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69 Jürgen Maaß, Linz Mathematik lernen und NeueTechnologien Im Jahre 1991 wurde ich an der Universität Klagenfurt zu Österreichs erstem "Universitätsdozenten für Didaktik der Weiterbildung" habilitiert. Im Juni 1998 fand meine zweite Habilitation an der Universität Linz statt. Nun bin ich auch "Universitätsdozent für Didaktik der Mathematik". Meine mathematikdidaktische Habilitationsschrift umfaßt (kumulativ) Überlegun- gen zum Thema Mathematik lernen und Neue Technologien. Ausgangspunkt ist im Anschluß an H. Hülsmann die Überzeugung, daß für unsere heutige Gesellschaft die sogenannten Neuen Technologien von konstitutiver Bedeutung sind. Der technologisch gestützte gesellschaftliche Wandel ist rasant schnell, umfassend und radikal. Selbstver- ständlich haben Technologien kein eigenes Bewußtsein und schon gar kein Interesse an Macht oder Besitz. Dementsprechend ist das, was die Menschen (also auch wir) mit den Neuen Technologien tun oder nicht tun für unsere Gesellschaft entscheidend. In den als Habilitationsschrift aufgeführten Veröffentlichungen habe ich mich mit verschiedenen mathematikdidaktischen Aspekten dieser Veränderungen einschließlich des Wandels der Mathematik selbst und der mathematischen Weiterbildung als Not- wendigkeit angesichts der vielfältigen Änderungen auch in der Berufswelt beschäftigt. Als eine Quintessenz haben W. Schlöglmann (dem ich auch an dieser Stelle für die sehr gute Zusammenarbeit danken möchte) und ich festgehalten, weshalb Mathematik in gewisser Weise die zentrale Basis des technologischen Fortschritts ist: * Sie ist Basis aller Neuen Technologien, weil sie einerseits in Form von Algorith- men Basis der Software und in Form von materialisierter mathematischer Logik Basis der Hardware von Computern bzw. Mikroprozessoren ist und andererseits ohne Compu- ter und mathematische ModelIierung auch Atom- und Gentechnologie nicht realisierbar sind. * Darüber hinaus gewinnen mathematische Theorien und ModelIierungen immer mehr Bedeutung als Grundlage vorausschauenden, verschiedene Handlungsalternativen simulierenden Planens und Wissens etwa in wirtschaftlichen und technischen Bereichen wie Steuerung, Optimierung und Konstruktion oder im politischen und sozialen Bereich durch den Ge- und Mißbrauch z.B. statistischer Methoden. * Längst etabliert ist Mathematik als Sprache, in der der wissenschaftliche Kern von Natur- und zunehmend auch Sozialwissenschaften festgeschrieben wird, auch wenn es gerade in einigen Sozialwissenschaften bereits Gegentendenzen gibt. (vgl. Maaß/Schlöglmann 1993). Zwei Ausgangspunkte der Überlegungen seien hier kurz angedeutet, Arbeiten zu "Mathematik als Technologie" (vgl. Maaß/Schlöglmann 1989 und Maaß 1990) und eine Reihe von Forschungsprojekten zur "Mathematik in der Weiterbildung", d.h. in mathe- matischen und mathematikhaitigen Kursen für Erwachsene, etwa für Arbeitssuchende in Umschulungskursen, Technikerinnen, Kaufleute, Naturwissenschaftlerinnen und Ingenieurinnen, die in der Industrie arbeiten. Eine Reihe von Ergebnissen und Thesen dazu wurden veröffentlicht (vgl. zusammenfassend Maaß/Schlöglmann 1989 sowie FitzSimons u.a. 1997). Hier erwähnen möchte ich eine zentrale Schlußfolgerung: (JMD 20 (1999) H. 1, S. 69-71)

Mathematik lernen und Neue Technologien

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Jürgen Maaß, Linz

Mathematik lernen und NeueTechnologien

Im Jahre 1991 wurde ich an der Universität Klagenfurt zu Österreichs erstem"Universitätsdozenten für Didaktik der Weiterbildung" habilitiert. Im Juni 1998fand meine zweite Habilitation an der Universität Linz statt. Nun bin ich auch"Universitätsdozent für Didaktik der Mathematik".

