Migration und Medien · PDF fileProf. Dr. Georg Ruhrmann Migration und Medien Befunde und Perspektiven 1. Befunde und Probleme Seit den 1960er Jahren wird die Mediendarstellung von

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  • Prof.Dr.GeorgRuhrmannMigrationundMedienBefundeundPerspektiven

    1. BefundeundProblemeSeitden1960er JahrenwirddieMediendarstellungvonMigration systematischanalysiert.1NachfolgendeBefundesindrelevant:a) Medien berichten berMigrantInnen negativer als ber Inlnder. Medial tretenMigran-tInnen(erst)imKontextvonKriminalittsereignissenauf.b) InderffentlichkeiterscheintMigrationsomitnichtals sozialerProzess,derpolitischge-staltet werden kann, sondern als Gefahr, ja sogar als unvermeidliche Katastrophe.WennJournalistInnen berMigration und ber Flucht berichten, verwenden sie auchMetaphernwieStrom,berflutungodergarAnsturm.

    c) Diese teilweise ber Jahrzehnte inBoulevardmedien und im Talk akzentuierte sowie imSocialWebdramatisierteGefahrensemantikhatbeieinigenBevlkerungsgruppenvorhandeneautoritre,fremdenfeindlicheundislamfeindlicheEinstellungenverstrkenknnen.2

    d) BereitsindenfrhensystematischenInhaltsanalysenzeigtsich,dassdieMediendieMig-rantInnen ffentlich mehrheitlich zu passiven Objekten von Zuschreibungen machen; siekommenmedialaktivnichtzuWort.3

    1 van Dijk, Teun A. (1988). News Analysis. Case Studies of International and National News in the Press. Hillsdale (NJ):LawrenceErlbaum;vanDijk,TeunA.(1991):RacismandthePress.CriticalStudiesinRacismandMigration.(S.19ff).London:Routledge.ZueinerMetaanalysevonStudienv.a.westlicherLnder(USA,UK,AU,CAN,NL,D)),welchedasnegativeFramingvonMuslimenundIslamaufzeigen:Ahmed,Saifuddin&Matthes,Jrg(2016):MediarepresentationofMuslimsfrom2000to2015:Ametaanalysis.TheInternationalCommunicationGazette.DOI:10.1177/1748048516656305.2 Shooman, Yasemin (2016): Between Everyday Racism and Conspiracy Theories. Islamphobia on the German LanguageInternet.In:Ruhrmann,Georg;Shooman,Yasemin&Widmann,Peter(Hrsg.):MediaandMinorities.QuestionsofRepresenta-tionfromanInternationalPerspective(S.136158).Gttingen:Vandenhoeck&Ruprecht(=SchriftendesJdischenMuseumsBerlin,Band4).3 Eckardt, Stefanie (2012): Statistenrolle als Migrant zu vergeben. Konzeption ei-ner Aktiv-Passiv-Bilanz zur medialenReprsentation vonMigrantenmitnetzwerkanalytischenBefundenPublizistik 57(1),5574.

  • e) Internationalistguterforscht,wieMedienausderPerspektivederMehrheitsgesellschaftbestimmte Nationalitten stereotyp reprsentieren. Seit den 1970er-Jahren empfiehlt derDeutschePresserat,dieNationalitteinesStrafttersnichtzunennen,wennkeinbegrndetesffentliches Interessebesteht.Gleichwohlhabennachden SilvesterereignissenvonKlnwieeineStudieunterVerwendungvonExtra-Media-DatenjetztzeigenkanneinigeMediendie Herkunft von Strafttern genannt, ohne dass sich in dieser Zeit (nach den bislangvorliegenden amtlichen Daten) kriminalstatistisch ein dramatischer Anstieg auslndischerTter gezeigt htte.4 Verndert hat sich nach Aussage dieser Studie weniger dieKriminalittsrate, als vielmehr die journalistische Selektivitt und auch die ffentlicheMeinung.f) JournalistInnen interpretieren das Thema Migration in verschiedenen Frames.UnterscheidenlassensichetwakonomischeFrames,diedenNutzenvonMigrationbetonenvon politischen Frames, die auf Folgen desintegrativer Prozesse aufmerksammachen, odervon einer bereits seit 9/11 vorfindlichen medialen Tendenz, Migration als Angst- undRisikokommunikationbermutmalicheTerrorplnezuprsentieren.5

    g) Die sozialpsychologische Forschung hat darber hinaus einen erst wenig beachtetenBefunderarbeitet.MigrantInnenwerdenindenMedienlinguistischverzerrtreprsentiert.Dasheit:JournalistInnenkommunizierennegativeBewertungenberMigrantInnen(Outgroup)systematisch abstrakter als negative Bewertungen der Inlnder (Ingroup). Der LinguisticIntergroup Biashat Konsequenzen fr die Stereotypenbildung: abstraktere FormulierungenfhrenzustabilerenkognitivenUrteilenberdieOutgroup.62. Waspassiert,wennsichnichtsndertMitBlickaufdasThemaMigrationundMedienzeigensichfolgendeTendenzen:a) Dramatisierung und Ereignisfixierung: Aufgrund anhaltender Konkurrenz umAufmerksamkeit,gesteigerterAktualittundtechnischerEntwicklungen(DigitalisierungundHybri-disierungderMedien)isteineweitereDramatisierungundPunktualisierung(Ereignis-stattProzessorientierung)desThemasMigrationinderBerichterstattungzuerwarten.b) VisualisierungundDekontextualisierung:Wirwerden indiesemZusammenhangvermehrtmit spektakulren Bildern und Filmen, mit weiter fragmentierten und personalisiertenGewaltbildern konfrontiert. In den Kpfen erzeugen solche Bilder eine starke Wirkung,werden zu Schlsselbildern und verselbststndigen sich im ffentlichen Bewusstsein. Zuvermuten ist, dass journalistische Beschreibungen, notwendige Einordnungen und

