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119 FOCUS 13/2008 MODERNES LEBEN 119 FOCUS 13/2008 Illustration: Isabel Klett Foto: D. Klammer/FOCUS-Magazin E s gibt ein Problem im Vortragsraum des Bozener Kolpinghauses, und einen Mo- ment lang sieht es so aus, als würde die erwartungsvolle Stimmung in einen Streit um- kippen: Der Saal ist zu klein für die Besucher, die zusammengekommen sind, um Eva-Ma- ria Zurhorst bei der Lesung aus ihrem Best- seller „Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest“ zuzuhören. Die 200 Stühle sind längst okkupiert, aber es strömen noch mal so viele Menschen dazu und verstopfen die Gänge. Nun plant der Veranstalter, eine Wand abzubauen, um Platz zu schaffen. Doch dazu müssten alle Sitzenden aufstehen, der Abend würde verspätet beginnen, und jetzt werden Proteste laut. Da hat Eva-Maria Zurhorst eine Idee: „Jeder nimmt mal seinen Stuhl und rutscht vor.“ Und – siehe da: Plötzlich passt es, und dass manche auf dem Boden kauern müssen, scheint nicht zu stören. „Jetzt haben wir alle eine Menge über Beziehungen gelernt“, lacht die Auto- rin. Sie hat dabei ein Beispiel gegeben für ihre pragmatische Art, Probleme zu lösen, über die andere lange diskutieren. Es wird ein Abend der Überraschungen werden. Für Eva-Maria Zurhorst, denn sie ist zwar ge- wöhnt, dass in Deutschland bis zu 700 Men- schen ihre Vorträge frequentieren – doch war ihr nicht klar, dass sie auch jenseits der Alpen so großen Anklang finden würde. Und für Pat- rick Pircher, Geschäftsführer der Buchhand- lung Athesia, der den Abend initiierte und noch nie erlebte, dass sich nach einer Lesung PSyChOlOgie Das Phänomen Vom Mega-Erfolg der Autorin und Paarberaterin Eva-Maria Zurhorst und ihres Mannes Wolfram so viele Menschen zu Wort melden: „Das hier ist sonst ein sehr verschlossenes Publikum.“ Von Zurückhaltung heute keine Spur. Gleich zu Anfang meldet sich einer und gesteht „Prob- leme mit Eifersucht“ ein. „Wer ist denn eifer- süchtig?“, fragt Zurhorst. „Meine Frau“, be- kennt er. „Und sie hat Grund dazu.“ Der Saal lacht. Zurhorst lacht auch, aber sie lacht ihn nicht aus, sie lacht ihn an. Später wird auch die Frau vor allen aufstehen, um über seine Un- treue zu sprechen. Dass man sich zum Teil un- tereinander kennt und grüßt, scheint die Gäste nicht abzuschrecken, sich zu ihren Ehekrisen zu bekennen, vor allen. So wie es die Auto- rin und ihr Mann, der am zweiten Buch mit- geschrieben hat, tun, öffentlich nachlesbar. Es gibt und gab viele Beziehungsbücher, nie allerdings ging es darin so zentral ums Privat- leben der Autoren. „Normalerweise offenbart der Berater seine Person nicht“, weiß Eva-Ma- ria Zurhorst, die ihren Erfolg mit „Authentizi- tät“ zu erklären versucht. Trotzdem scheint sie selbst immer noch ein wenig überrascht davon zu sein, wie die Dinge sich entwickelt haben: „Es ist ein bisschen wie ein Wunder.“ Los ging es mit dem Zurhorst’schen Wun- der an einem Tag bald nach der Veröffentli- chung des ersten Buches im Jahr 2004, als ein Anruf ihres Verlegers sie erreichte. „Hier pas- siert gerade etwas ganz Spannendes“, sagte er: Ohne dass es nenneswerte Rezensionen gegeben hatte, breiteten sich die Verkaufs- zahlen in manchen Regionen Deutschlands aus, es bildeten sich regelrechte „Liebe dich selbst“-Inseln. „Offenbar Mundpropaganda“, sagt Zurhorst. Bisher hat sich das Buch rund 500 000-mal verkauft, und das Nachfolgewerk, das seit September auf dem Markt ist, ging auch schon 100 000-mal über den Ladentisch. Längst hat sich das Ehepaar Zurhorst haupt- beruflich dem Projekt „Liebe dich selbst“ ver- schrieben, es gibt Seminare, CDs, Vorträge. So- gar ein Spiefilm zum Thema ist in Arbeit, bei dem sie als Berater fungieren. Es war bald nach der Geburt der Tochter, als es in der Ehe der Zurhorsts massiv kriselte – eine Geschichte, wie sie jeden Tag geschieht: Sie hockte zu Hause beim Kind, er arbeitete viel, die beiden hatten sich nichts mehr zu sa- gen. Um die Ehe zu retten, las sie einen Paar- ratgeber nach dem anderen, besuchte Kurse und Seminare. Je mehr sie sich aber mit dem „Psychokram“, wie er es nannte, beschäftigte, umso seltener ließ er sich zu Hause blicken. Er Arbeitete in der Mode- branche; der Co-Autor von „Liebe dich selbst und freu dich auf die nächste Krise“ ist heute als Berater tätig. Mit Eva-Maria Zurhorst und Tochter Annalena lebt er in Wuppertal. Wolfram Zurhorst, Manager, Autor SiE Startete ihre Laufbahn als Journalistin, schulte dann zur Beziehungsberaterin um. Ihre Bestseller: „Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest“ und „Liebe Dich selbst und freu dich auf die nächste Krise“. Eva-Maria Zurhorst, Paarexpertin, Autorin Schiffbruch ahoi? Auch in ver fahrenen Situationen lohnt es, um die Beziehung zu kämpfen, so Eva- Maria Zurhorsts Botschaft. Ihre Tipps dazu nächste Seite „Liebe dich selbst“

MODERNES LEBEN Das Phänomen „Liebe dich selbst“ · So-gar ein Spiefilm zum Thema ist in Arbeit, bei dem sie als Berater fungieren. Es war bald nach der Geburt der Tochter, als

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119FOCUS 13/2008

MODERNES LEBEN

119FOCUS 13/2008 Illustration: Isabel KlettFoto: D. Klammer/FOCUS-Magazin

Es gibt ein Problem im Vortragsraum des Bozener Kolpinghauses, und einen Mo-ment lang sieht es so aus, als würde die

erwartungsvolle Stimmung in einen Streit um-kippen: Der Saal ist zu klein für die Besucher, die zusammengekommen sind, um Eva-Ma-ria Zurhorst bei der Lesung aus ihrem Best-seller „Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest“ zuzuhören. Die 200 Stühle sind längst okkupiert, aber es strömen noch mal so viele Menschen dazu und verstopfen die Gänge. Nun plant der Veranstalter, eine Wand abzubauen, um Platz zu schaffen. Doch dazu müssten alle Sitzenden aufstehen, der Abend würde verspätet beginnen, und jetzt werden Proteste laut.

