72
Roman Michałowski Princeps fundator. Monarchische Stiftungen und politische Kultur im piastischen Polen (10. – 13. Jahrhundert) Einführung Der vorliegende Beitrag ist der politischen Kultur des piastischen Polen gewidmet. Als politische Kultur bezeichnen wir dabei den Bereich jener Vorstellungen, Werte, Hal- tungen und Verhaltensmuster, die sich auf das staatliche Leben beziehen. In diesem Sinne umfasst der Begriff sowohl theoretische Ansichten über den Staat, sein Wesen und die Bedingungen seines Erstarkens und Forbestehens als auch ein eher praktisches Wissen um die Methoden der Verwaltungsorganisation oder die Kunst des Erwerbs und Festhaltens der eigenen Position im Herrschaftssystem. Konkret werden wir die politi- sche Kultur durch das Prisma der monarchischen Stiftungen betrachten, wobei wir unter ‚Stiftung‘ nicht nur den bloßen Akt der Gründung einer neuen kirchlichen Institution, sondern auch verschiedenartige Geschenke und Vergaben an eine bereits bestehende Einrichtung verstehen. Wir stellen folgende Frage: Konnte eine kirchliche Stiftung als religiöse oder ideologische Botschaft fungieren, die der Herrscher und Stifter an die anderen Teilnehmer des politischen Spiels richtete, weil er hoffte, auf diese Weise seine eigene Position und die seines Königreiches zu stärken? Die Berechtigung dieser Frage ist offensichtlich. Schließlich kann man sich leicht vorstellen, dass ein Monarch durch die Stiftung einer kirchlichen Einrichtung oder durch die Beschenkung einer bereits bestehenden versuchte, sich seinen Untertanen als rex iustus zu präsentieren. Stiftungen gehörten also zur Sprache der monarchischen Propaganda, die mit dem Ziel entfaltet wurde, das Prestige und die Autorität des Königs zu untermauern und in der Konse- quenz seine Herrschaft noch effektiver zu gestalten. Damit ist die Tragfähigkeit der gestellten Frage noch nicht erschöpft. Das wird deut- lich, wenn wir uns bewusst machen, worin die Spezifik der mittelalterlichen Kultur bestand. Im Mittelalter empfand man – im Unterschied zur heutigen europäischen Zivilisation – die Präsenz des Sacrum sehr intensiv. Gott war für die damaligen Men- schen ein höchst reales Wesen, das die irdische moralische und soziale Ordnung Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library Authenticated Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

  • Upload
    eduard

  • View
    229

  • Download
    3

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Roman Michałowski

Princeps fundator. Monarchische Stiftungenund politische Kultur im piastischen Polen(10. – 13. Jahrhundert)

Einführung

Der vorliegende Beitrag ist der politischen Kultur des piastischen Polen gewidmet. Alspolitische Kultur bezeichnen wir dabei den Bereich jener Vorstellungen, Werte, Hal-tungen und Verhaltensmuster, die sich auf das staatliche Leben beziehen. In diesemSinne umfasst der Begriff sowohl theoretische Ansichten über den Staat, sein Wesenund die Bedingungen seines Erstarkens und Forbestehens als auch ein eher praktischesWissen um die Methoden der Verwaltungsorganisation oder die Kunst des Erwerbs undFesthaltens der eigenen Position im Herrschaftssystem. Konkret werden wir die politi-sche Kultur durch das Prisma der monarchischen Stiftungen betrachten, wobei wir unter‚Stiftung‘ nicht nur den bloßen Akt der Gründung einer neuen kirchlichen Institution,sondern auch verschiedenartige Geschenke und Vergaben an eine bereits bestehendeEinrichtung verstehen. Wir stellen folgende Frage: Konnte eine kirchliche Stiftung alsreligiöse oder ideologische Botschaft fungieren, die der Herrscher und Stifter an dieanderen Teilnehmer des politischen Spiels richtete, weil er hoffte, auf diese Weise seineeigene Position und die seines Königreiches zu stärken? Die Berechtigung dieser Frageist offensichtlich. Schließlich kann man sich leicht vorstellen, dass ein Monarch durchdie Stiftung einer kirchlichen Einrichtung oder durch die Beschenkung einer bereitsbestehenden versuchte, sich seinen Untertanen als rex iustus zu präsentieren. Stiftungengehörten also zur Sprache der monarchischen Propaganda, die mit dem Ziel entfaltetwurde, das Prestige und die Autorität des Königs zu untermauern und in der Konse-quenz seine Herrschaft noch effektiver zu gestalten.

Damit ist die Tragfähigkeit der gestellten Frage noch nicht erschöpft. Das wird deut-lich, wenn wir uns bewusst machen, worin die Spezifik der mittelalterlichen Kulturbestand. Im Mittelalter empfand man – im Unterschied zur heutigen europäischenZivilisation – die Präsenz des Sacrum sehr intensiv. Gott war für die damaligen Men-schen ein höchst reales Wesen, das die irdische moralische und soziale Ordnung

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 2: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

38 Roman Michałowski

sanktionierte und gleichzeitig unablässig in die Dinge der diesseitigen Welt eingriff. Indieser Situation müssen wir mit der Möglichkeit rechnen, dass zu den Akteuren despolitischen Spiels, deren Wohlwollen der Monarch gewinnen wollte, gerade auch derHimmel gehörte. So drängt sich der Verdacht auf, dass zu den zu diesem Zweck ge-nutzten Mitteln auch kirchliche Stiftungen gehörten, welche schließlich ein religiösesWerk par excellence darstellten, das direkt an die übernatürlichen Kräfte adressiert war.Es konnte also leicht vorkommen, dass ein Herrscher, der ein Kloster ins Leben riefoder einer Kirche Güter schenkte, dies deshalb tat, weil er seinem Königreich diegöttliche Gnade sichern und im Resultat auch seine eigene Größe und Macht fundierenwollte.

Die monarchischen Stiftungen werden uns daher als Bestandteile des politischen In-strumentariums interessieren, als Akte, die eine doppelte Funktion erfüllten oder erfül-len sollten: Druck auf die Menschen und Druck auf das Sacrum auszuüben. Hinzu kamnoch eine dritte Funktion. Es muss nämlich mit der Möglichkeit gerechnet werden, dasssich der Herrscher bei der Gründung einer kirchlichen Institution oder ihrer Beschen-kung von dem mehr oder weniger bewussten Wunsch leiten ließ, in den eigenen Augenals ein dieses Namens würdiger König oder Fürst zu erscheinen. Die Bedeutung dieserFunktion darf keineswegs unterschätzt werden. Die Selbstsicherheit, die der Monarchauf diesem Wege gewinnen konnte, blieb sicher nicht ohne Einfluss darauf, wie er seineMacht ausübte.

Einer Analyse der Zusammenhänge von Herrschaft, politischer Kultur und Stif-tungswesen stellen sich für das piastische Polen gravierende Hindernisse in den Weg.Die einschlägige Quellenlage ist bekanntlich unvergleichlich schlechter als für dasReich und andere westliche Regionen. Vor diesem Hintergrund kann nicht erwartetwerden, dass wir Antworten auf die hier interessierenden Fragen allein aus polnischenZeugnissen erhalten können. Das polnische Material liefert zumeist nur individuelleAussagen und Fakten, und die Interpretation isolierter Quellen stößt auf schwierige,manchmal unüberwindbare Hindernisse. Daher müssen auch fremde Zeugnisse alsunerlässlicher Hintergrund für die einheimischen herangezogen werden. Letztere wer-den wir fast ausschließlich dem Gebiet West- und Mitteleuropas entnehmen, vor allemaus dem Umfeld des Deutschen Reiches. Dabei gehen wir davon aus, dass zwischendem Land an Weichsel und Oder und der westlichen Welt weitreichende kulturelleÄhnlichkeiten bestanden – Gemeinsamkeiten, die auf dem Boden einer alle indoeuro-päischen Völker verbindenden zivilisatorischen Gemeinschaft erwuchsen und diebedeutend gestärkt wurden, seit der Piastenstaat das Christentum in seiner lateinischenGestalt angenommen hatte.

Wir streben nicht an, das Material vollständig auszuschöpfen, nicht einmal das polni-sche. Eine Bedingung für den Erfolg unserer Unternehmung bildet die möglichstpräzise und möglichst tiefgreifende Analyse der Quellen. Eine solche Analyse kann nurin Bezug auf eine beschränkte Zahl von Zeugnissen und Phänomenen durchgeführt wer-den. Deshalb werden wir uns mit der Untersuchung einer kleinen ausgewählten Gruppe

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 3: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 39

von Paradigmen begnügen müssen. Diese werden sich auf drei Epochen der mittelalter-lichen polnischen Geschichte verteilen: die Zeit der ersten piastischen Monarchie, fürdie wir das Beispiel der programmatischen Begründung der Sakraltopographie Krakausuntersuchen; die Zeit der zweiten piastischen Monarchie, für die wir die Stiftung desBenediktinerklosters Tyniec bei Krakau behandeln und die Zeit der teilfürstlichenZersplitterung, für die wir die Errichtung des Breslauer Kollegiatstifts zum HeiligenKreuz durch Heinrich den Gerechten analysieren.

Das Stiftungsprogramm für Krakau – eine Nachbildungvon Aachen?

Unter den ottonischen Städten nahm Aachen eine herausragende Position ein.1 Dieseverdankte sie der Politik der Liudolfinger, deren Macht ihre Quelle in Sachsen hatte.Um die soziale Basis ihrer Herrschaft zu erweitern, waren die Liudolfinger bemüht,über ihr heimisches Zentrum hinauszugehen und die Akzeptanz anderer deutscherStämme zu gewinnen, hauptsächlich der an Maas, Rhein und Main siedelnden Franken.Gleichzeitig versuchten sie, die ideologischen Grundlagen der monarchischen Herr-schaft umzuformulieren, indem sie an das Ideal des Königs als eines von Gott Gesalb-ten und Vikars Christi anknüpften – ein Ideal, das den Sachsen recht fremd war, aberdie Vorstellungskraft kirchlicher Kreise ansprach. Am Ende setzten sie sich die Wie-derherstellung des Kaiserreiches zum Ziel. Bei der Realisierung dieser Aufgaben berie-fen sie sich auf ein mächtiges Symbol – das der Persönlichkeit Karls des Großen. Umdie Franken zu gewinnen, waren sie bemüht, sich als dessen legale Nachfolger zupräsentieren. Durch die Stilisierung ihrer Rolle als von Gott gesandte Herrscher undVikare Christi versuchten sie zu beweisen, dass sie diesen (neben Konstantin) hervorra-gendsten und ehrwürdigsten christlichen Monarchen nachahmten. Auch was die reno-vatio imperii betraf, fanden sie das Vorbild, den Antrieb und die Rechtfertigung dafür inden Taten und im Ruhm dieses großen Erneuerers des Kaiserreiches.