Meine mathematikdidaktische Habilitationsschrift umfaßt (kumulativ) Überlegun­gen zum Thema Mathematik lernen und Neue Technologien. Ausgangspunkt ist imAnschluß an H. Hülsmann die Überzeugung, daß für unsere heutige Gesellschaft diesogenannten Neuen Technologien von konstitutiver Bedeutung sind. Der technologischgestützte gesellschaftliche Wandel ist rasant schnell, umfassend und radikal. Selbstver­ständlich haben Technologien kein eigenes Bewußtsein und schon gar kein Interesse anMacht oder Besitz. Dementsprechend ist das, was die Menschen (also auch wir) mit denNeuen Technologien tun oder nicht tun für unsere Gesellschaft entscheidend.

In den als Habilitationsschrift aufgeführten Veröffentlichungen habe ich mich mitverschiedenen mathematikdidaktischen Aspekten dieser Veränderungen einschließlichdes Wandels der Mathematik selbst und der mathematischen Weiterbildung als Not­wendigkeit angesichts der vielfältigen Änderungen auch in der Berufswelt beschäftigt.

Als eine Quintessenz haben W. Schlöglmann (dem ich auch an dieser Stelle für diesehr gute Zusammenarbeit danken möchte) und ich festgehalten, weshalb Mathematikin gewisser Weise die zentrale Basis des technologischen Fortschritts ist:

* Sie ist Basis aller Neuen Technologien, weil sie einerseits in Form von Algorith­men Basis der Software und in Form von materialisierter mathematischer Logik Basisder Hardware von Computern bzw. Mikroprozessoren ist und andererseits ohne Compu­ter und mathematische ModelIierung auch Atom- und Gentechnologie nicht realisierbarsind.

* Darüber hinaus gewinnen mathematische Theorien und ModelIierungen immermehr Bedeutung als Grundlage vorausschauenden, verschiedene Handlungsalternativensimulierenden Planens und Wissens etwa in wirtschaftlichen und technischen Bereichenwie Steuerung, Optimierung und Konstruktion oder im politischen und sozialen Bereichdurch den Ge- und Mißbrauch z.B. statistischer Methoden.

* Längst etabliert ist Mathematik als Sprache, in der der wissenschaftliche Kern vonNatur- und zunehmend auch Sozialwissenschaften festgeschrieben wird, auch wenn esgerade in einigen Sozialwissenschaften bereits Gegentendenzen gibt. (vgl.Maaß/Schlöglmann 1993).

Zwei Ausgangspunkte der Überlegungen seien hier kurz angedeutet, Arbeiten zu"Mathematik als Technologie" (vgl. Maaß/Schlöglmann 1989 und Maaß 1990) und eineReihe von Forschungsprojekten zur "Mathematik in der Weiterbildung", d.h. in mathe­matischen und mathematikhaitigen Kursen für Erwachsene, etwa für Arbeitssuchendein Umschulungskursen, Technikerinnen, Kaufleute, Naturwissenschaftlerinnen undIngenieurinnen, die in der Industrie arbeiten. Eine Reihe von Ergebnissen und Thesendazu wurden veröffentlicht (vgl. zusammenfassend Maaß/Schlöglmann 1989 sowieFitzSimons u.a. 1997). Hier erwähnen möchte ich eine zentrale Schlußfolgerung:

(JMD 20 (1999) H. 1, S. 69-71)

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Generell haben wir den Eindruck gewonnen, daß Erwachsene tatsächlich einen anderenZugang zur Mathematik haben als Heranwachsende und daß sie anderes lernen. Einanderes Forschungsresultat verweist hingegen stark auf Mathematikunterricht in derSchule: Viele Erwachsenen haben aufgrund ihrer schlechten Erfahrungen mit ihremMathematikunterricht eine ambivalente bis negative Einstellung zur Mathematik, dieu.a. zu einer großen Hemmschwelle vor dem Besuch von Mathematik - Weiterbil­dungsveranstaltungen wird. Am Rande bemerkt zeigte sich diese Einstellung auch inder Freude, mit der viele JournalistInnen die Schlagzeile "Sieben Jahre Mathematiksind genug!" verbreiteten.

