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Betriebs- und Branchenpolitik
Zweigbüro
Industrie-, Struktur- undEnergiepolitik
Vorstand
Bahnindustrie: Branchenreport 2014
Mobilitätswende mit Innovationenund Guter Arbeit gestalten
InhaltVorwort 2
Die Lage der Branche und die Positionen der IG Metall
BahnindustrieEine Branche im Wandel 3
Bahnindustrie und Gute Arbeit: Positionen der IG MetallAuf sicheren Gleisen 5
Beschäftigung ist der Knotenpunkt für alles
Umfrage unter den Betriebsräten der BahnindustrieStarkes Know-how 8
BeschäftigungNachhaltige Personalpolitik 14
GlobalisierungStandorte in Deutschland 16
WertschöpfungProduktion und Innovation 18
Politik stellt wichtige Weichen
Politik: Welche Bahn braucht die Mobilitätswende?Kein gemeinsames Signal 20
Florian Hacker vom Öko-Institut Freiburg: Klimaschutz im VerkehrBahn und Mobilitätswende 23
Jürgen Kerner, IG Metall Vorstand: Europaweit koordinierte VerkehrspolitikPerspektiven entwickeln 24
PolitikVerkehrspolitik neu denken 26
Dr. Wolfgang Neef, Ingenieur und LehrbeauftragterPleiten, Pech und Pannen 28
Die Rolle des EisenbahnbundesamtsUnterschiedliche Sichtweisen 29
Bahnindustrie und Eisenbahnbundesamt„Schwarzer-Peter-Spiel“? 30
Branchenausschuss Bahnindustrie der IG MetallStimme der Beschäftigten 34
Fotos: Frank Rumpenhorst,
PantherMedia,
Bombardier Trans-
portation GmbH,
Faiveley Transport
Witten GmbH,
Siemens AG,
Windhoff Bahn- und
Anlagentechnik
Gmbh
Impressum:
Herausgeber: Detlef Wetzel, Jörg Hofmann,
Wolfgang Lemb,
IG Metall Vorstand,
Wilhelm-Leuschner-Straße 79,
60329 Frankfurt/Main
Redaktion: Astrid Ziegler, Johannes Hauber,
Bernd Lauenroth
Text & Gestaltung: WAHLE & WOLF
Druck: Setzkasten GmbH
Stand: Januar 2014
2
Die deutsche Bahnindustrie steht weltweit
gut da. Ihre Produktpalette und Dienstleis-
tungen werden den internationalen Ansprü-
chen in jeder Hinsicht gerecht. Das garantiert
die vorhandene Wertschöpfungstiefe, aber
mehr noch das hervorragende Know-how
und das Engagement der Arbeitnehmer/
-innen.
Vom wirtschaftlichen Erfolg der Branche
profi tieren die Beschäftigten jedoch nicht in
dem Maße, wie es fair wäre. Statt für ausrei-
chende Personalkapazitäten zu sorgen, neh-
men Leistungsdruck und Stress weiter zu. Die
hohen Leiharbeitsquoten erhöhen den Druck
auf die Stammbelegschaften (Siehe Seite
11f), der noch wächst, weil Produktion ins
Ausland verlagert wird – und damit Arbeits-
plätze. Hier sind die Weichen falsch gestellt!
Auch die Politik sorgt nicht für eine (stö-
rungs-)freie Fahrt der Bahnindustrie. Die
Branche ist aber ganz erheblich von den rich-
tigen politischen Weichenstellungen abhän-
gig. Und hieran mangelt es bis heute. Des-
halb muss nun unverzüglich daran gearbeitet
werden, folgende Aufgaben endlich zu lösen:
■ Der Zwist zwischen der deutschen Bahn-
industrie und dem Eisenbahnbundesamt
(EBA) muss konstruktiv gelöst werden. Der
durch politische Entscheidungen begrün-
dete Personalmangel ist zu beenden.
■ Alle beteiligten Akteure müssen daran in-
teressiert sein, den Imageschaden für die
deutsche Bahnindustrie zu beseitigen.
■ Ein integriertes Verkehrskonzept für die
Bundesrepublik Deutschland, das ein fai-
res und gleichberechtigtes Zusammen-
spiel der verschiedenen Verkehrsträger
verankert, ist überfällig und gehört end-
lich auf den Tisch.
Von der neuen Bundesregierung gibt es
bisher keine Signale für den überfälligen
verkehrspolitischen Kurswechsel. Da die
Große Koalition mit Blick auf die verkehrspo-
litischen Herausforderungen beim „Weiter
so“ bleibt, bekräftigt die IG Metall ihre Posi-
tionen, die auf ein sicheres Gleis führen – für
die Bevölkerung und für die Beschäftigten
(siehe Seiten 5-7).
Insofern ist es richtig, dass die Branchenar-
beit für die IG Metall einen immer höheren
Stellenwert bekommt. Für die Bahnindustrie
heißt das, dass
■ die Betriebsräte ihr Engagement für Gute
Arbeit uneingeschränkt fortsetzen werden.
■ der Branchenausschuss Bahnindustrie
der IG Metall unvermindert politischen
Druck macht: für einen zukunftsorientier-
ten Kurswechsel in der Verkehrspolitik
(siehe Seiten 34-36).
Die Bahnindustrie ist eine zentrale Schnitt-
stelle für die gesamte deutsche Wirtschaft.
Für Deutschland – mit seinen gewaltigen Ex-
porten und Importen – ist diese Branche von
herausragender Bedeutung.
Mit diesem Branchenreport liefert die IG Me-
tall Denkanstöße und Positionen, die sie mit
Vertretern/-innen der Arbeitgeber und der
Politik diskutieren wird, damit die Bahnin-
dustrie mit motivierten Beschäftigten in eine
sichere Zukunft fahren kann. Er basiert auf
zahlreichen Debatten der Arbeitnehmerver-
treter/-innen in den Betrieben, im Branchen-
ausschuss Bahnindustrie beim Vorstand der
IG Metall, auf der vom IG Metall Vorstand or-
ganisierten Branchenkonferenz im Septem-
ber 2013 in Frankfurt sowie auf der ersten
Umfrage unter Betriebsräten (siehe Seiten
8-13), die die Arbeitsbedingungen der Be-
schäftigten dieses Industriezweigs in den
Mittelpunkt gestellt hat.
Vorwort
Jörg Hofmann,
Zweiter Vorsitzender
der IG Metall
Wolfgang Lemb,
Geschäftsführendes
Vorstandsmitglied
der IG Metall
3
* Die VDB-Zahlen weichen
von den Angaben des
Statistischen Bundesam-
tes ab. Das Statistische
Bundesamt weist nur
einen Teil der Bahn-
industrie – nämlich den
Schienenfahrzeugbau –
aus. Die nachstehenden
Angaben beziehen sich
ausschließlich auf die
Statistik des VDB.
Deutsche Bahnindustrie ist breit aufgestelltDie deutsche Bahnindustrie entwickelt und
fertigt Systeme und Komponenten für Schie-
nenfahrzeuge und -infrastruktur. Zu ihr ge-
hören einige große Systemhäuser (Alstom,
Bombardier, Siemens, Stadler), Hersteller
von Fahrzeugen, Leit- und Sicherungstech-
nik, Infrastruktur sowie die mit ihnen ver-
bundenen Zulieferer und Dienstleister. Mit
ihren Produkten und Dienstleistungen ist die
deutsche Bahnindustrie in hohem Maße eu-
ropäisch und international vernetzt und zählt
technologisch und industriell zur Weltspitze.
Bahnindustrie weiter auf WachstumskursNach Angaben des Verbands der Bahnindus-
trie in Deutschland (VDB) wurde hierzulande
im Jahr 2012 mit 50 100 direkt beschäftig-
ten Mitarbeitern/-innen ein Umsatzvolumen
von fast elf Milliarden Euro* erwirtschaftet
(siehe Grafi k unten). Zwar hatte sich 2012
die Nachfrage nach Bahnprodukten etwas
abgekühlt, seit Anfang 2013 setzt sich der
Wachstumskurs der vergangenen Jahre aber
fort. Im ersten Halbjahr 2013 erreichte das
Auftragsvolumen mit 8,7 Milliarden Euro eine
neue Rekordmarke. Gewonnene Ausschrei-
bungen – nationale wie auch internationale –
machten es möglich. So konnte die deutsche
Bahnindustrie zwei Großaufträge für sich
verbuchen: Die Deutsche Bahn vergab einen
Auftrag über 450 Lokomotiven, von denen
130 Fahrzeuge allein für 2013 fest bestellt
wurden. Im Zusammenhang mit dem Tha-
meslink-Projekt orderte das britische Trans-
portministerium 1 149 Regionalzugwagen.
Hoch qualifi zierte Beschäftigte sind die eigentliche TrumpfkarteDer solide Auftragsbestand schlägt sich
positiv in der Arbeitsplatzbilanz nieder. Die
Branche beschäftigt mittlerweile 50 400
Mitarbeiter/-innen (Stand: Mitte 2013) –
und damit so viel wie noch nie (siehe Grafi k
Seite 4). Die deutsche Bahnindustrie zeich-
net sich zudem durch ihr hohes Bildungs-
niveau aus. Der Anteil an Ingenieuren und
Technikern ist überdurchschnittlich hoch –
so ein Ergebnis der Betriebsrätebefragung
der IG Metall (siehe Seiten 8-13). Gleichwohl
gilt es, die Attraktivität der Branche als Ar-
beitgeber zu steigern.
Herausforderungen annehmenDie Strukturen der Bahnindustrie haben sich
in den vergangenen Jahren massiv verän-
dert. In den kommenden Jahren ist mit einem
weiteren markanten Wandel zu rechnen. Die
zukünftigen Herausforderungen sind für die
Bahnindustrie nach wie vor sehr groß und
Bahnindustrie
Eine Branche im WandelDer Wandel gehört zur Branche wie das Gleis zum Zug. Die Branche muss die Herausforderungen
annehmen. Die IG Metall will dies mitgestalten. Die deutsche Bahnindustrie ist technologisch
und industriell führend. Hoch qualifi zierte Beschäftigte sind dabei ihre eigentliche Trumpfkarte.
Beschäftigung sichern und Fachkräfte entwickeln – darauf kommt es deshalb entscheidend an.
Quelle: Verband der Bahnindustrie 2013
9,3
7,7
9,3 10,0
6,7
8,9
10,6 10,7
12,8
10,4
9,99,69,19,0
11,3
14,5
10,5
10,7
10,210,910,39,9
8,4
9,9
Umsatz und Auftragseingang in der Bahnindustrie
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Auftragseingang in Milliarden EuroUmsatz in Milliarden Euro
4
Quelle: Verband der Bahnindustrie 2013
1 einschließlich Lehrlinge und Teilzeitkräfte2 Beschäftigungszeit 2 Monate oder länger
Die IG Metall will
den Strukturwandel
mitgestalten, um
alle Chancen einer
Wachstumsbranche
wie der Bahnindustrie
zu nutzen.
2008 2009 2010 2011 2012 1. Halbjahr 2013
Beschäftigte in der BahnindustrieAngaben in Tausend
Festangestellte1 Leiharbeitskräfte2
50,5+2,0%
41,0
45,0
4,0
41,1
44,8
3,7
41,9
45,8
3,9
44,8
49,14,3
46,4
50,13,7
können zu vier Themenkomplexen gebündelt
werden.
1. Globalisierung
Die Internationalisierung der Bahnindustrie
wird weiter fortschreiten. Sie hat für Stand-
orte und Beschäftigte sowohl Sonnen- als
auch Schattenseiten. Häufi g werden bei
neuen Wettbewerbs- und Konkurrenzsitu-
ationen Beschäftigte, Standorte oder Her-
steller-Zulieferer-Beziehungen unter Druck
gesetzt.
2. Wertschöpfungskette
Die deutsche Bahnindustrie deckt im Mo-
ment noch die gesamte Wertschöpfungsket-
te ab. Dies ist ein Standortvorteil. Allerdings
kommen inzwischen Themen wie Verlage-
rung, Schließung des Schienenwerks TSTG,
Umstrukturierung und Personalabbau immer
wieder auf die Tagesordnung. Nicht nur die
davon betroffenen Beschäftigten sind mit
den daraus resultierenden negativen Konse-
quenzen konfrontiert. Auch die Innovations-
kraft der gesamten Bahnindustrie ist damit
gefährdet.
3. Beschäftigung
Ein entscheidender Erfolgsfaktor für die Zu-
kunftsfähigkeit der deutschen Bahnindustrie
ist die Qualifi kation der Beschäftigten. Be-
schäftigungssicherung und Fachkräfteent-
wicklung sind also zentrale Themen für eine
nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit der ein-
zelnen Unternehmen sowie der gesamten
Branche.
4. Politik
Die Bahnindustrie ist stark von politischen
Entscheidungen abhängig. Verkehrspo-
litische Weichenstellungen nicht nur in
Deutschland, sondern mittlerweile auch in
Europa bestimmen maßgeblich über ihre
Zukunft.
Strukturwandel gemeinsam gestaltenDie Bahnindustrie kann sich nicht auf den
wirtschaftlichen Erfolgen der vergangenen
Jahre ausruhen. Sie muss sich den aktu-
ellen und zukünftigen Herausforderungen
stellen und dabei ihre Vorteile nutzen. Da-
ran sind letztendlich Quantität und Quali-
tät der Arbeitsplätze in der Bahnindustrie
gekoppelt.
Die IG Metall will den Strukturwandel mit-
gestalten, um alle Chancen dieser Wachs-
tumsbranche zu nutzen. Sie verliert aber
auch nicht den Blick auf die Risiken. Die
IG Metall richtet ihre Aktivitäten danach aus,
wie Arbeitsplätze und Beschäftigung sowie
Gute Arbeit gesichert werden können. Nicht
Maschinen und Programme sind entschei-
dend für den nachhaltigen Erfolg der Bahnin-
dustrie, sondern das Wissen und Können der
Beschäftigten.
50,5
5
Die IG Metall und die Betriebsräte des Bran-
chenausschusses der Bahnindustrie setzen
sich dafür ein,
■ den Bahnindustriestandort Deutschland
zu stärken. Unternehmen müssen in
Standorte, Innovationen und Beschäftig-
te investieren.
■ Standorte mit ihren prägenden Schwer-
punkten zu erhalten.
■ die betriebliche Mitbestimmung auszu-
bauen. Betriebsräte und Beschäftigte
reden bei betrieblichen Veränderungs-
prozessen und Arbeitsbedingungen mit.
■ Leiharbeit und Werkverträge zu begrenzen
und fair zu gestalten.
■ ein hohes Qualifi kationsniveau durch
verstärkte Investitionen in die Aus- und
Weiterbildung zu gewährleisten.
■ mit dem Erfahrungswissen langjähriger
Beschäftigter die demografi schen Heraus-
forderungen mit mittelfristigen Personal-
und Qualifi kationskonzepten offensiv an-
zugehen.
■ gesundheitsförderliche und motivierende
Arbeitsbedingungen zu schaffen sowie
eine bessere Vereinbarkeit von Familie
und Beruf für Frauen und Männer zu errei-
chen.
Eckpunkte eines Zukunftskonzepts für die BahnindustriePolitik und Unternehmen müssen alles dafür
tun, damit die Bahnindustrie am Standort
Deutschland weiterhin eine Zukunft hat und
die vorhandenen Potenziale ausschöpfen
kann. Zu einem Zukunftskonzept gehören
folgende Eckpunkte:
1. Bahnindustrie braucht ein klares industrie-
politisches Konzept
Industriepolitisch muss es heute darum ge-
hen, die Bahnindustrie in ihrer gesamten
Breite und Vielfalt für den Industriestand-
ort Deutschland zu sichern. Die IG Metall
fordert von der Bundesregierung eine ver-
stärkte industriepolitische Initiative zum
Erhalt und Ausbau
■ der industriellen Wertschöpfungsketten,
■ des Innovationspotenzials sowie
■ der Arbeitsplätze am Forschungs-, Ent-
wicklungs- und Produktionsstandort
Deutschland.
Die IG Metall und die Betriebsräte der
Bahnindustrie werden sich aktiv daran be-
teiligen, ein Konzept zu erarbeiten, das die
Zukunft der Bahnindustrie sichert. Sie schla-
gen hierzu einen institutionalisierten indus-
triepolitischen Dialog vor, an dem Wirtschaft
(Bahnindustrie, DB AG, private Bahnbetrei-
ber), Politik (Wirtschafts- und Verkehrsmi-
nisterium), (Fahrgast-)Verbände und Gewerk-
schaften beteiligt werden.
2. Bahnindustrie braucht verlässliche Partner
Ziele des partnerschaftlichen Dialogs müs-
sen sein,
■ das Beschaffungsverhalten der Deutschen
Bahn AG und der privaten Bahnbetreiber
zu verstetigen,
■ Transparenz in der Informations- und
Kommunikationspolitik zu schaffen. Nur
darüber lässt sich eine höhere Planungs-
und Arbeitsplatzsicherheit im gesamten
Bahnsektor gewährleisten.
■ Verkehrsinfrastrukturinvestitionen lang-
fristig zu sichern (unter anderem die
Regionalisierungsmittel verstetigen und
gegebenenfalls dynamisieren) sowie die
GVFG-Mittel (Gemeinde-Verkehrs-Finan-
zierungs-Gesetz) fortzuschreiben.
■ ein transparentes, sicheres und belast-
bares Zulassungsverfahren zu entwickeln
und zu verankern.
