicht und wie gesagt es war ja auch nicht so lange. Ich sage immer, es ist

nicht so spekulativ gewesen. Aber für andere schon und es gibt natürlich andere aufregende

Sachen, wie wenn Menschen unter einer OP eine Nahtoderfahrung haben, weil sie da klinisch tot

waren oder einen Autounfall hatten oder Ähnliches. Das war bei mir nicht der Fall, aber

trotzdem, viele finden es trotzdem interessant und sagen doch, das ist schon was … also ich kann

mich da komplett dran erinnern, weil solange war es ja nicht und das war sehr intensiv und [das]

vergisst man halt nicht. Das ist ja der Unterschied zum Traum.

Ich: Ja genau. Und was ist da detailliert passiert? Also kannst du das genau beschreiben?

Er: Ja es war … ich wusste erstmal nicht wo ich war. Es war alles hell, freundlich, warme

Pastellfarben. Es war ein unendlicher Raum, also keine Landschaft, sondern so was Neutrales

halt, creme weiß, unendlicher Raum. Dann habe ich die Laura gesehen, die in 2004 im Alter von

47 Jahren verstorben ist. Die dann ein merkwürdiges weißes Gewand an hatte und barfuß war …

so etwas hätte die im Leben nie angehabt. Die war eher so flippig/poppig … sie sah auch

wesentlich jünger aus … das deckt sich also auch mit Beschreibung von anderen NTE´s444. Die

Leute sehen alle jünger aus und sind so im mittleren Alter … im blühenden Leben sage ich mal

so … 28/30 … also mit 47 ist sie ja gestorben, ne. Und ich musste erst lachen, weil … (lacht) …

sie sah also wirklich komisch aus. Weil…, wie man sie sonst kannte, denkt man: „Was zieht die

für einen Fummel an? Und … gesprochen hat sie nicht … die Kommunikation geht über …

praktisch übern Kopf irgendwie so … über die Gedankenwelt … und sie hat mir also mitgeteilt,

ich soll mich selbst angucken und ich habe dann an mir herunter geguckt und habe genauso ein 443

Du wurde gewünscht 444

NTE´s = Nahtoderfahrenden

IV


weißes Gewand angehabt und war auch barfuß und dann habe ich quasi die Erkenntnis gehabt,

„jetzt bist du tot“… (lacht) …“scheiße jetzt bist du tot“, ne so ist das also ... ich hatte keine

Angst dabei, komischer Weise! Man nimmt das zur Kenntnis, die Tatsache als solche, aber man

man flippt nicht aus.

Ich: Mm, also es war nicht schlimm in dem Moment, aber es war ein anderes Verhältnis…

Er: Es war ein anderes Verhältnis, eine andere Welt.

Ich: Also … das Zeitempfinden war auch weg?

Er: Das war total weg, ich habe … im Nachhinein habe ich gedacht, es wäre wahnsinnig lange

gewesen…[Abbruch des Telefonates]

Ich: Also das Zeitgefühl war dementsprechend nicht mehr vorhanden und du hast halt

jemanden, der zuvor verstorben war, … dort im anderen Gewand gesehen.

Er: Genau!

Ich: Genau … so eine Art Tunnelerlebnis…hattest du das auch?

Er: Nein, gar nicht, gar nicht, nein, nein, sie hat mir dann ihre linke Hand gereicht. Wir gingen

gemeinsam auf so ein helles Licht zu, das aber nicht blendete und keine Schatten warf … und

wir gingen wie auf Watte, es war gar kein Boden zu sehen und später habe ich mal der ersten

Studentin im Interview gesagt: „Watte geht eigentlich gar nicht, weil wer geht schon auf Watte?“

Also ich habe dann gesagt: „Gut es war so wie Ostseesand“, das kenne ich, weil die meisten ja

noch nicht auf Watte gegangen sind und je näher wir diesem Licht gekommen sind, desto

angenehmer wurde es, also ein Gefühl der Wärme, Liebe und Geborgenheit sage ich mal, dann

passierte etwas ganz Tolles, ich fühlte mich so ungefähr als würde man oben im Kopf so Wasser

rein füllen, warmes Wasser und es steigt dann von den Füßen langsam auf, also unglaubliches

Gefühl, was man eigentlich gar nicht kennt, so was erlebt man ja gar nicht. … Dann bin ich

wieder zu mir gekommen, … das war praktisch dieses ganze Erlebnis, aber es war für mich

unheimlich lang und unheimlich realistisch…

Ich: Ja…und wie war das später, so danach, mit anderen Personen darüber zu sprechen?

Er: Schwer! Ich habe paar Tage gar nichts … mit Niemanden darüber gesprochen und dann erst

nach drei Tagen mit meiner Frau gesprochen und die natürlich gesagt hat: „Ja…“ [Abbruch des

Telefonates]

Ich: Aber ich glaube dir, es ist schwer und man hat wahrscheinlich erst gedacht, ich mag das

gar nicht erzählen; das glaubt mir eh keiner oder?

Er: Ja und die … ich sage mal so: Das zu beschreiben ist schwer, weil für diese Dinge kennen

wir keine Worte und, und es ist unheimlich schwer zu übersetzen für jemanden, der sich dies

V


nicht vorstellen kann. Ich habe es letztendlich später auch versucht, zu erzählen, [damit] man es

sich vorstellen [kann], es ist trotzdem noch irgendwie anders, weil es viel realistischer ist … ich

sage mal, ich habe Verständnis für jemanden, der es nicht nachvollziehen kann, weil er es selbst

nicht erlebt hat. Und wenn man mit Leuten spricht, die eine NTE445 hatten, die verstehen sofort

… die anderen halt nicht. Das ist halt das Problem.

Ich: Das habe ich auch erkannt. […]

Er: Für manches gibt es gar keine Worte, weil wir dieses nicht kennen und deswegen … zu

dieser Übertragung fällt mir ein, mit diesen Gedanken, da gab´s mal einen Film … ich weiß

nicht, ob du den kennst … „Planet der Affen“ […] Die unterhalten sich auch nicht mit dem

Mund, da sieht man nur so die Augen blitzen […], die reden nicht miteinander, die

kommunizieren nur gedanklich und so ähnlich ist das auch. […] Ich versuche das immer so in

Bilder zu bringen. […]

Ich: Und das Leben danach? Du bist dann ja wieder ins Leben getreten? Was hat sich da

verändert?

Er: Vieles! Also … ich kann zum Beispiel total entspannen, was ich früher nicht konnte. […]

Das war früher unmöglich. Ich habe meinen Vater immer bewundert, der dieses autogene

Training gemacht hat. So etwas habe ich nie gemacht oder auch nie probiert. Da bin ich viel zu

hibbelig für, das schaffe ich nie. Und natürlich das typische, keine Angst vor dem Tod, das

haben wir alle, die NTE Leute446. [Danach bin ich] toleranter geworden. Ich sehe viele Dinge

jetzt auch mit anderen Augen. Ich bin da großzügiger gegenüber Sachen, Menschen und

Einstellungen. Wie gesagt liege fast jede Nacht wach; beschäftige mich mit Gott und der Welt.

[…] Das ganze begleitet mich eigentlich 24 Stunden, ausgenommen nachts. Im Schlaf nicht und

im Traum auch nicht. Aber in der Nacht, wenn ich wach werde und über Tag auch. […] Was mir

wie gesagt gut tut, darüber zu reden, diese Vorträge vor Gruppen zu halten, finde ich immer gut.

[…] Todesnachrichten sehe ich jetzt ganz anders, wir hatten letztes Jahr diesen Motorradunfall

hier, das war einer vom Stammtisch, der mit der Harley […] gefahren ist und tot war. Da denke

ich auch immer ja gut, eigentlich für ihn schön beim Hobby passiert und so oder wir hatten

einen Bekannten mit 88 im Bett gestorben. Die Frau hat ihn gefunden morgens … ja … was will

der mehr mit 88.

Ich: Ja, was gibt es Schöneres…

445

NTE = Nahtoderfahrung 446

NTE Leute = Menschen, die eine Nahtoderfahrung hatten

VI


Er: Ja, es sind so Sachen, die muss man positiv sehen. Habe ich früher nicht so gesehen. Dann

denkt man immer, oh Gott, … aber ist nicht so … also ich gewinne dem etwas Positives ab. Darf

man aber auch nicht so gegenüber manchen Leuten äußern, die gucken dann ganz komisch.

Ich: Ja, ich verstehe schon. Nicht jeder versteht das, kann das nachvollziehen.

Er: Ich sehe es als normalen Lauf, sage ich jetzt mal so … manche sehen das ja als Unglück …

ist es ja eigentlich nicht. Das ist dann der Lauf der Welt …, aber das kapieren viele nicht. Weil

sie diesem Weltlichen viel zu sehr verhaftet sind, was ich vorher auch war und das ändert sich

halt alles.

Ich: Hat sich die Erfahrung denn auch auf dein Verständnis von Sinn im Leben ausgeprägt?

Er: Ja mit Sicherheit! […] Ich habe ja immer geschrieben: „Wir sind keine Körperwesen mit

einer Seele, Geist oder Bewusstsein, sondern Geistwesen, die für die irdische Verweildauer einen

Körper bekommen.“ Das Bewusstsein bleibt und ist auch ohne den Körper möglich und wo der

Geist kommt, kehrt er auch wieder nach Hause zurück. Dann kaufe ich mir paar Monate später

das Buch von Professor van Lack und finde die Stelle drin. Er schreibt also hier: […] „Wir sind

nicht menschliche Wesen, die geistige Erfahrungen machen, sondern geistige Wesen, die

menschliche Erfahrungen machen.“ Also da habe ich auch gedacht, Junge, das ist sinngemäß

genau das, was ich geschrieben habe!

Ich: Ja, so eine Parallele, die dann da ist.

Er: Praktisch ja! Und das sind dann solche Sachen, wo man sagt: „Sieht man genauso!“

Es hat mich niemand gefragt, aber ich habe mir dann die Frage selbst gestellt, hätte mich jemand

gefragt, hast du Gott gesehen, hätte ich spontan gesagt nein. Im Nachhinein denke ich, ist es eine

Frage der Definition. Also wenn Gott das Licht, die Liebe und die Wärme ist, dann ja. Aber ich

stelle mir da auch nichts Konkretes mehr vor unter Gott. Es ist für mich unvorstellbar. [Abbruch

des Telefonates] […]

Ich bin evangelisch. Ich bin nicht sehr religiös gewesen. Unsere Familie…mein Vater war

katholisch, aber eher auf dem Papier. Meine Mutter war evangelisch. Ich war ab der Schulzeit

Gott froh, dass ich evangelisch war. Wo ich das alles gehört habe, was die Katholiken da so

machen, da habe ich gedacht, das ist eh nicht meins. Hatte nicht gewusst, dass das so eine Kluft

ist, die sich ja Gott sei dank verringert hat. Meine Frau ist katholisch. Die Tochter ist auch

katholisch geworden, weil sie sie erzieht, das war ja auch vernünftig. Ich habe da auch kein

Problem mit, aber wir sind nicht streng katholisch oder so.

