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Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren Schriftliche Hausarbeit: Fachwissenschaftliche Prüfung des Ersten Staatsexamens für das Lehramt an Gymnasien Prüfungsfach: Geographie Prüfer: Prof. Horst Sterr Verfasser: Thomas Reith Samwerstr. 3 24118 Kiel 0431/ 8886181 [email protected]

Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und ... · Angelehnt an das physikalische Prinzip der „starken Kopplung“ versuchen BECKER / SCHRAMM am Beispiel des Versorgungssystems

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Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer –

Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Schriftliche Hausarbeit:

Fachwissenschaftliche Prüfung des Ersten Staatsexamens für das Lehramt an Gymnasien

Prüfungsfach: Geographie Prüfer: Prof. Horst Sterr

Verfasser: Thomas Reith Samwerstr. 3 24118 Kiel 0431/ 8886181 [email protected]

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Erklärung: Hiermit erkläre ich, dass ich diese Arbeit eigenständig verfasst und nur die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Kiel, den 15.01.2004 Thomas Reith

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I

Kluger Herren kühne Knechte Gruben Gräben, dämmten ein,

Schmälerten des Meeres Rechte, Herrn an seiner Statt zu sein.

(Goethe, Faust II)

Für Maria.

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II

Inhaltsverzeichnis

1 Problemstellung, Zielsetzung und Vorgehen .......................................................................................1

EXKURS: Sozial-ökologische Forschung ...............................................................................................4

2 Gesellschaftliche Naturverhältnisse .....................................................................................................6

2.1 Kritische Theorie und Nicht-Identität der Natur ....................................................................6

2.2 Regulation der Naturverhältnisse im Bereich der Biodiversität und die Übertragung

auf das Themenfeld „Wattenmeer“ ........................................................................................9

2.2.1 Vorbemerkung ....................................................................................................9

2.2.2 Externe Problemkonstitution ............................................................................10

2.2.3 Materiell-stoffliche Abhängigkeiten .................................................................10

2.2.4 Management der Natur .....................................................................................12

2.2.5 Spannungsverhältnis von lokalem und globalem Wissen ................................15

2.2.6 Ökonomisches und wissenschaftliches Interesse am Schutz der Natur ............16

2.2.7 Schutzgebiete ....................................................................................................21

2.2.8 Biopolitik im Postfordismus .............................................................................24

2.2.9 Zwischenfazit ....................................................................................................25

3 Mensch-Umwelt-Dynamik – Kopplungen zwischen Natur und Gesellschaft ...................................26

3.1 Vorbemerkung .....................................................................................................................26

3.2 Kopplungen als analytisches Schema ..................................................................................27

3.3 Anwendung auf den Bereich der Wasserwirtschaft .............................................................28

4 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer und ihre Indikation .......................................................35

4.1 Vorbemerkung .....................................................................................................................35

4.2 Wattenmeer ..........................................................................................................................36

4.3 Küstenschutz in der Wattenmeerregion ...............................................................................37

EXKURS: Indikatoren .......................................................................................................................40

4.4 Vorannahmen für den hybriden Bereich ‚Küstenschutz’ .....................................................42

4.5 Koppelungen zwischen Küstenschutz und Gesellschaft bzw. Natur ...................................44

4.5.1.1 Gesellschaftliche Funktion des Küstenschutzes ............................................46

4.5.1.2 Ableitung von Indikatoren für den Bereich Gesellschaftliche Funktion ........49

4.5.2.1 Finanzielle Beziehung zwischen Küstenschutz und Gesellschaft .................51

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III

4.5.2.2 Ableitung von Indikatoren für den Bereich Finanzielle Beziehung ..............56

4.5.3.1 Politische Regulation des Küstenschutzes .....................................................56

4.5.3.2 Ableitung von Indikatoren für den Bereich Politische Regulation ................58

4.5.4.1 Öffentliche Perzeption des Küstenschutzes ...................................................60

4.5.4.2 Ableitung von Indikatoren für den Bereich Öffentliche Perzeption ..............62

4.5.5.1 Landseitige Auswirkungen der Küstenschutzmaßnahmen auf den

Energie- und Stoffhaushalt .............................................................................63

4.5.5.2 Ableitung von Indikatoren für den Bereich Landseitige Auswirkungen der

Küstenschutzmaßnahmen ..............................................................................64

4.5.6.1 Seeseitige Auswirkungen der Küstenschutzmaßnahmen auf den Energie-

und Stoffhaushalt ............................................................................................66

4.5.6.2 Ableitung von Indikatoren für den Bereich Seeseitige Auswirkungen der

Küstenschutzmaßnahmen ..............................................................................71

4.6 Zusammenfassung: Indikatoren für die Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer ............74

5 Schlussbetrachtung ............................................................................................................................77

6 Literaturverzeichnis ...........................................................................................................................83

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IV

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis A.) Tabellen:

Tab. 1: Einstufung schutzbedürftiger Räume, Räume besonderer sozio-ökonomischer

Bedeutung und besonderer Belastung. .......................................................................14

Tab. 2: Wirtschaftliche Bedeutung der nationalparkbezogenen Wirtschaftszweige –

Wertschöpfung (Schleswig-Holstein). ........................................................................20

Tab. 3: Herkunft und Verteilung tourismusbedingter Umsätze (in Mio. DM und

Prozent) für Schleswig-Holstein. ................................................................................20

Tab. 4: Zusammenstellung der die Nordsee betreffenden Meeresschutzkonventionen. ..........25

Tab. 5: Indikatoren für starke Koppelungskonstellation zwischen Wasserversorgung

und Gesellschaft bzw. Natur. ......................................................................................32

Tab. 6: Küstenschutzmaßnahmen in Deutschland. .................................................................39

Tab. 7: Aspekte der Kopplungskonstellationen zwischen Küstenschutz und

Gesellschaft bzw. Natur. ........................................................................................45/46

Tab. 8: Kennzahlen der Marschenregion in Schleswig-Holstein (unterhalb von

NN +5 m). ...................................................................................................................48

Tab. 9: Durch Landesschutzdeiche an der Westküste und der Elbe geschützte

Flächen sowie deren Einwohner und dort vorhandener Sachwerte. ...........................50

Tab. 10: Bundesmittel für den Küstenschutz im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe

‚Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes’ (einschließlich

Zukunftsinvestitionsprogramm 1977 bis 1980) in Mio. Euro. .................................52

Tab. 11: Finanzielle Aufwendungen einzelner europäischer Behörden für das

Küstenmanagement. ..................................................................................................60

Tab. 12: Befragung der Küstenbewohner: „Was sind für Sie mögliche Gefahren oder

Bedrohungen dieser Region?“. .................................................................................62

Tab. 13: Gesamtfläche der drei Salzwiesentypen an der schleswig-holsteinischen

Westküste und im Nationalpark (in Hektar). ...........................................................65

Tab. 14: Deichlänge entlang schleswig-holsteinischer Flüsse (in km). ..................................66

Tab. 15: Tidekennwerte und mittlere Sedimenthöhen für das Tidebecken Piep

(1937-1991). .............................................................................................................73

Tab. 16: Tidekennwerte und mittlere Sedimenthöhen für das Tidebecken Norderhever-

Heverstrom (1936-1990). ..........................................................................................73

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V

Tab. 17: Tidekennwerte und mittlere Sedimenthöhen für das Tidebecken Hoogeloch

(1936-1992). .............................................................................................................73

Tab. 18: Indikatoren für die Kopplungskonstellationen zwischen Küstenschutz und

Gesellschaft bzw. Natur. ......................................................................................75/76

Tab. 19: Übersicht über die (regionale) Verfügbarkeit von Daten für die angegebenen

Indikatoren (+ = Daten waren für diesen Staat/ Bundesland verfügbar; - = Daten

waren für diesen Staat/ Bundesland nicht verfügbar). .............................................81

B.) Abbildungen:

Abb. 1: Kooperations- und Schutzgebiet im Wattenmeer laut Trilateralem Watten-

meerplan. ....................................................................................................................23

Abb. 2: Landschaftliche Gliederung des Wattenmeeres. ........................................................36

Abb. 3: Planungsgebiet Küstenschutz nach Generalplan Küstenschutz

(Schleswig-Holstein). .................................................................................................38

Abb. 4: Schema: Küstenschutz als hybrider Bereich zwischen Gesellschaft und Natur. .......44

Abb. 5: Potentiell sturmflutgefährdete Gebiete in Schleswig-Holstein. .................................47

Abb. 6: Sturmflutwehr in der Oosterschelde. ..........................................................................49

Abb. 7: Übersicht über die investiven Ausgaben seit 1986, aufgeschlüsselt nach

Arten von Küstenschutzmaßnahmen. .........................................................................53

Abb. 8: Auszug aus dem Landeswassergesetz (Schleswig-Holstein). ....................................59

Abb. 9: Mögliche Fragestellung, um „Akzeptanz des Küstenschutzes in der

Bevölkerung“ zu messen. ...........................................................................................63

Abb. 10: Anteilige Nutzung der Vorlandsalzwiesen an der Festlandsküste durch

Schafbeweidung in den Jahren 1989 bis 1998. .........................................................65

Abb. 11: Bruun-Rule (nach Bruun 1962). ...............................................................................68

Abb. 12: Berechnung des Küstenrückganges nach BRUUN. .................................................68

Abb. 13: Vorausberechnete Verlagerung einer Insel im Wattenmeer bei Erhöhung

des Meeresspiegels um einen Meter. Die ursprüngliche Insel (durchge-

zogene Linie) wird zum Festland hin verlagert (gestrichelte Linie). .......................70

Abb. 14: Der zukünftige weltweite Anstieg des Meeresspiegels 1990-2100 nach

sechs beispielhaften Szenarien (SRES). ...................................................................71

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1 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

1 Problemstellung, Zielsetzung und Vorgehen

Das Wattenmeer stellt ein wichtiges marines Ökosystem dar, dessen ökologischer Zustand im

Interesse aller Anliegerstaaten steht. Darüber hinaus bietet das Wattenmeer aber auch eine

Reihe von ökonomischen Nutzungsmöglichkeiten, die in der Diskussion über diesen

Naturraum einen mindestens ebenso großen Stellenwert einnehmen. Neben der Fischerei

seien hier vor allem die zunehmende Bedeutung von Windenergieanlagen im Küsten- und

Offshore-Bereich sowie der Tourismus, die Schifffahrt oder die Gewinnung von

Bodenschätzen (Kiese, Sande, aber auch Erdöl) erwähnt. All diese Nutzungsansprüche stehen

in einem scheinbar unausweichlichen Konflikt zu dem gesellschaftlich anerkannten Ziel der

Erhaltung des Wattenmeeres als ökologisches Gefüge, aber auch als Erholungs- und

Lebensraum für den Menschen1.

Diese Nutzungskonflikte kennzeichnen die Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer. Sie

werden daher in dieser Arbeit im Sinne der sozial-ökologischen Forschung als

‚Transformation’, also als strukturverändernder Prozess zwischen Mensch und Umwelt,

verstanden. Nutzungskonflikte sind damit ein Kennzeichen für sogenannte gesellschaftliche

Naturverhältnisse, also das Verhältnis der Gesellschaft zur Natur.

Die Frage, wie die Gesellschaft im Bereich des Wattenmeeres die Regulation ihrer

Naturverhältnisse gestaltet, soll im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen. Zentral ist hierbei die

Erkenntnis, dass der Einfluss menschlichen Handelns auf die Natur zunehmend deutlichere

Auswirkungen hat. Neben globalen Effekten wie z.B. dem anthropogen verursachten

Klimawandel zählen auch Veränderungen regionaler Ökosysteme wie dem Wattenmeer zu

diesen Auswirkungen. Bisher sind bei der Analyse solcher Wirkungszusammenhänge

zwischen Gesellschaft und Natur vor allem disziplinär geprägte (in der Regel

naturwissenschaftliche) Sichtweisen dominierend gewesen, in denen natürliche Systeme

isoliert von der Anthroposphäre und Einflüsse gesellschaftlichen Handelns nur als externe

Störungen betrachtet wurden.2 Diese isolierte Betrachtungsweise soll in dieser Arbeit bei der

Untersuchung der Dynamik zwischen Gesellschaft und Natur nicht verfolgt werden.

Stattdessen soll die Kopplung zwischen natürlichem System und Gesellschaft aufgezeigt

werden.

Dazu müssen die im Wattenmeer ablaufenden sozial-ökologischen Transformationen

dargestellt und eine Möglichkeit gegeben werden, diese zu identifizieren. Dies kann nur über 1 Zur Beurteilung der Bevölkerung der Wattenmeerregion über das Spannungsverhältnis von Ökologie und wirtschaftlichem Nutzen vergl. WWF Deutschland (Hrsg.) 2001.

2 Zur Problematik rein naturwissenschaftlicher Betrachtungsweisen solcher sozial-ökologischen Problemlagen vergl. LOTZ (2002).

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2 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

geeignete Indikatoren erfolgen, welche kennzeichnend für die jeweiligen (ökologischen wie

sozio-ökonomischen) Prozesse sind.

Dabei wird vor allem die Rolle des Küstenschutzes näher betrachtet: Inwieweit kann der

Küstenschutz als eine vermittelnde Kategorie begriffen werden, welche zwischen den Sphären

Natur und Gesellschaft steht und auf diese Weise als Ausgangspunkt zur Analyse sozial-

ökologischer Transformationen dient? Und mit Hilfe welcher ökologischen und sozio-

ökonomischen Indikatoren kann diese Dynamik zwischen Mensch und Umwelt hinreichend

erfasst werden?

Die Mensch-Umwelt-Dynamik wird hierbei im Sinne der sozial-ökologischen Forschung

verstanden. Die Sozialökologie ist „darauf gerichtet, die Erkenntnisse der

naturwissenschaftlichen und der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung sowohl

problembezogen miteinander zu verknüpfen als auch theoretisch zu integrieren“ (Balzer/

Wächter 2002, S. VIII).

Räumlich soll sich diese Arbeit auf die Nordsee und hier insbesondere auf das Wattenmeer

konzentrieren, welches von Esbjerg in Dänemark über den gesamten deutschen

Nordseeküstenraum bis nach Texel in den Niederlanden reicht.3

Die Gliederung folgt dabei drei wesentlichen Schritten, die hier kurz skizziert werden:

Im ersten Schritt erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem Konzept der Regulation der

Naturverhältnisse von GÖRG (2003a). Er entwickelt ausgehend von der Kritischen Theorie und

der Regulationstheorie den Rahmen einer kritischen Theorie der ökologischen Krise. Neben

den theoretischen Ausführungen analysiert GÖRG in seiner Arbeit den Bereich der Global

Governance in Bezug auf die Ökologiethematik und zeigt zuletzt am Beispiel der

Biodiversität auf, wie die gesellschaftliche Regulation der Naturverhältnisse abläuft und wo

hierbei die wesentlichen Probleme und Paradoxien auftreten. Der Ansatz von GÖRG soll in der

Arbeit dargestellt werden, bevor im Anschluss die Ausführungen zum Themenbereich der

Biodiversität in Bezug auf das Ökosystem Wattenmeer übertragen werden. Die zentrale

Fragestellung wird hier lauten, wie die gesellschaftliche Regulation der Naturverhältnisse in

diesem Lebensraum erfolgen kann bzw. erfolgt. Dabei soll vor allem das Spannungsverhältnis

von „Natur“ und „Gesellschaft“ aufgezeigt werden, ebenso wie Ansätze, wie dieses aufgelöst

werden kann.

Im zweiten Schritt der Arbeit soll das Konzept von BECKER und SCHRAMM (2001) („Zur

Modellierbarkeit sozial-ökologischer Transformationen“) adaptiert werden. Hierbei handelt es

3 Zur näheren geographischen Abgrenzung des Nordseeraumes und auch des Wattenmeeres vergl. STERR (2003).

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3 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

sich um den Versuch einer Operationalisierung des Konzeptes der gesellschaftlichen

Naturverhältnisse. Angelehnt an das physikalische Prinzip der „starken Kopplung“ versuchen

BECKER/ SCHRAMM am Beispiel des Versorgungssystems ‚Wasserversorgung’ aufzuzeigen,

dass ‚Gesellschaft’ und ‚Natur’ ‚stark gekoppelt’ sind. Auch hier soll zunächst der Ansatz

vorgestellt und dann versucht werden, ihn auf das Themenfeld Wattenmeer zu übertragen.

Dies geschieht vor allem im dritten Teil der Arbeit. Während bei BECKER/ SCHRAMM die

Wasserversorgung als ‚vermittelndes Element’, oder ‚hybrider Bereich’ zwischen

‚Gesellschaft’ und ‚Natur’ steht, erfolgt der Versuch, den Küstenschutz (bzw.

Küstenschutzmaßnahmen) als Schnittstelle zwischen beiden zu etablieren. Im Folgenden soll

die Kategorie der ‚Schnittstelle’ Küstenschutz sowohl in ökologischer als auch in

gesellschaftlicher Hinsicht überprüft werden. Für jeden dieser Aspekte wird (werden) im

Anschluss ein (oder mehrere) Indikator(en) gefunden, der die Kopplung von Natur und

Gesellschaft in diesem Zusammenhang beispielhaft verdeutlichen kann.

Dieses Vorgehen soll es letztlich ermöglichen, ein tieferes Verständnis für die komplexen

Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Umwelt im Küstenraum zu erreichen. Dazu

dient vor allem die integrierte, interdisziplinäre Betrachtungsweise der sozial-ökologischen

Transformationen, bei der sowohl naturwissenschaftliche als auch sozialwissenschaftliche

Interpretationen verbunden werden. Gerade hier liegt die Problematik bisheriger Konzepte

und Operationalisierungen von sozial-ökologischen Transformationen, die meistens von einer

strikten Trennung der Sphären ‚Natur’ und ‚Gesellschaft’ ausgehen.4 Dies wird auch zu einem

realistischeren, weil umfassenderen, Verständnis von IKZM (Integriertes

Küstenzonenmanagement) führen.

Letztlich bleibt festzuhalten, dass die Indikatoren, die vorgestellt werden sollen, um die

Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer zu kennzeichnen, der gleichen Problematik

unterliegen wie alle gängigen Indikatoren auch. Sie enthalten immer auch eine normative

Komponente, da mit den zu erhebenden Merkmaleigenschaften (z.B.

Schadstoffkonzentration) immer auch ein Verständnis von Zusammenhängen vorausgesetzt

wird, welches mit Werturteilen verbunden ist. Indikatoren sind also niemals wertfrei, da mit

4 Einen guten und umfangreichen Überblick über andere sozial-ökologische Konzepte und Operationalisierungen liefert SIMON (2002). Unter anderem geht er auf die Konzepte von MEADOWS, STERN, HASSELMANN, SIEFERLE, METZNER u.a. ein. Allerdings gehen alle diese Ansätze von der „Separierbarkeit zweier Sphären – die der Natur oder Umwelt auf der einen Seite, und die der Gesellschaft oder Anthroposphäre auf der anderen –“ (Simon 2002, S. 48.) aus. Gerade in dieser Hinsicht hebt sich der Ansatz von BECKER /SCHRAMM ab, da hier die – auch von GÖRG geforderte – integrierte Betrachtungsweise von Gesellschaft und Natur als miteinander vermittelt, verfolgt wird.

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4 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

ihnen immer eine implizite Bewertung über den zu untersuchenden Sachverhalt verbunden

ist.5

EXKURS: Sozial-ökologische Forschung

An dieser Stelle erfolgt ein Exkurs über die Entwicklung und die inhaltliche Ausrichtung der

sozial-ökologischen Forschung. Dies ist notwendig, da die Mensch-Umwelt-Dynamik – wie

erläutert – im Sinne dieser Forschungsrichtung verstanden werden soll. Darüber hinaus

müssen auch die Ausführungen GÖRGs, die als theoretische Grundlage dieser Arbeit dienen,

ebenfalls in dieser Tradition verstanden werden.

In einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in Auftrag gegebenen

Gutachten, welches das ‚Rahmenkonzept Sozial-ökologischer Forschung’ darstellen soll,

wird Soziale Ökologie folgender Maßen definiert: „Soziale Ökologie ist die Wissenschaft von den Beziehungen der Menschen zu ihrer jeweiligen natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt. In der sozial-ökologischen Forschung werden die Formen und Gestaltungsmöglichkeiten dieser Beziehungen in einer disziplinübergreifenden Perspektive untersucht. Ziel der Forschung ist es, Wissen für gesellschaftliche Handlungskonzepte zu generieren, um die zukünftige Reproduktions- und Entwicklungsfähigkeit der Gesellschaft und ihrer natürlichen Lebensgrundlagen sichern zu können.“ (Becker et al. 1999, S. 13)

Die Entstehungsgeschichte der sozial-ökologischen Forschung reicht bis in die 1970er Jahre

zurück. Sie geht auf die Kritik an der einseitigen, naturwissenschaftlichen Ausrichtung der

Umweltforschung auf wissenschaftlicher und politischer Ebene zurück. Vor allem der Glaube

an die Beherrschbarkeit und Behebung von Umweltproblemen durch technische

Lösungsansätze und die nur sektorale Herangehensweise an solche Probleme wurden als

Symptombekämpfung kritisiert, welche die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Natur

und Gesellschaft nicht erfassen könne. BECK formulierte dies in seinem Werk

‚Risikogesellschaft’ folgender Maßen: „Dabei bleibt unerkannt, daß den naturwissenschaftlichen ‚Verelendungsformeln’ eine soziale, kulturelle und politische Bedeutung innewohnt. Entsprechend besteht die Gefahr, dass eine in chemisch-biologisch-technischen Kategorien geführte Umweltdiskussion ungewollt den Menschen ihrerseits nur noch als organische Apparatur ins Blickfeld rückt. Damit droht ihr jedoch der Gegenfehler zu dem Fehler zu unterlaufen, den sie mit Recht dem lange Zeit vorherrschenden industriellen Fortschrittsoptimismus vorgehalten hat: zu einer Naturdiskussion ohne Mensch, ohne die Frage nach der sozialen und kulturellen Bedeutung zu verkümmern.“ (Beck 1986, S. 31f.)

5 Im Falle des Beispiels ‚Schadstoffkonzentration des Stoffes X’ wäre die implizite Aussage, dass ein Nachweis dieses Stoffes in einer bestimmen Konzentration schädlich/ unschädlich für das Ökosystem ist. Wie das Messergebnis, also die Merkmalsausprägung letztlich bewertet wird, ist nicht festgelegt, sondern kann variieren.

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5 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

So gründete sich in den 1970er Jahren eine Reihe von unabhängigen

Umweltforschungsinstituten, die unter Einbeziehung von sozialwissenschaftlichen Ansätzen

die ökologische Krise als gesamtgesellschaftliches Problem thematisierten. In den 1980er

Jahren fokussierten diese Institute vor allem auf das Konzept der Sozialen Ökologie, bevor in

den 1990er Jahren auch von politischer Seite aus die traditionelle Umweltforschung in die

Kritik geriet. So stellten der Wissenschaftsrat (1994) und der Wissenschaftliche Beirat

Globale Umweltveränderungen (1996) fest, dass bei der Lösung von Umweltproblemen die

Erkenntnisse der Sozial-, Wirtschafts- und Kulturwissenschaften mit berücksichtigt werden

müssten. Nach dem Regierungswechsel 1998 beauftragte die Bundesregierung aus SPD und

Bündnis 90/ Die Grünen das Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) in Frankfurt6,

das bereits zitierte Gutachten zu erstellen, in welchem die Ziele und Inhalte sowie die

notwendigen Instrumente und Organisationsformen dargestellt werden sollen. (vergl. Balzer/

Wächter 2002, S. 1f.)

Sozial-ökologische Forschung basiert auf fünf wesentlichen Charakteristiken:

1. der normativen Dimension von Wissenschaft,

2. dem Konzept der Gesellschaftlichen Naturverhältnisse,

3. dem Alltagshandeln,

4. institutionellen Innovationen und

5. der zeitlichen und räumlichen Dimension. (vergl. Balzer/ Wächter 2002, S. 3)

Zu 1.: Die sozial-ökologische Forschung beschäftigt sich bewusst mit normativen Aspekten

innerhalb der Wissenschaft und setzt sich selbst zum Ziel, an der Erarbeitung normativer

Konzepte mit zu wirken. Zu nennen wäre hier die Diskussion um den Begriff Nachhaltigkeit,

welcher selbst ein normatives, gesellschaftliches Konzept darstellt. Diese Forschungsrichtung

ändert damit auch das Selbstverständnis von Wissenschaft, da sie sich nicht mehr wie bisher

darauf beschränkt, objektive Fakten zu liefern, während die Gesellschaft den normativen

Rahmen für die Anwendung dieser Fakten liefert.

Zu 2.: Zielsetzung der sozial-ökologischen Forschung ist es, dualistische und dichotome

Denkstrukturen aufzubrechen. Vor allem die strikte Trennung von Mensch auf der einen und

Natur auf der anderen Seite soll durchbrochen werden. Damit wird die Natur nicht mehr wie

bisher in der Umweltforschung als quantifizierbare Ressource betrachtet, sondern sie wird

vielmehr im Hinblick auf gesellschaftliche Interessen, Handlungen und Wahrnehmungsmuster

reflektiert. An dieser Stelle setzt auch der Ansatz von GÖRG an, der – wie noch gezeigt wird –

6 Überblick für Tätigkeits- und Forschungsfelder des ISOE im Internet unter http://www.isoe.de.

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6 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

mit Hilfe der Kritischen Theorie und dem Konzept der Nicht-Identität der Natur versucht,

eine Auflösung des scheinbaren Gegensatzpaares Mensch-Natur zu erreichen.

Zu 3.: Eine weitere Zielsetzung der sozial-ökologischen Forschung besteht darin,

wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis des täglichen Handelns zu überführen. Zudem

werden Mechanismen, Strukturen und Wissensbestände des Alltagshandelns in die

Konzeption und Bearbeitung von Forschungsfragen integriert.

Zu 4.: Die sozial-ökologische Forschung ist darum bemüht, institutionelle Strukturen

aufzuzeigen, die nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsformen zuwiderlaufen. Dabei werden

auch Szenarien und Modelle entwickelt, wie sich die Gesellschaft entwickeln kann und es

werden die hierfür notwendigen institutionellen Strukturen aufgezeigt.

Zu 5.: Im Rahmen der sozial-ökologischen Forschung werden historische Erkenntnisse mit

Prognosen verbunden sowie mittel- und langfristige Zeithorizonte berücksichtigt. Zudem wird

eine Einbettung lokaler und regionaler Ebenen in die globalen Rahmenbedingungen

angestrebt. Dies geschieht, um sogenannte ‚Insellösungen’, also die isolierte Betrachtung

einzelner (Teil-)Probleme, zu vermeiden. (vergl. Balzer/ Wächter 2002, S. 3)

Insgesamt lässt sich festhalten, dass – anders als in den bisher gängigen Naturvorstellungen –

aus Sicht der sozial-ökologischen Forschung eine strikte Trennung von Gesellschaft/ Mensch

und Natur nicht haltbar ist. Im Gegenteil: Beide sind eng miteinander verflochten und

verweisen aufeinander. „Gesellschaften werden in ihren Reaktionsweisen und Entwicklungsmöglichkeiten durch ‚die Natur’ nicht eindeutig festgelegt. Denn die Natur ist menschengemachte Natur. Die Naturwahrnehmung resultiert aus der gesellschaftlichen Kommunikation über die Natur; und diese ändert sich in der Geschichte und zwischen den Kulturen. Erst als ‚gesellschaftliche Natur’ rückt sie ins Interesse der Öffentlichkeit und wird bearbeitbar.“ (Oels et al. 2002, S. 111)

2 Gesellschaftliche Naturverhältnisse

2.1 Kritische Theorie und Nicht-Identität der Natur

GÖRG versucht, den theoretischen Rahmen für eine Theorie der ökologischen Krise zu

entwerfen. Seine Ausgangspunkte sind hierbei die Tradition der älteren Kritischen Theorie

und die Regulationstheorie. In seinem Buch „Regulation der Naturverhältnisse. Zu einer

kritischen Theorie der ökologischen Krise“ (Görg 2003a) beschreibt GÖRG zunächst das

scheinbare Gegensatzpaar „Gesellschaft – Natur“ aus sozialwissenschaftlicher Sicht, bevor er

eine Beschreibung der momentanen globalen Umweltpolitik leistet, die sich seiner

Auffassung nach vor allem auf die machtförmige Errichtung und Absicherung globaler

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7 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

(Absatz-)märkte konzentriert. Am Beispiel der Biodiversität führt GÖRG zum Abschluss aus,

wie sich diese Prozesse in einem ganz konkreten Bereich auswirken und welche sozialen, aber

auch ökologischen Folgen damit verbunden sind.

Mit dem Begriff der gesellschaftlichen Naturverhältnisse beschreibt GÖRG den Umstand, dass

der gesellschaftliche Prozess weder bloß auf Gesellschaft noch ausschließlich auf Natur

bezogen ist, sondern dass dieser die „permanente Vermittlung beider Momente“ (Görg 2003b,

S. 120) darstellt. Natur ist demnach nur im Verhältnis zu dem zu bestimmen, von dem es

unterschieden werden soll. Naturbegriffe dagegen enthalten immer auch gesellschaftliche

Projektionen und besagen nichts über das konstitutive Verhältnis von Natur zur Gesellschaft.

Für GÖRG ist das „Eingriffs- und Transformationspotential des Menschen“ (Görg 2003a, S. 9)

in die Natur zum größten ökologischen Problem geworden. Für die Sozialwissenschaften

bedeutet die seit den 1970er Jahren immer stärker werdende ökologische Krise, „dass eine

ganze Reihe von Selbstverständlichkeiten begrifflicher und inhaltlicher Art, mit denen diese

lange Zeit gearbeitet haben, fragwürdig geworden sind und überdacht werden müssen“ (Görg

1999, S. 7). Zu nennen wären hier vor allem der Glaube an die technische Beherrschbarkeit

von natürlichen, aber auch von sozialen Prozessen, sowie die Frage nach der Abgrenzung von

Natur und Gesellschaft. Die meisten der bisher gängigen Ansätze gehen von der strikten

Trennung der Sphären ‚Natur’ und ‚Gesellschaft’ aus und lassen dabei, so GÖRG, die Tatsache

außen vor, dass diese gegenseitig vermittelt sind.

Entscheidend ist für GÖRG das Verhältnis der Gesellschaft zur Natur. Daher lautet die Frage

nicht ob, sondern wie sich Gesellschaften auf ökologische Probleme einstellen. In modernen

Gesellschaften sei die Tendenz zu einer „selektive(n) Integration der Ökologieproblematik“

(Görg 2003a, S. 12) zu beobachten. Gesellschaft und Wissenschaft hätten zwar auf die

ökologischen Probleme reagiert und hätten ökologische Fragen in ihre Selbstregulation

aufgenommen, jedoch seien sie nicht zu einer Lösung dieser Fragestellungen gekommen,

sondern versuchten, durch Formen des pragmatischen Problemmanagements mit diesen

umzugehen.

Zwar ist die politische Regulation von Umweltproblemen in der Regulation der

Naturverhältnisse enthalten, allerdings wird die Umweltpolitik immer auch von anderen,

meist ökonomisch motivierten, Prozessen beeinflusst und überlagert. (vergl. Görg 2003b, S.

115)

Aus diesem Grund fordert GÖRG die sozialtheoretische Reflexion des Verhältnisses sozialer

und nicht-sozialer, d.h. ‚natürlicher’, Prozesse. Zusammen mit der gesellschaftstheoretischen

Frage nach der Einschätzung der gesellschaftlichen Reaktionen ergebe sich daraus, wie denn

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8 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

die Reproduktion von Gesellschaften im Verhältnis zur Natur zu verstehen sei – und diesen

Komplex bezeichnet GÖRG als Regulation der Naturverhältnisse. (vergl. Görg 2003a, S. 12f.)

Regulation im Sinne der Regulationstheorie bedeutet hier „nicht eine intendierte Steuerung

gesellschaftlicher Entwicklung, sondern die nicht-intendierte Stabilisierung widersprüchlicher

gesellschaftlicher Verhältnisse“ (Görg 2003b, S. 115).

„Dabei geht es nicht allein um die Abgrenzung des Sozialen von Natur, sondern ebenso sehr

um einen Gesellschaftsbegriff, der Gesellschaft als grundlegend mit Natur vermittelt

begreifen kann, ohne ihn naturalistisch zu verkürzen.“ (Görg 2003a, S. 15)

Hierzu dient GÖRG in erster Linie das Konzept der Nicht-Identität der Natur, für das er auf

ADORNO zurückgreift. Demnach geht „Natur, wiewohl immer ein kulturell-sprachliches wie

technisches Konstrukt, in seinen gesellschaftlichen Konstruktionen“(Görg 2003a, S. 45) nicht

auf, sondern bleibt immer etwas Eigenständiges. Allerdings zielt es dabei nicht auf „ein

unverrückbares ‚An-sich’ der Gegenstände [in diesem Fall der Natur], sondern auf eine

unaufhebbare Mehrdeutigkeit der Gegenstände“ (Görg 2003a, S. 46). Ausgehend von dieser

These, dass nämlich Gegenstände immer mehr sind, als sie scheinen, stellt er fest, dass das

„’Substrat des Begriffs’ (...) nicht eine bestimmte Eigenschaft oder ein An-sich des

Gegenstands (ist), sondern es sind im Erkenntnisprozess und seinen begrifflichen

Konstruktionen zum Vorschein kommende nichtidentische Momente, die ein ‚Substrat’

konstituieren“ (Görg 2003a, S. 46). Das Nicht-Identische könne demnach nicht „unabhängig

von seinen gesellschaftlichen Vermittlungen, den wissenschaftlichen Begriffen und den

kulturellen Bedeutungen“ (Görg 2003a, S. 46) sein.

