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7/21/2019 Moderne http://slidepdf.com/reader/full/moderne-56da353183d6a 1/9 Moderne - Sprachkrise . Vor allem der Brief  gilt als kanonischer und programmatischer Text der Jahrhundertwende und der frühen Moderne. Der Lord und Malte sind Schriftsteller, und diese Sprachkrise führt dau, da! "eide ange"lich nicht mehr er#hlen und schrei"en k$nnen, o"wohl ihre Texte, also der  Brief und die Aufzeichnungen, %on ihnen noch geschrie"en werden. &eide leiden unter der 'ntauglichkeit der Sprache, die nicht die (wecke erfüllt, die sie ihrer )nsicht nach erfüllen mü!te, und konstatieren die 'nm$glichkeit u er#hlen, o"wohl es "eide, indem sie %on sich sel"st er#hlen, dennoch tun. Lord *handos spricht die +idersprüchlichkeit seines Tuns sel"st aus )"er was %ersuche ich wiederum +orte, die ich %erschworen ha"e-  3.3 Hugo von Hofmannsthals Brief  (1902) Der Brief  handelt %on einem expliit ausgesprochenen und für die Jahrhundertwende  programmatischen (erfallsproe! %on +ahrnehmung, Denken und Sprache. Vor dem radikalen (usammen"ruch, den Lord *handos so %ehement erleidet und %on dem er sel"st retrospekti% /rancis &acon mit dem Brief  "erichtet, erschien ihm 0in einer )rt %on andauernder Trunkenheit das gane Dasein als gro!e 1inheit2 3&rief 45. *handos hat %or seinem (usammen"ruch ein ni%ellierendes Verst#ndnis und 1mpfinden %on allen Dingen in der +elt. Das alles umfassende 1inheits6 und 7anheitsdenken, in dem sich der Monismus der Jahrhundertwende spiegelt, he"t  8egliche Differen %on 9atur, 7esellschaft und Su"8ekt in einer )rt rauschhaftem 9aturustand auf.:; 1r schrei"t %on sich <=>n allem fühlte ich 9atur <...> und in aller 9atur fühlte ich mich sel"er <...>. 3&rief 45

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Moderne - Sprachkrise

.

Vor allem der Brief  gilt als kanonischer und programmatischer Text der Jahrhundertwende undder frühen Moderne. Der Lord und Malte sind Schriftsteller, und diese Sprachkrise führt dau,

da! "eide ange"lich nicht mehr er#hlen und schrei"en k$nnen, o"wohl ihre Texte, also der Brief 

und die Aufzeichnungen, %on ihnen noch geschrie"en werden. &eide leiden unter der

'ntauglichkeit der Sprache, die nicht die (wecke erfüllt, die sie ihrer )nsicht nach erfüllenmü!te, und konstatieren die 'nm$glichkeit u er#hlen, o"wohl es "eide, indem sie %on sich

sel"st er#hlen, dennoch tun. Lord *handos spricht die +idersprüchlichkeit seines Tuns sel"staus

)"er was %ersuche ich wiederum +orte, die ich %erschworen ha"e- 

3.3 Hugo von Hofmannsthals Brief  (1902)

Der Brief  handelt %on einem expliit ausgesprochenen und für die Jahrhundertwende

 programmatischen (erfallsproe! %on +ahrnehmung, Denken und Sprache. Vor dem radikalen

(usammen"ruch, den Lord *handos so %ehement erleidet und %on dem er sel"st retrospekti%

/rancis &acon mit dem Brief  "erichtet, erschien ihm 0in einer )rt %on andauernder Trunkenheitdas gane Dasein als gro!e 1inheit2 3&rief 45. *handos hat %or seinem (usammen"ruch ein

ni%ellierendes Verst#ndnis und 1mpfinden %on allen Dingen in der +elt. Das alles umfassende1inheits6 und 7anheitsdenken, in dem sich der Monismus der Jahrhundertwende spiegelt, he"t

 8egliche Differen %on 9atur, 7esellschaft und Su"8ekt in einer )rt rauschhaftem 9aturustandauf.:; 1r schrei"t %on sich

<=>n allem fühlte ich 9atur <...> und in aller 9atur fühlte ich mich sel"er <...>. 3&rief 45

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Die 1ine"nung der Differenen wischen allen Dingen findet ihre &egründung in der

