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Gesundheit Gesundheit Fachtagung Caritasverband für den Fachtagung Caritasverband für den LandkreisPeine LandkreisPeine Projekt „Salud“ Projekt „Salud“ 22. April 2009 22. April 2009 Prof. Dr. med. Wielant Machleidt Prof. Dr. med. Wielant Machleidt Zentrum Psychologische Medizin Zentrum Psychologische Medizin Medizinische Hochschule Hannover Medizinische Hochschule Hannover Kontakt: [email protected] Kontakt: [email protected]

Migration und seelische Gesundheit Fachtagung Caritasverband für den LandkreisPeine Projekt „Salud“ 22. April 2009 Prof. Dr. med. Wielant Machleidt Zentrum

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Migration und seelische GesundheitMigration und seelische GesundheitFachtagung Caritasverband für den LandkreisPeine Fachtagung Caritasverband für den LandkreisPeine

Projekt „Salud“Projekt „Salud“ 22. April 2009 22. April 2009

Prof. Dr. med. Wielant MachleidtProf. Dr. med. Wielant MachleidtZentrum Psychologische MedizinZentrum Psychologische Medizin

Medizinische Hochschule HannoverMedizinische Hochschule HannoverKontakt: [email protected]: [email protected]

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Asterix und Obelix im Dialog über Fremde

Asterix: „ Ich hab‘ nichts gegen Fremde, aber diese Fremden sind nicht von hier!“

Obelix: „???“

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Emotionslogik im Migrationsprozess

Mittleres Integra-

tions-niveau

Vorbe-reitung

Bi-/Multi-kulturalität

„Kulturelle Adoleszenz“Phase der kritischen Integration

(erhöhte Vulnerabilität)

Angst vor dem Fremden

Ausei-nander-setzung mit dem Fremden

Trauer um Verluste

Erfolgs-,

Befriedi-

gungs-

gefühle

Angst Trauer

Inte

ress

e

Ag

gre

ssio

n

Sch

mer

zM

igra

tio

nsa

kt

„Nachbe-reitung“

„Honeymoon“

Fre

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Hu

ng

er

Zeit-achse

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Kulturelle Adoleszenz„Die Metapher von der “kulturellen Adoleszenz“

geht von der Hypothese aus, dass die Krisen der Adoleszenz in vielfacher Hinsicht den Krisen

gleichen, die die Migrationsprozesse auslösen. Es besteht eine Analogie zwischen den

Entwicklungsleistungen der Migranten bei der Integration in die Aufnahmekultur und denen, die

Adoleszenten bei der Integration in die Gesellschaft erbringen müssen“

Machleidt (2007) „Migration, Kultur und seelische Gesundheit“

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Konflikthaftigkeit in der kulturellen Adoleszenz

Ambivalenz zwischen Herkunfts- und Aufnahmekultur

Progression: (zu) bereitwillige Akkulturation (Verleugnung der Herkunftsfamilie)

Regression: (zu) zögerliche Akkulturation (Rückzug in Familie u. Religiosität, Ghettoisierung)

Idealisierung versus Abwertung

Narzisstisches Gratifikationsdefizit

Identitätsunsicherheit (Überidentifizierung vs. Ausgrenzung)

Hochgradige Emotionalisierung („emotionelle Wechselbäder“): Neugier, Trauer...

Neurotische Konfliktverarbeitung: z.B. Verdrängung von erlittenen Verlusten (Unfähigkeit zu Trauern)

Aktivierung latenter neurotischer/psychotischer Persönlichkeitsanteile

Ad

oles

zenzko

nflikte

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Moralische Belastungen des Migrationsprozesses

Illoyalität gegenüber der Ursprungsfamilie

Akt der Aggression und des Verrats

Lossagung von Gewissensanforderungen und Selbstidealen

Verstoß gegen gesellschaftliche und kulturelle Normen und Werte

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W. Machleidt und A. Bondar

Psychische Belastung ist höher bei türkischen als bei russischen Migranten und Migrantinnen

0

0,2

0,4

0,6

0,8

1

1,2

Frauen Männer

Türkisch EMR Türkisch Info

Russisch EMR Russisch Info

GS

I

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Psychische Belastung (GSI) ist höher bei Migrantinnen als bei