„Auf den Naturbegriff bezogen heißt dies, dass Natur also nicht etwas unberührtes, nicht-

vergesellschaftetes, den gesellschaftlichen Konstruktionen vorausliegendes meinen kann.“

(Görg 2003a, S. 46) GÖRG meint damit, dass das Verständnis von Natur immer abhängig ist

von den kulturellen Interpretationen. Wie Natur – und damit auch ökologische Risiken –

wahrgenommen werden, hängt von spezifischen Symbolisierungen, sozialen Wertmustern

oder gesellschaftlichen Machtpotentialen ab, die dafür sorgen, dass auch bestimmte natürliche

Bedingungen nicht oder falsch reagiert wird. „Gegenstand der ökologischen Krise sind keine

natürlichen Katastrophen, sondern Bedrohungen und Schädigungen, die vom Menschen selbst

beeinflusst wurden und daher auch potentiell veränderbar sind.“ (Görg 2003b, S. 124) Bei der

Analyse der beiden Sphären muss berücksichtigt werden, dass es sich zwei eigenständige

Bereiche handelt, die jedoch immer miteinander vermittelt und damit voneinander abhängig

sind. Eine Analyse der Natur, welche die Vermitteltheit mit der Gesellschaft außer Acht lässt

greift demnach zu kurz.

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9 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Auch BECKER, dessen Ansatz im zweiten Teil dieser Arbeit im Mittelpunkt steht, hebt hervor,

dass eine strikte Trennung von ‚Gesellschaft’ und ‚Natur’ in die Irre führt. Würde es sich

hierbei um zwei getrennte Objektbereiche handeln, die sich gegenseitig beeinflussen und

dennoch weitgehend autonom sind, so müsste es möglich sein, auf der theoretischen Ebene

Untersuchungsobjekte eindeutig als ‚gesellschaftlich’ oder ‚natürlich’ zu klassifizieren.

Soweit dies für Autobahnen (‚gesellschaftlich’) und Gebirge (‚natürlich’) noch zu leisten ist,

so treten jedoch Schwierigkeiten auf, wenn es um die Einordnung von bewirtschafteten

Wäldern oder gentechnisch produzierten Organismen geht. Diese Hybridobjekte vernetzen

auf ganz spezifische Weise die Gesellschaft mit der Natur. (vergl. Becker 2003, S. 183)

2.2 Regulation der Naturverhältnisse im Bereich der Biodiversität und die Übertragung

auf das Themenfeld „Wattenmeer“

2.2.1 Vorbemerkung

GÖRG versucht, am Beispiel der Biodiversität aufzuzeigen, wie die Regulation der

Naturverhältnisse in einem ganz konkreten Fall verläuft. An dieser Stelle sollen nun seine

Kernaussagen zum Themenkomplex „Regulation der biologischen Vielfalt“ dargestellt

werden und gleichzeitig versucht werden, die allgemeinen Aussagen über die

Regulationsweisen auf den Lebensraum Wattenmeer zu übertragen. Dabei soll nicht die

Biodiversität im Wattenmeer thematisiert werden, sondern die gesellschaftliche Regulation im

Hinblick auf dieses konkrete Ökosystem.

Für GÖRG steht zu Beginn der Diskussion um die Regulation der Biodiversität eine zentrale

Frage, die nicht ausgeblendet werden darf, wenn es darum geht, die Problematik einer

Gestaltung der Naturverhältnisse aufzuzeigen, nämlich, „was denn genau das Problem ist, wie

es für wen ein Problem geworden ist und warum dieses Problem mit welchem Mittel

anzugehen sei“ (Görg 2003a, S. 219). Er hält fest, dass Natur gerade im Zeitalter der

Globalisierung in sehr unterschiedlicher und vor allem gegensätzlicher Form vergesellschaftet

werde. Dominierend seien in diesem Zusammenhang die kapitalistischen Strukturprinzipien,

welche die ökologischen Aspekte immer wieder den ökonomischen ‚Zwängen’ unterordnen.

Im Folgenden sollen einzelne Aspekte dargestellt werden, die für GÖRG im Zusammenhang

mit der Regulation der biologischen Vielfalt problematisch sind. Zudem wird geprüft,

inwiefern eine Relevanz für den Bereich ‚Wattenmeer’ besteht.

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10 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

2.2.2 Externe Problemkonstitution

GÖRG stellt fest, dass der Begriff der Biodiversität sehr heterogen ist und dass in der scientific

community keineswegs ein Konsens darüber besteht, ob ein Verlust an ‚Biodiversität’ auch zu

einem Kollaps von Ökosystemen führt. Mit biologischer Vielfalt kann sowohl die

taxonomische, die genetische als auch die ökologische Vielfalt innerhalb eines Ökosystems

gemeint sein. (vergl. Görg 2003a, S. 223) Der Grund, warum der Begriff dennoch in den

letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, liegt darin, dass er als

Begriffsneuschöpfung einen strategischen Zweck erfüllt. So gibt es eine Vielzahl von

Akteuren – Wissenschaftler, NGOs u.a. –, die sich mit biologischer Vielfalt auseinander

setzen, jedoch mit unterschiedlichen Definitionen dessen, was mit ‚biologischer Vielfalt’

gemeint ist. Der Begriff ‚Biodiversität’ bietet die notwendige Breite und Unschärfe, um alle

Aspekte biologischer Vielfalt zu vereinen. So ist es möglich, bereits vorhandene

Artenschutzabkommen im Rahmen der IUCN (The International Union for the Conservation

of Nature – The World Conservation Union) zu bündeln. Die Symbolisierungen, die mit dem

Begriff verknüpft sind, stehen somit in enger Verbindung mit den materiell-stofflichen

Dimensionen und den Interessen der verschiedenen Akteure.

Die Problemkonstitution liegt also in „externen gesellschaftlichen Bedingungen und in der

Geschichte der Durchsetzung des Begriffs“ (Görg 2003a, S. 224) begründet.

Zu fragen wäre an dieser Stelle somit, inwieweit die ‚Wattenmeerproblematik’ ebenfalls

extern konstituiert ist. Welche gesellschaftlichen Akteure haben also ein Interesse daran, dass

die ökologische Situation des Wattenmeeres thematisiert wird? Oder um es mit den Worten

GÖRGs auszudrücken: Was genau kennzeichnet die ökologische Situation im Wattenmeer als

problematisch, wie ist es für wen zu einem Problem geworden und mit welchen Mitteln kann

diesem Problem begegnet werden? Dieser Aspekt wird später Beachtung finden, wenn es

darum geht aufzuzeigen, worin sozial-ökologische Problemlagen im Wattenmeer bestehen.

2.2.3 Materiell-stoffliche Abhängigkeiten

GÖRG ist der Auffassung, dass es sich bei der Biodiversität nicht um ein globales

Allgemeingut handelt, sondern dass – auch im Hinblick auf die CBD (Convention on

Biological Diversity) – vor allem die „Wahl nationaler Entwicklungsstrategien in der Nutzung

einheimischer Ressourcen“ (Görg 2003a, S. 227) eine Rolle spielen. Zugleich sei eine

ungleiche räumliche Verteilung der Biodiversität gegeben, die umgekehrt proportional zur

ungleichen sozialen Entwicklung verläuft. Gerade in den sogenannten Entwicklungsländern

ist ein überdurchschnittliches Maß an Biodiversität zu beobachten. Am Beispiel der

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11 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Auseinandersetzung um das Saatgut landwirtschaftlicher Nutzpflanzen stellt GÖRG dar, wie

komplex die Konflikte um genetische Ressourcen gestaltet sind. Er kommt dabei zu dem

Schluss, dass „materiell-stoffliche Abhängigkeiten zwischen und innerhalb von Ländern und

Ländergruppen (...) nicht einfach ‚von Natur aus’ gegeben (sind), sondern sie sind politisch

konstituiert und erst verstehbar durch Rekurs auf die hinter den politischen Strategien

stehenden Interessenlagen und deren ökonomisch-technisches Potenzial“ (Görg 2003a, S.

232).

Aus der ökonomischen Perspektive sei der Mensch letztlich abhängig von der Biodiversität –

in diesem Fall von der Möglichkeit, aus den genetischen Ressourcen von

Entwicklungsländern ertragreiches Saatgut zu züchten. Damit meint GÖRG keinen Geo- oder

Biodeterminismus, sondern er verweist auf die scheinbaren Sachzwänge im ökonomischen

Sektor. Unklar bleibt für ihn jedoch, welche Auswirkungen diese Abhängigkeiten für die

Natur auf der einen Seite und für die Gesellschaft auf der anderen Seite haben. Notwendig zur

Analyse dieser Auswirkungen ist die Klärung der Frage, „wer wovon genau abhängig ist und

warum“ (Görg 2003a, S. 232).

Für Abkommen wie die CBD bedeutet dies, dass die Regulation weniger global bzw.

multilateral erfolgt, sondern vermehrt bilateral. Dabei ist zu beachten, dass Abkommen, die

zwischen zwei Staaten (oder Staatengruppen) geschlossen werden, in besonderer Weise das

Machtverhältnis dieser beiden Staaten widerspiegeln, das heißt also, dass es zur

Benachteiligung ökonomisch schwächerer Länder kommen kann. Des Weiteren führt GÖRG

aus, dass die CBD im Vergleich zu vorherigen Abkommen unklarer in seiner Begrifflichkeit

und weniger verpflichtend geworden ist, was wiederum den ‚mächtigeren’ Staaten zugute

kommt. So wird auch kritisiert, dass die CBD weniger auf die Erhaltung der Biodiversität

zielt, sondern „immer stärker auf die nachhaltige Nutzung und (...) die Kommerzialisierung

der biologischen Vielfalt“ (Görg 2003a, S. 233).

Im Wattenmeer spielt das Machtverhältnis der angrenzenden Küstenstaaten eine weniger

entscheidende Rolle. Bemerkenswert ist jedoch, dass auch für den Bereich des Schutzes

dieses Lebensraumes ein internationales, in diesem Falle trilaterales Abkommen existiert,

welches versucht, die Aktivitäten Dänemarks, Deutschlands und der Niederlande miteinander

zu koordinieren und somit effektiver zu gestalten. Doch wird auch im Trilateralen

Wattenmeerplan schon das Spannungsverhältnis zwischen Schutz auf der einen und Nutzung

auf der anderen Seite deutlich. So heißt es bereits im Vorwort der Erklärung von Stade:

„Gleichzeitig bildet die Konferenz von Stade den Ausgangspunkt für eine neue Phase in der

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12 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

trilateralen Wattenmeer-Kooperation, deren Ziel es ist, Naturschutz und menschliche Nutzung

miteinander in Einklang zu bringen.“ (CWSS 1998, S. 5)

Damit ist ein Themenkomplex berührt, den GÖRG auch im Zusammenhang mit der CBD

aufwirft. Er verweist darauf, dass die CBD drei gleichberechtigte Ziele vorgibt, nämlich

erstens die Erhaltung der biologischen Vielfalt, zweitens die Nutzung dieser und drittens den

Vorteilsausgleich dieser Nutzung. (vergl. Görg 2003a, S. 234) Dies impliziert gleichzeitig,

dass der Schutz der biologischen Vielfalt die Interessen der Menschen mit berücksichtigen

muss. Hierbei handelt es sich um einen wertenden Eingriff des Menschen, der festlegt, wofür

der Schutz der Biodiversität/ Natur erfolgen soll. Problematisch ist jedoch auch die These

vom ‚intrinsischen’ Wert der Natur, da sich dann die Frage stellt, ob auch Bakterien und

Viren, die für den Menschen schädlich sind, schützenswert sind. Hier wird deutlich, dass der

Schutzgedanke immer mit einer Wertung verbunden ist, Wäre diese Wertung – und damit die

Zielsetzung des Schutzgedankens – nicht vorhanden, würde das Konzept des Naturschutzes

ad absurdum geführt, weil dann auch das natürliche Aussterben von Tier- und Pflanzenarten

verhindert werden müsste. (vergl. Görg 2003a, S. 235f.)

Die Frage, welche Interessen die Gesellschaft mit der Biodiversität – oder eben dem

Wattenmeer – bzw. deren Nutzung verbindet, berührt wiederum die Frage, wie die Regulation

der Naturverhältnisse konkret gestaltet wird. Gleiches gilt für die Festlegung, welchen Wert

die ‚Natur’ ‚an sich’ hat, wie sie also vor allem symbolisch von der Gesellschaft belegt wird. „Nicht eine Objektivierung einer bedrohten Natur wird dann angestrebt, sondern die kritische Reflexion auf die vielfältigen gesellschaftlichen Verhältnisse zur biologischen Vielfalt und die Möglichkeit einer Erfassung und Korrektur ihrer jeweiligen destruktiven Implikationen. Nicht mehr eine Gesamterfassung, sondern aussagefähige Indikatoren für die Veränderung der Biodiversität sind dann gefragt.“ (Görg 2003a, S. 236)

2.2.4 Management der Natur

GÖRG kritisiert das Bestreben der Gesellschaft, die ‚Biodiversität’ mit Hilfe eines

Ökosystemansatzes zu ‚managen’. Für diesen Ansatz, so GÖRG, lassen sich vier gegensätzliche

Grundeinsichten festhalten: Erstens wird in diesem Ansatz der Anspruch erhoben, neben den

ökologischen Fakten auch die menschliche Kultur mit zu erfassen. Zweitens ist dieser Ansatz

nur scheinbar biozentristisch ausgerichtet, da er eindeutig auf den Menschen und seine

Nutzung des jeweiligen Ökosystems abzielt. So werden Eingriffe des Menschen in die Natur

durchaus bejaht und die ökonomische Nutzung mit berücksichtigt.7 Drittens ergibt sich aus

7 Die implizite Berücksichtigung menschlicher (ökonomischer) Nutzungen findet sich auch im Konzept IKZM. So wird IKZM definiert als „dynamischer, kontinuierlicher und iterativer Prozess, durch welchen Entscheidungen für eine nachhaltige Nutzung, Entwicklung und den Schutz der Küsten einschließlich ihrer Ressourcen getroffen werden. Legt man einen weit gefassten Gesamtanspruch zugrunde, dann beinhaltet IKZM die umfassende Beschreibung und Bewertung von Küstensystemen sowie die Formulierung von

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13 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

der Anerkennung der Nutzung der Biodiversität die Frage, für wen diese von Nutzen ist und

wer über die Nutzung entscheidet. Spannungsverhältnisse zwischen Nutzungsformen und

ihren gesellschaftlichen Implikationen bleiben jedoch überwiegend ausgeblendet. Letztlich

muss viertens festgehalten werden, dass der Ökosystemansatz selbst von eindeutigen Grenzen

des Managements ausgeht. (vergl. Görg 2003a, S. 237f.)

Dabei geht es bei diesem Ökosystemansatz weniger um die Anpassung der Gesellschaft an

feststehende natürliche Bedingungen, sondern um eine „aktive Veränderung im Rahmen von

Wechselwirkungen zwischen Natur und Gesellschaft. (...) Die Integration des Menschen in

den Ökosystemansatz dient nicht der Anpassung an oder gar der Unterordnung unter Natur,

sondern richtet die Analyse auf einen anthropozentrischen Standpunkt aus (...)“ (Görg 2003a,

S. 238f.). Es geht also vor allem um die Frage, welchen Nutzen das betreffende Ökosystem

für den Menschen hat. Ausgeklammert wird dabei, wie sich ein Subjekt – oder ein Akteur –

selbstreflexiv als Teil eines umfassenden Problemzusammenhanges und der ihm immanenten

Grenzen verstehen kann. GÖRG stellt in diesem Zusammenhang die Forderung auf, dass

konkrete gesellschaftliche Entwicklungen immer in ihren Reaktionen auf Ökosysteme

reflektiert werden müssen. Dies gilt sowohl für die Handlungen und Zielsetzungen der

sozialen Akteure, als auch für den Nutzen und die verschiedenen Nutzungsformen.

Im Wattenmeer wurde bereits 1986 die Ökosystemforschung initiiert, „um die notwendigen

wissenschaftlichen Grundlagen zum Schutz des Wattenmeeres zu verbessern“

(Umweltbundesamt 2002, S. 19). Auch hier wird zwar in erster Linie betont, dass der Schutz

der Umwelt Priorität genieße, jedoch wird die momentane und zukünftige Nutzung dieses

Ökosystems implizit vorausgesetzt: „Obwohl in den Nationalparken im Wattenmeer die

natürliche Entwicklung möglichst ohne menschliche Eingriffe ablaufen soll, werden Teile des

Wattenmeeres auch in Zukunft genutzt werden.“ (Umweltbundesamt 2002, S. 25)

Zur Raumcharakterisierung des Ökosystems Wattenmeer dienen neben ökologischen

Faktoren auch sozio-ökonomische Kriterien. So heißt es in einer Studie des

Umweltbundesamtes: „Räume besonderer sozio-ökonomischer Bedeutung sind Bereiche, in denen Schwerpunkte menschlicher Nutzung liegen. Die sozio-ökonomische Bedeutung von Nutzungen wächst in der Regel mit deren Intensität bzw., falls messbar, mit deren ökonomischem Wert. Sie ergibt sich aber auch aus politischen oder gesellschaftlichen Ansprüchen. Hierzu gehören z.B. Traditionen, die eng mit der Identität der Bevölkerung verknüpft oder Bestandteil des Landschaftsbildes sind.“ (Umweltbundesamt 1999, S. 18)

Zielvorstellungen und deren Umsetzung bezüglich des Schutzes und der Bewirtschaftung bzw. Verwaltung (= Management) der dort vorhandenen Ressourcen“ (Institut Raum und Energie 2001, S. 2.). [eigene Hervorhebung]

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14 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Die folgende Tabelle 1 bietet einen Überblick über die Einstufung der Räume im Wattenmeer

mit besonderer ökonomischer und ökologischer Bedeutung. Zudem sind die relevanten

Nutzungsformen im Wattenmeer dargestellt.

Kompartiment

besondere Schutzbe-dürftigkeit

besondere sozio-ökono-mische

Bedeutung

besondere Belastung

Miesmuschelbänke • • • Seegraswiesen • (•) Salzwiesen • (•) • Sandkorallenriffe • Seemooswiesen • Robbenliege- und –wurfplätze • (•) (•) Mauser- und Rastgebiete • (•) Brutgebiete • (•) Supralitorale Bereiche • • • Ästuarine Bereiche • • Schweinswalgebiete • • Freizeit- und Erholungsräume • Verkehrsräume • Garnelenfischerei-Gebiete • Miesmuschelfischerei-Gebiete • Vom Küstenschutz beanspruchte Räume • Von Rohstoffnutzung beanspruchte Nutzung • Grabungsschutzgebiete • Vom Militär beanspruchte Räume • Nährstoffbelastete Räume • Schadstoffbelastete Räume • Landwirtschaftl. genutzte Flächen im NP •

Tab. 1: Einstufung schutzbedürftiger Räume, Räume besonderer sozio-ökonomischer Bedeutung und besonderer Belastung. (Zonierungsrelevante Kompartimente und Nutzungen sind ebenfalls dargestellt. Punkt = Kriterium erfüllt; (Punkt) = Kriterium in Teilgebieten oder bei einzelnen Arten erfüllt.).

verändert übernommen aus: Umweltbundesamt 1999, S. 20.

Es wird deutlich, wie groß das Spannungsverhältnis von ökologischer und sozio-

ökonomischer Bedeutung des Wattenmeers ist. Die Subsysteme des Ökosystems Wattenmeer

werden durchgängig als ‚besonders schutzbedürftig’ eingestuft, während gleichzeitig die

ökonomische Relevanz der meisten Nutzungsformen konstatiert wird. Wichtig wird an dieser

Stelle die Forderung GÖRGs nach einer Reflexion der gesellschaftlichen Interessen. Welche

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15 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Auswirkungen haben die aufgelisteten Nutzungsformen für das Wattenmeer und wie groß ist

der (ökonomische) Nutzen – und für wen?

2.2.5 Spannungsverhältnis von lokalem und globalem Wissen

GÖRG geht von der These aus, dass verschiedene gesellschaftliche Verhältnisse jeweils eigene

Interessen an der Biodiversität – oder der Natur ganz allgemein – mit sich bringen und ‚Natur’

so auf unterschiedliche Weise konstituiert werden kann. Von den Konfliktdimensionen, die in

diesem Zusammenhang relevant sind, hebt GÖRG den Konflikt zwischen lokalen Akteuren und

dem globalen (Ressourcen-)Management hervor. So konstatiert er eine Differenz zwischen

westlichen und indigenen Naturvorstellungen, die vor allem mit der Machfrage verbunden ist.

Unter indigenous knowledge wird dabei ein Naturverständnis verstanden, welches

gekennzeichnet ist durch „spirituelle Verehrung der Natur (...) sowie durch ein ganzheitliches,

holistisches Denken, das zwischen Mensch und Natur keine absolute Trennung mache“ (Görg

2003a, S. 247).

Tendenziell sei das Bestreben zu beobachten, eine Annäherung der beiden Wissensformen zu

erreichen. Kritisch zu bemerken sei jedoch, dass der Versuch der Integration vor allem den

Interessen der modernen, westlichen Gesellschaften dient und von daher sogar die Gefahr

einer ‚Kolonialisierung’ dieses indigenen Wissens droht. Das Interesse an diesen ‚nicht-

modernen’ Wissensformen ist vor allem deshalb vorhanden, weil damit die Hoffnung

verbunden ist, einen weniger destruktiven Umgang mit natürlichen Ressourcen erreichen zu

können. Welche Auswirkungen ein Wissenstransfer jedoch für die Vertreter des indigenous

knowledge haben könnte, bleibt hierbei ausgeklammert. (vergl. Görg 2003a, S. 253)

So sollten diese ‚nicht-modernen’ Wissensformen auch nicht als ‚Vorläufer’ oder

unterentwickelte Formen des wissenschaftlichen Denkens verstanden werden. Entscheidend

ist letztlich nicht die Frage, wie in den einzelnen Wissensformen die Natur klassifiziert wird,

sondern welche Praktiken damit verbunden sind. Auf diese Weise können dann auch die

Gemeinsamkeiten der lokal verankerten Formen der Nutzung der natürlichen Umwelt

festgehalten werden. GÖRG stellt vier grundlegende Eigenschaften dieser Nutzungsformen

zusammen: Zum ersten werden die Grenzen in der Natur akzeptiert und daher wird zweitens

nicht auf Gewinnmaximierung abgezielt. Drittens wird, anders als in den modernen

Monokulturen, auf eine größere Vielfalt in den genutzten Varietäten geachtet. Und viertens ist

ein über Generationen tradiertes Erfahrungswissen vorhanden, welches sich konkret um die

Zusammenhänge von Mensch und Natur kümmert. (vergl. Görg 2003a, S. 255)

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16 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Die Frage ist nun, wie ein solcher Wissenstransfer von indigenem Wissen in ‚moderne’

Gesellschaften erfolgen könnte. Es ist notwendig, einen Lernprozess zu initiieren, welcher es

den modernen Gesellschaften erlaubt, indigenes Wissen in ihre Regulation der

Naturverhältnisse zu integrieren. Entscheidend ist jedoch, ob die Gesellschaft für derartige

Umgestaltungen ihrer Naturverhältnisse bereit ist und ob der durch die Integration

entstehende Veränderungsdruck, der auf der Gesellschaft lastet, genutzt werden kann, um zu

tief greifenden Veränderungen zu kommen. So befürchtet GÖRG, dass die modernen

Gesellschaften eher auf die „Integration zuvor separierter, isolierter und generalisierter

Elemente (...), also als ‚Input’ von Ressourcen“ (Görg 2003a, S. 255) setzen könnte. Damit ist

gemeint, dass moderne Gesellschaften geneigt sind, einzelne Momente, z.B. bestimmte

Praktiken, von indigenen Kulturen zu übernehmen, die in ihre Regulation der

Naturverhältnisse passen. So vermeiden sie eventuell auftretenden Veränderungsdruck, da die

ganzheitliche Integration solches indigenen Wissens immer auch damit verbunden ist, eigene

Handlungsweisen und Wertvorstellungen zu hinterfragen und gegebenenfalls zu ändern.

Zudem wirft er im Zusammenhang mit einem derartigen Wissenstransfer die Frage der

Machtbeziehung auf. Denn seiner Auffassung nach besteht die Gefahr, dass bei der

Übertragung das spezifisch ‚Lokale’ verloren gehen könnte oder sogar die praktische

Enteignung dieses Wissens oder die Zerstörung der Lebensformen, in denen es integriert ist

erfolgen könnte. (vergl. Görg 2003a, S. 256) Indigenous knowledge werde zunehmend als

Ressource gesehen, die von anderen Ländern beherrscht wird und um die vermehrt

Auseinandersetzungen drohen. „Was den Konflikt um die Biodiversität auszeichnet, das ist der Zusammenprall sehr unterschiedlicher Formen, wie die biologische Vielfalt jeweils in Deutungen, Techniken, Rechts- und Produktionsverhältnisse eingelassen ist. Die Machtverhältnisse zwischen verschiedenen Kulturen, Ländern und Regionen sind also eingeschrieben in ihre Naturverhältnisse, in ihr ‚politicised environment’. In indigenen wie in modernen Kulturen ist die Natur/ Biodiversität ein Implikat sozialer Verhältnisse, das diesen Verhältnissen gleichzeitig Grenzen ihrer eigenen Gestaltungsfähigkeit aufzeigt – nur können ‚indigene Kulturen’ diese Grenzen offenkundig wesentlich leichter reflektieren und praktisch berücksichtigen als moderne Kulturen.“ (Görg 2003a, S. 260) In Bezug auf das Wattenmeer könnte thematisiert werden, wie sich die fehlende

Reflexionskapazität moderner Gesellschaften hier äußert. Werden Grenzen der

Gestaltungsfähigkeit erkannt und das problematische Verhältnis von Schutz und Nutzung

ausreichend im Hinblick auf gesellschaftliche Prozesse reflektiert?

2.2.6 Ökonomisches und wissenschaftliches Interesse am Schutz der Natur

GÖRG vertritt die Auffassung, dass die Interessen der Life Industry die Vergesellschaftung der

biologischen Vielfalt im globalen Rahmen dominieren und nicht das oben behandelte

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17 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

indigene, lokal verankerte Wissen. Dabei diene die Erhaltungsarbeit, die diese Unternehmen

zum Schutz der Biodiversität leisten, auch zum Aufrechterhalten der eigenen ökonomischen

Interessen, da zukünftige potentielle Quellen für genetische Ressourcen erhalten bleiben. Die

Argumentation, die von Seiten der Industrie geführt wird, läuft dergestalt, dass der Schutz der

Umwelt – trotz der dadurch entstehenden Kosten – einen ökonomischen Wert habe, da er eine

Investition darstelle. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass der ökonomische Wert der

Erhaltung der Biodiversität (oder auch der Natur ganz allgemein) zu seiner Erhaltung

beitragen könnte. GÖRG kritisiert dies als Reduktion auf die ökonomische Nützlichkeit und

sieht die Gefahr eines neuen, ökonomischen Imperialismus. (vergl. Görg 2003a, S. 264)

Abkommen zum Schutz der Biodiversität wären demnach nicht zustande gekommen, wenn

nicht ökonomische Interessen dahinter stehen würden, vor allem aus dem Bereich der

Pharma- und Agrarindustrie. Das Interesse der Industrie an der Natur kann dabei auch als

Versuch seitens einiger Teile des Kapitals verstanden werden, die „Krise des Fordismus durch

eine Neuorganisation der Produktion zu überwinden“ (Görg 2003a, S. 265f.).

Diese These lässt sich gut auf die Situation im Wattenmeer übertragen. Auch hier spielen zum

Teil ökonomische Beweggründe eine Rolle, wenn es um den Schutz der Umwelt geht. Ein

Beispiel hierfür ist die Installation von Offshore-Windenergieanlagen im Wattenmeer.

Windenergieanlagen werden aus klimapolitischen Gründen als ökologisch sinnvoll eingestuft

und werden daher auch politisch gefördert und finanziell subventioniert. In Deutschland

wurde aus diesem Grund im Jahre 2000 das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG)

verabschiedet. Ziel dieses Gesetzes ist es, „im Interesse des Klima- und Umweltschutzes eine

nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen und den Beitrag

Erneuerbarer Energien an der Stromversorgung deutlich zu erhöhen, um entsprechend den

Zielen der Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland den Anteil Erneuerbarer

Energien am gesamten Energieverbrauch bis zum Jahr 2010 mindestens zu verdoppeln“

(http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/eeg/index.html, Download am 29.11.2003). Für

Windenergieanlagen gilt nach diesem Gesetz eine Abnahmegarantie des erzeugten Stromes

für 9,10 Euro-Cent pro Kilowattstunde für die ersten fünf Jahre nach der Inbetriebnahme und

im Folgenden mindestens 6,19 Euro-Cent pro Kilowattstunde. Für Anlagen, die mindestens

drei Seemeilen seewärts liegen und bis zum 31. Dezember 2006 in Betrieb genommen

wurden, gilt eine Frist von neun Jahren. Die Betreiber von Windenergieanlagen haben somit

von der wirtschaftlichen Seite her eine politisch-rechtliche Planungssicherheit. Für

Energiekonzerne besteht damit ein finanzieller Anreiz, ihre Stromproduktion zumindest

teilweise auf Windenergie umzustellen und sich auf diese Weise in Sachen Umweltschutz – in

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18 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

diesem Fall Klimaschutz – zu betätigen, zumal bisherige Formen der Energiegewinnung

durch Kohlekraftwerke und vor allem Atomkraftanlagen vermehrt als ökologisch

problematisch kritisiert werden. Inwieweit die Bereitschaft, auf die ‚ökologischere’ Variante

Windenergie zu setzen, auch nach der anstehenden Novellierung des EEG, die eine zumindest

teilweise Reduzierung der Subventionierung vorsieht, anhält, bleibt abzuwarten. An diesem

Beispiel wird deutlich, dass es Unternehmen gelingt, den Schutz der Umwelt zu

instrumentalisieren, wenn es darum geht, ökonomische Vorteile auszunutzen.

Nach TIEDEMANN (2003) zählen zu den negativen ökologischen Auswirkungen von

Windenergieanlagen im Wattenmeer unter anderem Veränderungen in den

Lebensgemeinschaften aufgrund von Änderungen der Habitatstrukturen (Benthos),

Vertreibung, Desorientierung sowie Beeinträchtigung der Kommunikation und Schädigung

des Hörvermögens bei Fischen und Meeressäugern, Vogelschlag, Barrieren für Zugvögel, der

Verlust von Rast- Nahrungs- und Mauserflächen und weitere stoffspezifische Wirkungen im

Falle technischer Betriebsstörungen. Diese unvollständige Aufzählung verdeutlicht, wie

komplex ökonomische und ökologische Interessen verknüpft sind.

GÖRG kritisiert im Weiteren, dass die Biodiversität seitens der Industrie als Ressource gesehen

wird und ihr darüber hinaus kein weiterer Wert zuerkannt wird: „Natur als ‚Fabrik’ des

Ausgangsstoffes – das ist die Logik der Inwertsetzung der Biodiversität.“ (Görg 2003a, S.

272)

Ein weiterer Problemkomplex dreht sich um die Rolle der Wissenschaft. Die Frage ist, „ob

die Wissenschaft ein Instrument zur objektiven Bestimmung von Gefahren sein kann oder

sein muss“ (Görg 2003a, S. 275). Wie mit wissenschaftlicher Unsicherheit umgegangen wird

ist für GÖRG aber weniger ein wissenschaftliches Problem. Entscheidender ist die Rolle,

welche die Wissenschaft gesellschaftlich übernimmt.

Was die Errichtung von Schutzgebieten angeht, so dürfen diese nicht gegen die Interessen der

Bevölkerung errichtet werden. Dies bedeutet eine Modifikation des Schutzgedankens, da die

gesellschaftlichen Ansprüche mit einbezogen werden und nicht alleine die Ökologie im

Vordergrund steht. Problematisch ist jedoch die Frage, was die Natur ist, die geschützt

werden soll und welche Natur schützenswert ist. Diese Fragestellung ist auch im Wattenmeer

von großer Bedeutung, da es sich hier um einen seit Jahrhunderten vom Menschen geprägten

Kulturraum handelt, der nur noch als ‚naturnahe Landschaft’ (vergl. Meier 2003, S. 97ff.)

bezeichnet werden kann. Nach GÖRG bieten sich im Rahmen der Umweltwissenschaften eine

Reihe von Ansatzpunkten, nach denen die ökologische Bedeutung ‚gemessen’ werden könnte.

