Mitschreiben an der digitalen Welt

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  • 8/10/2019 Mitschreiben an der digitalen Welt

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    Wer Computerprogramme schreiben kann, gestal-tet die digitale Welt mit alle anderen sind ab-hngige Konsumenten. Deshalb sollten am bestenschon Kinder die Kulturtechnik des Programmie-rens lernen. Entscheidend ist ausserdem, dass wirberhaupt mitschreiben drfen dafr setzen sichdie verschiedenen Open-Bewegungen ein.

    Mitschreiben an der digitalen Welt

    Von Matthias Strmer

    Was ist eine Programmiersprache? Eigent-lich nichts anderes als eine Schrift, mit derMenschen mit Maschinen kommunizierenknnen. Wie bei den menschlichen Spra-chen gibt es auch viele verschiedeneProgrammiersprachen: alte und neue,einfache und schwierig zu erlernende, weitverbreitete und sehr selten verwendeteProgrammiersprachen. Das von Menschengeschriebene Programm ist der Quelltext,auch Source Code genannt. Fr die Aus-fhrung auf dem Computer wird dieser miteinem sogenannten Compiler in Maschi-nensprache bersetzt, die letztlich diebinren Datenketten von 0 und 1 ergebenund von den Mikroprozessoren der Rechnerals Software verarbeitet werden knnen.

    Bisher waren es meist ausgebildeteInformatiker und clevere Quereinsteiger, diesich beruflich oder in der Freizeit mit Soft-ware-Programmierung beschftigt haben.Heute gibt es mit Code.org, Codeacademy.com oder Codeschool.com immer mehrInternetplattformen, mit denen auch Laienund gar Kinder selbstndig programmierenlernen knnen. Und das macht Sinn, dennim digitalen Zeitalter sollte neben Lesenund Schreiben von herkmmlicher Schriftdie Beherrschung der Mensch-Maschinen-

    Kommunikation also Programmieren den gleichen Stellenwert erhalten.Software ist heute so wichtig und allgegen-wrtig, dass Programmieren als Kultur-technik gelten muss. Damit werden ausKonsumenten und Zuhrerinnen derdigitalen Welt Menschen, die mitschreibenund mitgestalten knnen am besten abdem Grundschulalter.

    Auf freie Forschung programmiertAber nicht nur Kinder sollen Programmierenlernen, auch fr angehende Forschende ist

    das Beherrschen von Programmiersprachenwichtig. In vielen Disziplinen der Natur-wissenschaft wie in der Physik oder derChemie besteht heute ein wichtiger Teil derArbeit aus Programmieren dem ComputerAnweisungen und Regeln vorgeben, wie erDaten auszuwerten und darzustellen hat.Wohl fr smtliche Fachrichtungen ist dieVisualisierung von Informationen vongrossem Nutzen, seien es Statistiken,geografische Darstellungen oder drei-dimensionale Abbildungen. Deshalb stehendie Vorlesungen und Seminare am Institutfr Wirtschaftsinformatik rund um Daten-visualisierung und Open Data allenStudierenden offen. Dort wird unterrichtet,wie ohne Programmier-Vorkenntnissemittels moderner Web-Technologien neueAnwendungen entwickelt werden knnen.Unter den rund 60 Teilnehmenden derersten Durchfhrung im vergangenen Frh-lingssemester fanden sich neben Betriebs-wirtschafts- und Informatikstudierendenauch Politologinnen, Psychologen undSportwissenschaftlerinnen. Die resultie-renden 29 Anwendungen, so genannteOpen Data Apps, sind frei zugnglichund wurden in mehreren Online-Publika-tionen portrtiert (http://opendata.