Da hat Eva-Maria Zurhorst eine Idee: „Jeder nimmt mal seinen Stuhl und rutscht vor.“ Und – siehe da: Plötzlich passt es, und dass manche auf dem Boden kauern müssen, scheint nicht zu stören. „Jetzt haben wir alle eine Menge über Beziehungen gelernt“, lacht die Auto-rin. Sie hat dabei ein Beispiel gegeben für ihre pragmatische Art, Probleme zu lösen, über die andere lange diskutieren.

Es wird ein Abend der Überraschungen werden. Für Eva-Maria Zurhorst, denn sie ist zwar ge-wöhnt, dass in Deutschland bis zu 700 Men-schen ihre Vorträge frequentieren – doch war ihr nicht klar, dass sie auch jenseits der Alpen so großen Anklang finden würde. Und für Pat-rick Pircher, Geschäftsführer der Buchhand-lung Athesia, der den Abend initiierte und noch nie erlebte, dass sich nach einer Lesung

P S y C h O l O g i e Das Phänomen

Vom Mega-Erfolg

der Autorin und

Paarberaterin

Eva-Maria

Zurhorst und

ihres Mannes

Wolfram

so viele Menschen zu Wort melden: „Das hier ist sonst ein sehr verschlossenes Publikum.“

Von Zurückhaltung heute keine Spur. Gleich zu Anfang meldet sich einer und gesteht „Prob-leme mit Eifersucht“ ein. „Wer ist denn eifer-süchtig?“, fragt Zurhorst. „Meine Frau“, be-kennt er. „Und sie hat Grund dazu.“ Der Saal lacht. Zurhorst lacht auch, aber sie lacht ihn nicht aus, sie lacht ihn an. Später wird auch die Frau vor allen aufstehen, um über seine Un-treue zu sprechen. Dass man sich zum Teil un-tereinander kennt und grüßt, scheint die Gäste nicht abzuschrecken, sich zu ihren Ehekrisen zu bekennen, vor allen. So wie es die Auto-rin und ihr Mann, der am zweiten Buch mit- geschrieben hat, tun, öffentlich nachlesbar.

Es gibt und gab viele Beziehungsbücher, nie allerdings ging es darin so zentral ums Privat-leben der Autoren. „Normalerweise offenbart der Berater seine Person nicht“, weiß Eva-Ma-ria Zurhorst, die ihren Erfolg mit „Authentizi-tät“ zu erklären versucht. Trotzdem scheint sie selbst immer noch ein wenig überrascht davon zu sein, wie die Dinge sich entwickelt haben: „Es ist ein bisschen wie ein Wunder.“

Los ging es mit dem Zurhorst’schen Wun-der an einem Tag bald nach der Veröffentli-chung des ersten Buches im Jahr 2004, als ein Anruf ihres Verlegers sie erreichte. „Hier pas-siert gerade etwas ganz Spannendes“, sagte er: Ohne dass es nenneswerte Rezensionen gegeben hatte, breiteten sich die Verkaufs-zahlen in manchen Regionen Deutschlands aus, es bildeten sich regelrechte „Liebe dich selbst“-Inseln. „Offenbar Mundpropaganda“, sagt Zurhorst. Bisher hat sich das Buch rund 500 000-mal verkauft, und das Nachfolgewerk, das seit September auf dem Markt ist, ging auch schon 100 000-mal über den Ladentisch. Längst hat sich das Ehepaar Zurhorst haupt-beruflich dem Projekt „Liebe dich selbst“ ver-schrieben, es gibt Seminare, CDs, Vorträge. So-gar ein Spiefilm zum Thema ist in Arbeit, bei dem sie als Berater fungieren.

Es war bald nach der Geburt der Tochter, als es in der Ehe der Zurhorsts massiv kriselte – eine Geschichte, wie sie jeden Tag geschieht: Sie hockte zu Hause beim Kind, er arbeitete viel, die beiden hatten sich nichts mehr zu sa-gen. Um die Ehe zu retten, las sie einen Paar-ratgeber nach dem anderen, besuchte Kurse und Seminare. Je mehr sie sich aber mit dem „Psychokram“, wie er es nannte, beschäftigte, umso seltener ließ er sich zu Hause blicken.

Er

•ArbeiteteinderMode-branche;derCo-Autorvon„LiebedichselbstundfreudichaufdienächsteKrise“istheutealsBeratertätig.

•Mit Eva-Maria ZurhorstundTochterAnnalenalebterinWuppertal.

Wolfram Zurhorst, Manager, Autor

SiE

•Startete ihreLaufbahnalsJournalistin,schultedannzurBeziehungsberaterinum.

•Ihre Bestseller: „Liebedichselbstundesistegal,wenduheiratest“und„LiebeDichselbstundfreudichaufdienächsteKrise“.

Eva-Maria Zurhorst, Paarexpertin, Autorin

Schiffbruch ahoi? Auch in verfahrenen Situationen lohnt es, um die Beziehung zu kämpfen, so Eva- Maria Zurhorsts Botschaft. Ihre Tipps dazu nächste Seite

„Liebe dich selbst“

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Illustration: Isabel Klett Fotos: AP, AFP

Man muss nur den Richtigen heiratenEs ist egal, wen Sie heiraten. AmEndetreffenSiesowiesoimmernuraufsichselbst.Soernüchterndundunromantisch es klingt: Egal, wem Sie begegnen, Sienehmensichmit.DerandereistimmernureineArtLein-wand,aufderSieauf IhreeigeneFähigkeit zu lieben,nach einiger Zeit und Gewohnheit aber vor allem aufIhre eigenen unerfüllten Bedürfnisse und verdrängtenVerletzungentreffen.WennSiealsoinSachenPartner-schaftwirklichvorankommenwollen,dannistdieBezie-hung,dieSiegeradehaben,diebeste,dieSiekriegenkönnen(Auchdie,inderesgeradeeherzähist!).