[…] Wir gehen [sowohl] in die evangelische Kirche sowohl als auch in die katholische. Sind

aber mehr so […] U-Boot-Christen. […]

VII


7.2.2 Interview L.

Persönliches Interview mit Herrn L. aus Wietmarschen am 24.07.2014

Herr L. schildert mir seine Nahtoderfahrung, die er 2007 während eines Krankentransportes im

Hubschrauber erlebt hat. Er war zu dem Zeitpunkt 50 Jahre alt. Er ist der Bruder meiner

Arbeitskollegin, dementsprechend wurde auf persönlicher Ebene gesprochen.

Ich: Erstmal danke, dass ich das Interview führen darf. […] Wie lange ist denn die

Nahtoderfahrung her?

Er: 2007 war das; 2007,ich bin 50 Jahre alt geworden oder ja im Januar und dann hatten wir

wohl bisschen Stress mit unserem Stall, da alle, der Stallbau war 2005 gewesen und es lief alles

vorne und hinten nicht und finanziell ging es … auch eher rückwärts als vorwärts, ob das da ein

bisschen mit zu tun hat, weiß ich nicht, auf jeden Fall … passiert ist es im Stall, ich habe mich

gebückt und da konnte ich diesen Knall im Kopf hören, 27 Juli 2007 (nachdenklich) und dann

mittags gegen zwei Uhr sag ich mal war der Doktor hier, hat mich dann […] behandelt und

sofort ab ins Krankenhaus, bis nach Nordhorn weiß ich noch und da kam immer mehr Dröhnung

hinterher, dann war ich weg. 27. Juli und dann das Datum 12. August, da musste ich im

Krankenhaus erstmal nachfragen: „Wo bin ich?“ Solange war ich ausgeschaltet. Dann … in

dieser Zeit, was die alle mit mir gemacht haben da, das habe ich alles selber so im

Unterbewusstsein mitgekriegt. Erzählt haben sie mir dann anschließend, […] was alle passiert

ist.

Ich: Also es war ein Koma?

Er: Ja,…auf jeden Fall haben Sie mich da so lange im künstlichen Koma gehalten. Und das eine

Schlüsselerlebnis war das, eben mit dem Hubschrauber bin ich ja hin und her geflogen worden,

von Nordhorn nach Meppen, von Meppen nach Essen und von Essen wieder zurück. Und auf

einen dieser Transporte sag ich mal, da wurde mir auf einmal bewusst, da wurde ich

reingeschoben, ich guckte nach hinten, ich sage mal nach hinten zum „Hubschrauberschwanz“,

da sah ich ein ganz helles Licht, ganz rund, wie der kleine Hubschrauber dann hinten so ist, ganz

hell und in diesem hellem Licht, da habe ich unseren Nachbarn gesehen, meinen besten Freund

eigentlich, der 1983 verunglückt ist und meinen Stammtischkollegen […], der ist 2006

verstorben. Und die beiden liegen auch auf dem Friedhof wieder zusammen, mit dem Kopf

VIII


aneinander. Ob das was zu bedeuten hat, keine Ahnung. Auf jeden Fall, die habe ich da im ganz

hellen Licht gesehen, … so wie man sie […] erlebt hat.

Ich: Also die waren dann quasi in dem Stadium, wie man sie noch kannte?

Er: Ja.

Ich: Also nicht irgendwie verändert?

Er: Nein der [Stammtischkollege], immer in Anzug und Krawatte und [der Nachbar] so im T-

Shirt und …

Ich: Also wie in deiner Erinnerung?

Er: Ja, wie in Erinnerung war, richtig. Das kann man so sagen. Ja weiterhin, mehr war da

eigentlich nicht.

Ich: Aber das sind ja diese Phänomene, dieses Licht und dass man auch Begegnung mit

Anderen hat und Verstorbenen, aber es waren ja Verstorbene, die du dann ja kanntest. Also

man hat das ja auch öfters wohl, dass man die wahrnimmt, die man nur aus Erzählungen

kannte, die vor einem verstorben waren, aber das war dann ja nicht der Fall.

Er: Ne…ne…ne…es ist natürlich zeitlich ein gewaltiger Unterschied, von 1983 bis 2006. […] Es

ist ja ein relativ weiter Zeitraum.

Ich: Bestand da denn ein enges Verhältnis zu beiden?

Er: Von mir ja. Der […] war immer unser nächster Nachbar und wir haben immer

zusammengespielt und zusammen gefeiert auch und der [Stammtischkollege] war seit 2000…ne

seid 1985, war der eigentlich so bei dem Stammtisch dabei. […]

Ich: Aber so einen Tunnel hast du nicht gesehen? Also dass es bevor du das Licht gesehen

hast dunkel war?

Er: Also wie gesagt, ich habe das immer mit diesem Einschub in den Hubschrauber verbunden.

Ja sicher, bisschen Tunnel ist das, dieser Schwanz da … ich guck nach hinten in ein helles Licht.

Ich: Ok, das war so zentriert dann.

Er: Es kann auch sein, dass die mich anders herum reingeschoben haben, ich habe keine Ahnung.

Ich: Ja, aber das hat man so wahrgenommen.

Er: Ja, so habe ich es wahrgenommen.

Ich: Ähm, ja dann war das ja und dann bist du ja nachher wieder nach Hause gekommen.

Kannst du irgendwie sagen, dass sich danach irgendetwas verändert hat im Leben? Also war

das irgendwie prägend für einen?

IX


Er: Man hat keine Angst mehr vor dem Tod, jetzt, wenn ich weggewesen wäre … ich hätte

nichts gemerkt, wenn sie mich nicht wiedergeholt hätten, wäre ich ja weg gewesen. Für [meine

Frau] wäre das viel schlimmer gewesen…

Ich: Ja klar. Aber so dass sich die Persönlichkeit sich ändert oder so? Also, viele sagen halt,

dass man gelassener mit Sachen umgeht, weil man ja weiß, was einen da erwartet. Aber das

merken wahrscheinlich eher die anderen, man selber wahrscheinlich nicht so…

Frau: Ja, man denkt anders über das Leben.

Ich: Ja, der Sinn des Lebens hat sich wahrscheinlich verändert.

Er: Der Sinn des Lebens, wozu sind wir auf Erden.

Ich: Ja, es hat sich also dadurch was im Lebensverständnis geändert?

Er: Ja wir haben seit der Zeit ja den Betrieb ein wenig umgestellt, dass es ein wenig ruhiger wird.

Ich: Ja, aber das hat damit ja auch zutun. […]

Ich: Und wie war das so mit anderen Leuten darüber zu sprechen, wenn man sagt, ich habe

die da gesehen?

Er: Die Frau [des Stammtischkollegen] lebt ja noch und die Eltern von …, die Mutter lebt ja

noch. Damals habe ich das wohl mal erzählt …, aber sonst jetzt…

Ich: Und wie haben die das so aufgenommen, wie war das?

Frau: Im Kegelclub … wurde darüber gesprochen … die sagen einfach, das kann man sich nicht

vorstellen, das muss man miterlebt haben.

Ich: Genau. […]

Er: Das Leben einfach sinnvoller genießen, etwas vom Leben haben, sonst haben wir ja von

morgens fünf bis abends um zehn/zwölf manchmal malocht.

X


7.2.3 Interview R.

Persönliches Interview mit Herrn R. aus Merzen am 26.07.2014

Herr R. hatte seine Nahtoderfahrung während eines künstlichen Komas, nach einem

Darmdurchbruch im Jahre 2011, zu dem Zeitpunkt war er Mitte 50.

Er ist der Nachbar meiner Freundin und war direkt bereit, mit mir über seine Erfahrung zu reden.

Das Gespräch wurde auf persönlicher Ebene geführt.

Ich: Dann erstmal danke, dass ich das Interview führen darf. Weißt du noch wie lange die

Nahtoderfahrung zurück liegt? Also wann war das?

Er: Das war in 2011 … Ende November war das dann … ich bin am 21. Oktober 2011 ins

Krankenhaus gekommen, irgendwann, aufgewacht bin ich eigentlich wieder am 4. November

2011. Die Tage davor, an was ich mich so erinnern kann, zwei/drei Tage war ich auf

Überwachungsstation und dann irgendwann weiß ich nichts mehr, weil das dann …

Ich: Es war also eine Art Komazustand oder wie beschreibt man das?

Er: Ja, ja … ich war dann ja danach ins künstliche Koma gelegt worden. […]

Ich: Und was war das für eine Operation, also was hattest du da?

Er: Ich bin eigentlich wegen dem Herzen hereingekommen, hatte dann aber einen

Darmdurchbruch, ein Loch im Darm. War innerlich vergiftet, so wie sie es erzählt haben. […]

Das muss schon kritisch gewesen sein. […]

Ich: Und während dieser Phase, wo du dann im künstlichen Koma warst, hast du diese

Erfahrung gemacht?

Er: Ja, es war eigentlich, was ich eigentlich jetzt so weiß, war es eigentlich, im Grunde

genommen alles ruhig, hell, still, also ich hatte nie Angst vorm Tod oder wenn ich da jetzt nicht

aufgewacht wäre, war es eigentlich … weil es eigentlich schön war.

Ich: … war es ein schönes Gefühl?

Er: Ein schönes Gefühl war das, ja … auch wenn mich heute einer fragt, wenn ich so sterben

würde, habe ich gesagt, würde ich sofort unterschreiben, weil ohne Schmerzen …

Ich: Also war da eine Art Wärme?

Er: Ja, Licht, Wärme, so etwas, also Ruhe, Stille oder …

Ein angenehmes Gefühl … wie schönes Wetter oder was, es war hell…

Ich: Also dieses Licht…

Er: Das Licht war so hell also…

XI


Ich: Aber es war kein blendendes Licht?

Er: Nein, nein […] man hat sich wohlgefühlt. […]

Ich: Hast du keine Angst mehr vor dem Tod?

Er: Ne, wenn das so läuft […] so wie da […]

Was ich dann eigentlich, was mich dann mal belastet hat, war eigentlich so diese Aufwachphase,

weil ich dann schon wieder so halb Delirium, halb wach … da hatte es sich im Kopf festgesetzt,

dass ich irgendwo einen Test machen muss, … man muss das machen, es war mit dem Herzen

verbunden, da muss ich jetzt irgendwo jetzt sag ich mal eine Prüfung ablegen und wenn ich die

nicht schaffe, dann bin ich tot. Das hat sich so drei/vier Tage festgesetzt, bis ich dann irgendwo

…, aber immer wieder zum bestimmten Zeitpunkt, das war dann irgendwo drei Wochen später,

da musste ich einen Test machen. […]

Ich: Es ist schon eine Art Veränderung im Leben zurück. […]

Ich: Und würdest du sagen, dass sich nach dieser Erfahrung in deinem Leben, außer dass du

keine Angst mehr vor dem Tod hast, was verändert hat? Wo du sagst, ok, dass kann vielleicht

damit zusammenhängen?

