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(Aus dem Physikalischen und Pathologisch-anatomischen Institut der Universit~t P6cs.) MIKROSKOPISCHE STRUKTUR DES MUSKELS IN RUHE UND KONTRAKTION. Von E. EnNST und B. KELL~En. Mit 5 Textabbildungen (6 Einzelbildern). (Eingegangen am 28. April 1936.) In seiner i~uBerst grfindlichen Arbeit bespricht BOWMAN (1) vor einem Jahrhundert die Ansichten, nach welchen die Querstreifung des Muskels selbst~ndigen, yon der Fibrillenstruktur unabh~ngigen Gebilden zuzu- schreiben w~re und kommt zu dem Schluit, da~ the proof of their exi- stence as an (independent) element of muscular organisation must be allowed to be deficient. In den seither fiber diese Frage erschienenen Arbeiten fand wohl alle M5glichkeit ihren Verteidiger; so schien manchen Forschern die Fibrillenstruktur nur Artefakt zu sein. Andere Autoren behaupteten wiederum, dab aul3er den Fibrillen auch eine unabh~ngige Querstruktur in der Muskelfaser pr~formiert vorhanden ist. Diesbezfiglich sei nur auf die zusammenfassende Darstellung yon HXGGQVIST(2) hinge- wiesen, wo er se]bst ganz entschieden darauf besteht, dab der Z-Streifen (Grundmembran) eine die ganze Faser durchquerende Scheibe ist, die durch die Fibrillen durchlSchert wird. Andererseits wurde yon ETTISC~ (3) unls betont, dai~ solche Querstrukturen real vorhanden und an gar kein anderes Strukturelement der Faser gebunden sind. Nach ihm hi~ngt die Querstreifung gar nicht yon den Fibrillen ab, die in ihrer ganzen L~nge homogen undifferenziert sein sollen. Da zu dieser Folgerung ETTISCH auf rein optischem Wege gelangte, dfirfte sogleich an die Ergeb- nisse yon Nauclc (4) erinnert werden, nach we]chen bei einem dem ETTISCHschen s optischen Verfahren an der Sehne ebenfalls eine Querstreifung erschien, ohne jedoch selbstversts derselben eine reale Strukturorganisation entsprochen hs (vgl. auch SOHMIDT, 5). Die Strukturfrage steht nun nicht nur bezfiglich des Ruhemuskels in lebhafter Diskussion, es herrschen vielmehr auch fiber das Kontraktions- bild ziemlich verschiedene Meinungen. Im folgenden werden wir also auch fiber die mikroskopische Struktur in der Kontraktion kurz zu sprechen kommen, vorerst wollen wir jedoch die Frage der pr~formierten Strukturorganisation des Muskels an der Hand mehrerer Versuchsreihen behandeln. I. Prii/ormierte Struktur des quergestrei/ten Muskels. Den Ausgangspunkt vor]iegender Versuche bildete die (~berlegung, dab die Strukturfrage des Muskels ausschliel31ich auf optischem Wege

Mikroskopische Struktur des Muskels in Ruhe und Kontraktion

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Page 1: Mikroskopische Struktur des Muskels in Ruhe und Kontraktion

(Aus dem Physikalischen und Pathologisch-anatomischen Institut der Universit~t P6cs.)

M I K R O S K O P I S C H E S TR UKTUR DES MUSKELS IN R U H E UND KONTRAKTION.

Von E. EnNST und B. KELL~En.

Mit 5 Textabbildungen (6 Einzelbildern).

(Eingegangen am 28. April 1936.)

