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Mathematischer Versuch zur Konstitutionstheorie P. LORENZ Es handelt sich um einen mathematisch-statistischen Versuch, die Gesamtheit der Eigenschaften von Lebewesen aus dem Zusammenwirken von zwei wesentlich verschiedenen Arten von Bestimmungsgrunden zu erklaren. Die Bestimmungsgrunde erster Art sind Merkmale der ,,species" und fur aIle Individuen einer solchen identisch. Die Bestimmungsgrunde zweiter Art sind an das Individuum gebunden und in der Regel von Indi- viduum zu Individuum verschieden. Das Zusammenwirken 1a13t sich mit Worten nur schwer beschreiben, dagegen sehr leicht mit mathematischen Symbolen, insbesondere bei Benutzung geolnetrischer Vorstellungen. Ich verfolge mit dem Aufsatz einen wissenschaftlichen und einen prak- tischen Zweck. Der wissenschaftliche ist, der Beschreibung und Erforschung von Arten und Rassen in Botanik urid Zoologie zu dienen; der praktische ist, dem Ziichter ein statistisches Werkzeug mehr in die Hand zu geben, um sein Material von artfremden Individuen zu bereinigen. Der Gedanken- gang beriihrt sich streckeiiweise mit .der ,,Faktorentheorie'(, und die von dieser ausgebildete Rechentechnik setze ich als bekannt voraus, insbesondere die von L. L. THURSTONE geschaffene ,, Schwerpunktmethode". Der Leser findet hieriiber wie auch uber die Faktorentheorie uberhaupt ein aus- gezeichnetes, ausfuhrliches Referat mit vielen Literaturangaben, von G. A. LIENERT [l]. Eine leicht verstandliche Darstellung findet er auch in meinem Lehrbuch [2]. Ich formuliere. Jede Eigenschaft eines Lebewesens ist Wirkung eines speziellen Agens, das geometrisch durch einen Vektor repriisentiert werden kann. Die Vek- toren sind im allgemeinen verschieden gerichtet und verschieden lang, und man kann sie sich als von einem und demselben Punkt ausgehend denken. Sie bilden dann ein starres Buschel. Es gibt nur ein solches Biischel fur alle Individuen einer Art (species). Vom Ursprung des Buschels denke man sich nun ein rechtwinkliges Koordinatensystem ausgehend, das die- selbe Dimension hat wie das Vektorbuschel, wahrend man uber seine Lage zum Vektorbiischel zunachst keine Annahmen zu machen braucht. Die Projektionen der Vektoren auf die Achsen des Koordinatensystems nenne ich (in Anlehnung an die Faktorentheorie) Faktoren, und zwar die Pro- jektionen auf die Achse 1 Faktoren erster Form, die Projektionen auf die 18'

Mathematischer Versuch zur Konstitutionstheorie

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Mathematischer Versuch zur Konstitutionstheorie P. LORENZ

Es handelt sich um einen mathematisch-statistischen Versuch, die Gesamtheit der Eigenschaften von Lebewesen aus dem Zusammenwirken von zwei wesentlich verschiedenen Arten von Bestimmungsgrunden zu erklaren. Die Bestimmungsgrunde erster Art sind Merkmale der ,,species" und fur aIle Individuen einer solchen identisch. Die Bestimmungsgrunde zweiter Art sind an das Individuum gebunden und in der Regel von Indi- viduum zu Individuum verschieden. Das Zusammenwirken 1a13t sich mit Worten nur schwer beschreiben, dagegen sehr leicht mit mathematischen Symbolen, insbesondere bei Benutzung geolnetrischer Vorstellungen.

Ich verfolge mit dem Aufsatz einen wissenschaftlichen und einen prak- tischen Zweck. Der wissenschaftliche ist, der Beschreibung und Erforschung von Arten und Rassen in Botanik urid Zoologie zu dienen; der praktische ist, dem Ziichter ein statistisches Werkzeug mehr in die Hand zu geben, um sein Material von artfremden Individuen zu bereinigen. Der Gedanken- gang beriihrt sich streckeiiweise mit .der ,,Faktorentheorie'(, und die von dieser ausgebildete Rechentechnik setze ich als bekannt voraus, insbesondere die von L. L. THURSTONE geschaffene ,, Schwerpunktmethode". Der Leser findet hieriiber wie auch uber die Faktorentheorie uberhaupt ein aus- gezeichnetes, ausfuhrliches Referat mit vielen Literaturangaben, von G. A. LIENERT [l]. Eine leicht verstandliche Darstellung findet er auch in meinem Lehrbuch [2].