Er: Ne…

Ich: Also Persönlichkeitsveränderungen…

Er: Ne … ich hatte ja auch nie in der Zeit im Krankenhaus ein negatives Gefühl […]

Dann hatte ich irgendwann, das weiß ich wohl noch, wollte ich eine Flasche Wasser holen, kam

nur so halb aus dem Bett raus und kam nicht mehr vor und nicht zurück […], da habe ich vor

lauter Wut geheult…, weil ich so stinkig war, Hilflosigkeit halt.

Ich: Hast du das denn auch vorher gehabt, dass du bei solchen Situationen geheult hast? […]

Er: Ne, das hat sich dann so verändert. […]

Ich: Du hast gesagt, dass du die Zeit im Krankenhaus und in der Rhea nicht als negativ

empfunden hast, also hast du wahrscheinlich auch Kraft gewonnen für diese Zeit wieder

zurück ins Leben.

Er: Ja, einmal das Vertrauen in die Ärzte […]

Ich: Eine Art Veränderung des Sinns des Lebens hast du nicht gesehen? Also, dass du jetzt

sagst: „Ich sehe das Leben jetzt irgendwie anders?“

Er: Ja, ich sage mal…, ich mache mir eigentlich … nicht mehr so viele Gedanken/Sorgen. […]

Ich lebe jetzt vielleicht auch bisschen bewusst, genieße mehr (Sehnsucht nach ein Glas Bier).

XII


7.2.4 Interview S.

Persönliches Interview mit Frau S. aus Hilter am 22.07.2014

Frau S. machte 2007 während einer Operation bezüglich eines Protesenwechsels, währenddessen

sie viel Blut verloren hatte, eine Nahtoderfahrung. Zu diesem Zeitpunkt war sie 55 Jahre alt.

Sie meldete sich auf meine Zeitungsanzeige.

Ich: Ja, dann erstmal herzlichen Dank, dass ich das machen darf.

Sie: Ja gerne. Darum habe ich mich gemeldet und vielleicht kann ich Ihnen ja helfen.

Ich: Ja, das denke ich. Wissen Sie denn noch wie lange die Nahtoderfahrung zurück liegt?

Sie: Ja, das war ganz exakt 2007, im Juli/August 2007.

Ich: Ok und was für eine Ursache hatte diese Erfahrung, also was ist ja passiert?

Sie: Ja, ich hatte einen Protesenwechsel, ich hatte Knieprotesen und ähm da war eine Infektion

drin und die war sehr weit fortgeschritten und ich hatte eine OP und hatte dabei 3,5 bis 4 Liter

Blut verloren … ich war nahezu ausgeblutet und später hat mir dann der Arzt berichtet, dass sie

oben das Blut reinlaufen [gelassen haben] und unten lief es [wieder] raus ... gut das habe ich

dann eben erst ein paar Tage später, die Ursache. Ich weiß, dass dieser Zustand so schön war

(lacht). Das war der Grund wohl.

Ich: Ein schöner Zustand. Wie können Sie den denn beschreiben? Also was ist da so bei

Ihnen passiert?

Sie: Also ich habe nicht wirklich wahrgenommen, aus der Narkose aufgewacht zu sein. Ich

wusste auch nicht, dass ich auf der Intensiv liege. Ich wusste nur, dass ich in einem Zustand bin,

der ganz einfach schön war. Also ich habe mich wohlgefühlt, ich habe mich geborgen gefühlt, es

war so ein Schwebezustand. Ich fühlte mich ganz leicht. Ich kann auch nicht sagen, dass ich

Musik oder sowas gehört hätte. Ich war einfach in einer Situation, wo ich dachte, das braucht nie

wieder aufhören, das ist ja total genial. So ich hab so in Erinnerung, dass ich vielleicht so

kurzzeitig drüber nachgedacht habe, ob das jetzt besondere Medikamente sind, die mich da

reinversetzt haben, aber … das hielt ja an.

Ich: So eine Art Droge quasi…

Sie: Quasi … es wirkte… so stelle ich mir quasi die Wirkung von einer Droge vor. Das man halt

immer in so einem genialen … Zustand ist.

Ich: […] Das ein schönes Gefühl; Frieden und Ruhe ausgestrahlt wird.

Sie: Ja…

XIII


Ich: … das findet man häufig bei Nahtoderfahrenden. Haben Sie denn bereits mit anderen

Personen über so eine … ihre Erfahrung gesprochen? War das schwierig? Wie haben die das

aufgenommen?

Sie: Also interessant war, dass meine Schwester mir später erzählte … da war ich schon wieder

entlassen, dass sie mich am Morgen nach der OP angerufen hat und dass meine Aussage dann so

gewesen ist: „Also vorm Tod brauchst du keine Angst haben … Also der Tod, das ist total toll,

das kann ich dir jetzt schon sagen. Ab jetzt habe ich keine Angst mehr vor dem Tod“. […]

Und sie hat mir dann später erzählt und sie war natürlich ganz erschrocken (lacht) … dass sie

anruft und will wissen, wie die Operation gelaufen ist und das war meine erste Aussage.

Ich: Und sie reden vom Tod, dass der schön ist (lacht).

Sie: Richtig … und natürlich da habe ich das dann auch erzählt, mit meinem Mann darüber

gesprochen, eigentlich mit allen, dass, dass ich da in so einem Zustand gewesen bin.

Ich: Und war das für die normal oder haben die gedacht, die spinnt jetzt total, also …?

Sie: Ne… ich habe eigentlich erlebt, dass immer Interesse da war.

Ich: mm…

Sie: Nicht also, nachvollziehen glaube ich konnte es keiner so richtig, ähm, erwartet man ja auch

nicht.

Ich: Ne…

Sie: Aber ich habe ja eine Freundin, die in der Hospizbewegung arbeitet und die kennt natürlich

auch solche Patienten. Dass sie das auch schon mal berichten, aber so diese Geschichten, die

man liest, „Licht am Tunnel“, das habe ich alles nicht gehabt. Ich bin nur in diesem genialen

Zustand gewesen.

Ich: Es taucht ja nicht immer alles, sondern einzelne Elemente. Können Sie denn sagen, dass

sich danach in ihrem Leben etwas verändert hat? Also außer, dass sie jetzt sagen: Ok ich habe

keine Angst mehr vor dem Tod? Hat sich irgendetwas geändert? Vielleicht auch zum Tod, in

Verbindung mit dem Tod?

Sie: Ja … also das glaube ich schon. Vielleicht bin ich sowieso ein realistischer Mensch, das

weiß ich nicht, das kann ich ja nicht so beurteilen, aber ich glaube … also was sich wirklich

geändert hat, erstmal, dass man weiß, es kann einen jederzeit erreichen. Es gibt ja Jahre, da

glaubt man, man stirbt nicht und das ganze Leben liegt vor einem … das war damit erstmal

vorbei, aber ohne Angst und Schrecken, absolut ohne Angst und Schrecken und ja das diese

Sorge weg ist vorm Sterben. Eher ist die Sorge da, alt zu sein, als dass ich vor diesem Prozess

XIV


des Sterbens Angst hätte, weil ich so ziemlich sicher bin, dass man sich dann wieder in diesem

Zustand dann begibt.

Ich: Ja, dass das so ein Übergang ist.

Sie: Ja, das vermute ich schon und dass das nicht irgendwie so ein Gezerre ist. Was sich geändert

hat ist, dass ich erstmal zu der nächsten OP, die dann 2008 war, alles vorbereitet habe.

Betreuungsvollmachten, Patientenvorsorge, also wir haben gesagt, die Wahrscheinlichkeit zu

sterben ist dann einfach größer. Das hat sich geändert, dann dass man auch so praktisch das

Ganze mehr angegangen ist und 2011 gab es noch einmal eine ganz kritische Situation, das fand

ich auch ganz spannend. Da hatte ich einen arteriellen Verschluss…

Ich: Ok…

Sie: …in der Bauchhauptschlagader am Dünndarm und weiß vom Kopf her, dass das

grenzwertig ist, so eine Erkrankung. Aber ich habe das einfach gar nicht zugelassen … also …

im Nachhinein betrachtet, mit diesem Abstand denke ich, habe ich wirklich auf einem anderen

Stern gelebt. Ich habe einfach nicht zugelassen, dass ich schwer krank bin. Und der damalige

Operator im Marienhospital, der kam dann morgens bevor er operierte und sagte: „Sie sind

schwer krank“. […] Ich wusste ganz genau, was er mir sagen will…, aber puh … ich habe es

einfach so hingenommen…

Ich: Es akzeptiert, ja…

Sie: Ja … es hat mir auch überhaupt keine Sorgen bereitet … ich habe nur gedacht, ich stehe in

der Verpflichtung, das eben meinem Mann mitzuteilen. Ich denke, wenn mir was zustößt, kann

er das nicht gewusst haben … also habe ich den noch angerufen vor der OP und ihm das gesagt,

aber es hat keine Unruhe erzeugt und die Tage danach waren sehr schwer und es ging mir nicht

gut und dann habe ich … auch so mich darein gefunden … also ich habe immer gedacht, … zu

gesunden Zeiten gedacht, wenn man in solch einer Situation kommt, dann kommt Panik auf und

dann kämpft man … und man wird verrückt, aber ich war eigentlich ziemlich gelassen, aber habe

gedacht, ich warte jetzt mal ab, wie das weitergeht.

Ich: Aber durch die Tatsache, dass sie die Erfahrung wahrscheinlich gemacht haben, den

schwebenden Zustand, dieses Gefühl…

Sie: Man hatte sich da ja schon ganz, ganz gut [damit] auseinandergesetzt … so kurzzeitig habe

ich mir immer noch ein paar Gedanken wieder gemacht, wenn man da liegt, operiert ist, schwer

krank ist, kann man ja eigentlich nur denken, was anderes macht man ja nicht … habe ich

gedacht, was lasse ich hier zurück, wenn es nicht gut geht. Aber ich war dann auch ziemlich

XV


sicher, dass es schon funktionieren wird. Und da fand ich schon klasse, dass das so … so

sorgenfrei ging.