In seiner i~uBerst grfindlichen Arbeit bespricht BOWMAN (1) vor einem Jahrhundert die Ansichten, nach welchen die Querstreifung des Muskels selbst~ndigen, yon der Fibrillenstruktur unabh~ngigen Gebilden zuzu- schreiben w~re und kommt zu dem Schluit, da~ the proof of their exi- stence as an (independent) element of muscular organisation must be allowed to be deficient. In den seither fiber diese Frage erschienenen Arbeiten fand wohl alle M5glichkeit ihren Verteidiger; so schien manchen Forschern die Fibrillenstruktur nur Artefakt zu sein. Andere Autoren behaupteten wiederum, dab aul3er den Fibrillen auch eine unabh~ngige Querstruktur in der Muskelfaser pr~formiert vorhanden ist. Diesbezfiglich sei nur auf die zusammenfassende Darstellung yon HXGGQVIST (2) hinge- wiesen, wo er se]bst ganz entschieden darauf besteht, dab der Z-Streifen (Grundmembran) eine die ganze Faser durchquerende Scheibe ist, die durch die Fibrillen durchlSchert wird. Andererseits wurde yon ETTISC~ (3) unls betont, dai~ solche Querstrukturen real vorhanden und an gar kein anderes Strukturelement der Faser gebunden sind. Nach ihm hi~ngt die Querstreifung gar nicht yon den Fibrillen ab, die in ihrer ganzen L~nge homogen undifferenziert sein sollen. Da zu dieser Folgerung ETTISCH auf rein optischem Wege gelangte, dfirfte sogleich an die Ergeb- nisse yon Nauclc (4) erinnert werden, nach we]chen bei einem dem ETTISCHschen s optischen Verfahren an der Sehne ebenfalls eine Querstreifung erschien, ohne jedoch selbstversts derselben eine reale Strukturorganisation entsprochen hs (vgl. auch SOHMIDT, 5).

Die Strukturfrage steht nun nicht nur bezfiglich des Ruhemuskels in lebhafter Diskussion, es herrschen vielmehr auch fiber das Kontraktions- bild ziemlich verschiedene Meinungen. Im folgenden werden wir also auch fiber die mikroskopische Struktur in der Kontrakt ion kurz zu sprechen kommen, vorerst wollen wir jedoch die Frage der pr~formierten Strukturorganisation des Muskels an der Hand mehrerer Versuchsreihen behandeln.

I . Prii/ormierte Struktur des quergestrei/ten Muskels.

Den Ausgangspunkt vor]iegender Versuche bildete die (~berlegung, dab die Strukturfrage des Muskels ausschliel31ich auf optischem Wege

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nicht entschieden werden kann, vielmehr soll der Muskel unseres Erach- tens einer meehanischen Zerkleinerung ausgesetzt werden, dann diirften vielleicht die Zeffallsstfieke bzw. die Form derselben irgendwelche Auf- kl/~rung fiber diese Frage liefern.

1. Dementsprechend wurde in der ersten Versuchsreihe ein Froseh- gastrocnemius (alle unseren Angaben beziehen sich auf den Gastroene- mius yon Rana esc.) in lebendem Zustande einer sehr starken Dehnung

Abb. 1. Ver such Nr . 40 A. 2 . 5 . 33. 0,83 g, 26 r am, bis zu 34 m m g e d e h n t . VergrSi3crung 200real .

unterworfen, so dab er nach 20 Sek. etwa in der Mitte zerriB. Nach Fixie- rung in 4%igem Formalin wurden die beiden Stfieke in Gelatine einge- better, Gefrierschnitte verfertigt und dieselben mit H~malaun gef/~rbt. Abb. 1 zeigt, dal3 die Zerkleinerung der Fasern ira allgemeinen l~ngs der Fibrillen geschah. Dies zeugt dafiir, dab die Fibrillen bereits im lebenden Muskel als eine selbst~,ndige Organisation vorhanden waren, sonstw/~ren die Fasern nicht t/~ngs derselben auf diinnere F~den zerfalIen.

2. Zur Prfifung der pr/~formierten Struktur diente aueh die folgende Versuehsreihe. Es kSnnen n/imlieh bei dem obigen Verfahren, wo ein lebender Muskel zerrissen und in Formalin fixiert wurde, mehrere Fehler dadurch die Ergebnisse f~lschen, daft einerseits infolge der Zerreil3ung einer Faser dieselbe in Kontraktur geraten kann. Somit kSnnte die MSg- liehkeit vorhanden sein, dab aueh kontrahierte Fasern als dem Ruhe- bild gehSrig angesehen werden. Andererseits 1/~13t auch die Fixierung in Formalin nach Angaben yon CARDIN (6) die MSglichkeit zu, daB einzelne