1mpfindung des Su"8ekts. Lord *handos legitimiert seine )nsicht und gesamte +eltsicht alleindadurch, da! er sie empfindet. +eil er so empfindet, ist es so. Der Lord empfindet, fühlt keine

Differenen, er registriert sie nicht, o" sie nun gege"en sind oder nicht. 1r nimmt keine+idersprüche wahr und findet sich sowohl in der 9atur als auch in der 7esellschaft %ollkommen

widerspruchsfrei wieder. 1s herrscht eine umfassende 9i%ellierung

Das eine war wie das andere <...>. 3&rief 45

/ür das =ch gi"t es kein 9icht6=ch, welches das =ch nicht schon durchdrungen h#tte. Das andere

geh$rt immer schon um =ch, wird %on ihm %ereinnahmt. *handos nimmt die grunds#tliche

Differen wischen erkennendem Su"8ekt und den ?"8ekten, die er als Su"8ekt kogniti%%erar"eitet, und seien dies andere Su"8ekte, nicht wahr. 1r hat sich als =ch so sehr erh$ht und

erweitert, da! er alles umfa!t. Dies ist durchaus pro"lematisch, denn a"gesehen %on der

grunds#tlichen Su"8ekt6?"8ekt6@ro"lematik Aü"ersiehtB der Lord die soialen Differenen der

feudalistischen Classengesellschaft, deren Teil er ist. )ls adeliger 9utnie!er des /eudalsstemsnegiert er die strukturellen Differenen innerhal" der 7esellschaft und sein "egrentes

+ahrnehmungs%erm$gen l#!t die hierarchisch strukturierte 7esellschaft als =dlle erscheinen. 1sist smptomatisch für die elit#re und dissoiale 7eisteshaltung des Lords, da! er sp#ter ein tiefes

1mpfinden für Tiere und )lltagsgegenst#nde entwickelt, a"er nicht für seine Mitmenschen aus

den unteren gesellschaftlichen Classen. Schon %or seinem (usammen"ruch hat der Lord ein

un"emerktes +ahrnehmungspro"lem. Denn er ignoriert Differenen.

)uf die @hase des 1inheits6 und 7anheitsempfindens, "ei dem alles in einem gro!en sinn%ollen(usammenhang steht, folgt die erst$rerische Crisenerfahrung *handos %erliert %$llig die

/#higkeit, 0ü"er irgend etwas usammenh#ngend u denken oder u sprechen.2 3&rief E5 Jeder

Le"ens"ereich wird %on dieser (erst$rung "etroffen. 9ach den 0religi$se<n> )uffassungen2

3&rief E5, die keine +ahrheiten mehr sind, sondern u )llegorien %erkommen, werden auch die0irdischen &egriffe2 3e"d.5 erfa!t. 1s wird dem Lord unm$glich, 0ein h$heres oder allgemeineres

Thema u "esprechen und da"ei 8ene +orte in den Mund u nehmen, deren sich doch alle Men6schen ohne &edenken gel#ufig u "edienen pflegen.2 3e"d.5 Die 0a"strakten +orte, deren sich

doch die (unge naturgem#! "edienen mu!, um irgendwelches 'rteil an den Tag u ge"en,2

3&rief Ef.5 werden für Lord *handos unannehm"ar. )uch die $ffentlichen &elange, die)ngelegenheiten der )llgemeinheit und ulett sogar der praktische, pri%ate und h#uslicheLe"ens"ereich in seiner "analen )llt#glichkeit werden affiiert und sind für Lord *handos

sowohl gedanklich als auch sprachlich nicht mehr u "ew#ltigen. Das Denken und demgem#!e

Sprechen in den Mustern und Categorien des tagt#glichen praktischen Le"ens werden ur

'nm$glichkeit

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1s wurden mir auch im famili#ren und haus"ackenen 7espr#ch alle die 'rteile, die leichthin und

mit schlafwandelnder Sicherheit a"gege"en u werden pflegen, so "edenklich, da! ich aufh$renmu!te, an solchen 7espr#chen irgend teilunehmen. 3&rief F5

Die allgemein ü"liche und gewohnheitsgem#! unreflektiert %erwendete Sprache, das mit ihr

%er"undene Denken und die dementsprechenden 'rteile werden %on Lord *handos ü"erdachtund werden schlie!lich A"edenklichB, das hei!t die Verwendung der Sprache wird reflektiert und

sie wird schlie!lich für unhalt"ar und un"rauch"ar erachtet. Die mit "linder Sicherheit