1 Zum Verhältnis der Liudolfinger zu Aachen u. a. Percy Ernst Schramm, Kaiser, Rom und Renovatio.Studien zur Geschichte des römischen Erneuerungsgedankens vom Ende des Karolingischen Reiches biszum Investiturstreit. Bad Homburg 31962, 69; 78; 93; 140; Josef Fleckenstein, Die Hofkapelle der deut-schen Könige, Bd. 2: Die Hofkapelle im Rahmen der ottonisch-salischen Reichskirche. Stuttgart 1966,145ff.; Karl Hauck, Die Ottonen und Aachen, 876–936, in: Wolfgang Braunfels / Percy Ernst Schramm(Hrsg.), Karl der Große, Bd. 4: Das Nachleben. Düsseldorf 1967, 39–53; Helmut Beumann, Grab undThron Karls des Großen zu Aachen, in: Braunfels / Schramm, ebd., 9–38; Wolfgang Giese, Der Stammder Sachsen und das Reich in ottonischer und salischer Zeit. Studien zum Einfluß des Sachsenstammesauf die politische Geschichte des Deutschen Reichs im 10. und 11. Jahrhundert und zu ihrer Stellung imReichsgefüge mit einem Ausblick auf das 12. und 13. Jahrhundert. Wiesbaden 1979, 96ff.; 100ff.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 4: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

40 Roman Michałowski

Man wusste sehr wohl, dass Karls Hauptstadt Aachen war. Dort ruhten die sterbli-chen Überreste des Kaisers, und dort befand sich auch sein Thron. Daher ist es nichtweiter verwunderlich, dass Otto I., der energischer als sein Vater um die Unterstützungder Franken bemüht war, seine Herrschaft gerade in dieser Stadt offiziell inaugurierte.Dort wurde er zum König gewählt und ausgerufen, dort – auf dem Thron des großenMonarchen sitzend – nahm er die Huldigung der deutschen Herren entgegen und dortwurde er gesalbt und gekrönt. Und obwohl er bemüht war, Magdeburg zum politischen,administrativen und religiösen Zentrum des Staates zu machen, zögerte er nicht, Aachenals die wichtigste Hauptstadt des Königreiches nördlich der Alpen zu bezeichnen.

Unter Otto III. gewann dieses Zentrum dann noch mehr an Bedeutung. Dieser wiesein Vater und Großvater in Aachen gekrönte Monarch schenkte der Hauptstadt Karlsdes Großen außergewöhnliche Beachtung. Er wählte sie als seine ewige Ruhestätte,beschenkte sie mit Reliquien und entfaltete zu ihrem größeren Glanz ein ganzes Stif-tungsprogramm.2 Dem Marienstift – d. h. der Pfalzkapelle Karls des Großen, in der sichder Thron und das Grab des Kaisers befanden – schenkte er Landgüter und Sakral-kunstgegenstände. Mehr noch, er bemühte sich beim Papst um ein Privileg, kraft dessenin der Pfalzkapelle ein Kardinalskollegium geschaffen wurde. Das war eine ungewöhn-liche Auszeichnung, da sich im Reich bis zu diesem Zeitpunkt nur einige Archikathe-dralkirchen eines ähnlichen Privilegs erfreuen konnten. Otto III. beabsichtigte, diesesder Jungfrau Maria gewidmete Kollegiatstift mit einem Kranz von Sakralobjekten zuumgeben. Um 997 gründete er in Burtscheid bei Aachen ein dem hl. Nikolaus geweih-tes Benediktinerkloster.3 Ungefähr zur gleichen Zeit unternahm er die nötigen Schritte,

2 Zum Stiftungsprogramm Ottos III.: Fleckenstein, Hofkapelle (wie Anm. 1); Dietmar Flach,Untersuchungen zur Verfassung und Verwaltung des Aachener Reichsgutes von der Karolingerzeitbis zur Mitte des 14. Jahrhunderts. Göttingen 1967, 135f.; 143f.; 153f.; Teresa Dunin-Wąsowicz, Leculte de Saint Adalbert vers l´an 1000 et la fondation de l´église Saint-Adalbert à Liège, in: JosephDeckers (Hrsg.), La collégiale Saint-Jean de Liège. Mille ans d’art et d’histoire. Liège 1981, 35–38;Thomas Wurzel, Die Reichsabtei Burtscheid von der Gründung bis zur frühen Neuzeit. Aachen1984, 11ff.; 33ff.

3 Die ältesten Urkunden über den Konvent in Burtscheid nennen als Patron des Klosters neben demhl. Nikolaus den hl. Apollinaris, ausnahmsweise den hl. Gregor und seit 1029 den hl. Johannes denTäufer; Rheinisches Urkundenbuch. Ältere Urkunden bis 1100, Bd. 1: Aachen-Deutz. Ed. ErichWisplinghoff. Bonn 1972, Nr. 109; 110; 113. Aber in ältester Zeit war der Bischof von Myra derHauptpatron. Dafür spricht das Diplom Heinrichs II. für das Marienstift in Aachen vom 6. Februar1005 (ebd. Nr. 32), und zwar aus zwei Gründen. Erstens wird dort nur ein Patrozinium des Klostersgenannt: St. Nikolai. Zweitens ist der Tag, an dem die Mönche gemäß dem in der Urkunde geäu-ßerten Willen des Königs verpflichtet sind, die Kanoniker von der Jungfrau Maria zu bewirten,gerade das Fest des Bischofs von Myra. Diese Bewirtung sollte ein Zeugnis dafür sein, dass diePfalzkapelle den ersten Platz unter den Aachener Kirchen einnimmt. Zu ihrer Bewirtung warenauch die Kanoniker von St. Adalbert verpflichtet, und zwar am Fest dieses Heiligen. Interessant istauch, dass das Diplom Heinrichs II. für den Konvent in Burtscheid aus dem Jahre 1016 das Tages-datum des 6. Dezember, d. h. das Datum des Festes des hl. Nikolaus trägt; vgl. Albert Huyskens,Die Aachener Kirchengründungen Kaiser Heinrichs II. in ihrer rechtsgeschichtlichen und kirchen-

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 5: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 41

um an dem Ort, wo sich die karolingische Friedhofskapelle St. Salvator erhob, eindiesem Salvator und der Heiligen Märtyrerin gewidmetes Benediktinerinnenkloster zustiften. Schließlich – vielleicht schon im Jahre 997 – begann der Kaiser mit der Grün-dung des Kollegiatstifts St. Adalbert.4 Allerdings vereitelte der Tod des Monarchen einevollständige Verwirklichung dieses großartigen Programms. Zwar führte Heinrich II.die Stiftung des Kollegiatstifts St. Adalbert zu Ende und nahm den Mönchsorden inBurtscheid unter seine Obhut, aber er verzichtete auf das Projekt der Gründung einesBenediktinerinnenklosters.

Die Wahl der Patrozinien ist nicht schwer zu erklären. Das Patrozinium der JungfrauMaria und St. Salvator war ein Erbe Aachens aus karolingischer Zeit, während der Titelder Heiligen Corona mit den von Otto III. gespendeten Reliquien in Verbindung stand.Die Religiosität des Kaisers selbst widerspiegeln deutlicher, wie es scheint, die Patrozi-nien des hl. Nikolaus und des hl. Adalbert.5 Der Kult des Bischofs von Myra war im10. Jahrhundert im Reich nur schwach verbreitet, so dass die Aachener Stiftung zuEhren dieses Heiligen mit den byzantinischen Verbindungen des Monarchen erklärt

geschichtlichen Bedeutung, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 42, 1920, 233–294, hier273f. In der älteren Historiografie wird die Ansicht vertreten, dass das Kloster St. Nikolai, von demin der Urkunde vom 6. Februar 1005 die Rede ist, eine andere kirchliche Institution war als dasKloster in Burtscheid. Dass diese Ansicht falsch ist, hat Huyskens, ebd., 254 gezeigt.

4 Akzidentiell kommt auch das zweite Patrozinium dieser Kirche vor, jenes des hl. Hermes; Hein-rici II. et Arduini diplomata. Ed. Harry Bresslau / Hermann Bloch, in: MGH Diplomata regum etimperatorum Germaniae, Bd. 3. Berlin 21957, Nr. 102. Es steht außer Zweifel, dass nicht Hein-rich II. der erste, d. h. der eigentliche Stifter von St. Adalbert war, sondern Otto III. Die wichtigstenfür diese Ansicht sprechenden Argumente bei Huyskens, Aachener Kirchengründungen (wieAnm. 3), 270f.; Flach, Untersuchungen (wie Anm. 2), 147 und dort Anm. 330. Zu den politischenMotiven, die Heinrich II. zur Fortführung der Stiftung von St. Adalbert bewegten Johannes Fried,Otto III. und Boleslaw Chrobry. Das Widmungsbild des Aachener Evangeliars, der ‚Akt von Gne-sen‘ und das frühe polnische und ungarische Königtum. Stuttgart 1989, 110.