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Fasern in Kontraktur fixiert werden, und dadurch das Strukturbild des Ruhemuskels verf/ilscht wird. In den folgenden Versuehen wurde daher der Frosch auf Eis liir einige Stunden vorgekfihlt, somit die Reizbarkeit der Muskeln stark herabgesetzt, dann wurden die Gastrocnemien heraus- pr/~pariert, in eisgektihlte RingerlSsung gelegt und in dieser gefroren, indem das Gef/~l~ mit Ringer und Muskeln in CO2-Schnee-)~thergemiseh gelegt wurde ( - -900 C). Wir haben aus solchen Muskeln, die also ohne Reizung in physiologischer RingerlSsung abgetStet wurden, sofort nach

Abb. 2, Versuch Nr. 160. 21.5. 35. VergrSl3erung 400real.

dem Auftauen Zupfpr/~parate angefertigt. Abb. 2 zeigt, dal3 unter den Zerfallsstiicken ganz lange und dfinne F/~den, d. h. Fibrfllen bzw. Sgulehen (von einigen Fibrillen bestehend) vorkommen. Da aber hier die Zerfalls- stiicke aus Muskelfasern stammen, die hSchstwahrscheinlieh in nat ivem Zustande zerzupft wurden 1, mul3 gefolgert werden, dal3 in der lebenden Muskelfaser die Fibrillen eine pr/iformierte Strukturorganisation dar- stellen, da ja die Faser sich bis auf Fibrillen mechanisch zerkleinern 1/~Bb.

3. Zu ganz /~hnlichen Ergebnissen gelangt man, wenn Gastrocnemien von vorgekiihlten FrSschen in eisgekiihltem 4%igem Formalin fixiert und dann zerzupft werden. Abb. 3 zeigt, dal3 die Fasern derartigen Mus- kels sich l~ngs der Fibrillen spalten und F/~den yon sehr bedeutender L/inge bilden.

1 Die gewShnliche )/[ethode, den Muskeln in lebendem Zustande in Ringerl0sung bei Zimmertemperatur zu zerzupfen, fiihrt unausweichbar zur Reizung.

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4. Alle diese Versuche wurden an Muskelfasern ausgefiihrt, die doch mehr-weniger einer Behandlung ausgesetzt wurden und darum den Einwand zulassen, dab die Versuchsergebnisse den nativen Zustand nicht mit absoluter Sicherheit widerspiegeln. Aus diesem Grunde wurden yon uns ruhende Gastrocnemien sehr stark ausgespannt und in diesem Zustande trocknen gelassen. Derartig aufbewahrte Muskeln besitzen mit befriedigender Ann~herung ihre native pr~formierte Struktur (vgl. Hi~RTI~LE, 7). Werden nun solche Muskeln mechanisch zertriimmert, so

Abb. 3. Ve r such Nr . 159. 4 . 2 . 35. N a t u r p r . VergrSl3erung 400real ,

zeigen die Zeffallsstiicke (s. Abb. 4) mit sch6ner Eindeutigkeit, dab die Muskelfasern mit Vorliebe litngs der Fibrillen zersplittern, da in allen Sehfeldern l~ngliche Zerfal]sstiicke vorherrschen, die seitlich von je einer FibriUe begrenzt sind. Ja man finder sogar ganz diinne lange Muskel- s~ulchen, die nur aus einigen Fibrillen bestehen (s. die Abb. 4).

Alle diese Versuche zeugen also dafiir, dab dutch die Fibrillen eine prd]ormierte, selbst(indige Organisation der 2'aserstruktur dargestellt wird. Nach STt)~EL (8) spricht auch die Parallelverschieb~ng der Muskel- s/~ulchen dafiir, dab dieselben in der Muskelfaser pr~formiert vorhanden sind. Da nun eine Parallelverschiebung der Fibrillen ebenfalls sehr oft vorkommt (vgl. Ht)RTHLE, 9), dtirfte dies mit derselben Wahrscheinlichkeit fiir die Pritexistenz der Fibrfllen sprechen (vgl. jedoch z. B. HOLM- GR]~N, 10, der die Fibrillen nur als hypothetische Gebilde ansieht).