Migranten

0

0,1

0,2

0,3

0,4

0,5

0,6

0,7

0,8

0,9

Frauen Männer

GS

I

0,470,3 GSI

repräsentative deutsche

Stichprobe

1,030,81

GSI stationäre Psychotherapiekl

ienten mit Anpassungsstöru

ngen

p = .000

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Somatisierung:Geschlecht- und Kulturunterschiede (Haupteffekte)

Fehlerbalken zeigen 95,0% Konfidenzintervall(e) des Mittelwerts

Balken zeigen Mittelwerte

EMR türkisch EMR russisch

EMR_Info_Sprache

0,00

0,20

0,40

0,60

0,80

SO

MA

]

]

0,79 0,48

weiblich männlich

I1Geschlecht

0,00

0,20

0,40

0,60

0,80

SO

MA

]

]

0,74 0,51

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Vorläufige Ergebnisse: Turks Have Higher Scores onObsessiveness, Depression, Psychoticism

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11 W. Machleidt und A. Bondar

Zusammenfassung der Ergebnisse: Geschlechterunterschiede in der psychischen Belastung

Beide Geschlechter der Migrantenbevölkerung haben eine doppelt so hohe psychische Belastung als die deutsche Normalbevölkerung.

Die psychische Belastung der Migrantenpopulation ist annähernd so hoch wie die psychische Belastung der Patientenstichprobe mit Anpassungsstörungen.

Allerdings ist die psychische Belastung der Migrantinnen höher als die psychische Belastung der Migranten.

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Psychische Störungen bei Migrant/innen„Psychoreaktive“ Störungen (Neurosen) Angststörungen Akute Belastungsreaktionen Posttraumatische Belastungsstörung

(PTBS) Anpassungsstörungen Dissoziative Störungen Somatoforme Störungen

Affektive Störungen Depressive Episode Dysthymia

Alkhohol- und Drogenabhängigkeit

Funktionelle Psychosen Vorübergehende akute psychotische

Störungen Wahnhafte Störungen, Schizophrenie

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Leitlinien für Diagnostik und Therapie psychischer Störungen bei Migranten

Prämigratorische Vulnerabilität (genetisch, psycho-sozial im Herkunftsland)

Vulnerabilität im Verlauf des Migrationsprozesses (“kulturelle Adoleszenz”, “doppelte” Adoleszenz, Traumen)

Akkulturationsprobleme aufgrund kultureller Differenz (soziale Benachteiligung, Rassismus, Grossfamilie etc.)

Gesellschaftliche Integration (Akkulturation)

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Leitlinien zur Beurteilung psychischer Störungen aus kultureller Sicht (1)

(Mezzich 1995, DSM IV 1996)

Kulturelle Identität Ethnische und kulturelle Bezugsgruppen, das Ausmaß der (Teil-)

Integration in die Aufnahmekultur sowie die Bezüge zur Ursprungskultur

(Bi-, Multikulturalität); Sprachverhalten (Fertigkeiten, Gebrauch, Mehr-

sprachigkeit, bevorzugte Sprache), Glaubensgemeinschaft und

Religiosität.

Kulturelle Erklärungsmodelle und Vorstellung Ausdrucksform der Störung (z.B. „böser Blick“, „Susto“, Besessen-

heit von Geistern, somatische Beschwerden, Unglücksfall) die in der

Symptomatik enthaltenen Bedeutungen und ihr Schweregrad im

kulturellen Bezugsrahmen; ethnische Krankheitsbezeichnung und

ätiologische Modellvorstellungen sowie übliche traditionelle Behand-

lungsmöglichkeiten und damit gewonnene Erfahrungen.

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Kulturelle Krankheitskonzepte

Religiöser VerständniszugangKrankheit als Strafe von Gott, den Ahnen und

GeisternTherapie als Sühne

Magischer VerständniszugangStörung der sozialen Interaktion durch negative

Einwirkungen von Mitmenschen oder VerstorbenenEinbeziehung der sozialen Gruppe/der Grossfamilie in

den Heilungsprozess

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Ethnokultureller Hintergrund von Kranksein

Krankheitsverständnis eng an die Volksmedizin angelehnt und nicht an eine bio-medizinische Vorstellung

Die volksmedizinische Betrachtungsweise geht davon aus, dass Krankheit von außen in den Körper eindringt und ihn ganzheitlich befällt

Dieses soziokulturell-ganzheitliche Krankheitsverständnis führt meist zu leibnahen Symptomen (Somatisierung)