3. Bahnindustrie ist ein wichtiger Teil eines
zukünftigen Mobilitätssystems
Angesichts des Klimawandels, des Endes des
billigen Öls und hoher Wachstumsraten beim
Bahnindustrie und Gute Arbeit: Positionen der IG Metall
Auf sicheren Gleisen Die zukünftigen Herausforderungen für die Bahnindustrie sind gewaltig. Ob die Unternehmen in
Deutschland diesen gewachsen sind, hängt von vielen Faktoren ab. Letztendlich entscheidet das
über Quantität und Qualität der Arbeitsplätze.
Güter- und Personentransport ist ein Umbau
des Verkehrssystems hin zu einem integrier-
ten Mobilitätskonzept unerlässlich. Diese In-
tegration verlangt,
■ die verschiedenen Verkehrsträger umfas-
send zu vernetzen und aufeinander abzu-
stimmen.
■ übergreifende Innovationen, damit alle
Verkehrsträger zukünftig eine gleichbe-
rechtigte Rolle spielen.
Die Politik (Bundesregierung und EU) muss
dafür sorgen, dass Mobilitätsleistungen ver-
schiedener Verkehrsträger (Straße, Schiene,
Luft und Wasser) jeweils optimal genutzt und
integriert angeboten werden können. Die
zentrale Herausforderung aus Sicht eines
erfolgreichen Klimaschutzes bleibt das Ziel,
mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern.
Beim Gütertransport gilt es, den kombinier-
ten Verkehr zu stärken und effi ziente Kno-
tenpunkte zu entwickeln, damit er deutlich
schneller und fl exibler wird.
4. Zukunft der Bahnindustrie in Europa
aktiv fördern und gestalten
Eine Politik, die die technologische Kompe-
tenz, industrielle Systemfähigkeit und die
dazugehörenden Arbeitsplätze sichert, wird
mehr denn je europäisch ausgerichtet sein.
Ansatzpunkte hierfür sind eine engagierte
EU-Verkehrspolitik und eine einheitliche eu-
ropäische Bahnpolitik (siehe Seite 24f). Eine
aktive europäische Industriepolitik muss
sich auf ein funktionierendes Finanzmarkt-
system stützen können, das Transaktionen
mit realwirtschaftlicher Grundlage und Wert-
schöpfung in den Mittelpunkt stellt.
5. „Billiger-Strategien“ sind für die
Bahnindustrie nicht zukunftsweisend
Mit überzogenen EBIT-Zielen und einer Dum-
pingstrategie gegenüber den Beschäftigten
kann die Zukunft der Bahnindustrie nicht
gesichert werden. „Billiger“-Ansätze, die
den Arbeits- und Leistungsdruck erhöhen, zu
Personalabbau führen, auf Leiharbeit oder
Werkverträge setzen, führen aufs Abstell-
gleis. Dadurch werden Arbeitsmotivation
und Vertrauen, Kompetenzen und Arbeits-
plätze aufs Spiel gesetzt.
Dagegen ist es nach Meinung der IG Metall
und der Betriebsräte Erfolg versprechender,
die Innovationsführerschaft in den Hän-
den zu behalten. Dafür braucht die Bahnin-
dustrie zukunftstaugliche Personal-, Wert-
schöpfungs- und Produktionskonzepte.
Ausdrücklich gehört es zu einem solchen
industriepolitischen Ansatz, die in Deutsch-
land bewährten Systeme der Mitbestimmung
und der Tarifverträge zu stärken. Die deut-
sche Bahnindustrie hat in der Vergangenheit
eine hohe Innovationskraft bewiesen, wenn
es darum ging,
■ Prozesse zu beherrschen,
■ Materialien effi zient einzusetzen sowie
■ alternative Antriebstechniken und neue
Werkstoffe zu entwickeln.
Zu ihren Vorteilen gehört außerdem ein ho-
hes Qualitätsniveau bei den Produkten.
Verstärkt haben die Unternehmen in den
vergangenen Jahren auf Grund veränderter
Wettbewerbsbedingungen Produktionen
und Betriebe verlagert, betriebliche Funk-
tionen ausgegliedert und rechtlich ver-
selbstständigt und sich auf Kerngeschäfte
konzentriert. Das ging zu Lasten gewach-
sener Abnehmer-Zulieferer-Beziehungen.
Diese Umstrukturierungsprozesse folgten
reinen Low-Cost-Strategien, die die regio-
nale Standortgebundenheit der Unterneh-
men ausgeblendet haben. Aus volks-, aber
auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht gilt
es, das Wissen und die Wertschöpfungsket-
ten zu erhalten. Vielfach erweist sich eine
überzogene und falsch angelegte Outsour-
cingpolitik als negativ für Qualität und Lie-
ferfähigkeit – und damit am Ende sogar als
teurer.
„Billiger“-Ansätze, die
den Arbeits- und Leis-
tungsdruck erhöhen,
zu Personalabbau
führen, auf Leiharbeit
oder Werkverträge
setzen, führen auf’s
Abstellgleis.
6
Für den Industriestandort Deutschland reicht
es nicht aus, nur zu forschen. Vielmehr müs-
sen die neuen Produkte und Verfahren auch
produziert beziehungsweise hierzulande an-
gewendet werden. Nur so bleibt Deutschland
Produktions- und Entwicklungsstandort, nicht
allein Technologiestandort.
Die IG Metall fordert deshalb,
■ den an Forschung und Entwicklung ori-
entierten Ansatz bei neuen Fertigungs-
techniken sowie der dazugehörigen
Kompetenzen und Fertigkeiten der Be-
schäftigten, die Kernfähigkeit der Unter-
nehmen, auszubauen, um Chancen für
Beschäftigung in Deutschland langfristig
zu sichern.
■ in ganzen Wertschöpfungsketten zu den-
ken und zu handeln. Verlagerung ins „bil-
ligere“ Ausland und Fremdvergabe sparen
vielleicht kurzfristig Kosten, bedrohen aber
langfristig den Standortvorteil eines engen
Wechselspiels und gegenseitiger Abhän-
gigkeit von Innovation und Produktion.
6. Arbeitsplätze in der Bahnindustrie
langfristig sichern
Der Erfolg der Bahnindustrie basiert auf
technologisch hervorragenden Produkten,
die qualifi zierte Beschäftigte entwickeln und
produzieren. Dieses Know-how müssen die
einzelnen Betriebe bewahren, indem sie in
ihre Beschäftigten investieren und eine In-
novationskultur fördern, die den sozialen
und demografi schen Veränderungen gerecht
wird.
Die IG Metall setzt sich gemeinsam mit den
Betriebsräten dafür ein, die Arbeitsplätze in
der Bahnindustrie langfristig unter dem Pri-
mat „Gute Arbeit“ zu sichern. Betriebliche
Flexibilisierungsstrategien nur zu Lasten der
Beschäftigten lehnen sie ab. Leiharbeit und
Werkverträge sind zu begrenzen und fair zu
gestalten. Die Betriebsräte der Bahnindustrie
sehen die Gefahr, dass durch einen weiteren
Abbau der Stammbelegschaften bei gleich-
zeitiger Verschlechterung der Arbeitsbe-
dingungen die Qualität der Produkte leiden
wird. Dadurch würde die Wettbewerbsfähig-
keit der deutschen Bahnindustrie langfristig
nicht ausgebaut, sondern verringert. Bereits
heute wird die Arbeitszeit in der Branche
überdurchschnittlich fl exibilisiert.
Die IG Metall tritt für eine zukunftsorientierte
Politik der Standortsicherung ein. Sie fordert
dazu mittel- und längerfristig angelegte Kon-
zepte, die gemeinsam mit den betroffenen
Beschäftigten und Belegschaftsvertretungen
erarbeitet werden.
7. Hohes Qualifi kationsniveau sichern,
Fachkräftebedarf offensiv angehen
Das Potenzial an jüngeren Fachkräften wird
demografi sch bedingt in Zukunft abnehmen.
Die Belegschaften werden immer älter. Das
erfordert zum einen neue Arbeitsformen und
zum anderen heute schon Lösungen, um den
zukünftigen Fachkräftebedarf in den Unter-
nehmen decken zu können. Qualifi ziertes
Fachpersonal und Forschungskräfte sind am
Arbeitsmarkt immer schwieriger zu bekom-
men.
Besondere Initiativen der Branche, um auf ei-
nem sicheren Gleis in die Zukunft zu fahren,
sind derzeit nicht zu erkennen. Unternehmen
müssen jedoch heute bereits die Weichen
stellen, um für die Zukunft gut gewappnet zu
sein. Dazu gehört: mehr in Ausbildung und
Qualifi zierung zu investieren, mehr Ausbil-
dungsplätze zu schaffen, eigene Beschäf-
tigte weiterzuqualifi zieren sowie älteren
Fachkräften und Frauen bessere berufl iche
Chancen zu bieten. Deshalb setzt sich die
IG Metall gemeinsam mit den Betriebsräten
der Bahnindustrie dafür ein, belastbare Sze-
narien zur Personal- und Qualifi kationsent-
wicklung und darauf aufbauende Maßnah-
men in den Betrieben zu entwickeln; dazu
gehören auch Bildungsbedarfsanalysen.
Die IG Metall setzt sich
gemeinsam mit den
Betriebsräten dafür
ein, die Arbeitsplätze
in der Bahnindustrie
langfristig unter dem
Primat „Gute Arbeit“ zu
sichern.
7
8
Knapp die Hälfte aller
Betriebe hat mit der
IG Metall einen Beschäf-
tigungssicherungstarif-
vertrag abgeschlossen.
Die Betriebsräte aus zwei Dritteln aller be-
fragten Betriebe prognostizieren für das
Jahr 2014 eine stabile Beschäftigungs-
entwicklung. Dagegen rechnen rund ein
Fünftel aller Betriebsräte im kommenden
Jahr mit einem Beschäftigungsabbau (sie-
he Grafik). Als nützlich hat sich für die
Arbeitnehmer/-innen erwiesen, dass in
40 Prozent aller Betriebe Beschäftigungs-
sicherungsvereinbarungen gelten. Knapp
die Hälfte aller Betriebe verfügen jedoch
derzeit über keinen derartigen Vertrag mit
der IG Metall.
Umfrage unter den Betriebsräten der Bahnindustrie
Starkes Know-howErstmals gibt es verlässliche Daten über die Arbeits- und Produktionsbedingungen sowie das
Know-how der Beschäftigten in der Bahnindustrie. Die Basis dafür liefert eine Umfrage unter den
Betriebsräten der Branche, die von der Agentur für Struktur- und Personalentwicklung (Bremen)
koordiniert und ausgewertet worden ist. Sie wurde im Auftrag der IG Metall durchgeführt und von
der Hans-Böckler-Stiftung fi nanziert. Bisherige Analysen der Unternehmen und ihres Verbands
sowie statistischer Ämter konzentrieren sich vorwiegend auf die ökonomischen Verhältnisse und
vernachlässigen die beschäftigungspolitische Seite. Insofern schließt die vorliegende Umfrage
„Arbeits- und Produktionsbedingungen in der deutschen Bahnindustrie/Schienenfahrzeugtech-
nik“, deren Autor Thorsten Ludwig ist, eine Lücke. Markante Ergebnisse sind: Die Bahnindustrie
hat einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Ingenieuren/-innen und Technikern/-innen, der
dem in der Luft- und Raumfahrtindustrie vergleichbar ist. Ausbildung und Personalentwicklung
spielen eine Rolle. Nahezu alle Ausgebildeten werden übernommen. Die Beschäftigten sind durch
Tarifverträge geschützt.
An der Umfrage beteiligt hatten sich Betriebsräte aus
35 Betrieben mit zusammen 24 436 Beschäftigten. Die
erfassten Betriebe decken beinahe die gesamte Wert-
schöpfungskette innerhalb der Branche ab. So befi nden
sich darunter Hersteller kompletter Bahnsysteme eben-
so wie auf bahntechnische Komponenten spezialisierte
Zulieferbetriebe. Auch Betriebsräte von Strecken- und
Signaltechnikproduzenten, Instandhaltungsbetrieben
sowie von Ingenieurdienstleistern und Herstellern von
Prüf- und Steuerungssystemen wurden befragt.
Der in den letzten zehn Jahren zu beobachtende Konzen-
trationsprozess innerhalb der Bahnindustrie wird auch in
der Umfrage deutlich: Rund 79 Prozent aller erfassten Be-
schäftigten sind in Konzernstrukturen eingebunden oder
gehören Unternehmensgruppen an. Die Umfrage deckte
ein breites Themenspektrum ab:
■ Beschäftigungssituation und -struktur
■ Ausbildung und Qualifi zierung
■ Leiharbeit und Werkverträge
■ Strategische Personalentwicklung
20
65,7
Abbau
gleichbleibend
14,3Zunahme
Erwartete Beschäftigungsentwicklung (im Jahr 2014) Angaben in Prozent
Umfrage unter den Betriebsräten der Bahnindustrie
Hoch Qualifi zierte prägen die BahnindustrieBei der Bahnindustrie handelt es sich um eine
Hightech-Branche. Die Produktion komplexer
Bahnsysteme oder von Teilen davon erfordert
von den Beschäftigten ein hohes Qualifi ka-
tionsniveau. So überrascht es nicht, dass im
Durchschnitt der Betriebe rund 35 Prozent
aller Beschäftigten entweder Ingenieure/-innen
oder Techniker/-innen sind (siehe Grafi k). In
vielen Betrieben liegt diese Quote weit über
dem Durchschnitt, was vor allem im Bereich
der Strecken- und Signaltechnik sowie bei
Steuerungs- und Prüfsystemherstellern der
Fall ist. Mit diesem hohen Anteil an Inge-
nieuren/-innen und Technikern/-innen nimmt
die Bahnindustrie einen Spitzenplatz ein und
liegt gleichauf mit der Luft- und Raumfahrt-
industrie.
Bahnindustrie weiterhin eine MännerdomäneFür die Metall- und Elektroindustrie ist der ge-
ringe Anteil der dort beschäftigten Frauen cha-
rakteristisch. Dies gilt auch für die Bahnindus-
trie: Nur rund 16 Prozent aller Beschäftigten
sind weiblich (siehe Grafi k). Damit liegt der
Frauenanteil noch weit unterhalb von dem im
verarbeitenden Gewerbe insgesamt, der rund
25 Prozent im Jahr 2012 betrug.
Ob sich der Anteil von Frauen in der Bahn-
industrie mittelfristig erhöhen wird, bleibt
allerdings fraglich. So sind nur rund 14,5
Prozent aller Auszubildenden weiblich. Die
Bahnindustrie wird demnach auch auf abseh-
bare Zeit weiterhin männlich geprägt blei-
ben, sofern die Weichen der strategischen
Personalentwicklung nicht anders gestellt
werden. Auch unter den Ingenieuren/-innen
und Technikern/-innen sind nur 16 Prozent
Frauen, wobei dieser Wert deutlich über dem
Frauenanteil dieser Berufe liegt.
Demografi scher WandelDer demografi sche Wandel spielt auch für die
Bahnindustrie eine wichtige Rolle. Es kann
jedoch noch nicht davon gesprochen werden,
dass die vielfach beklagte „Überalterung“
der Belegschaften in dieser Branche bereits
Realität ist – wie die derzeitige Altersstruktur
zeigt (siehe Grafi k). Dennoch gilt es bereits
heute, vorausschauend künftige Fachkräfte-
lücken zu schließen.
Rund 87 Prozent aller Beschäftigten, die 60
Jahre und älter sind, arbeiten in Vollzeit. Dies
korrespondiert auch mit der Tatsache, dass
Vereinbarungen zu einem frühzeitigen Aus-
stieg aus dem Erwerbsleben (zum Beispiel
Altersteilzeitregelungen) in nur knapp der
Hälfte aller befragten Betriebe angewendet
werden (siehe Grafi k Seite 10).
9
Anteil von Ingenieuren/-innen und Technikern/-innen an den Beschäftigtenin der Bahnindustrie Angaben in Prozent
mit Ing.- /Techniker- Titel
34,6
ohne Ing.- /Techniker- Titel
65,4
Altersstruktur der Beschäftigten Angaben in Prozent
27
jünger als 30 Jahre
60 Jahre und älter
15,3
5,6
30 bis 39 Jahre19
50 bis 59 Jahre
40 bis 50 Jahre
32
Anteil von Frauen an den Beschäftigten in der Bahnindustrie Angaben in Prozent
Frauen
16,1
83,4
Männer
Ausbildung, Qualifi zierung und PersonalentwicklungDer vielfach beklagte angebliche Fachkräfte-
mangel erfordert von der Industrie insgesamt
wie von jedem einzelnen Unternehmen inten-
sive Anstrengungen, um durch eigene Initia-
tiven das erforderliche Personal zu gewinnen
beziehungsweise auszubilden.
Viele der befragten Betriebsräte haben an-
gegeben, dass die Unternehmen zum Teil
Probleme haben, offene Stellen zu besetzen.
Als Grund nennen sie unter anderem eine un-
günstige regionale Lage jenseits von Metro-
polen. Aber auch in der direkten Konkurrenz
um qualifi zierte Fachkräfte mit Firmen aus
anderen Technologiebranchen (Automobilin-
dustrie, Luft- und Raumfahrtindustrie usw.)
scheinen einige Betriebe der Bahnindustrie
das Nachsehen zu haben.
Die Branche beschreitet bei der Nachwuchs-
rekrutierung unterschiedliche und vielfältige
Wege, dies gilt sowohl für die Ausbildung als
auch für die Personalentwicklung.