Ich formuliere. Jede Eigenschaft eines Lebewesens ist Wirkung eines speziellen Agens,

das geometrisch durch einen Vektor repriisentiert werden kann. Die Vek- toren sind im allgemeinen verschieden gerichtet und verschieden lang, und man kann sie sich als von einem und demselben Punkt ausgehend denken. Sie bilden dann ein starres Buschel. Es gibt nur ein solches Biischel fur alle Individuen einer Art (species). Vom Ursprung des Buschels denke man sich nun ein rechtwinkliges Koordinatensystem ausgehend, das die- selbe Dimension hat wie das Vektorbuschel, wahrend man uber seine Lage zum Vektorbiischel zunachst keine Annahmen zu machen braucht. Die Projektionen der Vektoren auf die Achsen des Koordinatensystems nenne ich (in Anlehnung an die Faktorentheorie) Faktoren, und zwar die Pro- jektionen auf die Achse 1 Faktoren erster Form, die Projektionen auf die 18'

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Achse 2 Faktoren zweiter Form und so weiter, und symbolisiere sie durch die ersten Buchstaben des kleinen lateinischen Alphabets mit einem Index. Zum Beispiel seien die Faktoren fur das Gewicht a,, a2, . . ., fur die Lange b, , b,, . . . und so weiter. Die Faktoren sind fur nlle Individuen einer Art (species) identisch, sind Artmerkmale.

Die Tatsache, daB die Eigenschaften in den verschiedenen Individuen in verschiedenem Grade ausgebildet sind, wird dadurch erklart, daB die Faktoren in verschiedenen Individuen in verschiedenem Grade zur Wirkung gelangen. In e inem Individuum aber gehort zu allen Faktoren der ersten Form derselbe Wirkungsgrad und ebenso zu allen Faktoren der zweiten Form usw. Die Wirkungsgrade der verschiedenen Faktorenformen hangen nicht voneinander ab. Ich symbolisiere sie durch den Buchstaben x mit zwei Indices. Zum Beispiel bedeutet x1 den Wirkungsgrad der Faktoren erster Form in dem Individuum mit der Nummer i.

Zur Demonstra.tion benutze ich ein Beispiel, das ohne Spezialkenntnisse verstandlich ist, und zwar eine Statistik von KorpermaBen, die mir der Direktor des Anthropologischen Instituts der Humboldt-Universitat zu Berlin, Herr Professor GRIMM, gegeben hat. Es handelt sich um Messungen (Karten) des Deutschen Arztebunds zur Forderung der Leibesiibungen, Ortsgruppe Halle, an mannlichen Sportlern von 17 und 18 Jahren aus den Jahren 1929 bis 1939. Ich habe von den etwa 3000 Karten zwecks Ein- schrankung der Rechenarbeit 100 herausgegriffen, ohne Auswahlprinzip, und aus ihnen die MaBe fur sieben Eigenschaften herausgeschrieben. Ich symbolisiere sie durch die ersten Buchstaben des groBen lateinischen Alphabets. Die Konstitutionstheorie wird dann beispielsweise durch die folgende fjbersicht dargestellt.

U b e r s i c h t 1 Eigenschaft gemessen theoretisch Gewicht Ai - a, 5 1 i + a2 x2i + a3 xs i Liinge Bi - b 1 ~ 1 i + b2 x z i + b3 ~ a i

S tammlange ci - c1 q i + c2 x2i + CQ X S i

Brustumfang D i - d i x I i + 4 ~ 2 i + d 3 ~ 3 i

Schulterbreite

Hiiftbreite F , fl x1i + f 2 5 2 , + f3x33i

Vitalkapazitat Qi - 9 l x l i + 9 2 X 2 i + 9 3 5 i

E i - e l x l i + e 2 x Z i + e ,x3i

Das ist das Schema der Konstitutionstheorie fur das Individuum Nummer i. Jedem der 100 Individuen kommt ein solches Schema zu. Die Faktoren

a1 a2 a3 . bl b, b3

bis 91 9 2 93

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kehren in allen 100 Schemata unverandert und in der gleichen Anordnung wieder, denn sie sind ja als individuum-unabhangig vorausgesetzt. In der Literatur findet man fur sie auch die Bezeichnung ,,Faktorladungen", die ich nicht fur gliicklich halte. Besser ware vielleicht ,,Manifestationen der Faktoren 1, 2 und 3".