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5. Je tz t wirft sich nun die Frage auf, ob die Muskelfasern auBer den Fibrillen, deren pr~formierte Existenz wohl als eine unzweifelbare Tat- sache angesehen werden kann, eine von diesen unabh~ngige, ebenso selbst~ndige Querorganisation der Struktur besitzen. Als eine solche wird yon vielen Forschern bekanntlich die Querstreifung angesehen, welche also nicht als eine Eigenschaft der Fibrillen anzusprechen, sondern durch gewisse Querstrukturen bedingt w~re. (Vgl. HOLMGRE~, 1. c., nach dessen Auffassung die Querstreifung durch die Q-KSrner hervorgerufen

Abb. 4. Versuch Nr . 161. 26. 2. 35. VergrSl3erung 200mal.

wird.) Diese Auffassungen k6nnen aber kaum als gesichert gelten, um so weniger, da ja die Fibrfllen auch in gewissen Stadien der Entwicklung, als sie im Protoplasma ganz vereinzelt verlaufen, die Querstreifung bereits auf das schSnste zeigen, wie dies z. B. aus den betreffenden Abbfldungen in H_~OGQVIST zitiertem Werk iiberzeugend erhellt. Auch in den obigen Abb. 2, 3 und 4 finden wir vereinzelte Fibrillen, bzw. diinne S~ulchen, mit ausgesprochener Querstreifung, wie iibrigens solche bereits in Bow- Mn•s Mitteilung yon 1840 (1) zu sehen sind.

Die Querstreifung gehSrt also dem Erscheinungskomplex der Fibrillen; dies l~I~t jedoch die Frage often, ob die Muskelfaser neben der Quer. streifung der Fibrillen auch noch eine pr~formierte Querstruktur besitzt, welche von den Fibrillen unabh~ngig die Faser durchqueren ? (vgl. SCHMIDT, 5). Wir wollen nun ohne ZSgerung betonen, dab wir im Laufe unserer Untersuchungen, die sich jedenfalls ausschlieBlich auf den Frosch- gastrocnemius beziehen, jede Spur von einer Quermembran vermii~ten.

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Man kann n~mlich im Laufe obiger Versuche Tausende yon Zerfalls- stricken der Fasern am genauesten besichtigen (mit 30---1500facher Ver- gr6gerung), man findet nie irgendein kleinstes Zeichen eines ~berbleibsels yon Quermembranen. Etwas Derartiges h~tte sich aber unbedingt zeigen mtissen, wenn Quermembranen in der Faser vorhanden gewesen und bei Zersplitterung derselben auf Fibrillen bzw. Ss zerrissen worden wi~ren. Es ist auch oft eine solche Zersplitterung zu finden - - wie in den obigen Abb. 2, 3 und 4 - - , wo die Fibrillen sich nieht vollst~ndig vonein- ander getrennt haben, sondern zwischen ihnen nur eine schmale Spalte vorhanden ist. An den Fibrillenw~nden derartiger Spalten mrigten doch in Form von winzigen F~den ~berbleibsel der hypothetischen Quermem- branen vorhanden sein und zeigen, dab sie bei der Trennung der Fibrillen gedehnt bzw. zerrissen wurden. Es ist aber - - wie gesagt - - unter Tausenden von Zerfallsstricken keine Spur eines solchen ~berbleibsels yon der Quermembran zu finden.

6. Diese Sachlage wird mit besonderer Klarheit durch die folgenden Versuche demonstriert. Der Gastrocnemius eines vorgekrihlten Frosches wird in CO~-Schnee-~thergemiseh gefroren; naeh Verweilen im Eis- schrank (q- 40 C) frir 16 Stunden wurden die Muskel in 4%igem Formalin fixiert, dann in Azeton-Celloidin-Paraffin eingebettet und die Schnitte mit H~matoxylin-Eosin gef~rbt. Bei dieser Behandlung werden die Muskelfasern sozusagen mit mikroskopischen Mitteln gesprengt, und so entstehen in den Fasern Spaltungen bzw. (~ffnungen (vgl. HiiRTHLE, 13), wie dies an der Abb. 5a zu sehen ist. Betrachtet man nun eine Stelle mit starker Vergr6gerung (Abb. 5 b), so ist es klar zu sehen, dab die ldnglichen O//nungen ]ederort mit quergestrei/ten Fibrillen begrenzt sind, und yon einer Quermembran lceine Spur zu /inden ist.