%erwendete Sprache "edeutet für das Su"8ekt eine Sel"stsicherheit, weil es seiner sel"st in der+elt sicher ist, wenn es sprachlich und gedanklich ü"er sie %erfügen kann. Mit dem Verlust der

sprachlichen Sicherheit %erliert der Lord auch die Sicherheit seiner sel"st. 1r ist als =ndi%iduumnicht mehr natürlich, sel"st%erst#ndlich und fraglos. (usammen mit der Sprache schlie!t sich

Lord *handos nicht nur %om "egrenten Sprechen und Denken der 7emeinschaft aus, sondern

auch %om soialen Le"en insgesamt. 1r %ersteht die 7esellschaft und deren +elt nicht mehr. Das

+elt%erh#ltnis, das sich ü"er den 0%ereinfachenden &lick der 7ewohnheit2 3&rief F5 realisierte,er"richt, weil alles, was in dieser +eise wahrgenommen wird und seinen )usdruck findet, dem

Lord 0so un"eweis"ar, so lügenhaft, so l$cherig wie nur m$glich2 3e"d.5 erscheint. Die tradierte,

kon%entionelle Sprache und das Denken in ihr sind für Lord *handos wie auch für 9ietsche

eine Lüge. Sie stellen nicht mehr den ad#Guaten und wahrhaftigen )usdruck für das Dasein unddie Dinge ur Verfügung und er$ffnen keine trag"are @erspekti%e auf die +elt. Die Sprachkrise

des Lords ist e"enso eine &ewu!tseins6 und +ahrnehmungskrise. Seine )gonie erkl#rt sichdaraus, da! ihm mit den +orten und &egriffen auch die daugeh$rigen Sach%erhalte in ihrer

moralischen und ideellen &edeutung a"handen gekommen sind. Mit den +orten gehen die

moralischen und ideellen +erte, die sich in den +orten ausdrücken, %erloren. 1in

)usgangspunkt der Sprach6, &ewu!tseins6 und +ahrnehmungskrise liegt darin, da! sich ü"erSprache keine 1rkenntnis realisieren l#!t. Die Sprache, die dem Lord einst ein Mittel ur wahr6

haftigen Darstellung war H sein gro!es literarisches @ro8ekt sollte den Titel Nosce te ipsum 

tragen, also ur 1rkenntnis des wahrhaften Seins seiner Sel"st führen H, ist ihm 8ett nur noch

AlügenhaftB. Die +orte sind keine authentischen Darsteller und Stell%ertreter der Dinge. DemLord ist es deshal" nicht m$glich, seine Tochter dahingehend urechtuweisen, da! man nicht

lügen solle, weil in der Sprache keine +ahrheit ist. Vor der Crise war die Sprache ein +eg ur+ahrheit, und die sprachlichen (eichen waren 0Iieroglphen einer geheimen, unersch$pflichen

+eisheit2 3&rief 45, die im m$glichen 1rfahrungs"ereich des Su"8ekts lagen. )lles war ein

7leichnis und Schlüssel des anderen 3%gl. &rief E5 und damit interpretier"ar und sinnhaft. Die

Ageheime und unersch$pfliche +eisheitB, die ?ffen"arung des wahren +esens des Daseins solltesich in 0/a"eln und mthischen 1r#hlungen2 3&rief :5 H also in sprachlich6künstlerischen

7e"ilden und nicht etwa in der +issenschaft und )ufkl#rung H finden. Der +eg ur +eisheit

war nicht als reiner 1rkenntnisakt oder empirische 'ntersuchung gedacht, sondern als

=nterpretation %on literarischen Texten. Die Sprache war der +eg ur +ahrheit des Seins. 'm so

gra%ierender f#llt damit das Versagen der Sprache aus. Denn mit dem Versagen der Sprache

treffen die +orte 0nicht mehr die 1rscheinung, sie gehen ü"er die +elt und die Dinge hinweg,

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doch ohne statt dessen *hiffre für etwas I$heres, für das 1rscheinende hinter der 1rscheinung

u sein2:. 7an im 7egenteil die +orte führen nur 0hinaus ins Leere2 3&rief S. E5. Siekommen den Dingen nicht u, entsprechen ihnen nicht mehr.:K 1s ist nicht so, da! die +orte und

die Sprache nicht mehr %erst#ndlich w#ren. *handos A%erstehtB sie wohl, nur "ildet die Spracheeine autonome +elt, eine +elt für sich, die au!erhal" ihrer sel"st "eiehungslos ist.