Ich: Na klar…

Sie: Also absolut sorgenfrei…

Ich: Nicht diese Ängste…

Sie: Und auch nicht dieses Klammern und dann … also die OP war freitags und ich glaube es

war so dienstags, dass ich überlegt habe, … ne so geht das auch nicht weiter, ich muss mich jetzt

selbst hier rausziehen. Wenn ich jetzt nicht selbst anfange zu kämpfen, dann…wie soll es dann

funktionieren. So, dann kam auch irgendwann dieser Umschwung, dass man merkte es ging Berg

auf und Donnerstagabend sagte der Operator: Ab jetzt haben sie das überwunden, ab jetzt geht es

Berg auf.

Ich: Das ist doch schön.

Sie: Aber da denke ich schon, dass das viel damit zutun hat, … ja dass man das halt eben als

nicht so schrecklich erlebt hat.

Ich: Ja, man weiß was da kommt.

Sie: Ja…

Ich: Ich denke das ist ziemlich wichtig, da ist nicht auf einmal … ja, eine Tür die zu ist und es

ist vorbei, sondern da ist was Schönes.

Sie: Ja, ja, das war ja diese OP von 2007, wo ich diese Erfahrung gemacht hab, dass … die OP

war morgens um halb acht; sieben Uhr bin ich in den OP gekommen. Das erste, an das ich mich

erinnere, das war dann abends halb sieben, dass mein Sohn am Bett stand und das aber auch nur,

nur so ganz kurz wahrgenommen und dann ging man wieder so in diesen (lacht)…

Ich: Trancezustand

Sie: …ja, ja, dass war einfach dieses ausgeblutet sein, so … wo man ja auch nicht wusste, wo

endet das jetzt und die Blutung war nicht zu stoppen in den Beinen, weil das alles marode war.

Ich: Ja, sie waren eigentlich in Lebensgefahr, aber haben diesen Schwebezustand gehabt…

Sie: Ja…

Ich: … und haben sich gut gefühlt dabei.

Sie: Ja, ja, das ist eigentlich fantastisch, dass es dies eben auch gibt. Das hilft uns ja auch durch

solche Zeiten zu kommen und wenn man dann auch nicht noch Kraft vergeudet mit „Oh du

lieber Gott nochmal, wie gehe ich da denn jetzt mit um?“, sondern dass man das auch so

hinnehmen kann. Und zu ihrer Frage, ob ich da mit anderen drüber gesprochen habe … da hatte

2012 aus dem Bekanntenkreis jemand einen ganz schweren Schlaganfall … und der sprach dann

XVI


mit mir darüber, dass er auf der Intensivstation lag und dass es ihm so egal war, wie es

weitergeht, ob ich das kennen würde … das fand ich dann auch nochmal ganz spannend. Wenn

man ihn auch kennt, er hängt so am Leben, dass er sagt, da konnte man sich einfach so hingeben

und dann hatten wir da auch nochmal drüber gesprochen.

Ich: Ja, … das ist doch auch schön, wenn man Parallelen bei anderen sieht.

Sie: Ja und vor allen Dingen auch mal mit, mit Leuten drüber spricht, die Ähnliches erlebt haben

und dass man auch ernst genommen wird oder auch die ernst nehmen kann, ne, denn das ist ja

die andere Geschichte, dass auch oft so etwas belächelt wird und interessant machen und, und

was weiß ich…

Ich: Ja das ist schon, ja … eine interessante Thematik…auch wenn ich erzähle, dass ich

darüber schreibe …

Sie: Aber eigentlich ist es auch ganz wichtig darüber zu sprechen, das ist nämlich so das

Nächste was mich seither so herumtreibt, dass wir in unserer jetzigen Situation oder in der

Gesellschaft soweit vom Tod abgerückt sind. Dass der Tod so wenig Platz noch hat im Leben. Es

wird nicht mehr zu Hause gestorben; wenn zu Hause gestorben wird, dann bitte ganz schnell in

die Friedhofskapelle, bitte ganz schnell zum Bestatter…

Ich: … schnell aus dem Haus…es ist ein Tabuthema.

Sie: Und vielleicht ist das eben auch gut, wenn man das doch hin und wieder so, so auch

thematisiert.

Ich: […] Sind sie ein christlicher Mensch?

Sie: Ja…

Ich: Hat sich das irgendwie ausgeprägt in dieser Sache?

Sie: Also ich würde schon sagen, dass ich christlich bin, aber ich praktiziere das nicht auf Deubel

komm raus (lacht) … im wahrsten Sinne des Wortes. Aber was ich interessant fand, als ich 2011

so sehr erkrankt war, … man denkt ja und denkt und denkt und denkt und es bleibt einem ja

nichts anderes, lesen kann man nicht, Fernsehen schauen kann man auch nicht. Ich habe immer

im Kopf Kirchenlieder gesungen, also äh, äh, äh in Gedanken und das fand ich so ganz schön, …

die sitzen ja… von Kind auf an.

Ich: Klar.

Sie: Was ich interessant fand, dass ich dann natürlich auch wieder zum Gebet finde…komischer

Weise…

Ich: Also die Verbindung zu Gott war in dem Moment schon da?

XVII


Sie: Ja, die war da und, und das ich auch so, all die, die schon verstorben sind, doch gebeten

habe: verflixt setzt euch für mich ein, so oder so…, aber irgendwie muss es jetzt weitergehen,

egal wie…

Ich: Es muss eine Entscheidung her…

Sie. Ja und auch meine Schwiegermutter, die, die noch gar nicht so lange tot war, das fand ich

also auch ganz spannend, dass man dann in so eine Situation kommt und, und wieder Kontakt

aufnimmt zu eigenen Eltern oder eben auch zur Schwiegermutter.

Ich: Das ist ja auch ein Phänomen der Nahtoderfahrung, dass man ja auch Kontakte zu

Verstorbenen hat. Manche sehen die sogar oder fühlen die oder nehmen die, ja dadurch wahr.

Also das hört man ganz oft.

Sie: Ja, aber das ist ja interessant, also das war mir jetzt noch gar nicht bewusst.

Ich: Begegnung mit Anderen…meist sind es Verstorbene, teilweise sogar Verstorbene, die

man gar nicht gekannt hat, die man nur aus Erzählungen kennt und mit denen man dann in

Kontakt tritt. Man sieht sie ja nicht in dem Sinne, man fühlt sie, man nimmt sie wahr und

irgendwie kann man die Gedanken übertragen.

Sie: Ja, ja, das ist ja spannend, aber das hatte ich in der Situation 2011, das hatte ich nicht in

2007, da war ich einfach nur gut zufrieden. […]

Ja, da hat sich schon etwas geändert, manche Dinge sind nicht mehr so wichtig, jetzt, ja, das

merke ich; ich habe nicht mehr so das Bedürfnis überall mitzumischen … ich bin sonst immer

ganz aktiv gewesen, ehrenamtlich, das Bedürfnis ist gar nicht mehr da. […] Auch das

Zusammenleben oder das Verhältnis zu meinen drei Kindern, dass ich da ganz viel einfach so

zulassen kann. Dass mir das egal ist…

Ich: Das ist deren Leben…

Sie: Ja…also ich sag immer, wir haben sie erzogen, wir haben sie vorbereitet auf das Leben,

dann muss ich jetzt nicht ständig noch reinreden, die werden schon wissen, was sie machen.

Ich: Das war vorher vielleicht anders.

Sie: Ja, ich glaube das war anders, ja, dass man sich doch mehr auf sich selbst besinnt und auf

die Situation.

Ich: Also der Sinn des Lebens hat sich dementsprechend ein bisschen verändert.

Sie: Ja, dass man wirklich lebt, klar…, so wie wir wohnen […], aber dass so gewisse Dinge

einfach so im Hintergrund stehen. Dass es mehr darauf ankommt, dass es innerlicher, so

verinnerlichter, geistlicher zu sein. […] Ich ärgere mich zwar noch zwischendurch über

XVIII


Entwicklungen in der Gesellschaft und in der Politik, […] aber dieses Große, das bringt mich

nicht mehr unbedingt um. […]

Aber was ich schade finde, nach der Frage nach dem Glauben, was ich wirklich richtig schade

finde, dass man dann betet, dass man dann nah bei Gott ist und wenn es einem wieder gut geht,

dann ist das nicht mehr. Und da habe ich gedacht, das wird nicht so sein, es ist trotzdem so. […]

Ich: Mein Schwerpunkt ist ja auch so, was verändert sich im Leben?

Sie: Also es ist eine Gelassenheit seitdem, eine größere Gelassenheit seitdem da, das kann ich

wirklich sagen. […] Wärme und Geborgenheit und dieses Schweben, ich kann es wirklich nicht

anders beschreiben. […] Ach ja, das habe ich ja bei dem Telefonat schon gesagt, dass mir dann,

dass immer wieder so kam bei den FolgeOPs […] da habe ich immer gedacht, ob dieser Zustand

wieder eintritt, wobei ich ja wusste, es hatte was mit dieser maßlosen Blutung zu tun und diese

maßlose Blutung war nicht unbedingt was Gutes, auch das kann ich ja unterscheiden, auch, auch

analysieren und trotzdem ist es nichts Schlimmes und dennoch war immer so unterschwellig da,

dass will ich nochmal erleben.[…]

Es ist kein Wunsch nach sterben, es ist keine Todessehnsucht. […]

XIX


7.2.5 Interview V.

Telefonat mit Herrn V. aus Osnabrück am 22.07.2014

Der Mann möchte unbekannt bleiben. Er ist pensionierter Religionslehrer im Alter von 66 Jahren

und hatte mit zehn Jahren eine Erfahrung gemacht, in den Elemente der Nahtoderfahrung zu

erkennen sind; zu diesem Zeitpunkt wäre er fast ertrunken. Der Kontakt kam über die

Zeitungsanzeige.

Er: „Also das sind jetzt 55 Jahre her, denn ich war/bin ertrunken und habe das alles so

mitbekommen, so diesen Kampf, und habe mich dann ergeben und so und kam dann wieder zu

mir, als ich auf der Bank lag und dann (unverständlich) …

Und kam dann wieder zu mir und habe das dann total verdrängt und dann kam es vor zehn

Jahren in einer Kur kam es wieder hoch und … also ich hatte zwischendurch habe ich mal

einmal im Jahr dran gedacht, aber…

Dann das Vergessen und dann kamen immer die Tränen, wenn ich davon erzählte, aber jetzt

nach der Therapie kann ich da …

Ich: … offener drüber reden. Ja man hat das sicherlich verdrängt, weil man war ja zehn

Jahre und es hat wahrscheinlich dann eh keiner geglaubt in dem Sinne, hat man gedacht

und…

Er: Doch, also ja … man hat auch nicht mit mir drüber gesprochen und …

(Er nimmt Bezug dazu, dass er im Sommersemester 2014 an der Universität Osnabrück einen

Gastvortrag gehalten hat; die Zusammenschrift lässt er mir zukommen und bittet mich, bei

Verwendung keinen Namen anzugeben).