Klassische Ausbildung auf niedrigem NiveauBei der klassischen dualen Ausbildung liegt
die durchschnittliche Ausbildungsquote1 der
Bahnindustrie mit 3,8 Prozent auf einem sehr
niedrigen Niveau (siehe Grafi k unten). Aber
insbesondere kleinere Betriebe verzeichnen
eine überdurchschnittliche Ausbildungsquote
von bis zu sieben Prozent. Die im Vergleich zu
anderen Branchen vergleichsweise niedrige
Ausbildungsquote mag auch damit zusam-
menhängen, dass die Bahnindustrie mit ei-
nem sehr großen Anteil von Ingenieuren/-in-
nen diese Beschäftigten von Universitäten und
Hochschulen ausbilden lässt.
Aufgrund der Umfrageergebnisse muss davon
ausgegangen werden, dass sich die Situation
in der dualen Ausbildung auch mittelfristig
nicht verbessern wird. Denn nur zwei der be-
fragten Betriebsräte geben an, dass ihre Be-
triebe eine höhere Zahl der Ausbildungsplätze
anstreben. Dagegen planen fünf Betriebe, die
Zahl der Auszubildenden zu reduzieren. Hin-
zu kommt, dass Firmen vereinzelt auch damit
konfrontiert sind, die von ihnen angebotenen
Ausbildungsplätze mangels Bewerbern/-in-
nen nicht besetzen zu können.
Erfreulich ist hingegen: Im Jahr 2012 sind
rund 90 Prozent aller Ausgebildeten von den
Betrieben übernommen worden. Die Ursa-
chen für Nicht-Übernahmen lagen zumeist
darin, dass die Absolventen sich nach ihrer
Ausbildung für ein Studium entschlossen
oder eine Stelle in einem anderen Unterneh-
men angetreten hatten.
Die Ausrichtung vieler Betriebe der Bahnin-
dustrie auf akademische Ausbildungen be-
legt auch die Tatsache, dass rund 60 Prozent
aller Betriebe ein duales Studium anbieten.
Zwar liegt die durchschnittliche Quote der
dual Studierenden2 bei 0,7 Prozent. In meh-
reren Betrieben sind jedoch Quoten von über
einem Prozent zu verzeichnen, was auch im
Vergleich zu anderen Branchen ein relativ
hoher Wert ist. Zunehmend versuchen die
Betriebe offensichtlich auch, Studenten be-
reits während des Studiums an den Betrieb
zu binden. So liegt die Quote der Werkstu-
denten/-innen3 im Durchschnitt der Betriebe
bei 1,6 Prozent. Einzelne Betriebe weisen
10
Bahnindustrie (2013)
Luft- und Raumfahrtindustrie (2013)
Verarbeitendes Gewerbe (2011)
M+E-Industrie gesamt (2012)
Wirtschaftszweige gesamt (2012)
Gesundheits- und Sozialwesen (2011)
Maschinenbau (2011)
Werftindustrie (2013)
3,8
4,1
5,3
5,5
5,7
6,0
6,3
7,0
4951
Keine Vereinbarung
Vereinbarung vorhanden
Vereinbarung zum frühzeitigen AusstiegAngaben in Prozent
Ausbildungsquoten im Vergleich Angaben in Prozent
11
Quoten zwischen drei und sechs Prozent auf
(siehe Grafi k).
Strategische Personalentwicklung Neben der Nachwuchsrekrutierung sind die
Betriebe auch bemüht, ihre Beschäftigten
zu qualifi zieren. In rund 55 Prozent aller Be-
triebe existieren deshalb betriebliche Qua-
lifi zierungsprogramme. Deutlich weniger
verbreitet sind dagegen überbetriebliche
Qualifi zierungsprogramme, die nur in 38 Pro-
zent aller Betriebe angeboten werden (siehe
Grafi k unten). Dabei handelt es sich überwie-
gend um konzerngebundene Betriebe. Die
am weitesten verbreitete Form der Weiterbil-
dungsförderung scheinen Freistellungsrege-
lungen seitens des Arbeitgebers zu sein. Die-
ses Instrument nutzen fast 70 Prozent aller
Betriebe. Darüber hinaus bieten mehr als die
Hälfte aller Unternehmen auch fi nanzielle Zu-
wendungen an. Hier gibt es insgesamt noch
Entwicklungspotenziale.
Atypische BeschäftigungAtypische Arbeitsbedingungen sind in dieser
Branche weit verbreitet – mit allen daraus
resultierenden Folgen für die Beschäftigten
und die Interessenvertretungen. Befristete
Beschäftigungsverhältnisse – die eine Form
atypischer Beschäftigung darstellen – gehö-
ren innerhalb der Branche zur Ausnahme. Ge-
rade einmal 3,8 Prozent aller Beschäftigten
der Bahnindustrie haben einen befristeten
Arbeitsvertrag. Wobei in zwei der erfassten
Betriebe Quoten von zehn beziehungsweise
14,4 Prozent erreicht werden.
Anders sieht die Situation bei Leiharbeit
und Werkverträgen aus. Fast jede/r zehnte
Beschäftigte in der Bahnindustrie ist Leihar-
beiter/-in. Die Leiharbeitsquote beträgt im
Durchschnitt 9,2 Prozent, in mehreren Betrie-
ben liegt sie sogar deutlich höher. So sind
Werte von über 20 Prozent keine Seltenheit.
Ein Unternehmen erreicht den Spitzenwert
von fast 40 Prozent.
Die Leiharbeit ist zudem in nahezu allen Be-
trieben – und in allen Produktionsbereichen
– an der Tagesordnung. Während der über-
wiegende Teil der Leiharbeiter/-innen (78
Prozent) im gewerblichen Bereich beschäf-
tigt wird, sind immerhin weitere 16 Prozent
als Ingenieure/-innen tätig. Die verbleiben-
den sechs Prozent der Leiharbeiter/-innen
sind mit kaufmännischen Aufgaben befasst
(siehe Grafi k). Lediglich sechs der 35 befrag-
ten Betriebsräte gaben an, dass es in ihren
Betrieben keine Leiharbeit gibt.
Betriebliche Qualifi zierungsprogramme
Überbetriebliche Qualifi zierungsprogramme
Förderprogramme für Schulabgänger
Programme zur Personal- und Organisationsentwicklung 1 12 22
13 8 113
22 7 24
20 12 3
■ Ja ■ Nein ■ unbekannt ■ keine Angabe
Einsatzbereiche von Leiharbeitnehmern/-innen Angaben in Prozent
gewerblich kaufmännisch
5,578,1
Ingenieure/-innen
16,3
98,4
1,6
Beschäftigte
Werksstudenten/-innen
Anteil von Werkstudenten/-innenAngaben in Prozent
Qualifi zierungsprogramme in den Betrieben: Noch großes Entwicklungspotenzial
Absolute Zahl der befragten Betriebe
12
Nur zwölf der befragten Betriebe entlohnen
die Leiharbeiter/-innen nach dem Equal-Pay-
Prinzip. 43 Prozent aller Betriebsräte haben
diese Art der Gleichbehandlung für ihre Be-
triebe ausdrücklich verneint. Die offensicht-
lich nur ansatzweise vorhandene Regulierung
von Leiharbeit auf betrieblicher Ebene wird
auch dadurch bestätigt, dass nur in knapp 23
Prozent aller Betriebe eine Betriebsvereinba-
rung zur Leiharbeit existiert (siehe Grafi k).
Die nur selten vorhandenen Betriebsverein-
barungen zur Leiharbeit stehen in einem
deutlichen Kontrast zu den offensichtlich
damit entstehenden und existierenden Pro-
blemen. So wird an erster Stelle der mit der
Einarbeitung von Leiharbeitern/-innen ver-
bundene Zeitaufwand als belastend für die
Stammbeschäftigten beziehungsweise für
die Arbeitsabläufe beschrieben. Weiterhin
werden als Probleme genannt:
■ Verlust von Kernkompetenzen in den Be-
trieben, wo Leiharbeit insbesondere im
Ingenieursbereich eingesetzt wird;
■ niedrigere Entlohnung der Leiharbei-
ter/-innen führt zu „Missstimmung“ im
gesamten Betrieb;
■ zum Teil mehrjährige Einsatzdauer ver-
hindert Neueinstellungen;
■ unzureichende Unternehmensbindung
der Leiharbeiter/-innen stört Prozesse im
Produktionsablauf.
Werkverträge: schlechte DatenlageIn der Bahnindustrie verdrängen Werkverträ-
ge die tarifvertraglich zunehmend regulierte
Leiharbeit offensichtlich noch nicht so stark.
Nur ein Fünftel aller Betriebsräte konnte in den
letzten Jahren einen deutlichen Trend hin zu
Werkverträgen beobachten (siehe Grafi k).
Während die Betriebsräte bezüglich der Leih-
arbeit über relativ gute Informationen verfü-
gen, sieht die Datenlage bei den Werkverträ-
gen erheblich schlechter aus. Dies liegt auch
daran, dass Werkverträge weitestgehend
ohne Beteiligung der Interessenvertretungen
vergeben werden. So existiert nur in einem
der befragten Betriebe eine Betriebsverein-
barung zu Werkverträgen. Rund ein Fünftel
aller Betriebsräte werden bei der Vergabe
von Werkverträgen im Vorfeld beteiligt. Al-
lerdings erhalten nur in drei der befragten
Unternehmen die Betriebsräte vor der Ver-
gabeentscheidung eine Wirtschaftlichkeits-
rechnung zum jeweiligen Werkvertrag.
Für die befragten Betriebe lässt sich fest-
halten, dass die Werkvertragsquote bei 5,6
Prozent liegt (siehe Grafi k Seite 13). In meh-
reren Unternehmen lassen sich deutlich
überdurchschnittliche Werkvertragsquoten
feststellen. So sind Quoten zwischen 8,5 und
zwölf Prozent keine Seltenheit. Der Spitzen-
wert liegt bei 18,5 Prozent. Wie die Leihar-
beit, so kommen auch Werkverträge in fast
allen Arbeitsbereichen vor. Darunter fallen
unter anderem Logistik, Montage, Gleisbau,
aber auch Entwicklung und Engineering so-
wie IT-Administration.
Die Interessenvertretungen verfolgen beim
Thema Werkverträge unterschiedliche Stra-
tegien. So bietet sich offensichtlich für viele
Betriebsräte die Arbeitssicherheit an, um
mit den von den Werkvertragsunternehmen
eingestellten Beschäftigten ins Gespräch zu
kommen und über die Arbeitsbedingungen
zu sprechen. Grundsätzlich stehen die Be-
triebsräte jedoch vor dem Problem, dass der
Kontakt zu Werkvertragsarbeitern/-innen
deutlich schwieriger ist als beispielsweise zu
Vorhandene Betriebsvereinbarungen über Leiharbeit Angaben in Prozent
22,8
2,9
2,9
71,4
Nicht bekannt
Keine Angabe
Ja
Nein
Zunehmende Umwandlung von Leiharbeit in Werkverträge Angaben in Prozent
20,0
62,9
Ja
Nein
8,6
8,6Nicht bekannt
Keine Angabe
13
Leiharbeitern/-innen. Außerdem ist es für sie
problematisch, zu erkennen, ob es sich um
einen Werkvertrag, Leiharbeit, Dienstleis-
tungsvertrag oder um Scheinselbständigkeit
handelt.
In mehreren Betriebsräten wurden mittler-
weile Projektgruppen eingesetzt, die sich mit
der Thematik der Werkverträge beschäftigen.
Daraus sind auch gezielte Strategien zur An-
sprache von Werkvertragsarbeitern/-innen
entwickelt worden.
Hohe Bedeutung von Tarifverträgen Der hohe Verbreitungsgrad von Tarifverträ-
gen in der Bahnindustrie wird durch die Um-
frage bestätigt. Sie gelten in allen befragten
Betrieben und garantieren den Beschäftigten
damit tarifl ich abgesicherten Schutz. Gemes-
sen an allen erfassten Betrieben bedeutet
dies, dass rund 86 Prozent aller Beschäf-
tigten zu tarifl ichen Bedingungen arbeiten,
während rund 14 Prozent über- beziehungs-
weise außertarifl ich beschäftigt sind. Bei
Ingenieuren/-innen und Technikern/-innen
sind knapp 27 Prozent außer- oder überta-
rifl ich beschäftigt. Nur rund 14 Prozent aller
Beschäftigten arbeiten auf der Basis von
40-Stunden-Verträgen. Einen solchen Vertrag
besitzt aber rund ein Viertel aller Ingenieu-
re/-innen und Techniker/-innen.
Wege zu einer zukunfts- und wettbewerbsfähigen BahnindustrieDie hohe Beteiligung der Betriebsräte an
dieser Umfrage zeigt, dass das Thema der
Arbeits- und Produktionsbedingungen den
Interessenvertretungen „unter den Nägeln
brennt“. Aus den Ergebnissen und insbe-
sondere aus den Anmerkungen der Betriebs-
räte zu einzelnen Aspekten der Umfrage
lassen sich drei Handlungsfelder ableiten,
deren Ausgestaltung auch entscheidend für
eine weiterhin leistungsfähige Bahnindustrie
ist:
1. Verstärkte Ausbildungsaktivitäten und
Qualifi zierungsinitiativen sind zentral für
die gesamte Branche, um Fachkräfte zu
sichern.
2. Gute Arbeit und eine alter(n)sgerechte
Gestaltung der Arbeit wird zunehmend
wichtiger, wenn der Anteil älterer Be-
schäftigter wächst.
3. Leiharbeit und vor allem Werkverträge
erfordern eine stärkere Mitbestimmung
und Mitwirkung durch die Betriebsräte.
1 Ausbildungsquote = Anteil der Auszubildenden
an allen Beschäftigten2 Duales-Studium-Quote = Anteil der dual Studie-
renden an allen Beschäftigten3 Werkstudent/-innen-Quote = Anteil von Werkstu-
dent/-innen an allen Beschäftigten
Werkvertragsquote Angaben in Prozent
Werkvertrags-arbeitnehmer/
-innen
5,6
Stamm-beschäftigte
94,4
Die international als Hightech-Branche anerkannte deutsche Bahnindustrie ist auf hoch qualifi -
zierte Fachkräfte angewiesen. Mehr als ein Drittel aller Beschäftigten verfügt über einen Abschluss
als Ingenieur/-in oder Techniker/-in. Für eine nachhaltige Personalpolitik sind fünf Handlungs-
felder bedeutsam.
Fachkräfte und kann offene Stellen schon
heute nicht immer besetzen. Die niedrige
Ausbildungsquote weist darauf hin, dass die
Bahnindustrie nicht vorsorgt. Und nur jeder
zweite Betrieb verfügt über Weiterbildungs-
angebote. Die Grundpfeiler einer zukunftsfä-
higen, nachhaltigen Personalpolitik sind also
ziemlich wackelig.
4. Demografi scher Wandel und Beschäf-
tigungsstruktur: Die Altersstruktur in den
Betrieben der Bahnindustrie erzeugt aktuell
noch keinen Druck. Da fast sechs Prozent der
Beschäftigten über 60 Jahre alt sind und ganz
überwiegend in Vollzeit arbeiten, muss die
Gestaltung alter(n)sgerechter Arbeitsplät-
ze in den Fokus rücken. Schon heute muss
verstärkt an diejenigen gedacht werden, die
bald in die Altersgruppe der über 60-Jährigen
hineinwachsen. Außerdem muss die Branche
auch für weibliche Arbeitskräfte attraktiver
werden.
5. Gute Arbeit: Dieses Thema stellt große He-
rausforderungen, auch weil einige Betriebe zu
über 100 Prozent ausgelastet sind. Arbeitszeit-
konten und ständige Überstunden verweisen
auf den Dauerstress der Beschäftigten. Und
so lange eine nachhaltige Personalpolitik eine
Dauerbaustelle ist, wird das Signal für „Gute
Arbeit“ wohl kaum auf Grün überspringen.
Beschäftigung
Nachhaltige Personalpolitik
14
1. Beschäftigung sichern statt Personal ab-
bauen: Der Bahnverkehr wird in den künftigen
Mobilitätsstrategien eine (zunehmend) wich-
tigere Rolle spielen. Qualifi zierte Fachkräfte
zu erhalten muss für die Branche beziehungs-
weise für jedes Unternehmen in Deutschland
eine Leitlinie sein, um wettbewerbsfähig zu
bleiben. Wer bei Auftragsschwankungen und
dergleichen mit Personalabbau reagiert, lan-
det auf dem falschen Gleis.
2. Atypische Beschäftigung: 80 Prozent aller
Betriebe nutzen Leiharbeit. Und zwar nicht
nur, um Produktionsspitzen abzubauen. Da-
raus ergibt sich eine Vielzahl von Problemen:
■ Die Einarbeitung erfordert einen hohen
Zeitaufwand.
■ Die niedrige Entlohnung führt zur Miss-
stimmung im Betrieb und zu einem er-
höhten Druck auf die Stammbelegschaft.
■ Kernkompetenzen gehen verloren, wenn
Leiharbeiter/-innen sie zum anderen Ar-
beitgeber mitnehmen und neu Festange-
stellte darüber noch nicht verfügen.
Dass Leiharbeit zunehmend durch Werkver-
träge ersetzt wird, ist in der Bahnindustrie
noch nicht erkennbar.