Dementsprechend "eschrei"t Iofmannsthal in einer )ufeichnung %om KE. Mai EF die 0+eltder +orte2 als 0eine Scheinwelt, in sich geschlossen, wie die /ar"en2:. /ür *handos "edeutet

dies, da! die &egriffe, mittels derer sich das Denken %ollieht, nichts Signifikantes mehr ü"er die+elt aussagen, denn sie sind nur noch ein 0Verh#ltnisspiel2 3&rief ;5, mit dem das

A+esentlicheB nicht erfa!t wird, und "ilden gegenü"er dem +irklichen einen autonomen &ereich.

Die &egriffe 0hatten es nur miteinander u tun, und das Tiefste, das @ers$nliche meines Denkens,

 "lie" %on ihrem Neigen ausgeschlossen.2 3e"d.5 +enn dem Lord die +orte nicht mehr das "edeuten und so funktionieren, wie sie es %ormals gew$hnlich taten, so sind ihm mit den +orten

auch die Dinge fremd geworden. Mit dem Verlust der Sprache %erliert *handos auch das in der

Sprache liegende +elt%erst#ndnis. Die +orte ufern aus und %erlieren ihre &edeutsamkeit, weilsie nicht mehr eindeutig und klar a"gren"ar sind, sie deuten nicht mehr in einer festen

&edeutung auf ein speifisches Ding hin. Der Lord entsagt den +orten, weil sie 0eine solche

schillernde /#r"ung annahmen und so ineinander ü"erflossen2 3&rief F5. Mit dem (erfall derSprache und ihrer 1ntwertung erf#llt dem Lord die +elt. /ür *handos ist die 1inheit der

#u!eren +elt er"rochen, ihm fehlt ein festes &eugssstem ur +elt

1s gelang mir nicht mehr, sie <die Menschen und ihre Iandlungen> mit dem %ereinfachenden

&lick der 7ewohnheit u erfassen. 1s erfiel mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile, und

nichts mehr lie! sich mit einem &egriff umspannen. Die einelnen +orte schwammen um michO

sie gerannen u )ugen, die mich anstarrten und in die ich wieder hineinstarren mu! +ir"el sindsie, in die hina"usehen mich schwindelt, die sich unaufhaltsam drehen und durch die hindurch

man ins Leere kommt. 3&rief F5

Die +orte sind für *handos +ir"el, die 0ins &odenlose2 3&rief 5 führen. Die Metapher des

+ir"els steht "ei Iofmannsthal für eine insgesamt unü"erschau"ar gewordene +elt. =n einer

)ufeichnung %om . Juni EF "edeutet der +ir"el 0eine durcheinanderfliegende +elt2, er ist

das 0Ialtlose2:. *handosP +elt ist eine erfallene, aufgel$ste und durcheinandergewir"elte+elt, in der es keinen Ialt gi"t. Die erfallenden +orte und Dinge ha"en für die +ahrnehmung

des Lords eine weitreichende ConseGuen, denn mit dem (erfall entwickelt sich eine Gualitati%

neue +ahrnehmungsweise. Das 9eue, das der Lord erf#hrt, "asiert im wesentlichen auf der%orhergehenden (erst$rung des )lten. Denn ohne ein festes &eugs6 und 9ormensstem, dassich in der Sprache manifestiert und durch sie konstituiert, ist er un#chst einmal nur

orientierungs6 und haltlos. 1r kann die Dinge, die 8ett au!erhal" der gewohnten ?rdnung undDenkmuster stehen, nicht mehr fassen, sie entiehen sich seinem mentalen (ugriff und seiner

Verfügungsgewalt.: Mit dem &ewu!twerden der (uf#lligkeit und Con%entionalit#t der Sprache

und dem der Sprache entsprechenden +ahrnehmungs%erm$gen "eginnt ein @roe!, der in der

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'ninterpretier"arkeit der +elt endet es findet sich in ihr kein artikulier"arer Sinn und kein

(usammenhang.:: Die +elt und mit ihr die sprachlichen 7egenst#nde, die +orte, sind keineinterpretier"aren (eichen mehr, die der menschliche &etrachter anschaut und "egreift.