Beim nächsten Partner wird alles andersTrennung und Partnerwechsel sind selten die Lö-sung,meisteherihreVertagung.UngefährsowiederVer-such,denPlatzsamtGegnerzuwechseln,wenn’sbeimTennismatchschlechtläuft,weilunsereVorhandständiginsNetzgeht.FüreinenMomentsorgtsoeinSchrittviel-leicht für Abwechslung oder Erleichterung. Aber wennSieIhrSpielwirklichverbessernwollen,dannkommenSie nicht umhin, IhrenSchlag umzutrainieren unddieSpieltaktik oder den Abstand zum Ball zu verändern.DeshalbsindauchsovieleScheidungenüberflüssig.Siesorgenmeistdafür,dasswirunsvomAuslösertrennen,nicht aber vom eigentlichen Problem. Wer nach einerTrennung nichts an sich ändert, den holt nicht seltenbeimnächstenPartnerdasganzeDilemmawiederein.

Mein Partner ist schuldWichtigste Grundregel inSachenLiebedichselbst:Für Ihr Glück ist nur einer verantwortlich: Sie selbst!Hört sich an wie Hausfrauenpsychologie. Ist aber, in

derTiefewirklichverstanden,derSchlüssel inSachenBeziehung überhaupt. Nur in dem Maße, in dem ichmich selbst akzeptiere, kann ich überhaupt die Liebevoneinemanderenannehmen.Wenneinanderermichdauerhaftschlechtbehandelt,dannweilichmichselbstnichtwertschätze.UndwennesinderBeziehungimmerwiederkracht,danngehtesnichtdarum,denPartnerzuverändernoderbeiihmdieSchuldzusuchen,sonderndarum,denBlick völlig aufmich zu richtenundmeineigenesLebenzuverändern.

Ich muss die Beziehung rettenIn Ihrer Beziehung scheint es gerade ziemlich aus-weglos? Vergessen Sie alle Beziehungsrettungsmaß-nahmen, und kümmern Sie sich auch hier um sichselbst. Denn Ihre Beziehung ändert sich von ganzallein, wenn Sie Ihr Leben verändern. Der ZustandIhrerBeziehungspiegelt Ihnen lediglich IhrenUmgangmit Ihrem Leben wider. Das ist einer der radikalstenPunkte inSachenLiebedichselbst:WennSiewollen,dasssichIhreBeziehungändert,dannmüssenSieIhrLebenändern.WennSieweiterhinarbeitenwiebisher,sichweiterhinmitunzähligenVerpflichtungenvollladen,wennSieweiter allesMöglichewegdrängenund starrIhrenaltenMusternfolgen,wennSiesichlieberablen-ken oder kompensieren wie bisher: Dann bleibt auchalleswiebisher.

Ich brauche einen KickWenn Ihre Partnerschaft sich zäh und leer an-fühlt, dann brauchen Sie keinen Kick. Sie brauchenMut.Mut,sichendlichehrlichzu fragen:Hab ichLustaufdiesenTrott?Will ichmichumderSicherheitoderdes lieben Friedens willen einpassen? Ist meine Kar-riere wirklich wichtiger als alles andere? Überall dort,woSiesichnacheinemKicksehnen,gehtesinWahr-heit darum,die eingefahrenenBahnen zuüberprüfen.UnddannbrauchtesMut:Binichbereit,vonmeinemSicherheitsdenken etwas loszulassen und aus der an-genehmen,abertotenKomfortzoneauszutreten?WennSieesdanntatsächlichwagen,fürIhreBedürfnisseeinRisikoeinzugehen,wirdIhrLebensofortwiederlebendig–ganzohnejedenKickvonaußen!

Ich muss meinen Partner schonenWenn Sie Ihren Partner schonen, schonen Sie inWahrheitnursichselbst.TatsächlichhabenSieAngst,den anderen mit sich zu konfrontieren. Die meistenBeziehungenscheiternnichtanSchlachtenundhand-festenGrabenkämpfen.DiemeistenBeziehungenblu-tenlangsamaus,weilsichdiePartnerständigzusehrschonen.WeilsichbeideimLaufderZeitzurücknehmenund sich im Zusammensein aus Angst vor Streit, Lie-besentzugoderVerlassenwerdenaufgeben.MitderZeitbeginnen sie dann meist unbewusst, Schonhaltungenrund um die heiklen Punkte, an denen es schwierigwerden könnte, einzunehmen. Äußerlich scheint dannzwarallesganzintaktzusein,aberinnerlichfühltessichkraftlosunderstarrtan.AlsolieberrechtzeitigGrenzensetzen und nein sagen. Das ist für die Liebe absolutüberlebenswichtig!

Krisenmanagement für die Beziehung

Schließlich kam es zum Riesenkrach, in dem sie gestand, dass sie über Scheidung nach-dachte, und er, dass er eine Freundin hatte.

Zum Teil lag es dann an dem „Psychokram“, dass sie wieder zueinander fanden. Zum Bei-spiel an Vorträgen des US-Paarberaters Chuck Spezzano, der ihnen beibrachte, die Krise als Chance für den Neuanfang zu definieren. An der Erkenntnis, dass man an sich arbeiten muss, um ein beziehungsfähiger Mensch zu werden, und dass der Partner nicht dazu da ist, einem alle Wünsche zu erfüllen – das muss man schon selbst.

Eva-Maria Zurhorst weiß, dass sie nicht die Erste ist, die solche Thesen weitergibt, „das haben auch andere schon getan“. Originell ist an ihrem Buch aber der Untertitel „und es ist egal, wen du heiratest“, mit dem sie „natürlich provozieren wollte“. Im Wust der Veröffentli-chungen hat sie sich so ein Aufmerksamkeits-moment geschaffen. Vielleicht auch mit ein Grund, warum das Buch zum erfolgreichsten deutschen Beziehungsratgeber wurde.

