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BILDUNG Hüther: "Mit Leidenschaft lernen" Die Welt von morgen braucht Entdecker, Gestalter und Tüftler, meint der Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther. Deshalb sollten die Schulen vor allem eines fördern: Begeisterung fürs Lernen. Prof. Gerald Hüther Im Informationszeitalter ist Kreativität gefragt. Es nützt den Menschen nicht mehr viel, auswendig gelerntes Wissen einfach nur abzuspeichern. Eigene Visionen und Ideen sind gefragt. Das meint der Göttinger Professor für Neurobiologie, Gerald Hüther. Um junge Menschen auf die Herausforderungen der Globalisierung vorzubereiten, müssen Schulen Wissen anders vermitteln. Wie das gehen kann, will der bekannte Hirnforscher jetzt mit einer neu gegründeten Schul-Initiative zeigen. REFORMSCHULEN - UNTERRICHT MAL GANZ ANDERS THEMEN / KULTUR Hüther: ″Mit Leidenschaft lernen″ | Bildung | DW.DE | 29.10.2012 http://www.dw.de/hüther-mit-leidenschaft-lernen/a-16332012 1 von 6 19.02.2015 20:16

Mit Leidenschaft Lernen

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Lernen mit Leidenschaft

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    Hther: "Mit Leidenschaft lernen"

    Die Welt von morgen braucht Entdecker, Gestalter und Tftler, meint der GttingerHirnforscher Gerald Hther. Deshalb sollten die Schulen vor allem eines frdern:Begeisterung frs Lernen.

    Prof. Gerald Hther

    Im Informationszeitalter ist Kreativitt gefragt. Es ntzt den Menschen nicht mehr viel, auswendig

    gelerntes Wissen einfach nur abzuspeichern. Eigene Visionen und Ideen sind gefragt. Das meint der

    Gttinger Professor fr Neurobiologie, Gerald Hther. Um junge Menschen auf die

    Herausforderungen der Globalisierung vorzubereiten, mssen Schulen Wissen anders vermitteln. Wie

    das gehen kann, will der bekannte Hirnforscher jetzt mit einer neu gegrndeten Schul-Initiative

    zeigen.

    REFORMSCHULEN - UNTERRICHT MAL GANZ ANDERS

    THEMEN / KULTUR

    Hther: Mit Leidenschaft lernen | Bildung | DW.DE | 29.10.2012 http://www.dw.de/hther-mit-leidenschaft-lernen/a-16332012

    1 von 6 19.02.2015 20:16

  • Mit Begeisterung bei der Sache ...

    DW: Herr Hther, Sie beschftigen sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Lernen und haben

    dazu auch eine ganze Menge verffentlicht. Wie ernst nehmen denn die Schulen Ihre Erkenntnisse als

    Hirnforscher?

    Gerald Hther: Viele Schulen nehmen das sehr ernst. Manche empfinden es auch ein bisschen als

    Einmischung. Doch fast alle sehen, dass die Hirnforschung in den letzten Jahren Erkenntnisse zutage

    gefrdert hat, die bedenkenswert sind. Frher dachte man, dass die Hirne der Kinder sich erst

    allmhlich vernetzen, indem sie etwas lernen. Doch nach unseren Forschungen ist es eher umgekehrt.

    Die Vernetzungen werden zuerst hergestellt und von diesen Vernetzungen bleibt dann das stehen und

    wird das stabilisiert, was ein Kind in seiner jeweiligen Lebenswelt tatschlich zu nutzen, aktivieren

    und stabilisieren Gelegenheit hat. Das bedeutet fr die Schulen, sie mssen das Kunststck

    hinbekommen, Kinder fr das, was sie nach Ansicht der Lehrenden lernen sollten, zu interessieren

    und zu begeistern.

    Das Stichwort Begeisterung fllt bei Ihnen oft, wenn Sie ber das Lernen reden. Aber das verbinden

    in Deutschland - und vermutlich weltweit - nur wenige Kinder mit der Schule. Was passiert denn im

    Hirn, wenn mit Begeisterung gelernt wird?

    Immer dann, wenn ein Kind richtig sprt, dass

    es etwas gut hinbekommt, eine

    Herausforderung meistert und etwas selbst

    gestalten kann, geht das diesem Kind unter die

    Haut. Und dann geht das Lernen mit Gefhlen

    einher. Im Hirn werden die sogenannten

    emotionalen Zentren aktiviert. Das sind

    Zellgruppen im Mittelhirn, die wunderschne

    lange Fortstze haben, und an den Enden dieser

    Fortstze werden dann sogenannte

    neuroplastische Botenstoffe ausgeschttet. Diese wirken dann fast wie Dnger auf die Vernetzungen

    und auf die Nervenzellen, die man im Zustand der Begeisterung gerade eben benutzt hat, um

    irgendwas besonders gut hinzukriegen. Das ist der Grund, weshalb man all das, was man mit Freude

    und viel Engagement tut, weil es einem wirklich wichtig ist, auch so gut lernt. Da wird man schnell viel

    besser.