    ch/2014/05/vorlesung-unibern/) .Verwendet wird in der erwhnten Lehr-veranstaltung ausschliesslich Open SourceSoftware, denn diese ist kostenlos undvollstndig offen als Internet-Downloadzugnglich. Die Lernenden mssen keineLizenzen kaufen, denn Open Source Soft-ware ist stets lizenzkostenfrei. Damitwerden die Informatikausgaben gesenktund gleichzeitig wird die Chancengleichheitin der Bildung verbessert. Andererseitsermglicht diese quelloffene Software, dassder Quelltext uneingeschrnkt gelesen,

    genutzt, verndert und weiterverbreitetwerden darf. Software unter einer OpenSource Lizenz wird damit zu einem ffent-lichen Gut, von dem alle profitieren und zudem alle beitragen knnen. Die Offenheitdes Quelltextes erlaubt es ausserdem, dieFunktionsweise der Programme bis insletzte Detail zu verstehen und bei Bedarfauch zu erweitern ein Vorteil aus pdago-gischer Sicht, da Neugierde und Verstndnisgefrdert werden.

    Software-Firmenschaffen teure AbhngigkeitenWas aber, wenn der Quellcode nicht be-arbeitet werden kann oder darf? Dannspricht man von proprietrer Software,also Programmen, die Eigentum einer be-stimmten Firma sind. Microsoft Word, Ado-be Photoshop, Apple-Programme und vieleandere gngige Anwendungen sind Bei-spiele fr proprietre Software. Mit grossenMarketing- und Verkaufsbudgets, weithher als die eigentlichen Entwicklungs-ausgaben, machen diese Unternehmenihre Software-Produkte schmackhaft. Diefehlende Werbung fr Open Source Soft-ware fhrt dann dazu, dass in vielen FllenSchulen, Universitten, Behrden und

    Private proprietre Produkte kaufen, ob-wohl quelloffene Alternativen oftmalsebenso leistungsfhig sind. Mit diesemVorgehen entstehen fr die Kufer nichtnur kurzfristig hohe Ausgaben frLizenzen, sondern die Organisationenbinden sich auch immer strker an die Soft-ware-Hersteller. Von dieser Abhngigkeitwiederum profitieren die Unternehmen undknnen weitere Produkte verkaufen undihre Preispolitik fast beliebig verndern. Esist somit kein Zufall, dass ffentliche Insti-tutionen bei Informatikbeschaffungen die

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    Auftrge vielfach ohne Ausschreibung frei-hndig an Firmen vergeben mit der Begrn-dung, dass kein anderes Unternehmen dieentsprechende proprietre Lsung liefernknne.

    Im Grunde haben wir damit eine Situa-tion wie in vielen Entwicklungslndern, indenen die Menschen, die nicht lesen undschreiben knnen, abhngig sind vonSchreibern, die mit ihrem geheimen Wissenund Knnen die schriftliche Kommunikationdominieren. Die Konsequenz fr uns ist,dass durch die Fhigkeit, Computer-programme zu schreiben und nicht blossKnpfe zu drcken, die digitalen Kompe-tenzen der Bevlkerung und damit ihreMacht im Umgang mit diesen Technologienwachsen.

    Wir brauchendigitale NachhaltigkeitEntscheidend ist neben dem Knnen aberauch das Drfen, und dazu braucht es die

    juristische Freiheit, welche Open SourceSoftware und mit ihr die Vielzahl weitererOpen-Bewegungen schaffen. OpenSource war in den 90er Jahren nmlich nurder Anfang: So werden heute beispiels-weise die Millionen Seiten der Wikipedia

    von der breiten ffentlichkeit erstellt undaktualisiert, ohne dass eine einzelne Firmaoder Person die Kontrolle darber hat. MitCreative Commons Lizenzen fr Texte,Bilder, Musik und Filme werden dieselbenMglichkeiten fr den Umgang mit Inhaltengeschaffen wie mit den Open SourceLizenzen bei der Entwicklung von Software.Und das Open Data-Prinzip macht ffent-lich finanzierte Behrdendaten und andereInformationen, sofern sie nicht den Daten-schutz verletzen oder sicherheitsrelevantsind, frei zugnglich.