5 Zur Verehrung des hl. Nikolaus im frühmittelalterlichen Deutschland u. a. Karl Meisen, Nikolaus-kult und Nikolausbrauch im Abendland. Eine kulturgeographisch-volkskundliche Untersuchung.Düsseldorf 1931, 71f.; Heinrich Börsting, Liudger, Träger des Nikolauskultes im Abendland, in:Heinrich Börsting / Alois Schröter (Hrsg.), Liudger und sein Erbe. Dem 70. Nachfolger des heili-gen Liudger Clemens August Kardinal von Galen Bischof von Münster zum Gedächtnis, Teil 1.Münster 1948, 139–181. Zum Kult des hl. Adalbert im Reich und über die Umstände dieser Vereh-rung Jadwiga Karwasińska, Studia krytyczne nad żywotami św. Wojciecha, biskupa praskiego. III[Kritische Studien zu den Viten des hl. Adalbert, des Bischofs von Prag. III], in: StŹrodł 4, 1959,9–32, bes. 19f.; Aleksander Gieysztor, Rzymska studzienka ze św. Wojciechem z roku około 1000[Der römische Brunnen mit dem hl. Adalbert aus der Zeit um das Jahr 1000], in: Jan Białosto-cki / Michał Walicki (Hrsg.), Sztuka i historia. Księga pamiątkowa ku czci profesora Michała Wa-lickiego. Warszawa 1966, 22–29; Ders., Sanctus et gloriosissimus martyr Christi Adalbertus: UnEtat et une Eglise missionaires aux alentours de l´an mille, in: La conversione nell´Europa dell´altomedioevo. Spoleto 1967, 611–647; Stanisław Trawkowski, Pielgrzymka Ottona III do Gniezna [DiePilgerfahrt Ottos III. nach Gnesen], in: Jerzy Dowiat u. a. (Hrsg.), Polska w świecie. Szkice zdziejów kultury polskiej. Warszawa 1972, 107–124; Dunin-Wąsowicz, Culte (wie Anm. 2), passim.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 6: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

42 Roman Michałowski

werden muss. Es genügt, daran zu erinnern, dass die Mutter des Kaisers eine Griechinwar. Die Gründe, warum Otto ein dem Apostel der Pruzzen gewidmetes Kollegiatstiftgründete, waren dagegen schon etwas komplizierter. Einerseits verbanden den Herr-scher und andere Mitglieder der politischen Elite persönliche Freundschaftsbande mitdem künftigen Märtyrer. Andererseits harmonierte dessen während der Mission unterden Heiden erlittenes Martyrium mit der Hauptaufgabe, für die das Kaiserreich gegrün-det worden war: mit der Pflicht, die Völker zum christlichen Glauben zu bekehren. Vondiesen Motiven geleitet war der Monarch bemüht, den hl. Adalbert in den Rang einesder Hauptpatrone des Reiches zu erheben. Erwähnenswert ist, dass im Verlauf nurweniger Jahre im Kaiserreich eine ganze Reihe von Kirchen zu Ehren des Prager Bi-schofs gestiftet wurde, wobei Otto III. selbst die Stiftung von mindestens vier solcherGotteshäuser zugeschrieben werden kann: in seinen beiden Hauptstädten des Imperiums– in Aachen und in Rom – sowie in Affile und Pereum.6

Hinter den Gunstbezeigungen, die der Kaiser Aachen erwies, verbarg sich der Wille,diese Stadt über alle anderen Zentren des Imperiums – Rom ausgenommen – zu erhe-ben.7 Der Monarch fühlte sich mit der sächsischen Tradition nicht besonders verbunden,so dass es nicht verwunderlich ist, dass er sich weder für Magdeburg noch für andere inden nordöstlichen Gebieten Deutschlands gelegene Residenzen interessierte. Anderer-seits war er in viel größerem Maße als irgendeiner seiner Vorfahren von der Idee derrenovatio Imperii Romanorum besessen. Karl der Große galt ihm dabei als Vorgängerund Meister in diesem Werk. Die Verehrung, die er ihm erwies, äußerte sich am deut-lichsten in einem Vorkommnis, das auf seine Zeitgenossen einen eher unangenehmenEindruck machte. Nach seiner Rückkehr aus Gnesen hatte er im Frühjahr 1000 heimlich dasGrab des großen Kaisers öffnen lassen und ihm Teile der Totenausstattung entnommen,vielleicht sogar Partikel der leiblichen Überreste des Toten.8 Otto III. war mithin vonAachen mehr als fasziniert. Als Hauptzentrum und ewige Ruhestätte des Erneueres desReiches wurde diese Stadt für den blutjungen Monarchen zum Symbol seiner verborgenstenWünsche und sollte – als Vehikel einer politischen Idee – zum Instrument von derenPropagierung werden. Besondere Aufmerksamkeit verdient in dieser Hinsicht eineGruppe von Sakralobjekten, die unter Otto III. in Aachen existierten oder von ihm geplantwaren. Sie verteilten sich in der Topografie der Stadt in spezifischer Weise (s. Karte 1).St. Salvator, St. Adalbert und St. Nikolai umgaben die Marienkapelle von drei Seiten;St. Salvator war 1,1 km von ihr entfernt,9 St. Adalbert 0,8 km und St. Nikolai 1,4 km. DieSalvator- und die Nikolaikirche standen sich auf der gegenüberliegenden Seite der

6 Dunin-Wąsowicz, Culte (wie Anm. 2), 35.7 Annalium Quedlinburgensium continuatio. Ed. Georg Heinrich Pertz, in: MGH SS, Bd. 3. Hanno-

ver 1839, 72–90, hier 77 (unter dem Jahr 1000).8 Beumann, Grab (wie Anm. 1).9 Alle Entfernungen werden annähernd und in Luftlinie angegeben.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 7: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 43

Pfalzkapelle gegenüber, etwas zu St. Adalbertkirche hingeneigt, die sich zwischen ihnengelegen ungefähr bis zur Höhe der Marienkapelle erhob.

Im mittelalterlichen Krakau lässt sich eine analoge Anordnung erkennen (s. Karte 2). Sokonstatierte Jan Długosz unter Berufung auf eine heute verschollene Quelle zum Jahr 1241:Cunradus (…) castrum in Cracovia edificat, incipiens ab ecclesia beati Wenceslai, asanctuario altaris beati Thome tendens ad ecclesiam sancti Gereonis, et inde usque adecclesiam Beate Marie rotundam.10 Kurz vor der Mitte des 13. Jahrhunderts stand demnachunweit der Krakauer Kathedrale eine Rotunde, die der Jungfrau Maria gewidmet war.11

Lange Zeit war auf dem Wawel nur ein sakraler Rundbau bekannt – der in der Nähe derköniglichen Küche entdeckte Tetrakonchos (mit Gerard Labuda wollen wir ihn als RotundeA bezeichnen). Daher bestand kein Zweifel daran, dass es sich bei diesem archäologischerfassten Gotteshaus und der von Długosz beschriebenen Marienkirche um ein und dasselbeObjekt gehandelt hat.12 Die Situation verkomplizierte sich jedoch, als auf dem WawelbergSpuren dreier anderer auf einem kreisförmigen oder kreisähnlichen Grundriss errichteterBauten entdeckt wurden. Hierbei handelt es sich um eine in der Nähe der BastionWładysławs IV. entdeckte präromanische Rotunde, eine in der Gegend der späterenSandomirer Bastei errichtete frühromanische Rotunde13 sowie die sogenannte Rotunde B14

– ein ca. dreißig Meter südöstlich von der Rotunde A gelegenes präromanisches Gotteshaus.

10 Ioannis Dlugossii Annales seu Cronicae incliti regni Poloniae. Liber 7–8. Ed. Zofia Budkowskau. a. Varsoviae 1975, Buch 7, 32. Diesen Text kommentiert u. a. Zofia Budkowa, W sprawiewezwania rotundy NP Marii [Zur Frage des Patroziniums der Rotunde Unserer Lieben Frau], in:Jerzy Szablowski (Hrsg.), Studia do dziejów Wawelu, Bd. 3. Kraków 1968, 122–125; GerardLabuda, Studia nad początkami państwa polskiego [Studien über die Anfänge des polnischenStaates], Bd. 2. Poznań 1988, 322f.; 328f.

11 Die Existenz einer Marienkirche auf dem Wawel bestätigt auch ein liturgischer Text aus derersten Hälfte des 13. Jahrhunderts; Budkowa, W sprawie wezwania (wie Anm. 10), 124. Vgl. je-doch Labuda, Studia, Bd. 2 (wie Anm. 10), 342, Anm. 40.

12 So sieht das fast die gesamte einschlägige Literatur. Zum Bauwerk selbst vor allem Klementyna Żurowska,Rotunda Wawelska. Studium nad centralną architekturą epoki wczesnopiastowskiej [Die Rotunde auf demWawel. Eine Studie zur zentralen Architektur der frühpiastischen Zeit], in: Szablowski, Studia do dziejówWawelu (wie Anm. 10), 1–121; Dies., Nowe problemy rotundy Panny Marii na Wawelu po odkryciach wlatach sześćdziesiątych i siedemdziesiątych XX wieku [Neue Probleme der Rotunde zur Jungfrau Mariaauf dem Wawel nach den Entdeckungen in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts], in:Dies., Studia nad architekturąwczesnopiastowską. Warszawa / Kraków 1983, 7–53.

13 Zu diesen beiden Rotunden Janusz Firlet / Zbigniew Pianowski, Odkrycie dwóch wczesnośredni-owiecznych kościołów w rejonie tzw. bastionu Władysława IV na Wawelu [Die Entdeckungzweier frühmittelalterlicher Kirchen in der Region der sogenannten Bastion Władysławs IV. aufdem Wawel], in: Spraw. Arch. 30, 1985, 153–167; Dies., Wawel wczesnośredniowieczny wświetle nowszych badań archeologicznych [Der frühmittelalterliche Wawel im Lichte neuerer ar-chäologischer Untersuchungen], in: Kraków przedlokacyjny. Materiały sesji naukowej z okazjiDni Krakowa w 1984 roku. Kraków 1987, 49–68, hier 50f.

14 Zu diesem Baudenkmal Stanisław Kozieł / Mieczysław Fraś, Stratygrafia kulturowa w rejonieprzedromańskiego kościoła B na Wawelu [Die kulturelle Stratigraphie in der Region der präro-manischen Kirche B auf dem Wawel]. Wrocław / Warszawa / Gdańsk 1979.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 8: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

44 Roman Michałowski

Karte 1:Aachen im 11. Jh.

Karte 2:Krakau in der ersten Hälftedes 13. Jhs.