Die Symbole fur die Eigenschaften, Ai, Bi, bis Gi bedeuten dimensions- lose Zahlen. Man mu13 namlich, um aus der Menge der 700 Naherungs- gleichungen ein homogenes Ganzes zu machen, zunachst die verschieden- artigen Benennungen, kg, cm, dl, beseitigen und tut dies am besten durch ,,Normierung", zumal man dadurch einige Rechenvorteile gewinnt. Ent- sprechend sind auch die Wirkungsgrade, qi, xZi , xSi als normierte Zahlen zu denken. Die Werte fur die mit dem Index i versehenen Symbole andern sich in der Regel von Individuum zu Individuum.

Die Beschrankung der Zahl der Summanden auf drei in den rechten Seiten der Naherungsgleichungen ist eine willkurliche MaBnahme, um eine bequeme Beschreibung der Uberlegungen und Rechnungen zu ermoglichen, entspricht aber auch, wie sich zeigen wird, dem Wesen unseres Zahlen- beispiels. Bei anderen Beispielen kann man vielleicht schon mit zwei Summanden auskommen, bei Heranziehung von mehr als sieben Eigen- schaften wird man ofter mehr als drei Summanden benotigen.

Jedes der 100 Schemata enthalt als Unbekannte die 21 Faktoren und je drei Wirkungsgrade. Da die Faktoren in allen Schemata wiederkehren, enthalt die ganze Menge der 700 Niiherungsgleichungen 21 + 300 = 321 Unbekannte. Der ganze Ansatz hat naturlich nur dann Erkenntniswert und vielleicht auch praktischen Nutzen, wenn es gelingt, ein sinnvolles System von 321 Werten zu finden, das den 700 Naherungsgleichungen geniigt. Dabei mu13 man noch in Erwagung ziehen, daB das statistische Beobachtungsmaterial vielleicht Storelemente enthiilt, anders gesagt Individuen, die von einer andern species sind als die Hauptmasse, aber als solche nicht ohne weiteres erkenntlich sind, und schlieBlich, da13 bei den Messungen Ungenauigkeiten und Fehler unterlaufen sind.

Nach meiner Ansicht ist noch die folgende, etwas abseits liegende Be- trachtung von Interesse. Das System von Naherungsgleichungen der Ubersicht 1 hat eine Form, die sich zur Zeit uberhaupt lebhafter Beachtung erfreut und einem zum Beispiel in der Unternehmensforschung (operation research) auf Schritt und Tritt begegnet, insbesondere als ,,lineare Pro- grammierung". Aber die Ziele sind verschieden. Wiihrend es sich bei der linearen Programmierung darum handelt, eine Kombination der Un- bekannten zu finden, fur welche eine gewisse ,,Zielfunktion" ein Extrem erreicht, handelt es sich in der Konstitutionstheorie darum, zu unter- suchen, ob der Ansatz uberhaupt sinnvoll ist.

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Wir kehren zu unserem Problem zuriick. 700 Naherungsgleichungen mit 321 Unbekannten zu losen, ist naturlich keine ganz einfache Sache. Die Losung wird ermoglicht durch Einfiihrung einer Annahme, die tief ein- greift in die Vorstellung, die wir uns hier von der Konstitution der Lebe- wesen machen, und die dahin geht, daO die Wirkungsgrade der verschie- denen Faktorenformen nicht miteinander korreliert seien, symbolisch

Anmerkung. Da die Werte fur die Symbole x als normiert vorausgesetzt werden, bestehen daneben die Gleichungen

Es scheint mir, daI3 gegen die Annahme (besser vielleicht ,,das Postulat") sachlich nichts einzuwenden ist, aber ob sie von der Wirklichkeit erfiillt wird, mu6 die Rechnung zeigen. Bestatigt die Rechnung das Postulat nicht, dann sind die darauf gegriindeten Losungsmethoden fehl am Platze. Losungsmethoden auf Grund des Postulats sind von der Faktorentheorie entwickelt worden, aber den statistischen Beweis fur ihre Berechtigung vermil3t man. Mittels des Postulats gelingt es, die Wirkungsgrade zunachst ganz aus den Betrachtungen auszuschalten und aus den 700 Naherungs- gleichungen mit 32 1 Unbekannten ein System von 21 Naherungsgleichungen mit den Faktoren allein als Unbekannten herzuleiten. Ich habe fur sie mittels der Schwerpunktmethode von Thurstone die folgendeii Werte gefunden. Den Beweis, daB das Postulat bei unserm Beispiel erfiillt ist, bringe ich am Schlusse dieses Aufsatzes.