Es geht darin um das Gegenmodell zum Ent-wurf „Lebensabschnittspartnerschaft“, diesen immer wieder von Neuem beginnenden Kampf ums Glück, den Protagonisten offenbar als frust-rierend erleben. Die Zurhorsts, die es geschafft haben zusammenzubleiben, fungieren dabei als Paradebeispiel: sie, die Herzliche – eine Frau, wie Frauen sie sich als beste Freundin wünschen. Er, der Kantige, dem es doch noch gelungen ist, Nähe zuzulassen und die typisch männlichen Coolness-Rituale hinter sich zu las-sen. Ein Traumpaar zum Anfassen also, noch dazu made in Germany, also mit mehr Identifi-kationspotenzial als all die Autoren, deren Bü-cher aus Übersee in unsere Läden schwappen. „Ich bekomme haufenweise Mails, darin sagen die Leute: ,Ich habe das Gefühl, Sie waren bei uns zu Hause dabei‘“, so Zurhorst.

Scheidung ist überflüssig – das ist ihre zentra-le These. „Ich habe noch nie einen erlebt, der sagt: ,Ich bin froh, dass meine Ehe kaputt ist‘“, erläutert Wolfram Zurhorst. „Darin sind sich Frauen und Männer meist einig.“ Seit er seine Frau auf Lesungen begleitet, kommen auch – das ist sonst noch eher selten beim Thema Beziehung – Männer verstärkt dazu. In Bozen sind es fast ebenso viele wie Frauen.

Patentrezepte gibt Eva-Maria Zurhorst an dem Abend nicht, das Thema ist zu umfassend, sie weiß das: „Jeder muss seine ureigenen Lö-sungen finden.“ Die Zuhörer nehmen es als Er-mutigung. „Ich persönlich glaube an die Liebe. Ich bin da ganz kitschig“, hat sie ihnen zum Schluss noch mitgegeben, und als sich da man-che Gäste Rührungstränen aus den Augenwin-keln wischen, ist klar: Das tun sie auch.

Stella Bettermann

Zehn Wege

aus der

Beziehungs-

falle

First Lady, die erste Der französische Präsident Nicolas Sarkozy mit Cécilia im Juni 2007. Im Oktober darauf wurde die Ehe geschieden

First Lady, die zweite Nicolas Sarkozy mit Carla Bruni-Sarkozy, die der Ex-Frau Cécilia verblüffend ähnlich sieht. Paarberater würden das als Hinweis darauf deuten, dass die Trennung von der früheren Frau nicht verarbeitet wurde

Sturmwarnung Die große Paarkrise lässt sich nicht umschiffen, so viel ist sicher. Paare, die das wissen und damit umzugehen lernen, können aber davon letztlich profitieren

Eva-Maria Zurhorst schreibt in FOCUS: 30 Thesen zur Überwindung von Partnerschaftsproblemen

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Illustration: Isabel KlettFotos: Dieter Bauer/FOCUS-Magazin, action press (5)

Ich brauche HarmonieDas ist eine der liebsten Männerausreden, umsichnichttiefereinlassenzumüssen.AberwerGefühlewegdrückt,schadetsichselbst.DennweraufDauerver-sucht, alle negativen Gefühle unter einem Mantel derHarmoniezuverstecken,musssichständigkontrollierenundistirgendwannwieeineBombe.Nurwerlernt,auchmit seinerWut,mitOhnmachtundAngstumzugehen,derkannalldieanderenangenehmenGefühlewieLei-denschaft,LebendigkeitundAusgelassenheitleben.Inunserem Inneren gibt es keine separaten Räume fürguteundschlechteGefühle.Sorry–aberDeckelaufderWutheißtauchDeckelaufderLeidenschaft.AlsolieberDeckelrunter!

Die Wahrheit kann verletzend sein Stimmt.AberdieWahrheit istdasEinzige,washeilt.DieWahrheitistderWendepunktaufdemWegausdergrauenAlltagsroutineineinelebendigeunderfüllendeBeziehung.SiemussaufdenTisch.DassGeheimnissedenZaubereinerBeziehungausmachen,hörtsichviel-leicht romantisch an, ist aber völlig praxisuntauglich.In Wahrheit steht alles, was unausgesprochen bleibtodergarverheimlichtwird,wieeineunsichtbareWandzwischen Ihnenund IhremPartner:SiehabenumdesliebenFriedenswilleneinweniggeschwiegenunddenkleinen Flirt verheimlicht? Oder Sie haben eine echteLeicheimKellerundführenseit längererZeiteinDop-pellebenzwischenFamilieundGeliebter?Leiderfunkti-oniertdieBeziehungsregelinSachenWahrheitfastwieMathematik:verschweigen=Distanz.Vielverschweigen= viel Distanz. Je mehr Sie verheimlichen, umso er-starrterundtauberistjedeBegegnung.AmEndestehenSiedannvoreinerzerrüttetenEhe,weilIhrPartnerderLetzteist,dererfährt,wieesseitgeraumerZeitwirklichinIhnenaussieht.

Endlich die große Liebe . . .Wenn wir von der großen Liebe träumen, dannträumen wir, ehrlich gesagt, von Beziehungshopping.Wir erwarten einen perfekten Partner, der unsere Lö-cherstopft.Unbewusstläuftdainunsab:EinanderermussetwasBesonderessein,damitermeineeigenenMängel ausgleicht. Daran muss eine Beziehung überkurzoderlangscheitern.GenausoirrigistderGedanke:„Jetztheiratenwir,unddannwirdallesganztoll.“LeidernochmalBeziehungsmathematik:Jenähermireinan-dererkommt,jenäherkommterauchmeinenÄngsten,

SchwächenundVerletzungen.EinweiserMannhatdaseinmalsozusammengefasst:„IndemMoment,indemdudich ineinenMenschenverliebst,beginntautoma-tischderProzessseinerVerwandlungineinenFrosch.“WagenSiealsoliebereinechtesAbenteuer:LiebenSieeinenFrosch!DannkönnenSieauchendlichentspanntFroschsein.