Die Symptome lassen sich schwer eindeutig beschreiben

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Ethnokultureller Hintergrund von Kranksein

Die meisten Patienten haben nur geringe oder fehlende Kenntnisse über ihren Körper

Daher werden ungewöhnliche Vorstellungen geäußert

In der Schilderung der Wahrnehmung der Krankheit werden häufig die Organe Leber, Lunge und Herz erwähnt

Die Beschreibung eigener psychischer Entwicklung und Befindlichkeit gehört nicht zur Gewohnheit

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Leitlinien zur Beurteilung psychischer Störungen aus kultureller Sicht (2)

(Mezzich 1995, DSM IV 1996)

Psychosoziale Umgebung und Funktionsfähigkeit Kulturtypische soziale Belastungssituation und ihre Bedeutung; soziale

Unterstützungssysteme durch Verwandtschaft, Großfamilie und Religions-

gemeinschaft; Funktionsniveau und Funktionsfähigkeit; Art der Behinderung

Kulturelle Elemente der Untersucher-Betroffenen-Interaktion Kultur- und Sozialstatusunterschiede bzw. Gemeinsamkeiten, Übertragung

und Gegenübertragung, muttersprachliche und fremdsprachliche Kom-

munikation; Folgen der bestehenden soziokulturellen Unterschiede zwischen Untersucher und Betroffenem für den Kommunikationsstil, das

Symptomverständnis, psychopathologische Bewertungen, kulturrelevante

Bedeutungen und die therapeutische Beziehungsknüpfung.

Diagnose und Behandlung Inwiefern finden kulturelle Aspekte bei der Diagnosestellung und im Be-

handlungsplan Berücksichtigung?

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Kulturelle Bedeutung körperlicher Symptome

„Medizinisch nicht erklärbare Symptome und Sorgen um körperliche Krankheit können eine kulturell geprägte Ausdrucksform von Belastung sein, die eingesetzt wird, um Sorgen um eine Vielzahl persönlicher und sozialer Probleme auszudrücken, ohne notwendigerweise auf psychopathologische Auffälligkeiten hinzuweisen.“ DSM IV 1996, S. 515

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Psychische Störungen in Psychische Störungen in verschiedenen Kulturenverschiedenen Kulturen

Somatisierung als Befindlichkeitsstörung

Depression

Psychosen

Sucht

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Kulturelle Vielfalt somatischer Symptomebei Euroamerikanern

Bei Deutschen: Herzbeswchwerden

Bei Franzosen: Beschwerden mit der Leber

Bei Engländern:

Verdauungsbeschwerden Bei Amerikanern:

Virusmentalität

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Kulturelle Vielfalt somatischer Symptome bei Latinos, Asiaten, Arabern und Türken

Latinos und mediterrane Kulturen: „Nervos“ Kopfschmerzen

Chinesen und Asiat. Kulturen: Schwäche Müdigkeit „Ying-Yang-Imbalance“

Mittelöstliche Kulturen Herzbeschwerden

Türken Bauchschmerzen

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Kulturelle Vielfalt körperlicher Symptome

Somatisierung als

Botschaft:Das Phänomen ist, dass Pat. in vielen Kulturen psychische Belastungen eher “leibhaftig” erleben und artikulieren.

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Depression in Women in Rural East Africa (Kenya)

(Dech, Ndetei, Machleidt 2003)

Subjective Complaints of Depressive Women (N = 51) (3)Classification by Local Psychiatrists

Percentage/cases with each symptom

Physical complaints

Psychological complaints

Sleep disturbances

76,4 %

12,8 %

10,8 %

N = 351Total number of complaints named

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Häufigkeit somatoformer Störungen

• Zweithäufigste Störung nach der Angststörung (1-Mon.-Präv. 7,5%, Studien 90erJahre)

• Lebenszeitprävalenz 3häufigste Strg. n. Sucht u. Angst• Bei Somatisierungsstrg. hohe Komorbidität mit Depression

und Panik (Rief u Hennigsen 2004)

• Inanspruchnahmeverhalten für Reha: Migrantinnen 1.Gen. doppelt so hoch wie bei dtsch. Frauen (NRW-Studie 2002)

• Depression bei Migranten mit erhöhtem Ausmass an Somatisierung (Diefenbacher u Heim 1994, Simon et al. 1999)