O b e r s i c h t 2

LInge B Stammlinge C Hiif tbreite F Gewicht A Brustumf ang D Schulterbreite E Vitalkapazitiit G

Die Faktoren Summen der 1 2 3 1 Quadrate

0,80 0,78 0,69 0,86 0,87 0,64 0,67

: 0,83 0,34 0,82 0,33 0,83 0,76 0,31 0,43 0,60 0,46 0,55 !

0,59 O,M j 0,56 0,60 I

Zu der Berechnungsweise mochte ich noch das Folgende bemerken. Man bedient sich dabei der Korrelationsrechnung, aber sie ist hier weiter nichts als ein Rechenhilfsmittel, wahrend in der Faktorentheorie die grund- legenden Gedanken aus korrelativen Betrachtungen entsprungen sind.

Die in der Ubersicht 2 zusammengestellten Rechenergebnisse sind nach der Grofle der Faktoren der ersten Form geordnet. Von dieser Sicht aus

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bilden die sieben Eigenschaften drei Gruppen. Die Eigenschaften B, C , P werden von den Faktoren der ersten Form zu zwei Drittel bestimmt, denn es ist 0,832 - 2 1 3 . Das Gewicht wird von dem Faktor der ersten Form etwa zur Halfte bestimmt und die Eigenschaften D, E und G zu li3. Die Gruppen- bildung hat vermutlich biologischen Sinn. Sicher hat ihn die fast vollige Gleichheit der faktoriellen Struktur bei Lange und Stammlange und die sehr iihnliche bei Schulterbreite und Brustumfang. Wie man den zusatz- lichen Fektor 0,46 bei dem Brustumfang zu deuten hat, ist nicht ganz klar. Es liegt nahe, anzunehmen, daB er maagebend ist fur die Entwicklung senkrecht zum Brustkorb. Dafur spricht das Auftreten eines Fektors der- selben Form bei der Vitalkapazitat, dagegen ist er bei Lange und Stamm- lange nicht ohne weiteres verstandlich. DaB das Gewicht von Faktoren aller drei Formen abhangen muB, versteht sich von selbst. Beachtlich ist noch, dal3 fur die Huftbreite nur ein Faktor ermittelt worden ist. Das kann aber daran liegen, da13 die Hiiftbreite nur ungenugend auf Faktoren zuruck- gefuhrt ist, wie auch die Vitalkapazitat und die Schulterbreite. Vielleicht konnte man weitergehende Aufklarung durch Ermittlung einer vierten Faktorenform erreichen, aber dazu muate man mehr KorpermaBe, ins- besondere mehr SkelettmaBe heranziehen.

Berechnung de r Wirkungsgrade xli, zZi, z3i

Die Zahl der Wirkungsgrade ist in unserm Beispiel 300. Wir verlangen von ihnen, daD sie die durch die Ubersicht 1 angedeuteten 700 Naherungs- gleichungen nach Einsetzung der fur die Faktoren gefundenen Zahlen ,,mog- lichst gut" erfiillen so wie das durch die dreiNiiherungsgleichungen (1) formu- lierte ,,Postulat", und schlieBlich auch den sechs Gleichungen (2) genugen. Ob es Werte gibt, die diesen 709 Bedingungen in befriedigendem MaBe ge- nugen, ist zuniichst keineswegs sicher und kann hier und in jedem andern Beispiel nur durch Rechnung festgestellt werden. Das eben ist zusammen mit der Deutbarkeit der fur die Faktoren gefundenen Zahlen das, was ich mit den obigen Worten, ,,ob der Ansatz uberhaupt sinnvoll ist," gemeint habe.

Der am leichtesten begehbare Weg, um Zahlen fur die Wirkungsgrade zu finden, ist, von der Ubersicht 1 auszugehen und aus ihr Buchstaben- ausdrucke fur zl i , zZt, qi zu berechnen und aus diesen d a m durch Tabellen- rechnung die Zahlenwerte fi ir alle 100 Individuen. Man wird dann in der ublichen Weise die so gefundenen Werte normieren und an den nor- mierten Werten prufen, ob das Postulat erfiillt ist. SchlieBlich mu13 gepriift werden, fiir welche der Individuen des statistischen Materials und fur welche ihrer Eigenschaf ten die Naherungsgleichungen der ubersicht 1 in befriedigendem MaBe erfiillt sind.