3. Fachkräftesicherung, Ausbildung und
Qualifi zierung: Die Bahnindustrie konkur-
riert mit anderen Branchen um qualifi zierte
Betriebsräte sagen, was Sache ist
Jürgen Korstian, Bombardier, Netphen: „Für
Auftragsschwankungen und -änderungen
gibt es oft keine Personalreserven, was zu
Qualitätsverlusten führen kann.“
Armin Baumgarten, Siemens, Braunschweig:
„Auch wenn der demografi sche Wandel noch
kein drückendes Problem darstellt, darf kein
Erfahrungswissen verloren gehen. Alters-
gemischte Teams könnten diesem Risiko
pro-aktiv begegnen. Wichtig ist auch eine al-
ter(n)sgerechte Arbeitsplatzgestaltung.“
Carsten Bremer, IG Metall Peine, Salzgit-
ter: „Die Kollegen möchten gern den Quali-
tätsansprüchen nachkommen, was aber bei
dieser hohen Auslastung schwierig ist. Der
Leistungsdruck steigt, eine zunehmende
psychische Belastung stellen wir auch im ge-
werblichen Bereich fest.“
Michael Hummel, Thales, Stuttgart: „Ein
betriebliches Eingliederungsmanagement,
ein Demografi e-Tarifvertrag sowie eine poli-
tische Lobbyarbeit der IG Metall für die Rente
mit 60 sowie gegen Leiharbeit und Werkver-
träge sind angesagt.“
Karl-Heinz Beckers, Windhoff, Rheine: „Al-
ternsgerechtes Arbeiten in der Fertigung ist
bisher bei uns kein Thema. Wir sollten dabei
jedoch auch an die Büros denken. Wenn das
so weitergeht, müssen wir uns über Burnout,
steigende Krankheitsquoten und psychische
Belastungen nicht mehr wundern.“
Franz Böhme, Siemens, Wegberg: „Bei
Leihabeitern und Werkverträglern sollten wir
auf eine Festanstellung hinarbeiten. Bei uns
wurde schon ein Großteil von Leiharbeitern
übernommen. Warum? Weil es schwierig ist,
Leute zu fi nden – und neue Leute müssen
erst eingearbeitet werden.“
Mario Stahn, voerstalpine BWG, Branden-
burg: „Produktionsvolumen und Personal
klaffen auseinander. Es gibt keine vernünfti-
ge Planung. Deshalb werden bei uns zu we-
nig Auszubildende eingestellt.“
Rolf Lindemann, Alstom, Salzgitter: „Schwei-
ßer werden bei uns schon lange nicht mehr
ausgebildet, sondern gesucht. Wir müssen
‚alte Berufe’ wieder ausbilden, auch Elektri-
ker.“
Frank Tromp, Faiveley, Witten: „Um den Wis-
senstransfer von Alt auf Jung ist es schlecht
bestellt. Vor 10 bis 15 Jahren dachte man, das
machen wir künftig alles automatisch, aber
der Mensch ist nicht überall durch Roboter
ersetzbar. Roboter kennen die Spezifi katio-
nen nicht, Menschen handeln intuitiv und mit
ihren Erfahrungen richtiger.“
Lolita Saidy, Bombardier, Braunschweig:
„Know-how in der Bahntechnik ist sehr spezi-
fi sch und damit rar gesät. Bindung der Mitar-
beiter mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung
sollte für jede Firma an erster Stelle stehen.“
15
16
Die Globalisierung hält den Weltmarkt ständig in Bewegung. Der europäische Raum bleibt der
wichtigste Markt. Chinesische Hersteller, die bisher vor allem die Binnennachfrage befriedigen,
stoßen zunehmend nach Europa und Nordamerika vor. Dies kann hierzulande zu einem starken
Kostendruck führen.
Globaler Bahnmarkt wächst dynamischDie deutsche Bahnindustrie ist international
ausgerichtet. Sie setzt mittlerweile fast die
Hälfte ihrer Produkte außerhalb Deutsch-
lands ab. Seit 2008 wird der außereuropä-
ische Markt immer wichtiger. Der globale
Bahnmarkt wird sich weiter dynamisch ent-
wickeln.
Der attraktivste Markt mit dem höchsten
Marktvolumen bleibt der europäische Raum,
gefolgt von Asien, NAFTA und GUS. Europa ist
für die Bahnindustrie der entscheidende Trei-
ber, wenn es um innovative technologische
Lösungen (wie z. B. das European Rail Traffi c
Management System [ERTMS]) geht. Mit jähr-
lichen Raten von bis zu zehn Prozent ist in
den nächsten Jahren für den afrikanischen
und südamerikanischen Markt zu rechnen
(laut Prognosen des Verbands der Bahn-
industrie).
Wettbewerb nimmt international massiv zuDie Geschäfte der deutschen Bahnindustrie
verschieben sich von Europa zu den Wachs-
tumsmärkten in den Schwellenländern Asi-
ens, Afrikas und Südamerikas. Mittelfristig
wird ihr Engagement dort weiter zunehmen.
Die Bahnindustrie nutzt auf der einen Sei-
te Low-Cost-Standorte in Osteuropa, Asien
und in anderen Ländern als Komponenten-
lieferanten. Auf der anderen Seite zwingen
Local-Content-Vorschriften deutsche Unter-
nehmen, sich in den Wachstumsmärkten
zu engagieren und dort zu produzieren. Sie
bauen neue Werke/Standorte auf und gehen
global strategische Kooperationen ein.
Die aufstrebenden Staaten bauen seit eini-
gen Jahren eine eigene Bahnindustrie auf,
die sie massiv fördern – auch beim Export.
Zwar deckt zum Beispiel die chinesische
Bahnindustrie bisher vorwiegend den Be-
darf des eigenen Landes, aber langfristig will
sie in die europäischen und nordamerikani-
schen Märkte vorstoßen. Versuche, in Europa
aufzutreten, gibt es schon (beispielsweise in
Polen oder Bulgarien). Auch Bahnunterneh-
men anderer Länder – wie beispielsweise
Hitachi aus Japan – sind in Europa präsent
und erfolgreich.
Heute gehören die chinesischen Hersteller
CSR und CNR zu den Umsatzstärksten der
Branche und nehmen auf der weltweiten
Rangliste die Plätze 1 und 3 ein. Die neuen
Machtverhältnisse sind nicht auf eine struk-
turelle Schwäche der etablierten Systemhäu-
ser (Bombardier, Alstom und Siemens) zu-
rückzuführen, sondern darauf, dass CNR und
CSR auf einem politisch gesteuerten Heimat-
markt mit gigantischen Hochgeschwindig-
keits- und Metroprojekten operieren. Die chi-
nesische Bahnindustrie muss aber erst noch
beweisen, ob sie außerhalb des eigenen Lan-
des Fuß fassen kann. Mit der Verschiebung
der Marktanteile in die Schwellenländer wird
die Standortfrage wieder neu gestellt: Wo wird
produziert? Wo wird entwickelt?
Deutsche Unternehmen reagieren unzureichendDie Reaktion der deutschen Unternehmen
auf diese Entwicklung ist unzureichend. Sie
fahren zwar unterschiedliche Strategien:
Beispielsweise im Rohbau fertigt Alstom in
Polen, Stadler und Siemens produzieren in
Deutschland, Bombardier geht in Low-Cost-
Countries. Gemeinsam haben sie allerdings,
dass sich ihre Ausweichstrategien im Lohn-
und Arbeitsdruck auf die Beschäftigten (davon
sind alle Bereiche betroffen – die Produktion
wie auch die Entwicklung) oder teilweise in
Verlagerungen (zum Beispiel einfacher Kons-
truktionsaufgaben nach Indien) widerspie-
Globalisierung
Standorte in Deutschland
geln, statt die hiesigen Standorte innovativ
weiterzuentwickeln.
Die deutschen Standorte werden sich statt-
dessen immer mehr auf ihre Kernkompeten-
zen zurückziehen. Ihr Wertschöpfungsanteil
konzentriert sich auf komplexere Montagetä-
tigkeiten beziehungsweise Forschungs- und
Entwicklungsaktivitäten, die weniger beschäf-
tigungsintensiv sind. Die Wachstumsmärkte
ziehen perspektivisch auch immer stärker
Anteile an höher qualifi zierten Tätigkeiten
an sich, so dass zunehmend Arbeitsplätze an
heimischen Standorten gefährdet werden. All
dies führt dazu, dass die Standortkonkurrenz
auch innerhalb von Unternehmen und Konzer-
nen zunimmt.
Qualitäts- statt KostenwettbewerbDie deutsche Bahnindustrie kann im rei-
nen Kostenwettbewerb mit aufstrebenden
Schwellenländern nicht bestehen. In der
Massenproduktion werden diese schnell
eine Zuglänge voraus sein. Die Wettbewerbs-
fähigkeit kann die deutsche Bahnindustrie
nur über herausragende Qualität sichern.
Investitionen und Beschäftigung stehen oft-
mals im Konfl ikt mit dem Renditewahn der Ei-
gentümer. Vielfach geht es heute nur noch um
kurzfristige Gewinnziele und um Quartalszah-
len. Solche Geschäftsmodelle greifen zu kurz.
Sie schwächen die eigene Innovationskraft,
statt selbst Innovationstreiber zu sein.
Die Entwicklung in der deutschen Bahnin-
dustrie ist nicht nachhaltig. Sie gefährdet de-
ren bisherige Stärke, mit gut ausgebildeten
Fachkräften qualitativ hochwertige Produkte
herzustellen. Den internationalen Wettbe-
werb kann die Bahnindustrie aber nur mit
hoch motivierten Beschäftigten und ihren
Fähigkeiten, Fertigkeiten und ihrem Fachwis-
sen gewinnen.
Qualität erfordert Innovationen und MitbestimmungEs wird für die heimische Bahnindustrie aus-
schlaggebend sein, ob sie ihre Innovationsfä-
higkeit weiterentwickeln kann. Eine wichtige
Frage dabei ist, wie das Fachwissen der Be-
schäftigten und die betrieblichen Mitbestim-
mungsstrukturen gefördert werden können,
um Beschäftigung zu sichern und die betrieb-
liche Innovationsfähigkeit zu erhöhen. Inno-
vationen lassen sich nur mit qualifi zierten
Beschäftigten erfolgreich gestalten, denen
Gute Arbeit geboten wird. Deren Know-how
gehört in den Mittelpunkt und damit auch die
Frage, wie der Bedarf an gut ausgebildeten
Beschäftigten gedeckt werden kann. Zudem
bestätigen zahlreiche wissenschaftliche Un-
tersuchungen, dass die Innovationsfähigkeit
maßgeblich von einer akzeptierten und geleb-
ten Mitbestimmungspraxis profi tiert.
Betriebsräte können also als Innovationstrei-
ber eine wichtige Rolle spielen. Beschäftigte
liefern als Ideengeber oft die entscheidenden
Impulse. Es geht darum, „Besser statt billi-
ger“-Strategien zu entwickeln und umzusetzen.
Internationaler fairer WettbewerbsrahmenDie internationale Arbeitsteilung braucht
einen fairen Rahmen. Davon kann noch kei-
ne Rede sein. So boomt in den Schwellen-
ländern die Wirtschaft, aber die Schere zwi-
schen Arm und Reich klafft immer weiter aus-
einander. Es rächt sich, dass der internationa-
le Handel bislang kein Instrument ist, das auf
verbesserte Arbeits- und Lebensbedingungen
in den ärmeren Ländern setzt. Die bilatera-
len Freihandelsabkommen, die zum Beispiel
die EU-Kommission derzeit mit Drittländern
abschließt, müssen deshalb zumindest die
Sozialstandards und arbeitsrechtlichen Min-
destnormen der Internationalen Arbeitsorga-
nisation (IAO) verbindlich verankern. Freihan-
delsabkommen sollten Märkte öffnen, aber
nicht das soziale Gefüge zerstören.
17
Betriebsräte sagen, was Sache ist
Volker Wattenberg, Siemens, Krefeld: „Ver-
stärkt fl ießt Know-how ab, das einen hohen
Kunden-Lieferanten-Mehrwert hat. Ebenso
steigen der Preis- und der Termindruck. Für
unsere Arbeitsplätze ist eine Deutschland-
strategie wichtig, die Europa im Blick hat.
Und für uns gilt ‚Mensch vor Marge’.“
Michael Wobst, Bombardier, Henningsdorf:
„Die Branchenbetriebsräte müssen häufi ger
an einen Tisch, um ihre Kooperation zu ver-
stärken; dazu gehört auch ein Netzwerk der
Systemhersteller. Es muss darum gehen, wie
wir uns gemeinsam positionieren und welche
Konfl iktstrategien wir für ‚besser statt billi-
ger’ verfolgen wollen.“
Angelika Carl, Thales, Berlin: „Wir müssen
politisch Einfl uss nehmen, damit es einen
fairen Wettbewerb geben kann. Dazu gehö-
ren einheitliche Ausschreibungskriterien zu
Qualitätsstandards, zur Sicherheit und zu
Sozialstandards.“
Wer Produktion verlagert und Stand-orte schließt, gefährdet InnovationenDie deutsche Bahnindustrie zeichnet sich auch
dadurch aus, dass große Systemhäuser, Zu-
lieferer, Weichen- und Gleisbauer (noch) die
gesamte Wertschöpfungskette abdecken. Dies
war stets ein Vorteil, um Innovationen zu gene-
rieren. Allerdings werden zurzeit Produktions-
verlagerungen und Standortschließungen voll-
zogen oder angekündigt. Das wirkt sich nicht
nur auf die davon betroffenen Beschäftigten
negativ aus, sondern gefährdet auch die Inno-
vationskraft der gesamten Industrie.
Kerngeschäft oder Diversifi zierung?Innerhalb der Branche lassen sich heutzuta-
ge unterschiedliche Unternehmensstrategien
beobachten, um dem erhöhten Wettbewerbs-
druck zu begegnen: Auf der einen Seite wird
versucht, sich nur noch auf das eigentliche
Kerngeschäft zu konzentrieren. Auf der an-
deren Seite gibt es Tendenzen, das Angebot
an Produkten und Dienstleistungen zu diver-
sifi zieren. So beteiligen sich Siemens und
Bombardier an ÖPNV-Ausschreibungen für
den Betrieb inklusive Service von S-Bahnen
beziehungsweise Regionalbahnen; Alstom hat
ein Ausbesserungswerk der Deutschen Bahn
übernommen. Welcher Weg eingeschlagen
wird, entscheidet jedes Unternehmen für sich.
Die Betriebsräte müssen darauf achten, wel-
che Konsequenzen dadurch für die Beschäftig-
ten zu erwarten sind.
Innovation ohne Produktion?Die Produktion wird in einigen Betrieben zu-
gunsten von Entwicklung und Konstruktion
zurückgefahren. Angesichts von anscheinend
kostengünstigeren Produktionsstandorten
im Ausland werden in Deutschland auch so ge-
nannte Kompetenzzentren aufgebaut – ohne
direkt damit verbundene Produktionskapa-
zitäten. Beschäftigungssicherungsvereinba-
rungen und Standortgarantien sind nur zwei
Instrumente, mit denen Betriebsräte und
IG Metall dieser Arbeitgeberstrategie ent-
gegentreten können.
Ausspielen der Standorte gegeneinanderAbhängigkeiten von großen Konzernen
schränken die Spielräume an den Standorten
ein, auch die der örtlichen Betriebsräte. Insbe-
sondere bei den Betrieben, die zu den großen
Systemanbietern gehören, wird deutlich, dass
eigenständige Entscheidungen und Strategien
an den jeweiligen Standorten zusehends sel-
tener werden. Die wachsende Abhängigkeit
von den Konzernzentralen wirkt sich oftmals
ungünstig auf die Flexibilität und Innovations-
fähigkeit der einzelnen Standorte aus. Die ört-
lichen Betriebsräte müssen sich deshalb noch
intensiver miteinander abstimmen, auch um
nicht gegeneinander ausgespielt zu werden.
Fairer Umgang: Hersteller und ZuliefererDie Abhängigkeit der Zulieferer von den gro-
ßen Endherstellern hat in den letzten Jahren
deren Lage verschlechtert. Entwicklungspro-
zesse und die damit verbundenen Risiken
werden ihnen zunehmend übertragen. Zudem
leiden sie unter wachsendem Kostendruck –
zum Teil in Form von Preisdiktaten. Eine auf ge-
genseitiger Fairness basierende Kooperation
zwischen Systemanbietern/Großkunden und
Zulieferern ist immer seltener anzutreffen. Um
die Wertschöpfungskette in Deutschland in-
takt zu halten und zu stärken, bleibt ein fairer
Umgang zwischen den Unternehmen unerläss-
lich. Ein ausschließlich auf Profi tmaximierung
einzelner Unternehmen ausgerichteter Wett-
bewerb schadet mittel- und langfristig dem
gesamten Industriezweig.
18
Noch deckt die deutsche Bahnindustrie nahezu die gesamte Wertschöpfungskette ab. Um dies
auch für die Zukunft zu gewährleisten, gilt es, gleichermaßen Produktion und Innovation an den
Standorten zu stärken. Die wachsende Abhängigkeit von Konzernzentralen beeinträchtigt oftmals
die Flexibilität und Innovationsfähigkeit vor Ort.
Wertschöpfung
Produktion und Innovation
19
Betriebsräte sagen, was Sache ist
Roland Schuster, Bombardier, Mannheim:
„Bombardier hat seine Wertschöpfungskette
nicht in Deutschland, anders als Siemens.