• WHO-Studie in 11 primärmed. Zentren auf 4 Kontinenten:24% der Pat. mit mind. 1 somatoformen Störg (Janca et al. 1999)

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Ätiologische Modellvorstellungen bei somatoformen Störungen

• Psychodynamische Sicht: Psychophysische Folgen unverarbeiteter Konflikte

• Die „Kulturelle Adoleszenz“ im Migrationsprozess geht mit schwer zu bewältigenden Stressoren bei erhöhter Vulnerabilität einher (Machleidt 2009, 2008, 2007)

• Maladaptive Erfahrungen im interpersonellen Umgang mit dem Körpererleben i.d. frühen Mutter-Kind-Beziehung

• VT-Ansätze: Fokussierung der Aufmerksamkeit auf Wahrnehmung von Körper(miss)empfindungen mit dem Risiko der Fehlinterpretation/-bewertung

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Beziehung zwischen somatischen Symptomen und Depression

(Simon et al. 1999)

Zusammenfassung:

1. Somatische Symptome bei Depression sind ubiquitär2. Die Häufigkeit variiert abhängig von der Definition von

Somatisierung3. Somatische Symptome sind genauso „primär“ wie

psychologische Symptome4. Interkulturell bestehen keine Unterschiede bei der

„Somatisierung“5. Somatische Symptome sind Teil depressiver

Kernsymptomatik6. Somatisierung ist eine „somatosensorische Verstärkung“

von psychologischer Belastung

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Beziehung zwischen somatischen Symptomen und Depression

(Simon et al. 1999)

Zusammenfassung:

7. Somatisierung ist Abwehr gegen Belastung8. Somatisierung ist alternativer Ausdruck von Belastung

(„idiom of distress“) 9. Somatisierung ist symbolische Körpersprache für Belastg.10.Somatisierung ist die „Eintrittskarte“ zum Medizinischen Versorgungssystem („fakultative Somatisierung“)11.Korrelation zwischen Vertrautheit der Arzt-Patient

Beziehung und Somatisierung12.Keine Korrelation zwischen Somatisierung und

Akkulturation

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Psychische Störungen in Psychische Störungen in verschiedenen Kulturenverschiedenen Kulturen

Somatisierung als Befindlichkeitsstörung

Depression

Psychosen

Sucht

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Kulturelle Symptomvariationen bei depressiven Episoden (1)

Kernsymptome (DSM-IV 1994):

• Depressive Stimmung• Vermindertes Interesse oder Freude• Gewichtsverlust oder -zunahme• Schlafstörungen• Psychomotorische Agitation oder Apathy• Erschöpfung oder Energieverlust Gefühle von Wertlosigkeit oder Schuld• Verminderte Fähigkeit für Denken und

Konzentration Wiederkehrende Gedanken an Tod und

Suizidphantasien Psychotische Symptome Somatisierung?

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Kulturelle Symptomvariationen bei depressiven Episoden (2)

Gefühle von Wertlosigkeit, Selbstanklagen und Schuld (wahnhaft):

sind häufiger in westlichen als in nicht-westlichen Kulturen z.B. Afrika, Mittlerer Osten, Asien u.a.(Sartorius et al. 1983).

sind in nicht-westlichen Kulturen eher verknüpft mit Themen wie Familie, Vorfahren, Freunde, Sozialstatus als z.B. mit ‘Gott’ wie in westlichen Kulturen

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Kulturelle Symptomvariationen bei depressiven Episoden (3)

Psychotische Symptome: Halluzinationen und Wahn sind in nicht-

westlichen Ländern weniger häufig dort aber häufiger bei nicht-psychotischen Störungen (Pfeiffer 1994).

Akustische und optische Halluzinationen Wahnthemen sind typischer Weise

Somatisierung, Religion und Verfolgung (und weniger häufig Schuld, Wertlosigkeit und Armut)

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Kulturelle Symptomvariationen bei depressiven Episoden (4)

Unterscheidung falsch psychotischer Symptome: Angst, verhext zu sein Gefühle von „Hitze im Kopf“ Krabbelsensationen von Würmern oder Ameisen Lebendige Eindrücke, heimgesucht zu werden von

verstorbenen Vorfahren Aber CAVE:

Ein Symptom darf nicht übersehen werden, indem es irrtümlicherweise als „Norm“ einer gewissen Kultur betrachtet wird!