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Ich beginne. Die drei Uubekannten x l i , x Z i , xQi der Ubersicht 1 reichen einerseits nicht aus, um die rechten Seiten der sieben Naherungsgleichungen fast genau gleich den linken zu machen, andererseits sind sie durch die sieben Naherungsgleichungen nicht vollstiindig bestimmt, eben weil es nur Nahe- rungsgleichungen sind. Ich fuhre deshalb noch eine zusiitzliche Forderung ein, namlich da5 die zu ermittelnden Werte eine Bestlosung im Sinne eines gewissen Prinzips seien. Als dieses Prinzip wiihle ich das der kleinsten Quadratsumme, in Zeichen

wobei i fest ist, wahrend A die Werte a bis g durchlauft und Ai die Werte Ai bis Gi. Hieraus folgt sofort

xlica:! + x z i c A I A , + ~ 3 i Z ? + l A 3 = z A ~ . A ~ ZAl 1 2 + x 2 i ZAE + x 3 i .Z& A3 == 2 Ai - A2

x ~ ~ ~ ~ ~ ~ + x ~ ~ Z A ~ A ~ + X ~ ~ ~ ~ ~ = Z A i . I , . Das sind drei lineare Gleichungen mit drei Unbekannten. Zuerst mu5 man

die Konstanten berechnen. Das sind die Summen. Die Summen auf den linken Seiten hiingen nicht von i ab und sind daher fi ir alle 100 Gleichungs- systeme ddieselben, anders gesagt fur alle 100 Versuchspersonen. Man findet am der ubersicht 2

,ZA: = 3,65, = 0,90, ZAt = 0,77, ZAldz= 1,41, z3L1A3=0,98, ZA2A3=0,38,

und nach Einsetzung dieser Werte in das Gleichungssystem durch Auf- losung desselben

x l i = 0,Ol ( 6 Ai + 32 Bi + 32 Ci - 29 Di + 20 Ei + 69 Pi - 19 Gi) 2 2 1 = 0,Ol ( 4 Ai + 4 Ci + 63 Di - 65 Xi - 90 Fi + 108 Gi) ~ 3 i = 0,Ol (45 Ai - 44 Bi - 43 Ci + 76 Di + 75 Ei -44 Fi -

6 Bi + 31 GJ.

Man findet beispielsweise fur das Individuum Nummer 43 der Urliste

und hieraus x ~ ; ~ ~ = 0,74 ~ 2 ; 4 3 = - 1,34 ~ 3 ; 4 3 = - 0,15,

u b ers i cht 3 - - . ~ _ _ _ .~

Unterschied gemessen theoretiech absolut in % des Mittels

A Gewicht B Liinge C Stammlinge D Brustumfang E Schulterbreite B Hiiftbreite G Vitalkapazitit

62 kg 169 cm 88 cm 86 cm 38 cm 33 cm 32 dl

62 kg 169 cm 89 cm 86 cm 38 cm 33 cm 34 dl

Okg 0 cm

- 1 cm 0 cm 0 cm 0 cm

- 2dl

0 0

- 1 0 0 0

- 6 - 7

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0 3 9 3

Die Spalte ,,theoretisch" enthalt die nach der Konstitutionstheorie berechneten MaSe in kg, cm und dl fur den Jungen Nr. 43, die nachste Spalte die absoluten Unterschiede und die letzte die Unterschiede in Prozent der Mittelwerte der Gewichte usw. aller 100 Jungen. Beachtenswerte Abwei- chungen bestehen bei dem Jungen Nr. 43 nur bei der Stammlange (- 1% vom Mittelwerte der Stammlangen aller 100 Jungen) und bei der Vital- kapazitat (- 6% vom Mittelwerte der Vitalkapazitaten aller 100 Jungen). Der Junge Nr. 43 ist somit fur seinen Teil im wesentlichen eine Bestati- gung der Konstitutionstheorie.