Wird an einem Standort nicht mehr produ-
ziert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch
Ingenieurtätigkeiten verlagert werden. Damit
beginnt die Strategie, Standorte gegenein-
ander auszuspielen, und zwar nicht nur hier
bei uns im Land, sondern europaweit. Immer
öfter geschieht dies, indem Stundensätze
verglichen werden.“
Bernd Lauenroth, IG Metall, Zweigbüro Düs-
seldorf: „Polen und Brasilien sind nicht so
günstig, wie es immer dargestellt wird: Aus-
geblendet werden Transferkosten und die
Kosten der hohen Fluktuation der Mitarbei-
ter, die nach einer guten Ausbildung oft ei-
nen noch attraktiveren Arbeitsplatz fi nden.
Die tatsächlichen Kosten-Nutzen-Fakten bei
Verlagerungen werden dem Aufsichtsrat nicht
offen auf den Tisch gelegt. Dann gibt es zwar
auf dem Papier den billigeren Zulieferer aus
China. Aber wenn aus Qualitätsgründen Teile
immer wieder zurückgeschickt werden müs-
sen, werden die Nachhaltigkeitskosten nicht
mehr betrachtet.“
Jörg Werner, Fahrzeugtechnik Bahnen, Des-
sau: „Billig, billig ist nicht immer das Wahn-
sinnsthema. Oft steht der Zeitfaktor im Vor-
dergrund. Der große Druck bei der zeitlichen
Planung liefert dann auch die ‚Argumente’ für
Werkverträge und Leiharbeiter.“
Heinz-Georg Mesaros und Ilhan Kenan,
TSTG, Schienentechnik, Duisburg: „Die
Wertschöpfungskette wird oft nur in einzel-
nen Abschnitten und isoliert betrachtet: Da
ordert der Einkauf preisgünstig Teile und
steht bombig da. Aber die Produktion muss
dann Qualitätsmängel ‚ausbügeln’. Wenn die
Rechnung unter dem Strich nicht stimmt, ist
das ein hausgemachtes Problem.“
Gerd Kaczmarek, Bombardier, Bautzen: „Fast
überall fehlen nachhaltige Zukunftskonzepte.
Folgekosten, die entstehen, weil man sich zu-
vor beim Personal zu Tode gespart hat, wer-
den nicht berücksichtigt. Das Stellwerk der
Bahn in Mainz ist nur ein konkretes Beispiel.
Und in der Industrie werden oft die Kosten der
Nacharbeit unter den Teppich gekehrt.“
Bernd Eberle, Alstom, Salzgitter: „Im Bran-
chenausschuss müssen wir unsere Strate-
giediskussionen verstärken. Und wir sollten
die Unternehmensstrategien dann über die
Betriebsräte, den Gesamtbetriebsrat und
unsere Mitglieder im Aufsichtsrat erheblich
stärker beeinfl ussen. Bei guter Auftragslage
ist die Zusammenarbeit der Arbeitnehmer-
seite natürlich immer einfacher. Aber gerade
wenn es nicht so gut läuft, kommt es darauf
an, dass die Betriebsräte in einem Konzern
zusammenhalten und zusammen handeln.“
Josef Kreutz, Talbot Services, Aachen: „Die
Schließung von Standorten dient oft der
Marktbereinigung – wie bei der TSTG. Das
führt dann zu dauerhaftem Know-how-Ver-
lust und zum Arbeitsplatzabbau. Die Politik
fordert zwar immer lautstark Vielfalt und
Wettbewerb, aber sie lässt das Gegenteil
geschehen. Damit verliert die Industrie an
Bedeutung.“
Samuel Pitters, voestalpine BWG, Butzbach:
„Die Politik ist oft der Auftraggeber. Gerade
die Auftragsvergabe der öffentlichen Hand
an den billigsten Anbieter wirkt sich stets ne-
gativ auf die Qualität und die Beschäftigung
aus. Nutzen wir hier unseren Einfl uss genü-
gend?“
Bernd Rosin, Bombardier, Schweiz: „Innova-
tion ohne Produktion ist kein nachhaltiges
Konzept. Wird die Wertschöpfungskette wei-
ter zerrissen, steigen die Qualitätsproble-
me.“
Dietmar Giesen, DB Fahrzeugtechnik, Kre-
feld: „Nicht nur Standorte stehen unter-
einander in Konkurrenz, sondern auch ein-
zelne Abteilungen. Der Blick aufs Ganze fehlt.
Wer Produktion auslagert, reduziert die Ferti-
gungstiefe und erhöht die Kosten.“
Mobilitätswende mit der Bahn?Alle Parteien sind sich einig, dass die Bahn
bei der Mobilitätswende bedeutsam ist, auch
wenn das Bekenntnis hierzu unterschiedlich
stark ausfällt. „Die Bahn sollte bei der Mobi-
litätswende eine zentrale Rolle spielen. Sie
ist auch – die Energiewende unterstützend
– am leichtesten auf Erneuerbare Energien
umstellbar, und zwar wesentlich einfacher
als Lkw und Schiffe“, betonte Anton Hofreiter
von den „Grünen“. Zur Bahn hätten alle Men-
schen Zugang – zum Auto nur, wer einen Füh-
rerschein und das Geld für die Anschaffung
habe. Für die Bahn sprächen also soziale
wie ökologische Gründe. Darüber hinaus sei
auch der Güterverkehr für ein Land wichtig,
das exportiert und importiert.
„Der Fokus muss jetzt darauf gerichtet wer-
den, die Kapazitäten der Schiene zu steigern
und den Netzgedanken in der Verkehrspolitik
zu stärken“, erklärte Sören Barol (SPD).
Patrick Döring (FDP) verwies darauf, dass
der Bund die Finanzierung des Nah- und
Fernverkehrs sicherstelle. „Der Anteil der
Schiene muss erhöht, um den richtigen Weg
muss gerungen werden.“ Folgende Aufga-
ben müssten in der Zukunft gelöst werden:
Engpässe überwinden, mehr Züge für den
Fernverkehr, Infrastruktur und Lärmschutz
verbessern. „Gleisanschlüsse für Firmen
können wieder aktiviert werden, wenn die
Kapazitätsprobleme behoben sind“, sagte
der FDP-Politiker.
Für Die Linke ist „die Bahn das Rückgrat der
Mobilitätswende. Wir brauchen eine sozi-
al-ökologische Mobilitätswende zugunsten
der Schiene in Europa“, sagte Sabine Leidig.
Man dürfe nicht allein darauf achten, die Pas-
20
Dass die Bahn bei der Mobilitätswende unverzichtbar ist, darin waren sich die Parteienvertreter
einig. Unterschiedlich beurteilten sie die Fragen nach dem Sinn und Nutzen der Privatisierung
und ob die Bahn mehr Geld braucht, um ihre Herausforderungen zu bewältigen. Zur Rolle des
Eisenbahnbundesamtes gab es keine nennenswerte Kontroverse.
Politik: Welche Bahn braucht die Mobilitätswende?
Kein gemeinsames Signal
Welche Bahn braucht die Mobilitätswende? Über diese Frage diskutierten die folgenden Vertre-
ter und eine Vertreterin der Fraktionen des Deutschen Bundestags auf der Bahnkonferenz der
IG Metall Ende September 2013 in Frankfurt/Main (von links):
Sören Bartol, MdB, Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Dr. Anton Hofreiter, MdB, Fraktion Die Grünen, Vorsitzender des Verkehrsausschusses des
Deutschen Bundestags
Patrick Döring, MdB, Generalsekretär der FDP
Sabine Leidig, MdB, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke
(Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion war auch eingeladen.)
Moderation: Judith Schulte-Loh, Journalistin und Moderatorin, WDR
21
sagierzahlen zu steigern. „Wir brauchen eine
Flächenbahn für alle. Genau davon entfernen
wir uns in vielen Regionen des Landes. Der
Anteil der Bahn ist in den letzten Jahren nicht
mehr gestiegen. Aber der Neubau von Stra-
ßen.“
Mehr Geld für die Bahn?Ob die Bahn mehr Geld braucht, um den künf-
tigen Herausforderungen gerecht zu werden,
beurteilten die Parteien unterschiedlich.
Sören Bartol erklärte: „Wir benötigen zusätz-
liches Geld für die Bahn. Deshalb muss auch
die Lkw-Maut ausgedehnt werden. Bisher
werden aber die Prioritäten falsch gesetzt.
Mehr Geld für die Vernetzung und für die
Substanz (Brücken) ist erforderlich. Der Be-
stand muss komplett geprüft werden.“ Der
SPD-Politiker verlangte auch zusätzliche Fi-
nanzmittel für Forschung und Entwicklung
der Bahn. Riesige Summen würden in die
Elektromobilität fl ießen. Vorhandenes Geld
müsse verstärkt in die „Elektro-Schiene“ ge-
steckt werden, die längst funktioniere.
Widerspruch hierzu formulierte Anton Hofrei-
ter: „Man darf nicht immer nach mehr Geld
für die Bahn schreien. Zuerst muss auf der
Basis eines vernünftigen Bundesverkehrs-
wegeplans klar sein, wofür das Geld benötigt
wird. Ist die Unterfi nanzierung der Infrastruk-
tur bei der Bahn wirklich dramatisch? Wird
das Geld für die richtigen Sachen ausgege-
ben? Nein!“
Für Patrick Döring sind „Investitionen für die
Bahn wichtig. Aber sie können aus vorhande-
nen Steuerspielräumen fi nanziert werden.“
Sabine Leidig plädierte dafür, den „schädli-
chen Verkehr“ zu reduzieren. Nötig sei eine
höhere Lkw-Maut, für die Straßen müsse es
weniger öffentliche Subventionen geben. Die
Politikerin der Linken verwies darauf, „dass
Kommunen und Landkreise wegen der Schul-
denbremse beim Verkehr in Schwierigkeiten
geraten, auch beim ÖPNV auf der Schiene.
Die Mittel müssen umverteilt werden.“ Sie
sprach sich generell dagegen aus, dass „bil-
lig“ zum Hauptkriterium bei Ausschreibun-
gen für Bahnprojekte wird.
Ist Privatisierung sinnvoll?Die Notwendigkeit und die Folgen der Bahn-
privatisierung beurteilten die Parteienvertre-
ter auch unterschiedlich. „Die Bahn ist ins-
gesamt deutlich attraktiver geworden, auch
wenn sie unter Mehdorn nicht die besten Jah-
re erlebt hat. Der neue Vorstandschef Grube
ist besser. Er geht Kapazitätsprobleme und
Engpässe im Netz an und will sie beseitigen“,
sagte Sören Bartol. „Wir brauchen mehr Neu-
baustrecken.“
Nach Meinung von Sabine Leidig „ist die
Bahn vor allem auf Privatisierung getrimmt
worden. Alle Ziele, die damit verbunden wa-
ren, sind gescheitert: Weder sind die Investi-
tionen noch ist der Service besser geworden.
Der massive Stellenabbau der letzten Jah-
Riesige Summen fl ießen
in die Elektromobilität.
Vorhandenes Geld muss
verstärkt in die „Elek-
tro-Schiene“ gesteckt
werden, die längst
funktioniert.
22
Kein „heißes Eisen“ war
in der Parteien-Diskus-
sion das Zulassungsver-
fahren des Eisenbahn-
bundesamtes.
re hat die Sicherheit beeinträchtigt und zu
Chaos (S-Bahn in Berlin, Stellwerk in Mainz)
geführt. Ein solches Unternehmen, das eine
gesellschaftliche Aufgabe erfüllen muss, zu
privatisieren und am Gewinn zu orientieren,
ist eine grundlegende Frage.“ Um Geld zu
sparen, werde der „Lärmterror“ des Güter-
verkehrs nicht wirksam bekämpft – und der
Verkehr in Europa werde noch wachsen. Die
Linken-Politikerin forderte eine „Abkehr von
unsinnigen Groß-/Prestigeprojekten, die nie-
mand braucht – wie Stuttgart 21“.
Patrick Döring hielt dagegen: „Eine solide Er-
tragskraft der Bahn ist auch für die Bahnindus-
trie wichtig. Eine Sehnsucht (Renaissance)
nach der alten Behörden-Bahn lehnt die FDP
ab.“
Zulassung vereinfachen?Kein „heißes Eisen“ war in der Parteien-Dis-
kussion das Zulassungsverfahren des Eisen-
bahnbundesamtes (EBA). Anton Hofreiter
sah hier nicht die „Hauptbaustelle“. Er fragte
aber, ob das EBA auch künftig alles machen
müsse. Der Grünen-Politiker betonte aller-
dings: „Bei der Zulassung ist eine Stichtags-
regelung notwendig. Es darf nicht ständig
neue Regulierungen geben.“ Rückblickend
sagte er: „Die Bahnindustrie hat sich in den
letzten 20 Jahren schwer getan. Bis dahin lag
alles in den Händen der Bundesbahn. Das
EBA hat die Bahnindustrie erst an die Hand
genommen.“
Patrick Döring stimmte einer Stichtagsre-
gelung zu. Auch müsse das EBA „nicht alles
machen. Für die Luftfahrt- und Autoindus-
trie werden bei der Zulassung auch andere
Wege beschritten.“ Man müsse aber davon
wegkommen, dass nach dem Eschede-Urteil
EBA-Beamte auch persönlich haften.
Schließung des Duisburger Schienenwerks TSTG ist falschDie IG Metall Duisburg-Dinslaken hat
sich bis zuletzt dagegen gewehrt, dass
der österreichische Konzern voestalpi-
ne sein Schienenwerk in Deutschland
(TSTG Schienen Technik) schließt. „Es
hat ernsthafte und seriöse Kaufi nter-
essenten gegeben, die von voestalpine
abgeblockt wurden“, sagt Dieter Lies-
ke, der 1. Bevollmächtigte. Hier gehe
es allein darum, den Schienenmarkt zu
bereinigen und das Angebot künstlich
zu verknappen, damit die Preise wie-
der steigen. „Der Konzern aus Linz will
so vor allem dafür sorgen, dass sein
eigenes Schienenwerk in Leoben-Do-
nawitz dauerhaft und stabil ausgelastet
bleibt.“
Die TSTG in Duisburg war zuletzt mit
knapp 400 Beschäftigten der einzige
Anbieter sämtlicher Schienenprofi le in
Europa, die benötigt werden.
23
Klimaschutz im Verkehr
Bahn und MobilitätswendeDie Bahn gilt schlechthin als das umweltfreundlichste motorisierte Verkehrsmittel. Doch Frage-
zeichen sind erlaubt, meint Florian Hacker vom Öko-Institut, einer Forschungs- und Beratungsein-
richtung in Freiburg. Sie könnte mehr tun für den Klimaschutz.*
Der Umweltvorteil der Bahn verringert sich,
da die Pkw technisch immer effi zienter wer-
den – gezwungen durch die CO2-Regelung
der Europäischen Union. Die Fernreisebusse
– als neue Konkurrenz der Bahn – schnei-
den im CO2-Vergleich noch günstiger ab.
Den Anteil erneuerbarer Energien am Bahn-
strommix zu erhöhen, „ist ein wichtiger Stell-
hebel. Die bisherigen Ziele sind aber wenig
ambitioniert. Die Grünstrom-Angebote der
DB AG sind für die Kunden nicht transpa-
rent. Und aus der Strombereitstellung lässt
sich kein relevanter Umweltnutzen ableiten“,
sagte Florian Hacker. Er plädierte dafür, die
Energieeffi zienz stärker zu beachten, und
zwar geht es darum, den Energieverbrauch
im Fahrzeugbetrieb und der Infrastruktur zu
reduzieren.
Mehr Verkehr auf die SchieneInsgesamt genügen die politischen Weichen-
stellungen im Personen- und Güterverkehr
nicht, „um die Energie- und Klimaziele der
Bundesregierung zu erreichen“. Der Schienen-
verkehr steigt nur im Gütertransport bei der
Verkehrsleistung deutlich an. Um die Ziele zu
erfüllen, kommt der Bahn in den gegenwärti-
gen Klimaschutzszenarien nur eine unterge-
ordnete Rolle zu: „In keinem Szenario des Per-
sonenverkehrs wird derzeit ein wesentlicher
Beitrag durch die Verlagerung von der Straße
beziehungsweise Luft auf die Schiene ange-
nommen.“
Florian Hacker meinte jedoch, dass die Ver-
kehrsverlagerung eine bedeutende Rolle
spielen kann, um die Klimaschutzziele zu
verwirklichen. Die Potenziale zur Verlagerung
des Verkehrs auf die Schiene sind bisher je-
doch wissenschaftlich kaum untersucht wor-
den: „Wie eine solche Verlagerung erreicht
werden kann, muss von der Politik und der
Bahn stärker thematisiert werden.“
Der wissenschaftliche Mitarbeiter des Frei-
burger Öko-Instituts fasste den Beitrag der
Bahn zur Mobilitätswende so zusammen:
■ Veränderungen im Verkehrssektor sind
notwendig, um die Energieziele im Ver-
kehr zu erreichen.
■ Die Mobilitätswende erfordert einen
ganzheitlichen Ansatz – vergleichbar
dem der Energiewende.
■ Ambitionierte Entwicklungen bei den An-
triebstechnologien und beim Kraftstoff,
deren Realisierung unsicher ist, bestim-
men die bisherigen Szenarien.
■ Verkehr zu vermeiden und Verkehr zu ver-
lagern: Das hat in bisherigen Szenarien
und in der Politik einen eher untergeord-
neten Stellenwert.
Florian Hacker betonte als Aufgabe: „Ziel
muss es sein, die Bedeutung der Bahn für
eine Mobilitätswende und die Erreichung der
Klimaschutzziele deutlich zu machen und in
eine neue Gesamtstrategie stärker zu inte-
grieren.“
* Der Text basiert auf
einem Referat, das auf
der Bahnkonferenz der
IG Metall im September
2013 gehalten wurde.