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Häufigkeit und Risikofaktoren für Depression bei älteren Türkischen und Morokkanischen

Migranten in den Niederlanden (van der Wurff et al: J Affect Disord 2004)

Prävalenz bei älteren Migranten (55-75 Jahre):

Aus Marokko 33,6 %, aus der Türkei 61,5 %

Bei einheimischen Niederländern 14,5 %

Ausbildungsgrad und Einkommen von Migranten waren

sehr niedrig

Hohe Zahl körperlicher Behinderungen und chronischer

medizinischer Erkrankungen

Der Faktor ethnische Herkunft war allein für sich mit dem

Vorliegen bedeutsamer klinischer depressiver Symptome

assoziiert

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Elemente interkultureller Psychotherapie Kulturangemessene therapeutische Haltung (paternalistisch vs.

demokratisch)

Kulturangemessenes therapeutisches Setting (kollektivistisch vs. Individualistisch)

Sorgfältige Wahrnehmung der kollektiven Übertragungen (Idealisierung, Abwertung, Vorurteile, Gleichbahandlungsmaxime etc.)

Sorgfältige Wahrnehmung der Gegenübertragung (Rassismus, Religiosität, Ethnie, kulturelle Werte, Gender)

„Kampf der Kulturen“ im sozialen Mikrokosmos des therapeutischen Raumes: Dominanz vs. Unterlegenheit und Transformation des Fremden in ein Eigenes

Empathie (Perspektiveninduktion und –übernahme)

Kultursensibilität und –kompetenz (Sinn und Bedeutung des Fremden lassen sich nicht aus dem Eigenen erraten)

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Psychische Störungen in Psychische Störungen in verschiedenen Kulturenverschiedenen Kulturen

Somatisierung als Befindlichkeitsstörung

Depression

Psychosen

Sucht

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Schizophrenie und Migration: Eine Metaanalyse und Übersicht.

(Cantor-Graae E, Selten J.:Am J Psychiatry 2005)

Migranten der ersten und zweiten Generation haben im

Mittel im Vergleich zu Einheimischen ein 3fach erhöhtes

Schizophrenierisiko

Das Erkrankungsrisiko der ersten Generation ist etwa nur

halb so groß (2,7), wie das der zweiten (4,5)

Migranten mit schwarzer Hautfarbe hatten ein etwa doppelt

so hohes Erkrankungsrisiko, wie Weiße oder Migranten, die

weder eine schwarze noch eine weiße Hautfarbe besaßen

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0

5

10

15

20

25

30

35

40

Einheimische Migranten

Kein Kontakt zurambulantenNachsorge

unter 2 Jahren

2 - unter 5 Jahren; biszu 2 Quartale/Jahr

mehr als 5 Jahre; biszu 2 Quartale/Jahr

1- unter 5 Jahre; mehrals 2 Quartale/Jahr

mehr als 5 Jahre; mehrals 2 Quartale/year

IA-Studie Hannover (Bartusch, Elgeti, Ziegenbein, Machleidt 2008)

Behandlungsintensität in der ambulanten Nachsorge

p=n.s.

%

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0

1

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3

4

5

6

7

Einheimische

Migranten

IA-Studie Hannover (Bartusch, Elgeti, Zeigenbein, Machleidt 2008)

Dauer zwischen Ersterkrankung und Erstkontakt

p=0,01

7,6

4,4

Du

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IA-Studie Hannover (Bartusch, Elgeti, Ziegenbein, Machleidt 2008)

Gabe von Depot-Neuroleptika

Mittelwerte (1.-5. Jahr)

Einheimische: 33 % Migranten: 41 %

%

p=0,01

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Mit einem Anteil von 45,7 % sind Migranten in der ambulanten Nachbetreuung in

der Institutsambulanz unterrepräsentiert. Keine Unterschiede zwischen Einheimischen und Migranten:

Häufigkeit der Diagnose Behandlungsdauer (6-7 Jahre) Psycho-sozialer Risikoscore Intensität der Behandlung Langzeithospitalisation Dosis der Neuroleptikagabe

Unterschiede zwischen Einheimischen und Migranten:

Dauer zwischen Erstdiagnose und Erstkontakt zur ambulanten Nachsorge ist bei Migranten halb so lang wie bei Einheimischen (3 anstatt 6 Jahre)

Migranten erhalten häufiger eine Depot-Neuroleptikagabe

IA-Studie Hannover (Bartusch, Elgeti, Ziegenbein, Machleidt 2008)