Bei diesem Versuch h~tte man nun auf dem Wege der ~berlegung folgende M6glichkeiten erwartet: 1. Wenn die Muskelfaser gar keine prs Struktur besitzt, so werden bei diesem Verfahren unregel- m~gige L6cher in der Faser auftreten. 2. Besitzt die Muskelfaser die Li~ngsstruktur von Fibrillen, so erwartet man l~ngliehe 0ffnungen, die in der L~ngsriehtung der Faser verlaufen und yon Fibrillen begrenzt sind. 3. Falls in der Faser pr~formiert keine Fibrillen, aber eine Querstruktur vorhanden wiire, so wrirden ebenfalls l~ngliche Spalten erscheinen, die aber senkrecht zur Faserachse liegen und mit Wandungen von Quer- membranen ausgestattet sein mrigten. 4. Wenn die Faserstruktur pr~- formiert aus Fibrillen und Quermembranen besteht, so wi~ren von vier Seiten begrenzte 0ffnungen zu erwarten gewesen, deren je zwei W~nde yon Fibrillen bzw. yon Quermembranen begrenzt sein sollten. Da nun von diesen vier M6glichkeiten, die auf ganz evidenten mechanischen Pr~- missen basiert sind, nur die zweite sich realisierte, dies aber mit riber- zeugender Eindeutigkeit, so folgt, daft die Faser nur in ihrer Ldngsrich- tung eine prd/ormierte Struktur besitzt : nur die Fibrillen sind als selbstdndige mikroskopische Strukturorganisation der MusIcelsubstanz anzusehen.

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Abb. 5 a und b. a V e r s u c h Nr. 140 A. 24. 11. 34. 0,88 g, 30 ram. VergrSBerung 45real. b Ebenfalls . VergrSl~erung 1200real ( Immers ion) .

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Endlich sei noch darauf hingewiesen, dall die Parallelverschiebung der S/iulchen bzw. der Fibrillen, wobei dieselben oft um sehr betri~chtliche Wege nebeneinander vorbeigleiten, eine sonderbare Dehnbarkei~ der hypothetischen Quermembranen voraussetzen wiirde (vgl. STiiBEL, 1. C.; nach tt#RT~LE gibt es dauernd keine selb- sti~ndigen Quermembranen, sondern Querbrticken zwischen den Mizellen; in diesem Falle handelt es sich abet schon um eine Fibrilleneigenschaft!

7. Bei diesem Tatbestand muB nun die Frage gestellt werden: warum finder man ziemlich oft, dab die liingliehen Zerfallsstfieke der Muskelfasern an ihren Enden yon Ebenen begrenzt sind, die auf die L~tngsachse der Faser mehr-weniger senkrecht stehen ? Daraus mfiBte doeh gefolgert werden, dab es irgendwelehe Eigensehaft der Fibrillen gibt, infolge deren dieselben ungefi~hr in einer FaserhShe abzubreehen geneigt sind. Diese Fibrilleneigenschaft kann nun in dem Weehseln der anisotropen bzw. isotropen Sehiehten gesehen werden. Es ist ja unzweifelhaft, dab diese optisch versehiedenen Partien der Faser bzw. der Fibrille auch materiell versehieden sind (vgl. NOLL u. WEBER, 14). Dutch die materielle Ver- schiedenheit der beiden Sehiehten ist abet auch eine solehe der Festigkeit derselben bedingt, und damit wird es erkl/irlich, dab die li~ngliehen Faser- splitter oft im Niveau eines Muskelfaehes abbrechen.