1. quantitatives Kriterium (z.B. Artenzahl)

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19 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

2. ökologische Funktionen der Vielfalt

3. genetische Vielfalt oder

4. Ökosysteme und Habitate (vergl. Görg 2003a, S. 283)

Diese Kriterien sind für ihn jedoch nicht hinreichend, um die Frage zu beantworten, was eine

schützenswerte Natur auszeichnet. Für GÖRG wäre jede dieser Ausrichtungen nur eine

Verschiebung des Problems: „An welchem Maßstab soll sich also der Naturschutz ausrichten:

An der Natur ohne den Menschen? An der Natur vor der neolithischen Revolution (...)? An

gesellschaftlichen Nutzungsformen aus der vorindustriellen Periode? Oder doch am

Museumskonzept der zoologischen und botanischen Gärten?“ (Görg 2003a, S. 283)

Der Diskurs über den Naturschutz müsste nach Auffassung GÖRGs den Aspekt der Grenzen

der Nutzung beinhalten. Allerdings gibt es an dieser Stelle ein Erkenntnisdefizit, da nicht alle

natürlichen Zusammenhänge erkennbar oder darstellbar sind. Für die Wissenschaft bedeutet

dies, dass sie keine objektivierbare Beurteilungsgrundlage für den Schutz der Natur sein kann.

Bereits in die wissenschaftliche Grundlagenforschung fließt immer auch ein gesellschaftliches

Interesse mit ein. Besonders eindrucksvoll ist hier das Beispiel der Diskussion um die

Gentechnologie oder die Verwendung von embryonalen Stammzellen. Die wissenschaftliche

Forschung sieht sich hier mit einem breiten Spektrum von wirtschaftlichen, aber auch ethisch-

moralischen Sichtweisen konfrontiert, die versuchen, auf die weitere Forschung Einfluss zu

nehmen. Zudem muss die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft kritisch

betrachtet werden, da die Bereitstellung von Drittmitteln oder die Unterhaltung von eigenen

Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen die Ausrichtung der (von der Wirtschaft

finanzierten) Wissenschaftler beeinflusst, so dass es eine „neutrale Instanz zur Einschätzung

des Forschungsbedarfes“ (Görg 2003a, S. 285) nicht gibt.

GÖRG kommt abschließend zu dem Schluss, dass der Schutz der Natur, „nicht mehr in

Kontrast zu Formen ihrer kapitalistischen Nutzung (...), sondern als inhärentes Element ihrer

Inwertsetzung“ (Görg 2003a, S. 286) erfolgt.

Im Wattenmeer ist dies vor allem im Zusammenhang mit der touristischen Nutzung der Küste

zu beobachten. Der Tourismus stellt für fast alle Regionen des Wattenmeeres einen sehr

wichtigen – wenn nicht den wichtigsten – Wirtschaftszweig dar. Meist übertrifft die

Bedeutung des Tourismus sogar die der Landwirtschaft oder der Fischerei in den jeweiligen

Regionen. (vergl. Gätje 2003, S. 118)

„In Urlaubsregionen wie der Nordseeküste lebt der Tourismus vom Vorhandensein einer

intakten Natur.“ (Gätje 2003, S. 119) Doch auch, wenn Umfragen immer wieder ergeben,

dass die meisten Besucher Verständnis für Maßnahmen zum Umwelt- und Naturschutz haben,

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20 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

selbst wenn sie die Möglichkeiten der touristischen Nutzung beschränken (z.B. Begehverbote

von Dünen etc.), so bleibt doch festzuhalten, dass menschliche Aktivitäten im Wattenmeer

grundsätzlich eine mehr oder weniger starke Störung des Ökosystems bedeuten. Der

ökologische Wert des Ökosystems Wattenmeer wird also ökonomisch, in diesem Fall

touristisch genutzt.

Tabelle 2 vergleicht die Bedeutung der einzelnen Wirtschaftszweige im Küstenraum

Schleswig-Holsteins gemessen an der Wertschöpfung. Es zeigt sich, dass der Tourismus hier

einen höheren Anteil ausmacht als die Landwirtschaft. Jedoch lässt sich auch hier die

zunehmende Bedeutung des Dienstleistungssektors beobachten. (vergl. Möller/ Feige 1998a,

S. 178)

Wirtschaftszweig Wertschöpfung in Mio. DM Prozentualer Anteil

Tourismus 518 19 Landwirtschaft 132 5 Fischerei 22 1 Übrige Wirtschaftszweige 1998 75 Tab. 2: Wirtschaftliche Bedeutung der nationalparkbezogenen Wirtschaftszweige – Wertschöpfung (Schleswig-

Holstein). Eigene Darstellung, Daten aus: Möller/ Feige 1998a, S. 178.

Tabelle 3 verdeutlicht für das Beispiel Schleswig-Holstein, wie sich die Umsätze im Bereich

des Tourismus zusammensetzen.

Umsätze entstehen durch Gäste aus: in Mio. DM in Prozent

Gewerbliche Beherbergung 423 36 Privatvermietung 400 35 Sanatorien 118 11 Ausflugsverkehr 80 7 Freizeitwohnsitzen, privaten Besuchsverkehr 75 7 Camping 31 3 Jugendherbergen 8 1

Von den Umsätzen durch Gäste profitieren: in Mio. DM in Prozent Gastgewerbe 549 48 Privatvermieter 193 17 Lebensmitteleinzelhandel 144 13 Sonstiger Einzelhandel 104 9 Sonstige touristische Dienstleistungen 145 13 Tab. 3: Herkunft und Verteilung tourismusbedingter Umsätze (in Mio. DM und Prozent) für Schleswig-

Holstein. Eigene Darstellung, Daten aus: Möller/ Feige 1998b, S. 180.

Dabei ist bemerkenswert, dass es neben der gewerblichen Beherbergung, die den größten Teil

des touristischen Umsatzes ausmacht, einen hohen Anteil privater Vermieter gibt, die im

Bereich der Nordseeküste vom Tourismus abhängig sind.

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21 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

2.2.7 Schutzgebiete

Ein Weg, der oftmals eingeschlagen wird, wenn es um den Schutz der Natur geht, ist,

Naturschutzgebiete auszuweisen, in denen die Nutzung durch den Menschen beschränkt oder

gänzlich verboten ist. Für GÖRG sind solche Gebiete ‚Untertyp’ eines anderen Vorgangs,

nämlich der Einrichtung eines globalen Systems von Verfügungsrechten. (vergl. Görg 2003a,

S. 287) Schutzgebiete mit Nutzungsbeschränkungen sind für ihn lediglich eine andere Form

der Nutzung, „nämlich als ‚Biopotenzial für die Zukunft’, als ‚globales Naturerbe’ oder eben

als unverzichtbare ökologische Regelungsfunktion zur Erhaltung des ‚Naturkapitals’“ (Görg

2003a, S. 288).

Es geht hier in erster Linie um Verteilungsprobleme. Die CBD hat den Staaten die nationale

Souveränität über die genetischen Ressourcen garantiert, über welche auf nationalem

Territorium verfügt werden kann. „Die Anerkennung der nationalen Souveränität hat (...) eine

doppelte Funktion: Sie beansprucht selbst eine bestimmte Form von Verfügungsrechten und

sie ist die Voraussetzung dafür, dass die Verteilung von Verfügungsrechten auch staatlich,

d.h. herrschaftlich abgesichert wird.“ (Görg 2003a, S. 288) Es wird aber deutlich, dass auf

diese Weise Zugangsberechtigungen – oder negativ formuliert Zugangsbeschränkungen –

installiert werden. Die Frage ist nun, wie die staatliche Gesetzgebung diese Berechtigungen

‚verteilt’. GÖRG ist der Auffassung, dass vor allem höchst selektive Interessen der Ökonomie

berücksichtigt werden und lokale Akteure meist unberücksichtigt bleiben8. Er kommt zu dem

Schluss, dass für die Staaten „die faktische Souveränität (...) abhängt von ihrer Fähigkeit zur

Organisation sozialer Interessenlagen und Kräfteverhältnisse“ (Görg 2003a, S. 292). Dies sind

aber gerade Faktoren, die zunehmend international vermittelt sind. Die Internationalisierung

des Staates zwingt die Regierungen dazu, z.T. widersprüchliche Strategien zu verfolgen, da an

der „Regulierung neben den Landwirtschafts- und Umweltministerien meist auch noch

Wirtschafts-, Entwicklungs- und Finanzressort beteiligt sind“ (Görg 2003a, S. 292). Hinzu

kommt, dass auch auf der internationalen Ebene die Fähigkeit der Regulierung höchst

ungleich verteilt ist.

8 Welche Auswirkungen ein ‚Aussperren’ lokaler (indigener) Akteure haben kann, verdeutlicht das Beispiel der Savannen-Nationalparke in Afrika, die für viele Nomadenstämme zu sog. no-go-areas erklärt wurden, da befürchtet wurde, deren Rinderherden könnten das Ökosystem Savanne schädigen. „Folge war die Zerstörung uralter Nomadenkulturen, waren und sind Not und Verelendung der Ex-Hirten in städtischen Slums.“ (Lieckfeld 2003, S. 28f.) Dabei werden die negativen Auswirkungen auf die Savannen durch Nomadenbewirtschaftung mittlerweile stark angezweifelt. Zudem ergeben sich durch diese Form der Vertreibung auch ökologische Probleme, da es in den Randbereichen dieser Schutzgebiete zur Überweidung und damit zu Übernutzung und Erosion kommt. (vergl. LIECKFELD 2003)

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22 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Auch im Wattenmeer existieren eine Reihe von Schutzgebieten, verbunden mit einer

vielschichtigen Diskussion über den Nutzen und den Sinn von nutzungsfreien Zonen im

Wattenmeer. (vergl. hierzu vor allem SDN 1998)

Diskutiert wird in diesem Zusammenhang aus unterschiedlichen Perspektiven. Zu nennen

wären hier vor allem die wissenschaftliche, die ökologische und die ökonomische Sichtweise.

Aus wissenschaftlicher Perspektive werden solche Schutz- oder Referenzgebiete aus

folgenden Gründen als notwendig erachtet: „ 1. Anthropogene und natürliche Einflüsse auf das Ökosystem oder Teile desselben sollen unterschieden werden. 2. Der natürliche Zustand oder die natürliche Entwicklung eines Lebensraumes soll dargestellt werden, damit

Naturschutzziele definiert werden können (...).“ (Colijn et al. 1998, S. 26)

Allerdings halten COLIJN ET AL. auch fest, dass die Auswahl eines solchen Referenzgebiets

schwierig ist, da die Auswahl immer auf den zu erforschenden Effekt abgestimmt sein muss

und so die wechselseitige Repräsentanz von unterschiedlichen Gebieten geprüft werden muss.

Kompromisslösungen würden die wissenschaftliche Aussagekraft der Monitorings- und

Forschungsarbeit mindern. (vergl. Colijn et al. 1998, S. 32) Hervorgehoben wird weiterhin,

dass die Evaluierung der Auswirkungen von anthropogenen Nutzungen im Wattenmeer auch

im Interesse der Nutzer selbst liegt, da nur durch gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse

konkrete Aussagen über die wirkliche Umweltverträglichkeit bestimmter Nutzungen möglich

sind. Eng anschließend an diese Argumentation erfolgt die Diskussion aus Sicht des

Naturschutzes. RÖSNER (1998) bietet eine breite Palette von Gründen für die Einrichtung

nutzungsfreier Gebiete im Wattenmeer; hier eine Auswahl: „- Gefährdete Arten werden besser geschützt und verschwundenen wird die Rückkehr ermöglicht, die Arten- und

Habitatvielfalt wird vergrößert. - Unberührte Natur ist schön; der Mensch braucht sie (...). (...) - Erst in solchen Gebieten ist eine ungestörte Naturentwicklung möglich und nur mit ihnen können die

Nationalparkziele erreicht werden und ein echter Nationalpark entstehen. (...)“ (Rösner 1998, S. 66)

Im Gegensatz zu diesen beiden Sichtweisen wird aus ökonomischer Perspektive die

Einrichtung von Schutzgebieten eher negativ beurteilt. Im Wattenmeer wehrt sich vor allem

die Fischerei gegen die Ausweitung von Nutzungs- und damit Fangbeschränkungen oder gar -

verboten. So wird u.a. argumentiert, dass es durch den Verlust von Fanggebieten zu einer

direkten Kostensteigerung aufgrund von längeren Anfahrtswegen und Verlängerung der

Arbeitszeiten kommen würde. Zudem würde die vermehrte Konkurrenz in den verbliebenen

Fanggebieten zu einer Verschlechterung des Verhältnisses von Kosten und Ertrag führen.

(vergl. Breckling 1998, S. 74ff.)

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23 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Wie sehr Referenzgebiete auf den Widerstand der Vertreter der Wirtschaft treffen,

verdeutlicht folgende Stellungnahme: „Regionale Fischereiverbote im Schleswig-Holsteinischen Wattenmeer bedeuten materielle Verluste in Form von Arbeitsplätzen, betrieblichen Existenzen, öffentlichen Mitteln und eine verminderte Nutzbarmachung des naturgegebenen Volksvermögens. (...) Ein messbarer ökologischer Nutzen ist bisher nicht in Aussicht. Die Küstenfischerei muss deshalb als Wirtschaftszweig, als gesellschaftliche Gruppe mit gesellschaftlichem Auftrag und als Bestandteil der Landeskultur regionale Fischereiverbote durch die Einrichtung von Referenzgebieten ablehnen.“ (Breckling 1998, S. 82)

Abbildung 1 zeigt, dass im Rahmen des Trilateralen Wattenmeerabkommens fast das gesamte

Kooperationsgebiet als Schutzgebiet ausgewiesen wurde.

Abb. 1: Kooperations- und Schutzgebiet im Wattenmeer laut Trilateralem Wattenmeerplan. aus: http://cwss.www.de (Download am 20.09.2003)

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24 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Allerdings besteht nicht für das gesamte Gebiet das gleiche Maß an

Nutzungsbeschränkungen. Diese unterscheiden sich von Region zu Region und umfassen

dabei unterschiedliche Schutzbestimmungen.

2.2.8 Biopolitik im Postfordismus

Die Biosphere Governance ist für GÖRG ein sehr komplexes und in vielen Teilen

widersprüchliches Neben- und Miteinander von mehreren internationalen Abkommen und

Verhandlungsprozessen, die jeweils mit nationalen, regionalen und lokalen Problemlagen

verbunden sind. (vergl. Görg 2003a, S. 293)

Wie die Vergesellschaftung der Natur – vor allem im Bereich der Biodiversität – sich in

Zukunft gestalten wird hängt vor allem von den internationalen Abkommen zum Freihandel –

und hier vor allem der WTO – sowie den Abkommen zum Schutz des geistigen Eigentums ab.

In diesem Zusammenhang hebt GÖRG wiederum den widersprüchlichen Charakter der

existierenden Governancestrukturen hervor: „Ein ‚globales Regieren’ ist eben auch ein Ausdruck einer ‚Internationalisierung des Staates’, denn es dient der Absicherung kapitalistischer Eigentums- und Produktionsverhältnisse. Auch im Bereich der Regulation der biologischen Vielfalt geht es also nicht um die Beseitigung von Umweltproblemen durch eine nachträgliche Wiedereinbettung eines anonymen Weltmarktes. Die Regulation der Biodiversität ist bis in die Begriffe hinein mit der politischen Durchsetzung einer neuen Form der Biopolitik verbunden, die sich auf die Kontrolle und die industrielle Verwertung von Leben richtet.“ (Görg 2003a, S. 293)

So kommt er zu dem Schluss, dass die Regulation der Biodiversität letztlich nichts anderes

darstelle als eine Modernisierung der Naturbeherrschung9. „Eine vernünftige Gestaltung

gesellschaftlicher Naturverhältnisse scheint (...) eine Unmöglichkeit zu sein“. (Görg 2003a, S.

295)

Auch im Bereich des Wattenmeeres (und der Nordsee) gibt es eine ganze Reihe von

politischen Abkommen, die sich aus unterschiedlichsten Gründen (und dahinter stehenden

Interessen) dem Schutz und der Erhaltung der Nordsee und des Wattenmeeres widmen. Sie

unterscheiden sich daher sowohl in Bezug auf das Einzugsgebiet als auch nach den Themen,

die mit dem entsprechenden Abkommen behandelt werden sollen.

Tabelle 4 bietet einen Überblick über die wichtigsten Abkommen dieser Art sowie deren

Einzugsgebiet und thematischen Schwerpunkten.

9 LEISS (2003) stellt die Geschichte des Konzepts sowie die Kritik am Begriff der Naturbeherrschung dar. Er geht dabei von den Ausführungen von FRANCIS BACON (1551-1626) aus. Demnach wurde dessen Programm der Beherrschbarkeit der Natur durch den Menschen „mit der neuzeitlichen Wissenschaft in ihrer Gesamtheit und deren unbeschränkter Anwendung in Technologie und industrieller Produktion assoziiert, so dass dieser ganze Komplex als Fortschritt ohne natürliche Grenzen mit der Tendenz einer unendlichen Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten des Menschen in der Welt angesehen wurde (...)“ (Leiss 2003, S. 136.).

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25 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Konvention Einzugsgebiet Themen Kommission für nachhaltige Entwicklung (CSD)

Global Nutzung von Meeresressourcen, Fischerei, Verschmutzung, Forschung, Förderung nationaler, internationaler und globaler Aktivitäten

Globales Aktionsprogramm zu Verhütung der Meeresverschmutzung vom Lande aus (GPA)

Global Abwasser, Schadstoffe, radioaktive Stoffe, Schwermetalle, Öl, Nährstoffe, Mobilisierung von Sedimenten, Haushaltsabfälle, Änderung und Zerstörung von Lebensräumen

Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen

Global Umweltverschmutzung durch die Schifffahrt, Entsorgung von Abfällen auf See, z.B. durch Klärschlamm, Baggergut, Chemikalien, Plattformen

Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen

Global Schutz und Bewahrung der Meeresumwelt, Meeresressourcen, Fischerei, Schifffahrt, Tiefseebergbau

EU-Richtlinien Europa Ökologische und chemische Qualität der Gewässer bewahren/ wiederherzustellen, Fischerei, Emission, Eutrophierung, Schifffahrt

OSPAR-Konvention Nordost-Atlantik Eutrophierung, Biodiversität, Gefährliche Stoffe, Offshore Industrie, Radioaktivität

Internationale Nordseeschutz-Konferenzen (INK)

Nordsee Schifffahrt, Fischerei, Eutrophierung, Biodiversität, Gefährliche Stoffe, Offshore Industrie, Radioaktivität, Erneuerbare Energie, Raumplanung

Trilaterale Wattenmeerzusammenarbeit

Wattenmeer Schutz der Flora, Fauna und Habitate Monitoring

Tab. 4: Zusammenstellung der die Nordsee betreffenden Meeresschutzkonventionen. übernommen und leicht verändert aus: Menzel/ Ziebarth 2003, S. 351.

2.2.9 Zwischenfazit

In seiner Schlussbetrachtung kommt GÖRG zu der Feststellung, dass die Gesellschaft ‚die

Natur’ nur durch das Spannungsfeld von Ökologie und Ökonomie hindurch wahrnehme. So

stelle „die Inwertsetzung der Natur den strukturellen Rahmen dar, innerhalb dessen sich die

Konflikte um die Gestaltung der Naturverhältnisse bewegen“ (Görg 2003a, S. 297). Die

ökologische Frage bleibt bei dieser Form der Regulation nicht ausgeklammert. Allerdings ist

die Frage, wie diese berücksichtigt wird. In der internationalen Politik werden ökologische

Zusammenhänge oftmals ‚katastrophisch’ zugespitzt und wird versucht, Lösungen in Form

eines pragmatischen Managerismus zu finden. Gefordert wäre dagegen stärker eine

Berücksichtigung und Reflexion der gesellschaftlich auferlegten Grenzen der Regulation.

Dazu zählt auch die „Infragestellung der symbolischen wie der normativen Leitvorstellungen

in der Inwertsetzung der Natur, in mehr oder weniger direkter Konfrontation mit den Kräften,

die diese voranzutreiben versuchen“ (Görg 2003a, S. 301). Zu beachten ist dabei das

widersprüchliche Verhältnis der Gesellschaft zur Natur. Natur muss als nicht-identisches

Implikat sozialer Prozesse aufgefasst werden. Allerdings darf es nicht zu einer Verkürzung

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26 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

dieser Reflexion kommen, indem auf eine ethisch-moralische oder ästhetische Wertschätzung

der Natur Bezug genommen wird.

Im Hinblick auf HORKHEIMER fordert GÖRG ein ‚unabhängiges Denken’, welches es

ermöglichen soll, den scheinbaren Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie

aufzulösen und sich damit von der Vorstellung zu lösen, die ökologische Krise ließe sich nur

durch pragmatisches, ökonomisch orientiertes Management lösen.

Diese Ausführungen GÖRGs, die sich vor allem auf den Bereich der Biodiversität beziehen,

lassen sich – wie gezeigt – auch auf das Wattenmeer, genauer auf die Frage der Beziehung der

Gesellschaft zum Ökosystem Wattenmeer, übertragen. Es stellt sich die Frage, wie im

Wattenmeer die Regulation der gesellschaftlichen Naturverhältnisse tatsächlich abläuft und

inwieweit auch hier die dualistische Sichtweise eines ‚Entweder-oder’ dominiert.

Wie sich solche sozial-ökologischen Problemlagen im Wattenmeer grundsätzlich darstellen,

wurde in den vorangegangenen Abschnitten aufgezeigt. An dieser Stelle ist darauf

hinzuweisen, dass GÖRG nur den theoretischen Rahmen für die Analyse der gesellschaftlichen

Naturverhältnisse im Wattenmeer liefert. Die konkrete Übertragung der von ihm formulierten

Probleme und Paradoxien auf das Ökosystem Wattenmeer kann daher nicht ohne die

vorhergehende Operationalisierung dieses Ansatzes erfolgen. Dazu dient im Folgenden der

Ansatz von BECKER/ SCHRAMM, der eine Operationalisierung des Konzeptes der

gesellschaftlichen Naturverhältnisse darstellt. Zunächst wird diese Operationalisierung auf

den Bereich der Wasserversorgung angewendet, bevor gezeigt wird, dass für das Ökosystem

Wattenmeer vor allem der Küstenschutz geeignet ist, um die Mensch-Umwelt-Dynamik zu

analysieren.

3 Mensch-Umwelt-Dynamik – Kopplungen zwischen Natur und Gesellschaft

3.1 Vorbemerkung

BECKER und SCHRAMM (2001) legen mit ihrem Ansatz der gekoppelten Systeme einen Versuch

der Operationalisierung des Konzepts der gesellschaftlichen Naturverhältnisse vor.

Sie setzen sich in ihrem Ansatz mit sozial-ökologischen Transformationen und der

zunehmenden und immer komplexer werdenden Verflechtung von gesellschaftlichen und

ökologischen Systemen auseinander. „Unter sozial-ökologischen Transformationen werden form- und strukturverändernde Prozesse verstanden, die sich nicht nur auf physische Strukturen und Prozesse beziehen, sondern ebenso auf die Gesellschaft (und damit auf Wahrnehmungen, Bedeutungen und Symbole). Als Kennzeichen sozial-ökologischer Transformationen gilt,

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27 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren dass sich, durch sozio-ökonomische Prozesse und technologischen Wandel angestoßen, vielfältige Problemlagen ineinander schieben und neue Wechselwirkungen ausbilden (...).“ (Becker/ Schramm 2001, S. 5)

Die zentrale Frage lautet in diesem Zusammenhang, wie sich solche komplexen

Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen und natürlichen

Systemen darstellen, durchschauen und nach Möglichkeit auch gesellschaftlich handhaben

(‚managen’) lassen und ob darüber hinaus mit wissenschaftlichen Mitteln Prognosen zu

erstellen sind, die den Akteuren eine Orientierung für die zukünftige Regulation bieten

können. BECKER/ SCHRAMM sprechen sich gegen die gängigen Modelle der Umweltforschung

aus, die „Beeinflussungen zwischen Natur und Gesellschaft als eine gegenseitige Störung

weitgehend autonomer Sphären“ (Becker/ Schramm 2001, S. 5) abbilden. Betrachtet werden

in diesen Modellen gemeinhin vor allem materiell-energetische Größen – Symbolisierungen

etc. bleiben unberücksichtigt – und die daraus abgeleiteten Prognosen stellen lediglich lineare

Effekte dar, was im Hinblick auf die komplexen Wechselwirkungen eine unzulässige

Verkürzung darstellt. „Gesellschaftliches Handeln und Wirtschaften haben in den

ökologischen Gefügen auch (nicht-lineare) Effekte zur Folge, welche nicht alleine auf

physische Faktoren zurückgeführt werden können.“ (Becker/ Schramm 2001, S. 6)

Um dies bei der Modellierung sozial-ökologischer Transformationen zu berücksichtigen,

bedienen sich BECKER/ SCHRAMM des Konzeptes der gekoppelten Systeme, welches im

Folgenden umrissen werden soll, bevor eine Darstellung der Anwendung dieses Konzeptes

auf eine konkrete sozial-ökologische Transformation, nämlich der Situation der

Wasserversorgung folgt.

3.2 Kopplungen als analytisches Schema

Unter Koppelungen verstehen BECKER/ SCHRAMM „spezielle Arrangements oder

Konstellationen zwischen Entitäten (Dingen, Systemen, Strukturen und Prozessen) (...),

welche die Rahmenbedingungen für die Wechselwirkungen zwischen diesen Entitäten

schaffen“ (Becker/ Schramm 2001, S. 7)

Vernachlässigt man zunächst die Bedeutung von symbolischen Beziehungen und Deutungen

der Gesellschaft zur Natur, dann lassen sich idealer Weise die Sphären ‚Natur’ und

‚Gesellschaft’ in physikalischer Analogie10 nach der Stärke der Kopplungen wie folgt

klassifizieren:

10 Als Beispiel dienen BECKER/ SCHRAMM die Schwingungen zweier Federpendel:

1. vollständig entkoppelt: jedes Pendel schwingt periodisch mit eigener Frequenz

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28 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Zunächst wären vollständig entkoppelte Systeme denkbar. Allerdings handelt es sich um ein

für die sozial-ökologische Forschung vernachlässigbares Extrem. Die vollkommene Trennung

von Natur- und Anthroposphäre ist undenkbar, da der Mensch in ständigem Stoff- und

Energieaustausch mit seiner natürlichen Umwelt steht. Zu verwerfen ist zweitens die

Möglichkeit einer festen Kopplung von Mensch und Natur. Dies wäre einzig im Falle einer

unauflösbaren Symbiose der Fall. Geeignet scheinen BECKER/ SCHRAMM dagegen die

Möglichkeiten einer starken bzw. einer schwachen Kopplung von Gesellschaft und Natur. Sie

wenden das Konzept der Kopplungen auf den Bereich der Versorgungssysteme, genauer der

Wasserversorgung an und versuchen damit „grundlegende Strukturen sowie auftretende

Probleme (insbesondere Umweltprobleme 2. Ordnung) und sich zeigende Transformationen

zu reformulieren“ (Becker/ Schramm 2001, S. 18).

Das Versorgungssystem ‚Wasserversorgung’ wird von BECKER/ SCHRAMM letztlich als ein

hybrider Bereich definiert. Mit diesem Begriff bezeichnen sie ein System, welches als

„Vermittlungsinstanz zwischen Gesellschaft und Natur aufgebaut worden ist“ (Becker/

Schramm 2001, S. 18). Dieses System steht also zwischen der Gesellschaft mit ihren

institutionellen Ausgestaltungen sowie der Natur.

Hier soll nun zunächst das Vorgehen beschrieben werden, mit dem die Wasserversorgung als

hybrider Bereich zwischen Gesellschaft und Natur definiert wurde und im Anschluss

aufgezeigt werden, dass für den Bereich Wattenmeer ebenfalls ein derartiges ‚dazwischen

geschobenes System’ denkbar ist, nämlich der Küstenschutz.

3.3 Anwendung den Bereich der Wasserwirtschaft

BECKER/ SCHRAMM untersuchen wie erläutert mit dem Schema der gekoppelten Systeme das

Versorgungssystem Wasserversorgung als hybriden Bereich zwischen Gesellschaft und Natur.

Dazu treffen sie zunächst wichtige Vorannahmen bezüglich der Wasserversorgung:

Zum ersten stellt die Wasserversorgung eine vermittelnde Instanz zwischen Gesellschaft und

Natur dar, „welche Flüsse von Stoffen, Energie und Informationen gezielt lenken und

umlenken kann, um den Bedarf der Gesellschaft an bestimmten Gütern und Dienstleistungen

zu befriedigen“ (Becker et. al. 2001, S. 18). Zum zweiten handelt es sich hierbei um ein stark

2. schwach gekoppelt: Pendel sind durch dünnen Gummifaden verbunden und stören sich gegenseitig, so

dass sie leicht aperiodisch mit leichter Frequenzverschiebung schwingen 3. stark gekoppelt: Pendel durch starkes Gummiband verbunden, welches bewirkt, dass beide Pendel

zusammen ein komplexes Gesamtsystem bilden, welches in nicht-lineares und z.T. chaotisches Verhalten übergehen kann

4. fest oder starr gekoppelt: Pendel durch eine Stange verbunden, so dass das Gebilde periodisch als Einheit mit einer neuen Eigenfrequenz schwingt (vergl. Becker/ Schramm 2001, S. 7.)

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29 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

gekoppeltes, sozial-ökologisches System, welches sowohl gesellschaftliche als auch

ökologische Elemente beinhaltet. Und letztlich drittens handelt es sich um ein

selbstorganisierendes System, wobei alle Konstrukteure, Betreiber, Regulatoren und

Organisatoren mit berücksichtigt werden.

Mit diesen Vorannahmen, so BECKER/ SCHRAMM, könnten dann Aussagen über die

Kopplungen zwischen Gesellschaft und Wasserversorgung, sowie zwischen

Wasserversorgung und Natur getroffen werden. So kommen sie zunächst zu folgenden

Feststellungen: (vergl. dazu Becker/ Schramm 2001, S. 19f.)

Der Mensch benötigt etwa zwei Liter Wasser pro Tag für seinen physiologischen

Stoffwechsel, sozusagen sein biologisches Grundbedürfnis. Darüber hinaus verwendet er

Wasser für Köperpflege, Hygiene und Nahrungszubereitung. Wasser ist weiterhin ein

grundlegender Faktor für das Wirtschaften des Menschen. Er benötigt es als Prozesswasser,

Energielieferant oder für die Bewässerung in der Landwirtschaft. Nicht unerwähnt sollte

zudem die symbolische Bedeutung bleiben, welche das Wasser einnimmt. So dient es in

unterschiedlichen Kulturen als Medium der Taufe oder der rituellen Reinigung. Historisch

gesehen war Wasser – oder genauer gesagt der Mangel an Wasser – einer der, wenn nicht

sogar der limitierende Faktor für die Bevölkerungs-, Siedlungs-, Wirtschafts- und

Gesellschaftsentwicklung, da es sich bei Wasser um ein nicht ubiquitäres Gut handelt,

welches nicht an jedem Ort in gleichem Umfang verfügbar ist. Erst die Entwicklung von

sozial-ökologischen Versorgungssystemen erlaubte es der Gesellschaft, sich von den

natürlichen Wasservorkommen zu emanzipieren. Damit wurde auch die bis dahin starre

Kopplung zwischen dem örtlich verfügbaren Wasservorkommen und dem Verbrauch

gelockert, wenn nicht sogar aufgelöst. Mit dieser erhöhten Verfügbarkeit von Wasser änderten

sich aber auch die Verbrauchsmuster der Gesellschaft – sowohl im sanitären, als auch im

produzierenden Bereich – womit eine zunehmende mechanische, chemische und

mikrobiologische Belastung des Wassers einherging. Dies führte zur Notwendigkeit, auch die

Wasserentsorgung neu zu regeln. Da die in den Abwässern enthaltenen Schadstoffe und

Abfälle nicht mehr ohne weiteres innerhalb der Siedlungen entsorgt werden konnten, wurde

mit der Entwicklung der Kanalisation ein Weg gefunden, die Abwässer in die umliegenden

ländlichen Gebiete zu transportieren und dort aufzubereiten oder in die Umwelt einzuleiten.11

11 Mittlerweile ist in Deutschland aufgrund der technischen Entwicklung der Kanalisations- und Kläranlagen von einer starren Kopplung zwischen den sozio-technischen Systemen der Wasserversorgung und der Abwasserversorgung festzustellen, so dass Wasserver- und Abwasserentsorgung gemeinsam betrachtet werden können. Allerdings ist es vermehrt zur Entkopplung von örtlicher Wasserversorgung und Grundwasserschutz (und damit verbunden dem Bodenschutz) gekommen. (vergl. Becker/ Schramm 2001, S. 23.)