Die gleichen Rechnungen sind fur alle 100 Jungen gemacht worden. Einer von ihnen (Nr. 31 der Urliste) ist bezuglich der gemessenen sieben Korpermerkmale der Idealtypus der Konstitutionstheorie in unserem statisti- schen Kollektiv. Er ist aber nicht ,,der mittlere Mensch" dieses Kollektivs, denn er bleibt mit sechs seiner Abmessungen ein wenig unter dem Durch- schnitt, wie aus der folgenden ubersicht zu ersehen ist.

15 15 27 52

Uber s i ch t 4

4 11 11 12 20 13 15 12 10 24

Eigenschaften A I B I ~ I D I E I F I G

Nr. 31 gemessen und theorbtisch 56 1 166 1 87 1 85 1 36 I :i 1 36 Mittelwerte 61 167 1 88 86 j 38 36

6 6

13 15 15 19 15 10 16 29

Ich habe die Jungen nach den Summen der ohne Vorzeichen genomme- nen prozentualen Abweichungen von den Mittelwerten geordnet und bringe eine zusammenfassende ubersicht dieser Summen fur je zehn und zehn Jungen, also keine Durchschnitte.

39 42 40 33 45 65 7.5

u b e r s i c h t 5 Eigenschaften (beob. minus berechn., absolut)

16 13 18 11 17 14 18

lfde. Nr.

1 . e . 10 1 1 . e . 20 21 - - * 30 31 - * - 40 41 50 5 1 . a - 60 61 * - * 70 7 1 . ~ . 80 81 * * 90 91 * 100

C I D E

0 15 12 9

18 25 24 37 39 40

zus. ___

52 86

117 146 160 184 202 222 253 359

l . . . 90 346 115 108 115 I 179 ' 108 451 1422 1 . . . lo0 1 421 1 133 1 132 ~ I44 1 219 1 129 1 603 1 1781

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Die Obereinstimmung zwischen beobachteten und berechneten Werten ist am schlechtesten bei der Vitalkapazitat (G), danach beim Gewicht ( A ) . Man wird nicht fehlgehen, wenn man den Grund darin sucht, daB diese beiden Eigenschaften vie1 weniger nur Eigenschaften des Skeletts sind als die andern funf, und mag daraus den SchluD ziehen, in eine Analyse, wie beschrieben, nur solche Eigenschaften hereinzunehmen,, die gewissen Homo- genitiitsanforderungen genugen. Die Erfahrung hat gelehrt, daB es nicht gut ist, Kompromisse zu schlieBen derart, daB man die Forderung nach Homo- genitat der Eigenschaf ten mindert zugunsten der Einbeziehung einer grol3eren Zahl von Eigenschaften, was an sich auch erwiinscht ist. Aber die Homogenitat geht vor! Das hat bei den 100 Jungen zum Beispiel auch der Versuch gezeigt, die Zahl der Eigenschaften zu vergrol3ern durch Ein- beziehung von Oberarm- und Wadenumfang. Er hat eine Trubung der Ergebnisse bewirkt. ubrjgens scheint es mir auf Grund der Ergebnisse fraglich, ob die Abmessungen der Schulterbreite in unserem Kollektiv so festgestellt worden sind, daB sie nur eine Skeletteigenschaft darstellen.

Weiterhin zeigt die Zusammenstellung, daD fur die letzten zehn Jungen die Summe der absoluten prozentualen Abweichungen von den Mittel- werten sich gegeniiber den vorhergehenden zehn sprunghaft erhoht, was vielleicht als Zeichen dafur aufgefaBt werden kann, daB sie irgendwie art- fremd sind. Ich lasse sie deshalb bei der folgenden Besprechung aul3er Betracht. Fur die iibrigen 90 betragen die Durchschnitte der ohne Vor- zeichen genommenen Abweichungen der gemessenen Werte von den theo- retischen in Prozent der Mittelwerte

Obersicht 6 bei C Stammlinge l08/90 = 1,2%

F Hiiftbreite 108j90 = 1,2% B Liinge 115/90 = 1,3% D Brunstumfang 115/90 = 1,3% E Schulterbreite 179/90 = 2,0%

und erheblich mehr

und G Vitalkapazitit 451190 = 5,0% l e i A Gewicht 346190 = 3,8%

Ob die erhebliche Verschlechterung der Obereinstimmung zwischen den beobachteten und den berechneten Werten bei den letzten zehn Jungen der ubersicht 5 darauf beruht, daB sie artfremd sind, kann wegen der Ver- wickeltheit der Zusammenhange nicht durch theoretische fiberlegungen geklart werden, sondern nur durch Wiederholung der ganzen Rechnung ohne die letzten zehn Jungen. Es ist aber erwiinscht, auch die Storfaktoren Vitalkapazitat und Gewicht auszuschalten. Dann bleiben funf Eigenschaften. Das ist fur eine Konstitutionsanalyse zu wenig. Man miil3te noch ein paar