Es gibt einfach nicht den RichtigenSie können als DauersingleoderBeziehungshopperbiszumSanktNimmerleinstagaufderSuchenachIh-remIdealpartnerumherirrenundenttäuschtfeststellen,geradeschonwiedernichtMr.RightoderMrs.Perfectgetroffen zu haben.OderSie gestehen sich ein, dassSie eine Heidenangst vor echter Nähe und Verletzunghaben.HörenSieauf,zusuchenunddabeiständigdasHaar in der Suppe zu finden. Wagen Sie etwas, undentscheidenSie sichdafür, sich auf einenderDurch-schnittsmenschen vor Ihrer Nase einzulassen – auchwenn Sie entdecken, dass Sie es mit einem überausmittelmäßigen und fehlerhaften Wesen zu tun haben.SiekönntensoderLiebeeingroßesStücknäherkom-men.Liebemeintdannallerdingssoverstaubtanmu-tende Eigenschaften wie Annahme, Mitgefühl, Verzei-hen,Geduld,KlarheitundOffenheit.DasFaszinierendedaran ist: Je öfter man sich dafür entscheidet, so zulieben, desto liebenswerter und einzigartiger wird derandere (kann man nicht verstehen, muss man aus-probieren...).

Fremdgehen ist das Ende der BeziehungNein.Fremdgehen–richtigverstanden–machteinenechten Neuanfang möglich. Dazu müssen allerdingsalle Beteiligten bereit sein, Ihre Rollen in Frage zustellen und die gemeinsame Wahrheit zu schlucken:InderDreiecksbeziehunghabenalleBeteiligtenAngstvorNäheundechterBindung.KeinerkommtaufseineKosten.AllesindgefangenimEntweder-oder.UndeineDreiecksbeziehungkannnurdannentstehen,wenndieursprünglicheZweierbeziehunginnerlichausgehöhltist.

Wer fremdgeht, hat SchuldEs braucht meist ein ziemliches Stück ArbeitfüreinPaar,umzuerkennen,dassFremdgehennichtdieGeschichtevoneinembösenÜbeltäter ist,derseinenPartnerhintergeht.Auchwennesvonaußenbetrachtetleicht so aussieht. Der Fremdgänger ist nicht schuld.Meist fühlt er sich in der ursprünglichen Beziehungmachtlos und sucht draußen nach Anerkennung. Tat-sächlichhaternuroberflächlichbetrachtetalleFädeninderHand.ErstmalimDreieckgelandet,hängterschnellineinerneuenFalle:SeinebeidenPartnerscheinenim-mernurdieHälftedessenzuverkörpern,wonachersichsehnt.BeimGeliebtenfindeterLeidenschaft,Lebendig-keit,Leichtigkeit,Seelenverwandtschaft.AberzuHause,dawartenSicherheit,Kinder,Erinnerungen,Vertrauen.BeidesimDoppelpackscheintesnichtzugeben.Bleibter im Versteckspiel, laugt er sich aus. Entscheidet ersichfürdaseine,fehltihmdasandere.

Der Betrogene ist das OpferWer betrogen wird, musssichselbstalsErsteseineFragestellen:WielangehabeichschonkeineLustmehraufdieseBeziehung?Wie lange fehltmirschonwas?Denn eine der Grundregeln von Dreiecksbeziehungenlautet:EsgibtimmerzweiArtenvonAusstieg–entwe-dernachinnenodernachaußen.WenneinerdasinderBeziehungFehlendebeiDrittensucht,dannhatderan-deremeistinnerlichlängstdieSchottendichtgemacht.

Der Geliebte hat alles – der Betrogene nichtsDer Geliebte lebt oft einfach nur die andere Seite der Medaille.Auchwennerscheinbaralleshat,wasderBetrogeneschonsolangevermisst.Erwirdvomei-genenPartnerbegehrt, lebtSexundLeidenschaftmitihmundbekommtdiekostbarefreieZeit.Abertatsäch-lich kommtderGeliebte jaauchnicht ganzauf seineKosten: Ihm fehlenSicherheit undechtesBekenntnis.NichtshätteerlieberalsdieoffiziellePositiondesBetro-genen.UndVertrauen?WiesollersicheinemMenschenanvertrauen,dereinenanderenMenschenhintergeht?

Der Geliebte ist zu allem bereitImmer wieder plagt den heimlichen Geliebten diegleicheSehnsucht: Ichwürdeallesdafürgeben,wennwirendlichganz zusammenseinkönnten ...Wennerendlich zu Hause auspacken würde ... Aber stimmtdas wirklich? Es gibt viele, die sich immer wieder zuMenschenhingezogenfühlen,dieinfestenBeziehungenlebenundnichtwirklichzurVerfügungstehen.Deran-dere scheint absolut perfekt zu den eigenen Idealvor-stellungenzupassen–nurleideristdieseranderenieganz erreichbar.Dann gibt es auch noch jedeMengeSingles,inderenLebendieBeziehungniemehrbekom-mendarfalsdenStatuseinerheimlichenAffäreohneBekenntnis.DerGrundliegtangeblichimmerbeiman-deren,derimmerirgendeinenMakelzuhabenscheint.Sooderso–werandiesemPunktzurKonfrontationmitsichselbstbereitist,wirdwahrscheinlichaufhandfesteBindungsangstundeineTendenzzurIdealisierungundÜberfrachtungvonBeziehungstoßen.

Ein Dritter hat unsere Ehe zerstörtDie harte, aber heilsame und zentrale Lektion beim Fremdgehen ist:DeroderdieGeliebtebringtgenau das in die Beziehung, was die beiden Partneraussparen. Stellen Sie sich Ihre Beziehung wie eineTorte vor: Am Anfang ist sie rund und komplett. Abermit der Zeit gibt es Verletzungen, Missverständnisse,Bequemlichkeit. Die Dinge klappen nicht mehr so.Der Sex, die Zärtlichkeit, die Gespräche – die erstenTortenstücke fehlen. Es entstehen Lücken im Kuchen,die gefüllt werden müssen, damit sich die Beziehungwieder rundanfühlt.Entweder fangendiePartner jetztan,diefehlendenTortenstückevoninnenzukompensie-ren.Dasheißt:DieLeidenschaftgehtindenBeruf,insHobbyoderdieKinder.EchteGesprächewerdenmitderFreundin geführt. Abenteuer mit den Kumpels erlebt.OderaberdasfehlendeTortenstückkommtirgendwannvonaußenvorbei.Sobitteresklingt–aberoftwirddieBeziehung in dem Moment komplett, in dem ein

Zehn Wege

durch das

Dreiecks-

dilemma

Beuteschema 1–5 Boris Becker mit: Ex-Frau

Barbara (1), Sabrina Setlur (2), Patrice Farameh (3), Caroline Rocher (4) Liliy

Kerssenberg (5). Alle der gleiche Frauentyp. Für

E.-M. Zurhorst ein Hinweis, dass Boris durch Tren-

nungen die Lösung seiner Bindungsprobleme vertagt

An der Liebe festhalten Altbundeskanzler Helmut

Schmidt mit Ehefrau Loki, beide 89, feierten ver-gangenes Jahr Eiserne

Hochzeit (65 Jahre Ehe)

Eine zu viel an Bord Eine Affäre ist immer auch eine Botschaft: dafür, was in der Beziehung fehlt oder mit den Jahren verloren gegangen ist

„Lieben Sie

einen Frosch!