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30 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Die von BECKER/ SCHRAMM ‚Wassermacher’ genannten gesellschaftlichen Akteure im

Bereich der Wasserversorgung (Ingenieure, Hygieniker, staatliche Aufsichtsbehörden etc.)

sind bestrebt, für den Bereich der Wasserversorgung eine weitgehende Definitions- und

Gestaltungsmacht zu besitzen. (vergl. Becker/ Schramm 2001, S.20) Dazu ist es notwendig,

die Versorgung so zu gestalten, dass sie von anderen gesellschaftlichen Kräften, insbesondere

den Parlamenten oder der staatlichen Politik, nicht mit gestaltet wird. Daher versuchen die

‚Wassermacher’, starke Kopplungen zwischen Wasserversorgung und Gesellschaftssphäre

und zwischen Wasserversorgung und Natursphäre zu vermeiden. Grund hierfür ist, dass starke

Kopplungen zu Zuständen führen könnten, die nicht mehr kontrollier- und prognostizierbar

sein könnten.

In der Wirklichkeit sind so dann auch unterschiedliche Kopplungstypen zwischen

Wasserversorgung und Natur bzw. Gesellschaft zu beobachten:

Zwischen Gesellschaft und Wasserversorgung besteht eine starre Kopplung. Die

Wasserversorger befriedigen den Bedarf der Gesellschaft, ohne dass diese oder jene diesen

Bedarf reflektieren würden. Reicht der Wasservorrat nicht mehr zur Deckung des Bedarfs aus,

so wird die Ressourcenbasis erhöht – ebenfalls ohne die möglichen ökologischen (und

eventuellen wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen) Folgen abzuwägen. Es wird also

versucht, keine Krisensituation entstehen zu lassen, damit die Selbstorganisation und die

eigene Macht der Betreiber nicht geschmälert werden. Dies begründet dann auch das Interesse

der Betreiber, immer genug Wasser zur Verfügung zu stellen. (vergl. Becker/ Schramm 2001,

S. 21) Auch für den Bereich des Küstenschutzes lässt sich feststellen, dass ein reibungsloses

Funktionieren der Deichanlagen angestrebt wird. Da die ‚Betreiber’ von Deichanlagen meist

öffentliche Träger (Landesregierungen und untergeordnete Ämter) sind, wird befürchtet, dass

Deichbrüche oder ähnliche krisenhafte Vorfälle in der Bevölkerung das Vertrauen in die

Politik (und die dort handelnden Personen) schmälern und sich dies in Form von

Wahlergebnissen niederschlägt.

Dagegen treten zwischen Natur und Wasserversorgung eher schwache Kopplungen auf. Es

wird versucht, starke Kopplungen mit den aus ihnen resultierenden nicht-linearen Folgen

möglichst zu vermeiden. Dazu wird die Extraktion des Wassers möglichst so gestaltet, dass

schwache Kopplungen entstehen, die sich ingenieurswissenschaftlich beherrschen lassen.

Auswirkungen der Wasserentnahme, die sich direkt oder indirekt auf den Betrieb auswirken,

sind daher ebenso sehr zu vermeiden wie Entnahmepraktiken (oder deren Auswirkungen),

welche von außen stehenden gesellschaftlichen Gruppen wie Umweltverbänden, skandalisiert

werden könnten.

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„Im Idealfall könnten es ingenieurstechnische Mittel ermöglichen, bei der Regulation dieser

Kopplungen sowohl das Versorgungssystem dauerhaft zu erhalten, als auch die

Versorgungsgrundlage der Gesellschaft zu erhalten (und vielleicht sogar weiterzuentwickeln)

anstatt sie zu bedrohen.“ (Becker/ Schramm 2001, S. 22)

Kopplungen in der sozial-ökologischen Forschung sind nicht so leicht zu bestimmen wie etwa

in der Mechanik, da „es sich hierbei um spezielle räumliche Konstellationen zwischen

Entitäten, um deren Metabolismus oder Energieübertragung usw. handeln kann“ (Becker/

Schramm 2001, S. 24). Um nun diese Kopplungen für den Bereich der Wasserversorgung zu

identifizieren, wurde von BECKER/ SCHRAMM eine Reihe von Indikatoren aufgestellt. Dies

geschah getrennt nach Kopplungen zwischen Wasserversorgung und Gesellschaft und

Wasserversorgung und Natur.

Eine Darstellung dieses Indikatorensets bietet Tabelle 5. Dabei ist zu beachten, dass BECKER/

SCHRAMM zwischen Wasserversorgung und Gesellschaft als mögliche Kopplungssysteme nur

starre und starke und für die Konstellation zwischen Wasserversorgung und Natur nur

schwache und starke Kopplungen festgestellt haben.

BECKER/ SCHRAMM halten fest, dass es komplizierter ist, Indikatoren zu identifizieren, mit

denen sich starke Kopplungskonstellationen kennzeichnen lassen. Darüber hinaus kommen

sie zu dem Schluss, dass die Darstellung von Indikatoren für die Kopplungen zwischen

Gesellschaft und Wasserversorgung einfacher ist als für die zwischen Wasserversorgung und

Natur. Einzige Ausnahme seien hier die energetischen Indikatoren. Dabei wird ein zentrales

Problem dieser Vorgehensweise deutlich. Sofern starke Kopplungen vorliegen, müssten

Nichtlinearitäten auftreten. Solche nichtlinearen Phänomene lassen sich aber empirisch

(naturwissenschaftlich und sozial-ökologisch) nur ex-post, also im Nachhinein, bestimmen,

„oder mit Hilfe von – bisher noch fehlenden – mathematischen Modellen prognostizieren“

(Becker/ Schramm 2001, S. 26) Ein weiteres Problem stellen die Zeitverzögerungen dar,

welche ökologische Gefüge bei der Reaktion auf (externe oder interne) Einflüsse aufweisen

und die es erschweren, den Übergang von schwachen zu starken Kopplungen näher zu

bestimmen. Zudem treten nichtlineare Effekte in Ökosystemen nicht singulär auf: „Bekanntlich entstehen Nichtlinearitäten in synökologischen Einheiten auch z.B. durch statistische Klimaschwankungen oder andere natürliche Ereignisse, z.B. durch tierisches Umwühlen der Vegetationsdecke oder Sukzessionsdynamiken, die zum Wiederauftreten oder Wegbleiben von Gefäßpflanzen, Bodenalgen, Insekten usw. führen können.“ (Becker/ Schramm 2001, S. 26) Die Aufstellung solcher Indikatoren wie in Tabelle 5, die sich einen Kopplungstyp zuweisen

lassen, ermöglicht es dann auch, festzustellen, ob es derzeit zu einem Übergang von einem

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Kopplungstyp zum anderen kommt. Daran ließe sich ablesen, inwieweit sich die Regulation

der Naturverhältnisse – in diesem eingeschränkten Feld – verändert und in welche Richtung.

Indikatoren für die starre und starke Kopplungskonstellationen zwischen Wasserversorgung und Gesellschaft: starre Kopplung starke Kopplung Abstimmung von Wasserangebot und Nachfrage

Lieferung von Wasser in Trinkwasserqualität im vordefinierten Lieferquantum; Anschluss- und Benutzungszwang

Intermittierende Versorgung; demand-side-management; freies Vertragsverhältnis zwischen Wasserversorgung und Kunden

Finanzielle Beziehung Gebührendeckungsprinzip: Anfallende Investitions- und Betriebspreise werden immer gezahlt

Marktpreise; Unternehmerisches Risiko

Politische Regulation Wasserrecht nach Vorgaben der Wasserversorger; Staat regelt Allokation nach WVS-Vorgaben; keine Grundwasserabgabe

Wasserrecht auch gegen Wasserversorgungs-Maximen; Allokationsprobleme müssen ausgehandelt werden; Grundwasserabgabe

Öffentliche Perzeption Wasserversorgung ist unauffällig; „es gibt keine Probleme“

„Probleme“ führen zu Akzeptanzkrisen und zu Marketingkampagnen

Indikatoren für schwache und starke Kopplungskonstellation zwischen Wasserversorgung und Natur: schwache Kopplung starke Kopplung Wasserentnahme: Hydrogeosphäre

Eingriff in Bilanz vernachlässigbar; nur tatsächlicher Überfluss wird entzogen

Entnahme nahe der Neubildung; Entnahme von Tiefengrundwasser nahe saliner Horizonte

Wasserentnahme: Ökosphäre, Landschaft

räumlich und zeitlich vernachlässigbare ökologische Effekte auf Landschaftsebene; zielgerichteter Abgang von Biotopen

erhebliche ökologische Effekte auf Vegetation; unbeabsichtigte Veränderungen/ Abgang von typischen Biotopen

Räumlicher Naturhaushalt

Funktion und Entwicklungsfähigkeit bleibt

Funktion oder Entwicklungshaushalt fraglich

Energiebedarf für Extraktion

sehr geringer Energiebedarf hoher Energiebedarf; Notstromaggregat nötig

Stoff- und Energiebedarf für Aufbereitung

fast keine Aufbereitung (außer Filtration, Mn, Fe)

Wasserqualität erfordert weitgehende Aufbereitung

Energiebedarf für Transport und Verteilung

sehr geringer Energiebedarf (Gefälleleitung)

hoher Energiebedarf; Notstromaggregat nötig

Abwasserprobleme gering Verlangen eigenes Entsorgungssystem Tab. 5: Indikatoren für starke Koppelungskonstellation zwischen Wasserversorgung und Gesellschaft bzw.

Natur. verändert übernommen aus: Becker/ Schramm 2001, S. 24f. So stellen BECKER/ SCHRAMM dann auch einen Übergang von schwachen zu starken

Kopplungen zwischen Natursphäre und Wasserversorgung fest. (vergl. Becker/ Schramm

2001, S. 27)

Bei der Extraktion von Wasser aus Oberflächengewässern (Flüsse, Seen, Quellen etc.) fehlt

das entnommene Wasser den jeweiligen Ökosystemen. Dies sorgt in der Talsperrenwirtschaft

für ein teilweises Unterschreiten von Wasserständen, die aus ökologischer oder

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fischereibiologischer Sicht noch vertretbar wären. Weiterhin ist es aus ökologischer Sicht

problematisch, dass durch die Talsperrenwirtschaft die Tallandschaften umgestaltet und über

die Talsohlen hinaus permanent überschwemmt werden.

Auch die Extraktion von Grundwasser birgt ökologische Risiken: „Absterben von Wäldern,

Austrocknung von Feuchtgebieten, Artenwandel“ (Becker/ Schramm 2001, S. 27). Sekundäre

Effekte können aber auch den Menschen auf direktere Weise treffen, z.B. durch Setzrisse in

Häusern. Hier wird deutlich, dass diese nichtlinearen Effekte nicht direkt im gleichen

ökologischen – in diesem Fall hydrogeologischen – Teilsystem auftreten müssen, sondern

sich in andere Teilsysteme verlagern können.

Für die Gestaltung der Kopplungen zwischen Wasserversorgung und Natur halten BECKER/

SCHRAMM daher fest, dass diese „nur teilweise gesellschaftlich gestaltbar bzw. regulierbar“

(Becker/ Schramm 2001, S. 28) sind. Grund dafür sind natürliche Zufallsereignisse12, welche

die Wechselwirkungen zwischen beiden Sphären beeinflussen. Insofern sind auch die in der

Wasserwirtschaft gängigen Wasserhaushaltsbilanzen nicht geeignet, um Prognosen über die

Kopplungen zu treffen, da die Bilanzen diese entstehenden Probleme zweiter Ordnung nicht

berücksichtigen (können). Laut der Ressourcenmanagement-Regel gilt, dass nicht mehr

Wasser entnommen werden darf, als im langjährigen Mittel neu gebildet wird. Diese Regel

wird auch in den Wasserbilanzen und sogar in den Grundwassermodellierungen als Grundlage

für die Planung verwendet13. „Bei näherer Betrachtung der Probleme ist jedoch festzustellen, dass sich die Probleme wie auch die Handlungsanforderungen meist im Bereich unterhalb der 30-Jahres-Grenze bewegen. Wenn auch ein Grundwasserkörper in 30 Jahren, statistisch gesehen, als ausgeglichen angesehen werden kann, so liegen die Schwankungen eher im Vier- bis Fünf-Jahresrhythmus (die dann auch die entsprechenden Probleme produzieren). (...) Die Modellierung der nichtlinearen, nichtstationären Effekte erfordert jedoch die Berücksichtigung sowohl der Niederschlagsschwankungen als auch der durch menschliches Handeln bedingten Effekte und daran geknüpfte Rückkopplungen auf das Grundwassersystem.“ (Kluge 2003, S. 209f.)

Daher sprechen sich BECKER/ SCHRAMM dafür aus, die bisherige Praxis, das Wasser von

staatlicher Seite auf die verschiedenen Interessenten zu verteilen, zu überprüfen. Dazu sei

teilweise die Neuordnung des bewirtschafteten Wasserhaushaltes nötig und damit das

eventuelle Zurücknehmen bereits erteilter Entnahmebewilligungen. Für Gebiete mit hoher

Wassernachfrage wären erhöhte Wasserentnahmen oder Fernwasserversorgung nur 12 Dass solche „natürlichen Zufallsereignisse“ wiederum vom Menschen beeinflusst sein können, beweist das

Beispiel des Klimawandels. In der wissenschaftlichen Diskussion besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass dieser anthropogen beeinflusst ist. Dies bekräftigt aber gerade die These, dass nichtlineare Effekte zwischen einem hybriden Bereich (Wasserversorgung oder Küstenschutz) und der Natursphäre schwer zu regulieren sind, da über das Wechselspiel von solchen natürlichen Ereignissen und nichtlinearen Effekten kaum gesicherte Prognosen zu treffen sind.

13 Dies gilt im Übrigen auch für die neue EU-Wasserrahmenrichtlinie.

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34 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

unzureichende Lösungsmöglichkeiten. Sinnvoller wären Maßnahmen zur Steigerung des

natürlichen Wasserdargebots.

Für das Einbringen von Schadstoffen in den Wasserhaushalt wird festgestellt, dass sich

punktförmige Emissionsquellen (z.B. Kläranlagen) gut mit dem Umweltrecht regulieren

lassen, während die Regulation flächenhafter Emissionen (Landwirtschaft) zusätzlich der

Kooperation entsprechender „Allianzen und Problemgemeinschaften“ (Becker/ Schramm

2001, S. 29) bedarf.

Auch für das Verhältnis von Gesellschaft zu Wasserversorgung stellen BECKER/ SCHRAMM

einen Übergang von starrer zu starker Kopplung fest.

Etwa ein Drittel des natürlichen Wasserdargebots (aus Grund-, Quell- und

Oberflächenwasser) wird in Deutschland zur Wasserversorgung der Bevölkerung, des

Gewerbes und der Industrie verwendet. Sowohl durch die zunehmende Zahl der Verbraucher,

aber auch durch geänderte Verhaltensweisen ist der Wasserverbrauch bis in die 1970er Jahre

ungefähr proportional zum Elektrizitätsverbrauch gestiegen. Nach etwa 20 Jahren der

Stagnation auf hohem Niveau (ca. 144 Liter pro Einwohner pro Jahr) ist er seit 1991 um etwa

zehn Prozent gesunken. (vergl. Becker/ Schramm 2001, S. 30) Die Ursache hierfür liegt vor

allem im Einsatz von neuen Wasserspartechnologien (in privaten wie öffentlichen

Einrichtungen), aber auch im „Bewusstseins- und Verhaltenswandel in der Bevölkerung

sowohl als Ergebnis der Umweltdebatte, (...) als auch in Folge gestiegener Kosten sowie z.T.

einer verbrauchsbezogenen Ermittlung des Wasserverbrauchs“ (Becker/ Schramm 2001, S.

30).

Der Übergang von einer starren zu einer starken Kopplung zwischen Gesellschaft und

Wasserversorgung wird vor allem „innergesellschaftlich durch wechselseitige, dynamische

Abhängigkeiten unterschiedlicher gesellschaftlicher Teilsysteme“ (Becker/ Schramm 2001, S.

30) verstärkt.

Zur Gestaltung der Kopplung zwischen Wasserversorgung und Gesellschaft stellen BECKER/

SCHRAMM fest, dass die Betreiber der Wasserversorgung bestrebt sind, sich vorausschauend

weitere Ressourcen zu sichern und dass sie dabei in der Regel von der

Wasserwirtschaftsverwaltung und der Raumplanung unterstützt werden. Dadurch ist

gewährleistet, dass auch Nachfragespitzen bedient werden können. Die Alternative, nämlich

an der Nachfrageseite anzusetzen und zielgerichtet Wassersparen und Substitution von

Trinkwasser zu unterstützen, wird bisher nur in geringem Ausmaß berücksichtigt. So verweist

auch KLUGE (2003) darauf, „dass aufgrund hoher Fixkostenanteile Wassersparen nur bis zu

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einem gewissen Grad sinnvoll ist, weil sonst diese Systeme betriebswirtschaftlich nicht mehr

rentabel arbeiten“ (Kluge 2003, S. 208).

Als eine Art Zwischenfazit über den Übergang zu starken Kopplungen von Natur und

Gesellschaft zur Wasserversorgung halten BECKER/ SCHRAMM fest: „Natur und Gesellschaft werden sich (...) bezogen auf die mit der Wasserversorgung verbundenen Problemlagen nicht mehr als tendenziell unabhängig von dem ‚Hybrid’ (...) Wasserversorgung bzw. voneinander betrachten lassen. Außerdem ist nicht davon auszugehen, dass die veränderten Konstellationen zwischen Gesellschaft und Natur dazu führen werden, dass die Problemdynamik aufgrund von Nicht-Linearitäten ‚chaotischer’ wird und Transformationen sehr schwer voraussagbar werden, weil sie nicht mehr alleine auf Gesellschaft oder auf Natur bezogen werden können.“ (Becker/ Schramm 2001, S. 32)

Die Zunahme von nichtlinearen Effekten könnte ihrer Auffassung nach zu erheblichen

Auswirkungen sowohl auf die Gesellschaft als auch auf die ökologische Ebene haben. Sie

könnten im Extremfall sogar zu einer sozial-ökologischen Transformationsdynamik führen,

die mit Strukturbrüchen verbunden wäre, welche sich nicht mehr im Prozess der

Selbstorganisation der Wasserversorgung lösen ließen. Wie genau sich diese Dynamik jedoch

entwickeln wird, lässt sich nach bisherigem Stand noch nicht vorhersagen.

Im Folgenden wird nun der Frage nachzugehen sein, inwieweit das Konzept der Kopplungen

auch im Wattenmeer Anwendung finden kann. Dazu wird angenommen, dass der

Küstenschutz ähnlich wie das Versorgungssystem ‚Wasserversorgung’ als hybrider Bereich

zwischen Gesellschaft und Natur im Bereich des Ökosystems Wattenmeer verstanden werden

kann.

4 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer und ihre Indikation

4.1 Vorbemerkung

In diesem Kapitel soll versucht werden, den Ansatz der gekoppelten Systeme von BECKER/

SCHRAMM auf das Wattenmeer zu übertragen, um im Anschluss ein geeignetes Indikatorenset

aufzustellen, mit dem sich sozial-ökologische Transformationen in der Wattenmeerregion

aufzeigen lassen. Ziel soll es sein, die Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer anhand der

Indikatoren beschreibbar zu machen.

Zu diesem Zweck soll geklärt werden, inwieweit sich der Küstenschutz als ‚System’ eignet,

welches als ‚hybrider Bereich’ (s.o.) zwischen Gesellschaft und Natur geschaltet werden

kann. Zunächst wird jedoch das Wattenmeer näher dargestellt, sowie erläutert, welche Rolle

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36 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

der Küstenschutz in dieser Region spielt und wie seine ökologische und gesellschaftliche

Relevanz bewertet wird.

4.2 Wattenmeer

Das Wattenmeer ist ein „vom Meer überspültes Watt14, das durch Nehrungen oder niedrige

Inseln vom offenen Meer abgetrennt ist und dessen Dynamik des Wassers, der Sedimente und

der subaquatischen Formen von den Gezeiten bestimmt wird.“ (Leser 1998, S. 987) Es

erstreckt sich über ca. 500 Kilometer von Esbjerg in Dänemark bis Den Helder in den

Niederlanden, wobei die Breite zwischen 10 und 35 Kilometern schwankt. (vergl. Meyer et al.

1994, S. 18)

Letztlich lässt sich das Wattenmeer als Übergangszone zwischen dem offenen Meer und dem

Land auffassen. Dabei ist zu beachten, dass dieser Raum von zwei Seiten geprägt wird.

Seeseitig spielen vor allem die Gezeiten eine entscheidende Rolle, die zwei Mal am Tag große

Teile des Wattenmeeres überfluten und wieder trocken fallen lassen und so zusammen mit

den unregelmäßig auftretenden Sturmfluten den Raum prägen. Landseitig ist der Mensch der

wichtigste gestaltende Faktor. Vor allem die seit Jahrhunderten betriebenen Maßnahmen zur

Landgewinnung und zum Küstenschutz haben das heutige Erscheinungsbild des

Küstenraumes geprägt.15

Abb. 2: Landschaftliche Gliederung des Wattenmeeres. aus: Pott 1995, S. 27. 14 Unter Watt versteht man „temporär wasserbedecktes Land der Gezeitenküste, das mit den Gezeiten täglich

zweimal überflutet wird und zweimal wieder trocken fällt (...). Das Watt der Nordsee gilt als Prototyp der Watten. (...) Ausgedehnte Sand- und Schlickbereiche wechseln miteinander ab. Das Watt verfügt über ein kompliziertes Feinrelief, das infolge der Gezeitenströme eine große Geomorpho- und Hydrodynamik aufweist. (...)“ (Leser 1998, S. 987.)

15 Zur Sedimentation und Erosion an der Nordseeküste sowie dem Einfluss des Menschen auf morphologische Veränderungen im Küstenraum vergl. FLEMMING/ BARTHOLOMÄ (2003).

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37 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Die im Wattenmeer lebenden Organismen sind an diese Umweltbedingungen besonders

angepasst. Dabei zählt das Wattenmeer inklusive seiner integrierten Inselsysteme, Vorländer

und Küstengebiete zu den größten in seinen ökosystemaren Abläufen noch weitgehend

erhalten gebliebenen Naturräumen. Die Nutzung dieses Raumes durch den Menschen hat

bereits eine lange Tradition. Zu nennen sei hier in erster Linie die Fischerei, aber auch die

Landwirtschaft. In den letzten 2000 Jahren ist kaum eine Landschaft in Mitteleuropa vom

Menschen so stark verändert worden, wie der Nordseeküstenraum mit seinen Marschen.

MEIER (2003) weist auf die landseitig der Deiche gelegenen Entwässerungsgräben, Felder und

Weiden mit ihren Siedlungsmustern hin, die den Küstenraum als eine Kulturlandschaft

prägen. Auch im Wattenmeer selbst finden sich Kulturspuren (untergegangene Warften,

Kirchen etc.), die belegen, dass die Morphologie der Küste einem steten Wandel unterzogen

und immer noch aktiv ist. An dieser Stelle wird bereits ersichtlich, dass aufgrund der

intensiven Nutzung dieses Raumes durch den Menschen auch die Ökologie des Wattenmeeres

und der Küstengebiete nicht ohne den Einfluss des Menschen und der Gesellschaft betrachtet

werden kann.

4.3 Küstenschutz in der Wattenmeerregion

Allgemein ist festzuhalten, dass Küstenschutz und Naturschutz „in einem ‚natürlichen’

Spannungsverhältnis zueinander“ (Schirmer 2003, S. 395) stehen. Während der Naturschutz –

vor allem in Gestalt der Nationalparke – bestrebt ist, die natürlichen Prozesse und Dynamiken

im Küstenraum zu erhalten, ist das Ziel des Küstenschutzes, gerade diese Dynamik

auszuschalten. „Dabei benutzt der Küstenschutz für den Deich und als vorgelagerte

Schutzstrukturen überwiegend solche Flächen, die als amphibisch-terrestrische

Übergangszone mit Quellerwatt und Salzwiese räumlich begrenzte Saumbiotope mit hoch

spezialisierten Biozönosen darstellen.“ (Schirmer 2003, S. 395)

Im Generalplan Küstenschutz des Landes Schleswig-Holstein wird bereits im Vorwort

festgehalten, dass ein gesellschaftlicher Konsens darüber besteht, dass der Küstenschutz

„wegen seiner lebensschützenden Funktion Vorrang vor anderen Interessen, auch vor den

Interessen des Naturschutzes“ (Ministerium für ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung

und Tourismus des Landes Schleswig-Holsteins 2001, S. 1) genießt. Dieses Primat des

Küstenschutzes vor dem Naturschutz wird beibehalten, auch wenn eingestanden wird, dass

Küstenschutz keine isolierte Fachplanung mehr darstellt, sondern dass die Koordination mit

anderen Politikfeldern und Nutzungsinteressen im Küstenraum notwendig ist.

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38 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Abbildung 3 bietet einen Überblick über das Planungsgebiet für den Küstenschutz in

Schleswig-Holstein.

Abb. 3: Planungsgebiet Küstenschutz nach Generalplan Küstenschutz (Schleswig-Holstein).

aus: Ministerium für ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung und Tourismus des Landes Schleswig-Holsteins 2001, S. 71.

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Die hellgrün hervorgehobenen Flächen zeigen die Küstenniederungen unterhalb von +5m NN

(an der Westküste), die durch Sturmfluten und Hochwasser besonders bedroht sind.

Die historische Funktion des Küstenschutzes und der Errichtung von Deichen, nämlich die

Landgewinnung, wird in der heutigen Diskussion in Deutschland nicht weiter verfolgt, da ein

zusätzlicher Bedarf an landwirtschaftlichen Nutzflächen von Seiten der Landesregierung nicht

mehr gesehen wird. (vergl. Ministerium für ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung und

Tourismus des Landes Schleswig-Holsteins 2001, S. 20)

Tabelle 6 bietet einen Überblick über die gängigen Küstenschutzmaßnahmen in Deutschland

sowie eine kurze Bewertung der Vor- und Nachteile dieser Maßnahmen.

Art Beispiele von den deutschen Küsten

Vorteile Nachteile

Wohnhügel (Warften/ Wurten) bis zu 5 m ü. NN

auf den Halligen Nordfrieslands

leicht zu errichten kein Flächenschutz

Deiche (und ähnliche Uferlängswerke) bis zu 9 m ü. NN

an allen Küsten bisher beste Schutzmaßnahme

ständige Unterhaltung, können nicht in unendliche Höhen gebaut werden

Eindeichungen von Buchten

z.B. Nordstrander Bucht Verkürzung der Küstenlinie

sehr teuer, verändert die Sedimentdynamik

Sperrwerke in Tideflüssen

z.B. Ochtum, Lesum, Hunte oder Eider

schützt sensible Bereiche vor Sturmfluten

sehr teuer, einfache Sicherheit

Sturmflutschutzmauern und Polder in Städten

Hamburg Platz sparend steile Wände verstärken den Wellenangriff

Fußsicherungen von Deichen (z.B. Tetrapoden)

Sylt keine Unterhaltung nötig wenig erfolgreich

Buhnen an allen Küsten einfach mit Naturmaterialien zu errichten

kein Sturmflutschutz

Lahnungen Nordseeküste dienen der Landgewinnung

können leicht seeseitig zerstört werden

Wellenbrecher z.B. Mecklenburg-Vorpommern

Verhindert Küstenrückgang

nur auf kurzen Abschnitten sinnvoll

Sandvorspülungen Brandungsküsten sehr effektiv eher teuer, Wiederholungen nötig

Ingenieurbiologische Maßnahmen

Dünenbepflanzung an allen Küsten, Küstenschutzwälder in Mecklenburg-Vorpommern

hoher ökologischer Wert mäßig effektiv

Tab. 6: Küstenschutzmaßnahmen in Deutschland. verändert übernommen aus: Behnen 2000, S. 183.

Letztlich lässt sich festhalten, dass durch die Errichtung von Deichen und die Entwässerung

von Küstengebieten das Wattenmeer landseitig so verändert worden ist, „dass eine natürliche

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40 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Anpassung der Küste an einen ansteigenden Meeresspiegel nicht mehr möglich ist“ (Reise

1996, S. 442).

EXKURS: Indikatoren

Bevor im weiteren Verlauf unterschiedliche sozio-ökonomische und ökologische Indikatoren

dargestellt werden sollen, welche die Dynamik zwischen Mensch und Umwelt im

Wattenmeer kennzeichnen, soll hier zunächst ein Überblick über die gängige Praxis der

Indikatorenbildung und -darstellung (vor allem im Hinblick auf sozial-ökologische

Problemlagen und das Wattenmeer) erfolgen.

Allgemein gilt für Indikatoren (wörtlich: ‚Anzeiger’), dass diese einen Sachverhalt niemals

vollständig beschreiben können. Daher ist es wichtig, einen Indikator so zu wählen, dass er

möglichst zielgenau alle relevanten Aspekte des darzustellenden Phänomens repräsentiert.

Entscheidend ist auch die Aggregationsebene. Je höher diese gewählt wird, desto einfacher

wird das Indikatorensystem, desto unschärfer jedoch auch die Problembeschreibung. Stärker

differenzierte Indikatorensysteme verlieren dafür an Übersichtlichkeit. Da zudem bei der

Auswahl von Indikatoren immer auch Annahmen über mögliche kausale Zusammenhänge

enthalten sind, haben Indikatoren immer auch einen normativen Charakter. Die Problematik

verschärft sich, wenn es – wie zum Bespiel bei der Darstellung sozialer Dimensionen – um

die Erfassung qualitativer Elemente geht. Dagegen sind quantitative Elemente (z.B.

Schadstoffkonzentrationen) verhältnismäßig einfach festzuhalten. (vergl. Empacher/ Wehling

1999, S. 13f.)

EMPACHER und WEHLING (1999) diskutieren die Problematik der Erstellung von

Indikatorensets für soziale Nachhaltigkeit. Wie bereits erläutert, orientieren sich sowohl GÖRG

als auch BECKER/ SCHRAMM an der Sozialen Ökologie. Da auch EMPACHER/ WEHLING dieser

Forschungsrichtung angehören, erscheint es sinnvoll, zu überprüfen, ob ihr Konzept der

sozialen Nachhaltigkeit geeignet ist, um Indikatoren für die Mensch-Umwelt-Dynamik

bereitzustellen.

Für EMPACHER/ WEHLING hat die soziale Nachhaltigkeit vier Kernelemente: „ 1. Existenzsicherung aller Gesellschaftsmitglieder

2. Erhaltung und Weiterentwicklung der Sozialressourcen 3. Chancengleichheit im Zugang zu Ressourcen 4. Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen“ (Empacher/ Wehling 1999, S. 9)

Diese vier Elemente dienen ihnen als Bezugsrahmen für die Auswahl von Indikatoren für

soziale Nachhaltigkeit.

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41 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Zu 1.: EMPACHER/ WEHLING orientieren sich hier eng am Konzept der Grundbedürfnisse,

wobei sie für die Verwendung eines weit ausgelegten Begriffs der Grundbedürfnisse

plädieren, zu dem neben den physischen, zum Überleben notwendigen Bedürfnissen

(Ernährung, Kleidung, Wohnung etc.) auch immaterielle und kulturelle Elemente wie

Integration in soziale Zusammenhänge und Freizeit zählen. Erst diese umfassendere

Sichtweise würde eine dauerhafte und menschenwürdige Existenzsicherung bedeuten.

Zu 2.: In diesem Punkt geht es um die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung von

(Handlungs-)Ressourcen, die für den Zusammenhalt und das Funktionieren von sozialen

Systemen notwendig sind. Gemeint sind solche Ressourcen, die zwar individuell angeeignet

und genutzt werden können, jedoch nur aufgrund der gesellschaftlichen Zusammenhänge

überhaupt bereit stehen. Dazu zählen u.a. soziale Beziehungsnetze, gesellschaftliches Wissen

oder kulturelle Traditionen, Erfahrungen und Kompetenzen. Für die soziale Nachhaltigkeit ist

es zudem erforderlich, dass Ressourcen wie Solidarität, Toleranz, Integrations-,

Selbstorganisations- und Kooperationsfähigkeit weiter ausgebaut werden.

Zu 3.: Mit Chancengleichheit ist hier sowohl die inter- als auch die intragenerative

Gerechtigkeit gemeint. Nur wenn für alle Gesellschaftsmitglieder der Zugang zu

gesellschaftlichen Ressourcen gewährleistet ist, wird ein nachhaltiger Entwicklungsprozess

auf breiter gesellschaftlicher Basis ermöglicht. Dies gilt sowohl für eine gerechte Verteilung

der Einkommen, wie auch des Zugangs zu Bildungs-, Gesundheits- und Rechtseinrichtungen.

Zu 4.: Mit der Forderung nach möglichst breiter Partizipation ist der Gedanke verbunden, dass

nur bei Beteiligung möglichst aller Gesellschaftsmitglieder ein Prozess der nachhaltigen

Entwicklung vollzogen werden kann, der über die notwendige Breite, Stabilität und Qualität

verfügt. Dazu zählt auch die kritisch-reflexive Überprüfung und Weiterentwicklung bisheriger

gesellschaftlicher Institutionen und Verfahren. (vergl. zu diesen vier Aspekten Empacher/

Wehling 1999, S. 10ff.)