Es darf weiterhin nicht auBer aeht gelassen werden, dab die Fibrillen sieh aus liingliehen Micellen aufbauen, deren L/~nge etwa 0,1~t betri~gt (die Breite nur 1/100 dieser GrSBe). Es ist nun bekannt, dab die Festigkeit der - - die KSrper au fbauenden- - Kristalliten ganz versehieden ist von der Kraft , durch welehe dieselben zu dem makroskopisehen KSrper zusammen- gehalten werden. Daraus kommt, dab diese KSrper nieht ,,intergranular" breehen, also in der Weise, dab die Kristalliten sich etwa li~ngs ihrer Grenzen voneinander trennen wiirden, sondern ,,intragranular", d .h . es werden die einzelnen Kristalliten selbst zerrissen (vgl. MASI~G und POLXNYI, 12 ; M~LLER-POUILLET, 13). Die als Kristalliten entsprechenden Einheiten der Fibrillen sind nun die Micellen anzusehen. DaB also die Fasersplitter oft im Niveau eines Muskelfaches abbrechen, erkl/irt sich aus dem Aufbau der Fibrillen und verlangt keineswegs zur Erkl/irung die Annahme yon pr/iformierten Quermembranen.

I I . Der Kontraktionszustand.

1. Geldrollenartiges Aussehen der Faser. Eine Erscheinung soll hier sogleich besprochen werden, die mit der oben behandelten Frage der hypothetischen Querstruktur in Zusammenhang ist und darin besteht, dab die Muskelfasern sich manchmal 1/ings der Querstreifung aufsplittern, so dab sie ein geldrol|enartiges Aussehen aufweisen. Dieses Bild scheint nun auf den ersten Blick den obigen Ergebnissen zu widersprechen und fiir die reale Existenz yon Quermembranen zeugen. Demgegenfiber dfirfte es auf den Umstand hingewiesen werden, dab diese Erscheinung bei Muskelfasern vorkommt, die starken chemischen Einflfissen ausgesetzt wurden (sie kommt z. B. vor auf, sich in dem Darminhalt befindenden

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Muskelfasern, oder bei Behandlung des Muskels mit S/s So 1s sich bei diesen Fasern ein starker Reizzustand vor der Fixierung voraussetzen. Es wurde nun bereits yon NASSE' (14) beschrieben, dab totenstarre Muskelfasern bedeutend schwerer zu Fibrillen zerfallen, als frische. Dem entsprieht die allgemeinere Angabe von H~)~THL]~ und WACH~OLDER (15), nach welcher die Muskelfasern sich in den Kontraktionsb/tuchen nicht mehr in Fibrillen spalten. (Vgl. unsere vorstehende erste Mitteilung, 16, besonders die Beschreibung der Spannungslinien und Abb. 7b.) Diese Feststellungen zeigen, dab in den Kontraktionsstellen der seitliche Zu- sammenhalt der Fibrillen in bedeutendem Mal~e zunimmt. Daraus w/~re es zu verstehen, dab dig Muskelfaser 1/~ngs kontrahierter Querscheiben in Scheiben zerfallen kann, ohne sich dabei in Fibrfllen aufzusplittern. (Es diirfte darauf hingewiesen werden, daft derartige Zerreil~ungen 1/s einer kontrahierten Querscheibe eine auffallende Ahnlichkeit mit den EBERTK-Linien des Herzmuskels - - bei gewisser Vergr6fterung und Mikro- skope ins te l lung- zeigen. Vgl. STSnR, 17 und unsere vorstehende Mit- teilung fiber dig EBE~Trt-Linien.)