Dementsprechend ha"en sich die (eichen %om ?"8ekt, das der &etrachter anschaut undinterpretiert, um Su"8ekt entwickelt. Die +orte sind sel"st )ugen, die den &etrachter anschauen

3%gl. &rief F5. 1ine +elt in der sich das Su"8ekt6?"8ekt6Verh#ltnis %erkehrt hat, ist eine %$llig%erkehrte +elt.

Der Brief  "ehandelt trot seines historischen &euges H er datiert aus dem Jahre :; H im

wesentlichen die für die frühe Moderne tpischen @ro"lemfelder. +ie sehr mit der /igur desLords der Mensch und Cünstler der Jahrhundertwende und der frühen Moderne in seiner

Ialtlosigkeit und )ufgel$stheit gemeint sind, l#!t sich aus einer 1pochencharakteristik

Iofmannsthals ersehen

)"er das +esen unserer 1poche ist Vieldeutigkeit und 'n"estimmtheit. Sie kann nur auf

7leitendem ausruhen und ist sich "ewu!t, da! es 7leitendes ist, wo andere 7enerationen an das

/este glau"ten. 1in leiser chronischer Schwindel %i"riert in ihr .:4

Das A*handos61rle"nisB, der Verfall und die )"kehr %on der Sprache und dem in ihr

innewohnenden Denken und +ahrnehmen, wurde auch %on Iugo %. Iofmannsthal als eintpisches Massenph#nomen der Jahrhundertwende und der frühen Moderne aufgefa!t

Die Leute sind es n#mlich müde, reden u h$ren. Sie ha"en einen tiefen 1kel %or den +orten

Denn die +orte ha"en sich %or die Dinge gestellt. Das I$rensagen hat die Dinge %erschluckt.

Die unendlich komplexen Lügen der (eit, die dumpfen Lügen der Tradition, die Lügen der

Qmter, die Lügen der einelnen, die Lügen der +issenschaft, alles das sitt wie Mriaden

t$dlicher /liegen auf unserem armen Le"en. +ir sind im &esit eines entsetlichen Verfahrens,das Denken %$llig unter den &egriffen u ersticken.:E

Iofmannsthal stand mit dieser 1pocheneinsch#tung nicht allein. /ran +erfel sieht im Jahre

F wie Iofmannsthal die frühe Moderne als (eit der 'nü"ersichtlichkeit und

'neinheitlichkeit

+ir sind alle hineingestellt in eine fürchterliche 'nü"erseh"arkeit, der Neichtum der 1insichten

und ?rganismen trug Verweiflung und +ahnsinn in uns hinein, wir stehen machtlos der1inelheit gegenü"er, die keine ?rdnung ur 1inheit macht, es scheint, das A' n d B wischen den

Dingen ist re"ellisch geworden, alles liegt un%er"ind"ar auf dem Iaufen, und eine neue

entsetliche 1insamkeit macht das Le"en stumm.:F 

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=nsgesamt wird der 1poche 07estaltlosigkeit, <...> Vielfalt, Verwirrung, 'naufl$slichkeit2 und ein

t$dliches 09e"en6 und 7egeneinander24; attestiert. 1"enso urteilt Iugo &all in einem Vortragü"er Candinsk aus dem Jahre F4, in dem er den Monismus der Jahrhundertwende radikal

a"lehnt

7ott ist tot. 1ine +elt "rach usammen. <...> 1ine (eit "richt usammen. 1ine tausend8#hrigeCultur "richt usammen. 1s gi"t keine @feiler und Stüten, keine /undamente mehr, die nicht

ersprengt worden w#ren. Circhen sind Luftschl$sser geworden. R"ereugungen, Vorurteile. 1s

gi"t keine @erspekti%e mehr in der moralischen +elt. ?"en ist unten, unten ist o"en. 'mwertungaller +erte fand statt. Das *hristentum "ekam einen Sto!. Die @rinipien der Logik, des

(entrums, 1inheit und Vernunft wurden als @ostulate einer herrschsüchtigen Theologiedurchschaut. Der Sinn der +elt %erschwand. <...> Das *haos "rach her%or. Tumult "rach

her%or.4 

Lord *handos ist ein tpisches @rodukt der (eit der Jahrhundertwende. 1r ist ein AdcadentB im