Für jedes dieser vier Kernelemente bieten EMPACHER/ WEHLING ein Set von Indikatoren und

zusätzlich zwei Leitindikatoren an, die diesen Bereich möglichst umfassend abdecken

sollen.16 Die Analyse dieser Indikatoren zeigt jedoch, dass sich diese Indikatoren nicht eignen,

um im Rahmen dieser Arbeit die Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer zu erfassen und 16 Die vollständige Liste dieses Indikatorensets findet sich bei EMPACHER/ WEHLING (1999) im Anhang (S. 37ff.).

Zu den Leitindikatoren für die einzelnen Kernelemente gehören demnach: HPI 2 (Human Poverty Index 2 der UNEP; enthält Angaben über Bildungs-, Gesundheits-, Einkommens- und Beschäftigungssituation), Allgemeine Lebenszufriedenheit (beide zu 1.), Anteil der Bevölkerung mit Gefühlen der Sinnlosigkeit/ Einsamkeit sowie Zeitaufwendung für soziale, politische, ehrenamtliche Aktivitäten (beide zu 2.), Gini-Koeffizient (Einkommensverteilung innerhalb der Bevölkerung) und Gender Empowerment Measure (GEM) (beide zu 3.), sowie gewichteter Anteil derer, die sich bei Wahlen und nicht-institutionalisierten politischen Protestformen beteiligen und Zufriedenheit mit politischer Partizipation (beide zu 4.).

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42 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

darzustellen. Gleiches gilt für das sozioökonomische Wattenmeermonitoring des Landesamtes

für den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Hier werden folgende Parameter

zur Kennzeichnung des sozio-ökonomischen Zustandes in der Wattenmeerregion erhoben: „a) Anzahl Schiffe (Teilflächen) b) Anzahl Wattführungen (Gesamtgebiet) c) Flugverkehr (Gesamtgebiet) d) Menschliche Aktivitäten (Teilflächen)“ (Gätje 2000, S. 38) Die ersten drei Indikatoren gehören auch zum Gemeinsamen Monitoringpaket (Common

Package) innerhalb des Trilateralen Wattenmeerabkommens. (vergl. Gätje 2000, S. 38)

Diese vier Indikatoren eignen sich aus unterschiedlichen Gründen nicht, um die Mensch-

Umwelt-Dynamik zu kennzeichnen. Ihre Gemeinsamkeit liegt jedoch darin, dass sie sich nicht

– oder nicht in ausreichendem Maße – auf den Bereich des Küstenschutzes anwenden lassen,

der als hybrider Bereich zwischen Gesellschaft und Wattenmeer verstanden werden soll.

In größerem Umfang als sozialwissenschaftliche bzw. sozio-ökonomische Indikatoren und die

entsprechenden Daten, werden naturwissenschaftliche Daten erhoben. Dies lässt sich vor

allem damit begründen, dass die Erhebung der meist physikalischen Parameter einfacher zu

bewerkstelligen ist als die von sozialen Daten. Von daher gibt es auch eine Vielzahl von

unterschiedlichen Indikatoren, die auf diesen naturwissenschaftlichen Daten basieren und die

hier nicht alle explizit aufgeführt werden können.17 Für das Wattenmeer existiert im Rahmen

der Trilateralen Wattenmeerkooperation unter anderem ein Integriertes Monitorings- und

Bewertungsprogramm. „Das entwickelte Programm kombiniert ein umfassendes Set aus physikalischen, chemischen, biologischen und sozio-ökonomischen Parametern, die Informationen der räumlichen und zeitlichen Entwicklung des Ökosystems liefern. Die Erforschung des Wattenmeeres bildet die Grundlage zur Beobachtung der Veränderungen des Ökosystems und zur Entwicklung von Maßnahmen zu seinem Schutz.“ (Bartels 2000, S. 15)

Zu den wichtigsten Variablen, die von den unterschiedlichen Messsystemen in der Nordsee

erfasst werden, zählen die Phytoplanktondichte und -zusammensetzung, die Nährstoff- und

Schwebstoffkonzentration sowie physikalische Variablen wie Temperatur, Salzgehalt,

Seegang oder Eindringtiefe des Lichts. (vergl. Doerffer/ Colijn 2003, S. 385)

4.4 Vorannahmen für den hybriden Bereich ‚Küstenschutz’

Um zu untersuchen, inwiefern der Küstenschutz als hybrider Bereich zwischen Gesellschaft

und Natur verstanden werden kann, müssen zunächst eine Reihe von Vorannahmen getroffen

werden. Dies kann analog zu den Vorannahmen erfolgen, die BECKER/ SCHRAMM für den

17 Zur Darstellung von Indikatoren aus dem Bereich der Umweltforschung vergl. RENNINGS (1994).

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43 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Bereich der Wasserversorgung formuliert haben. Es sind drei Feststellungen zu treffen, die im

Folgenden kurz dargestellt und kurz erläutert werden sollen.

1. Der Küstenschutz fungiert als vermittelnde Instanz zwischen Gesellschaft und

Natur und greift als solche in den Stoff- und Energiefluss im Wattenmeer ein.

Darüber hinaus ermöglicht der Küstenschutz so menschliche Aktivitäten im

Küstenraum, die ansonsten nicht möglich wären.

Durch die Errichtung von Deichen wird im Wattenmeer der Sedimenttransport verändert, da

die niedrig gelegenen Küstenabschnitte nicht mehr zur Überschwemmung zur Verfügung

stehen und die Brandung nicht mehr auslaufen kann. Aus dem gleichen Grund ist die

Wellenenergie beim Aufprall auf den Deichwall gesteigert. Der Mensch verändert also durch

die von ihm installierten Küstenschutzmaßnahmen die natürlichen Stoff- und Energieflüsse.

Gleichzeitig bieten die errichteten Deiche einen Schutz der dahinter liegenden Küstengebiete

und ermöglichen so menschliche Aktivitäten. Dazu zählen sowohl individuelle Nutzungen des

Raumes wie Wohnen oder Erholung, aber auch übergeordnete gesellschaftliche Aktivitäten

wie Wirtschaften, Landwirtschaft oder das Errichten öffentlicher Infrastruktur. Der Raum

wird somit durch den Küstenschutz erst volkswirtschaftlich erschlossen.

2. Der Küstenschutz ist ein gekoppeltes sozial-ökologisches System, also ein System

mit gesellschaftlichen und natürlichen Elementen.

Diese Vorannahme schließt eng an die erste an. Die gesellschaftlichen (z.B. Schutzfunktion,

aber auch hohe Kosten zur Erhaltung der Deiche) und natürlichen Elemente (z.B. veränderter

Sedimenttransport) sind bereits erläutert worden. Es folgt die Feststellung, dass es sich hierbei

um ein stark gekoppeltes System handelt. Beispielhaft ist hierfür die Diskussion um den

drohenden Meeresspiegelanstieg im Zuge der Klimaveränderung. Hier sind komplexe

natürliche (aber auch anthropogene) Wirkungszusammenhänge beteiligt, die zum Anstieg des

Meeresspiegels führen (können) und die einen erhöhten Aufwand in Sachen Küstenschutz

erfordern.18 So würde ein erhöhter Meeresspiegel zu weiteren Veränderungen im Sediment-

und Stofffluss im Wattenmeer führen, ebenso zu einem erhöhten Risiko für die Bewohner der

Küstenregion und einem erhöhten Kostenaufwand für die Erhaltung bzw. Erhöhung der

Deiche. Insofern lässt sich hier durchaus von einer starken Kopplung zwischen Küstenschutz

und Natur auf der einen und Küstenschutz und Gesellschaft auf der anderen Seite sprechen.

3. Der Küstenschutz ist ein selbstorganisierendes System, wenn die Akteure in das

System mit einbezogen werden.

18 Vergl. hierzu CPSL (2001).

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44 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Die Errichtung und auch die Erhaltung und Erhöhung der Deiche und anderer

Küstenschutzmaßnahmen sind sowohl gesellschaftlich akzeptiert und erwünscht als auch

politisch gewollt.19 Insofern hat sich ein selbstorganisierendes System aus Betreibern

(Landesregierung sowie untergeordneten Behörden) und weiteren Akteuren gebildet.

4.5 Koppelungen zwischen Küstenschutz und Gesellschaft bzw. Natur

Mit Hilfe der eben skizzierten Vorannahmen sollen nun die Kopplungskonstellationen

zwischen Küstenschutz und Gesellschaft bzw. zwischen Küstenschutz und Natur aufgezeigt

werden. Dabei wird deutlich, dass es sich hier ebenfalls anbietet, auf das Konzept der

Kopplungen von BECKER/ SCHRAMM zurückzugreifen.

Küstenschutz wird also im Folgenden als hybrider Bereich zwischen Gesellschaft und Natur

verstanden. Zu beiden Sphären steht der Küstenschutz dabei in engen Wechselbeziehungen.

Verdeutlicht wird dies durch Abbildung 4.

Abb. 4: Schema: Küstenschutz als hybrider Bereich zwischen Gesellschaft und Natur. Eigene Darstellung. 19 Beispielhaft die Aussage von BOIE (1998), Vertreter des Deich- und Hauptsielverbandes Dithmarschen:

„Forderungen von Küstenbewohnern lauten hingegen: Naturschutz Ja – soweit die Deichsicherheit und damit die berechtigten Interessen der Bevölkerung hinter den Deichen nicht beeinträchtigt werden. Naturschutz Nein – wenn ökologisches Wunschdenken Vorrang hat. Der Schutz der Menschen bleibt vorrangige Forderung, unser Motto lautet dabei: Küstenschutz ist Kulturschutz.“ (Boie 1998, S. 28.)

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45 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Die Wechselbeziehungen werden in diesem Schema durch die farbigen Pfeile symbolisiert.

Der Küstenschutz hat – durch die Errichtung von Deichen und anderen Anlagen –

Auswirkungen auf die beiden Sphären Gesellschaft und Natur (blaue Pfeile). Diese haben

wiederum Auswirkungen auf den Bereich des Küstenschutzes (roter Pfeil: gesellschaftliche

Auswirkungen; grüner Pfeil: ökologische Auswirkungen).

Die folgende Tabelle 7 zeigt nun die unterschiedlichen Kopplungskonstellationen zwischen

Küstenschutz und Gesellschaft sowie zwischen Küstenschutz und Natur. Anders als bei

BECKER/ SCHRAMM sollen in dieser Tabelle zunächst nur die Aspekte der jeweiligen

Kopplungskonstellationen dargestellt werden. Die Aufstellung von entsprechenden

Indikatoren, um diese Aspekte zu kennzeichnen, erfolgt an anderer Stelle (4.5.1.1 bis

4.5.6.2).20

Diese Tabelle geht von Wenn-dann-Beziehungen aus. Für die erste Zelle der ersten Zeile lässt

sie sich daher folgendermaßen lesen: Wenn für die Beziehung zwischen Küstenschutz und

Gesellschaft bezüglich der gesellschaftlichen Funktion von Küstenschutz eine starre

Kopplung angenommen wird, dann dient der Küstenschutz der Sicherung der Küstengebiete.

Aspekte der Kopplungskonstellationen zwischen Küstenschutz und Gesellschaft: starre Kopplung starke Kopplung Gesellschaftliche Funktion - Küstenschutz dient der Sicherung

der Küstengebiete und eventuell der Neulandgewinnung (historisch)

- Küstenschutz erfüllt Schutzfunktion, steht aber im Nutzungskonflikt mit anderen Interessen (z.B. Naturschutz)

Finanzielle Beziehung - Staat zahlt jede anfallende und notwendige Maßnahme für den Küstenschutz (Reparaturen, Erhöhungen etc.)

- Finanzierung erfolgt daher in Form eines Automatismus: „Naturbedingungen diktieren Maßnahmen des Küstenschutzes“

- Staat wägt Kosten-Nutzen-Verhältnis im Zuge fehlender öffentlicher Gelder verstärkt ab

- nicht mehr alle Küstenschutz-maßnahmen werden finanziert, bzw. einzelne Vorhaben werden aufgeschoben

- einzelne Projekte werden eventuell privat finanziert

- eventuelle Aufgabe einzelner Deichabschnitte und dahinter liegender Flächen

Politische Regulation - Küstenschutz wird entsprechend den Interessen der Bewohner des Küstenraumes betrieben

- Deichinstandhaltung und Deicherhöhung wird entsprechend umgesetzt

- Küstenschutz genießt Priorität vor anderen Nutzungsformen

- hard engineering dominiert im Küstenschutz

- Küstenschutz erfolgt nur in Abwägung mit anderen Nutzungsinteressen, vor allem dem Naturschutz

- Rückdeichungen werden zumindest in Betracht gezogen

- Küsten(zonen)management gewinnt an Bedeutung

20 BECKER/ SCHRAMM überschreiben ihre Tabelle bereits mit dem Begriff „Indikatoren für

Kopplungskonstellationen“. Eine Operationalisierung dieser Indikatoren und entsprechendes Datenmaterial wird jedoch nicht geboten.

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46 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Öffentliche Perzeption - Küstenschutz funktioniert - keine ‚Katastrophen’ - Hochwasser und Sturmfluten

richten keine Schäden an - keine Überschwemmungen - daher: hohe Akzeptanz in der

Bevölkerung

- veränderte Formen des Küstenschutzes, z.B. als ‚Neue Allianzen’ (s.o.) würden die Akzeptanz des Küstenschutzes mindern

- kritisch betrachtet werden Kürzungen von öffentlichen Mitteln im Bereich Küstenschutz sowie Privatisierungen

Aspekte der Kopplungskonstellationen zwischen Küstenschutz und Natur: schwache Kopplung starke Kopplung Auswirkungen der Küstenschutzmaßnahmen auf den Energie- und Stoffhaushalt: landseitig

- Küstenschutzmaßnahme hat keine Auswirkungen auf die landseitigen Ökosysteme

- Flächen können im Normalfall weiterhin überflutet werden, solange kein Hochwasser eintritt (s. Oosterschelde)

- Küstenschutzmaßnahme verhindert die Überflutung von Salzwiesen und beeinflusst damit das Ökosystem hinter dem Deich

- Entwässerung der Flächen hinter dem Deich wird durch Deichanlagen erschwert

- Arteninventar von Salzwiesen wird verringert

Auswirkungen der Küstenschutzmaßnahmen auf den Energie- und Stoffhaushalt: seeseitig

- Küstenschutzmaßnahme wirkt sich nicht auf die Wellenenergie aus

- keine negativen Effekte für das marine Ökosystem sowie die Geomorphodynamik (Sedimentbilanz)

- Küstenschutzmaßnahme hat Einfluss auf die Geomorpho- und Hydrodynamik (Sedimentbilanz) und schafft dadurch andere Biozönosen (durch Erhöhung der Wellenenergie und damit der Brandungsaktivität

- Meeresspiegelanstieg21 gefährdet Deichsicherheit

Tab. 7: Aspekte der Kopplungskonstellationen zwischen Küstenschutz und Gesellschaft bzw. Natur. Eigene Darstellung.

Es wird deutlich, dass es sich auch in diesem Falle anbietet, bei den Kopplungskonstellationen

zwischen Küstenschutz und Gesellschaft von möglichen starren bzw. starken Kopplungen,

und für die Beziehung zwischen Küstenschutz und Natur von schwachen bzw. starken

Kopplungen auszugehen.

Im Folgenden sollen nun die in der Tabelle dargestellten Aspekte der jeweiligen

Kopplungskonstellationen näher erläutert werden, bevor im Anschluss Indikatoren aufgestellt

werden sollen, welche diese Zusammenhänge kennzeichnen.

4.5.1.1 Gesellschaftliche Funktion des Küstenschutzes

Es wurde bereits erläutert, dass der Küstenschutz nicht mehr alle Funktionen erfüllen soll, die

er historisch gesehen zu erfüllen hatte. So spielt der Bereich der Neulandgewinnung heute

keine Rolle mehr. Von übergeordneter Relevanz ist dagegen die Schutzfunktion. So zielt der

Küstenschutz auf die Erhaltung von Leben und Gesundheit der Menschen im Küstenraum ab

21 Den Meeresspiegelanstieg an dieser Stelle zu „natürlichen Prozessen“ zu zählen, beinhaltet keine normative

Aussage über die Ursache des Meeresspiegelanstieges. D.h., dass in diesem Fall die vermutete anthropogene Mitverursachung (anthropogen verursachter Klimawandel, anthropogener Treibhauseffekt etc.) nicht berücksichtigt wird. Entscheidend ist hier, dass sich die Auswirkungen in der Natursphäre niederschlagen (in Form des Meeresspiegelanstieges und der Häufung von Sturmfluten).

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47 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

und wie gesagt nicht mehr auf die Erhaltung aller Flächen. Dennoch werden auch

landwirtschaftliche und gewerbliche Flächen und Güter als Schutzobjekte des Küstenschutzes

genannt. Dabei soll der Küstenschutz jedoch im Hinblick auf den Naturschutz „so schonend

wie möglich in die Natur eingreifen“ (Probst 1998, S. 152).

Wie groß die gesellschaftliche Bedeutung des Küstenschutzes ist wird deutlich, wenn man

betrachtet, wie groß die gefährdeten Flächen in der jeweiligen Küstenregion sind. Abbildung

5 zeigt dies beispielhaft für Schleswig-Holstein.

Abb. 5: Potentiell sturmflutgefährdete Gebiete in Schleswig-Holstein.

aus: http://landesregierung.schleswig-holstein.de/coremedia/generator/Aktueller_20Bestand/A__Bilder/ IM/ ZAL/K_C3_BCstenschutz__Bild1,templateId=render.html, Download am 09.12.2003.

„Fast 25 % der Landesfläche, das sind rund 3.700 km², zählen zu den so genannten überflutungsgefährdeten Küstenniederungen. In diesem Raum leben rund 345.000 Menschen und sind Sachwerte in Höhe von 47

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48 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren Milliarden € vorhanden. Etwa 172.000 Arbeitsplätze erzielen eine Bruttowertschöpfung in Höhe von ca. 8,5 Milliarden € jährlich.“ (http://landesregierung.schleswig-holstein.de/coremedia/generator/Aktueller_20Bestand/IM/Information/ K_C3_BCstenschutz/K_C3_BCstenschutz_20Einf_C3_BChrung.html, Download am 09.12.2003)

Zu beachten ist, dass die in dieser Zusammenstellung angegebenen Daten sich auf das

gesamte Gebiet Schleswig-Holsteins beziehen und daher auch die Ostseeküste umfassen.

Tabelle 8 verdeutlicht anhand wesentlicher Kennzahlen aus dem schleswig-holsteinischen

Marschgebiet bietet die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Küstenschutzes.

Fläche des Marschgebietes in Schleswig-Holstein (unterhalb von NN +5 m) 3.404 km² Einwohner ca. 253.000 Arbeitsplätze ca. 85.000 Vorhandene Sachwerte ca. 32 Mrd. Euro Länge der Deichlinie davon: - Landesschutzdeiche - Überlauf- und sonstige Deiche

408 km 364 km 44 km

Anzahl der Entwässerungsanlagen in den Landesschutzdeichen (Siele, Schöpfwerke, Sperrwerke)

46

Tab. 8: Kennzahlen der Marschenregion in Schleswig-Holstein (unterhalb von NN +5 m). Eigene Darstellung, Daten aus: Ministerium für ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung und Tourismus des Landes Schleswig-Holsteins 2001, S. 12.

Was hier am Beispiel Schleswig-Holstein deutlich wird, trifft zum Beispiel in den

Niederlanden in noch größerem Ausmaße zu. Dort sind über 50 Prozent der Staatsfläche vom

Hochwasser gefährdet (vergl. Koutek 1994, S. 18). Dementsprechend ist der Küstenschutz in

den Niederlanden, die ja zudem das am dichtesten besiedelte Land Europas sind, von noch

existenziellerer Bedeutung als im vergleichsweise bevölkerungsarmen Schleswig-Holstein.

Während jedoch in Schleswig-Holstein die Maßnahmen zum Küstenschutz zwar in

‚Abwägung’ mit ökologischen Gesichtspunkten erfolgen sollen, dabei in der Realität jedoch

fast immer Priorität genießen, finden sich in den Niederlanden auch Beispiele dafür, dass sich

ökologische Aspekte bei der Errichtung von Küstenschutzanlagen durchaus integrieren lassen.

Zu nennen wäre hier das Beispiel des Sturmflutwehres in der Oosterschelde (Abbildung 6).

Dieses Wehr schließt sich nur in Notfällen und ermöglicht es so, annähernd ganzjährig die

natürlichen Begebenheiten im angrenzenden Biotop zu erhalten.

„Der Bau des Sturmflutwehres stellt eine technische Höchstleistung dar, mit dem wichtigsten

Ziel, ein Stück einzigartiger Natur zu erhalten; das Ziel Küstenschutz alleine wäre mit viel

geringerem Aufwand erreichbar gewesen.“ (Koutek 1994, S. 19)

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49 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Abb. 6: Sturmflutwehr in der Oosterschelde. aus: http://ifh-nn.bau-verm.uni-karlsruhe.de/nl-99/ berichte/04/oosterschelde.htm, Download am

31.10.2003.

Es wird also deutlich, dass sich die Niederlande bewusst dafür entschieden haben, eine

Küstenschutzmaßnahme so umzusetzen, dass nicht nur das gesellschaftlich-ökonomische Ziel

‚Hochwasserschutz’ erreicht wird, sondern gleichzeitig auch die Erhaltung der natürlichen

Umwelt weitestgehend realisiert wird. Bemerkenswert ist dies vor allem deshalb, weil dafür

auch der erhebliche finanzielle Mehraufwand einer derart aufwendigen Wehranlage in Kauf

genommen wurde. Dabei ist es zunächst weniger relevant, über welche finanziellen

Spielräume die jeweiligen öffentlichen Haushalte verfügen, da es hier in erster Linie auf die

Gewichtung ‚Küstenschutz’ (gesellschaftlicher Nutzen) und ‚Naturschutz’ (ökologischer

Nutzen) ankommt. Dies gilt umso mehr, als für die Küste Schleswig-Holsteins

Rückdeichungen, die aus ökologischer Sicht sinnvoll sein können, wenn überhaupt, nur im

Ausnahmefall veranlasst werden. Dies ist eine eindeutig normative Festlegung, da in anderen

Bereichen, z.B. dem Steinkohletagebau in Nordrhein-Westfalen, die Umsiedlung mehrerer

Tausend Menschen aus ökonomischen Gründen politisch gewollt ist und daher umgesetzt

wird.22

4.5.1.2 Ableitung von Indikatoren für den Bereich Gesellschaftliche Funktion

Wie erläutert bezieht sich die gesellschaftliche Funktion des Küstenschutzes vor allem auf

den Schutz von Menschenleben sowie Sachwerten im von Sturmfluten gefährdeten

Küstengebiet. Je mehr Menschen in diesen Gebieten leben und je höher die Sachwerte sind,

desto starrer ist die Kopplungskonstellation zwischen Küstenschutz und Gesellschaft, da dann

22 Zu Forschungsansätzen bezüglich Deichrückbau an der Ostseeküste s. KOWATSCH (1997).

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50 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

die Bereitschaft sinkt, von der gesellschaftlich akzeptierten Schutzfunktion des

Küstenschutzes Abstand zu nehmen und andere Nutzungsformen – insbesondere den Umwelt-

und Naturschutz – in Erwägung zu ziehen. Je größer die Bevölkerungszahl und -dichte und je

höher die Sachwerte und größer die gefährdeten Flächen, desto starrer wird am Primat des

Küstenschutzes vor anderen Nutzungsformen festgehalten. Wären die Küstengebiete weniger

dicht besiedelt (und damit die Sachwerte geringer), so wäre die Kopplungskonstellation

stärker ausgeprägt, da dann andere Nutzungsformen in Betracht kämen und bisherige

Denkmuster aufgegeben werden könnten – eventuell sogar müssten.

Tabelle 9 gibt einen Überblick über Flächen unterhalb von +5m NN, die durch

Landesschutzdeiche geschützt werden. Aufgelistet sind zudem die Einwohnerzahlen im

jeweiligen Gebiet sowie die dort vorhandenen Sachwerte.

Landesschutzdeiche an der Westküste und der Elbe: Geschützter Raum bis NN + 5

Fläche in ha

Einwohner / Einwohner pro Hektar

Sachwerte in Mio. €

Nordfriesland - Festland 50916 23728 / 0,47 3042,57 Dithmarschen 50443 46837 / 0,93 6444,86 Elbe 47710 55664 / 1,17 6372,13 Insel Sylt 9678 20597 / 2,13 3016,03 Insel Föhr 6248 3138 / 0,50 400,87 Insel Pellworm 3259 1137 / 0,35 171,00 Insel Helgoland 48 1079 / 22,48 151,29 Insgesamt 168302 152180 / 0,90 19598,75

Tab. 9: Durch Landesschutzdeiche an der Westküste und der Elbe geschützte Flächen sowie deren Einwohner und dort vorhandene Sachwerte. Eigene Darstellung und Berechnung, Daten aus: Ministerium für ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung und Tourismus des Landes Schleswig-Holsteins (2001), S. 53-59.

Aussagekräftig werden diese Zahlen jedoch nur, wenn man ihnen Vergleichswerte entgegen

hält. Wie erwähnt sind in den Niederlanden ungefähr 50 Prozent des Staatsgebietes

überflutungsgefährdet, so dass dort die Kopplungskonstellation stärker ausgeprägt sein dürfte

als in Deutschland, in denen die Küstengebiete traditionell eher dünn besiedelt sind.

Allerdings wird aus Tabelle 9 auch ersichtlich, dass es auch innerhalb Deutschlands

Unterschiede gibt. So leben in den aufgelisteten Gebieten (unterhalb von +5 m NN)

durchschnittlich 0,90 Einwohner pro Hektar. Für die Insel Helgoland ergibt sich ein Wert von

über 22 Einwohnern pro Hektar, was die besondere Notwendigkeit von

Küstenschutzmaßnahmen für diesen Raum verdeutlicht. Allerdings muss auch hier

berücksichtigt werden, dass es sich hier nur um einen sehr kleinen Bereich der Küste handelt

und anhand der absoluten Zahlen eine derartige Relevanz nicht ableitbar ist.

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51 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Ein weiterer Indikator stellt die Bedeutung dar, welche der Tourismus und die Fischerei im

Küstenraum einnehmen. Für beide Wirtschaftszweige ist die Erhaltung der Küste in der

heutigen Gestalt eine der entscheidenden Wirtschaftsgrundlagen, weshalb Vertreter dieser

Branchen immer wieder auf die Notwendigkeit des Küstenschutzes hinweisen. Tabelle 2

(Kapitel 3.6.2) hat bereits gezeigt, dass vor allem der Tourismus für die Bewohner der

Küstengebiete ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist und daher die Erhaltung der (Kultur-)

Landschaft durch den Küstenschutz auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Für die

Fischereiwirtschaft muss festgehalten werden, dass der Anteil an der Wertschöpfung

vernachlässigenswert ist. Insofern können Küstenschutzmaßnahmen zum Erhalt der

Fischerei23 nur deshalb gerechtfertigt werden, weil diese symbolisch von den

Küstenbewohnern sehr stark belegt ist und als Teil der regionalen Identität angesehen wird.

Inwiefern dies aber das starre Festhalten am Küstenschutz rechtfertigt müsste dennoch

kritisch hinterfragt werden. Momentan lässt sich hier jedoch eine starre Kopplung zwischen

Küstenschutz und Gesellschaft konstatieren.

4.5.2.1 Finanzielle Beziehung zwischen Küstenschutz und Gesellschaft

Für die finanzielle Beziehung von Küstenschutz und Gesellschaft lässt sich zunächst

festhalten, dass die notwendigen Küstenschutzmaßnahmen von den Naturbedingungen diktiert

werden. Sofern also die gesellschaftliche Funktion des Küstenschutzes – nämlich die

Schutzfunktion für die Bevölkerung (und der entsprechenden Sachwerte) – als unumstößlich

akzeptiert worden ist, sind alle Maßnahmen, die zur Umsetzung dieser Schutzfunktion dienen

sollen, bestimmt durch die physischen Bedingungen an der Küstenlinie. Dazu zählen das

Auftreten von extremen Wetterlagen – Sturmfluten, aber auch längere Trockenperioden, die

unter Umständen den Deichbewuchs schädigen können – sowie alle anderen (natürlichen)

Faktoren, welche die Sicherheit der Deiche beeinträchtigen. Es wird deutlich, dass eine solche

Abhängigkeit der Deichsicherheit (und damit natürlich auch der Kosten ihrer

Aufrechterhaltung) von variablen Umweltbedingungen sich schlecht mit einer statischen

Finanzplanung vereinbaren lässt, die jährlich einen fest vorgeschriebenen Etatposten aufweist,

mit dem alle anfallenden Maßnahmen bezahlt werden müssen.

Um die Finanzierung des Küstenschutzes in Deutschland zu gewährleisten, fällt dieser laut

dem Grundgesetz unter die sogenannten Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern.

23 Küstenschutz ist in diesem Zusammenhang wichtig für die Fischerei, weil durch ihn die notwendige

Infrastruktur (Häfen etc.) garantiert wird. Wäre diese nicht ausreichend geschützt, würde dies zu gesteigerten Kosten in der Fischereiwirtschaft führen.

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52 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren „Artikel 91 a [GG] [Mitwirkung des Bundes bei Gemeinschaftsaufgaben]

(1) Der Bund wirkt auf folgenden Gebieten bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder mit, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist (Gemeinschaftsaufgaben): 1. (...) 2. (...)

3. Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes. (...) (4) (...) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 trägt der Bund mindestens die Hälfte [der Ausgaben] (...) Die Bereitstellung der Mittel bleibt der Feststellung in den Haushaltsplänen des Bundes und der Länder vorbehalten.“ (BPB 1999, S. 59)

„Wegen der großen Bedeutung des Küstenschutzes erstattet der Bund nicht nur die üblichen 60%, sondern 70% der Ausgaben. 30% werden vom jeweiligen Bundesland bestritten. Derzeit liegen die gesamten jährlichen Aufwendungen in der Größenordnung von 300 Mio. DM. Die Planungen haben ein Finanzvolumen von 3 Mrd. DM. Zumindest in der Vergangenheit wurde der Küstenschutz wegen seiner hohen Priorität von Mittelkürzungen verschont. Für die Zukunft erscheint dies aber ungewiss.“ (Behnen 2000, S. 185)

Die folgende Tabelle 10 bietet einen Überblick über die Ausgaben des Bundes für den

Küstenschutz im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe ‚Verbesserung der Agrarstruktur und des

Küstenschutzes für die Jahre 1981 bis 1991. Es lässt sich festhalten, dass im Laufe dieser zehn

Jahre nur ein relativ geringer Anstieg der Ausgaben für den Küstenschutz zu beobachten ist.

Haushalts-jahr

Bremen Hamburg Niedersachsen Schleswig-Holstein

zusammen

1981 12,283 5,100 63,133 45,989 126,505 1982 13,082 5,070 63,196 50,623 131,971 1983 13,255 4,285 63,203 56,734 137,477 1984 9,018 3,398 63,189 58,895 134,500 1985 6,164 5,259 63,188 60,095 134,706 1986 0,836 6,639 63,357 57,316 128,148 1987 2,588 7,395 63,189 59,349 132,521 1988 1,099 11,084 63,189 56,106 131,478 1989 0,842 12,454 63,189 56,046 132,531 1990 2,890 12,641 63,189 58,339 137,059 1991 3,550 12,864 63,189 54,600 134,203

Tab. 10: Bundesmittel für den Küstenschutz im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe ‚Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes’ (einschließlich Zukunftsinvestitionsprogramm 1977 bis 1980) in Mio. Euro.

übernommen und verändert aus Lopez (1998), o.S.

Für das Land Schleswig-Holstein zeigt Abbildung 7, wie sich die Finanzierung des

Küstenschutzes seit 1986 bis zum Jahre 2000 entwickelt hat. Der Verlauf der Kurven lässt

darauf schließen, dass tatsächlich eine ‚automatische’ Finanzierung der

Küstenschutzmaßnahmen erfolgt. Die unterschiedliche Höhe der Ausgaben lässt sich darauf

zurückführen, dass die natürlichen Faktoren die Maßnahmen – und damit den Kostenaufwand

– vorgeben. Die öffentliche Hand ist damit gezwungen, ihre finanziellen Aufwendungen

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53 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

diesen Begebenheiten anzupassen. Im Generalplan Küstenschutz des Landes Schleswig-

Holsteins wird daher die Finanzplanung in Sachen Küstenschutz folgender Maßen

beschrieben: „Während bei der konkreten Maßnahmenplanung die Ausgaben mit Hilfe der berechneten Massen und mittlerer Einheitspreise ermittelt werden, sind in den Maßnahmelisten, soweit bekannt, Ausgaben angegeben, die sich aus einer groben Schätzung der jeweiligen Anlagen aufgrund von Erfahrungswerten ergeben. Sie können daher nur relativ ungenau sein, reichen aber für die generelle Planung aus.“ (Ministerium für ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung und Tourismus des Landes Schleswig-Holsteins 2001, S. 40)

Abb. 7: Übersicht über die investiven Ausgaben seit 1986, aufgeschlüsselt nach Arten von

Küstenschutzmaßnahmen. aus: Ministerium für ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung und Tourismus des Landes Schleswig-Holsteins 2001, S. 40.