24
„Wie schaffen wir die Mobilitätswende?“ Mit dieser Frage beschäftigt sich Jürgen Kerner, ge-
schäftsführendes Vorstandsmitglied und Hauptkassierer der IG Metall, vor allem unter dem euro-
päischen Blickwinkel. Er formuliert dabei Anforderungen aus Sicht der Gewerkschaft. Dazu gehört
vor allem, die vorhandenen Verkehrsträger optimal zu integrieren sowie die Verkehrs- und Indus-
triepolitik europaweit zu koordinieren.*
Welche Rolle spielt künftig die Mobilität?
■ Mobilität – sowohl von Menschen als
auch der Transport von Rohstoffen und
Gütern – ist eine zentrale Grundlage für
Wohlstand und Beschäftigung.
■ Weltweit wird der Verkehr zunehmen, ins-
besondere in den BRIC-Staaten. Auch in
Deutschland – einem Transitland – wird
das Niveau hoch bleiben.
■ Mobilität hat negative Begleiterscheinun-
gen, insbesondere durch den Kohlendio-
xidausstoß sowie den Verbrauch knapper
und auch endlicher Rohstoffe.
■ Zudem stößt das heutige Verkehrssystem
durch Überlastung an seine Grenzen.
Daher muss heute eine realisierbare Per-
spektive entwickelt werden. Hierbei ist die
Industrie der Schlüssel zu Nachhaltigkeit,
wenn sie Ressourceneffi zienz und Innovati-
onsfähigkeit erhöht und verbindet. Das gilt
für die Energie- ebenso wie für die Mobili-
tätswende.
Die Herausforderung lautet, dem steigenden
Bedürfnis nach Mobilität umweltschonend
gerecht zu werden. Grundlage hierfür ist eine
Verkehrspolitik, die die Mobilitätsleistungen
aller Verkehrsträger – also Straße, Schiene,
Wasser und Luft – optimal integriert.
Die Zukunft liegt also in der Vernetzung der
verschiedenen Verkehrsträger, in intelligen-
teren und abgestimmten Verkehrssystemen
und in einer verkehrsträgerübergreifenden
Kommunikation. Dies stellt auch die Infra-
struktur vor neue Anforderungen.
Für den Güterverkehr etwa müssen effi zien-
te Knotenpunkte entwickelt werden, um den
kombinierten Verkehr zu stärken und ihn
deutlich schneller und fl exibler zu machen.
Das ist eine Herkulesaufgabe für die Politik in
Deutschland und in der Europäischen Union,
zumal es in Europa große Unterschiede gibt.
Frankreich konzentriert sich zum Beispiel auf
den Hochgeschwindigkeitsschienenverkehr,
in Spanien spielt der Fernbusverkehr eine
große Rolle.
Daher ist es lesenswert, was die EU-Kommis-
sion 2011 ins Weißbuch „Verkehr“ geschrie-
ben hat. Ihre Vision, wie wir im Jahr 2050
unsere Güter transportieren und wie wir uns
fortbewegen sollen, umfasst zehn Ziele:
1. Halbierung der mit konventionellem Kraft-
stoff betriebenen Pkw in Städten bis 2030,
vollständiger Verzicht bis 2050;
2. Erreichung eines 40-Prozent-Anteils CO2-
emissionsarmer Flugkraftstoffe bis 2050,
Verringerung der CO2-Emissionen von
Schiffen um mindestens 40 Prozent;
3. Verlagerung von 50 Prozent des Personen-
und Güterverkehrs mit einer Entfernung
über 300 Kilometern auf Bahn und Schiff;
4. Vollendung des europäischen Hochge-
schwindigkeitsschienennetzes bis 2050,
Aufrechterhaltung eines dichten Schie-
nennetzes;
5. Realisierung eines EU-weiten multimoda-
len transeuropäischen Verkehrsnetzes;
6. Anbindung aller Flughäfen an das Schie-
nennetz, vor allem an das Hochgeschwin-
digkeitsschienennetz, und aller Seehäfen
an das Güterschienenverkehrsnetz;
7. Vollendung eines gemeinsamen europäi-
schen Luftverkehrsraumes, Einführung ei-
ner Flugverkehrsmanagement-Infrastruk-
tur, eines Managementsystems für den
Land- und Schiffsverkehr und des Satelli-
tennavigationssystems Galileo;
8. Schaffung eines europäischen multimo-
dalen Verkehrsinformations-, Manage-
ment- und Zahlsystems;
Europaweit koordinierte Verkehrspolitik
Perspektiven entwickeln
Jürgen Kerner,
Hauptkassierer und
geschäftsführendes
Vorstandsmitglied der
IG Metall
* Der Text basiert auf
einem Referat, das auf
der Bahnkonferenz der
IG Metall im September
2013 gehalten wurde.
25
9. Senkung der Zahl der Unfalltoten im Stra-
ßenverkehr auf nahe Null, weltweit führen-
de Rolle in technischer Sicherheit und Ge-
fahrenabwehr bei allen Verkehrsträgern;
10. Umsetzung des Verursacher- und Nutzer-
prinzips bei den Kosten, größeres Engage-
ment des Privatsektors im Verkehr.
Die EU-Kommission erntete Lob und Kri-
tik. Die „Allianz Pro Schiene“ wertete die
Vorschläge als „starkes Signal für den Auf-
bruch in eine neue Mobilitätswelt“. Für den
Verband der Automobilindustrie sieht es
nach „planwirtschaftlichen Methoden von
gestern“ aus. Aus Sicht der IG Metall ist der
Umbau des Verkehrssystems in Richtung in-
tegrierter Mobilität angesichts der ökonomi-
schen, sozialen und ökologischen Herausfor-
derungen seit langem überfällig.
Allerdings liest sich das Weißbuch eher wie
ein Wunschkonzert. Nehmen wir die Bahn.
Deutschland überhöht die Liberalisierung des
Bahnmarkts, Frankreich bleibt bei seiner natio-
nalen Spielart der Industriepolitik. Ein Beispiel
ist die ICE-Verbindung Frankfurt am Main – Lon-
don. Im Oktober 2010 ist der erste ICE durch
den Eurotunnel unter dem Ärmelkanal gefah-
ren, eine öffentlichkeitswirksame Testfahrt.
Dann gab es drei Jahre lang Tauziehen. Die
französische Regierung und der Alstom-Kon-
zern versuchten zu verhindern, dass ICE-Zü-
ge von Siemens durch den Tunnel zwischen
Frankreich und Großbritannien fahren. Nun,
im Juni 2013, gab es grünes Licht. ICEs dürfen
fahren.
Ursprünglich wollte die Deutsche Bahn schon
2013 den Betrieb aufnehmen, sogar 2012 zu
den Olympischen Spielen in London hatte
der Bahnchef ins Spiel gebracht. Jetzt ist das
Jahr 2016 ins Auge gefasst.
Damit sind wir mitten in der europäischen
Bahnrealität. Sechs Jahre von der Testfahrt
bis zum Regelbetrieb! Es gibt nicht die eine
Zulassung für eine gesamte Strecke durch
mehrere Länder. In jedem Land muss eine
Einzelzulassung eingeholt werden. 20 ver-
schiedene Zugsicherungssysteme existieren
in der EU nebeneinander, obwohl mit dem Eu-
ropean Rail Traffi c Management System eine
technische Lösung vorhanden ist. Wie sollen
dann erst die großen Wünsche der EU-Kom-
mission verwirklicht werden? Offenbar fehlt
der politische Wille in den Mitgliedsstaaten
– und mittlerweile aufgrund der Sparpolitik
wohl auch das nötige Kleingeld.
Vor diesem Hintergrund erscheint der Ansatz
der EU-Kommission realitätsfremd. Außer-
dem spielen im Weißbuch die Verkehrs-
industrie und ihre Beschäftigten – und damit
die Träger von Wissen und Innovation – keine
Rolle. Es wird nicht erkannt, dass eine starke
Verkehrsindustrie mit sicheren und guten Ar-
beitsplätzen die Basis eines zukunftsfähigen
Verkehrssystems ist.
Wenn die Zahnräder von Forschung, Ent-
wicklung, Produktion und Wartung nicht gut
ineinander greifen, dann dreht sich auch das
große Rad eines Verkehrssystems nicht! Da-
her muss im ersten Schritt geklärt werden,
wo neue Autos, Bahnen, Busse, Flugzeuge,
Hubschrauber und Schiffe gebaut werden.
Kein Buchstabe steht dazu im Weißbuch!
Kaum einen Satz hört man dazu auch in der
deutschen Verkehrspolitik. Von übergreifen-
der Industriepolitik kann noch lange nicht
gesprochen werden.
Heute ist die deutsche Verkehrsindustrie
noch sehr gut aufgestellt, auch ein zukunfts-
fähiges Verkehrssystem mit- und auszuge-
stalten. Heute kann sie die Autos, Bahnen,
Flugzeuge und Schiffe sowie notwendige
Infrastrukturleistungen entwickeln und dann
auch produzieren, die für ein neues Mobili-
tätskonzept notwendig sind.
Dafür müssen wir aber auch heute entschei-
dende Fragen angehen: Wie kann der Tech-
nologievorsprung gehalten und ausgebaut
werden? Wie kann die notwendige Infrastruk-
tur bereitgestellt werden? An Innovations-
ideen mangelt es nicht.
Heute ist die deutsche
Verkehrsindustrie noch
sehr gut aufgestellt,
auch ein zukunftsfähi-
ges Verkehrssystem mit-
und auszugestalten.
Wie kaum eine andere Branche unterliegt die deutsche Bahnindustrie eigenen Gesetzmäßigkei-
ten. Sie hängt massiv von öffentlichen (Verkehrs-)Etats ab und damit von politischen Entscheidun-
gen. Verkehrspolitische Weichenstellungen in Europa und Deutschland bestimmen das künftige
Wachstum der Bahnindustrie. Für die (Fehl-)Entwicklungen der letzten Jahre waren fünf Punkte
von entscheidender Bedeutung.
1. Die falsche Konzernpolitik der Deutschen
Bahn: Die Entwicklung der Branche war
und ist untrennbar mit der Entwicklung der
Deutschen Bundesbahn beziehungsweise
der Deutschen Bahn AG verbunden. Mit der
Bahnreform von 1994 wurde die Systempart-
nerschaft der Hersteller und der Deutschen
Bahn (DB) aufgekündigt.
Durch die eingeleiteten Privatisierungs- und
Liberalisierungsprozesse auf dem traditio-
nellen Bahnmarkt veränderten sich die Wett-
bewerbsbedingungen für die Bahnindustrie
gravierend. Die Branche hat es seitdem nicht
mehr mit einem reinen Staatsunternehmen
zu tun, sondern mit auf Profi t und Rendite
ausgerichteten Bahnbetreibern. So tritt die
DB AG heute als „Global Player“ auf und kann
wegen der bestehenden Beherrschungsver-
träge zwischen der DB AG Holding und deren
Töchtern Mittel aus DB Station & Service,
DB Netz und DB Energie abziehen (auch Re-
gionalisierungsgelder), um ihre weltweiten
Aktivitäten zu fi nanzieren, anstatt diese für
Investitionen ins deutsche Bahnnetz einzu-
setzen. Zwar ist der Börsengang der DB AG
derzeit kein Thema, er ist aber lange noch
nicht vom Tisch. Die in der Vergangenheit
eingeleiteten Schritte gingen nicht nur zu
Lasten der Beschäftigten, sondern wirkten
sich auch gravierend auf die Beschaffungs-
politik der DB AG aus.
2. Der Investitionsstau bei der Verkehrs-
infrastruktur: Deutschland braucht als star-
ker Industriestandort moderne und leis-
tungsfähige Verkehrswege. Die Haushalts-
mittel des Bundes reichen dafür nicht aus.
Um das vorhandene Streckennetz zu erhalten
und den Nachholbedarf für die in der Vergan-
genheit unterlassene Erhaltung zu decken,
sind in den nächsten 15 Jahren jährlich 7,2
Milliarden Euro erforderlich – davon allein
1,5 Milliarden für die Schienenwege.
3. Zulassungsverfahren schadet Kunden und
der Bahnindustrie: In den letzten Jahren ist
das Zulassungsverfahren sehr komplex gewor-
den. Die Bahnindustrie hat sich auf die Verän-
derungen nicht rechtzeitig eingestellt und bei
der Zulassungsbehörde wurde systematisch
Personal abgebaut. Mit den Auswirkungen
haben zum einen die Bahnindustrie und die
Zulassungsbehörde zu kämpfen, weil Prüfun-
gen zwölf Monate und länger dauern können.
Zum anderen leiden die Kunden darunter, weil
die neuen Züge der DB verspätet ausgeliefert
werden. In das Zulassungsverfahren ist jedoch
Bewegung gekommen. So sollen künftig neben
Politik
Verkehrspolitik neu denken
26
27
Betriebsräte sagen, was Sache ist
Angelika Carl, Thales, Berlin: „Die Bahn
hat – anders als die Autoindustrie – nur eine
ganz schwache Lobby. Die Verkehrspolitik,
die aus Steuern fi nanziert wird, ist komplett
verfehlt. Es gibt kein Verkehrskonzept aus
einem Guss.“
Astrid Ziegler, IG Metall Vorstand, Frankfurt:
„Die Deutsche Bahn leidet darunter, dass al-
les dem Gewinn untergeordnet ist. Deshalb
investiert sie zum Beispiel zu wenig in neue
Technik.“
Udo Rauhert, Siemens, Berlin: „Die Konkur-
renz auf der Schiene läuft vor allem über
Personalkosten. Für alle Betreiber im Schie-
nenverkehr müssten gleiche Bedingungen
gelten – auch Tarifverträge. Ganzheitliche
Bedingungen für alle Betreiber – ob Flugzeug
oder Straße – wären ein langfristiges Ziel.“
Berndt Gubatz, Trans Tec, Vetschau: „Die
Politik muss sich mehr um ihr Eigentum
kümmern. Erforderlich ist eine umfassende
demokratische Kontrolle der Bahn, ins-
besondere der DB AG. Unabhängig davon
sind mehr Finanzmittel für den Bahnbetrieb
nötig.“
Johannes Kuipers, EVG, Frankfurt: „Es gibt
keine Defi nition dafür, welche gesamtge-
sellschaftlichen Aufgaben eine Verkehrsin-
frastruktur leisten muss. Wie sieht es aus
mit der erforderlichen Vernetzung der Ver-
kehrsträger? Sind integrierte öffentliche Ver-
kehrssysteme ein Ziel? Soll der Güterverkehr
auf die Straße? Muss es eine Anbindung der
Industriegebiete an das Schienennetz ge-
ben? Brauchen wir Gigaliner?“
dem Eisenbahnbundesamt auch andere Ein-
richtungen (wie der TÜV) Schienenfahrzeuge
zulassen können. Ob dieser Schritt zielführend
ist, muss sich erst noch beweisen.
4. Ein fehlgesteuerter europäischer Bahn-
markt: Im Zuge des europäischen Binnen-
markts nahm der Einfl uss der Europäischen
Kommission auf die Bahnindustrie zu. Ziel
der EU ist ein einheitlicher, liberalisierter
Bahnmarkt in Europa. Sie will so den Rah-
men für den freien Waren- und Personenver-
kehr schaffen. Die Industrie, die die Träger
und Infrastrukturen liefert, spielt dabei keine
Rolle. Bis zur Vollendung des einheitlichen
Eisenbahnraums Europa ist es noch ein lan-
ger Weg. Nationale Politiken dominieren. In
der Praxis existieren in Europa 20 verschie-
dene Zugsicherungssysteme nebeneinander,
obwohl bereits mit dem European Rail Traffi c
Management System (ERTMS) eine einheitli-
che technische Lösung existiert.
5. Heutige Mobilität stößt an Grenzen, nach-
haltige Mobilität braucht verlässliche Bahn:
Anlässlich der großen verkehrspolitischen
Herausforderungen ist eine verlässliche Bahn
zwingend notwendig. Hohe Wachstumszahlen
beim Personen- und Güterverkehr, enorme
Klimaprobleme und steigende Mobilitätskos-
ten gehören zu den Faktoren, die die derzei-
tige, auf den Individualverkehr konzentrierte
Mobilität in Frage stellen und zeigen, dass
das jetzige Verkehrs- und Mobilitätssystem
nicht ohne Weiteres fortgeschrieben werden
kann. Obwohl die Politik (unabhängig von der
Parteizugehörigkeit) seit einiger Zeit betont,
dass die Bahn das umweltfreundlichste Ver-
kehrsmittel ist und einen hohen Stellenwert in
nachhaltigen Mobilitätskonzepten der Zukunft
hat, wird bis heute nicht danach gehandelt. Ein
Umdenken in der Verkehrspolitik – beim Bund
und in der EU –, das der Bahn und damit auch
der Bahnindustrie einen prominenten Platz
einräumt, ist unbedingt erforderlich.
28
Viele Gr0ßprojekte – wie Stuttgart 21 und der Berliner Flughafen – erweisen sich als Fiasko.