Sinne 9ietsches. +ie Nichard +agner in 9ietsches Critik Der Fall Wagner  ist Lord *handosein AMiniaturistB. =m einfachen, kleinen Ding, im Detail ist für ihn 0eine 'nendlichkeit %on Sinn

und Süsse24K, die für ihn in seiner 0ü"erreite<n> Sensi"ilit#t24 eine A1rl$sungB ist. 1r will wie+agner etwas sagen, 0das dunkel ungewiss, ahnungs%oll ist2 und ugleich 0'nendliches

 "edeutet24, sich a"er den +orten entieht. Die 1rfahrung, die Lord *handos mit den Dingen

macht, kann er nur undeutlich in &eispielen konkretisieren und umschrei"en, doch in /orm eines

allgemeinen 7edankens kann er sie nicht fassen. Lord *handos leidet an der dekadentenA7edankenarmutB, die 9ietsche an +agners Cunst kritisiert.4 1r sel"st sagt %on sich, da! er

0so geistlos, so gedankenlos2 3&rief ;5 sei. +enn Lord *handos anführt, 0alle Dinge <...> in

einer unheimlichen 9#he u sehen2 3&rief F5, und er die Dinge nicht mehr als 7anes fassenkann, sondern nur noch als Detail und in ü"erm#!iger 7r$!e wie durch ein 0Vergr$!erungsglas23&rief F5 "etrachtet, so findet sich diese Detail%ergr$!erung als tpischer 1ffekt dekadenter

Cunst "ei 9ietsche %orformuliert. &ei 9ietsche hei!t es

Das 1rste, was seine <+agners> Cunst uns an"ietet, ist ein Vergr$sserungsglas man sieht hinein,

man traut seinen )ugen nicht H )lles wird gross4:.

Die unnatürliche Vergr$!erung und die (erlegung in immer kleinere Teile ist nicht nur ein 1ffekt

dekadenter Cunst, sondern %or allem auch eine Methode der modernen 9aturwissenschaft. )lles

in immer kleinere Teile u erlegen und nichts ganheitlich aufufassen, ist geradeu dietpische Methode und das grundlegende @rinip der modernen +issenschaften und wirdgemeinhin als )nalse "eeichnet. Das +ort A)nalseB, das aus dem griechischen AanlsisB

a"geleitet wurde, "edeutet ursprünglich und "eeichnenderweise A)ufl$sungB. Lord *handosP

+elt ist eine analsierte +elt. 1r leidet unter )ufl$sungserscheinungen, die eine /olge der mo6

dernen wissenschaftlichen Methodik sind. &ei einer )nalse "lei"t nichts heil und gan, nichts "lei"t so, wie es einmal war. *handosP 1ntfremdung und Verfall kann als /olge des modernen

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Sientismus gelesen werden. Durch den Lord erf#hrt /rancis &acon als ma!ge"licher &egründer

wissenschaftlicher Methodik, wie fragil und la"il ?ptimismus und /ortschrittsglau"e als tpische7eisteshaltung der Vertreter der modernen +issenschaften sind. =n der @erson des Lord *handos

wird /rancis &acon mit den /olgen der Verwissenschaftlichung und Technisierung der +elt kon6frontiert. Denn nicht ulett führt die 0R"ergewalt der technischen 1reignisse2 u einem

0schwindelnden +eltustand244. Die eit6 und wissenschaftskritische Dimension des Textesliegt darin, da! sich Lord *handos 0der geltenden )rt, die +elt und die 9atur u "eherrschen24E,

a"wendet und sich den Dingen in einer anderen, tiefergehenden )rt uwendet. 1r schafft sicheinen mstischen (ugang u den Dingen. 1infache Dinge werden um 7ef#! einer ?ffen"arung

und einer 1rl$sung. /rancis &acon ist der Nepr#sentant der wissenschaftlichen, auf 9ütlichkeit

und 9atur"eherrschung ausgerichteten Denkweise der 9eueit, %on der sich Lord *handos mit

seinem an ihn gerichteten &rief %era"schiedet.