0 1 km

Ludwinów

St. Adalbert

Debniki,

Wawel

Okól

Skalka

Bawól

St. Nikolai

St.Salvator

Jungfrau Maria

Rudawa

Wilga

Weichsel

Kathedrale

Kirchen

Siedlungsgebiet

wichtigere Wege

lokale Wege

heutiger Verlauf der Weichsel

ältere Weichsel u. ihre Zuflüsse

Teiche

Sumpf

St. Salvator

nachKöln

nachEupen

nachLüttich

JungfrauMaria

St.Adalbert

St.Nikolai

+++ ++ +

0 500 m

N

N

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 9: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 45

Es ist anzunehmen, dass das Ziel der von Długosz beschriebenen Befestigungsarbei-ten darin bestand, die im nordöstlichen Teil des Wawel gelegene herzogliche Residenzvom Rest des Hügels abzutrennen. Deshalb würde von den drei neu entdeckten Objek-ten auch nur die Rotunde B als Marienkirche in Frage kommen. Für eine solche Identi-fizierung hat sich Gerard Labuda ausgesprochen.15 Die Frage, welche der Kirchen – dieRotunde A oder die Rotunde B – ein marianisches Patrozinium trug, ist schwer zulösen.16 Bei der Durchführung der nachfolgenden Analyse müssen daher beide Mög-lichkeiten in Betracht gezogen werden. Aufgrund der Mauerplattentechnik muss dieRotunde A dem präromanischen Horizont der Krakauer Architektur zugezählt werden,wobei es nicht an Argumenten mangelt, die Entstehung der Kirche statt mit der böhmi-schen Herrschaft in Kleinpolen mit der Stiftungstätigkeit der Piasten in Verbindung zubringen.17 Erstens besaß dieser Tetrakonchos eine Empore, d. h. ein den damaligenböhmischen Einraumkirchen unbekanntes oder fast unbekanntes Element,18 das in denebenfalls einräumigen polnischen präromanischen Gotteshäusern dagegen sehr häufigvorkam.19 Zweitens erinnert die Ausführung dieser Kirche, soweit erkennbar, sehr andie Handschrift jener Werkstatt, die gleich nach dem Jahr 1000 am Bau der erstenKrakauer Kathedrale gearbeitet hat.20

Die in Plattentechnik errichtete Rotunde B gehört ebenfalls zu den präromanischenObjekten. Aber im Unterschied zur Rotunde A fehlt es an eindeutigen Hinweisen, dieeine präzisere Datierung erlauben würden. In der einschlägigen Literatur wird siedennoch zumeist mit der böhmischen Zeit in Verbindung gebracht,21 auch wenn esStimmen gibt, die auch diese Rotunde in die piastische Zeit datieren.22 Beide Gottes-häuser befanden sich auf dem Wawelhügel – einer der wichtigsten Burgsiedlungen der

15 Labuda, Studia, Bd. 2 (wie Anm. 10), 340f.16 Vgl. Żurowska, Nowe problemy rotundy (wie Anm. 12), 19f., die sich für die erstere Lösung

ausspricht.17 Diese Meinung herrscht gegenwärtig vor. Aber es gibt auch weiterhin Gegenstimmen, vgl. etwa

Andrzej Żaki, Początki chrześcijaństwa w Polsce południowej w świetle źródeł archeologicznych ipisanych [Die Anfänge des Christentums in Südpolen im Lichte der archäologischen und schrift-lichen Quellen]. London 1981, 56.

18 Andrzej Tomaszewski, Romańskie kościoły z emporami zachodnimi na obszarze Polski, Czech iWęgier [Romanische Kirchen mit Westemporen in Polen, Böhmen und Ungarn]. Wrocław 1974,191; 247; Klementyna Żurowska, Program emporowy rotund wczesnopiastowskich [Das Em-porenprogramm der frühpiastischen Rotunden], in: Dies., Studia (wie Anm. 12), 93, Anm. 61.

19 Stanisław Kozieł, [Rezension zu Kazimierz Radwański, Kraków przedlokacyjny. Rozwój przes-trzenny [Krakau vor der Lokation. Die räumliche Entwicklung], in: Spraw. Arch. 29, 1977, 315.

20 Vgl. Zbigniew Pianowski, [Interview], in: Tygodnik Polski 5, 1986, 11; Firlet / Pianowski,Wawel wczesnośredniowieczny (wie Anm. 13), 55. Es sei daran erinnert, dass das Bistum in Kra-kau erst 999/1000 gegründet wurde.

21 Zum Beispiel Kozieł / Fraś, Stratygrafia kulturowa (wie Anm. 14), 80.22 Firlet / Pianowski, Wawel wczesnośredniowieczny (wie Anm. 13), 55. Vgl. jedoch Lech Lecieje-

wicz, Głos w dyskusji [Diskussionsbeitrag], in: Kraków przedlokacyjny. Materiały z sesji nau-kowej z okazji Dni Krakowa 1984. Kraków 1987, 152–154.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 10: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

46 Roman Michałowski

ersten piastischen Monarchie. Somit könnte sowohl die eine als auch die andere Kirchedie Funktion einer Palastkapelle erfüllt haben. Für einen solchen Charakter der Marien-kirche auf dem Wawel spricht auch ihr Patrozinium.23 Mithin dürfte in der Zeit derersten piastischen Monarchie in Krakau eine der Gottesmutter gewidmete Kirche be-standen haben (oder im Entstehen begriffen gewesen sein), die vielleicht als Palast-kapelle diente.

Genau 1,8 km von der Marienrotunde entfernt, im Siedlungsteil Zwierzyniec, befin-det sich die Kirche St. Salvator.24 Ihr Patrozinium ist für das Jahr 1148 bezeugt,25

während die Entstehungszeit dieses ältesten archäologisch belegten Gotteshauses denGegenstand von Kontroversen bildet. Die Meinungen der Forscher oszillieren dabeizwischen dem 9. und dem 12. Jahrhundert.26 Teresa Radwańska datiert dieses Objektauf die Zeit zwischen der Wende des 11./12. und der Mitte des 12. Jahrhunderts,27

während Zbigniew Pianowski sich für die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts aus-spricht.28 Mindestens seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts war an dieser Kirche

23 Żurowska, Rotunda Wawelska (wie Anm. 12), 77f.24 Zu dieser Kirche Czesław Deptuła, Początki grupy brzeskiej premonstratensów polskich [Die Anfänge

der Brester Gruppe der polnischen Prämonstratenser]. Diss. Warszawa 1967, 124–203 (Typoskript inBiblioteka Instytutu Historycznego Uniwersytetu Warszawskiego P. Dr. XVI a. 1070/1); Ders., O nie-których źródłach do historii zakonu premonstrateńskiego w Polsce w XII i XIII wieku [Zu einigenQuellen zur Geschichte des Prämonstratenserordens in Polen im 12. und 13. Jahrhundert], in: Archiwa,Biblioteki i Muzea Kościelne 12, 1971, 187–222; Teresa Radwańska, Kościół Salwatora naZwierzyńcu w Krakowie w świetle badań archeologicznych [Die Salvatorkirche im Krakauer StadtteilZwierzyniec im Lichte archäologischer Untersuchungen], in: Mat. Arch. 22, 1984, 5–56; Zbigniew Pi-anowski, Kilka uwag o kościele Najświętszego Salwatora w Krakowie [Einige Bemerkungen über dieKirche St. Salvator in Krakau], in: Kwart. Archit. Urb. 31, 1986, 357–364. Zur Interpretation des Patro-ziniums vgl. Władysław Abraham, Organizacja Kościoła w Polsce do połowy wieku XII. [Die Organi-sation der Kirche in Polen bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts.] Poznań 31962, 109; Władysław Semko-wicz, Krucyfiks z Sirolo i jego pochodzenie z kościoła św. Salwatora na Zwierzyńcu w Krakowie [DasKruzifix aus Sirolo und seine Herkunft aus der Kirche St. Savator im Krakauer Stadtteil Zwierzyniec],in: Rocz. Krak. 23, 1932, 139–155, hier 143; Lech Kalinowski, Sztuka przedromańska i romańska wPolsce a dziedzictwo karolińskie i ottońskie [Die präromanische und romanische Kunst in Polen unddas karolingische und ottonische Erbe], in: Folia Historiae Artium 16, 1980, 5–20, hier 15; Jerzy Wy-rozumski, Polityczna rola Krakowa w okresie przedlokacyjnym [Die politische Rolle Krakaus in derZeit vor der Lokation], in: Kraków przedlokacyjny. Materiały z sesji naukowej z okazji Dni Krakowaw 1984 roku. Kraków 1987, 28–48, hier 34.

25 Rocznik kapituły krakowskiej [Annalen des Krakauer Kapitels], in: Najdawniejsze rocznikikrakowskie i kalendarz. Ed. Zofia Kozłowska-Budkowa (MPH NS, Bd. 5.) Warszawa 1978, 8–61,hier 59.

26 Die Diskussion, auf die hier nicht ausführlich eingegangen werden kann, referiert mit knappenWorten Maria Pietrusińska, Katalog i bibliografia nabytków [Katalog und Bibliografie der Neu-erwerbungen], in: Michał Walicki (Hrsg.), Sztuka polska przedromańska i romańska do schyłkuXIII wieku, Bd. 2. Warszawa 1971, 722.

27 Radwańska, Kościół Salwatora (wie Anm. 24), 24f.28 Pianowski, Kilka uwag (wie Anm. 24), 363.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 11: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 47

ein Prämonstratenserinnenkloster angesiedelt. In der älteren Literatur wurde angenom-men, dass sich dort ein Doppelkloster befand.29 Im Lichte der von Czesław Deptułavorgebrachten Argumente muss diese Ansicht allerdings als falsch angesehen werden.30

Auf der gegenüberliegenden Seite des Wawel, ungefähr 1,1 km von der Marienkircheentfernt befand sich die Kirche St. Nikolai.31 Sie tritt erstmals in einer Urkunde aus dem13. Jahrhundert in Erscheinung,32 dürfte aber sicher älter gewesen sein. Die Archäolo-gen datieren den ältesten Sakralbau an dieser Stelle auf die erste Hälfte des12. Jahrhunderts.33 Den Gottesdienst versah in der Nikolaikirche ein Weltgeistlicher,34

aber das Patronat gehörte, wie spätere Quellen belegen, den Benediktinern von Ty-niec.35

Zwischen St. Salvator und St. Nikolai, auf dem Krakauer Hauptmarkt, liegt die Kir-che St. Adalbert,36 deren Patrozinium in den Quellen seit dem 13. Jahrhundert begeg-net.37 Das älteste gemauerte Gotteshaus an dieser Stelle datiert Kazimierz Radwańskiauf den Beginn der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, Zbigniew Pianowski dagegenauf die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert.38 Aber St. Adalbert muss noch früher

29 Zum Beispiel Stanisław Trawkowski, Między herezją a ortodoksją. Rola społeczna premonstra-tensów w XI wieku [Zwischen Häresie und Orthodoxie. Die soziale Rolle der Prämonstratenserim 11. Jahrhundert]. Warszawa 1964, 199.

30 Deptuła, Początki (wie Anm. 24).31 Zu dieser Kirche Juwenalia Dzikowska, Dzieje kościoła św. Mikołaja na Wesołej [Die Geschichte

der Nikolaikirche im Stadtteil Wesoła], in: Rocz. Krak. 30, 1938, 133–172.32 Codex diplomaticus Universitatis Studii Generalis Cracoviensis, continet privilegia et documenta quae

res gestas Academiae eiusque beneficia illustrant. Teil 2: Ab Anno 1441 usque ad Annum 1470. Ed.Eduardus Franciscus Fierich. Cracoviae 1873, 172f., Annex I zu Nr. 183 (zum Jahr 1298).