    In der Schule wie berhaupt im Leben mssen wir uns aber auch mit Dingen beschftigen, die uns

    nicht sehr interessieren. Ist es berhaupt mglich, immer so zu lernen, dass es unter die Haut geht?

    Das wre neurobiologisch das, was wir anstreben mssten. Eine Schule, die nicht den Schlern

    versucht etwas beizubringen, sondern eine Schule, in der die Schler eingeladen sind, sich all das

    Wissen, was es in dieser Welt gibt, auch selbst anzueignen. Und das werden die nur dann tun, wenn

    ihnen das unter die Haut geht, wenn sie das wichtig finden. Und deshalb ist mglicherweise viel, viel

    wichtiger als Didaktik und Methodik des Unterrichts die Frage: Wie knnen wir Bedingungen in der

    Hther: Mit Leidenschaft lernen | Bildung | DW.DE | 29.10.2012 http://www.dw.de/hther-mit-leidenschaft-lernen/a-16332012

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  • In einem Kind stecken viele Talente

    Schule herstellen, dass Schler sich dort eingeladen, ermutigt und inspiriert fhlen, das dort zur

    Verfgung gestellte Wissen, sich auch anzueignen.

    Hngt die Fhigkeit zu lernen nicht auch von genetischen Faktoren ab? Einstein und Goethe war das

    Talent in die Wiege gelegt, aber anderen Menschen eben nicht.

    Ja, das ist so eine Vorstellung aus dem vorigen

    Jahrhundert. Doch die genetischen Programme

    sorgen bei allen Menschen dafr, dass im Hirn ein

    berschuss an Vernetzungen aufgebaut wird, und

    zwar ungefhr ein Drittel mehr, als am Ende noch

    brig ist, wenn der Mensch erwachsen geworden

    ist. Das bedeutet, in jedem Kind ist mehr angelegt

    als das, was am Ende herauskommt. Allerdings

    haben manche Kinder offenbar die Chance gehabt,

    bestimmte Vernetzungen komplexer

    herauszuformen als andere. Weil nun jedes Kind einen anderen Krper hat und das ist genetisch-

    strukturiert sich auch das Hirn anhand dieser unterschiedlichen Krper in jeweils unterschiedlicher

    Weise. Deshalb kommt jedes Kind einzigartig zur Welt, mit ganz besonderen Voraussetzungen. Auf

    alle Flle aber mit einem Hirn, das ganz optimal genau fr diesen Krper passt.

    Das bedeutet aber doch auch, dass gemeinsames Lernen wie das, was wir Jahrhunderte lang in der

    Schule kennengelernt haben alle mssen den gleichen Stoff beherrschen berhaupt nicht mglich

    ist.

    Das gemeinsame Eintrichtern gleicher Wissensinhalte ist nicht mglich. Das stimmt. Aber

    gemeinsames Lernen hat ber die gesamte Menschheitsgeschichte immer stattgefunden. Es ist nur

    fragwrdig, wenn wir in unseren Schulen homogenen Gruppen von Schlern, also Gleichaltrigen,

    bestimmtes Wissen beibringen. Die menschheitsgeschichtliche Erfahrung lehrt uns, dass Kinder das

    meiste dann gelernt haben, wenn sie in altersgemischten Gruppen, also jahrgangsbergreifend, lernen

    konnten.

    Wie stehen Sie mit Ihren Thesen zum Lernen denn eigentlich international da? Es gibt Lnder wie

    China, in denen die Schulen nach wie vor auf starres Auswendiglernen setzen, die damit aber

    Pisa-Gewinner sind. Konterkariert das nicht Ihre Thesen?

    Nein, denn die Hirnforschung zeigt, dass Lernprozesse nur dann nachhaltig im Hirn verankert werden

    knnen, wenn Kinder eingeladen, ermutigt und inspiriert werden, sich dieses Wissen selbst aneignen

    zu wollen. Natrlich kann man das auch mit sehr primitiven Methoden erreichen, nmlich mit

    Belohnungen und Bestrafungen. In China haben wir zum Beispiel eine Tradition, dass dort Kinder fast

    alles tun, um ihre Eltern zufrieden zu stellen. Deshalb sind sie auch bereit, 14 Stunden am Tag fr die

    Schule zu arbeiten und schneiden entsprechend gut in den internationalen Leistungstests ab. Aber sie

    Hther: Mit Leidenschaft lernen | Bildung | DW.DE | 29.10.2012 http://www.dw.de/hther-mit-leidenschaft-lernen/a-16332012

    3 von 6 19.02.2015 20:16

  • Lesen macht Spa!