Zusammenfassung der Ergebnisse

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Psychische Störungen in Psychische Störungen in verschiedenen Kulturenverschiedenen Kulturen

Somatisierung als Befindlichkeitsstörung

Depression

Psychosen

Sucht

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Vorläufige Ergebnisse: Russen trinken mehr Alkohol als Türken

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Präventives Gesundheitsverhalten von Migranten

Beispiel SuchtKonzept interkultureller Gesundheitsmediatoren (Salman und Kimil 2006, EMZ)

„Keypersons“ der Zielgruppe als „muttersprachliche Präventionsberater“

Schulung der „Keypersons“ zu Themen der Sucht, der Prävention und der Einrichtungen und Aufgaben der Suchthilfe

Mehrsprachige Aufklärungsveranstaltungen der „Keypersons“ als „muttersprachliche Präventionsberater“ („Komm“- und „Zugeh“-Strukturen)

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Migration und Sucht: RisikenMigration und Sucht: Risiken

Stressoren der Migration und Droge Spannungsaufschub (Grüsser et al. 2005)

Unterdrückte Trauer- und Anpassungsprozesse (2. Generation) (Sluzki 2001)

Droge als identitätsstiftender Faktor in der Peergroup (v. Schlippe 2003)

Enttäuschung über mangelnde soziale Teilhabe (Strobl und Kühnel 2000)

Wegfall traditioneller Einbindung und kultureller Steuerungsmechanismen (Pfeiffer 1996, Topraz und Lorenzen 2008)

Risikogruppe: junge männliche Migranten (Osteuropa): Interkulturelle Norm- und Wertekonflikte

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Versorgung abhängiger MigrantenVersorgung abhängiger Migranten Unterrepräsentation in Einrichtungen (Hannover: ca. 5% von 20% der

Drogenkonsumenten plus Aussiedler ⅓) der Suchthilfe in Ballungszentren (Ängste vor aufenthaltsrechtlichen Folgen) (Haasen 1997, Haasen et al. 2001, Salman und Tuna 2001, Topraz und Lorenzen 2008)

Unterschiedliches Krankheitsverständnis (Konzepte von körperlicher Abhängigkeit und Kontrollminderung sind inakzeptabel ebenso wie als Krankheit) (Heinz et al. 2006)

Versuch innerfamiliärer Lösungen (Machleidt 2005)

Leitlinien als Handlungsempfehlungen für die Praxis (Kimil et al. 2006, Salman und Tuna 2001, Topraz und Lorenzen 2008)

Prävention: „Key persons“ – Ansatz (Salman 2007, Walter et al. 2007)

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Suchterkrankungen und –behandlung bei Aussiedlern aus osteuropäischen

bzw. GUS-Staaten (1)

Deutlich erhöhte Häufigkeit stoffgebundener Süchte: 3-fach Alkohol, Drogen

Spezialstation für muttersprachliche (polnisch, russisch) Entwöhnungsbehandlung (Alkohol-, Medikamentenabhängigkeit)

Spezialstation für muttersprachliche (russisch) Entzugsbehandlung Drogenabhängiger Aussiedler (peer-groups setting)

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Suchterkrankungen und –behandlung bei Aussiedlern aus osteuropäischen

bzw. GUS-Staaten (2)

Passive Erwartung medizinischer Behandlung: Distanz zur sprechenden Medizin, Familienaufklärung

Drogenabhängige Aussiedler kommen doppelt so schnell in Behandlung wie Deutsche (3,5 statt 8,5 Jahre nach Krankheitsbeginn u. sind jünger: 23 Jahre vs. 28 Jahre)

Sprach- u. kulturkompetentes Personal unverzichtbar (Deutschkurse)

AIDS- und Hepatitis-Prävention mehrsprachig! Ethnische Spezialisierung und Vernetzung (Selbsthilfe,

Prävention, Beratung, Therapie) Öffnung und Niederschwelligkeit des Suchthilfesystems!

Besonderheiten der Behandlung suchtmittelabhängiger Aussiedler:

Page 49: Migration und seelische Gesundheit Fachtagung Caritasverband für den LandkreisPeine Projekt „Salud“ 22. April 2009 Prof. Dr. med. Wielant Machleidt Zentrum

Karl Valentin

“Fremd ist der Fremde nur in der Fremde”