2. Volumenzunahme der anisotropen Schichten bei der Kontraktion. In diesem Absehnitt soll jene Angabe von Hi~Tm~E (9) geprfift werden, naeh weleher das Volumen der anisotropen Fibrillenabsehnitte in der Kontraktion etwa 10% abnimmt. Dieses Ergebnis wurde yon HURTHLE aus seinen Messungen berechnet, und in der Literatur derartig eingebiirgert, daft diese Angabe jederort als eine lest begriindete Tatsache beschrieben wird. Prfift man jedoeh, wie Ht)~Tm,~ zu diesem Ergebnis kam, so fcird es evident, dal~ diese Angabe irrtiimlich ist. Um die Frage kurz priifen zu kSnnen, sollen hier H~aat-LEsMeftergebnissefolgen. DieBreite derMuskel- laser betrug in seinen Versuchen in Ruhe 35---150 #, in der Kontraktion stieg sie um 75% (in den einzelnen Messungen um 67, 115, 113, 78, 75, 40, 82, 90, 90, 75, 75, 75, 78, 78, 78, 20%) ; dig Faserbreite besteht nun aus Fibrillen und aus Sarkoplasma, deren Breite in Ruhe 0,87 # (0,63--1,25) bzw. 0,46# (0,34--0,60), im Kontraktionsbaueh hingegen 1,37/z (0,8--3,0!!) bzw. 0,69# (0,55--0,88) betr/~gt. Auf Grund dieser MeBergebnisse kam Ht~RTRL~ ZU dem SchluB, dal~ Fibrille und Sarkoplasma im Kontraktionsbauch je um 50% an der Breite zunehmen, w/~hrend die Breite der ganzen Faser um 75% steigt. Das ist aber eine reine UnmSglichkeit, da ja dig Faserbreite nur aus Fibrfllen und Sarko- plasma besteht und die j e 50 %ige Zunahme der beiden kann doch unmSg- lich eine 75%ige Zunahme ihrer Resultante (der Faserbreite)bedingen, wie dies sich selbstverst/indlieh auch mathematisch leicht beweisen 1/~l~t. Es fr/s sich also, wo der Fehler in HttRTHLEs Angaben steckt ? W~hrend nun alle seine Zahlen Mittelwerte aus Einzelmessungen darstellen, die kaum mehr als um 50% voneinander abweiehen, wird die Breitenzunahme der Fibrfllen in der Kontraktion aus Daten bereehnet, die um 400% von- einander (0,8--3,0#) differieren. Eine solche Mittelwertrechnung ist natiirlich unzul/issig. Um diesen Fehler zu vermeiden, wollen wir bei

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Behalten aller fibrigen Zahlenangaben HiiRTI~Es nur diesen Mittelwert unberficksichtigt lassen und versuchen, denselben aus den fibrigen Daten zu bestimmen. Wir stellen also die Frage: um wieviel Prozent muf te die Fibrillenbreite zugenommen haben, um mit der 50%igen Zunahme des Sarkoplasmas die 75 % ige Steigerung der Faserbreite ausmachen zu kSnnen. Dies lautet mathematisch: wenn f ~ die Breite der Fibrille, s : die des Sarkoplasmas, F : die der Faser ist, und eine Faserbreite aus n-Fibrillen bzw. Sarkoplasmaschichten besteht, so ist n f -~ ns----F. Nun ist im Sinne der Frage

x - n . f 50-n.s 75F 100 ~ 10------0--- l ~ '

3 also, da nach den Angaben bezfiglich der Ruhewerte s ---- f , also-~- n. f -~ F

ist, x = 87,5%. Somit ergibt es sich aus HiiRT~LEs Messungen auf rechnerischem Wege, dab die Fibrillenbreite in der Kontraktion im Mittel etwa um 90% zugenommen hat. Die anisotropen Fibrillenabschnitte haben sich also im Kontraktionsbauch yon 0,9# auf 1,6/~ verbreitert. Aus diesen Daten ergibt sich bei Beibehaltung aller fibrigen Angaben Hi~RT~s , dab die anisotropen Fibrillenabschnitte im kontrahierten Zu- stande um etwa 10--20% an Volumen zunahmen.

Es ist interessant, daI3 bei einer frtiheren Gelegenheit (18) yon uns auf ganz anderem Wege und aus ganz anderen Kontraktionserscheinungen berechnet wurde, dal3 die anisotropen Fibrillenabschnitte in der Kontraktion eine 8--15 %ige Volumen- zunahme erleiden.