33 Wiktor Zin / Władysław Grabski, Wczesnośredniowieczne budowle Krakowa w świetle ostatnichbadań [Die frühmittelalterlichen Bauwerke Krakaus im Lichte der neuesten Untersuchungen], in:Rocz. Krak. 38, 1966, 33–73, hier 60f.; Kazimierz Radwański, Kraków przedlokacyjny. Rozwójprzestrzenny [Krakau vor der Lokation. Die räumliche Entwicklung]. Kraków 1975, 231f.

34 Acta camerae apostolicae, Bd. 1: 1207–1344. Ed. Joannes Ptaśnik, in: Monumenta Poloniae Vaticana,Bd. 1. Cracoviae 1913, 114; 294; Kodeks dyplomatyczny klasztoru tynieckiego. Część 1: Obejmującarzeczy od roku 1105 do roku 1399 [Urkundenbuch des Klosters Tyniec, Teil 1: Umfasst Schriftstückeaus den Jahren 1105 bis 1309]. Ed. Wojciech Kętrzyński. Lwów 1875, Nr. 61 (zum Jahr 1344).

35 Kodeks dyplomatyczny. Ed. Kętrzyński (wie Anm. 34), Nr. 11b (Bulle Gregors IX. von 1229,wobei der die Nikolaikirche betreffende Abschnitt zu einer Interpolation aus dem 14. Jahrhundertgehört), Nr. 61.

36 Eine Zusammenfassung der älteren Literatur zu diesem Baudenkmal findet sich bei Pietrusińska,Katalog (wie Anm. 26), 721f.

37 Zbiór dyplomów klasztoru mogilskiego [Urkundensammlung des Klosters Mogiła], in: Monogra-fia opactwa cystersów we wsi Mogile, Kraków 1867, Nr. 23–25 (zum Jahr 1250).

38 Radwański, Kraków przedlokacyjny (wie Anm. 33), 174; Pianowski, Kilka uwag (wie Anm. 24),363. Kozieł, [Rezension] (wie Anm. 19) 32 hält Radwańskis Datierung für allzu spät. Zu erwäh-nen wäre der ältere Vorschlag von Zin / Grabski, Wczesnośredniowieczne budowle (wieAnm. 32), 49f., nach dem die Entstehungszeit der ältesten gemauerten Kirche für die Wende vom10. zum 11. Jahrhundert ansetzten ist.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 12: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

48 Roman Michałowski

gegründet worden sein. Dem gemauerten Gotteshaus waren ja zwei Holzkirchen vo-rausgegangen, wobei Radwański die Entstehungszeit der älteren für die Wende vom 10.zum 11. Jahrhundert annimmt.39 St. Adalbert befand sich im Mittelalter in der Hand vonWeltgeistlichen. Den Gottesdienst versah ein Diözesanpriester,40 und das Patronatgehörte bis 1404 dem Krakauer Bischof.41

Es fällt ins Auge, dass Krakau eine Kopie von Ottos III. Aachen enthielt. In derWeichselstadt finden sich dieselben Patrozinien wie in der Hauptstadt des Reiches:Heilige Jungfrau, St. Salvator, St. Nikolai und St. Adalbert. Genauso verhält es sich mitder topographischen Verteilung der Sakralobjekte: die Marienkirche in der Mitte, inunmittelbarer Nachbarschaft des Palastes, die übrigen Kirchen um sie herum, wobeiSt. Salvator und St. Nikolai auf der gegenüberliegenden Seite der Palastkapelle einandergegenüberstanden, etwas zu der zwischen ihnen gelegenen Adalbertkirche hingeneigt.Wenn man mit dem Blick auf St. Adalbert an der Marienkirche stand, dann hatte man inbeiden Städten St. Salvator auf der linken und St. Nikolai auf der rechten Seite. Ver-gleichbar sind auch die Entfernungen zwischen den Kirchen: sowohl in Aachen als auchin Krakau trennte die Marienkirche ein Raum von 1 bis 2 km von St. Salvator und von0,5 bis 1 km von St. Adalbert. Mehr noch, auch die Funktionen der dieselben Patrozi-nien tragenden Objekte deckten sich. Die Marienkirche diente sowohl hier als auch dortals Palastkirche (in Bezug auf Krakau ist das allerdings nur eine Hypothese), und inbeiden Städten dienten an St. Salvator Ordensfrauen Gott oder sollten Ihm dienen.St. Nikolai befand sich sowohl hier als auch dort in den Händen von Benediktinern, undum St. Adalbert kümmerte sich die Weltgeistlichkeit.

Das sind zu viele Übereinstimmungen, als dass sie als bloße Zufälle gelten könnten.Deshalb darf die These gewagt werden, dass die Sakraltopographie Krakaus eine be-wusste Nachahmung jener von Aachen darstellen sollte.42 Natürlich wissen wir, dass diePatrozinien der Jungfrau Maria, St. Adalbert und St. Nikolai in den polnischen früh-städtischen Zentren sehr populär waren; dass das Marienpatrozinium, wenn es nicht derKathedrale vorbehalten war, in den Burgsiedlungen oft vorkam (wenn auch nichtimmer, so nicht in Breslau); dass die Nikolai- und Adalbertskirchen immer gern inbeträchtlicher Entfernung vom Zentrum errichtet wurden (Breslau, Posen), obwohl esauch hier Ausnahmen gab (St. Nikolai auf der Burg von Teschen, St. Adalbert auf derBurg von Płock und in der Burgvorstadt von Kalisch). Aber selbst wenn wir annehmen

39 Radwański, Kraków przedlokacyjny (wie Anm. 33), 177f.40 Vgl. die in Anm. 37 genannten Urkunden sowie Acta camerae apostolicae (wie Anm. 34), 114.41 Codex diplomaticus Universitatis Studii Generalis Cracoviensis, continet privilegia et documenta

quae res gestas Academiae eiusque beneficia illustrant. Teil 1: Ab Anno 1365 usque ad Annum1440. Ed. Fredericus Casimirus Skobel. Cracoviae 1870, Nr. 33 (zum Jahr 1404).

42 In diesem Zusammenhang muss auf die Untersuchungen von Żurowska, Rotunda Wawelska (wieAnm. 12) verwiesen werden, die geneigt ist, in der mit der Kirche zur Jungfrau Maria identifiziertenKrakauer Rotunde A sowie in anderen derartigen (hypothetischen) Kapellen den ideologischen EinflussAachens zu sehen und dies sowohl wegen ihres Patroziniums als auch ihrer architektonischen Form.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 13: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 49

würden, dass das gleiche Auftreten der betreffenden Patrozinien in Krakau und ihreLokalisierung auf dem Wawel oder in den Randgebieten der Stadt, die These vompolnischen ‚Aachen‘ zwar zulässt, diese aber noch nicht positiv beweist, so hätten wires dennoch mit einer ganzen Reihe von Übereinstimmungen zu tun, die für diese Thesesprechen. Um nur die wichtigsten zu nennen: das Patrozinium St. Salvator, das immittelalterlichen Polen fast ohne Analogien ist; die Lage dieser Kirche nicht auf demWawelberg und auch nicht unterhalb desselben, sondern in beträchtlicher Entfernungvon ihm; dieselbe Geste der Umrahmung der Marienkapelle und der monarchischenResidenz durch die Kirchen St. Salvator, St. Adalbert und St. Nikolai (theoretischhätten diese Objekte ja zum Beispiel auch nebenander stehen können); die einandergegenüberliegende Situierung der uns interessierenden Objekte im Raum (bei derMarienkirche liegt, blickt man auf St. Adalbert, zur linken Hand St. Salvator und zurrechten St. Nikolai – wobei hier theoretisch sechs Kombinationen der Anordnungmöglich wären); und schließlich die Funktionen von St. Salvator, St. Adalbert undSt. Nikolai. Es gibt genug Übereinstimmungen, die unsere These stützen.

Wir sind uns auch darüber im Klaren, dass es in Aachen im Unterschied zu Krakaukeine Kathedrale gab. Sollte die Annahme unserer Konzeption etwa an diesem Umstandscheitern? Das glauben wir nicht. Wenn der polnische Herrscher gerade in Krakau einpolnisches ‚Aachen‘ errichten wollte – wozu ihn bestimmte politische und ideologischeMotive bewegt haben müssen –, dann hatte er gar keine andere Wahl als über diesenUnterschied hinweg zur Tagesordnung überzugehen; er konnte die für die HauptstadtOttos III. charakteristische Anordnung lediglich in die Struktur der bereits existierendenStadt einfügen. Dabei muss noch auf einen weiteren Umstand hingewiesen werden. ImMittelalter wich die Kopie manchmal weit von ihrem Vorbild ab. Aus schriftlichenQuellen wissen wir zum Beispiel, dass Bischof Meinwerk die sogenannte Busdorfkirchein Paderborn nach dem Vorbild der Kirche vom Heiligen Grab erbauen ließ und zudiesem Zweck extra einen Boten nach Jerusalem schickte, der das betreffende Objektausmessen sollte. Die Grabeskirche existiert bis heute und die Busdorfkirche in ihrerältesten Gestalt ist archäologisch erfassbar, aber für den heutigen Beobachter sindzwischen beiden Bauwerken wohl schwerlich größere Gemeinsamkeiten zu erkennen.Denn der Mensch des Mittelalters gab sich, wenn er die Kopie eines Objekts schaffenwollte, mit der Ähnlichkeit einiger weniger Merkmale zufrieden; die Nachbildung allerEigenschaften des Urbilds erschien ihm nicht notwendig.43 Wenn das so ist, dann muss

43 Richard Krautheimer, Introduction to an ‚Iconography of Mediaeval Architecture‘, in: Journal ofthe Warburg and Courtauld Institutes 5, 1942, 1–33, hier 2f.; was die Lokalisierung vonSt. Adalbert und St. Nikolai an den Rändern der polnischen frühstädtischen Zentren betrifft, sokönnen wir uns hier nicht des Eindrucks erwehren, dass diese eine Nachahmung der KrakauerAnlage war. Vgl. Roman Michałowski, Kościół św. Mikołaja we wczesnopiastowskich ośrodkachrezydencjonalnych [Die Nikolaikirche in den frühpiastischen Residenzstädten], in: SpołeczeństwoPolski średniowiecznej 6, 1994, 63–74.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 14: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

50 Roman Michałowski

die Kathedrale im piastischen ‚Aachen‘ an der Weichsel den Monarchen nicht unbe-dingt gestört haben.