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Skeletteigenschaften dazunehmen wie Abmessungen von Arm- und Bein- knochen. Mit weniger als sieben Eigenschaften sollte man keine Konstitu- tionsanalyse anlegen, wenn moglich. Besser ist, etwa neun oder zehn in Betracht zu ziehen. Auch ist erwiinscht, die Untersuchungen auf ein Kollektiv von nicht weniger als einigen hundert Individuen zu stiitzen. Man hat dann die Moglichkeit, auch Teile des Kollektivs der Unter- suchung zu unterwerfen und sich ein Urteil iiber die Stabilitat der Ergeb- nisse zu bilden.

Leider stehen mir zur Zeit fur solche Untersuchungen weder statistisches Material noch Mitarbeiter in ausreichendem MaBe zur Verfiigung. Ich wiirde es daher begriiBen, wenn Forschungsinstitute, die iiber beides verfiigen, sich zur Durchfiihrung von mathematischen Konstitutionsanalysen ent- schlieBen wiirden. Ich glaube, daB insbesondere die wahrscheinlich mogliche Bereinigung statistischer Kollektive mittels solcher Analysen den Pflanzen- und Tierziichtern Nutzen bringen konnte. Die Rechenzeiten konnten durch Einsatz von elektronischen Rechenmaschinen auf ein Minimum reduziert werden.

N a c h t r ag

Die linearen KorrelationsmaBe zwischen den Wirkungsgraden haben in unserem Beispiel die folgenden Werte fur die Gesamtheit der 100 Jungen:

c 2 1 i x 2 i = -0,14, ~ ~ ~ ~ x ~ ~ = - O , 2 8 , c ~ ~ ~ x ~ ~ = 0,Ol. (la)

Man wird sich in Anbetracht der vielen riicksichtslosen Rundungen wahrend der Rechnung damit zufrieden geben konnen. Es ist auch wahrscheinlich, daB bei Ausschaltung der Jungen Nr. 91 bis 100 der fjbersicht 6 die Ab- solutwerte der Summen (la) noch kleiner werden wiirden.

i i i

Zusammenfassung

Der Aufsatz ist ein mathematisch-statistischer Versuch, die Gesamtheit der Eigen- schaften von Lebewesen aus dem Zusammenwirken von zwei wesentlich verschiedenen Arten von Bestimmungsgrunden zu erklaren. Die Bestimmungsgriinde erster Art sind Merkmale der ,,species" und fur alle Individuen einer solchen identisch. Die Bestimmungs- griinde zweiter Art sind an das Individuum gebunden und in der Regel von Individuum zu Individuum verschieden. Das Zusammenwirken wird durch die Ubersicht 1 definiert. Zur Diskussion wird ein Beispiel aus der Anthropometrie benutzt. Die Auflosung gelingt durch Einfuhrung des Postulats, daB die Bestimmungsgriinde zweiter Art nicht miteinander korreliert seien. Dadurch erhalt man aus den 700 Naherungsgleichungen mit 321 Un- bekannten ein System von 21 Niiherungsgleichungen mit den Bestimmungsgrunden erster Art als einzigen Unbekannten. Zur Auflosung desselben kann man die Schwerpunktmethode von L. L. Thurvtone benutzen. Es folgen die Ermittlung der Bestimmungsgriinde zweiter Art und eine Diskussion der Ergebnisse.

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Ich verfolge mit dem Aufsatz einen wissenschaftlichen und einen praktischen Zweck. Der wissenschaftliche ist, der Beschreibung und Erforschung von Arten und Rassen in Botanik und Zoologie zii dienen; der praktische ist, dem Ziichter ein statistisches Werkzeug mehr in die Hand zu geben, insbesondere dam, sein Material von speciesfremden Indivi- duen zu bereinigen.

L i t e r a t u r

[l] LIENERT, G. A., 1959: Prinzip und Methode der multiplen Faktorenanalgse, demon-

[2] LORENZ, P., 1961 : Anschauungsunterricht in Mathematischer Statistik, Band 111, striert an einem Beispiel. Biometr. Z. 1, 88-141.

Vom Menschen. Hirzel, Leipzig.