Ich: Hat sich denn dadurch was in ihrem Leben verändert? Also wo sie sagen, dass hat sich

geändert und bezieht sich auf die Erfahrung, die ich mit zehn Jahren gemacht habe oder ist es

eher so, dass man es wirklich nur verdrängt hat und es jetzt hoch gekommen ist?447

Er: Also, die Familie wusste das und Bekannte wussten das auch, aber ich habe wahrscheinlich

immer allen so durch Tränen in den Augen signalisiert, sie sollten nicht weiter nachfragen und

dann … mir selber war das schon immer so bewusst, so für einen kurzen Moment so, wenn ich

so ins Wasser sprang oder so dann war das für einen Moment häufig da und meine Einstellung

zum Leben, die ist schon dadurch geprägt, dass ich immer eben aus der Erfahrung wusste, das

447

Vgl. Zusammenschrift V., XXXI-XXXV.

XX


Leben kann von einer Sekunde zur anderen lautlos zu Ende sein. Der Tod in dem Sinne war für

mich ja so…ja so… ja so ein gewöhnlicher Begleiter hätte ich fast gesagt.

Ich: Der (Tod) gehört einfach dazu…

Er: Der (Tod) gehörte einfach dazu… und vor allen Dingen … weil ich wusste, dass es von einer

Sekunde zur anderen so völlig überraschend so sein kann.

Ich: Mm … ja das sagt man ja oft, dass es sehr prägend ist, dass sich dadurch der Sinn des

Lebens oder die Einstellung an sich zum Tod halt ändert.

Er: Also ich würde mal sagen, momentan würde ich es zusammenfassen mit einer größeren

Gelassenheit …

Ich: Das sagte die Frau, mit der ich heute Morgen gesprochen habe auch. Dass sie dadurch

total gelassen und weniger Angst ähm hatte, ähm die hatte das im Zuge einer

Protesenoperation, also eines Protesenwechsel und hatte da viel Blut verloren und ist 62 und

es war 2007 und sie sagte auch, das war so totale Gelassenheit danach im Leben. Man regt

sich nicht mehr so auf oder man hat halt andere … was anderes ist wichtiger.

Er: Ja ja,… man denkt es gibt noch Wichtigeres (lacht) als den aktuellen Streit oder so…

Ich: Ja genau.

Er: Ob das nun … ich will nicht behaupten dass das in allen Situationen so getragen hat, aber so

im Grunde … schon so … es war irgendwie … ich kann ja nicht in andere hinein schauen, aber

ich würde mal vermuten, so ein größeres Wissen um den Tod, so …

Dass der Tod einem näher ist als…

Ich: Ja, weil man das schon einmal erlebt hat und andere halt nicht, ja… ja…

Er: Und natürlich diese, diese, diese Angst bei dem Todeskampf, ähm, die war natürlich extrem

so, obwohl ganz am Schluss, das würde sich so zu sagen mit [Frau] Kübler-Ross ja oder ein

bisschen mit ihren Stufen und so … also ganz am Schluss war ich, würde ich sagen gelassen und

habe mich Gott ergeben.

Ich: Mm … also man schreibt, ja es wird ja in der Forschung oft genau davon gesprochen,

dass dieser Friede, dieser Ruhezustand, man ja Geborgenheit, Wärme, ja…

Er: Ich hatte so das Bewusstsein nach dem Motto „next door to heaven“

Ich: Ja

Er: Das war schon so.

XXI


7.3 Leitfäden

7.3.1 Leitfaden B.

Leitfaden für die Interviews mit Nahtoderfahrenden

Herr B. meldete sich auf meine Zeitungsanzeige. Er erlebte seine Nahtoderfahrung während

eines körperlichen Zusammenbruchs.

Herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview genommen haben. Sie haben

außergewöhnliche, vielleicht auch unerklärliche Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Tod

wahrgenommen. Im Kontext meiner wissenschaftlichen Untersuchung liegt der Schwerpunkt auf

den individuellen Wahrnehmungen und der Veränderung für das spätere Leben. Deshalb möchte

ich Sie zu ihren persönlichen Erfahrungen befragen.

Wissen Sie noch, wie lange Ihre Nahtoderfahrung zurück liegt?

11 Jahre (2003)

Ich weiß, dass der Anlass, der zu solchen Ereignissen führt, sehr unterschiedlich sein kann.

Mögen Sie mir erzählen, was bei Ihnen der äußere Umstand für Ihre Nahtoderfahrung

war? Können Sie vielleicht Ihre damalige Situation beschreiben?

Körperlicher Zusammenbruch, Ohnmacht, Kreislaufkollaps

Wenn Sie an ihre Nahtoderfahrung zurück denken, an was erinnern Sie sich in diesem




Wärme gespürt, angenehme Musik (Orchester), angenehmes Gefühl,

Mögliche Nachfragen, um in die Tiefe zu gehen:

• Was haben Sie auf der anderen Seite wahrgenommen? Was haben Sie

währenddessen gefühlt?

Wohlgefühl

XXII



Keine Rückschau


kurze Zeit


nein


nein


keine Verbindung zu Gott oder irgendwelchen Wesen.

Haben Sie bereits mit anderen Personen über Ihre Nahtoderfahrung gesprochen?

Wenn dies der Fall war, wie haben Sie diese Gespräche in Erinnerung?

Ja, Überraschung, Interesse, manchmal Heiterkeit. In unspektakulärer Erinnerung.

Können Sie von einer Veränderung in Ihrem Leben nach dieser Erfahrung mit dem

Tod sprechen? Gab es vielleicht einen gravierenden Wandel in Ihrem „neuen“

Leben?

Gravierend nicht, ich nehme an, dass Angst vor dem Tod unbegründet ist, habe aber

dennoch Angst davor.

Was hat bei Ihnen persönlich danach an Bedeutung zugenommen oder abgenommen?

Wunsch nach einem bewussterem Leben. Nachdenken über die Vergangenheit.

Wie deuten Sie Ihre Nahtoderfahrung? Was hat diese Erfahrung Ihnen gezeigt?

Der Tod kann überraschend kommen, angenehme Begleiterscheinungen können sein,

Hat diese Erfahrung sich vielleicht auch auf Ihr Verständnis von „Sinn im Leben“

ausgeprägt?

Anfangs ja, aber im Alltag nach einer gewissen Zeit verblassen die Erlebnisse.

XXIII


7.3.2 Leitfaden E.

Ausgefüllter Leitfaden von Frau E. aus Hilter

Sie meldete sich auf meine Zeitungsanzeige.


Dieses Erlebnis hatte ich bei der Geburt meines Sohnes, am 17.04.1985.


Mögen Sie mir erzählen, was bei Ihnen der äußere Umstand für ihre Nahtoderfahrung


Als Risikoschwangere war ich schon acht Tage vor der Geburt im Krankenhaus. Alle waren sehr

besorgt um mich, aber keiner der Ärzte hatte bemerkt, dass ich für eine normale Geburt zu eng

gebaut war. Im April 1982 ist meine Tochter per Kaiserschnitt geboren worden. So gab es für

mich, und auch für die Ärzte keinen Hinweis auf die dann folgende Situation: Kurz nachdem ich

eine Rückenmarkspritze bekommen hatte, und dadurch schmerzfrei war, wurde mein Sohn

geboren. Dabei wurde mein Unterleib so aufgerissen, dass ich sofort in Ohnmacht fiel. Als ich

wieder zu mir kam, hing ich an einer Bluttransfusion. Davon bekam ich insgesamt 13 Stück.





Das Blut, das ich bekam, verließ meinen Körper sofort wieder und zwar bis an die Grenze des

Möglichen. Irgendwann, ich kann nicht mehr sagen, wann genau, sah ich ein langes Rohr, an den

Innenwänden waren lange Feuerzungen in gelb und rot, kein Brennen, kein Rauch, am Ende war

eine große Öffnung. Hier konnte man helles strahlendes Licht sehen und ab und zu erschien ein

Zeichen, das aussah, wie ein winkender Finger…(so wie komm, komm…)… und ich habe mich

am anderen Ende des Rohres festgehalten. Leider kann ich nicht sagen, ob ich mich wirklich an

irgendetwas festgehalten habe. Vielleicht habe ich die Hand einer Krankenschwester stark

gedrückt. Immer wieder kam ich zu mir, habe die Ärzte manchmal angeschrien, sie sollten sich

etwas einfallen lassen…habe zu hören bekommen, dass ich sterben muss…

XXIV




Meine Wahrnehmungen waren sehr kurz, wenn ich bei Bewusstsein war, habe ich mich

mit den Ärzten besprochen, sie auch angeschrien, sie wirkten alle total hilflos. … und

dann wieder war ich weit weg, sah diese Bilder, die mir einerseits Angst machten, aber

andererseits einen beruhigenden Einfluss auf mich hatten. Wenn ich wach wurde, fühlte

ich mich immer sehr gestärkt, was ja auch irgendwie stimmte (schließlich hatte ich

wieder Blut)


Eine bewusste Rückschau habe ich nie vorgenommen. Es dauerte lange, bis meine

Wunden verheilt waren, und noch heute kann ich, wenn ich die Augen schließe, dieses

Flammenrohr sehen. Ich fühle mich, als wäre ich gestärkt worden, und diese Kräfte habe

ich gut brauchen können. Mit all meiner Kraft und viel Liebe war ich für meine Kinder

da. Mein Mann wurde Alkoholiker und mit 15 Jahren hatte mein Sohn plötzlich Krebs.

Als er dann mit 17 verstarb, war mir klar, dass wir uns eines Tages wiedersehen würden,

denn er ist ins Licht gegangen, in dieses Licht, das schon für mich einmal gestrahlt hatte.

Es gab mir Trost, das zu wissen.


Während meines Erlebnisses war ich völlig ohne Zeit und Raum. Ich vermute, dass es

sich um Stunden gehandelt haben wird. Aber dies ist nur eine Vermutung.


Nein, ich hatte keinen Kontakt zu Verstorbenen. Meine Mutter war 1980 gestorben, ich

hätte sie gerne gesprochen.

XXV




Ist nicht zu beantworten!

Haben Sie bereits mit anderen Personen über Ihre Nahtoderfahrung gesprochen? Wenn


Leider war damals die Tatsache vorrangig, dass ich lebte, und dass es meinem Sohn gut ging.

Allerdings hatte ich selbst auch nicht unbedingt das Bedürfnis, etwas von meiner Erfahrung zu

erzählen. Vielleicht hatte ich auch Angst davor, ausgelacht zu werden oder Sprüche zu hören,

dass ich mir das nur einbilde. Viele Jahre später war ich in einer Frauen-Tanzgruppe. Alle

Altersgruppen waren vertreten. Irgendwann hatten wir ein gemütliches Beisammensein, bei dem

dann auch u.a. das Thema Geburt besprochen wurde. Ich habe mich nicht daran beteiligt.