Es ist nicht schwer festzustellen, wann diese Replik entstanden ist. Dies kann nichtvor 997 gewesen sein, denn erst in diesem Jahr etwa hatte Otto III. in Aachen einKloster zu Ehren des Bischofs von Myra gestiftet, und in diesem Jahr erlitt auch derApostel der Pruzzen seinen Märtyrertod. Aber sie kann auch nicht später als einigeJahrzehnte nach dem Tode des Kaisers entstanden sein. Dafür sprechen zwei Argu-mente. Erstens verlor das Kloster in Burtscheid nach der Mitte des 11. Jahrhunderts seinPatrozinium St. Nikolai und nahm stattdessen das des hl. Johannes des Täufers an.Zweitens wurde die Absicht, an der Aachener St. Salvatorkirche Benediktinerinnenanzusiedeln, nicht verwirklicht,44 so dass angenommen werden muss, dass das Projektder Gründung eines Konvents in Zwierzyniec zu einem Zeitpunkt entstand, als dieErinnerung an die Pläne Ottos III. noch lebendig war. Als Autor der uns interessieren-den urbanistischen Unternehmung müssen daher Bolesław I., der Tapfere, Mieszko II.oder Kasimir der Erneuerer angesehen werden.

Natürlich ist die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Absicht eines der drei ge-nannten Herrscher, Krakau in eine Kopie Aachens zu verwandeln, nicht unbedingt nochzu seinen Lebzeiten verwirklicht worden sein muss. Es handelte sich schließlich umeine groß angelegte Unternehmung. Man kann sich zum Beispiel vorstellen, dass derPlan, den – nehmen wir einmal an – Kasimir der Erneuerer entworfen und zu realisierenbegonnen hatte, erst von einem seiner Söhne – von Bolesław II. dem Kühnen, oderWładysław Herman – zu einem glücklichen Ende geführt wurde. Möglich wäre auch,dass Kasimir oder einer seiner Vorgänger bei der Realisierung seines Plans an einbereits existierendes Objekt anknüpfte, das die Marienkapelle auf dem Wawel gewesensein könnte. Analog verhielt es sich mit dem Projekt der Umgestaltung von Konstanz ineine Replik von Rom – diese Unternehmung realisierten zwei Bischöfe, die zweiaufeinanderfolgenden Generationen angehörten, wobei sie ein schon lange Zeit zuvorerbautes Gotteshaus nutzten.

Selbstverständlich ist uns klar, dass nicht alle in Krakau analysierten Kirchen schonfür das 11. Jahrhundert bezeugt sind. Auch ist – mit Ausnahme der Rotunde zur Jung-frau Maria, und auch dort nur hypothetisch – überhaupt nichts über die Funktionenbekannt, die sie damals erfüllten. Der Historiker sieht sich somit vor die Wahl gestellt,entweder die Ähnlichkeiten zwischen Aachen und Krakau als bloßen Zufall zu erklärenoder aber anzunehmen, dass die Nikolaikirche einige Jahrzehnte eher entstanden ist als

44 Zur Änderung des Patroziniums des Klosters in Burtscheid Huyskens, Aachener Kirchengründungen(wie Anm. 3), 274f.; Wurzel, Reichsabtei Burtscheid (wie Anm. 2), 14f.; zum geplanten Konvent anSt. Salvator vgl. ebd. 33f. Es ist bekannt, dass sich an der Stelle, an der Otto III. die Stiftung einesFrauenkonvents geplant hatte, zu Beginn des 13. Jahrhunderts ein Zisterzienserinnenkloster befand.Allerdings ist zu bezweifeln, dass ein Frauenorden dort vor der zweiten Hälfte des 12. Jahrhundertsentstanden ist, als alle zum Krakauer ‚Aachen‘ gehörenden Kirchen bewiesenermaßen schon exis-tierten, d. h. als dieser urbanistische Plan bereits in Angriff genommen und realisiert worden war.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 15: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 51

die Archäologen und Kunsthistoriker behaupten, und dass es schon im 11. Jahrhundertein Frauenkloster in Zwierzyniec gab, dass an der Nikolaikirche Benediktiner angesie-delt waren und dass der Gottesdienst in St. Adalbert der Weltgeistlichkeit oblag. Da esso viele Ähnlichkeiten zwischen beiden Städten gibt, müssen wir uns für die zweiteLösung aussprechen. Schließlich ist es durchaus wahrscheinlich, dass die Archäologenbei ihren Untersuchungen an St. Nikolai gar nicht bis zum frühesten Sakralbau vorge-drungen sind oder diesen nicht erkannt haben.45 Ebenfalls nicht auszuschließen ist, dasSpuren davon überhaupt nicht erhalten sind, was um so leichter der Fall sein könnte, alsdieses frühere Gotteshaus – so wie die St. Adalbertkirche – aus Holz errichtet wurde.Kein Hindernis für unsere Konzeption ist auch der Umstand, dass der Orden der Prä-monstratenser erst im 12. Jahrhundert entstanden ist. Denn bekanntlich bekundetenihren Beitritt zu diesem Orden oftmals Konvente, die schon seit sehr langer Zeitexistierten und vorher nach einer anderen Regel gelebt und andere Bräuche gepflegthatten.46 Mit einer komplizierteren Situation haben wir es in Wesoła zu tun, wo es inder von schriftlichen Quellen beleuchteten Zeit keine Mönche an der dortigen Niko-laikirche gab. Die Mönche besaßen dort lediglich das Patronatsrecht. Dies muss folgen-dermaßen verstanden werden. Im 11. Jahrhundert wurde die Nikolaikirche errichtet, ander Benediktiner angesiedelt wurden. Unter uns unbekannten Umständen hörte dieser

45 Lehreich ist hier das Beispiel der Wawelkathedrale. Obwohl in ihr seit hundert Jahren systema-tisch archäologische Untersuchungen durchgeführt wurden, stieß man erst spät auf Spuren der äl-testen, um das Jahr 1000 gestifteten Kathedralkirche. Angemerkt werden muss auch, dass den Da-tierungen der Archäologen und Kunsthistoriker kein absoluter Wert zugeschrieben werden darf.Dass es sich lediglich um Hypothesen handelt, zeigt die Verschiedenheit der Ansichten über dieEntstehungszeit der gemauerten Kirchen St. Adalbert und St. Salvator – im ersten Falle betreffendie Diskrepanzen ein ganzes Jahrhundert und im zweiten sogar dreihundert Jahre! Eben aus die-sem Grunde werden wir die allein mit archäologischen und kunsthistorischen Methoden er-mittelten Datierungen der uns interessierenden Kirchen für die Bestimmung des Zeitpunktes, zudem der Plan einer Umgestaltung Krakaus in eine Replik Aachens gefasst wurde bzw. die chro-nologische Stratifizierung der Etappen seiner Realisierung nicht verwenden.

46 Stanisław Trawkowski, Praemonstratensi, in: Władysław Kowalenko / Gerard Labuda / TadeuszLehr-Spławiński (Hrsg.), Słownik Starożytności Słowiańskich. Encyklopedyczny zarys kulturySłowian od czasów najdawniejszych, Bd. 4, Teil 1. Wrocław 1972, 333–335, hier 335. Die im15. Jahrhundert verbreitete Ansicht, das Kloster in Zwierzyniec sei von Jaxa von Miechów ge-gründet worden (so Joannis Długossii senioris canonici cracoviensis Liber beneficiorum dioecesiscracoviensis, Bd. 3: Ed. Alexander Przezdziecki. Cracoviae 1864, 58) kann nur in dem Sinne rich-tig sein, dass dieser Große dazu beigetragen hat, in dem bereits existierenden Konvent die prä-monstratensische Observanz einzuführen. Aus einer Urkunde aus dem 13. Jahrhundert wissenwir, dass dieses Kloster als herzogliche Stiftung galt; Codex diplomaticus Poloniae quo conti-nentur privilegia regum Poloniae, magnorum ducum Lituaniae, bullae pontificium nec non jura aprivatis data illustrandis domesticis rebus gestis inservitura adhuc nusquam typis exarata, ab anti-quissimis inde temporibus usque ad annum 1506, Bd. 3. Ed. Julian Bartoszewicz. Varsaviae 1858,Nr. 33, 70 (zum Jahr 1256). Eine ältere, der Einführung der prämonstratensischen Observanz vo-rausgehende Begründung des Klosters nimmt Deptuła, Początki grupy brzeskiej (wie Anm. 24),156 an.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 16: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

52 Roman Michałowski

Konvent auf zu existieren, und die Kirche wurde als eine Art Erbmasse von den Tynie-cer Benediktinern übernommen, die auf dem Boden Krakaus als Nachfolger jenerMönche fungierten. Es stimmt, dass die Tyniecer Falsifikate in der Aufstellung derKlostergüter die Nikolaikirche nicht erwähnen. Nichtsdestotrotz kann diese Kircheschon seit sehr langer Zeit zur Weichselabtei gehört haben,47 weil diese Urkunden, wiees scheint, in der Regel keine Sakralobjekte erwähnten, die ein Bestandteil der Versor-gung bildeten. Es genügt zu erwähnen, dass das Kloster ganz sicher solche Objektebesaß, noch ehe die besagten Falsifikate fabriziert wurden,48 auch wenn wir nicht sagenkönnen, welche Kirchen das waren.

Um das Stiftungsprogramm Ottos III. besser zu verstehen und die Wahrscheinlich-Wahrscheinlichkeit der Hypothese von Krakau als einer Replik Aachens zu bekräftigen,müssen wir uns etwas genauer mit dem sich im 10.–12. Jahrhundert im Reichentwickelnden urbanistischen Denken beschäftigen.49 Die Vita maior des MainzerErzbischofs Bardo enthält einen Abschnitt über die Stiftungstätigkeit des Fuldaer AbtesRichard (1018–1039).50 Als dieser gottgefällige Mann – so schreibt der Autor – einmalüberlegte, welche Kirchen es in der Umgebung von Fulda eigentlich gebe, stellte er fest,dass sich zwar nördlich von der Abtei das Oratorium der Jungfrau Maria, im Süden dieKirche des hl. Johannes des Täufers und des hl. Evangelisten Johannes und im Ostendie Kirche St. Peter befand, die Westseite dagegen unbesetzt geblieben war. Er gelangtezu der Überzeugung, dass Gott von ihm erwartete, diese Lücke zu schließen, und grün-

47 Im 15. Jahrhundert waren die Tyniecer Mönche der Meinung, dass ihr Kloster von Anfang an dasPatronatsrecht über St. Nikolai besaß; Kodeks dyplomatyczny klasztoru tynieckiego. Część 2:Obejmująca rzeczy od roku 1401 do roku 1506. [Urkundenbuch des Klosters Tyniec. Teil 2: Um-fasst Schriftstücke aus den Jahren 1401 bis 1506]. Ed. Stanisław Smolka. Lwów 1875, 48 (zumJahr 1467). Dieser Umstand ist bemerkenswert, auch wenn diese – schließlich sehr späte – Infor-mation keinen entscheidenden Quellenwert besitzt.

