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Kollegialität von Martin Zenhäusern ([email protected]) Die Wogen sind hoch gegangen, als der Bundesrat über die Swisscom kommuniziert hat. Besser gesagt: Die Bundesräte. Denn es waren mehrere. Unkoordiniert. Ohne Abstimmung mit der Swisscom. Die Swisscom wiederum hat anschliessend zur Kommunikationspolitik des Bundesrates Stellung bezogen. An diesem Beispiel, das nicht weiter kommentiert werden soll, lässt sich trefflich über das Kollegialitätsprinzip im Bundesrat und dessen Anwendung diskutieren. Warum eigentlich wird das Kollegialitätsprinzip als so wichtig erachtet? Warum führt jede Verletzung dieses Prinzips zu einem kollektiven Aufschrei? Das Kollegialitäts-Prinzip (kürzen wir es ab als KP) ist aufgrund unseres politischen Systems der Konkordanz entstanden. Seit es besteht, ist es immer wieder verletzt worden. Häufig kam die Verletzung von der politischen Minderheit im Bundesrat, die sich dadurch mehr Aufmerksamkeit versprach (was dann in der Regel auch tatsächlich eintraf). Wir erinnern uns an einige SP-Bundesräte der vergangenen Jahrzehnte, die das KP immer wieder mal vorübergehend ausser Kraft gesetzt haben. Heute wird das KP auch von der (rechten) bürgerlichen Seite ab und zu missachtet, als politisches Stilmittel eingesetzt. Dies verunsichert viele Bürgerinnen und Bürger, denn von der bürgerlichen Seite war man dies bisher so nicht gewohnt. Nur – welche Berechtigung hat ein KP heute noch? Es hat eine. Nämlich die, dass eine Regierung nur mit einer Stimme sprechen soll. Die Auseinandersetzungen – und die muss es geben, damit wir gute Lösungen finden – haben hinter den Kulissen stattzufinden. Dies wird auch in gut geführten Unternehmen so praktiziert. Wenn ein Entscheid gefallen ist, dann haben in der Öffentlichkeit alle dahinter zu stehen – oder zumindest zum Sachverhalt zu schweigen. Nur genau hier liegt die Krux. Wir haben lange dem Bundesrat vorgeworfen, dass er schwach sei und keine Führung spüren lasse. Nun haben wir mehrere „Alpha-Tiere“ oder zumindest „Animaux politiques“ in der Regierung, die sich nicht das Wort verbieten lassen. Die gewohnt sind, den politischen Strauss mit dem Zweihänder zu führen. Die den Umgang mit den Medien so pflegen, dass ihre (abweichende) Meinung bekannt wird. Die Frage ist nun: Braucht es auch in Zukunft ein KP? Die Antwort ist klar ja, wenn die Schweiz als weltweit einzige Demokratie weiterhin eine überwiegende Mehrheit der Wählerinnen und Wähler in die Regierungspolitik eingebunden haben will. Wenn wir uns die partei-politische Zusammensetzung unseres Bundesrats vor Augen führen, stellen wir fest, dass sich rund drei Viertel der Wählenden von unserer Regierung vertreten fühlen (können). Damit kann keine andere Demokratie aufwarten. Diese sehen sich vielmehr mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass sich ungefähr gleich starke politische Blöcke paralysieren und gegenseitig blockieren. Es ist gut, dass der Bundesrat in der heutigen Zusammensetzung hart und heftig diskutiert und dass ab und zu in den Sitzungen auch die Fetzen fliegen. Nur so können „heilige Kühe“ näher betrachtet und unter Umständen auch mal auf die Schlachtbank geführt werden, solange der Preis dafür noch stimmt. Wie allerdings das Kollegialitätsprinzip gehandhabt wird, also der Stil, das ist wiederum eine andere Frage. Solange die gelegentliche Verletzung des KP dem übergeordneten nationalen Interesse dient, mögen wir dies goutieren. Wenn die Verletzung des KP jedoch der

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Kollegialität von Martin Zenhäusern ([email protected])