Die durchschnittlichen Mathematikkenntnisse der Erwachsenen sind schlecht: Wasnicht im Beruf oder Alltag verwendet wird, gerät weitgehend in Vergessenheit. Beson­ders fällt auf, daß auch Erwachsene mit formal hoher mathematischer Qualifikation nurselten bereit und in der Lage sind, ihr in der Schule abgeprüftes mathematisches Wissenin Lebenssituationen wie Einkauf, Umgang mit Geld, handwerkliche Arbeiten in derWohnung etc. anzuwenden. Vielen scheint nicht einmal bewußt, daß so etwas über­haupt möglich ist.

Vor diesem Hintergrund sind eine Reihe von Vorschlägen zum Mathematikunter­richt zu sehen, die ich im Kontext von MUED und ISTRON mit entwickelt und Z.T.publiziert habe:* Realitätsbezogener Mathematikunterricht anhand von Themen aus dem BereichEnergie und Umwelt (vgl. etwa Maaß 1985, 1987, 1992)* Berichte über Industriemathematik im Mathematikunterricht (Maaß/Schlöglmann1993)* Umgang mit Black Boxes, u.a. mit Hilfe der Analyse von Wirtschaftssimulationen(Maaß/Schlöglmann 1994)

Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, daß es Mathematik in realitätsna­hen Anwendungen nun auch auf CD - ROM gibt. A. Stöckl und ich haben die Reihe"Mathe Tutor" geschaffen, zu bisher drei Programme gehören: Oberstufe, Geometrieund Grundrechenarten.

LiteraturG. FitzSimons, H. Jungwirth, J. Maaß, W. Schlöglmann: Adults and Mathematics (Adult Nu­

rneracy), International Handbook of Mathematics Education, Kluever - Verlag Dordrecht 1997J. Maaß: Energieflußdiagramm und Lineare Optimierung, in: W. Dörfler, R. Fischer, W. Peschek

(Hrsg.): Wirtschaftsmathematik in Beruf und Ausbildung, Hölder-Pichler-Tempsky, Wien1987

1. Maaß: Mathematische Technologie = sozialverträgliche Technologie? Zur mathematischenModelIierung der gesellschaftlichen "Wirklichkeit" und ihren Folgen, in: R. Tschiedel (Hrsg.):Die technische Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit, Profil-Verlag München 1990

1. Maaß: Wenn der Porsche schleicht... Verallgemeinerte Geschwindigkeit, in: W. Herget: Ma­thematik und Verkehr, Verlag Die Schul praxis, Mühlheim 1992

1. Maaß, W. Schlöglmann: Mathematischen Weiterbildung von Ingenieuren- Methodische unddidaktische Probleme, in: Zentralblatt für Didaktik der Mathematik 1/1989

J. Maaß, W. Schlöglmann (Hrsg.): Mathematik als Technologie? Wechselwirkungen zwischenMathematik, Neuen Technologien, Aus- und Weiterbildung, Weinheim 1989

1. Maaß, W. Schlöglmann: Mathematik als Technologie - Konsequenzen für den Mathematikun-

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terricht, in: rnathematica didactica (2/1992), erschienen 1993J. Maaß, W. Schlöglmann: Black Boxes im Mathematikunterricht, in: Journal für Didaktik der

Mathematik 1/1994

Universität Linz, Abteilung für Didaktik der Mathematik, Altenberger Str. 69, A-4040 Linz