48 Kodeks dyplomatyczny, Teil 1. Ed. Kętrzyński (wie Anm. 34), Nr. 8 (zum Jahr 1229).49 Vgl. Erich Herzog, Die ottonische Stadt. Die Anfänge der mittelalterlichen Stadtbaukunst in

Deutschland. Berlin 1964; Helmut Maurer, Konstanz als ottonischer Bischofssitz. Zum Selbstver-ständnis geistlichen Fürstentums im 10. Jahrhundert. Göttingen 1973; Wolfgang Braunfels, Mit-telalterliche Stadtbaukunst in der Toskana. Berlin 1953, bes. 131–173; Werner Noack, Stadtbau-kunst und geistlich-weltliche Repräsentation im 11. Jahrhundert, in: Berthold Hackelsber-ger / Georg Himmelheber / Michael Meier (Hrsg.), Festschrift Kurt Bauch. KunstgeschichtlicheBeiträge zum 25. November 1957. Berlin / München 1957, 29–49; Edgar Lehmann, Bemerkun-gen zu den baulichen Anfängen der deutschen Stadt im Mittelalter, in: La città nell´alto medioevo.Spoleto 1959, 559–590; Ders., Die frühchristlichen Kirchenfamilien der Bischofssitze im deut-schen Raum und ihre Wandlungen während des Frühmittelalters, in: Beiträge zur Kunstgeschichteund Archäologie des Frühmittelalters. Akten zum VII. Internationalen Kongress für Frühmittel-alterforschung. Graz / Köln 1962, 88–103; Kurt Junghanns, Die deutsche Stadt im Frühfeudalis-mus. Berlin 1959.

50 Monachi Fuldensis Vita Bardonis. Ed. Philipp Jaffé, in: Monumenta Moguntina. Bibliothecarerum Germanicarum, Bd. 3. Berlin 1866, 529–564, hier 535f.; vgl. auch Junghanns, DeutscheStadt (wie Anm. 48), 70f.; Herzog, Ottonische Stadt (wie Anm. 48), 250f.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 17: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 53

dete dort das Kloster St. Andreas. Der Hagiograph erklärt, warum Richard für seineStiftung gerade dieses Patrozinium wählte. Es ging nämlich darum, dass die Jungfrau(d. h. die Jungfrau Maria), wenn sie nach Süden schaute, ebenfalls Jungfrauen erblickte(d. h. Johannes den Täufer und den Evangelisten Johannes, die beide keine Frauenkannten), und wenn man den Blick von Osten nach Westen richtete, der hl. Petrusseinen Bruder (den hl. Andreas) erblickte.

Dieses Fragment veranlasst uns zu bestimmten Schlussfolgerungen. In der damaligenZeit herrschte die Überzeugung, es sei über alle Maßen angemessen, dass sich zu jederSeite eines Gotteshauses, das den Sitz einer wichtigen kirchlichen Institution bildete,eine weitere Kirche befand. Als wichtig galt auch, dass die Patrozinien dieser Sakral-objekte in gewisser Weise miteinander korrespondierten. Die Lokalisierung der Kir-chen, die der Hagiograph erwähnt, ist bekannt. Daher kann festgestellt werden, dass sieziemlich weit von der Fuldaer Abtei entfernt waren: Johannes der Täufer und derEvangelist Johannes sowie St. Peter etwa 3 km, die Jungfrau Maria und der hl. Andreasetwa 800 m. Damit erweist sich, dass der als ein gewisses sakrales und urbanistischesGanzes verstandene Raum eine beträchtliche Fläche einnahm.

In der aus dem 12. Jahrhundert stammenden Vita Heinrichs II. befindet sich ein Ab-schnitt, in dem von seinen in Bamberg getätigten Kirchenstiftungen die Rede ist.51 DerKaiser hatte diese Stadt nämlich zum Bischofssitz erklärt und diesem die Apostel Petrusund Paulus sowie den Märtyrer Georg als Schutzheilige zugewiesen. Darüber hinausgründete er im südlichen Teil der Stadt das Kollegiatstift St. Stephanus und auf derNordseite das Kloster St. Michael und St. Benedikt. Auf diese Weise – so kommentiertder Autor – erhielt die auf dem apostolischen Felsen gegründete und mit den Verdien-sten des hl. Georg befestigte Stadt in der Person des hl. Stephanus einen Wehrturmgegen alle Angriffe von außen und in der Person des Erzengels Michael einen Verteidi-ger gegen die eisigen Winde, die von dem im Norden wohnenden Feind stammten, vondem alles Übel ausgehe. Im Resultat wurde Bamberg von zwei Seiten – von rechts undvon links – so mächtig gesichert und befestigt, dass der Teufel nicht imstande war, dieStadt zu besiegen.

Der kommentierte Abschnitt erhellt auf außerordentlich nachdrückliche Weise diesakrale Dimension der damaligen urbanistischen Konzeption. Damit eine Stadt existie-ren und sich entwickeln konnte, musste sie unter dem garantierten Schutz höhererMächte stehen. Dieser konnte durch die Gründung von Kirchen gewährleistet werden,die speziell dazu ausgewählten Schutzheiligen gewidmet waren. Das wichtigste Sakral-objekt Bambergs war die Kathedrale – der Sitz des den Aposteln Petrus und Paulus

51 Adalberti Vita Heinrici II. Imperatoris. Ed. Georg Waitz, in: MGH SS, Bd. 4. Hannover / Leipzig1841, 792–814, hier 794. Im Hinblick auf die von Heinrich II. getätigten Bamberger Stiftungenließ sich der Hagiograph von einem früheren Text inspirieren, vgl. Ekkehardi Uraugiensis chro-nica. Ed. Georg Waitz, in: MGH SS, Bd. 6. Hannover 1844, 1–267, hier 192. Über Bamberg im11.–12. Jahrhundert Herzog, Ottonische Stadt (wie Anm. 48), 171f.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 18: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

54 Roman Michałowski

sowie dem hl. Georg gewidmeten Bamberger Bistums. Deshalb konnte der Autorschreiben, dass die Stadt auf einem Felsen (Petrus/petra) gründete und durch die Ver-dienste des Märtyrers Georg befestigt war. Wie stark der Schutz dieser Patrone auchwar, er genügte nicht. Da sich die Kathedralbasilika im Zentrum von Bamberg befand,mussten auch an den Grenzen der Stadt noch Kirchen errichtet werden, deren Patronesie vor den von außen drohenden Gefahren schützen sollten.52 Als wichtig erwies sichdabei die Situierung dieser Kirchen – genauer gesagt, einer von ihnen – hinsichtlich derHimmelsrichtungen. St. Michael wurde auf der Nordseite errichtet, weil Bamberg ausdieser Richtung besonders große Gefahren drohten. Nicht zufällig dürfte in diesemFalle die Wahl des Patroziniums gewesen sein. Der hl. Michael galt bekanntlich alsbesonders mächtiger Gegner der teuflischen Scharen.

Der Autor erwähnt auch die schon nach dem Tode Heinrichs II. entstandenen Stif-tungen. Auf der östlichen Seite Bambergs wurde ein der Jungfrau Maria und demhl. Gangolf gewidmetes Kollegiatstift gegründet, auf der westlichen Seite das Kollegi-atstift St. Jakobus. Beide Objekte waren außerhalb der Stadt lokalisiert. Auf dieseWeise – so schreibt der Hagiograph – diente das kreuzförmig von Kirchen umgebeneBamberg dem gekreuzigten Jesus Christus und betete für Heinrich II. und alle seineNachfolger.53 Es zeigt sich, dass die Sakralobjekte Bambergs in der Optik des Autorsein Kreuz bildeten (s. Karte 3). Die Bedeutung einer solchen Anordnung resultierte zumTeil daraus, dass sie von jeder Seite den Zugang zur Stadt sicherten. Die Quelle bestä-tigt dies direkt. Aber die Verbindung der Kreuzesgestalt mit dem Dienst am Gekreu-zigten – im Text fällt das Wort „Crucifixus“ – scheint zu suggerieren, dass der Autorhier mehr im Sinne hatte.

52 Vgl. Jean Hubert, Evolution de la topographie et de l´aspect des villes de la Gaule du Ve auXe siècle, in: La città nell´alto medioevo. Spoleto 1959, 529–558, hier 543f., der das Problem imLichte des aus dem merowingischen und karolingischen Gallien stammenden Materials analysiert.

53 Sic locus Babenbergensis aecclesiis et patrociniis sanctorum in modum crucis undique munitus,Christo Ihesu crucifixo cottidianum et sedulum celebrat officium, et servitium pro primo suo fun-datore Heinrico secundo, imperatore piissimo, eiusque cooperatoribus et successoribus omnibus;Vita Heinrici II. Ed. Waitz (wie Anm. 51), 794.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 19: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 55

Karte 3: Bamberg im 11. Jh.

Karte 4: Konstanz in ottonischer Zeit

Bodensee

Rhein

St. Laurentius

MARKT

Bischofspalast

Spital?