Das meint der Ingenieur Dr. Wolfgang Neef, Lehrbeauftragter an der Technischen Universität Ber-
lin und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Attac. „Pleiten, Pech und Pannen“ sind ein
Resultat des renditegetriebenen „neoliberal radikalisierten Kapitalismus’“.*
Dr. Wolfgang Neef, Ingenieur und Lehrbeauftragter
Pleiten, Pech und Pannen
Wolfgang Neef benennt herrschende Glau-
benssätze (Paradigmen): „Der Kapitalismus
ist das leistungsfähigste System der Organisa-
tion technischer Entwicklung und Innovation“,
„Ohne Wachstum ist alles nichts“, „IT-Systeme
ersetzen die mit Fehlern behafteten Menschen
und sind perfekt“. Die Hauptthese seines Refe-
rats: „Die Epoche des kapitalistisch verfassten
Industrialismus’ stößt heute sozial, ökologisch
und stoffl ich an Grenzen, die mit den alten Pa-
radigmen nicht überwindbar sind.“
Die „neoliberale Radikalisierung“ hat für den
Ingenieur 1985 eingesetzt. Er machte sie an
sechs Punkten fest:
1. Konkurrenz: An die Stelle der Qualitäts-
ist eine Kostenkonkurrenz getreten. Dieser
Wettbewerb existiert innerbetrieblich zwi-
schen Abteilungen, Gruppen und einzelnen
Ingenieuren um „gute“ Projekte. Schon das
verhindert die „informelle“ Kooperation.
2. Kontrollwahn: Für Neef werden Unterneh-
mensziele auf Shareholder Value, Markt-
anteile und Rendite reduziert. Die immer
stärker dominierenden Geschäftsprozesse
überlagern die eigentliche Arbeit. Um das si-
cherzustellen, bekommen Entfremdung und
Kontrollwahn eine größere Bedeutung. Des-
halb beobachtet Neef eine verstärkte „innere
Emigration“ der guten technischen Fachleute.
3. Beschleunigung: Die Planungsperspek-
tiven sind auf maximal zwei bis drei Jahre
verkürzt worden, dann muss Geld zurück-
fl ießen. Technische Planungsstäbe wurden
reduziert oder gänzlich wegrationalisiert. Ein
„Hire and Fire“ gibt es inzwischen auch bei
technischen Fachkräften.
4. Überschätzung des Virtuellen: Die inner-
betriebliche Kommunikation wird heute über
IT-Systeme geführt, statt im direkten, persön-
lichen Dialog. Immer häufi ger fi nden Simula-
tionen statt, um reale Testzeiten zu verkürzen.
5. Outsourcing, Restrukturierung, Zeit- und
Leiharbeit: Qualifi zierte, engagierte Facharbei-
ter und Ingenieure werden zunehmend durch
extern eingekaufte Leiharbeiter ersetzt. Bei
Bombardier in Mannheim waren 60 Prozent
der Ingenieure, die für die Entwicklung elekt-
rischer Ausrüstungen von Lokomotiven einge-
setzt waren, als Werkvertragsnehmer/-innen
tätig. Ältere Ingenieure werden „entsorgt“, Un-
ternehmen durch Investoren „fi letiert“. Interne
Umstrukturierung und Outsourcing sind an der
Tagesordnung.
6. Korruption, kriminelle Geschäftsmetho-
den: Der reine Kostenwettbewerb führt zu
einer „Spirale nach unten“. Der „ehrliche
Kaufmann“ ist am Ende der Dumme.
In diesen „neoliberalen Radikalisierungen“
sieht Wolfgang Neef Gründe, die immer häu-
fi ger zu Pleiten, Pech und Pannen führen. „Es
gibt dauerhaft nichts Richtiges im Falschen“,
zitierte er abschließend Adorno.
* Der Text basiert auf
einem Referat, das auf
der Bahnkonferenz der
IG Metall im September
2013 gehalten wurde.
29
»Der Ruf der deutschen
Bahnindustrie wird ge-
schädigt. Geht Deutsch-
land mit der Sicherheit
zu weit? In jedem Fall
darf es keine neuen tech-
nischen Anforderungen
(Normveränderungen) während eines laufen-
den Zulassungsprozesses geben. Und ein-
zelne Referatsleiter dürfen ihre Erkenntnisse
nicht zu Zulassungsbedingungen erklären
und die Hersteller damit ‚erpressen’.«Michael Clausecker, Präsident des Verbands der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), Berlin
»Falsch ist, dass einzel-
ne Referatsleiter „eige-
nes Recht“ setzen. Und
kein EBA-Beamter wird
persönlich in Haftung
genommen; einzige Aus-
nahme ist die grobe Fahr-
lässigkeit. Die TSI (Technische Spezifi kation
für die Interoperabilität) ist nicht neu. Das
sind Anforderungen, die es früher schon in
Deutschland gab und die jetzt in 28 Staaten
gelten. Die Frage ist, ob sich die Industrie
für ihre Entwicklungen nicht zu wenig Zeit
lässt.«Ralf Schweinsberg, Vize-Präsident des Eisenbahn-bundesamts (EBA), Berlin
»Der Zulassungsprozess
ist für den Mittelstand
unkalkulierbar geworden.
Das betrifft sowohl den
Kosten- als auch den Zeit-
aufwand. Beides hängt
zusammen. Der Zeitauf-
wand hat sich vervierfacht. TSI ist ein „Wahn-
sinnsregelwerk“. Wer versteht das? Beim EBA,
das personalmäßig geschrumpft ist, geht
Know-how verloren. Mit den Gutachtern wird
das alles nicht viel besser.«Michael Mohaupt, Betriebsrat bei Windhoff, Rheine
»Wir leiden unter der
schlechten Presse. Das
Vertrauen muss erst wie-
der hergestellt werden.
Für Siemens steht aktu-
ell schon sehr viel Geld
auf dem Spiel. Wir sind
abhängig vom Eisenbahnbundesamt, den
Gutachtern und der DB AG. Sie sind die Ver-
ursacher der Situation. Wir haben den Ein-
druck, dass es manchmal auf rein subjektive
Wahrnehmungen ankommt, zum Beispiel bei
den Bremsfunktionen.«Volker Wattenberg, Betriebsrat bei Siemens, Krefeld
»Das Eisenbahnbundes-
amt gestaltet Prozesse
nicht mehr mit. Für das
Unternehmen hat sich der
Aufwand verzehnfacht.
Meine Erfahrung als Ent-
wicklungsingenieur reicht
bis 1988 zurück. Hatten wir früher einen Sach-
verständigen als permanenten Ansprechpart-
ner, so haben wir es heute mit zwei Gutach-
tern zu tun. Die an die Sicherheit gestellten
Anforderungen müssen rechtzeitig bekannt
sein.«Volkmar Pohl, stellvertretender Betriebsratsvorsit-zender bei Bombardier Transportation, Hennigsdorf
»Wir hatten aktuell bei
Dieseltriebfahrzeugen
für Stellwerkbetriebe und
bei Doppelstockzügen
reichlich Erfahrungen mit
dem Eisenbahnbundes-
amt sammeln können.
Längst nach der Vertragsunterzeichnung –
also während der Herstellung – sind immer
wieder neue Nachweisaufl agen gemacht
worden. Also es gab immer wieder überra-
schende Regeln.«Frank Siewert, Betriebsrat bei Stadler, Pankow
Die Rolle des Eisenbahnbundesamts
Unterschiedliche Sichtweisen
30
Der Streit zwischen dem Eisenbahnbundesamt (EBA), das für die Zulassungen zuständig ist, und
der Bahnindustrie gipfelt in einem „Schwarzer-Peter-Spiel“. Die ständige Medienschelte führt zu
einem Imageschaden der Branche – sogar für die deutsche Industrie. Wer soll im Ausland Pro-
dukte kaufen, die im Herstellerland nicht zugelassen sind?
In den letzten Jahren wurden immer öfter
Fahrzeuge nach ihrer Fertigstellung nicht
zugelassen. Das betraf alle Hersteller. Die
dramatischen Zulassungsprobleme der deut-
schen Bahnindustrie haben für die Unter-
nehmen erhebliche fi nanzielle Folgen. „Ende
vergangenen Jahres [2012] haben rund 140
hochmoderne Züge im Wert von rund 550
Millionen Euro buchstäblich auf dem Abstell-
gleis gestanden.“ (VDB)
Die Bahnindustrie wirft dem EBA vor, dass
■ sich der Zulassungsprozess unnötig in
die Länge zieht,
■ Entscheidungen willkürlich gefällt wür-
den und der Ermessungsspielraum des
einzelnen Beschäftigten des EBA zu groß
sei.
Tatsache ist, dass das EBA seiner Aufsichts-
und Kontrollpfl icht kaum noch nachkommen
kann, weil über viele Jahre hinweg ein ständi-
ger Personalabbau erzwungen wurde. Insbe-
sondere zwischen 2006 und 2008 sank die
Zahl der Beschäftigten rapide.
Das Eisenbahnbundesamt wurde 1994 im
Zuge der Bahnreform gegründet. Dies been-
dete auch die Systempartnerschaft zwischen
den Herstellern und der Deutschen Bahn
(DB). Bis 1994 waren die Bundesbahnzen-
tralämter dafür verantwortlich, Fahrzeuge
zu entwickeln, jahrelang zu testen und zu-
zulassen. Dies geschah gemeinsam mit der
Industrie. Seit der Umwandlung der DB in die
Deutsche Bahn AG und der daraus folgenden
Neuausrichtung werden zugelassene Fahr-
zeuge bei der Industrie eingekauft. Eigenent-
wicklungen wie früher gibt es nicht mehr. Die
Zulassungsverantwortung wurde dem neuge-
schaffenen EBA übertragen.
Sicherheit nachweisenNach der Bahnreform 1994 musste sich die
Bahnindustrie das Know-how aneignen, um
die Verantwortung (Risiko und Haftung) für
die Sicherheit zu übernehmen. Allerdings
wurde erst im Jahr 2012 im 5. Gesetz zur Än-
derung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes
(AEG) unmissverständlich festgeschrieben,
dass die Bahnindustrie für die Sicherheit
der Fahrzeuge entsprechend dem Stand der
Technik verantwortlich ist. „Nach der neuen
Gesetzesformulierung sind die Schienen-
fahrzeughersteller dafür verantwortlich, ein
sicheres Produkt für die Inbetriebnahme dem
Eisenbahnbundesamt vorzustellen“ (Prof.
Dr. Pörner, Hauptgeschäftsführer des VDB).
Anschließend sind die Fahrzeughalter für
die Sicherheit verantwortlich. Dieser Nach-
weis für die Sicherheit und die funktiona-
len Anforderungen erfolgt durch technische
Beschreibungen, Prüfberichte, Gutachten,
Sicherheitsnachweise und -analysen. Das
EBA überprüft bei der Erstinbetriebnahme
Bahnindustrie und Eisenbahnbundesamt
„Schwarzer-Peter-Spiel“?
Moderiert von Johannes
Hauber diskutieren
Ralf Schweinsberg (EBA)
und Michael Clausecker
(VDB) auf der Bahn-
konferenz der IG Metall
im September 2013
31
Das Eisenbahnbundes-
amt selbst legt keine
Anforderungen fest,
sondern überprüft,
ob die technischen
Regelwerke eingehalten
werden. Regeln werden
nicht überraschend neu
festgelegt.
die Sicherheit anhand der vorgelegten Nach-
weisführung entsprechend den aktuellen
Normen.
Diese Normen werden in Normenaus-
schüssen festgelegt, in denen Vertreter der
Bahnindustrie „stark vertreten“ sind, so Ge-
rald Hörster, Präsident des Eisenbahnbun-
desamts. Das bedeutet, alle Normen werden
mit Zustimmung auch der Industrie nach
anerkannten Regeln der Technik entwickelt.
Insofern dürfte es bei der Einführung neuer
Normen keine Überraschungen geben, wenn
sich die Unternehmen rechtzeitig darauf ein-
stellen. Dass dies nicht immer so ist, zeigte
die Sicherheitsrichtlinie Fahrzeug (SIRF), die
über zehn Jahre lang in den Fachausschüs-
sen beraten wurde. Basierend auf dem Be-
schluss im „Lenkungskreis Fahrzeuge“ (EBA/
VDB/DB AG/Verband Deutscher Verkehrsun-
ternehmen [VDV]) wurde die SIRF zum 1. Juni
2011 in Kraft gesetzt.
Trotzdem hat die Bahnindustrie es verschla-
fen, sich darauf vorzubereiten und konnte
die Fahrzeuge dadurch nicht rechtzeitig aus-
liefern.
Mit der SIRF wurde erstmalig die Nachweis-
führung des Bereichs „Funktionale Sicherheit
in Eisenbahnfahrzeugen“ komplett geregelt.
Der Dokumentationsaufwand nahm dadurch
zu. Er wurde allerdings nur dann erheblich
höher, wenn die Sicherheitsanforderungen
durch technische Lösungen nicht eindeutig
erreicht wurden. In diesen Fällen ist meistens
eine aufwändige Argumentation notwendig,
um die Sicherheit durch eine erwartete ange-
messene Kooperation von Mensch und Ma-
schine nachweisen zu können.
Regelwerk benennenDie Hersteller müssen im Antrag auf die In-
betriebnahme das nationale, europäische
oder internationale Regelwerk nennen, nach
dem das Fahrzeug zugelassen werden soll.
Das muss bereits in den Verträgen zwischen
dem Hersteller und dem Betreiber eindeutig
festgeschrieben sein. Wenn das nicht er-
folgt oder wenn sich die Übergabe der Do-
kumente an die Zulassungsbehörde wegen
Unvollständigkeit verzögert, können sich die
Regelwerke im Zulassungsprozess geändert
haben, bis der Zulassungsprozess in Gang
kommt. Dann kann das EBA die Formulierung
„entspricht der Norm“ nicht mehr unterzeich-
nen. Änderungen von Normen erfolgen, weil
sich die Technik laufend entwickelt und die
Normen entsprechend angepasst werden.
Professor Grubisic vom Fraunhofer Institut
für Betriebsfestigkeit und Systemzuver-
lässigkeit in Darmstadt sagte dazu in der
Branchenausschusssitzung Bahnindustrie
der IG Metall im September 2010: „Grund-
sätzlich sollte jeder erfahrene und verant-
wortungsvolle Eisenbahningenieur sich
dessen bewusst sein, dass Normen immer
nur das niedrigste technische Niveau einer
gemeinsamen Vereinbarung der beteiligten
32
‚Fachleute’ darstellen und schnell von der
Entwicklung überholt werden können, zumal
die Eisenbahnnormen oft nicht dem Stand
der Technik entsprechen.“
Das Eisenbahnbundesamt selbst legt kei-
ne Anforderungen fest, sondern überprüft,
ob die technischen Regelwerke eingehalten
werden. Regeln werden nicht überraschend
neu festgelegt. „Es kommt natürlich vor, dass
aus Sicherheitsgründen Veränderungen an
Fahrzeugen notwendig sind. Das gilt für den
bestehenden Fuhrpark wie für die Neuzulas-
sung“, sagt Gerald Hörster.
Der VDB hält dagegen, dass vom EBA Nach-
weisführungen über die Sicherheit in tech-
nischen Bereichen gefordert wurden, in de-
nen keine anerkannten Regeln der Technik
existieren würden (Axel Schuppe, VDB-Ge-
schäftsführer in der Eisenbahntechnische
Rundschau, Januar 2013).
Dritte können prüfenIm Dezember 2012 erhielt die Verordnung
über die Interoperabilität des transeuropä-
ischen Eisenbahnsystems (Transeuropäi-
sche-Eisenbahn-Interoperabilitätsverord-
nung [TEIV]) Gesetzeskraft. Darin ist auch
geregelt, dass die Serienzulassung für einen
Zeitraum von sieben Jahren ab Datum der
Inbetriebnahmegenehmigung des ersten
Fahrzeuges einer Serie gültig ist, längstens
jedoch bis zum Ende der Geltungsdauer der
zugrunde liegenden EG-Zertifi kate.
Um den Zulassungsprozess zu beschleunigen,
eine größere Verlässlichkeit bezüglich der an-
zuwendenden Normen zu erhalten und die
Verantwortlichkeiten noch klarer zu struktu-
rieren, verständigten sich die Sicherheitsbe-
hörde, die Hersteller der Eisenbahnfahrzeuge
und Komponenten sowie die Besteller und
Betreiber der Eisenbahnfahrzeuge (Bundes-
regierung, EBA, VDB, VDV) auf ein „Memoran-
dum of Understanding“. Darin wird den Mit-
gliedsunternehmen der Verbände empfohlen,
diese Vereinbarung anzuwenden.
Kern dieser Vereinbarung ist, dass bereits
existierende Zulassungsstellen – wie TÜV,
DEKRA usw. –, aber auch neu eingerichte-
te Stellen bei den Herstellern, sofern deren
organisatorische Unabhängigkeit gesichert
ist, in einer ersten Stufe die operative Si-
cherheitsüberprüfung übernehmen können.
In einer zweiten Stufe soll diese Beteiligung
Dritter auch gesetzlich verankert werden. Die
neuen Prüfi nstitutionen verpfl ichten sich,
entsprechend den europäischen und den na-
tionalen Prüfverfahren vorzugehen.
Für den Fall, dass nationales Regelwerk ab-
weichende Anforderungen beinhaltet, haben
die europäischen Regeln (TSI) Vorrang. Wenn
die TSI nicht eingehalten werden können,
kann der Hersteller beim EBA einen Antrag
nach TEIV, Paragraf 5, über Ausnahmen der
Anwendung Technischer Spezifi kationen für
das zuzulassende System stellen und diese
über ein mit dem EBA abgestimmtes, natio-
nales Regelwerk nachweisen.