Die Crise, die Lord *handos als einelnes =ndi%iduum erf#hrt, kenneichnet sich als Sprach,6Denk6 und +erte%erlust. Sie ist ein Verlust der Doxa, das hei!t ein Verlust aller 7lau"ensregeln

und gesellschaftlichen @raktiken, die als sel"st%erst#ndlich und normal "etrachtet werden undnicht in /rage gestellt werden dürfen. Dieser Verlust aller )nsichten und Meinungen, die als

g#ngig, sel"st%erst#ndlich, offensichtlich und natürlich gelten und ohne Diskussion akeptiert

werden, eitigt "ei *handos das 7efühl einer 0geistige<n> Starrnis2 3&rief 5 und 0furcht"arer

1insamkeit2 3&rief ;5. Dieses 7efühl der geistigen und emotionalen Leere wird %on wenigen,glücklichen Momenten unter"rochen. Denn auf der 7rundlage und in der /olge des erlittenen

Verlustes entwickelt sich eine neue +ahrnehmungsweise, die sich auf einen neuen

+ahrnehmungs"ereich konentriert. Dieser neue +ahrnehmungs"ereich umfa!t die01rscheinung<en> <s>einer allt#glichen 'mge"ung2 3&rief ;5. 1s findet eine signifikanteVerschie"ung statt, weil nun die )lltagsgegenst#nde in den +ahrnehmungsmittelpunkt rücken.

Die allt#glichen Dinge, 0ü"er die sonst ein )uge mit sel"st%erst#ndlicher 7leichgültigkeithinweggleitet2 3&rief ;5, erlangen eine ungeheure +irkungsm#chtigkeit und &edeutung in der

@ereption des Lords, und dadurch, da! die "analen und un"edeutenden 7egenst#nde eine solche

&edeutung und )ufmerksamkeit erfahren, sind sie nicht mehr "anal und un"edeutend.

7leicheitig "lei"en die )lltagsgegenst#nde einer &elie"igkeit %erhaften, weil sie als speifische1inelgegenst#nde "edeutungslos sind. Der Lord erf#hrt sie nicht als "esondere 1in6

elgegenst#nde. Denn es ist gleichgültig, um welchen konkreten 7egenstand es sich handelt, der

dieses "esondere 7efühl her%orruft.4F )ls einfache )lltagsgegenst#nde interessieren sie ihnnicht. Durch die )ufmerksamkeit auf das 'nschein"are handelt es sich einerseits um 0eineNeha"ilitation des "analen )lltags2E;, und anderseits wird diese Neha"ilitation wieder

aufgeho"en, denn *handos sch#tt die "analen )lltagsgegenst#nde an sich nicht. 1r ist %on ihrernicht "analen und nicht allt#glichen +irkung ü"erw#ltigt. Die 7egenst#nde sind nur das A7ef#!B

und nicht der =nhalt dessen, was *handos "eau"ert. Sie sind nur das "elie"ige Mittel u seinem

au!ergew$hnlichen &ewu!tseinsustand. *handos %ermag diese neue 1rle"nisweise nicht in

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+orte u fassen. Mit den )lltagsgegenst#nden macht er eine mstische 1rfahrung, die einer

religi$sen ?ffen"arung 3%gl. &rief ;5 und 1rl$sung gleichkommt. 1infache Dinge und niedrigeLe"ewesen "ekommen für ihn eine epiphanische )ura. Sie werden 0ur Uuelle 8enes

r#tselhaften, wortlosen, schrankenlosen 1ntückens2 3&rief 5. 1s ist ein 0un"enanntes seliges7efühl2 3&rief 5 und es sind 0mehr als irdische<> Schauer2 3&rief K5, die ihn angesichts

 "analer )lltagsgegenst#nde "efallen. 7leich der 1kstase der Aunio msticaB fühlt er die07egenwart des 'nendlichen2 3&rief K5. )ngesichts naheu "elie"iger 7egenst#nde wird er %on

der 0steigenden /lut g$ttlichen 7efühles2 3&rief ;5 erfa!t. 1s sind nur kure )ugen"licke,flüchtige Momente, in denen er so empfindet. Der Verlust der Doxa eitigt damit wei /olgen

um einen 'nempfindlichkeit, Stumpfsinn, Leere und Starrnis und um anderen eine )rt