Dann können

Sie auch end-

lich entspannt

Frosch sein“Eva-Maria Zurhorst

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DritterdazukommtunddasLebenhereinbringt,dasdiebeidennichtmehrleben.

Nur ein Schlussstrich hilft Ein äußerer Schlussstrich löst das Problem nicht.Vorallemnicht,wennSiederBetrogenesind.DannistIhre wichtigste, wenn auch ziemlich herausforderndeAufgabe: Schauen Sie sich den Menschen, mit demIhr Partner eine Affäre hat, genau an. Und seien Siebereitherauszufinden,wasdieserMenschmitIhnenzutunhabenkönnte.„Wiebitte?DerSchweinehund!DieSchlampe?Mitmir...?“Klar,dienormaleReaktionvoneinem,dererfährt,dassseinPartnerihnbetrügt,istAb-wehr.ErlaubenSiesichdieganzeWut.AberdanngehenSievoran,undkonfrontierenSiesichmitderTatsache:Wennesbei Ihnen in derBeziehung einenDritten imBundegibt,dannzeigtderDritteIhnenetwasdarüber,wasSienichtmehrlebenoderniegelebthaben.

Fremdgehen als Beziehungsmedizin?Ja.Wennbeidebereitsind,sichüberdieSchuldfragehinauszubewegenundsichdieeigeneunbefriedigendeBeziehunganzugucken.WennderBetrogenebereitist,sichmitdeneigenenBedürfnissenzukonfrontierenundsicheinzugestehen,dassdaeinDritteralldaslebt,wo-nachersichsehnt.Undder,derfremdgegangenist,soll-teaufhören,sichinTräumevoneineridealenBeziehungmitdemheimlichenGeliebtenzuflüchten.ErsolltesichdieFragestellen:Wasistes,wasichinderBegegnungmitdiesemMenschenvonmirentdecktoderwiederge-fundenhabe?UndwiekannichmeinLebensoverän-dern,dassichdieseQualitätenlebenkann?DerDritteistwederderZerstörernochderErlöser.Erkannhelfen,dieWahrheitwiederanzuschauen.Einebewusstverar-beiteteAffäreholteinPaarausalldenstarrenNormen,indenenessichzulangeeingerichtethat.

Eine Affäre sollte man besser geheim haltenHalten Sie die Affäre auf Dauer geheim, laugenSiesichausundunbewusstalleBeteiligtenmit.PackenSiedagegenaus,machenSieendlichPlatzfüreineEnt-wicklunginIhremLeben.MitderWahrheitkonfrontierenSiedieMenschenmitIhrentatsächlichenBedürfnissen.DassorgterstmalfürVerletzungundChaos,aberesistauchdieChancefüreinenechtenNeuanfang.

Welcher ist der richtige Partner für mich?Diese Frage bringtSienur immer tiefer indieSack-gasse.EsgehtnichtumdeneinenoderdenanderenPartner.DennkeinervonbeidenkannIhnenaufDaueretwasgeben,wasIhnenfehlt.MitdemeinenMenschenhabenSienurschonErfahrungen,wieeswird,wennSiesich arrangieren und nicht bereit sind zu persönlicherEntwicklung.Undmit demanderen verbindetSie IhreSehnsuchtnachetwasNeuem,Besseren.WennSieeinneuesLebenwollen,gehtesdarumzu lernen,anderemitIhrenBedürfnissenzukonfrontieren.Esgehtdarum,inIhremLebenwiedermehrRaumfürIhreLeidenschaftzuschaffen.WennSiedaslernen,wirdsichunterwegsvon selbst zeigen, wer von beiden bereit ist, sich mitIhnenzuentwickelnundimLebenvoranzugehen.

Krisen sind eine Gefahr für die BeziehungDurchaus nicht! Krisen sind die idealen Ausgangs-punkte für längst nötige Kurskorrekturen in der Bezie-hung. Wir müssen Krisen nicht wegmachen und auchnichtvorihnenwegrennen.WirmüssensienurinihrerBotschaftverstehen.DannbedeutensienichtdasAus,sondernbietenidealeChancenfürdieeigeneEntwick-lungundfüreineneueTiefeinderPartnerschaft.

Krisen zeigen, dass etwas falsch läuftKrisen sind gesund.KeinePartnerschaftwächstohneKrisen.Alleindasswirdasakzeptieren,sorgtschonfürEntspannung.LassenSie losvondemAnspruch, zweifremde Menschen würden sich eines schönen Tagestreffen,verliebenundabdaganzselbstverständlichzu-sammenpassen.DieKrisekommt!Unddasistgutso!

Mein Partner ist meine KriseSorry! Aber Ihr Partner ist nicht Ihre Krise.IhrPart-neristIhrSpiegel–alsoeinechtesHilfsmittel,indemSieetwasvonsichsehenkönnen.Deshalb fragenSiesichbeimnächstenMalnicht:WasmachtmeinPartnergeradewiederfalsch?Sondern:Wasmachtdasmitmir?DieseFragekannIhrLebenradikalverändern.FürFort-geschrittenegibtesdanndieÜbungmitdemSchatten:WennSieetwasanIhremPartnernichtmehrertragenkönnen,dannisterIhrSchatten.Erlebtgenaudas,wasSienicht seinmöchtenoder verurteilen:Sie sind

Zehn Wege

durch die

Krise

Model(l)ehe Ein Traumpaar zum Küssen: Heidi Klum mit Ehemann Seal,

hier 2007 beim Dream Ball in Berlin

Brief an die Männer

Autorin Eva-Maria Zurhorst

Liebe Männer,an so prominenter Stelle ein offener Brief an Sie

alle? Sicher etwas, worum mich viele Frauen benei-

den. Endlich sagen, wie es um uns steht. Um uns

Frauen. Um die, mit denen Sie verheiratet sind. Un-

ter deren Führung Sie vielleicht arbeiten. Mit de-

nen Sie schlafen. Deren Hintern Sie sehnsüchtig auf

der Straße nachschauen. Deren emotionale Kreuz-

verhöre Sie nicht mehr ertragen können. Mit denen

Sie ausgedörrt Abend für Abend vor dem Fernseher

schweigen. Mit deren bester Freundin Sie seit einiger

Zeit heimlich eine kaum zu beschreibende Wieder-

geburt Ihrer Lust und Leidenschaft auf dem Rücksitz

Ihres Mittelklassewagens erleben.