3. Alles-oder-Nichts-Gesetz. Es ist hier nicht der Oft, um diese Frage, ihre riesige Literatur und die unz~hligen Versuchsmethoden zu ihrer Demonstration zu besprechen. Der Inhalt des Gesetzes besagt, da f die Erregung (des Nerven oder des Muskels) unabh~ngig yon der GrSfe des angewandten Reizes ist, d. h. jeder, auch der geringste Reiz - - fiber der Schwelle - - eine maximale Erregung hervorruft. Da nun dieses hypo- thetische Gesetz seinem Inhalt nach logischerweise sich auf die elementaren Einheiten der anatomischen Gebilde bezieht, schien es uns angebracht, seine Gfiltigkeit beim Muskel auf Grund folgender ~berlegung zu prfifen. Ein Kontraktionsbauch besteht z. B. aus 30 anisotropen (und isotropen) Schichten, die also auf den Reiz hin in Erregung gelangten. Gilt nun das Alles-oder-Nichts-Gesetz, so ist es zu erwarten, daf diese Faserpartie sich gleichm~fig maximal verkfirzt, und in die unt~tige unmittelbar fiber- geht. Abb. 9 in der ersten der vorstehenden Mitteilungen (16) zeigt - - wie fibrigens alle derartigen Bilder der Literatur - - ganz klar, daf die Ver- kfirzung der Schichten in der Mitte des Bauches am grSften (die Quer- streifung am dichtesten) ist und yon hier aus kontinuierlich in die ruhende Pattie, mit kontinuierlich abnehmender Dichte der Querstreifung fiber- geht. Daraus folgt aber, daft die einzelnen Muskelf~cher auf den Reiz hin yon der Mitre des Kontraktionsbauches bis zu beiden Enden desselben graduellgeringere Kontraktionen ausgefiihrt haben. Somitscheintaus diesem Gesichtspunkt das Alles-oder-Nichts-Gesetz /iir den Muskel ungis zu sein.

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Zusammen[assung.

1. I n einem in lebendem Zustande bis zur Zerreii~ung gespannten Froschgastrocnemius spl i t tern die Fasern l~ngs der Fibr i l len auf.

2. Wird aus dem NIuskel, welcher ohne Reizung abgetStet wurde, ein Zupfpr~parat gefertigt, so zeffallen die Fasern auf Fibri l len bzw. auf Muskels~ulchen.

3. Dasselbe finder man an in Formal in fixierten Muskeln. 4. Werden Gastrocnemien sehr s tark ausgespannt u n d getrocknet,

dann zerschlagen, so t re ten un te r den Zerfallsstiicken di inne F~den yon Fibr i l len bzw. Muskels~ulchen auf.

5. Aus P u n k t 1 - -4 folgt, dab die Fibril le kein Artefakt , sondern eine prs St rukturorganisa t ion der lebenden Muskelfaser darstellt .

6. Die Querstreifung gehSrt zu den Fibril len. 7. Un te r Tausenden yon Zerfallsstficken f indet m a n in den obigen

Versuchen nie ein Zeichen einer Quermembran. 8. Wird die Muskelfaser mi t mikroskopischen Mit teln gesprengt

(Frieren), so t re ten ausschlieBlich nur solche Spal ten auf, die yon Fibr i l len begrenzt sind: es ist keine Spur einer Quermembran zu finden.

9. Aus 1- -8 foist : die Muskelfaser besi tzt nu r in ihrer L~ngsrichtung eine pri~formierte S t ruk tur (Fibrillen).

10. Der Ums tand , dab die Muskelfaser oft li~ngs eines Muskelfaches abbricht , ist mi t Festigkeitseigenschaften - - in Analogie zu den Angaben der physikalischen Elastizit~tslehre - - erkli~rlich.

11. Auch das geldrollenartige Erscheinen der Muskelfaser spricht nicht fiir eine na t ive pr~formierte Querst ruktur , sondern es muB jenen s tarken chemischen Einwirkungen zugeschrieben werden, durch welche solche Bilder hervorgerufen wurden.

12. Aus H~RTHLEs MeBergebnissen folgt, da$ das Volumen der ani- sotropen Fibr i l lenabschni t te bei der Kon t r ak t i on z u n i m m t und nicht abn immt , wie es yon H~RTHLE irrttimlich berechnet wurde.

13. I n dem Kont rak t ionsbauch ffihren die einzelnen anisotropen Schich- ten yon der Mitte derselben bis zu beiden Enden graduel] geringere Kon- t rak t ionen aus, somit scheint das Alles-oder-Nichts- Gesetz ungiil t ig zu sein.

Literatur. 1. Bowman: Philos. Trans. 1840 II, 457. - - 2. Hiiggqvist: Handbuch der.mikro-

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