Ermessensfragen bleiben „Die erstellten Prüferklärungen werden
dem EBA im Rahmen des Prüfverfahrens
vorgelegt.“ (Memorandum) „Im Normalfall
werden wir uns künftig darauf beschränken
können, festzustellen, ob die Nachweise,
die Hersteller und Prüfi nstitutionen vorle-
gen, vollständig und eindeutig sind“ (Hörs-
ter). Somit bleibt das EBA die Behörde, die
der Zulassung von Bahntechnik Rechtskraft
verleiht.
Auch nach dieser Verständigung werden
nicht alle strittigen Themen im Zulassungs-
prozess aus dem Wege geräumt sein.
Erste Erfahrungen zeigen, dass eine Be-
schleunigung des Verfahrens durch die Ände-
rung erreicht wird. Das sollte auch den mittel-
ständischen Unternehmen zu Gute kommen,
die auf einen komplexen Zulassungsprozess
nicht vorbereitet sind und diesen aus Kos-
tengründen wegen der kleinen Stückzahlen
kaum fi nanzieren können.
33
Der Konkurrenzdruck
und gesteigerte Gewinn-
erwartungen erhöhen
den Kostendruck.
Deshalb gibt es nicht
genügend Personal.
Zwar ist eine Serienzulassung (Bauartzulas-
sung) bereits heute möglich, aber die Zu-
lassung von Plattformen wird weiterhin ein
Streitpunkt sein, weil bei Veränderungen auf
Modulebene innerhalb einer Plattform immer
eine Kohärenzprüfung erforderlich bleiben
wird. Das heißt, es muss nachgewiesen wer-
den, dass „das zu betrachtende Fahrzeug mit
anderen Teilsystemen über defi nierte Schnitt-
stellen zusammenarbeiten kann“ (Handbuch
Eisenbahnfahrzeuge 2010) und neue Teilsys-
teme störungsfrei integriert wurden.
Ebenso bleibt es eine Ermessensfrage, ob in ei-
nem deterministischen Berechnungsverfahren
oder bei einer empirischen Nachweisführung
in einer Versuchsanordnung alle wichtigen Ein-
fl üsse, die bei der Betriebsbeanspruchung auf-
treten können, berücksichtigt wurden.
Unabhängigkeit des EBAInsbesondere bei nicht eindeutig geführtem
Nachweis, dass die geforderte Ausfallwahr-
scheinlichkeit (Safety Integrity Level [SIL]) un-
terschritten bleibt, kann es zu unterschiedli-
chen Bewertungen zwischen den Herstellern
und der Zulassungsbeörde kommen. Gerade
nach dem schrecklichen Unfall in Eschede
mit über 100 Toten und dem Achsbruch bei
einem ICE in Köln, der glücklicherweise ohne
Personenschaden blieb, ist der Versuch,
mögliche Risiken weitgehend auszuschlie-
ßen, nachvollziehbar.
Die Unabhängigkeit der Zulassungsbehörde
ist unabdingbar, auch weil sie immer wieder
politischem Druck ausgesetzt ist. Dies zeigt
auch die aktuelle Entscheidung des EBA zum
Planfeststellungsverfahren des Stuttgarter
Bahnhofs (S21). Laut des Vizepräsidenten
des EBA, Schweinsberg, wurde bezüglich
der Längsneigung von über 15‰ „kein ge-
sonderter Sicherheitsnachweis erbracht,
weil dieser nicht angefordert war“. Nach der
Eisenbahnordnung soll ein Bahnhof keine
stärkere Neigung als 2,5‰ aufweisen. Das
starke Gefälle birgt die Gefahr des unbeab-
sichtigten Wegrollens des Zuges bei einer
Bremsprobe, stellt daher eine Gefährdung
für die Fahrgäste dar und schließt ein Wen-
den von Zügen aus, weil eine Bremsprobe
nicht sicher möglich ist. Nach offi ziellem
Sprachgebrauch wird aus dem Hauptbahn-
hof ein Haltepunkt werden.
Kollegen der Bahnindustrie, die im Zulas-
sungsprozess arbeiten, sagen immer wieder,
dass viele Probleme hausgemacht seien. Das
betreffe schlecht geordnete Prozesse und
knappe Lieferzeiten. Das Risikomanagement
sei schwach ausgeprägt. Der Konkurrenzdruck
und gesteigerte Gewinnerwartungen erhöh-
ten den Kostendruck. Deshalb gebe es nicht
genügend Personal. Dies wirke sich insbeson-
dere in den Bereichen der Softwareentwick-
lung aus, weil hier die Entwicklungsaufwände
wegen gestiegener Komplexität zunähmen.
Zeitdruck tangiert SicherheitNach Ansicht des Branchenausschusses der
Bahnindustrie der IG Metall sind die Fahr-
zeuge technisch wesentlich anspruchsvoller
geworden. Aber es entsteht der Eindruck,
dass sich die Hersteller zu wenig Zeit für die
Entwicklung nehmen können.
Der Schienenverkehr ist die sicherste mo-
torisierte Art der Fortbewegung. Damit das
so bleibt, muss die Technik laufend auf den
aktuellen Sicherheitsstand gebracht werden.
Dazu sind Innovationen in der Technik und
auch im Denken von Sicherheit notwendig.
Die IG Metall-Betriebsräte der Bahnindustrie
fordern, dass
■ diese Innovationen erfolgen,
■ die Beschäftigten ihre Ideen und ihre Kre-
ativität einbringen können,
■ die notwendigen Personalressourcen be-
reitgestellt werden und
■ die Unternehmen für diese technologisch
anspruchsvollen Projekte mehr (genü-
gend) Zeit einplanen.
34
Im Oktober 2004 wurde der Branchenausschuss Bahnindustrie der IG Metall gegründet. Von An-
fang an hatten die Betriebsräte das Ziel, sich hier über ihre tägliche Arbeit auszutauschen, zu der
die Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten, Beschäftigungsverhältnisse sowie die Aus- und Weiterbil-
dung gehören. Im Mittelpunkt stand aber auch – als zweite Säule – die politische Lobbyarbeit, um
Arbeitsplätze zu sichern. Damit gibt der Branchenausschuss den Beschäftigten in der Bahnindus-
trie eine laute Stimme.
Im Branchenausschuss sind die Betriebs-
räte der großen und mittelständischen Un-
ternehmen der Bahnindustrie – Fahrzeug-,
Leit- und Sicherungstechnik, Schienen- und
Weichenhersteller sowie von Zulieferern,
die für das System Bahn produzieren – ver-
treten. Gegenwärtig arbeiten Betriebsräte
aus 56 Betrieben mit. Sie treffen sich min-
destens zweimal im Jahr, um Informationen
auszutauschen und gemeinsame Positionen
zu formulieren. Seit 2006 veranstaltet der
Branchenausschuss jedes Jahr eine größere
Konferenz der IG Metall, die dem Dialog mit
allen Bahnindustrie-Akteuren dient.
Druck auf PolitikMit dem Branchenausschuss wollen die IG Me-
tall und die Betriebsräte ihre Position gegen-
über der Politik verstärken und Druck aus-
üben, um verkehrspolitische Entscheidungen
zu verändern. Die Metaller/-innen weigern
sich hinzunehmen, dass immer nur über
„Mehr Verkehr auf die Schiene“ geredet wird
– und tatsächlich geschieht das Gegenteil.
Anstelle von Prestigeprojekten wie „Stuttgart
21“ brauchen die Beschäftigten und die Wirt-
schaft sowie die Menschen in Deutschland
einen Ausbau des gesamten Bahnnetzes für
den Personen- und Güterverkehr.
Die Entscheidungen darüber, wie viel Ver-
kehr über die Schiene abgewickelt wird,
fallen nach wie vor auf der politischen
Ebene. Sie dürfen aber nicht allein den
Politikern überlassen werden. Wenn die
IG Metall mit ihren Betriebsräten einen
Kurswechsel für ein Gutes Leben erreichen
will, geht es um Existenz sichernde Ein-
kommen und Gute Arbeit sowie um eine
intakte Umwelt (insbesondere das Welt-
klima) – und damit auch um die Perspektiven
industrieller Entwicklung. Fragen der Mobi-
lität haben dabei eine wichtige Bedeutung.
Mit der kontinuierlichen Zusammenarbeit
gelingt es den Betriebsräten, solidarische
Positionen zu erreichen und gemeinsame
Strategien zu erarbeiten.
Umweltfreundlicher SchienenverkehrDer Schienenverkehr ist das sicherste und
umweltfreundlichste motorisierte Verkehrs-
mittel. Die Eisenbahn fährt seit über 100
Jahren elektrisch. Dezentrale regenerative
Stromversorgung ist möglich, womit sich die
Umweltfreundlichkeit noch steigern ließe.
Branchenausschuss Bahnindustrie der IG Metall
Stimme der Beschäftigten
Die IG Metall fordert von
der Politik ein verkehrs-
politisches Konzept
zur Mobilität, wobei
Beschäftigungsaspekte
und Umweltgesichts-
punkte einen hohen
Stellenwert haben
müssen. So können
Arbeitsplätze erhalten
und neue geschaffen
werden.
35
Wegen seiner Antriebs-
technik und der Bau-
weise, mit weitgehender
Recyclingfähigkeit des
Gesamtprodukts,
schont der Schienen-
verkehr auch die Res-
sourcen.
Wegen seiner Antriebstechnik und der Bau-
weise mit weitgehender Recyclingfähigkeit
des Gesamtprodukts schont der Schienen-
verkehr auch die Ressourcen. Er sichert die
Mobilität in der Zukunft. Daher ist sein wei-
terer Ausbau zwingend notwendig. Die Bahn-
industrie erzeugt Hochtechnologie – mit
hoch qualifi zierten Beschäftigten.
Auf breites Bündnis setzenDer Branchenausschuss Bahnindustrie der
IG Metall versteht sich als ein Netzwerk und
strebt daher eine enge Zusammenarbeit mit
allen relevanten Interessenverbänden an.
Eine intensivere Kooperation mit der Eisen-
bahngewerkschaft EVG besteht bereits seit
Jahren. Die IG Metall ist seit 2007 Mitglied im
Bündnis „Bahn für alle“.
Die gemeinsamen Ziele dieser Bündnispart-
ner sind unter anderem, die Kapitalpriva-
tisierung der Bahn zu verhindern und den
Schienenverkehr auszubauen. Die politi-
schen Entscheidungsträger müssen hier ihre
Verantwortung ernstnehmen: „Der direkte
Zugriff der demokratischen Institutionen
auf die Bahn muss erhalten bleiben und ge-
sichert werden“, heißt es in einer Erklärung
des Branchenausschusses aus dem Jahr
2008. Dann könne erreicht werden, dass die
Bahn ihrer Verpfl ichtung zur Daseinsvorsor-
ge in puncto Mobilität nachkommen kann.
Der Branchenausschuss arbeitet themenbe-
zogen mit wissenschaftlichen Institutionen
zusammen. Bei seinen Veranstaltungen sind
regelmäßig hochrangige Vertreter aus Poli-
tik, Wirtschaft und Verbänden vertreten.
In den Sitzungen des Branchenausschusses
und bei den jährlichen Konferenzen kommen
alle Themen auf den Tisch, die die Arbeit der
Betriebsräte betreffen. Dazu gehören
■ aktuelle politische Entscheidungen, zum
Beispiel über Gelder für die Regionali-
sierung, LangLkw/Gigaliner, Bundesver-
kehrswegeplan und Gemeindeverkehrs-
fi nanzierungsgesetz, Entscheidungen der
EU-Kommission und Probleme aus der
Globalisierung der Bahnindustrie;
■ gewerkschafts- und betriebspolitische
Themen der IG Metall (zum Beispiel atypi-
sche Arbeitsverhältnisse [Leiharbeit und
Werkverträge], ganzheitlicher Arbeits-
und Gesundheitsschutz, Gestaltung von
Arbeitsplätzen, Ausbildung und Über-
nahme, demografi scher Wandel) und die
Bahnindustrie als Innovationsmotor.
Betriebliche Solidarität organisierenDer Informationsaustausch im Branchenaus-
schuss ist die Basis, um in Krisensituationen
Solidarität zu organisieren für Beschäftigte
in Betrieben, die besonderen Angriffen – wie
Personalabbau oder gar Betriebsschließun-
gen – ausgesetzt sind.
Im Branchenausschuss und auf der Bahn-
konferenz der IG Metall werden gemeinsame
Stellungnahmen zu aktuellen politischen
36
Themen und Positionen abgestimmt und di-
rekt an die politischen Entscheidungsträger
gerichtet.
Globalisierung ist Alltag. Die Branchenarbeit
ist international vernetzt. Der Branchenaus-
schuss war daran beteiligt, die gewerkschaft-
liche Zusammenarbeit auf europäischer
Ebene herzustellen. Heute besteht beim Ge-
werkschaftsbund IndustriAll Europe ein Fo-
rum für die Vertreter der Beschäftigten der
Bahnindustrie in Europa. Regelmäßige Treffen
gewährleisten einen Informations- und Mei-
nungsaustausch. So kann eine gewerkschaft-
liche Zusammenarbeit grenzüberschreitend
funktionieren. Den international agierenden
Unternehmen kann und muss eine Interessen-
vertretung der Beschäftigten auf europäischer
Ebene gegenübergestellt werden.
Unterstützt wird der Branchenausschuss
durch die Vorstandsverwaltung der IG Me-
tall mit Informationen und Analysen über die
wirtschaftliche Entwicklung der Bahnindus-
trie, Trends in Forschung und Entwicklung so-
wie über politische Rahmenbedingungen auf
nationaler und internationaler Ebene. Das
trägt dazu bei, den strukturellen Wandel der
Branche und der Regionen aktiv zu begleiten,
um Arbeitsplätze zu sichern.
• ALSTOM Transport Deutschland GmbH, Salzgitter
• Bahntechnik Brand-Erbisdorf GmbH, Brand-Erbisdorf
• Balfour Beatty Rail GmbH, Bochum/Frankfurt
• Bochumer Verein Verkehrstechnik GmbH, Bochum
• Bochumer Verein Verkehrstechnik GmbH, Werk Ilsenburg
• Bombardier Transportation Signal Germany GmbH,
Braunschweig
• Bombardier Transportation GmbH, Mannheim
• Bombardier Transportation GmbH, Bautzen
• Bombardier Transportation GmbH, Siegen-Netphen
• Bombardier Transportation GmbH, Kassel
• Bombardier Transportation GmbH, Hennigsdorf
• Bombardier Transportation GmbH, Frankfurt
• Bombardier Transportation GmbH, Oberwil/Schweiz
• Bombardier Transportation GR, Görlitz
• Bombardier Transportation (Propulsion&Controls)
Germany GmbH, Hennigsdorf
• Cattron-Theimeg Europe GmbH & Co. KG, Mönchen-
gladbach
• DB Waggonbau Niesky GmbH, Niesky
• DB Fahrzeuginstandhaltung
• DB Regio AG, Frankfurt
• FTD Fahrzeugtechnik Bahnen Dessau GmbH, Dessau
• Faiveley Transport Witten GmbH, Witten
• Franz Kaminski Waggonbau GmbH, Hameln
• Gebrüder Bode GmbH & Co. KG, Kassel
• GHH-Radsatz GmbH, Oberhausen
• Gmeinder Lokomotiven GmbH, Mosbach
• Knorr-Bremse Systeme für Schienenfahrzeuge GmbH,
München
• PCS Power Converter Solutions GmbH, Berlin
Betriebsräte aus folgenden Betrieben arbeiten im Branchenausschuss mit
• Westfälische Lokomotiv-Fabrik Reuschling Werk
GmbH & Co. KG, Hattingen
• Schaltbau GmbH, Aldersbach/München
• Schreck-Mieves Balfour Beatty Rail GmbH, Frechen
• Schunk Bahn- und Industrietechnik GmbH, Wettenberg
• Siemens AG, Krefeld
• Siemens AG, Braunschweig
• Siemens AG, Erlangen
• Siemens AG, Berlin
• Siemens AG, Luhe
• Siemens AG, Prüfcenter Wegberg-Wildenrath Trans-
portation Systems
• Siemens AG, München
• Stadler Pankow GmbH, Berlin
• Talbot Services GmbH, Aachen
• Thales Transportation Systems GmbH, Berlin
• Thales Transportation Systems GmbH, Arnstadt
• Thales Transportation Systems GmbH, Stuttgart
• TransTec Vetschau GmbH, Vetschau
• TSTG Schienen Technik GmbH & Co. KG, Duisburg
• voestalpine BWG GmbH, Butzbach
• voestalpine BWG GmbH, Brandenburg
• Voith Turbo Scharfenberg GmbH & Co. KG, Salzgitter
• Voith Turbo GmbH & Co. KG, Heidenheim
• Vossloh AG, Werdohl
• Vossloh Kiepe GmbH, Düsseldorf
• Vossloh Locomotives GmbH, Kiel
• Verkehrsbetriebe Peine-Salzgitter, Peine
• Verkehrsbetriebe Peine-Salzgitter, Salzgitter
• Waggonbau Graaff GmbH, Elze
• Windhoff Bahn- und Anlagentechnik GmbH, Rheine
Astrid Ziegler, Leiterin des
Ressorts Industrie-, Struktur-
und Energiepolitik beim
Vorstand der IG Metall.
IG Metall Vorstand
Wilhelm-Leuschner-Str 79
60329 Frankfurt/Main
E-Mail: astrid.ziegler
@igmetall.de
Telefon: 0 69/66 93-24 42
Bernd Lauenroth
koordiniert die Bran-
chenarbeit.
IG Metall Vorstand-
Zweigbüro
Roßstraße 94
40476 Düsseldorf
E-Mail: bernd.lauenroth
@igmetall.de
Telefon: 02 11/9 65 03-118