=diosnkrasie gegenü"er "analer )lltagsgegenst#nde. 1s ist eine Neisensi"ilisierung und eine

neu entstandene 1mpf#nglichkeit für Dinge, die %orher einer naheu ausschlie!lichen&edeutungslosigkeit unterlagen. 'nempfindlichkeit und )pathie auf der einen Seite korrelieren

mit einer neuen R"erempfindlichkeit und einer %orher un"ekannten +ahrnehmungsdimension

auf der anderen Seite. ?"wohl diese neue +ahrnehmungs6 und 1mpfindungsweise nicht in+orten "eschrei""ar ist, %ersucht *handos sie mit +orten, so weit es geht, %erst#ndlich u

machen. *handos hat das @ro"lem, reden u wollen, a"er nicht reden u k$nnen und den +orten

entsagt u ha"en, sie a"er trotdem noch kunstfertig u %erwenden. Trot aller Sprachnot und/lüchtigkeit des )ugen"licks %ersucht der Lord eine &eschrei"ung der wenigen, glücklichen

)ugen"licke. *handos charakterisiert seine 7efühlslage als ein 0ungeheures )nteilnehmen, ein

Iinü"erflie!en2 3&rief 5, und weiter hei!t es dau

<1>s gi"t unter den gegeneinanderspielenden Materien keine, in die ich nicht hinü"eruflie!en

%erm$chte. 1s ist mir dann, als "estünde mein C$rper aus lauter *hiffern, die mir alles

aufschlie!en. ?der als k$nnten wir in ein neues, ahnungs%olles Verh#ltnis um ganen Daseintreten, wenn wir anfingen, mit dem Ieren u denken. 3&rief K5

Lord *handos fühlt in diesen )ugen"licken eine ihn und 0die gane +elt durchwe"endeIarmonie2 3&rief K5. Die @hrase Amit dem Ieren denkenB stellt eine un%erkenn"are )"sage an

das Denken mit dem Copf 3Verstand5 dar. Die als 1rkenntnisweg diskreditierte +issenschaft hat

a"gedankt. Das )llgemeine und =ntersu"8ekti%e der Vernunft ha"en ihr Necht %erloren, es gilt das

=ndi%iduelle und deidiert Su"8ekti%e die 7efühle und das 1mpfinden. *handosP glückliche)ugen"licke sind allerdings auch Teil seiner Crise, denn das wortferne Denken 0in einem

Material, das unmittel"arer, flüssiger, glühender ist als +orte2 3&rief, 5, %erursacht ihm

+ir"el. 1s sind allerdings H schrei"t *handos H solche +ir"el, 0die nicht wie die +ir"el derSprache ins &odenlose u führen scheinen, sondern irgendwie in mich sel"er und in den tiefstenScho! des /riedens.2 3&rief 5 +#hrend die +orte eine 1ntfremdung und Ialtlosigkeit des =ch

%erursachen, so führen die +ir"el der einfachen, nichtigen und doch so intensi% empfundenen7egenst#nde und Creaturen ur ASel"stfindungB, auch wenn sie, da sie +ir"el sind, keinen Ialt

in der unsicher und schwankend gewordenen +elt ge"en. *handos kann dem, was er fühlt und

erf#hrt keinen )usdruck %erleihen,

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weil die Sprache, in welcher nicht nur u schrei"en, sondern auch u denken mir <*handos>

%ielleicht gege"en w#re, weder die lateinische noch die englische noch die italienische undspanische ist, sondern eine Sprache, %on deren +orten mir auch nicht eines "ekannt ist, eine

Sprache, in welcher die stummen Dinge u mir sprechen <...>. 3&rief 5

Das @aradox %on der ASprache der stummen DingeB eigt noch einmal die )porie, in der sichLord *handos "efindet. =hm fehlt es an einer würdigen Sprache. Die gege"enen Sprachen sind

untauglich, seiner 1rfahrung gedanklich und %er"al )usdruck u %erleihen. +as Mauthner ü"er

Maeterlinck sagt, trifft e"enso auf Lord *handos u

<1>r empfindet e"en mehr, als seine Sprache ausudrücken gestattet. 3&CS E5

Der Sprach%erlust hat a"er auch eine positi%e Dimension. Denn die 'nf#higkeit, in denkon%entionellen und tradierten Mustern u denken und u sprechen, ist die Voraussetung dafür,

da! eine neue und %ollkommen andere +ahrnehmungsweise entstehen kann. So eigt sich ein

unl$s"arer (usammenhang %on Sprechen, +ahrnehmen und Denken und ugleich eigt sich, da!der Verlust ein produkti%er Verlust ist. Tradition und Con%ention sind

+ahrnehmungs"egrenungen, "lockieren den (ugang um 9euen und machen unsensi"el für das

'n"ekannte.