    4Arendt,Florian;Brosius,Hans-Bernd;Hauck,Patricia(2017):DieAuswirkungdesSchlsselereignissesSilvesternacht inKlnaufdieKriminalittsberichterstattung.Publizistik62(2).135152.5 Sommer,Denise&Ruhrmann,Georg(2010).Oughtsandideals.FramingpeoplewithmigrationbackgroundinTVnews.Conflict&CommunicationOnline9(2),1-15;GoedekeTort,MahebaN.Guenther,Lars&Ruhrmann,Georg(2016).Vonkrimi-nellbiswillkommen.WiedieHerkunftberdasmedialeFramingvonEinwanderernentscheidet.M&K64(4),497-517.6Geschke,Daniel;Sassenberg,Kai;Ruhrmann,Georg&Sommer,Denise(2010):Effectsoflinguisticabstractnessinthemassmedia: How newspaper articles shape readers attitudes towards migrants. Journal of Media Psychology 22 (3), 99-104.;Ruhrmann, Georg (2017): Diskriminierung in denMedien. In: Scherr, Albert; El-Mafaalani, Aladin&Yksel, Emine Gken(Hrsg.)HandbuchDiskriminierung.(S.367-386).Wiesbaden2017:SpringerVS.

  • ErklrungenderzugrundeliegendenMotive,InteressenundpolitischenKonfliktezunehmendseltenerffentlichdurchdringen.

    c) Konfliktverlngerung und Radikalisierung: Damit knnen sich wie die internationaleKrisenforschung zeigt7 (Migrations-)Konflikte verlngern. Die Reflexivitt der in derdigitalenKommunikationverwendetenffentlichenDaten,die zunehmendeDifferenzierungvon Teilnahme- und Beobachterperspektive fhren zu Filterblasen imNetz. Hier kann sichRechtspopulismusweiteretablierenundradikalisieren.3. Manahmena) JournalismusistzustrkendurcheineInvestitionderVerlageinRechercheundRedaktion Spezialisierung und Kooperation sind gefragt. Zu prfen sind dafr neue Finanzierungs-formen und die Beteiligung bzw. Grndung von Stiftungen. Voranzutreiben ist auch dasEngagement fr journalistische Fort- und Weiterbildung. Die Landesministerien und Uni-versitten sollten darber hinaus an der hochschulgebundenen Journalistenausbildungfesthalten und sie wieder strken. So kann die notwendige Multiperspektivitt in derjournalistischenPraxisangesichtsderMigrationsthematikengelingen.8b) Forschungsfrderung:EinneuesBundesinstitut frMigrationsforschung inBerlinhat sichder Erforschung von politischem und religisem Fundamentalismus undRadikalisierungsprozessen in digitalen ffentlichkeiten zu widmen.9 Gefragt sind eineraktuellen Meta-Analyse zufolge u.a. auch international vergleichende, interdisziplinre, aufSocial-Mediaund(neue)FormenderVisualittausgerichteteempirischeStudien.AutorProf. Dr. Georg Ruhrmann, Lehrstuhl Grundlagen medialer Kommunikation und derMedienwirkung am Institut fr Kommunikationswissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universitt Jena.Projektleitungen inderDFG-ForschergruppeDiscriminationandTolerancein IntergroupRelations (20022008), imDSF-Projekt Threat on the Agenda (20082010)undimDFGSPP1409ScienceandthePublic(20092016).

    7Grundlegend:Galtung,Johan&Fischer,Dietrich(2003):KriegsberichterstattungkannKonflikteverlngern.MedienJournal27(2),6-8.Empirischdazu:Zillich,ArneFreyaetal.(2011).Proactivecrisiscommunication?Newscoverageoninternationalconflicts in German print and broadcastingmedia. Media,War and Conflict, 4(3), 251-267;Maier, Michaela et al. (2012):Bedrohung auf der (Medien-)Agenda Krisenkommunikation im Nachrichtenprozess. Osnabrck 2012: Deutsche StiftungFriedensforschung(ForschungDSFNr.32).8 Kumai, Shion (2016): Paths to Greater Diversity in the Media. Obstacles and Opportunities for Journalistic Practice inReportingonMigrationThemes.In:Ruhrmann,Georg;Shooman,Yasemin&Widmann,Peter(Hrsg.):MediaandMinorities.QuestionsofRepresentation froman InternationalPerspective (S.136158).Gttingen:Vandenhoeck&Ruprecht (SchriftendesJdischenMuseumsBerlin,Band4).9 Vowe, Gerhard, & Henn, Philipp (2016): Fundamental methodological principles for political communication research.Validity even in the onlineworld? In: Vowe, Gerhard&Henn, Phlipp (Hrsg.),Political communication in the onlineworld.Theoreticalapproachesandresearchdesigns(S.151169).NewYork:Routledge.