Ja, stimmt. Um uns Frauen kommt Mann einfach

nicht herum. Wir sind allgegenwärtig. Und in Zeiten

der Postemanzipation sind wir auch noch omni-

potent. Wir sind eure Bundeskanzlerin. Wir lassen

uns von euch dafür bezahlen, dass wir eure Domi-

na sind. Wir sind die wachsenden Heerscharen allein

erziehender Mütter, die jenseits eures Einflusses eure

Kinder prägen und sie glauben machen, die Welt

bestünde aus Omas, Kindergärtnerinnen, Tages-

müttern und Mama-Robotern, die alles allein kön-

nen. Wir sind die angepassten Ehefrauen, die wegen

der Sicherheit und aus Gewohnheit bei euch bleiben.

Wir sind die smarten Karrierefrauen, die mit natür-

lich vernetztem Denken genau da eine große Sache

durchziehen, wo ihr euch in den Netzen eurer Män-

nerseilschaften verheddert. Wir sind die dramatisch

anwachsende Truppe von Nachkriegsfrauen, die sich

nach 30 Jahren Ehe scheiden lassen – und ihr wisst

nicht mal, warum.

Wir alle zusammen? Wir müssen es nicht mal laut

sagen – egal, wo ihr euch nach uns umschaut oder

vor uns weglauft. Wir signalisieren: Männer sind

Kassettenrekorder in Zeiten von iTunes.

Aber wir sind verzweifelt. Verzweifelt vor Sehn-

sucht nach euch. Und nach unserer Weiblichkeit.

Wir können euch analysieren, durchschauen und

verachten. Es nützt uns alles nichts – verlieren wir

euch, verlieren wir auch unsere Weiblichkeit.

Jeden Tag geht die Tür meiner Praxis auf, und

wieder kommt eine versteinerte Frau herein. Eine,

die die Kontrolle hat über ihren Job, ihr Herz und

ihren Körper. Eine, die für diesen Machtzuwachs

einen hohen Preis gezahlt hat. Jetzt ist sie schmerz-

frei, aber taub. Sie fühlt nichts mehr. Nichts berührt

sie mehr in der Tiefe. Nicht im Leben, nicht in ih-

rer Beziehung und nicht im Bett. Eine von vielen, die

heimlich weint nach dem Sex. Eine, die euch äußer-

lich so bedrohlich erscheint mit ihren verbalen Dau-

ersalven. Eine, die sich mit jeder Faser nach Nähe

sehnt, der aber nichts mehr zu bleiben scheint, als

sich noch ein Paar neue Schuhe zu kaufen. Eine, die

resigniert ein letztes Mal zuckt und glaubt, die einge-

reichte Scheidung sei ihre Lösung. Um sich danach

– endlich befreit vom Mann – heimlich doch wieder

nur nach einem zu sehnen: einem neuen Mann.

Liebe Männer, wir haben euch eingeholt. Jetzt ha-

ben auch wir die Macht. Und nun müssen wir uns

eingestehen, was ihr schon länger ahnt: Sie nützt uns

nichts. Wir brauchen nicht die Macht, wir brauchen

die Männer. Wir brauchen Männer, denen wir uns

wieder hingeben können. Männer, die endlich bereit

sind, sich selbst zu spüren. Männer, die bereit sind,

nicht länger vor der Zicke in uns wegzulaufen, son-

dern sich ihr endlich mit liebevoller Präsenz in den

Weg zu stellen. Männer, die bereit sind zu lernen,

dass eine Ejakulation kein Orgasmus ist.

Damit wir uns nicht falsch verstehen – keine

großen Jungen, die bei uns als mitfühlende Frau-

enversteher unterschlüpfen. Auch keine scheuen

Schweiger, die jeder emotionalen Begegnung auswei-

chen. Sondern Männer, die erwachsen werden wol-

len und sich endlich unserem aufgestauten Frust

und ihrer Verletzlichkeit, ihrer Ratlosigkeit, aber

auch ihrer inneren, erst mal wenig kontrollierbaren

natürlichen Kraft stellen. Wenn Sie sich jetzt fra-

gen: Wovon redet die da bloß? Was will die von uns?

Dann gehen Sie jetzt nicht wieder auf die vertraute

Tauchstation. Wagen Sie ein echtes Liebesabenteuer,

und gestehen Sie sich und uns einfach ein, dass

Sie gerade keine Ahnung haben. Kommen Sie mit

offener Flanke bei uns vorbei, und zeigen Sie sich

nackt und neugierig. Das finden wir erotisch und

mutig. Wir Frauen sind zwar verhärtet und verbar-

rikadiert. Aber wir können einen Mann, der uns

mit seinem Herz und seiner Verletzlichkeit aus un-

serem sicheren, aber toten Gefängnis befreien will,

noch immer drei Kilometer gegen den Wind riechen.

So lange verzehren wir uns schließlich danach, uns

solch einem Mann endlich hinzugeben und gemein-

sam mit ihm vor der Weiblichkeit zu kapitulieren.

FOCUS hat vor

allem männliche

Leser. Das nutzt

die Bestseller-

autorin für eine

direkte Ansprache

„Wir können

euch analysieren,

durchschauen,

verachten. Es

nützt uns alles

nichts – ver-

lieren wir euch,

verlieren wir

auch unsere

Weiblichkeit“

Gegenrudern In Krisenzeiten orientie-ren sich Partner oft in unterschiedliche Richtungen – und sitzen doch in einem Boot

MODERNES LEBEN

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126 FOCUS 13/2008

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Foto: adolph press Illustration: Isabel Klett

soordentlich.UndIhrPartnerentpupptsichalsechteSchlampe.Siesindsachlich.IhrPartnerverliertsichinGefühlsduseleien.Siesindtreu.IhrPartnergehtfremd.Das,wasSieanIhremPartneramwenigstenwollen,istgenaudas,wasSie in IhrSystemintegrierenmüssen,umausderKrisezukommen.Esgehtnichtdarum,dassSiesowerdensollenwieIhrPartner.Sonderndarum,ei-nenSchrittindieRichtungzutun,dieSiebishermeidenwollten.DassorgtfürneueBalanceinIhremLebenundfürneueDynamikinIhrerBeziehung.