Eine Abwägung der Kosten – und auch der Maßnahmen – des Küstenschutzes mit anderen

Nutzungsansprüchen, vor allem dem Umwelt- und Naturschutz erfolgt dagegen nicht. Dies

wäre jedoch ein deutlicher Hinweis auf das Vorliegen einer starken Kopplungskonstellation

zwischen Küstenschutz und Gesellschaft. Zwar befinden sich die öffentlichen Haushalte, die

für die Finanzierung des Küstenschutzes zuständig sind, in einer angespannten finanziellen

Lage, jedoch beeinträchtigt dies nicht das Festhalten an der bereits dargestellten

gesellschaftlich akzeptierten Schutzfunktion des Küstenschutzes. Allerdings existieren in

anderen Staaten durchaus Bestrebungen, privatwirtschaftliche Unternehmen in den

Küstenschutz zu integrieren, um so auf Seiten des öffentlichen Sektors zu Kostenersparnissen

zu kommen. Zu nennen wäre hier vor allem das Konzept der Public Private Partnership

(PPP) aus England und Wales. (vergl. hierzu Koppe 2001)

KOPPE hält fest, dass auch in England das Ziel des Küstenschutzes der „Schutz von

Menschenleben sowie von wichtigen natürlichen und von Menschen errichteten Werten“

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54 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

(Koppe 2001, S. 87) sei und daher in dieser Hinsicht kein Unterschied zu Deutschland oder

anderen Nordseeanrainerstaaten feststellen ließe. Die Kosten für

Hochwasserschutzmaßnahmen liegen demnach in England und Wales bei rund 250 Millionen

Britische Pfund (etwa 875 Millionen DM). Die Finanzierung liegt auch hier weiterhin in der

öffentlichen Hand. Das Konzept der PPP sieht vor, dass der öffentliche Sektor als ‚Käufer der

Leistung’ weiterhin eine wichtige Rolle im Küstenschutz spielt. Insofern hebt sich dieser

Ansatz eindeutig von reinen Privatisierungen (wie z.B. in der Telekommunikationsbranche)

ab. Der Privatsektor ist nun jedoch zuständig für den Entwurf, die Bemessung, den Bau sowie

die Unterhaltung des Projekts. Der öffentliche Sektor definiert die gewünschten

Anforderungen an die Küstenschutzmaßnahme und bezahlt die gelieferte Leistung in vorab

festgelegten Raten – meist durch langfristig angelegte Verträge (Laufzeit in der Regel 20

Jahre). Die Hoffnung, die sich von Seiten der Umweltbehörde, die in England und Wales für

den Küstenschutz zuständig ist, an das PPP richten, sind die folgenden: „ - Der Auftragnehmer wird dadurch, dass er den Dienst über einen langen Zeitraum anbietet, innovative

Problemlösungen anwenden können, die zu einer Verringerung der Gesamtkosten über den Vertragszeitraum führen.

- Die mit dem Vertragsabschluss verbundenen Risiken liegen in der Verantwortung des Privatsektors. Dieser ist für das Management von Risiken am besten ausgestattet, wodurch die entstehenden Kosten verringert werden können.“ (Koppe 2001, S. 89)

Somit wird das Ziel angestrebt, eine qualitativ höherwertige Leistung beim Einsatz gleicher

Geldmengen und einer schnelleren Realisierung zu erreichen und dadurch öffentliche Mittel

einzusparen. (vergl. Koppe 2001, S. 89)

KOPPE kritisiert an dieser Argumentation in erster Linie, dass die Annahme, der öffentliche

Sektor sei nicht zu Innovationen fähig, so nicht haltbar wäre. Darüber hinaus problematisiert

sie die lange Vertragslaufzeit von 20 und mehr Jahren, welche die Umsetzung neuer

innovativer Konzepte des Küstenschutzes verhindern könnten. Sie verweist in diesem

Zusammenhang auf die Entwicklung der Rolle des Umweltschutzes seit den 1970er Jahren bis

in die 1990er Jahre. Besonders kritisch zu betrachten sei zudem die Tatsache, dass für den

Fall von Häufungen energiereicher Sturmfluten Verhandlungen über die Finanzierung

zusätzlich anfallender Kosten zwischen öffentlichem Sektor und privaten Anbietern

vorgesehen sind und somit die erhofften Einsparungen nicht zu erreichen sind. „Grundsätzlich ist eine Übertragung des Sturmflutrisikos auf den privatwirtschaftlichen Partner nicht wünschenswert, da bei Vertragsabschluss unvorhergesehene Häufungen von schadensbringenden Wetterlagen, auch wenn sie nicht nachweisbar einem Klimaänderungstrend unterliegen, zu einem Insolvenzverfahren des Unternehmens führen können und somit einen erzwungenen Ausschluss des Vertragspartners trotz guter Koordinierungs- und Arbeitsleistungen nach sich ziehen würde.“ (Koppe 2001, S. 89)

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55 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Einsparungsmöglichkeiten durch dieses Konzept sieht KOPPE lediglich im Bereich der

Personalkosten des öffentlichen Sektors. Allerdings ist damit auch die Gefahr verbunden, dass

durch reduziertes Personal technisches Wissen des Auftragsgebers verloren geht und damit

die Kontrollfähigkeit des öffentlichen Sektors vermindert wird.

Ähnlich kritisch dürften Bemühungen gesehen werden, einzelne Küstenschutzmaßnahmen

oder Deichabschnitte vollständig zu privatisieren oder in die Hände der betroffenen

Gemeinden zu legen: „Infrastrukturelle Bereiche, die traditionell durch die öffentliche Hand

koordiniert werden, sind generell nicht nur wirtschaftsorientiert zu betrachten, und vielfach

sind sie in der Fläche nicht gewinnbringend zu betreiben.“ (Koppe 2001, S. 90) Die

Überbewertung betriebswirtschaftlicher Aspekte würde zudem zu einer Verminderung des

Qualitätsmanagements und einer Verschlechterung der Versorgung führen. (vergl. Koppe

2001, S. 90) Gerade im Bereich des Küstenschutzes ist die Privatisierung damit mit einem

unüberschaubaren Risiko verbunden. Das bedeutet, dass die Privatisierung der öffentlichen

Aufgabe ‚Küstenschutz’ ein eindeutiges Anzeichen für das Vorliegen einer starken Kopplung

von Gesellschaft und Küstenschutz darstellen würde. Bei der Privatisierung würde die

Qualität der Maßnahmen – und damit letztlich die Sicherheit der Bewohner und aller

vorhandenen Sachwerte – von der finanziellen Ausstattung der privaten Betreiber abhängen.

Die Konsequenz wäre eine regionale Differenzierung der Qualität des Küstenschutzes und

damit der Sicherheit. So ist es durchaus vorstellbar, dass beispielsweise die Insel Sylt den

Küstenschutz – mit den entsprechenden Mitteln des Landes und des Bundes, aber auch mit

eigenen finanziellen Mitteln – eigenständig plant und umsetzt, da sie – gerade im Hinblick auf

die Bedeutung des Tourismus und der starken ‚Sylt-Lobby’ – über die notwendigen

Möglichkeiten (finanzieller Art) verfügt. Für andere Gemeinden, zum Beispiel in

Dithmarschen ist dies eher unwahrscheinlich, da die kosten- und technikintensiven

Maßnahmen die Möglichkeiten der kleineren Gemeinden übersteigen. Denkbar ist darüber

hinaus aber, dass Gemeinden, die Küstenschutz auf diese Weise in eigener Verantwortung

durchführen, durch die begrenzten finanziellen Möglichkeiten gezwungen sind, neue

Allianzen mit dem Naturschutz einzugehen. So könnten Flächen, die durch die (erzwungene)

Aufgabe der Eindeichung wieder unter dem natürlichen Einfluss des Meeres und der Gezeiten

stehen, auf diese Weise ‚renaturiert’ werden. Möglicherweise bieten sich daran anschließend

Möglichkeiten einer erneuten ‚Inwertsetzung’, zum Beispiel durch den Tourismus. Es wird

deutlich, dass an dieser Stelle eine starke Kopplung zwischen Gesellschaft und Küstenschutz

vorliegen würde. Welche weiteren Probleme jedoch aus solchen ‚neuen Allianzen’ erwachsen

könnten, wird unter 4.5.4.1 (Öffentliche Perzeption) dargestellt.

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56 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

4.5.2.2 Ableitung von Indikatoren für den Bereich Finanzielle Beziehung

Für den Bereich der Finanziellen Beziehung zwischen Küstenschutz und Gesellschaft lassen

sich in erster Linie die Kosten des Küstenschutzes heranziehen, um den Grad der Kopplung

zu bestimmen. Bereits unter 4.5.2.1 wurde dargestellt, dass sich die finanziellen

Aufwendungen für den Küstenschutz vor allem nach den ‚Notwendigkeiten’ richten, welche

durch die natürlichen Bedingungen an der Küstenlinie diktiert werden (vergl. Abbildung 7).

Dies lässt den Schluss zu, dass es sich in diesem Fall um eine starre Kopplung zwischen

Küstenschutz und Gesellschaft handelt. Da eine Abwägung der Finanzierung des

Küstenschutzes in Form einer Kosten-Nutzen-Rechnung aus nicht erfolgt, kann hier nicht von

einer starken Kopplungskonstellation ausgegangen werden. Diese Abwägung erfolgt vor

allem deshalb nicht, weil der Küstenschutz symbolisch so stark belegt ist, dass ein Abweichen

vom gesellschaftlich vereinbarten Ziel des Schutzes der Küstengebiete sowie deren

Einwohner (vergl. 4.5.1.1 und 4.5.1.2) nicht in Erwägung gezogen wird bzw. kann.

Für die zeitliche Entwicklung der Kosten des Küstenschutzes lässt sich festhalten, dass es nur

zu geringen Erhöhungen gekommen ist (vergl. Tabelle 10). Daher kann mit Hilfe dieses

Indikators nur bedingt eine Aussage über die Kopplungskonstellation getroffen werden. Da es

jedoch auch zu keinen nennenswerten Kürzungen im Bereich des Küstenschutzes in den

letzten Jahren gekommen ist, kann eine starke Kopplung eher ausgeschlossen werden.

Kürzungen der finanziellen Aufwendungen wären ein Anzeichen für die Abwägung mit

anderen Nutzungsformen, welche sich in einer veränderten Finanzzuweisung äußern. Insofern

ist auch hier tendenziell eine starre Kopplungskonstellation zu vermuten.

Darüber hinaus bietet es sich an, zu erheben, ob es im Bereich des Küstenschutzes im

Wattenmeer zu Privatisierungen der Küstenschutzanlagen gekommen ist. Sollte dies der Fall

sein, so wäre dies ein eindeutiges Anzeichen für das Vorliegen einer starken

Kopplungskonstellation. Im Rahmen der Recherchen zu dieser Arbeit konnte jedoch kein Fall

einer reinen Privatisierung im Küstenschutz festgestellt werden. Gerade in Deutschland ist der

öffentliche Sektor sowohl im Bereich der Finanzierung als auch der Durchführung der

Küstenschutzmaßnahmen sehr dominant, so dass in dieser Hinsicht eher von einer starren

Kopplung zu sprechen ist.

4.5.3.1 Politische Regulation des Küstenschutzes

In Deutschland erfolgt die Politische Regulation des Küstenschutzes über die zuständigen

öffentlichen Stellen der Länder. Der Bund ist nur – wie erläutert – in die Finanzierung des

Küstenschutzes eingebunden.

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57 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

In Schleswig-Holstein erfolgt die Regulation zum einen über den Generalplan Küstenschutz

(Ministerium für ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung und Tourismus des Landes

Schleswig-Holsteins 2001) und zum anderen über das Landeswassergesetz (vergl. z.B.

http://www.wabo-sh.de/gesetze/lwg.htm). Darüber hinaus existiert in Schleswig-Holstein

noch eine Besonderheit, nämlich der seit 1999 im Innenministerium installierte sogenannte

Beirat Integriertes Küstenzonenmanagement (BIK), in dem sich die „privaten und öffentlich-

rechtlichen Betroffenen an dem generellen Planungsprozess des Küstenschutzes“

(http://www.landesregierung.schleswig-holstein.de/Aktueller_20Bestand/IM/Information/K_

C3_BCstenschutz/K_C3_BCstenschutz_20Beirat.html, Download am 29.11.2003) beteiligen

können.

Unter dem Vorsitz des jeweiligen Ministers tagt dieser Beirat zwei Mal im Jahr. Allerdings

hat er keine Entscheidungs-, sondern lediglich beratende Funktion.

Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass die Politische Regulation in einem gewissen Maße auch

an die Öffentliche Perzeption gebunden ist, z.B., wenn es um die Beteiligung bzw. den

Einfluss von NGOs geht (z.B. Greenpeace oder WWF), die zwar nicht direkt politisch

legitimiert sind (im Sinne einer demokratischen Wahl durch einen (Groß-)Teil der

Bevölkerung), aber sich dennoch als Interessensvertreter politisch, im Sinne des Umwelt- und

Naturschutzes, im Wattenmeer und dem Küstenraum engagieren. Dabei können sie durchaus

im Konflikt stehen zu Interessen von Teilen der Küstenbewohner, z.B. wenn es um die

Reduzierung von Fangquoten in der Fischerei geht, da es dann um Umsatzrückgänge und den

Erhalt von Arbeitsplätzen geht.24 Vor allem wenn es um das Verhältnis von Küstenschutz zu

Umweltinteressen geht, agieren entsprechende Umweltverbände am Rande der öffentlichen

Zustimmung.

Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass es im Zuge der politischen Regulation zu

Versuchen kommt, den Küstenschutz zu instrumentalisieren, um andere – ökonomische –

Ziele (Standortsicherung) zu verwirklichen. Ein Beispiel hierfür könnte die Errichtung des

Emssperrwerkes sein, da dieses – laut Darstellung des WWF Deutschland (vergl. Claus 2002)

– in erster Linie zur Ermöglichung von Schiffsüberführungen eingesetzt wird. So wurde der

Bau des Sperrwerks 1997 vom Land Niedersachsen beantragt, um ausreichenden

Sturmflutschutz zu bieten. Darüber hinaus erlaubt es aber, die Ems durch Aufstauen auch für

Schiffe mit 8,5 Metern Tiefgang schiffbar zu machen. „Allgemein war jedoch bekannt, dass

der eigentliche Grund für den Bau des Sperrwerks der Anspruch der Meyer-Werft an die

24 Zum Stellenwert und den Perspektiven der Fischerei in Schleswig-Holstein vergl. WIEBE (1998).

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58 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

künftige Wassertiefe der Ems war, da sich der Küstenschutz auch ökologisch verträglicher

und mit einem Drittel der Kosten hätte herstellen lassen.“ (Claus 2002, S. 13)

Auf diese Weise konnte jedoch das Land Niedersachsen Mittel des Küstenschutzes

verwenden und gleichzeitig das europäische Wettbewerbs- und Umweltschutzrecht

umgehen.25 An dieser Stelle wird deutlich, wie die Politik das Argument ‚Küstenschutz’ und

die dahinter stehende öffentliche Akzeptanz für das Ziel ‚Sturmflutschutz’ nutzen konnte

(ebenso wie die entsprechenden – sachfremden – finanziellen Mittel), um damit weniger

akzeptierte oder schwerer durchsetzbare Ziele zu erreichen. Daher wäre eine verstärkte

wissenschaftliche Beratung und Begutachtung von Küstenschutzmaßnahmen, die solche

gravierenden Auswirkungen auf das Ökosystem haben (können), wünschenswert, sofern diese

dann auch als Entscheidungsgrundlage für die Politik dienen.

4.5.2.2 Ableitung von Indikatoren für den Bereich Politische Regulation

Der wichtigste Indikator, um die Kopplungskonstellation zwischen Küstenschutz und

Gesellschaft im Bereich der Politischen Regulation zu bestimmen, ist die Priorität des

Küstenschutzes. Sofern dem Küstenschutz umfassend Vorrang vor anderen Nutzungsformen

eingeräumt wird, so ist dies ein Zeichen für eine starre Kopplung. Werden jedoch bei der

Regulation auch andere Interessen, etwa des Umwelt- und Naturschutzes, berücksichtigt, so

ist von einer starken Kopplungskonstellation auszugehen.

Allerdings muss berücksichtigt werden, dass sich dieser Indikator nur schwer quantifizieren

lässt. Es ist jedoch möglich, aus den beiden – für den Küstenschutz in Schleswig-Holstein –

grundlegenden Dokumenten, nämlich dem Generalplan Küstenschutz und dem

Landeswassergesetz abzuleiten, inwieweit der Küstenschutz bevorzugt behandelt wird, oder

inwieweit er hinter andere Nutzungsformen zurücktreten muss.

Unter 4.3 wurde bereits erläutert, dass der Küstenschutz „wegen seiner lebensschützenden

Funktion Vorrang vor anderen Interessen, auch vor den Interessen des Naturschutzes“

(Ministerium für ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung und Tourismus des Landes

Schleswig-Holsteins 2001, S. 1) genießt. Alle anderen Nutzungen des Wattenmeeres und des

Küstenraumes sind ihm damit nachgeordnet. Ähnliches lässt sich für das Landeswassergesetz

feststellen:

25 CLAUS (2002) macht des Weiteren darauf aufmerksam, dass sich der Bau des Sperrwerks für die

Schiffsüberführungen im Nachhinein als überflüssig erwiesen hat. Die ökologischen Folgeschäden, die mit einer entsprechenden Aufstauung der Ems verbunden sind, wurden dennoch in Kauf genommen. (vergl. Claus 2002, S. 13.)

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59 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

§ 76 - Vorland Durch die Nutzung des Vorlandes dürfen die Belange des Küstenschutzes, insbesondere die Sicherheit und die Unterhaltung der Deiche, nicht beeinträchtigt werden. Die Eigentümer und Nutzungsberechtigten sind verpflichtet, das Vorland im Interesse des Küstenschutzes zu pflegen. Die Nutzung und die Pflege sollen so erfolgen, daß die vorhandenen Pflanzen- und Tierbestände nicht wesentlich beeinträchtigt werden. § 70 gilt entsprechend. § 77 - Genehmigungspflicht für Anlagen an der Küste (...) Die Genehmigung ist zu versagen, wenn von der Anlage eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere der Belange des Küstenschutzes oder der öffentlichen Sicherheit zu erwarten ist, die nicht durch Auflagen verhütet oder ausgeglichen werden kann. (...) Abb. 8: Auszug aus dem Landeswassergesetz (Schleswig-Holstein). aus: http://www.wabo-sh.de/gesetze/lwg.htm, Download am 17.12.2003.

Insofern kann festgehalten werden, dass der Küstenschutz die höchste politische Priorität im

Küstenraum besitzt und daher von einer starren Kopplungskonstellation auszugehen ist.

Als zweiten Indikator lässt sich die Partizipation der vom Küstenschutz betroffenen Akteure

anführen. Je mehr Akteure in die Politische Regulation mit einbezogen sind, desto komplexer

wird diese und umso eher werden andere Nutzungsansprüche – auch der Umweltschutz – mit

in die Überlegungen einbezogen. Dadurch kommt es zu einer ‚Aufweichung’ des bisherigen

(starren) Verständnisses von Küstenschutz. Eine strikte Orientierung an dem vorrangigen Ziel

der Sicherung des Küstengebietes wird somit unwahrscheinlicher und die

Kopplungskonstellation zwischen Küstenschutz und Gesellschaft tendenziell stärker.

Auch hier muss konstatiert werden, dass eine Quantifizierung dieses Indikators schwierig ist.

Zudem wird auch hier wieder das Problem deutlich, dass die politische Regulation sich

innerhalb der einzelnen Wattenmeeranrainerstaaten (Dänemark, Deutschland, Niederlande)

unterschiedlich gestaltet. Und innerhalb Deutschlands gibt es wiederum Unterschiede

zwischen den einzelnen Bundesländern (Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen).

Dies gilt damit letztlich auch für die Partizipation der vom Küstenschutz Betroffenen im

Hinblick auf die Planung und Durchführung von Küstenschutzmaßnahmen. In Schleswig-

Holstein dürfte das Prinzip der Partizipation durch den bereits unter 4.5.3.1 erwähnten Beirat

Integriertes Küstenzonenmanagement am ehesten ernst genommen und zumindest

ansatzweise verwirklicht sein. Es bleibt jedoch zu bedenken, dass dieser Beirat bisher nur

über eine beratende Funktion verfügt und daher eine Mitbestimmung noch nicht erreicht

wurde. Insofern kann auch nur von der Tendenz gesprochen werden, zukünftig vermehrt auf

die Partizipation aller betroffenen Akteure zu setzen. Von einer starken

Kopplungskonstellation in diesem Bereich zu sprechen wäre daher verfrüht, auch wenn sich

hier die bisherige starre Kopplung zu wandeln scheint.

Ein weiterer Indikator, um die Kopplungskonstellation zwischen Küstenschutz und

Gesellschaft im Bereich der Politischen Regulation zu messen, ist die Ausrichtung der Politik

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60 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

an ‚herkömmlichen’ Küstenschutzmaßnahmen („hard engineering“) bzw. der Orientierung an

Küstenmanagementmethoden, in denen auch ökologische Gesichtspunkte berücksichtigt

werden („soft engineering“). Ein geeignetes Maß, um diese Ausrichtung anzuzeigen ist der

finanzielle Aufwand der zuständigen Behörden im Bereich des Küsten(zonen)managements.

Tabelle 11 bietet einen Überblick über eine Reihe europäischer Behörden sowie deren

Aufwendungen für das Küstenmanagement von 1999 bis 2001.

Institution Staat Ausgaben für

Küsten(zonen)-management

1999

Ausgaben für Küsten(zonen)-

management 2000

Ausgaben für Küsten(zonen)-

management 2001

Behörde für Bau und Verkehr D 39,7 50,6 58,4 Umweltministerium Schleswig-Holstein D 47 58 54 Danish coastal authority DK 14 12 13 Nordjylland county council DK 0,1 0,1 0,1 Tab. 11: Finanzielle Aufwendungen einzelner europäischer Behörden für das Küstenmanagement.

Eigene Darstellung, Daten aus: EUROSION 2003, S. 41f.

Insgesamt lässt sich ein leichter Anstieg der Ausgaben feststellen (insbesondere bei der

Behörde für Bau und Verkehr). EUROSION (2003) konstatiert, dass es eine Tendenz hin zu

mehr Küstenmanagement und weg von Methoden des hard engineering gibt. Dies lässt sich

folgender Maßen begründen: „- In urban-dominant coastal areas, soft engineering solutions – including beach nourishment, wetlands

creation, sand by-passing, etc. – are providing positive an cost-effective results and are likely to be applied in a broader geographical context. They also respond to the public inclination for solutions more respectful of ecological processes.

- In agriculture-dominant coastal areas, the decrease of land value, mainly due to the implementation of the Common Agriculture Policy (CAP= provides less and less incentives for land owners to defend the coast against erosion. In that respect, many examples in France and UK have shown that the cost of coastal defence have sometimes exceeded the value of the lands to be protected, and have led to a re-evaluation of coastal defence strategies.

- Lastly, more communication actions towards the public will inform coastal population about the risks encountered in the coastal zones, and should therefore contain coastal developments in the coming decade.” (EUROSION 2003, S. 42.)

Daher lässt sich in diesem Fall von einer tendenziell starken Kopplung zwischen

Küstenschutz und Gesellschaft sprechen, da Managementansätze in der Regel auch andere

Nutzungsformen – in diesem Fall in erster Linie den Umweltschutz – berücksichtigen und

nicht alleine auf die Erfüllung der Schutzfunktion zugunsten der Anwohner ausgerichtet sind.

4.5.4.1 Öffentliche Perzeption des Küstenschutzes

Die Bevölkerung des Küstenraumes ist – wie die Ausführungen zur gesellschaftlichen

Funktion gezeigt haben – in besonderem Maße davon abhängig, dass die Maßnahmen zum

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61 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Küstenschutz ‚erfolgreich’ sind, d.h., dass der Schutz von Menschenleben, aber auch

Sachwerten, gewährleistet ist. Bereits aus dieser Tatsache wird ersichtlich, dass

‚Küstenschutz’ in der öffentlichen Wahrnehmung positiv belegt sein muss. Hinzu kommt,

dass der Lebens- und Wohnraum – die Küstenregion insgesamt – bereits an sich einen hohen

Wert beigemessen bekommt. (vergl. WWF 2001) Wie sensibel die Öffentlichkeit auf

‚ökologische Katastrophen’ – oder auch nur scheinbare – reagiert, verdeutlicht das Beispiel

der sogenannten Schwarzen Flecken. So berichteten im Frühjahr 1996 die Medien über solche

Flecken, die in weiten Teilen des niedersächsischen Wattenmeeres auftraten. „Sofort wurden

entsprechende Panikmeldungen über das Umkippen des Wattenmeeres in den Medien

verbreitet und Landwirtschaft, Industrie, Haushalte sowie der Autoverkehr von einschlägigen

Umweltpolitikerinnen und -politikern direkt dafür verantwortlich gemacht.“ (Pott 2003, S.

230) Hinweise von wissenschaftlicher Seite, dass es sich hierbei im Wesentlichen um einen

natürlichen Prozess handelte (vergl. hierzu Pott 2003, S. 230ff.), wurden dagegen nicht oder

nur unzureichend berücksichtigt.

Ähnlich empfindlich würden Reaktionen auf derartige Meldungen aus dem Bereich des

Küstenschutzes, z.B. über Kürzungen bei der Finanzierung von Küstenschutzmaßnahmen

oder den Sicherheitszustand einzelner Küstenschutzanlagen aufgenommen werden.

Das Vorliegen einer entsprechend hohen Akzeptanz des Küstenschutzes in der Bevölkerung

wäre entsprechend des Schemas aus Tabelle 7 ein Beleg für eine starre

Kopplungskonstellation zwischen Küstenschutz und Gesellschaft. Aufgrund der

gesellschaftlichen Bedeutung des Küstenschutzes ist auch in den nächsten Jahren nicht damit

zu rechnen, dass die Akzeptanz signifikant zurückgeht. Denkbar wäre dagegen, dass ‚neue

Allianzen’ (vergl. 4.5.2.1, Finanzielle Beziehung) zwischen Vertretern des Küstenschutzes

und Vertretern des Natur- und Umweltschutzes zu einer veränderten Einstellung gegenüber

dem (dann gewandelten Verständnis von) Küstenschutz kommen könnte. Sofern Bewohner

der Küstenregionen ihre eigenen Lebens-, Wohn- und Arbeitsgrundlagen gefährdet sehen,

weil aufgrund fehlender öffentlicher Mittel der Küstenschutz zugunsten des Umweltschutzes

(wenn auch zur Steigerung des Tourismusaufkommens) zurückgenommen oder reduziert

wird, ist mit einem Rückgang der Akzeptanz zu rechnen. Dann wird die neue Form des

gesellschaftlichen Umgangs mit dem Küstenschutz – sowohl was die Finanzierung als auch

die politische Regulation betrifft – kritischer betrachtet und die Forderung nach der

‚Rückbesinnung’ auf die gesellschaftliche Funktion des Küstenschutzes – nämlich Schutz der

Bevölkerung, vorrangig vor Naturschutz- oder sonstigen Interessen – verstärkt auftreten.

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62 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

4.5.4.2 Ableitung von Indikatoren für den Bereich Öffentliche Perzeption

Ein geeigneter Indikator, um die Kopplungskonstellation zwischen Küstenschutz und

Gesellschaft im Bereich Öffentliche Perzeption zu bestimmen ist das Ansehen des

Küstenschutzes in der Bevölkerung. Daten diesbezüglich lassen sich in erster Linie durch

Befragungen der Bevölkerung im Küstenraum gewinnen, die vom Küstenschutz direkt

betroffen sind.

Eine Erhebung in diesem Zusammenhang erfolgte im Zuge der WWF-Studie ‚Was denkt der

Bürger vom Wattenmeer?’ (WWF 2001). Allerdings ist anzumerken, dass es sich hierbei um

einen indirekten Indikator handelt, da nicht direkt nach dem Ansehen des Küstenschutzes in

der Bevölkerung gefragt wurde. Tabelle 12 liefert einen Überblick über die gewonnenen

Daten.

Region Prozentualer Anteil der Befragten, die ‚Sturmflut/ Deichbruch’ als größte Gefahr der Region ansehen

Anzahl der Befragten, die ‚Sturmflut/ Deichbruch’ als größte Gefahr einstufen/ Grundgesamt in dieser Region

Niederlande 3,2 6/190

Deutschland: - Niedersachsen - Schleswig-Holstein - Küstenstädte

10,3 11,4 3,0

22/213 26/228 8/268

Dänemark 10,8 25/232

Tab. 12: Befragung der Küstenbewohner: „Was sind für Sie mögliche Gefahren oder Bedrohungen dieser Region?“.

Eigene Darstellung; Daten übernommen aus: WWF 2001, S. 34.

Diese Zahlen sind folgender Maßen zu interpretieren: Gefragt war in dieser Studie, welche

möglichen Gefahren der Region nach Ansicht der Bewohner drohen. Dabei handelte es sich

laut Fragebogen um eine offene Frage (vergl. WWF 2001, S. 50), wobei nur eine Nennung

erfasst wurde. Diese eine Angabe ist also durchaus als die am größten wahrgenommene

Gefahr zu deuten. Berücksichtigt man zudem, dass Antworten wie ‚Ölverschmutzung/

Schiffsunglück’ sowie ‚Umweltverschmutzung’ auch als sozial erwünschte Antworten

bewertet werden können, dann wird deutlich, dass die Gefahr ‚Sturmflut/ Deichbruch’, die bei

bis zu 11,4 Prozent der Bevölkerung (Schleswig-Holstein) als größte Gefahr für die Region

angesehen wird, letztlich noch deutlich bedrohlicher wahrgenommen wird.

Indirekt kann daraus geschlossen werden, dass Maßnahmen des Küstenschutzes bei diesem

Teil der Bevölkerung – und nicht nur bei diesem – eine hohe Akzeptanz aufweisen. Dies kann

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63 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

– entsprechend der Tabelle 7 – als Anzeichen für eine starre Kopplung zwischen

Küstenschutz und Gesellschaft im Bereich der Öffentlichen Perzeption gewertet werden.

Für weitere Aussagen wären dennoch eine gezieltere Fragestellung und damit eine präzisere

Datenlage wünschenswert. So wäre direkt nach der Akzeptanz des Küstenschutzes zu fragen,

zum Beispiel auf folgende Art:

Das Konzept des Küstenschutzes (Deichbau, Siele, Sandvorspülungen etc.) bewerte ich

positiv!

Ja Unentschieden Nein

Abb. 9: Mögliche Fragestellung, um „Akzeptanz des Küstenschutzes in der Bevölkerung“ zu messen. Eigene Darstellung.

Wünschenswert wäre neben einer größeren Grundgesamtheit als in der WWF-Studie zudem

eine jährliche Fortschreibung dieser Befragung, um eventuelle Veränderungen im Verhältnis

der Bevölkerung zum Küstenschutz feststellen zu können. Interessant wäre dabei zum

Beispiel, wie sich die Einstellung zum Küstenschutz in Jahren mit vermehrter

Sturmfluthäufigkeit verändert.

4.5.5.1 Landseitige Auswirkungen der Küstenschutzmaßnahmen auf den Energie- und

Stoffhaushalt

Küstenschutzmaßnahmen können auf angrenzende ökologische Gefüge zum Teil drastische

Auswirkungen haben.

Problematisch ist vor allem, dass die Eindeichung der Küstenregion nicht nur das Einfließen

von salzigem Meerwasser verhindert, sondern dass sie auch landeinwärts wirkt. Die fehlende

Abflussmöglichkeit von Süßwasser führt dazu, „dass den Marschniederungen

Überschwemmungen durch das Süßwasser drohen, wenn es nicht ständig – und vermehrt nach

hohen Niederschlägen – aus dem Binnenland in die Nordsee abfließen kann“ (Wieland 2000,

S. 38).26

Für die Salzwiesen stellt das faktische Abschneiden vom Meer den „größtmöglichen Negativ-

Effekt“ (Heydemann 1998, S. 158) dar.

„Fünf bis zehn Jahre nach der Eindeichung sind (im Anschluß an eine vorgenommene

Kultivierung) mindestens 95% des Arteninventars der Salzwiese ausgefallen (...).“

(Heydemann 1998, S. 158) Für den Fall, dass keine Kultivierung der Salzwiesen statt findet, 26 WIELAND (2000) kommentiert diesen Umstand mit einem volkstümlichen Ausspruch: Versupt wi nich in

Soltwater, versupt wi in Sötwater! (Wieland 2000, S. 38.)

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64 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

liegt dieser Wert immer noch bei rund 50 Prozent. Zu beobachten sind im Ökosystem

Salzwiese nach der Eindeichung vor allem Verdrängungsprozesse von Pflanzen durch

Einwanderer aus Süßwiesengrünland. Grund hierfür ist die zunehmende Entsalzung der

Salzwiesen durch fehlende Überflutung durch das Meer. Verschärft wird dieser Prozess noch

durch Drainage der entsprechenden Felder, da so zusätzlich eine Entsalzung des Bodens

erreicht wird.