Erfahrungsgemäß ist es so, dass alle es am Schlimmsten hatten und ich ungern „übertrumpfe“.

Bis eine junge Frau aufstand, von der ich wusste, dass sie Krankenschwester ist. Sie sprach mich

an, ob ich nicht erzählen wollte. Als ich nur den Kopf schüttelte, fing sie an zu erzählen. Sie

stellte mir ein paar Fragen, wie um sicher zu gehen, und ich hörte meine Geschichte. Sie nahm

mich in den Arm und sagte nur, dass sie mich als junge Schwesterschülerin auf der

Intensivstation gepflegt hatte. Alles war still…und dann erzählte ich das erste Mal in aller

Öffentlichkeit mein Nahtoderlebnis.

Können Sie von einer Veränderung in Ihrem Leben nach dieser Erfahrung mit dem Tod


Nein, diesen Wandel gab es nicht. Obwohl ich oft darüber nachgedacht habe, warum gerade ich

ein Wunder von Gott bekommen habe. Manchmal habe ich auch gedacht, dass ich doch nun

etwas Besonderes aus meinem Leben machen müsste. Aber außer viele Sorgen und Krankheiten

ist nichts passiert.


Anfangs meinte ich schon, dass ich Gott mehr zugetan war, aber der Alltag hatte mich sehr

schnell wieder.

XXVI



Diese Erfahrung hat mir ganz klar gezeigt, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Irgendwas

muss es geben!


ausgeprägt?

Dies ist eine schwierige Frage. Wenn ich mein Leben Revue passieren lasse, hat mir dieses

Leben zumindest immer wieder Kraft gegeben. Es war ansonsten sehr schwer, in allem was

passiert ist, einen Sinn zu sehen. Allerdings hat mir diese Erfahrung die Angst vor dem Tod

genommen.

Erster Mailkontakt von Frau E. auf meine Zeitungsanzeige:

Hallo Fremder,

in der NOZ von gestern habe ich deine Anfrage gelesen. Ich erzähle dir gern meine Geschichte,

wenn sie dir weiterhelfen kann. Damals war ich 30 Jahre alt und ich sollte mein zweites Kind

bekommen. Drei Jahre vorher hatte ich eine Geburt per Kaiserschnitt und es war alles gut

gegangen. Die Ärzte entschieden, dass dies eine normale Geburt wird. Sie hatten übersehen, dass

sich zu eng gebaut war. Nachdem ich eine Rückenmarkspritze bekommen hatte, ging es sehr

schnell. Mein Sohn kam zur Welt und riss mir dabei meinen ganzen Unterleib auseinander, ich

fiel augenblicklich in Ohnmacht. Als ich das nächste Mal wach wurde, hing ich an einer

Blutkonserve. Die Ärztin sagte mir, dass das Blut nicht im Körper bleibt, es läuft quasi durch.

Ich habe insgesamt 13 Blutübertragungen bekommen. Jedesmal, wenn ich wieder zu mir kam,

habe ich die Ärztin angeschrien, sie sollte sich was einfallen lassen. Ich wollte nicht sterben.

Irgendwann merkte ich, wenn das Blut meinen Körper verließ, dass ich in ein langes „Rohr“ sah.

Es ist schwer zu beschreiben: Das „Rohr“ war an den Innenwänden mit „Flammen“

ausgeschlagen in rot und gelb, ja wie Feuer sah es aus … Ja, also Flammen bildeten sich eine

lange Strecke lang an den Innenwänden, bis zur Öffnung, da strahlte helles Licht. Manchmal

bewegte sich in diesem Licht so etwas wie ein winkender Finger…ich kann nicht mehr sagen,

wie oft ich das gesehen habe, es kam mir vor, als würde ich mich am Ende dieses „Rohres“

festhalten, und jedesmal wenn ich zu mir kam, hoffte ich, dass eine rettende Idee da war.

Tatsächlich kam, wie man sieht, diese rettende Idee. Direktübertragung von meiner Familie hatte

mir dann das Leben gerettet. Dies war für alle ein Wunder. Später bin ich, auch in diesem

Zusammenhang ins Koma gefallen, an diese Zeit habe ich keinerlei Erinnerung.

XXVII


7.3.3 Leitfaden K.

Ausgefüllter Leitfaden von Frau K. aus Köln

Ich lernte Frau K. während eines Urlaubes kennen. Sie machte ihre Erfahrung im

Zusammenhang mit einem Autounfall.


- über zehn Jahre


Mögen Sie mir erzählen, was bei Ihnen der äußere Umstand für ihre Nahtoderfahrung


Autounfall wegen Glatteis. Ich kam auf einer kleinen Landstraße plötzlich ins Schleudern, war

alleine.





Es zeigten sich mir kleine Sequenzen meines bisherigen Lebens. Bruchstücke, näheres leider

nicht bekannt



Ich empfand mich als Beobachterin, meine Selbstgefühle empfand ich dabei nicht.

Dabei verlor ich durch das Schleudern die Orientierung (Raum).


Nicht bekannt


unendlich


Nicht bekannt

XXVIII



Nicht bekannt


Nein, ich würde eher von einer neuen Dimension sprechen.

Haben Sie bereits mit anderen Personen über Ihre Nahtoderfahrung gesprochen? Wenn


Ja, nicht besonders über solche Dinge zu sprechen und sprechen zu können!

Können Sie von einer Veränderung in Ihrem Leben nach dieser Erfahrung mit dem Tod


Nein, denn vorher gemachte Erfahrungen haben mich mehr geprägt (z.B. Tod meines Vaters in

jungen Jahren)!


Zugenommen hat das Bewusstsein über mich selbst und meine Endlichkeit Vor allem die

Sensibilität!


Sie war ein weiterer Schritt, dem Thema Tod zu begegnen.


ausgeprägt?

Ja, gewiss! (siehe Frage zur Bedeutungszunahme)

XXIX


7.3.4 Leitfaden M .

Ausgefüllter Leitfaden von Frau M. aus Osnabrück

Frau M. wäre im Alter von acht Jahren fast in einem provisorischen Freibad mit Lehmboden

ertrunken. Das war 1958 in Oberhessen (Heldenbergen-Windecken). Sie meldete sich auf meine

Zeitungsanzeige.

Meine Mutter, damals 46, Nichtschwimmerin, hatte sich mit meinen Cousinen, Evelin,16 aus

Berlin, Gerlinde,12, vom Ort dort und mir, Nichtschwimmerin, zu eben erwähnten Bad

aufgemacht. Das Schwimmbad lag etwa mittig zwischen Heldenbergen und Windecken, also war

es ein gutes Stück über Land zu laufen, Ein sehr heißer Landsommertag.

Schon bevor wir das Bad erreichten, wurde meine Mutter nicht müde, mir einzuschärfen, nur ja

nur am Rand zu bleiben.

Meine beiden älteren Cousinen konnten schwimmen und ich bewunderte das sehr. Irgendwann

kam mir die Idee, ich könne ja auch so tun als ob und ruderte mit den Armen, aber immer noch

mit Bodenkontakt der Füße. Plötzlich rutschte ich und der Bodenkontakt war weg. Ich kam unter

Wasser, schluckte viel Wasser, kam wieder hoch, wieder runter, etwa dreimal, dann nicht mehr.

Bis meine Cousine Evelin mich hochzerrte und zum Ufer brachte, hatte ich das phantastischste

Erlebnis meines Lebens gehabt - und ich war ihr nicht dankbar, dass sie mich aus dem Wasser

gezogen hatte, aber es war eben so vorgesehen.

Zuerst war das viele Wasserschlucken und mein Kampf, zurück an die Oberfläche zu kommen,

schrecklich - dann nach dem letzten Untertauchen blieb ich unten und mir war, als würde ich

rasend schnell durch eine Röhre oder Ähnliches gezogen. Währenddessen sah ich mein ganzes

bisheriges Leben, jede Situation wurde gezeigt. Aber nicht nur gezeigt, sondern auch gefühlt und

bewertet. Eine Situation z.B.: Ich sah mich frech sein zu meinem sehr wohlmeinenden Vater -

gleichzeitig fühlte ich seinen Schmerz über mein Verhalten, aber auch meinen Schmerz, ihn

verletzt zu haben.

Dann war ich an einem ganz anderen Ort. Und ab hier ist jedes Wort, was wir kennen eigentlich

nur ein Beschreibungsversuch, denn da es eine ganz andere Umgebung ist, als wir sie kennen,

kann man die Umgebung und Gefühle nicht auf unsere irdischen Wahrnehmungen übertragen,

weil einfach nichts Vergleichbares vorliegt.

Zu allererst fiel mir auf, dass es keine Schwerkraft gab. Man fühlte seine Körper nicht als festes

XXX


Gewebe, man schien zu schweben. Es war ein wunderbares Licht um mich, das Gefühl von

Glück war durchdringend. Man schien sich mit Gedanken fortbewegen zu können. Ich wusste

genau, hier kommt jeder hin, wenn er stirbt. Aber - es gab noch etwas anderes, etwas, wohin man

automatisch zustrebte: ich kam zu einer Art Durchgang im Licht, Es waren zwei Lichtgestalten

im Licht, die den Durchgang „bewachten", ich sah keine Gesichter, jedoch große Lichtgestalten.

Sie hatten die Entscheidung über Einlass oder nicht.

Ich wollte so gerne hinein, ich wollte bleiben und nicht zurück. Es kam zu einer Art

Gedankenaustausch : „Du bist noch nicht soweit". „Ich will aber nicht mehr auf die Erde".

„Du bist noch nicht soweit. Du musst noch einige Male auf der Erde leben und wenn du jetzt

bliebest, hättest du noch ein extra Leben dazu". So dachte ich, wenn es sowieso so ist, mache ich

lieber dieses Leben zu Ende, einige Jahre sind ja schon vorbei. (Ja, so genau dachte ich mit nur 8

Jahren!) „Und schau, wenn Du bliebest, welchen Schmerz Deine Mutter hätte - schau..." Und in

dem Moment sah ich meine Mutter, wie sie wild am Rand des Beckens nach meiner Cousine

rief, mich zu suchen.

Ich fragte noch, wie oft ich noch auf die Erde müsste und wie lange dieses Leben wäre, bekam

aber keine präzisen Antworten auf die zwei Fragen, nur ungefähre.

Ich verstand, dass die Antworten auch nur ungefähr sein konnten, weil es darauf ankam, wie man

diese Leben lebte. Ich verstand genau, man ist auf der Erde zu lernen und gewisse Dinge zu

meistern. Entwickelt man sich gut, steigt man schneller auf.