Krisen muss man im Keim erstickenBloß nicht!Wennesleiseanfängtzuknirschen,dannschaltendiemeistenaufVerdrängung.Krise?Dasdarfeinfach nicht sein. Aber Vorsicht! Wenn Sie zu langewegdrückenundweitermachen,als seinichtsgesche-hen,türmtsichdasGanzealsBallastauf,bisesdannrichtigkracht.DaherlieberschonbeiMinikrisenreagie-renundthematisieren!

Krisen wollen verstanden werdenWerden Sie zum Krisenversteher. Jede Krise hatihre Botschaft, die Sie daran hindert, irgendetwas inIhrem Leben und in Ihrer Beziehung weiterzumachen,wiebisher.HörenSieauf,sichzuwehrenoderandereverantwortlichzumachen.SchauenSielieberhin,undfragenSie sich:WovonhältmichdieKriseab?Wozuzwingtsiemich?Krisensindabsolutpräzise.WerseineKrise wirklich studiert, wird erkennen, dass sie einenzwingt,sichbesserkennenzulernen,sichüberGrenzenzuwagenundsichbesserumsichselbstzukümmern.

In Krisen muss man reden Nicht immer. Manchmal ist alles gesagt, und esbrauchteinenSchnitt.Dannheißtes,vonallemloslas-senundbewusstalleinsein.Alleinseinheißtnicht,vordenProblemenaufTauchstationzugehenoderVerdrän-gendurchAktionismus.AlleinseinheißtAbstinenzvondenAlltagsdrogen.FürAnfängereinTagohne jeglicheAblenkung.FürFortgeschritteneeineWocheohneFern-sehen,Internet,Verabredungen.Eseinfachmalmitsichselbst aushalten. Kann sich brutal anfühlen. Und fürschlagartigenRespektvordemPartnersorgen,deralldasschonsolangevonIhnenmitkriegt,wovorSieweg-geranntsind:Unruhe,Angst,Druck,Selbstzweifel.

Scheidung – einziger Weg aus der Krise?Das Wundermittel auf dem Höhepunkt einer Bezie-hungskriseheißtTrennung.WennSietotalfestgefahrensind, dann geht es vielleicht gerade nicht um Schei-dung,sondernesgehtumLoslassen.DerUnterschied?BeiderScheidunggehtesvorallemumWeggehen,umeinenäußerenKraftakt.BeiderTrennunginderBezie-hunggehtesvorallemumDisziplingegenmichselbst.Ichbeschäftigemichnichtmehr längermitdem,wasderanderenichtmacht. Ichkonzentrieremichdarauf,wasichbrauche,egal,wiederanderesichverhält.

Krisen nutzen für den EntzugDie meisten Beziehungen funktionierenwieSucht.Jeder von uns trägt alte, unbewusste Verletzungen insich. VonMenschen, die uns nahe sind, erwartenwir(ebensounbewusst),dasssiemitihremVerhaltendafürsorgen, dass wir diese Wunden nicht fühlen müssen.WenndieBeziehungindieKrisegerät,dannmeistdes-halb,weilmitderZeitdieDosisnichtmehrausreicht.UnserPartnermachtFehler,verletztuns,entziehtsich.WirbekommenAngst,fühlenunsunbefriedigtoderun-terDruck.UnserRückschluss:IchbrauchemeineDroge.Hierfehltmirwas.Hiertutwasweh.Hiermussichweg.DerneueWeg:Entzug.Siebleibenbei IhremPartner,aberSiemachendiealtenSpielenichtmehrmit.Sieüben sich in Abstinenz: Keinerlei Kontrolle mehr überIhrenPartner!Dasheißt:Sieakzeptieren,dassSienichtbestimmen können, wie sich Ihr Partner verhält. Siebleiben konsequent bei sich und lernen, neu für sichzu sorgen.Oft dreht sicheineBeziehungdadurchum180Grad.Undwennnicht,habenSieEntscheidendesfüreineneueBeziehunggelernt.SiewerdenfreierundbraucheneinenanderennichtmehralsDroge.

Vorsicht! Krisen akzeptieren keine GrenzenWas Sie beim Krisenmanagement wissen müs-sen: Beziehungen funktionieren wie Zahnräder. WennsicheinRadinseinerBewegungverändert,müssensichalleanderenauchverändern.WennSieIhreKriseernstnehmenundausihrechteVeränderungenfürIhrLebenableiten,dannbringtdasoftErschütterungen füralle,dieIhnennahestehen–fürdiePartner,dieKinder,dieHerkunftsfamilien und Freunde –, mit sich. Seien Siebereit,sichbeiIhrenLiebenunbeliebtzumachen!

Eine Krise kommt selten alleinSie haben Ihre Beziehungskrise genutzt? NeueKräfte und Talente, neue Ecken und Kanten kommenzumVorschein?SogareinzweiterFrühlingmitdemPart-ner?Achtung!WereineBeziehungskrisezurEntwicklungnutzt, der kann oft auch in anderen Bereichen nichtmehr einfach soweiterfunktionieren.WennSie anfan-gen,Fragenansichselbstzustellenunddieseehrlichzubeantworten,beginnensichPrioritätenimLebenzuverändern.VielleichtmüssenSiebegreifen,dassKarrie-reundPrivatesgarnichtsogetrenntsind,wieSieimmerglaubten. Und schon fordert das Ihre Bereitschaft zurKorrektur an der nächsten Front ... Siewollten einenKick, ein Abenteuer? Wieder Lebendigkeit im Leben?FreuenSiesichaufdienächsteKrise!

Filmreife Harmonie Seltenes Beispiel für eine skandalfreie Ehe in der Filmbranche: Regisseur Wim Wenders mit Ehefrau, der Fotografin Donata

Rettung in Sicht Wenn der eingefahrene Beziehungskahn sinkt,

gibt es oft gute Chancen, dass alte Gefühle

wieder auftauchen