    Diese und weitere Arbeitsweisen werdenals Umsetzungen des Konzepts der digi-talen Nachhaltigkeit verstanden. DieBrundtland Kommission hat 1987 denBegriff nachhaltige Entwicklung definiert:Nachhaltig ist eine Entwicklung, die denBedrfnissen der heutigen Generationentspricht, ohne die Mglichkeiten knf-tiger Generationen zu gefhrden, ihreeigenen Bedrfnisse zu befriedigen undihren Lebensstil zu whlen.

    Diese berlegungen zur nachhaltigenEntwicklung in der physischen Welt knnenauch in den digitalen Kontext bertragenwerden. Allerdings erfordern die unter-schiedlichen Eigenschaften dieser zweiWelten ein Umdenken. Whrend derGebrauch von physischen Ressourcen stetsrivalisierend ist und zu Abnutzung undletztendlich zu Verbrauch fhrt, verursachtdie Nutzung von digitalen Gtern keineVerringerung. Wie das Beispiel der proprie-tren Software zeigt, knnen jedoch auchbei digitalen Ressourcen Nutzer ausge-schlossen werden. Gleiches gilt bei In-halten wie Musikstcken, deren Abspielenbeispielsweise mittels digitaler Rechte-verwaltung (englisch Digital Rights Manage-ment oder kurz DRM) nur begrenzt mglich

    ist. Bei geschlossenen Datenformatenverhlt es sich hnlich: Zwar knnten dieInformationen beliebig oft genutzt, ver-ndert und vervielfltigt werden, jedochist deren Struktur mittels geheimgehaltenerCodierung nicht zugnglich, ohne dassman dafr teure Programme kauft. DigitaleNachhaltigkeit bedeutet somit freien Zu-gang zu den Daten (Open Data), zur Daten-spezifikation (Open Standards), zur Me-thode, um die Daten zu lesen (Open SourceSoftware) und zum Datenspeichermediumsowie dem physischen Gert, um die

    Daten abzuspielen, das heisst, in eine frMenschen verstndliche Form zu bringen(Open Hardware).

    Eine Schallplatte im AllEin historisches Beispiel digitaler Nach-haltigkeit stellen die goldenen Schallplattendar, die 1977 an Bord der zwei Voyager-Sonden in den Weltraum geschossenwurden. Diese Golden Records bestehenaus vergoldeten Kupferscheiben und habendamit eine geschtzte physische Lebens-dauer von mehreren hundert MillionenJahren. Auf ihrer Oberflche ist unteranderem mittels ausgeklgelter Skizzen undbinrer Zeichen beschrieben, wie die Schall-platte abzuspielen ist, um die darauf ge-speicherten Bilder anzusehen und die Tnezu hren. Damit werden alle erwhntenKriterien der digitalen Nachhaltigkeit erfllt.

    So sollte es ausserirdischen Lebewesenmglich sein, auf diese Informationen zuzu-greifen und damit wichtige Anhaltspunkteber das Sonnensystem, die Erde, dieMenschen und unsere Lebensweise zuerfahren sofern sie ber Detektoren frelektromagnetische Strahlung (Augen) undakustische Schwingungen (Ohren) verfgen.Ausgerstet mit diesen digital nachhal-

    tigen Schriftstcken fliegen die Raum-sonden inzwischen Milliarden von Kilometerausserhalb des Sonnensystems immerweiter weg um dann und wann imAbstand von zehntausenden von Jahrenmehr oder weniger nahe an anderenSternen vorbeizukommen.

    Kontakt: Dr. Matthias Strmer,Institut fr Wirtschaftsinformatik, LeiterForschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit,[email protected]

    Diese Open Data Apps haben Studierende der Universitt Bern entwickelt. Sie visualisierenunterschiedlichste Daten. (Bild: zvg)

    Schrift im Land der Buchstaben