Ich hatte verstanden, dass ich lange noch nicht soweit war, den Aufenthalt an diesem

unbeschreiblichen Ort musste man sich erst erarbeiten.

So kam ich zurück, da meine Cousine mich von unten aus dem Wasser mit aller Kraft nach oben

riss. Sie schrie mich an, aber ich war unfähig zu sprechen. Auch auf der Decke wieder bei

meiner Mutter sprach ich nicht. Zu groß war der Unterschied hier zu dem erlebten anderen

Zustand.

Später gingen wir alle nach Hause, wie schon erwähnt, lag das Bad zwischen zwei Ortschaften

und es war ein gutes Stück über Land nach Hause zu laufen. Ich hörte sie alle reden, aber war

nicht richtig bei ihnen. Mir war, als müsse ich erst wieder auf dieser Erde laufen lernen, als ich

Schritt für Schritt durch das Gras am Wegesrand ging.

Ich wusste, dass ich etwas Unglaubliches erlebt hatte - Menschen würden es nicht verstehen,

aber mir würde es ein ganzes Leben bleiben - wie ein großes Geheimnis, wie ein

Riesengeschenk.

Später fragte mich meine Mutter, warum ich so still sei und ich habe ihr gesagt, ich war

XXXI


irgendwo im Licht und ich glaube, da waren zwei Engel (die Lichtgestalten), und es war

wunderschön und ich wollte bleiben, aber sie zeigten mir dich am Beckenrand, wie du nach

Evelin riefst, mich zu finden, und so kam ich zurück und muss zu Ende leben.

Meine Mutter sagte: „Ach Kind, sprich nicht so - aber wie kannst du wissen, was am Beckenrand

geschah, du warst doch unter Wasser?"

Hier endet meine Nahtoderfahrung vom Sommer 1958.

Zur Frage, ob das oder die Wesen Gott war. Es war nicht Gott, aber es waren göttlich Wesen,

die sozusagen vor dem Eingang in den nächsten Abschnitt Wache hielten.

Mein Glaube an eine Existenz nach dem Leben auf der Erde steht unerschütterlich fest. Ich weiß

als Kind schon bedauerte ich jeden Menschen, der diese/meine Erfahrung nicht machen durfte.

Mir tut auch jeder Mensch Leid, der einfach sagt: Mit dem Tod ist alles zu Ende - nein, etwas

Phantastisches fängt an.

Zusatz per Mail am 28.07.2014:

Ich hätte gerne noch einmal darauf hingewiesen, dass mir gesagt wurde, ich müsse noch einige

Male auf die Erde zurück und leben. Wenn man eine gewisse Reife erlangt hat, braucht man

nicht mehr zurück. Als Kind hatte ich gar keine Ahnung von Wiedergeburt! Nach dieser

Erfahrung steht Wiedergeburt folglich für mich fest.

Noch etwas zu den Mitmenschen, wenn ich ganz selten vom Erlebnis sprach: Man wurde seltsam

angeschaut, ich glaube einfach nicht für Ernst genommen.

7.4 Zusammenschriften

7.4.1 Zusammenschrift V.

Vor 56 Jahren habe ich eine traumatische Erfahrung gemacht, die mich gelegentlich einholt, die

ich dank therapeutischer Unterstützung einigermaßen verarbeitet konnte, die mich auch positiv

geprägt hat. Deshalb sage ich klar: Sie dürfen mich anschließend alles fragen! Das Vorlesen soll

nur sicherstellen, dass alles Wesentliche zur Sprache kommt.

Ich war Gymnasiallehrer für Englisch und Katholische Religion. Aufgewachsen bin ich als

Landarbeiterkind im westlichen Münsterland mit der Prägung, dass es jenseits der realen

sichtbaren Welt und uns bergend noch eine andere, jenseitige Sphäre gibt, in die wir eines Tages

alle einkehren.

XXXII


Im Alter von zehn Jahren bin ich 1958 im Schwimmbad einer „Klosterschule“ „beinahe“

ertrunken. Zu dem Zeitpunkt konnte ich noch nicht schwimmen. Ich versuchte, an einer Ecke des

Schwimmbades, wo man noch stehen konnte, schwimmen zu lernen. Dabei wurde ich vermutlich

unbeabsichtigt geschubst und rutschte auf der wegen der Algenbildung glitschigen Schräge des

Beckenbodens unter Wasser und konnte trotz verzweifelter Versuche nicht nach oben an die

rettende Luft kommen.

Ich erinnere: totale Stille in äußerster Einsamkeit

Kälte

Angst und Panik

Wissen um die lebensgefährliche Situation

Helligkeit bzw. grünliches Licht nach oben

Bestreben, die Luft anzuhalten,

irgendwann der Zwang, den Mund aufmachen

höllischer Schmerz hinten im Rachen beim Wasserschlucken

Wundersamerweise wurde ich gerettet, weil ein anderer Junge dem Bademeister gesagt haben

soll, dass da einer so lange taucht. Als ich zu mir kam, lag ich auf dem Boden, man machte

komische Bewegungen mit meinen Armen und ich verspürte ein seltsames Gefühl im Rachen.

Ich schämte mich angesichts der vielen stummen Gesichter, die von oben auf mich gerichtet

waren.

Es erfolgte weder eine Notarztbehandlung noch eine Krankenhauseinweisung. Ich erlitt keine

Amnesie, d.h. einen Gedächtnisverlust für den Zeitraum vor oder nach dem Unfall. Ich hatte kein

Nahtoderlebnis, keine Bewusstseinstrübung, und konnte bald darauf schwimmen. Der jüngeren

Schwester habe ich wenige Jahre später sogar das Schwimmen beigebracht und soll ihr dabei

jede Angst davor genommen haben mit dem Argument, dass es leicht sei. Eines schaffe ich

allerdings bis heute nicht: unter Wasser die Augen aufzumachen.

Unter Ertrinken im eigentlichen Sinn versteht man den Tod durch Einatmen von Flüssigkeiten.

Beinahe-Ertrinken bezeichnet einen Ertrinkungsunfall, der zumindest einige Zeit überlebt wird.

Weltweit sterben 4 von 100.000 Menschen pro Jahr den Ertrinkungstod. Bis Ende August waren

XXXIII


z. B. im Jahr 2001 in Deutschland 406 Menschen ertrunken, darunter 59 Kinder im Vor- und

Grundschulalter, also rund 50 pro Monat.

Wird der Ertrinkungsvorgang überlebt, bestimmen im Wesentlichen die Lungen betreffende

Komplikationen, die durch das Eindringen von Flüssigkeiten in die Lungen entstehen, und das

Ausmaß der Schädigung des Zentralnervensystems die Prognose. Etwa 90% aller Verunfallten

aspirieren Flüssigkeit in ihre Lungen (nasses Ertrinken). 10-15% entwickeln im Rahmen des

Ertrinkungsvorganges eine Verkrampfung der Stimmritze des Kehlkopfs, der ein Eindringen von

Flüssigkeit in die Lunge selbst bei tiefer Bewusstlosigkeit und oft bis über den Tod hinaus

verhindert (trockenes Ertrinken). Vielleicht bin ich aufgrund dieses wirkungsvollen

Schutzmechanismus ein Beinahe-Ertrunkener, denn an besondere Lungenprobleme kann ich

mich nicht erinnern.

An folgende Gedanken während des Todeskampfes und/oder nach der Einsicht, dass es keine

Rettung geben würde, erinnere ich mich:

- Mama und Papa werden mich vermissen und sehr, sehr traurig sein.

- Ich bin noch so jung und habe das Leben doch noch vor mir! Ich bin so traurig!

- „Gott, ich ergebe mich dir“.

I knew that I was next door to heaven: Ich sah klar das Ende meines Lebens gekommen und habe

auf dem Boden des Schwimmbades eine grundsätzliche Entscheidung für Gott getroffen.

Niemand hat mit mir darüber gesprochen, ein Umstand, der mich lange wütend gemacht hat.

Meine Eltern erfuhren erst nach Tagen davon, und ich habe das Geschehen in einem Brief

bagatellisiert. Die Erzieher waren vermutlich froh über den glücklichen Ausgang und

beobachteten an dem spielenden Jungen keine Veränderungen.

Heute bin ich besonders dankbar, dass ich ohne physischen Schaden überlebt habe. Diese dritte

Variante der möglichen Folgen ist mir erst vor einigen Jahren durch einen Radiobeitrag über

einen 45 Jährigen Mann bewusst geworden, der als Kleinkind aus dem Wasser gerettet wurde,

aber bis heute nur im Bett liegt und über den Verstand eines Dreijährigen verfügt.

45 Jahre lang konnte ich das Geschehen mehr oder weniger erfolgreich verdrängen; zum

Selbstschutz sagen die Psychologen. Wenn es gelegentlich zur Sprache kam, signalisierten meine

stockende Stimme und Tränen in den Augen wohl: Fragt bloß nicht weiter. Meine Frau und die

XXXIV


beiden Töchter wussten darum, haben aber nicht nachgefragt. Ein Nachbar, dessen Bruder

Bademeister im Wohnort war, sagte mir später, er wüsste keinen im Ort, der so häufig mit seinen

Kindern schwimmen gegangen sei. Heute sehe ich das auch als therapeutische Selbst-

heilungsversuche an. Nach einigen Stunden Wasser - Chiatsu weiß ich heute, dass ich bei jedem

ersten Köpper ins Wasser, bei jedem Gang ins Wasser für einen kurzen Moment flashartig an

dieses dunkle Geschehen gedacht habe. Die posttraumatische Bewusstseinsstörung führte aber zu

keiner körperlichen oder seelischen Erkrankung oder Angststörung. Vielleicht förderte sie eine

häufigere Stimmungslage, die ich als „süße Melancholie“ bezeichne.

Ich habe mich all die Jahre über als jemanden erlebt, der „leicht am Wasser gebaut ist“. Häufiger

empfand ich mich als irgendwie neben mir stehend, als nicht dazu gehörend, als Fremden, als

jemanden, den letztlich nichts erschüttert, weil er weiß, dass der Tod an jeder Ecke lauert und

wie plötzlich der Übergang vom Leben zum Tod ist. Ich wusste, dass das Leben an einem

seidenen Faden hängt, der jederzeit reißen kann. Auch wusste ich mich in Gottes Hand geborgen,

was immer auch geschehen mochte.

Mit 55 Jahren war ich total erschöpft, erhielt mitten im Schuljahr eine Kur verschrieben und

sollte nach einem wunderbaren Skilanglauf in einer Hütte mit Blick auf ein bayrisches Tal „das

glücklichste Plätzchen innen drin“ malen. Anfänglich konnte ich nichts damit anfangen und

malte dann in die Mitte ein rotes Herz, links davon den blauen Fluss des Lebens, und rechts

entstand eine blaue Fläche, die ganz plötzlich schwarz war. Da war ich bei meinem Ertrinken

und zutiefst erschüttert.