Die Wogen sind hoch gegangen, als der Bundesrat über die Swisscom kommuniziert hat. Besser gesagt: Die Bundesräte. Denn es waren mehrere. Unkoordiniert. Ohne Abstimmung mit der Swisscom. Die Swisscom wiederum hat anschliessend zur Kommunikationspolitik des Bundesrates Stellung bezogen. An diesem Beispiel, das nicht weiter kommentiert werden soll, lässt sich trefflich über das Kollegialitätsprinzip im Bundesrat und dessen Anwendung diskutieren. Warum eigentlich wird das Kollegialitätsprinzip als so wichtig erachtet? Warum führt jede Verletzung dieses Prinzips zu einem kollektiven Aufschrei? Das Kollegialitäts-Prinzip (kürzen wir es ab als KP) ist aufgrund unseres politischen Systems der Konkordanz entstanden. Seit es besteht, ist es immer wieder verletzt worden. Häufig kam die Verletzung von der politischen Minderheit im Bundesrat, die sich dadurch mehr Aufmerksamkeit versprach (was dann in der Regel auch tatsächlich eintraf). Wir erinnern uns an einige SP-Bundesräte der vergangenen Jahrzehnte, die das KP immer wieder mal vorübergehend ausser Kraft gesetzt haben. Heute wird das KP auch von der (rechten) bürgerlichen Seite ab und zu missachtet, als politisches Stilmittel eingesetzt. Dies verunsichert viele Bürgerinnen und Bürger, denn von der bürgerlichen Seite war man dies bisher so nicht gewohnt. Nur – welche Berechtigung hat ein KP heute noch? Es hat eine. Nämlich die, dass eine Regierung nur mit einer Stimme sprechen soll. Die Auseinandersetzungen – und die muss es geben, damit wir gute Lösungen finden – haben hinter den Kulissen stattzufinden. Dies wird auch in gut geführten Unternehmen so praktiziert. Wenn ein Entscheid gefallen ist, dann haben in der Öffentlichkeit alle dahinter zu stehen – oder zumindest zum Sachverhalt zu schweigen. Nur genau hier liegt die Krux. Wir haben lange dem Bundesrat vorgeworfen, dass er schwach sei und keine Führung spüren lasse. Nun haben wir mehrere „Alpha-Tiere“ oder zumindest „Animaux politiques“ in der Regierung, die sich nicht das Wort verbieten lassen. Die gewohnt sind, den politischen Strauss mit dem Zweihänder zu führen. Die den Umgang mit den Medien so pflegen, dass ihre (abweichende) Meinung bekannt wird. Die Frage ist nun: Braucht es auch in Zukunft ein KP? Die Antwort ist klar ja, wenn die Schweiz als weltweit einzige Demokratie weiterhin eine überwiegende Mehrheit der Wählerinnen und Wähler in die Regierungspolitik eingebunden haben will. Wenn wir uns die partei-politische Zusammensetzung unseres Bundesrats vor Augen führen, stellen wir fest, dass sich rund drei Viertel der Wählenden von unserer Regierung vertreten fühlen (können). Damit kann keine andere Demokratie aufwarten. Diese sehen sich vielmehr mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass sich ungefähr gleich starke politische Blöcke paralysieren und gegenseitig blockieren. Es ist gut, dass der Bundesrat in der heutigen Zusammensetzung hart und heftig diskutiert und dass ab und zu in den Sitzungen auch die Fetzen fliegen. Nur so können „heilige Kühe“ näher betrachtet und unter Umständen auch mal auf die Schlachtbank geführt werden, solange der Preis dafür noch stimmt. Wie allerdings das Kollegialitätsprinzip gehandhabt wird, also der Stil, das ist wiederum eine andere Frage. Solange die gelegentliche Verletzung des KP dem übergeordneten nationalen Interesse dient, mögen wir dies goutieren. Wenn die Verletzung des KP jedoch der

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persönlichen Profilierungsneurose dienen soll, dann werden die Bürgerinnen und Bürger wohl bald einmal die gelbe Karte zücken. Noch etwas: Wenn wir Politiker kritisieren, tun wir ihnen oft unrecht. Wie hat es doch ein Zeitgenosse gesagt: „Die Politiker sind immer ein wenig klüger als wir. Wir würden doch keine dümmeren als uns selber wählen.“ Dem hat ein anderer widersprochen: „Wir wählen nur Dümmere, weil wir nie von Klügeren als uns regiert werden möchten.“ Wer hat nun Recht? Vielleicht gilt auch hier der typisch gut eidgenössische Kompromiss.