Auch die Eindeichung, Entwässerung und Absperrung von Nebenarmen der

Binnenlandsflüsse im Rahmen des Küstenschutzes bewirken landseitig negative ökologische

Folgen. Zwar werden auf diese Weise Landstriche für die Landwirtschaft und die Besiedlung

erschlossen, die zuvor bei Sturmfluten überflutet wurden, jedoch überwiegen die negativen

Auswirkungen. Mit der Einengung der Flussverläufe im Zuge der Eindeichung ist auch eine

Reduzierung der Flachwasserzonen und der Standgewässer an den Rändern der Flüsse und

damit der dort vorkommenden Vegetation und Fischarten verbunden. „Die eingeschränkte

Dynamik der Flüsse verringerte entsprechend die Biodiversität in den Ästuaren.“ (Pott 2003,

S. 241) Zudem werden die Übergangsbiotope zwischen Fluss und Land gestört und

Wanderwege der Fische zu ihren Laichgründen versperrt.

An dieser Stelle setzt eine weitere Dynamik zwischen landseitigen Ökosystemen (in diesem

Fall den Flüssen) und dem Wattenmeer ein. Die Vertiefung der Ästuare führt zu einer

erhöhten Sedimenterosion, die durch Sedimentimporte über den beschleunigten Flutstrom

kompensiert wird. Allerdings geht dieser Sedimenttransport zu Lasten der seewärtigen

Wattflächen. (vergl. Pott 2003, S. 241) Die Folge ist eine zunehmende Unterhaltungsbaggerei

(z.B., um den Fluss weiterhin schiffbar zu halten), welche zu einer Erhöhung der Wassertrübe

und damit einer Verringerung der Lichtversorgung der Wasserpflanzen führt. Die

Eindeichung von Flüssen und Ästuaren hat also nicht intendierte Folgen, die sich negativ auf

landseitige Ökosysteme sowie auf das des Wattenmeeres auswirken.

4.5.5.2 Ableitung von Indikatoren für den Bereich Landseitige Auswirkungen der

Küstenschutzmaßnahmen

Um die Kopplungskonstellation zwischen Küstenschutz und Natur für den Bereich der landseitigen

Auswirkungen zu bestimmen, bieten sich die Salzwiesen als Indikatoren an. Von besonderer

Bedeutung sind hier zum einen der Anteil der (eingedeichten und) bewirtschafteten Salzwiesen und

zum anderen der Grad der Intensität dieser Bewirtschaftung – in der Regel Beweidung – an.

Tabelle 13 bietet einen Überblick über die Fläche, welche an der schleswig-holsteinischen

Westküste von den unterschiedlichen Salzwiesentypen eingenommen werden.

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65 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Tab. 13: Gesamtfläche der drei Salzwiesentypen an der schleswig-holsteinischen Westküste und im

Nationalpark (in Hektar). aus: Stock 1998, S. 8.

Die Fläche von 6.135 Hektar Salzwiesen im schleswig-holsteinischen Wattenmeer entspricht einem

prozentualen Anteil von nur etwa 1,4 Prozent der Gesamtfläche des Nationalparks und ist von daher

relativ klein. Wie bereits dargestellt, sind Salzwiesen aber besonders empfindliche Ökosysteme und

daher von Störungen besonders stark betroffen. Daher eignen sie sich besonders gut, um als Indikator

für die Mensch-Umwelt-Dynamik zu dienen.

Entscheidend ist nun aber vor allem der Anteil der bewirtschafteten Salzwiesen sowie die Intensität, da

wie gezeigt die Kultivierung von Salzwiesen mit einem Artenrückgang von bis zu 95 Prozent

verbunden ist.

Die Abbildung 10 zeigt nun, wie sich in den letzten Jahren der Anteil der bewirtschafteten Salzwiesen

sowie der Grad der Intensität verändert haben.

Abb. 10: Anteilige Nutzung der Vorlandsalzwiesen an der Festlandsküste durch Schafbeweidung in den Jahren

1989 bis 1998. aus: Stock 1998, S. 9.

Es zeigt sich, dass seit 1989 ein deutlicher Rückgang des Anteils beweideter Salzwiesen zu

verzeichnen ist – von über 95 Prozent (1989) auf etwa 50 Prozent im Jahre 1998. Erfreulich

ist dabei, dass vor allem der Anteil intensiv beweideter Salzwiesen zurückgegangen ist (auf

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66 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

jetzt 40 Prozent, statt etwa 90 Prozent 1989). Der Anteil extensiv bewirtschafteter Salzwiesen

ist dabei relativ konstant geblieben (etwa zehn Prozent).

Es lässt sich also festhalten, dass der Anteil der beweideten, also kultivierten, Salzwiesen mit

etwa 50 Prozent immer noch hoch ist – trotz des positiven Trends der letzen Jahre. Negativ ist

zudem der vergleichsweise hohe Anteil der intensiven Bewirtschaftungsformen zu beurteilen.

Ein weiterer Indikator ist die Länge von eingedeichten Flüssen und Ästuaren im Küstenraum.

Wie erläutert haben derartige Küstenschutzmaßnahmen entlang von Flüssen im Binnenland

ebenfalls eine Reihe von negativen ökologischen Auswirkungen. Je stärker daher die Flüsse

eingedeicht sind, desto stärker wird die Kopplungskonstellation zwischen Küstenschutz und

Natur.

Im Generalplan Küstenschutz sind die Deichlängen entlang der schleswig-holsteinischen

Flüsse aufgeführt (Tabelle 14).

Nordfriesland Dithmarschen Steinburg Pinneberg Eiderdeiche 31,2 29,7 - - Stördeiche - - 106,4 - Krückaudeiche - - 12,7 10,3 Pinnaudeiche - - - 36,0 Gesamt 31,2 29,7 119,1 46,3 Tab. 14: Deichlänge entlang schleswig-holsteinischer Flüsse (in km). verändert übernommen aus: Ministerium für ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung und

Tourismus des Landes Schleswig-Holsteins 2001, S. 38.

Insgesamt sind somit 226,3 Kilometer entlang der vier genannten Flüsse in Schleswig-

Holstein mit einer entsprechenden Deichlinie versehen.27 Dies entspricht mehr als einem

Drittel der gesamten Flusslänge dieser vier Flüsse, womit die Länge der Deichanlagen als

hoch einzustufen ist, was auf eine eher starke Kopplungskonstellation schließen lässt.

4.5.6.1 Seeseitige Auswirkungen der Küstenschutzmaßnahmen auf den Energie- und

Stoffhaushalt

JANßEN (1998) stellt dar, dass die Bemühungen, die buchtenreiche Nordseeküste sukzessive in

eine möglichst gerade Deichlinie zu verwandeln, eine Veränderung der ursprünglichen

27 Als Vergleichswert bietet sich die jeweilige Flusslänge, um beurteilen zu können, wie groß das Ausmaß der

Eindeichung ist. Da Flüsse jedoch an beiden Ufern eingedeicht werden können, muss die jeweilige Flusslänge verdoppelt werden. Laut http://www.lernnetz-sh.de/lzpol/land1.php sowie http://kett.de/kanu/flusslinks.html (Download jeweils am 10.01.2004) beträgt die Länge der Eider 180 km (verdoppelt: 360 km), der Stör ca. 83 km (166 km), der Krückau ca. 21km (42 km) und der Pinnau 46 km (92 km). Daraus ergibt sich eine Gesamtlänge von 330 km (660 km), von denen 226,3 km eingedeicht sind (ca. 34 Prozent).

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67 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Dynamik des Wattenmeeres mit sich gebracht hat. Beispielsweise führt er die Erosion von

Tiderinnen an. So habe sich der Norderheverstrom seit 1634 von etwa drei Metern auf 24

Meter vertieft. (vergl. Janßen 1998, S. 148)

Sofern die Eindeichungen auch die Salzwiesen und Vorländer28 umfassen und diese somit

nicht mehr den regelmäßigen Überflutungen in Folge der Gezeiten ausgesetzt sind, ergeben

sich durch den Küstenschutz noch weitere Veränderungen im Energie- und Stoffhaushalt.

Wie LIEBERMAN/ MAI (2001) gezeigt haben, werden durch Vorländer die Wellenkräfte

reduziert, Überlaufmengen verringert und die Druckschläge der Brandung an den Deichen

verringert. Auch die Frequenz der Brandung wird deutlich verringert. In ihren Versuchen

zeigte sich, „dass die über dem Vorland geringeren Wassertiefen eine Flächenbrandung der

von See einlaufenden Wellen erzeugen und dadurch die Linienbrandung am Deich reduziert

wird“ (Lieberman/ Mai 2001, S. 85).

Der Nachweis hierfür lässt sich durch physikalische und numerische Modelle (z.B. Versuche

im Grossen Wellenkanal GWK), aber auch durch direkte Messungen in der Natur erbringen.

Umgekehrt wird ersichtlich, dass beim Wegfall von Vorländern die Wellenkräfte steigen, da

die Wassertiefe zu hoch ist, um die Brandung zu verlangsamen. Statt einer wünschenswerten

Flächenbrandung ergibt sich dann an den Deichanlagen eine Linienbrandung, welche die

Küstenschutzanlagen erheblich größeren physikalischen Kräften aussetzt. Daraus folgt aber

auch, dass die Deiche schneller beschädigt werden und daher häufiger repariert oder

ausgebessert werden müssen, wodurch die Kosten für den Küstenschutz insgesamt steigen.

Die Auswirkungen des Küstenschutzes im Bereich des Energie- und Stoffhaushaltes haben

damit nicht nur im technisch-naturwissenschaftlichen, sondern auch im sozio-ökonomischen

Bereich ihre Konsequenzen.

Von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Diskussion über einen

möglichen Meeresspiegelanstieg, mit dem eine Reihe von Prozessen verbunden ist, die im

Folgenden kurz erläutert werden sollen.

Einen der wesentlichsten Aspekte stellt die zunehmende Erosion der Küstenlinie gemäß der

sogenannten Bruun-Rule (Abbildung 11) dar.

28 Über den Deponieeffekt für Schadstoffe im Vorlandkörper sowie entsprechende Messergebnisse vergl.

Umweltbundesamt (1998).

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68 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Abb. 11: Bruun-Rule (nach Bruun 1962) aus: Behnen 2000, S. 7. “It is based on the concept of an equilibrium beach profile which is a statistical average profile that maintains its form apart from small fluctuations including seasonal effects. This shows that as sea level rises, material is eroded from the upper beach and deposited on the nearshore ocean bottom. (…) Consequently the ocean moves landwards or in other words there is shoreline recession. However, it is a difficult concept to confirm, for while the beach erosion/recession can be relatively easily quantified, the offshore sedimentation may be spread over a very broad zone. Notwithstanding the above, the Bruun Rule has been tested with a fair level of success along the southeast coast of Florida and in the Great Lakes.” (http://www.unesco.org/csi/pub/info/info410.htm, Download am 10.12.2003)

Aus dieser Regel leitet sich folgende Formel zur Berechnung des zu erwartenden

Küstenrückganges ab:

Shoreline recession resulting from predicted sea level rise is calculated as follows: a rise of sea level of y metres causes a shoreline recession of y times 100 m.

Abb. 12: Berechnung des Küstenrückganges nach BRUUN aus: http://www.unesco.org/csi/pub/info/info410.htm, Download am 10.12.2003.

Das bedeutet, dass bei einem Meeresspiegelanstieg von 0,1 Metern ein Küstenrückgang von

10 Metern zu erwarten ist.

Weiterhin können im Zuge eines Anstieges des Meeresspiegels folgende Entwicklungen

beobachtet werden: „ - Abtragung und Verlagerung von Niederungs- und Feuchtgebieten

- Verstärkte Überflutung nach Sturmfluten - Erhöhte Salinität in Ästuaren und Gefährdung der Süßwasseraquifers

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69 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

- Erhöhter Tidenhub in Flußästuaren und Buchten - Veränderte sedimentologische Prozesse - Verringerung des in größere Wassertiefe vordringenden Lichts“ (Behnen 2000, S. 62)

Diese ökologischen Folgen des Meeresspiegelanstieges lassen sich dabei nur begrenzt von

den sozio-ökonomischen trennen: „Die vielfältigen Überlagerungen der Raumansprüche im Küstenraum führen zu einem komplexen Gefüge, in dem Naturschutz- und Nutzungsaspekte eng miteinander verknüpft sind. Als Beispiel können die Strände (...) oder auch die touristische Bedeutung von Feuchtgebieten (...) gelten.“ (Behnen 2000, S. 62)

Zu beachten ist, dass diese Folgen auf die verschiedenen ökologischen Teilsysteme des

Küstenraumes unterschiedliche Auswirkungen haben. Für das Wattenökosystem, die

Salzwiesen und küstennahe terrestrische Ökosysteme werden diese kurz erläutert.29

Im Wattenökosystem werden demnach bereits Auswirkungen festgestellt, so eine Zunahme

des Tidenhubs und der Sturmfluten, die eine Vertiefung der Wattstromrinnen bewirkt haben.

Aufgrund der Eindeichung kann sich das Wasser zudem nicht mehr landeinwärts ausbreiten,

wodurch die Gezeitenzone schmaler und eine Vergrößerung des Watts verhindert wird.

„Wahrscheinlich ist hingegen wegen des stärkeren Gefälles zwischen Hoch- und

Niedrigwasser sogar ein größerer Abtrag und damit eine Verkleinerung der Wattfläche.“

(Behnen 2000, S. 63)

Im Hinblick auf die Salzwiesen verweist BEHNEN (2000) darauf, dass diese im Zuge des

Meeresspiegelanstieges häufiger und dauerhafter überflutet werden würden. Verbunden wäre

dies mit einer Erhöhung des Salzgehaltes und einem beschleunigten Höhenwachstum

aufgrund stärkerer Sedimentation. Bisher wird dieses ‚Mitwachsen’ der Salzwiesen als relativ

problemlos bewertet. Fraglich ist jedoch, inwieweit sich das seewärts gelegene Watt ebenfalls

ausdehnen kann, da ansonsten die Bildung einer Abbruchkante drohen könnte, von der aus die

Zerstörung der Salzwiesen ausgehen könnte. (vergl. Behnen 2000, S. 63)

Auch für küstennahe terrestrische Ökosysteme konstatiert BEHNEN Folgen durch einen

Meeresspiegelanstieg. Vor allem die veränderten Salzverhältnisse und Abflussbedingungen in

den Marschen würden sich problematisch – insbesondere auch für die landwirtschaftliche

Nutzung – auswirken. „Aus ökologischer Sicht wäre die Entstehung neuer Feuchtgebiete

jedoch ein Gewinn.“ (Behnen 2000, S. 63)

Im Zuge eines Anstieges des Meeresspiegels wird zudem eine Verlagerung von Inseln im

Wattenmeer befürchtet (vergl. Abbildung 15).

29 BEHNEN (2000) stellt zudem in knapper Form die Auswirkungen des Meeresspiegelanstieges auf Aquatische

Biota, Dünenökosysteme und Waldökosysteme dar. (vergl. Behnen 2000, S. 62f.)

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70 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Abb. 13: Vorausberechnete Verlagerung einer Insel im Wattenmeer bei Erhöhung des Meeresspiegels um einen

Meter. Die ursprüngliche Insel (durchgezogene Linie) wird zum Festland hin verlagert (gestrichelte Linie).

aus: Zentrum für Meeres- und Klimaforschung der Universität Hamburg 2001, S. 45.

Es ist offensichtlich, dass solche Veränderungen der Morphodynamik besondere

Herausforderungen an den Küstenschutz stellen. Dabei ist auch auf die schwer

prognostizierbare Entwicklung der Küste zu verweisen: „Je weiter wir in die Zukunft schauen, desto schwieriger wird es, die Entwicklung der Küste vorherzusagen. Gegenwärtig bewegen sich die ostfriesischen Inseln ost- und südwärts. Um sie in ihrer derzeitigen Position festzuhalten, sind erhebliche Anstrengungen nötig. Die Insel Sylt verliert ein bis zwei Meter Land pro Jahr an der seewärtigen Küste und kann nur mit ständigen Sandvorspülungen in ihrer jetzigen Gestalt erhalten bleiben.“ (Zentrum für Meeres- und Klimaforschung der Universität Hamburg 2001, S. 45)

Für die Zukunft sind daher Konzepte eines flexiblen Küstenschutzes gefordert, welche

langfristige hydrodynamische Entwicklungen berücksichtigen. „Dabei ist auch ein

Rückweichen des Menschen denkbar.“ (Zentrum für Meeres- und Klimaforschung der

Universität Hamburg 2001, S. 44) Derartige defensivere Konzepte des Küstenschutzes

(Rückverlegung von Deichen, Einrichten von Überflutungspoldern) „werden vermutlich in

dem Maße an Akzeptanz gewinnen, in dem angesichts des steigenden Meeresspiegels und

häufiger Sturmfluten die alten Strategien überdacht werden müssen“ (Zentrum für Meeres-

und Klimaforschung der Universität Hamburg 2001, S. 38).

SCHUCHARDT/ SCHIRMER (2002) stellen eine Reihe von Aspekten vor, die ihrer Auffassung

nach im Zusammenhang mit dem steigenden Meeresspiegel, der zunehmenden

Wahrscheinlichkeit von Extremwetterlagen (Sturmfluten) und der Frage des

gesellschaftlichen Umganges mit dieser Entwicklung, von Bedeutung sind:

• „die Methodik der Herleitung von (Deichhöhen-)Bemessungsansätzen unter Klimawandel- und

Meeresspiegelanstiegsbedingungen, • langfristige Anpassungsprozesse, die langfristige Planung und Planungssicherheit erfordern, • Kosten und Kosten/Nutzenanalysen verschiedener Küstenschutzoptionen, • die Interessenlagen der beteiligten Gruppierungen und daraus resultierende Zielkonflikte, • die gesellschaftliche Perzeption bzw. die Interpretationen von Umweltveränderungen (hier: steigendem

Risiko) und die Entscheidungsstrukturen des politisch-administrativen Systems, • die historisch verankerte Partizipation der Küstenbewohner und ihrer Organisationen,

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71 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

• die zunehmende Komplexität der im Risikomanagement zu berücksichtigenden Interessen, Vorgaben, Optionen etc., die moderne Methoden der Entscheidungsvorbereitung erfordert.“ (Schuchardt/ Schirmer 2002, o.S.)

4.5.6.2 Ableitung von Indikatoren für den Bereich Seeseitige Auswirkungen der

Küstenschutzmaßnahmen

Wie dargestellt ist einer der entscheidenden Faktoren für die zukünftige Entwicklung der

Geomorpho- und Hydrodynamik im Wattenmeer der zu erwartende Meeresspiegelanstieg. Je

höher dieser ausfällt, desto stärker wird die Kopplung zwischen Küstenschutz und Natur, da

sich Brandungsaktivität und Wellenenergie und daher die Erosion erhöhen. Dies hat

Auswirkungen auf die Sicherheit der Küstenschutzanlagen, die neuen Anforderungen gerecht

werden müssen. Daher erscheint es sinnvoll, die Kopplungskonstellation zwischen

Küstenschutz und Natur durch den erwarteten Meeresspiegelanstieg zu kennzeichnen.

Abbildung 14 bietet einen Überblick über die Entwicklung des Meeresspiegels zwischen 1990

und 2100. Grundlage sind Berechnungen des IPCC mit Hilfe sechs verschiedener Szenarien.

Abb. 14: Der zukünftige weltweite Anstieg des Meeresspiegels 1990-2100 nach sechs beispielhaften Szenarien

(SRES) aus: http://www.grida.no/climate/ipcc_tar/wg1/fig11-12.htm, Download am 10.12.2003.

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72 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Berücksichtigt sind in diesen Szenarien alle Faktoren, die zum Meeresspiegelanstieg

beitragen, mit Ausnahme des Grundwasserbeitrags. Der graue Sektor zeigt die Spannweite der

Szenarienrechnungen, die obere und untere Grenzlinie zeigen die Extreme unter

Berücksichtigung der Unsicherheiten in Bezug auf die Veränderungen von Landeis,

Permafrost und Sedimentation. Die Balken am Rand geben die entsprechenden

Unsicherheitsbereiche für die einzelnen Szenarienrechnungen an.

Erwartet wird demnach weltweit ein Meeresspiegelanstieg von bis zu 88 Zentimetern bis zum

Jahr 2100. In Verbindung mit ebenfalls erwarteter zunehmender Häufigkeit von Sturmfluten

an der Nordseeküste ergibt sich daraus, dass dies für die Küstenschutzanlagen an der

Nordseeküste ein bedrohlicher Anstieg wäre. Entsprechend der oben dargestellten Bruun-Rule

entspräche dies einem Küstenabtrag von rund 88 Metern.30

Insofern ergibt sich aus diesem Indikator eine starke Kopplung zwischen Küstenschutz und

Natur im Bereich der seeseitigen Auswirkungen.

Einen weiteren Indikator in diesem Zusammenhang stellt die jährliche Erosionsrate an der

Nordseeküste dar. Je stärker diese ausfällt, desto stärker ausgeprägt ist die Kopplung zwischen

Küstenschutz und Natur. Dies lässt sich damit begründen, dass ein stärkerer Verlust von

Küstenflächen den Zwang zu verstärkten Küstenschutzmaßnahmen erhöht. Diese haben

jedoch wiederum einen Einfluss auf die Geomorpho- und Hydrodynamik und können im

Extremfall das Problem noch verschärfen. Die Erosionsrate ist aber kein Wert, der für alle

Küstenabschnitte entlang der Nordseeküste gleich hoch ist, da die Höhe der Erosionsrate von

unterschiedlichen Faktoren (z.B. Küstenform, Art und Korngröße des Sedimentmaterials etc)

abhängt. So schwanken die Werte zum Teil erheblich. WITEZ (2002) gibt an, dass für die

dänische Festlandküste südlich von Esbjerg eine jährliche Erosionsrate von 25 cm pro Jahr

festgestellt wurde, während die Hallig Norderoog mit einer Erosionsrate von 250 cm pro Jahr

den zehnfachen Wert aufweist. (vergl. Witez 2002, S. 29) Um die Ausprägung der Kopplung

näher zu bestimmen müssten daher für kleinräumigere Küstenabschnitte die Erosionsraten

gemessen werden, da großräumige Betrachtungen keine aussagefähigen Ergebnisse liefern

können.

Letztlich kann auch die Veränderung des Tidenhubes im Wattenmeer als Indikator für die

Kopplung zwischen Küstenschutz und Natur herangezogen werden: „Eine Zunahme des Tidenhubes hat zur Folge, dass pro Tide mehr Wasser in das Tidebecken ein- und ausströmt. Da dieses in der gleichen Zeitspanne (Tidendauer bleibt konstant) geschehen muss, erhöhen sich die

30 Zu den sozio-ökonomischen Auswirkungen eines möglichen Meeresspiegelanstieges vergl. im Internet

http://www.grida.no/climate/ipcc/regional/114.htm (Download am 10.12.2003)

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73 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren Tideströmungsgeschwindigkeiten in den Prielen, so dass verstärkt Sediment erodiert werden kann.“ (Witez 2002, S. 146)

Mit Bezug auf EHLERS (1988) kann zudem der Zusammenhang mit dem Küstenschutz

verdeutlicht werden. Dieser hatte im Zusammenhang mit der Eindämmung der Zuider Zee in

den Niederlanden eine Erhöhung des Tidenhubes auf 50 cm und eine Zunahme der

Strömungsgeschwindigkeit um 10 bis 26 Prozent nachweisen können.

Je stärker letztlich der Anstieg des Tidenhubes durch die Eindeichung – und damit den

Küstenschutz – ist, desto mehr ist von einer starken Kopplungskonstellation auszugehen.

Die folgenden Tabellen 15, 16 und 17 bieten einen Überblick über die Entwicklung des

Tidenhubes in ausgewählten Tidebecken (Piep, Norderhever-Heverstrom und Hoogeloch), die

nach Ansicht von WITEZ charakteristisch für die Mehrzahl der schleswig-holsteinischen

Tidebecken sind.

1937 1942 1955 1969 1973 1976 1979 1982 1985 1991

Tidekennwerte [m zu NN]

MThw 1,47 1,41 1,51 1,43 1,51 1,49 1,51 1,65 1,51 1,56 MTmw 0,43 0,35 0,42 0,37 0,41 0,40 0,36 0,52 0,41 0,47 MTnw -1,74 -1,81 -1,73 -1,80 -1,71 -1,77 -1,80 -1,67 -1,72 -1,68 MThb 3,21 3,22 3,24 3,23 3,22 3,26 3,31 3,32 3,23 3,24

Mittlere Sedimenthöhen [m]

Char. Watthöhe 1,74 1,75 1,72 1,78 1,71 1,73 1,67 1,66 1,69 1,69 Tab. 15: Tidekennwerte und mittlere Sedimenthöhen für das Tidebecken Piep (1937-1991). auszugsweise übernommen aus: Witez 2002, S. 76.

1937 1966 1974 1990 Tidekennwerte [m zu NN]

MThw 1,19 1,42 1,30 1,55 MTmw -0,05 0,13 0,08 0,20 MTnw -1,75 -1,64 -1,67 -1,76 MThb 2,94 3,06 2,97 3,31 Mittlere Sedimenthöhen [m] Charakteristische Watthöhe 1,57 1,59 1,64 1,58

Tab. 16: Tidekennwerte und mittlere Sedimenthöhen für das Tidebecken Norderhever-Heverstrom (1936-1990). auszugsweise übernommen aus: Witez 2002, S. 92f.

1937 1968 1974 1992 Tidekennwerte [m zu NN]

MThw 1,32 1,40 1,20 1,32 MTmw 0,57 0,64 0,53 0,52 MTnw -1,51 -1,52 -1,42 -1,52 MThb 2,63 2,92 2,62 2,84 Mittlere Sedimenthöhen [m] Charakteristische Watthöhe 1,52 1,71 1,53 1,61

Tab. 17: Tidekennwerte und mittlere Sedimenthöhen für das Tidebecken Hoogeloch (1936-1992). auszugsweise übernommen aus: Witez 2002, S. 115.

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74 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Die Auswertung dieser Daten ergibt ein differenziertes Bild.31 Insgesamt lassen sich ein

Anstieg des Tidenhubes und damit ein erhöhter Rückgang der Wattflächen aufgrund von

Sedimenterosion feststellen. „Betrachtet man die Entwicklung der Wattflächen in den Teilbecken, dann ist diese sehr stark an die Vordeichungen gekoppelt. Ist das Teilbecken direkt flächenhaft von der Vordeichung betroffen, so nimmt der Anteil der Wattflächen unmittelbar nach der Eindeichung stark ab, weil gerade diese hohen Bereiche eingedeicht werden. In den Teilbecken der Piep konnte festgestellt werden, dass der Anteil der Wattflächen nach den Eindeichungen und auch die charakteristische Watthöhe im Anschluss daran wieder zunahm. Dies weist auf eine ausreichende Sedimentverfügbarkeit im Dithmarscher Wattenmeer hin.“ (Witez 2002, S. 147)

Es lässt sich festhalten, dass auch dieser Indikator auf eine starke Kopplungskonstellation

zwischen Küstenschutz und Natur schließen lässt: Die Eindeichung der Küste erhöht den

Tidenhub in den Tidebecken und trägt damit zu einer erhöhten Erosion und somit dem Abtrag

von Wattflächen bei.

4.6 Zusammenfassung: Indikatoren für die Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer

Betrachtet man zusammenfassend die in 4.5.1.1 bis 4.5.6.2 dargestellten Indikatoren sowie die

Schlussfolgerungen, die sich aus den gesammelten Daten bezüglich der

Koppelungskonstellationen zwischen Küstenschutz und Gesellschaft bzw. Natur ergeben, so

lassen sich eine Reihe von Feststellungen treffen. Für die Kopplungskonstellationen zwischen

Küstenschutz und den einzelnen gesellschaftlichen Teilbereichen ergeben sich eher starre

Kopplungen, während zwischen Küstenschutz und Natur eher starke Kopplungen vorliegen.

In Tabelle 18 werden die Ergebnisse der Kapitel 4.5.1.1 bis 4.5.6.2 zusammengefasst. Die

Tabelle ist dabei folgender Maßen zu lesen:

In der ersten Spalte wird der Aspekt der Kopplungskonstellation zwischen Küstenschutz und

Gesellschaft (bzw. Natur) angegeben. Es folgen in der zweiten Spalte die Indikatoren, die zur

Kennzeichnung dieser Kopplungskonstellation herangezogen wurden. In der dritten bzw.

vierten Spalte wird angegeben, welche Merkmalsausprägung ein Anzeichen für das Vorliegen

einer starren Kopplung für den Bereich Gesellschaft oder einer schwachen Kopplung für den

Bereich der Natur (beides dritte Spalte) bzw. das Vorliegen einer starken Kopplung (beide

Bereiche, vierte Spalte) ist. Die fünfte Spalte (‚tatsächliche Merkmalsausprägung’) gibt an,

welche Merkmalsausprägung sich im Zuge der Recherchen ergeben hat. Daraus folgt dann

letztlich die Bewertung in der sechsten Spalte. Für die erste Zeile ergibt sich dann folgende

Aussage: Für den Bereich Gesellschaftliche Funktion dient die Einwohnerzahl in Gebieten

unterhalb von +5m NN als Indikator. Sofern die Merkmalsausprägung viele Einwohner

31 Näheres hierzu bei WITEZ (2002) (insbesondere S. 146ff.).

Page 82: Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und ... · Angelehnt an das physikalische Prinzip der „starken Kopplung“ versuchen BECKER / SCHRAMM am Beispiel des Versorgungssystems

75 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

anzeigt, liegt eine starre Kopplung vor, während wenig Einwohner ein Anzeichen für eine

starke Kopplung wären. Die Recherchen ergaben, dass (eher) viele Einwohner in diesen

Gebieten zu finden sind, so dass eine starre Kopplungskonstellation zu konstatieren ist.

Aspekte der Kopplungs-konstellation Küstenschutz

– Gesellschaft

Indikator

Anzeichen für starre

Kopplung, wenn

Merkmals-ausprägung ...

Anzeichen für starke

Kopplung, wenn

Merkmals-ausprägung ...

Tatsächliche Merkmals-ausprägung

Bewertung und An-

merkungen

Gesell-schaftliche Funktion

- Einwohner in Gebieten unterhalb von +5m NN

- Sachwerte in Gebieten unterhalb von +5m NN

- Fläche, die ohne Küstenschutz-maßnahmen von Sturmfluten akut bedroht wären

- wirtschaftliche Bedeutung einzelner Wirtschafts-zweige:

- Tourismus - Fischerei

- viele - hohe - groß - groß - groß

- wenige - geringe - klein - gering - gering

- (eher) viele - (eher) hohe - (eher) groß - groß -gering

- eher starre Kopplung

- eher starre Kopplung

- eher starre Kopplung

(regionale Unter-schiede)

- trotz geringer ökon. Bedeutung der Fischerei: starre Kopplung

Finanzielle Beziehung

- Kosten des Küstenschutzes:

- absolut - Entwicklung

- Privat betriebene

Küstenschutz-maßnahmen

- hoch - steigend - nicht

vorhanden

- niedrig - sinkend - vorhanden

- eher hoch - nicht sinkend, eher steigend

- nicht vorhanden

- eher starre Kopplung

- eher starre Kopplung

- eher starre Kopplung

Politische Regulation

- Priorität des Küstenschutzes

- Partizipation von Akteuren

- Bevorzugte Küstenschutz-maßnahmen

- hoch - eher gering - eher „hard engineering“

- niedrig - eher hoch - eher Küsten-

management

- hoch - mögliche Tendenz zu „eher hoch“

- eher Küsten-

management

- eher starre Kopplung

- nicht einheitlich zu beurteilen, momentan eher noch starre Kopplung

- eher starke Kopplung

Öffentliche Perzeption

- Ansehen des Küstenschutzes

- hoch - niedrig - hoch - eher starre Kopplung

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76 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Aspekte der Kopplungs-konstellation Küstenschutz

– Natur

Indikator

Anzeichen für

schwache Kopplung,

wenn Merkmals-

ausprägung ...

Anzeichen für

starke Kopplung,

wenn Merkmals-

ausprägung ...

Erhobene Daten

Bewertung

und An-

merkungen

Landseitige Aus-wirkungen

- Flächenanteil bewirtschafteter Salzwiesen (% aller Salzwiesen)

- Intensität der Bewirtschaftung

- Länge eingedeichter Ästuare/ Flüsse (im Verhältnis zur Flusslänge)

- klein - eher extensiv - kurz

- groß - eher intensiv - lang

- eher groß (rund 50 %)

- eher intensiv - lang (mehr als ein Drittel der gesamten Flusslänge)

- eher starke Kopplung

- eher starke Kopplung

- eher starke Kopplung

Seeseitige Aus-wirkungen

- Geschätzter Meeresspiegel-anstieg

- Jährliche Erosionsrate

- Veränderung des Tidenhubs

- gering - gering - sinkend/ konstant

- stark - hoch - steigend

- stark - regional schwankend

- steigend

- eher starke Kopplung

- keine einheit-liche Aussage möglich

- eher starke Kopplung

Tab. 18: Indikatoren für die Kopplungskonstellationen zwischen Küstenschutz und Gesellschaft bzw. Natur. Eigene Darstellung.