Auf dem IPAD sehen Sie das „Kunstwerk“, das die psychische Verarbeitung nach 45 Jahren

auslöste.

Es wurde mir klar, dass ich eine Therapie benötigte, aber einen Traumatherapeuten zu finden ist

nicht einfach, da dafür eine zusätzliche Ausbildung erforderlich ist, die nicht viele absolviert

haben. Nach der Therapie kann ich jetzt unbefangener und offen darüber sprechen. Etwa bis zur

Hälfte der Therapie beurteilte ich das damalige Geschehen nur negativ und als das Brutalste, das

mir je zustieß. Heute sehe ich es differenzierter, manchmal weiß ich sogar bereichernde Dinge

damit zu verbinden wie Sensibilität, Sinn für Ästhetik und Schönheit, Kunstgenuss, meinen nie

von mir in Frage gestellten christlichen Glauben oder den Sinn für christliche Mystik, mit der ich

mich seit einigen Jahren verstärkt beschäftige. Möglicherweise habe ich damals eine

Transzendenzerfahrung gemacht habe. Auch wenn es immer noch ein wenig weh tut und ich

XXXV


diese Erfahrung vielleicht lieber nicht gemacht hätte, überwiegt heute insgesamt die Dankbarkeit

für die Rettung aus der existentiellen Gefahr ohne körperliche und gravierende seelische Folgen.

Gott stellt Hilfen bereit. I have called you by your name, you are mine. Should you pass through

the waters, I shall be with you (Isaiah 43 ).” Auf diese mir bisher nicht bekannte und mich total

überwältigende Bibelstelle stieß ich vor zwei Jahren hier in OS im Programmheft eines

Schweizer Bildungshauses. Es gibt keine Zufälle im Leben! In Dublin traf ich 2008 eine Frau,

die in frühem Kinderalter beinahe im Meer ertrunken wäre. Ich war total aus dem Häuschen.

Endlich jemand mit ähnlichem Schicksal! Doch als fünfjähriges Kind begreift man die

Gefährlichkeit der Situation wohl noch nicht. Ähnliches sagte mir eine Osnabrückerin, die ich im

letzten Jahr kennen lernte. Sie war als Fünfjährige im Meer verschwunden, die Mutter griff wild

vor Panik im Wasser um sich. Als diese sie schließlich an den Haaren fassen und retten konnte,

war die Mutter völlig fertig, während die Fünfjährige gar nicht realisierte, dass ihr Leben auf

dem Spiel gestanden hatte. Da weiß ein Zehnjähriger bedrohliche Situationen doch schon

umfänglicher einzuordnen. Ich hoffe, dass mir die Nachbeelterung des kindlichen Traumas

einigermaßen gelungen ist und ich weit in dem Prozess gekommen bin, die Höhen und Tiefen

des Lebens zu akzeptieren und meinen inneren Frieden mit dieser Erfahrung zu schließen. Sie

wissen ja: innerer Friede resultiert wesentlich aus Erkenntnis.

XXXVI


7.4.2 Schilderung einer Nachtoderfahrung

Schilderung einer Nahtoderfahrung ( NTE)

D.B. aus R., männlich, Jahrgang 1949,im Ruhestand, die letzten 23 Jahre im Außendienst als

Pharmareferent tätig, evang., verheiratet, 1 Tochter.

Die NTE erfolgte anlässlich einer Schlaf-Apnoe (Dauer ½ bis 2, 3 Minuten) am 25.4.2013 im

Schlafzimmer des Wohnhauses von Herrn B., dieser berichtet: Ich wusste nicht, wo ich war.

Alles war hell, freundlich und warm, Pastellfarben beige, cremeweißer und unendlicher Raum.

Da sah ich Laura (verstorben 2004 im Alter von 47). Sie trug ein langes, weißes Gewand bis zu

den Knöcheln und hatte keine Strümpfe oder Schuhe an. Sie sah wesentlich jünger aus als 47,

eher so um die 28 -30. So ein Gewand und ohne Schuhe hätte sie im Leben nicht getragen! Ich

musste lachen, sie schaute mich an, die Kommunikation erfolgte ohne Sprache nur über die

Gedanken. Sie teilte mir mit: schau du dich selbst an! Als ich an mir runter blickte erschrak ich ,

auch ich trug ein weißes Gewand und war barfuß ! Scheiße (sorry) dachte ich, jetzt bist du tot!

So ist das also! Aber ich hatte keine Angst! Sie reichte mir die linke Hand und wir gingen

gemeinsam auf ein helles, großes Licht zu, das aber nicht blendete und auch keine Schatten warf.

Wir gingen wie auf Watte, es war aber kein Boden zu sehen. Später habe ich in einem Interview

mit einer Studentin gesagt: wie auf Ostsee-Sand, da ich, wie wohl die meisten Menschen, noch

nie auf Watte gegangen bin. Je näher wir dem Licht kamen, desto angenehmer wurde es, ein

Gefühl der unendlichen Wärme, Liebe und Geborgenheit. ! Dann passierte etwas ganz Tolles:

ich fühlte mich, wie langsam von den Füßen aufwärts mit warmem Wasser gefüllt! Unglaublich!

Dann bin ich wieder schwer atmend zu mir gekommen. Mein Gesicht war tränennass, ich wusste

erstmal nicht, wo ich war und dachte: wow, was war das denn!? Dann realisierte ich, dass ich im

Schlafzimmer auf meinem Bett lag. Die Enttäuschung war groß, schnell habe ich die Augen

geschlossen und wollte sofort wieder in diese herrliche Welt zurück. Es ist mir leider nicht

gelungen!

3 Tage lang habe ich versucht, im Sessel sitzend ganz zu entspannen und mich in diese

phantastische NTE-Welt weg zu beamen, leider ohne Erfolg. Ein erstes Gespräch mit meiner

Frau brachte die typische Reaktion: nur geträumt, Spinnerei etc. Inzwischen hat sie aber

verstanden und unterstützt mich sogar bei der Verarbeitung der NTE.

Was hat sich in meinem Leben verändert? Ich kann total entspannen! (früher nicht möglich) Ich

habe keine Angst mehr vor dem Tod. Ich bin toleranter geworden. Ich sehe viele Dinge jetzt mit

XXXVII


anderen Augen. Ich liege fast jede Nacht 1 bis 1 ½ Stunden wach und beschäftige mich mit Gott

und der Welt (so ist auch die Präsentation entstanden). Ich bin sensibler geworden, die NTE

begleitet meinen Tag und ist immer präsent. Gefühle wie weinen und lachen sind an der

Tagesordnung. Bei Todesnachrichten oder Trauerfeiern (6 von Mai bis Dezember 2013) sehe ich

eher die positiven Aspekte: Motorradfahrer-Unfall = Tod bei Ausübung des Hobbys (toll) oder

88 Jähriger stirbt im Bett (oh wie schön !) Bei der Reinigung des Terrassenglasdaches kommt

der Gedanke: wenn ich jetzt hier runter segele und breche mir das Genick, falle ich direkt in

Lauras Arme.

Kurz nach der NTE lese ich in einer Zeitschrift den Hinweis auf das Buch von Sabine Mehne

„Licht ohne Schatten“. Dieses kaufe ich sofort und verschlinge es in wenigen Stunden. Dass

mein Erlebnis etwas Besonderes war, hatte ich schon gemerkt, ich konnte nur noch nicht viel

damit anfangen. Sollte ich bald sterben (auch nicht weiter schlimm) oder was wollte mir die

NTE sagen? Im Buch finde ich Antworten und den Hinweis auf das Netzwerk NTE. Hier sucht

eine Studentin (Corinne Dialer) im Gästebuch Interview-Partner zum Thema NTE. Ich treffe

mich mit ihr im Sommer in München und gebe das Interview für ihre Masterarbeit. Darüber

erhalte ich auch Kontakt mit den anderen 7 Interviewpartnern. Im Februar gebe ich ein weiteres

Interview mit Lisa, einer Volkskunde-Studentin (siehe Gästebuch). In der Zwischenzeit habe ich

mir weitere Literatur und DVD besorgt und beschäftige mich nun sehr intensiv mit dem Thema

NTE. (seit 10 Monaten) Im Februar kommt Sabine Mehne nach R. zu einem Vortrag, hätte ich

nie zu träumen gewagt! Natürlich gehe ich mit meiner Frau hin. War sehr gut besucht und hat

sich echt gelohnt!

Ein Buch werde ich sicher nicht schreiben, aber ich versuche gerade, mit meiner Präsentation

z.B. an Gymnasien für das Thema NTE Interesse zu wecken. Geld werde ich dafür nicht

verlangen, mir geht es um die Inhalte und die Weitergabe über die NT-Erfahrung. Hätte man

mich gefragt, hast du Gott gesehen, hätte ich verneint. Ich denke aber, es ist eine Frage der

Definition: wenn Gott das Licht, die Liebe und die Wärme ist, dann ja!

Eine NTE ist für mich völlig real. Je mehr ich darüber lese und erfahre, desto weniger verstehe

ich die Zweifler, wie viele Übereinstimmungen mit anderen Menschen und Kulturen brauchen

die denn noch? Würde mich einer von Gottes Bodenpersonal nach der Auferstehung fragen,

würde ich sagen, ich glaube nicht daran, weil ich es erfahren habe, wie es geht, also weiß ich es.

Wir sind keine Körperwesen mit einer Seele (Geist, Bewusstsein) sondern Geistwesen, die für

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die irdische Verweildauer einen Körper bekommen. Das Bewusstsein bleibt und ist auch ohne

den Körper möglich. Von wo der Geist kommt, kehrt er auch wieder nach Hause zurück.

7.5 Zeitungsartikel

7.5.1 Anzeige zur Suche von Interviewpartnern

Erschienen im Bersenbrücker Kreisblatt am 14.07.2014

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7.5.2 Artikel aus der Zeitschrift „neue woche“

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8 Plagiatserklärung

Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig erfasst habe, dass ich keine

andere Quellen und Hilfsmittel als die angegebenen benutzt habe und dass ich die Stellen der

Arbeit, die anderen Werken – auch elektronischen Medien wie dem Internet – dem Wortlaut oder

dem Sinn nach entnommen wurden, auf jeden Fall unter Angabe der Quellen als Zitat oder

Entlehnung kenntlich gemacht habe. Zudem versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit auch

noch nicht an anderer Stelle eingereicht habe.

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Masterarbeit zum Thema - netzwerk-nahtoderfahrung.orgUNI/masterarbeit_kirsten... · Kirsten Dückinghaus Universität Hannover Philosophische Fakultät Institut für Theologie und