    Die Gestalter von morgen

    lernen nicht, weil sie sich wirklich fr Englisch,

    Mathe und Deutsch interessieren, sondern um

    diese guten Leistungen hervorzubringen. Mit

    dem katastrophalen Nebeneffekt, dass

    mittlerweile immer mehr Kinder in den

    Selbstmord gehen. Das macht auch den ersten

    Bildungspolitikern in China groe Sorgen.

    Was wir uns wnschen sollten sind aber gute

    Leistungen - natrlich auch bei Pisa-, die eines

    nicht kaputt machen: die Begeisterung und

    Leidenschaft der Schler am eigenen Entdecken und Gestalten. Menschen, die die Lust auf das eigene

    Gestalten und Entdecken verloren haben, oder die das nur noch aus egozentrischen Motiven heraus

    machen, werden in der Welt des 21. Jahrhunderts keine Zukunft haben.

    Sie haben jetzt sogar eine eigene Initiative unter dem Titel "Schule im Aufbruch" gegrndet. Was

    wollen Sie damit erreichen?

    Unser Ziel ist es, dass Eltern, Lehrer, Schler und auch die Schulleitungen vor Ort ein Bndnis

    schmieden und sich gemeinsam auf den Weg machen, um die Lern- und Beziehungskultur in der

    Schule zu verndern. Kinder sollen die Lust am eigenen Lernen und am eigenen Entdecken und

    Gestalten nicht verlieren. Wir wollen eine andere Kultur des miteinander Lernens und des

    miteinander Gestaltens entwickeln.

    Das hat vor ber 100 Jahren bereits die Reformpdagogik versucht. Doch das deutsche

    Bildungssystem sortiert Kinder immer noch aus, arbeitet mit starren Lehrplnen und

    Frontalunterricht.

    Ich bin sehr froh, dass die Anstze der

    Reformpdagogik sich heute als sehr kompatibel

    mit dem erweisen, was die moderne Hirnforschung

    zutage gefrdert hat. Vermutlich konnte sie sich

    nicht flchendeckend durchsetzen, weil man

    kreative und gestalterische Menschen im letzten

    Jahrhundert nicht gebraucht hat. Im

    Maschinenzeitalter war eher wichtig, dass

    Menschen funktioniert haben. Mit umfassend

    gebildeten Persnlichkeiten, die sich von anderen

    nichts einreden lassen, die wissen, wo sie hin wollen und sich mit anderen zusammen tun, um ihre

    Welt zu gestalten, hat man im vorigen Jahrhundert nichts anfangen knnen.

    Doch heute ist es nicht mehr wichtig, dass man aus der Schule kommt und alles auswendig wei. Es

    Hther: Mit Leidenschaft lernen | Bildung | DW.DE | 29.10.2012 http://www.dw.de/hther-mit-leidenschaft-lernen/a-16332012

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  • Datum 29.10.2012

    Autorin/Autor Sabine Damaschke

    Schlagwrter Reformschulen, Reformpdagogik, Hirnforschung

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    Permalink http://dw.de/p/16WhY

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    geht darum, in einer hoch komplexen Welt sein eigenes Leben zu gestalten, Verantwortung fr sich

    selbst, die anderen und diese Welt zu bernehmen.

    Das heit, Sie sind optimistisch, dass es nicht weitere 100 Jahre dauern wird, bis wir in Deutschland

    ein neues Schulsystem bekommen.

    Ich bin ein bisschen frech und verknde hier in Deutschland, dass es in sechs Jahren solche Schulen,

    wie wir sie heute noch kennen, nicht mehr geben wird. Was jetzt in den Betrieben und in den

    Universitten gebraucht wird, sind junge Menschen, die begeisterte Entdecker und Tftler und

    Gestalter sind. Und die vor allen Dingen gelernt haben, dass man sich gemeinsam mit anderen auf den

    Weg machen muss.

    Das Gesprch fhrte Sabine Damaschke.

    WWW-LINKS

    Die Initiative "Schule im Aufbruch"

    Hther: Mit Leidenschaft lernen | Bildung | DW.DE | 29.10.2012 http://www.dw.de/hther-mit-leidenschaft-lernen/a-16332012

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  • Klingt erst mal paradiesisch.Dennoch sollten Studenten einigeswissen, bevor sie kommen.

    werden dagegen nur teilweiseerreicht, zeigen neue Statistiken.

    Ausland fr ihre innovativenProjekte ausgezeichnet.

    Hther: Mit Leidenschaft lernen | Bildung | DW.DE | 29.10.2012 http://www.dw.de/hther-mit-leidenschaft-lernen/a-16332012

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