Auch wenn – gerade im Bereich der Politischen Regulation – Tendenzen zu einer stärkeren

Kopplung zwischen Küstenschutz und Gesellschaft zu verzeichnen sind, so dominieren bisher

doch in erster Linie starre Kopplungskonstellationen. Dies gilt in besondere Weise für den

Bereich der Gesellschaftlichen Funktion und der Finanziellen Beziehung. Ein zentraler Grund

hierfür könnte darin bestehen, dass der Küstenschutz eine sehr hohe symbolische Bedeutung

hat und daher in der Öffentlichkeit extrem positiv bewertet wird. Insofern sind Abweichungen

von diesem gesellschaftlich stark akzeptierten Konzept des Küstenschutzes (wenn überhaupt)

nur in sehr begrenztem Umfang möglich.

Für die Kopplungskonstellationen zwischen Küstenschutz und Natur ergeben sich anhand der

aufgeführten Indikatoren starke Kopplungen. Starke Kopplungen konnten sowohl für den

Bereich der landseitigen, wie auch der seeseitigen Auswirkungen festgestellt werden. Dies

lässt sich in erster Linie mit der gesellschaftlich zugedachten Funktion des Küstenschutzes

erklären, der ja gerade darauf ausgelegt ist, die natürlichen Prozesse entlang der Küste soweit

zu reduzieren, dass ein Verlust von Landflächen sowie die Überschwemmung dieser

verhindert wird. Aufgrund der komplexen geo- und hydrodynamischen Zusammenhänge

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77 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

resultieren im Zuge des Küstenschutzes allerdings nicht intendierte Folgeschäden (Nicht-

Linearitäten), mit denen sich die Gesellschaft konfrontiert sieht.

5 Schlussbetrachtung

Ziel dieser Arbeit war es, mit Hilfe geeigneter Indikatoren die Mensch-Umwelt-Dynamik im

Wattenmeer zu erfassen und zu beschreiben. Ausgangspunkt war hierbei der theoretische

Ansatz von GÖRG und seinem Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse. Dieses von

ihm zunächst auf die Regulation der Biodiversität angewendete Konzept wurde auf den

Bereich des Wattenmeeres übertragen, bevor mit dem Ansatz von BECKER und SCHRAMM eine

Operationalisierung dieses theoretischen Ansatzes für das Versorgungssystem

Wasserwirtschaft vorgestellt wurde, welche wiederum auf das Ökosystem Wattenmeer

übertragen wurde. Aufgrund bestimmter theoretischer Grundannahmen (4.4) war es möglich,

diese Operationalisierung zu übertragen und den Küstenschutz als hybriden Bereich zwischen

Mensch und Umwelt anzusehen. Diese Konstruktion erlaubte es, die

Kopplungskonstellationen zwischen Küstenschutz und Gesellschaft auf der einen und

Küstenschutz und Natur auf der anderen Seite zu bestimmen und mit geeigneten Indikatoren

zu belegen.

Nachfolgend wird die Argumentation der vorliegenden Arbeit grob dargestellt und auf dieser

Grundlage ein Fazit gezogen.

GÖRG versucht mit seinem Ansatz aufzuzeigen, dass die bisherige strikte Trennung von

‚Gesellschaft’ und ‚Natur’ in die Irre führt. Um dies zu belegen, bedient er sich in erster Linie

des Konzeptes der Nicht-Identität der Natur, wodurch gezeigt wird, dass Gesellschaft und

Natur immer miteinander vermittelt und nicht unabhängig voneinander sind. Natur ist damit

also immer abhängig davon, wie Gesellschaft Natur versteht und symbolisch belegt.

Für den Bereich des Wattenmeeres konnte gezeigt werden, dass viele Problemkreise, die

GÖRG im Zusammenhang mit der Regulation der Biodiversität aufzeigt, sich auch in diesem

Ökosystem widerspiegeln. Insofern kann schon an dieser Stelle konstatiert werden, dass es

sich hier um einen geeigneten Ansatz handelt, um sozial-ökologische Problemlagen im

Wattenmeer aufzuzeigen.

Im zweiten Schritt dieser Arbeit wurde das Konzept von BECKER/ SCHRAMM vorgestellt und

ebenfalls die Eignung für den Bereich des Wattenmeeres überprüft. Mit Hilfe des analytischen

Schemas der (starken) Kopplungen gelingt es BECKER/ SCHRAMM, die von GÖRG kritisierte

Trennung von Gesellschaft und Natur auf dieser analytischen Ebene zu überwinden. Für sie

Page 85: Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und ... · Angelehnt an das physikalische Prinzip der „starken Kopplung“ versuchen BECKER / SCHRAMM am Beispiel des Versorgungssystems

78 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

stehen zwischen diesen beiden Sphären immer sogenannte hybride Bereiche, die als

materielle Vermittlungsinstanzen fungieren. Der Vorteil dieses Ansatzes liegt darin, dass die

Sphären Gesellschaft und Natur nicht mehr isoliert voneinander betrachtet werden. Somit

lassen sich nicht nur lineare Effekte prognostizieren, sondern vermehrt auch nicht-lineare

Effekte, welche nicht alleine auf physische Faktoren, sondern auch auf gesellschaftliches

Handeln und Symbolisierungen zurückgeführt werden können.

In ihrer Studie verwenden BECKER/ SCHRAMM den Bereich der Wasserversorgung, um so

sozial-ökologische Transformationen zwischen Gesellschaft und Natur aufzuzeigen. Sie

kommen zu dem Schluss, dass dieses Verhältnis tendenziell durch das Vorliegen starker

Kopplungen gekennzeichnet ist.

Es hat sich gezeigt, dass dieser Ansatz auch auf den Bereich des Wattenmeeres übertragbar

ist. Hierbei konnte aufgrund bestimmter theoretischer Vorannahmen (s.o.) der Küstenschutz

als hybrider Bereich zwischen Gesellschaft und Natur bezeichnet werden. Die Bestimmung

der Kopplungskonstellationen zwischen Küstenschutz und Gesellschaft und Küstenschutz und

Natur, durch die sich letztlich die Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer beschreiben

lässt, erfolgte in vier (gesellschaftlichen) bzw. zwei (natürlichen) Unterbereichen (vergl. die

Tabellen 7 und 18). Für das Verhältnis von Küstenschutz und Gesellschaft bot es sich an,

zwischen den Möglichkeiten einer starren und einer starken Kopplung zu unterscheiden. Für

das Verhältnis von Küstenschutz und Natur boten sich dagegen schwache bzw. starke

Kopplungen an. Für jeden Unterbereich wurden einer oder mehrere Indikatoren festgelegt, mit

denen die Art der Kopplungskonstellationen festgestellt werden konnte.

Unter 4.6 wurde das Ergebnis dieser Untersuchung bereits vorgestellt. Die

Kopplungskonstellation zwischen Küstenschutz und Gesellschaft ist geprägt durch das

Vorliegen starrer Kopplungen. Dies lässt sich vor allem durch die symbolische Belegung des

‚Systems Küstenschutz’ begründen, die ein Abweichen von bisherigen Praktiken und auch

Zielen nicht zulässt. An dieser Stelle lässt sich der Bogen zurück zu GÖRG spannen, der sich ja

gerade dafür ausgesprochen hat, die gesellschaftlich auferlegten Grenzen der Regulation der

Naturverhältnisse stärker zu berücksichtigen und zu reflektieren. (vergl. u.a. 2.2.9) Dies darf –

auch im Sinne GÖRGs – nicht so verstanden werden, dass der Küstenschutz hinter die

Interessen des Naturschutzes zurücktreten muss, es also zu einer Umkehrung des bisherigen

Verhältnisses kommen soll. Vielmehr sollte in Fällen, in denen ein ‚Zurückweichen’ des

Menschen sowohl aus ökologischer wie auch aus ökonomischer/ gesellschaftlicher Sicht

zweckmäßig wäre (z.B., wenn die Kosten des Küstenschutzes den ‚Nutzen’ übersteigen), dies

auch möglich sein. Es geht also in erster Linie um ein Offenhalten von Optionen, die bisher

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79 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

aufgrund der starren Kopplung von Küstenschutz und Gesellschaft nicht in Betracht gezogen

wurden.

Es muss letztlich auch in den gesellschaftlichen Diskurs mit einfließen, dass die Kopplung

von Küstenschutz und Natur stark ausgeprägt sind, was laut BECKER/ SCHRAMM zu einer

Problemdynamik führen kann, die aufgrund von Nicht-Linearitäten ‚chaotischer’ wird. (vergl.

3.2 und 3.3)

Das Ziel, Menschenleben – und entsprechende Sachwerte – im Küstenraum im Wattenmeer

zu schützen soll nicht in Frage gestellt werden. Die Erkenntnis jedoch, dass die

Kopplungskonstellation zwischen Küstenschutz und der Natur stark ausgeprägt ist, sollte vor

allem zu einem veränderten Verständnis von IKZM führen. IKZM eignet sich als

‚Instrument’, mit welchem die nachhaltige Nutzung von Küstenräumen erreicht werden kann.

Dies erfolgt in erster Linie durch Abwägung der ‚drei Säulen’ der Nachhaltigkeit, nämlich der

ökonomischen, der sozialen sowie der ökologischen. Betrachtet man IKZM im Hinblick auf

das Konzept der Kopplungskonstellationen, so müsste zunächst an den starren Kopplungen

zwischen Küstenschutz und Gesellschaft angesetzt werden. Denn erst, wenn diese im Rahmen

von IKZM aufgelöst und in schwächere Kopplungen umgewandelt werden können, ergeben

sich Möglichkeiten, auch an den starken Kopplungen zwischen Küstenschutz und Natur

anzusetzen. Ziel von IKZM ist es dann, zu einer schwachen Kopplungskonstellation zwischen

Gesellschaft und Wattenmeer zu kommen. Erst wenn es gelingt, die ‚Sachzwänge’, die sich

aus der starren Kopplung von Küstenschutz und Gesellschaft ergeben, aufzubrechen, bieten

sich Handlungsmöglichkeiten, um auch die starken Kopplungen zwischen Küstenschutz und

Natur abzuschwächen. Beispielhaft wäre die Ausrichtung an Küstenschutzmaßnahmen, die

einen weniger gravierenden Einfluss auf die Geomorpho- und Hydrodynamik des

Wattenmeeres haben. Voraussetzung hierfür wäre jedoch, dass in der Gesellschaft die

Bereitschaft wächst, Küstengebiete aus der Eindeichung herauszunehmen und stattdessen z.B.

auf Sandvorspülungen zu setzen. Diese hätten einen nicht so großen Einfluss auf die

natürlichen Prozesse im angrenzenden Ökosystem und darüber hinaus wären sie deutlich

flexibler zu handhaben. Der Gesellschaft würde es so ermöglicht werden, ihre Strategien im

Küstenschutz – die ja eng verknüpft sind mit den symbolischen Bewertungen – in geringeren

Zeitabständen zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern, ohne dass erneute Eingriffe in die

natürliche Dynamik notwendig wären.

Es lässt sich abschließend festhalten, dass das gewählte Vorgehen geeignet war, die Mensch-

Umwelt-Dynamik im Wattenmeer darzustellen. Dafür lassen sich vier wesentliche Gründe

anführen:

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80 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

- Die theoretische Grundlage,

- die Operationalisierung dieser Theorie,

- die Abbildung der Operationalisierung und

- die Anwendung des Ansatzes.

Die theoretische Grundlage dieser Arbeit ist das Konzept der gesellschaftlichen

Naturverhältnisse von GÖRG, welches in vielen Bereichen auf das Wattenmeer übertragbar ist

und aufzeigt, wo in diesem Ökosystem grundsätzlich sozial-ökologische Problemlagen

auftreten. Die Operationalisierung dieser theoretischen Grundlage erfolgte über den Ansatz

von BECKER/ SCHRAMM, der vor allem durch die Einführung des sogenannten ‚hybriden

Bereichs’ zwischen Gesellschaft und Natur dazu beiträgt, die isolierte Betrachtungsweise

dieser beiden Sphären zu überwinden. Auch hier zeigte sich, dass sich dieser Ansatz – mit

Hilfe des Küstenschutzes als hybrider Bereich – auf das Wattenmeer anwenden lässt. Die

Abbildung der Operationalisierung für das Wattenmeer erfolgte mit Hilfe der dargestellten

Indikatoren sowie der dazugehörigen Daten, mit denen sich die Kopplungskonstellationen

zwischen Gesellschaft und Wattenmeer bestimmen ließen. Im Hinblick auf IKZM erlaubte es

dieser Ansatz sogar, den ersten vorsichtigen Versuch einer Anwendung des Konzepts der

Kopplungskonstellationen zu wagen.

Folgender Gesichtspunkt muss jedoch kritisch betrachtet werden:

Räumlich konzentrierte sich diese Arbeit auf das gesamte Wattenmeer, d.h. auf den

Küstenraum der Nordseeanrainerstaaten Dänemark, Deutschland und der Niederlande. Die

Indikatoren, welche die Kopplungskonstellationen kennzeichnen, stützen sich dagegen

überwiegend auf Daten, die für das schleswig-holsteinische Wattenmeer erhoben wurden.

(vergl. dazu Tabelle 19)

Begründen lässt sich dies vor allem damit, dass viele der verwendeten Daten nicht in der

amtlichen Statistik erhoben werden. Die Schwierigkeit erklärt sich auch damit, dass die

Datenlage in den drei Anrainerstaaten z.T. sehr unterschiedlich ist. Gleiches gilt für die

Zuständigkeiten im Bereich des Küstenschutzes, die von Staat zu Staat – in Deutschland z.T.

sogar von Bundesland zu Bundesland – anders geregelt sind. Um jedoch ein vollständiges

Bild von der Kopplungskonstellation zwischen Gesellschaft und Wattenmeer im gesamten

Untersuchungsgebiet zu erreichen, wäre die Integration von Daten notwendig, die sich nicht

auf Gebiete innerhalb administrativer Grenzen beschränken.32

32 Dies gilt insbesondere für Daten aus Dänemark und den Niederlanden. Hier spielt zudem die Sprachbarriere

eine Rolle. Doch auch englischsprachige Internetquellen aus diesen beiden Staaten liefern nur in geringem Ausmaß für die Arbeit verwertbares Datenmaterial. Zu nennen sind hier u.a.: Wadden Sea Forum, Danish

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81 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Verwendet wurden Daten aus: Indikator Dänemark Schleswig-

Holstein Hamburg Nieder-

sachsen Nieder-lande

Einwohner in Gebieten unterhalb von +5m NN

- + - - -

Sachwerte in Gebieten unterhalb von +5m NN

- + - - -

Fläche, die ohne Küstenschutzmaßnahmen von Sturmfluten akut bedroht wären

- + - - +

Wirtschaftliche Bedeutung einzelner Wirtschaftszweige:

- Tourismus - Fischerei

- -

+ +

- -

- -

- -

Kosten des Küstenschutzes: - absolut - Entwicklung

- -

+ +

+ +

+ +

- -

Privat betriebene Küstenschutzmaßnahmen

- - - - -

Priorität des Küstenschutzes - + - - - Partizipation von Akteuren - + - - - Bevorzugte Küstenschutzmaßnahmen

+ + - - -

Ansehen des Küstenschutzes + + + + + Flächenanteil bewirtschafteter Salzwiesen (% aller Salzwiesen)

- + - - -

Intensität der Bewirtschaftung - + - - - Länge eingedeichter Ästuare/ Flüsse (im Verhältnis zur Flusslänge)

- + - - -

Geschätzter Meeresspiegelanstieg

+ + + + +

Jährliche Erosionsrate + + - - - Veränderung des Tidenhubs - + - - + Tab. 19: Übersicht über die (regionale) Verfügbarkeit von Daten für die angegebenen Indikatoren (+ = Daten

waren für diesen Staat/ Bundesland verfügbar; - = Daten waren für diesen Staat/ Bundesland nicht verfügbar). Eigene Darstellung

In der vorliegenden Arbeit war es zudem nötig, einige Indikatoren – etwa zur Akzeptanz des

Küstenschutzes in der Bevölkerung – indirekt aus vorhandenen Daten abzuleiten. Gerade

solche Daten, die auf weiche Faktoren, wie etwa Akzeptanz oder Partizipation, abzielen, sind

bisher – wenn überhaupt – nur in sehr geringem Maße erhoben worden. Hier besteht also –

gerade was die Erhebung sozialwissenschaftlicher Daten angeht – ein gewisser

Forschungsbedarf.

Insofern ist die zunehmende trilaterale Koordination Dänemarks, Deutschlands und der

Niederlande auch im Hinblick auf eine Vereinheitlichung der erhobenen Daten

wünschenswert. Zurzeit konzentriert sich das gemeinsam angeregte Wattenmeermonitoring

Ministry of the Environment, NERI (National environmental Research Institute of Denmark), Royal Netherlands Institute for Sea Research, NetCoast oder InterWad. (Die entsprechenden URLs finden sich im Literaturverzeichnis.)

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82 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

(z.B. TMAP) jedoch noch auf den naturwissenschaftlichen Bereich. Die – nicht nur von GÖRG

– geforderte Überwindung der Trennung von natur- und sozialwissenschaftlicher

Betrachtungsweise ist also auch in diesem Bereich noch nicht vollzogen.

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83 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

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Geographie, Heft 12/1994, S. 18-22.

• Kowatsch, Astrid (1997): Küstenschutz und Deichrückbau ein Widerspruch?, in:

FHorum. Journal der Fachhochschule Neubrandenburg, Band 4 (1997),

Neubrandenburg, S. 26-27.

• Kunz, Hans (1998): Küstenschutz und Meeresgebiets-Management, in:

Niedersächsische Akademie der Geowissenschaften (Hrsg.) (1998): Hochwasser- und

Küstenschutz, Veröffentlichungen Heft 14, Hannover, S. 67-73.

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87 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

• Landesamt für den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer;

Umweltbundesamt (Hrsg.) (1998): Umweltatlas Wattenmeer, Band 1, Nordfriesisches

und Dithmarscher Wattenmeer, Stuttgart.

• Landesamt für den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer (Hrsg.)

(2000): Wattenmeermonitoring 2000, Tönning.

• Leiss, William (2003): Naturbeherrschung: die größte politische Tragödie der

Neuzeit?, in: Böhme, Gernot; Manzei, Alexandra (Hrsg.) (2003): Kritische Theorie der

Technik und der Natur, München, S. 135-151.

• Leser, Hartmut (Hrsg.) (1998): Diercke Wörterbuch Allgemeine Geographie, 10.

Auflage, München, Braunschweig.

• Lieberman, Nicole von; Mai, Stephan (2001): Seegang über Vorländern, in: Hansa,

Band 138 (2001). S. 85-87.

• Lieckfeld, Claus-Peter (2003): Mein Afrika. Ist in den Ideallandschaften Ostafrikas

noch Platz für die Menschen, die dort wohnen?, in: GEO. Das neue Bild der Erde,

Heft 10, Oktober 2003, Hamburg, S. 18-34.

• Liersch, Klaus-Martin (1996): Nordseeschutz – Wie geht es weiter? Ergebnisse der 4.

Internationalen Nordseeschutzkonferenz von Esbjerg, in: Geographische Rundschau,

Jg. 48, Heft 7-8/1996, S. 458-460.

• Lotz, Achim (2002): Von der ‚ökologischen Krise’ und ihrer wissenschaftlichen

Bearbeitung, in: Lotz, Achim; Gnädiger, Johannes (Hrsg.) (2002): Wie kommt die

Ökologie zu ihren Gegenständen? Gegenstandskonstitution und Modellierung in den

ökologischen Wissenschaften. Beiträge zur Jahrestagung des Arbeitskreises Theorie in

der Ökologie in der Gesellschaft für Ökologie vom 21.-23. Februar 2001 im Kardinal-

Döpfner-Haus Freising (Bayern), Theorie in der Ökologie, Band 7, Frankfurt am

Main, Berlin, Bern u.a., S. 1-15.

• Lopez, Pablo (1998): Küste und Küstenschutz in Deutschland. Mit Illustrationen,

Photographien und Graphiken von Sibylle Festner, Geographie Kompakt Band 57,

München.

• Lozán, José L.; Kausch, Hartmut (Hrsg.) (1996): Warnsignale aus Flüssen und

Ästuaren. Wissenschaftliche Fakten. Mit 160 Abbildungen, 4 Tafeln und 60 Tabellen,

Berlin.

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88 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

• Lozán, José L.; Rachor, Eike; Reise, Karsten u.a. (Hrsg.) (2003): Warnsignale aus

Nordsee & Wattenmeer. Eine aktuelle Umweltbilanz. Mit 260 Abbildungen, 50

Tabellen und 8 Tafeln, Hamburg.

• Meier, Dirk (2003): Landschaftsentwicklung und historische Nutzung der

Nordseeküste, in: Lozán, José L.; Rachor, Eike; Reise, Karsten u.a. (Hrsg.) (2003):

Warnsignale aus Nordsee & Wattenmeer. Eine aktuelle Umweltbilanz. Mit 260

Abbildungen, 50 Tabellen und 8 Tafeln, Hamburg, S. 97-101.

• Menzel, Stefan; Ziebarth, Nadja (2003): Was hat die Politik für den Nordseeschutz

erreicht?, in: Lozán, José L.; Rachor, Eike; Reise, Karsten u.a. (Hrsg.) (2003):

Warnsignale aus Nordsee & Wattenmeer. Eine aktuelle Umweltbilanz. Mit 260

Abbildungen, 50 Tabellen und 8 Tafeln, Hamburg, S. 350-359.

• Meyer, Hans Ulrich; Twenhöven, Friedrich Lütke; Kock, Klaus (1994): Lebensraum

Wattenmeer, Biologische Arbeitsbücher 47, Wiesbaden.

• Ministerium für ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung und Tourismus des

Landes Schleswig-Holsteins (Hrsg.) (2001): Generalplan Küstenschutz. Integriertes

Küstenschutzmanagement in Schleswig-Holstein 2001, Kiel.

• Möller, Andrea; Feige, Mathias (1998a): Allgemeine Wirtschaftsstruktur, in:

Landesamt für den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer;

Umweltbundesamt (Hrsg.) (1998): Umweltatlas Wattenmeer, Band 1, Nordfriesisches

und Dithmarscher Wattenmeer, Stuttgart, S. 178-179.

• Möller, Andrea; Feige, Mathias (1998b): Wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus,

in: Landesamt für den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer;

Umweltbundesamt (Hrsg.) (1998): Umweltatlas Wattenmeer, Band 1, Nordfriesisches

und Dithmarscher Wattenmeer, Stuttgart, S. 180-181.

• Newig, Jürgen; Theede, Hans (Hrsg.) (2000): Pflanzen- und Tierwelt im Wattenmeer,

Hamburg.

• Oels, Angela; Altvater, Elmar; Brunnengräber, Achim (2002): Globaler Klimawandel,

gesellschaftliche Naturverhältnisse und (inter-)nationale Klimapolitik, in: Balzer,

Ingrid; Wächter, Monika (Hrsg.) (2002): Sozial-ökologische Forschung. Ergebnisse

der Sondierungsprojekte aus dem BMBF-Förderschwerpunkt, München, S. 111-130.

• Pott, Richard (1995): Farbatlas Nordseeküste und Nordseeinseln. Ausgewählte

Beispiele aus der südlichen Nordsee in geobotanischer Sicht, Stuttgart.

• Pott, Richard (2003): Die Nordsee. Eine Natur- und Kulturgeschichte, München.

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89 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

• Probst, Bernd (1998): Küstenschutz – früher und heute, in: Landesamt für den

Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer; Umweltbundesamt (Hrsg.)

(1998): Umweltatlas Wattenmeer, Band 1, Nordfriesisches und Dithmarscher

Wattenmeer, Stuttgart, S. 152-153.

• Raabe, Walter (2002): Auf Spurensuche im Wattenmeer. Ein Luftbildatlas, Heide.

• Reise, Karsten (1996): Das Ökosystem Wattenmeer im Wandel, in: Geographische

Rundschau, Jg. 48, Heft 7-8/1996, S. 442-449.

• Rennings, Klaus (1994): Indikatoren für eine dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung,

Materialien zur Umweltforschung, hrsg. vom Rat von Sachverständigen für

Umweltfragen, Wiesbaden.

• Rösner, Hans-Ulrich (1998): Zum Sinn von nutzungsfreien Gebieten im Nationalpark

Wattenmeer, in: Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste e.V. (SDN) (Hrsg.)

(1998): Referenzgebiete. Sinn und Unsinn von nutzungsfreien Zonen, SDN-

Kolloquium vom 26. November 1997, Schriftenreihe der Schutzgemeinschaft

Deutsche Nordseeküste e.V., Heft Nr. 2, 1998, Varel, S. 59-68.

• Schirmer, Michael (2003): Küstenschutz mit und gegen Naturschutz, in: Lozán, José

L.; Rachor, Eike; Reise, Karsten u.a. (Hrsg.) (2003): Warnsignale aus Nordsee &

Wattenmeer. Eine aktuelle Umweltbilanz. Mit 260 Abbildungen, 50 Tabellen und 8

Tafeln, Hamburg, S. 395-397.

• Schramm, Engelbert (2002): Ein neues Konzept zur Analyse sozial-ökologischer

Transformationen, in: Lotz, Achim; Gnädiger, Johannes (Hrsg.) (2002): Wie kommt

die Ökologie zu ihren Gegenständen? Gegenstandskonstitution und Modellierung in

den ökologischen Wissenschaften. Beiträge zur Jahrestagung des Arbeitskreises

Theorie in der Ökologie in der Gesellschaft für Ökologie vom 21.-23. Februar 2001 im

Kardinal-Döpfner-Haus Freising (Bayern), Theorie in der Ökologie, Band 7, Frankfurt

am Main, Berlin, Bern u.a., S. 51-67.

• Schuchardt, Bastian; Schirmer, Michael (2002): Klimawandel, Risikokonstrukte und

Küstenschutz. Ansatz und Ziel des interdisziplinären Vorhabens KRIM, Abstract, 20.

Tagung des Arbeitskreises Meere und Küsten, 30. Mai bis 01. Juni 2002, Kiel, o.S.

(als pdf-File unter: http://www.uni-kiel.de/Geographie/Sterr/index2.htm?pages/

downloads.htm)

• Simon, Karl-Heinz (2002): Gesellschaft-Umwelt-Interaktionen im Modell:

Ausgewählte sozial-ökologische Konzepte und Operationalisierungen, in: Lotz,

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90 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Achim; Gnädiger, Johannes (Hrsg.) (2002): Wie kommt die Ökologie zu ihren

Gegenständen? Gegenstandskonstitution und Modellierung in den ökologischen

Wissenschaften. Beiträge zur Jahrestagung des Arbeitskreises Theorie in der Ökologie

in der Gesellschaft für Ökologie vom 21.-23. Februar 2001 im Kardinal-Döpfner-Haus

Freising (Bayern), Theorie in der Ökologie, Band 7, Frankfurt am Main, Berlin, Bern

u.a., S. 35-50.

• Sommer, Ulrich (1998): Biologische Meereskunde. Mit 150 Abbildungen und 16

Farbtafeln, Berlin, Heidelberg, New York.

• Sönnichsen, Uwe; Moseberg, Jochen (1994): Wenn die Deiche brechen. Sturmfluten

und Küstenschutz an der schleswig-holsteinischen Westküste und in Hamburg,

Husum.

• Sterr, Horst (2003): Geographische Charakterisierung der Nordseeregion, in: Lozán,

José L.; Rachor, Eike; Reise, Karsten u.a. (Hrsg.) (2003): Warnsignale aus Nordsee &

Wattenmeer. Eine aktuelle Umweltbilanz. Mit 260 Abbildungen, 50 Tabellen und 8

Tafeln, Hamburg, S. 40-46.

• Stock, Martin (1998): Salzwiesen im schleswig-holsteinischen Wattenmeer:

Langfristige Nutzungsänderungen, in: Nationalpark Schleswig-Holsteinisches

Wattenmeer (Hrsg.) (1998): Wattenmeermonitoring 1998, S. 8-10.

(als Download unter: http://www.wattenmeer-nationalpark.de/archiv/monitoring/

98/1998- salzwiese.pdf)

• Tait, Ronald Victor; Dipper, Frances (1998): Elements of Marine Ecology, 4. Auflage,

Oxford, Boston, Johannesburg.

• Tiedemann, Albrecht (2003): Windenergieparke im Wattenmeer – Perspektiven für

den umweltverträglichen Einstieg in eine neue Großtechnologie, in: Lozán, José L.;

Rachor, Eike; Reise, Karsten u.a. (Hrsg.) (2003): Warnsignale aus Nordsee &

Wattenmeer. Eine aktuelle Umweltbilanz. Mit 260 Abbildungen, 50 Tabellen und 8

Tafeln, Hamburg, S. 142-148.

• Trunz, Erich (1999): Goethe. Faust. Der Tragödie erster und zweiter Teil. Urfaust,

einmalige Jubiläumsausgabe zum 250. Geburtstag Goethes am 28.8.1999, hrsg. und

kommentiert von Erich Trunz, München.

• Umweltbundesamt (Hrsg.) (1998): Schadstoffe im Wattenmeer. Ökosystemforschung

Wattenmeer – Teilvorhaben Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Eine Studie über

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91 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

Forschungsergebnisse von Schadstoffuntersuchungen im Umfeld der

Ökosystemforschung Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Berlin.

• Umweltbundesamt (Hrsg.) (1999): Naturschutzfachliche Bewertung in einem

Nationalpark. Ein Verfahrensvorschlag im Rahmen des Prozessschutzes.

Ökosystemforschung Wattenmeer – Teilvorhaben Schleswig-Holsteinisches

Wattenmeer, Texte 12/99, Berlin.

• Umweltbundesamt (Hrsg.) (2002): Gesamtsynthese Ökosystemforschung Wattenmeer.

Erfahrungsbericht eines interdisziplinären Verbundvorhabens, Texte 45/02, Berlin.

• Wiebe, Dietrich (1998): Die Fischerei in Schleswig-Holstein: Einige Anmerkungen

zur Entwicklung und zu den Perspektiven eines landestypischen Wirtschaftszweiges,

in: Higelke, Bodo (Hrsg.) (1998): Beiträge zur Küsten- und Meeresgeographie, Kieler

Geographische Schriften, Band 97, S. 291-310.

• Wieland, Peter (2000): Küstenschutz. Gefahrenabwehr gegen das Meer, in: Newig,

Jürgen; Theede, Hans (Hrsg.) (2000): Sturmflut. Gefährdetes Land an der

Nordseeküste, 1. Auflage, Hamburg, S. 30-47.

• Witez, Petra (2002): Programme zur langfristigen Erhaltung des Wattenmeeres –

PROWATT - , Abschlußbericht zum Forschungsvorhaben MTK 0608 (03 KIS 3160),

hrsg. vom Landesamt für Natur und Umwelt des Landes Schleswig-Holstein, Laboe.

• WWF Deutschland (Hrsg.) (2001): Was denkt der Bürger vom Wattenmeer? Bilanz

einer Befragung der Bevölkerung in der Wattenmeerregion von Dänemark,

Deutschland und den Niederlanden, 1. Auflage, Frankfurt am Main.

• Zentrum für Meeres- und Klimaforschung der Universität Hamburg (Hrsg.) (2001):

Die Nordsee. Gefährdungen und Forschungsbedarf, Hamburg. Internet:

• Bundesgesetze im Internet:

http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/index.html

• Common Wadden Sea Secretariat:

http://cwss.www.de

• Danish Ministry of the Environment:

http://www.mem.dk/ukindex.htm

• Deichrecht.de:

http://www.deichrecht.de

• Intergovernmental Panel on Climate Change:

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92 Mensch-Umwelt-Dynamik im Wattenmeer – Ökologische und sozio-ökonomische Indikatoren

http://www.ipcc.ch

• Institut für Hydromechanik Universität Karlsruhe:

http://ifh-nn.bau-verm.uni-karlsruhe.de

• Information Center for the Environment (Biological Inventory Databases):

http://www.ice.ucdavis.edu/mab

• Institut für Sozial-Ökologische Forschung (ISOE):

http://www.isoe.de

• InterWad:

http://www.interwad.nl

• Kett.de (Kanuführer):

http://www.kett.de

• Landesregierung des Landes Schleswig-Holstein:

http://landesregierung.schleswig-holstein.de

• Lernnetz Schleswig-Holstein:

http://www.lernnetz-sh.de

• National Environmental Research Institute of Denmark – NERI:

http://www.dmn.dk/forside_en.asp

• Nationalparke im Wattenmeer:

http://www.wattenmeer-nationalpark.de

• NetCoast – Integrated Coastal Zone Management:

http://www.netcoast.nl

• Royal Netherlands Institute for Sea Research:

http://www.nioz.nl

• Statistisches Landesamt des Landes Schleswig-Holstein:

http://www.statistik-sh.de

• United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization:

http://www.unesco.org

• United Nations Environment Programme (Arendal, Norway):

http://www.grida.no

• Wadden Sea Forum:

http://www.waddensea-forum.org

• Wasser- und Bodenverbände in Schleswig-Holstein:

http://www.wabo-sh.de