St. Paulus

St.Stefan

Kathedrale der JungfrauMaria u.St. Pelagius

St.Moritz

St. Johannes d. Evangelist u.St. Johannes d. Täufer

St.Georg

Regnitz

nachThüringen

nachWürzburg

nachNürnberg

Jungfrau Maria

St.Stefan

St.Jakob

St. Michael

Kathedrale

Jungfrau Mariaund St. Gangolf

0 500 m

0 500 m

n. Thorgau

vor 900 entstandene Kirchen

im 10. Jh. entstandene Kirchen

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 20: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

56 Roman Michałowski

Der Verfasser der aus dem 12. Jahrhundert stammende Vita des Paderborner Bi-schofs Meinwerk (Amtszeit 1009–1036) schreibt folgendes über die Taten und Absich-ten dieses Hierarchen, was den Ausbau der Hauptstadt seiner Diözese betrifft: (…) sicutin occidentali et orientali parte civitatis [Paderbornensis] congregationes servorum Deiconstruxerat [sc. Meinwercus], ita in australi parte in campo, in aquinolari Sulithe, inmodum crucis construere disposuerat, ut, sicut ab eo nimia paupertate tam hereditariatraditione quam iugi instantia et servitio a regibus aliisque fidelibus acquisitione fueratditata et promota, ita a crucifixo servientibus et eam orationum suarum armis defeden-tibus contra omnia inimici iacula esset immunita et insignita.54 Wir erfahren, dassMeinwerk plante, mit Hilfe von Klostergründungen (Kollegiatstiften) die Stadt sozusa-gen in ein Kreuz einzuschreiben, wobei es darum ging, dass die Konvente mit ihrenGebeten die Stadt erfolgreich vor dem Satan verteidigen konnten. Eine solche Vertei-lung der Sakralobjekte sollte das Gebet der Mönche und Kanoniker offenbar effektivermachen.Ähnlich wie die Vita Heinrichs II. beruft sich auch die Vita Meinwerks indiesem Zusammenhang auf die Gestalt des Gekreuzigten. Das muss, wie es scheint,folgendermaßen interpretiert werden: Die kreuzförmige Anordnung der Kirchen solltedie Person des Erlösers vergegenwärtigen, wodurch die Gebete der Ihm dienendenOrdensleute eine besondere Kraft erlangten.55

Eine andere Dimension des damaligen urbanistischen Denkens offenbart die Analyseder Sakralobjekte von Konstanz.56 Zum Zeitpunkt des Todes des Bischofs Salomo III.(Amtszeit 890–919) gab es dort zwei oder drei Kirchen: zur Jungfrau Maria (Kathe-drale), St. Stephan (Kollegiatstift) und vielleicht auch noch St. Laurentius. BischofKonrad (Amtszeit 934–975) errichtete das Kollegiatstift St. Moritz (Mauritius), dieJohannes dem Täufer und Johannes dem Evangelisten geweihte Kirche, die Paulskirchesowie ein Spital mit unbekanntem Patrozinium, außerdem erneuerte er die KircheSt. Laurentius. Bischof Gebhard (Amtszeit 976–995) fügte dem noch das demhl. Gregor dem Großen gewidmete Kloster hinzu (s. Karte 4). Dieses Kloster war inWirklichkeit eine dem hl. Petrus geweihte Kultstätte. Seit seiner Entstehung trug es denNamen Petershausen (ahd. Petrishusin, Petershusa u.dgl.) und stand unter päpstlichem

54 Vita Meinwerci episcopi Patherbrunnensis. Ed. Franz Teckhoff, MGH SS rer. germ, Bd. 21.Hannover 1921, 131. Über Paderborn in der ottonischen Zeit und die Stiftungen Meinwerks Her-zog, Ottonische Stadt (wie Anm. 48), 102f.; 251.

55 Braunfels, Mittelalterliche Stadtbaukunst (wie Anm. 48), 134; Lehmann, Bemerkungen (wieAnm. 48), 582.

56 Maurer, Konstanz (wie Anm. 48), dessen Ansichten wir in den wichtigsten Punkten referieren.Vgl. auch Ilse Juliane Miscoll-Reckert, Kloster Petershausen als bischöflich-konstanzisches Ei-genkloster. Studien über das Verhältnis zu Bischof, Adel und Reform vom 10. bis12. Jahrhundert. Freiburg / München 1973, 15–83; Michael Borgolte, Salomo III. undSt. Mangen. Zur Frage nach den Grabkirchen der Bischöfe von Konstanz, in: Helmut Maurer(Hrsg.), Churrätisches und St. Gallisches Mittelalter. Festschrift für Otto P. Clavadetscher zu sei-nem 65. Geburtstag. Sigmaringen 1984, 195–224, hier 207f.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 21: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 57

Schutz, und die Ehre, die dort dem hl. Gregor erwiesen wurde, galt dem, wie manmeinte, hervorragendsten Nachfolger des Apostelfürsten. Die Klosterkirche wurde –gemäß der Formulierung in der Quelle aus dem 12. Jahrhundert – secundum formamprincipis apostolorum Romae errichtet,57 d. h. sie war ähnlich wie die vatikanischeBasilika nicht nach Osten orientiert, sondern nach Westen. All dies erlaubt die An-nahme, dass dieses Gotteshaus eine Replik der vatikanischen Basilika darstellen sollte.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob Konrad und Gebhard aus ihrerBistumshauptstadt nicht vielleicht eine Kopie der Ewigen Stadt machen wollten. Undtatsächlich, wenn Petershausen am Bodensee St. Peter im Vatikan entsprechen würde,dann besäßen die übrigen wichtigsten römischen Kirchen (San Giovanni in Laterano,Santa Maria Maggiore, San Paolo fuori le Mura und San Lorenzo fuori le Mura) ihreÄquivalente in den anderen Kirchen von Konstanz, welche analoge Patrozinien trugen.Dabei muss bemerkt werden, dass das Baptisterium an der Lateranbasilika ursprünglichein doppeltes Patrozinium trug: St. Johannes der Täufer und Johannes der Evangelist.Dasselbe doppelte Patrozinium trug die von Bischof Konrad gestiftete Kirche. Bemer-kenswert ist jedoch nicht nur das sich wiederholende Patrozinium, sondern auch dieähnliche topografische Verteilung einiger Sakralobjekte. Die Paulskirche befand sichaußerhalb von Konstanz – foris murum civitatis, extra muros civitatis oder in suburbio,wie die Quellen es nennen. Ihre Lage erinnert somit an die römische Kirche San Paolofuori le Mura. Und das Kloster Petershausen wurde jenseits des Rheins errichtet. Hierhaben wir es zweifellos mit einer topografischen Anknüpfung an die vatikanischeBasilika zu tun, die sich bekanntlich auch jenseits des Tibers erhob.

Scheinbar sollten die kirchlichen Stiftungen – die Patrozinien der Sakralobjekte, ihreVerteilung im Raum, die architektonischen Lösungen – dazu dienen, die betreffendeStadt in die Replik einer anderen Stadt umzuwandeln, im Fall von Konstanz in jene vonRom. Für diese Ansicht sprechen florentinische Quellen aus dem Hoch- und Spätmittel-alter. Giovanni Villani zufolge entstand Florenz zweimal, jedesmal mit ausschlagge-bender Mitbeteiligung von Bürgern der Ewigen Stadt.58 Gegründet wurde Florenz vonCäsar und anderen Römern; später, als die Stadt infolge des Überfalls von Totila fastvöllig zerstört war, vollzog Karl der Große einige Monate nach seiner Krönung zumKaiser mit den Römern ihre Wiedererrichtung. Beim zweiten Mal wurde die Stadt nachdem Vorbild Roms errichtet.59 Diesen Gedanken entfaltend verweist der Chronist aufdie Ähnlichkeiten zwischen der Topografie des wiederaufgebauten Florenz und derTopografie der Ewigen Stadt. Vom Peterstor erstreckte sich – so der Autor – nach

57 Vita Gebehardi episcopi Constantiensis. Ed. Wilhelm Wattenbach, in: MGH SS, Bd. 10. Hanno-ver 1852, 582–594, hier 587.

58 Cronica di Giovanni Villani, in: Croniche de Giovanni, Matteo e Filippo Villani secondo lemigliori stampe e corredate di note filologiche e storiche, testo di lingua, Bd. 1. Trieste 1857,20ff.; 38ff.; zu den Ansichten Villanis und anderer Florenzer Autoren Braunfels, MittelalterlicheStadtbaukunst (wie Anm. 48), 131ff.

59 Cronica Villani (wie Anm. 58), 42f.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 22: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

58 Roman Michałowski

römischem Vorbild eine Vorstadt bis zu San Pietro Maggiore. Hinter dem Kathedraltorentstand San Lorenzo nach dem Vorbild der römischen Kirche San Lorenzo, die eben-falls außerhalb der Stadtmauern lag. Und diesseits des Tors entstand – so wie in RomSan Giovanni in Laterano – die Kirche San Giovanni. Ebenfalls auf dieser Seite wurde,so wie in Rom, Santa Maria Maggiore gestiftet. San Paolo befand sich – ähnlich wie inder Ewigen Stadt – außerhalb der Stadtmauern, und auf der gegenüberliegenden Seitevon Florenz erhob sich, ähnlich wie in Rom, San Pietro. Außerhalb der Stadt lag –wieder nach römischem Vorbild – Santo Stefano, und in der Mitte von Florenz erhobsich, so wie in Rom, San Andrea.

Dem Chronisten war daran gelegen, den römischen Charakter seiner Heimatstadt zuunterstreichen. Daher berief er sich auf die Mitbeteiligung römischer Kaiser und Bürgerbei ihrer Gründung und Erneuerung, auf die Übereinstimmungen in den institutionellenEinrichtungen zwischen Florenz und der Metropole am Tiber – in Florenz regiertenzwei Konsuln – und schließlich auf die Gemeinsamkeiten in der urbanistischen Anord-nung. Im Kontext unserer Betrachtungen ist der Umstand erwähnenswert, dass geradedie Kirchen als Elemente dienten, mit deren Hilfe er die Übereinstimmungen in derTopografie dieser Städte zu veranschaulichen versuchte, genauer gesagt, die Patroziniendieser Kirchen und ihre Verteilung im Raum. Sie waren, wie man sieht, Merkmale, diefür den mittelalterlichen Geist ein tertium comparationis beim Vergleich der Städtedarstellten. Diese Kennzeichen entschieden darüber, ob die betreffenden Zentren alseinander ähnlich gelten konnten. Umso leichter fällt es uns, die Hypothese zu akzeptie-ren, dass Konrad und Gebhard bemüht waren, aus Konstanz eine Replik von Rom zumachen, indem sie in ihrem Bistumssitz Kirchen errichteten, diese entsprechend lokali-sierten und ihnen bestimmte Patrozinien verliehen.60

Die besprochenen Elemente der ottonischen und postottonischen urbanistischen Ideewerfen ein umfassenderes Licht auf die Stiftungstätigkeit Ottos III. in Aachen. Wirhatten Gelegenheit zu bemerken, dass der Kaiser die Stadt mit einem Kranz von Kir-chen umgab. Sie befanden sich, besonders eine von ihnen (St. Nikolai), in beträchtlicherEntfernung von der Pfalzkapelle als dem zentralen Sakralobjekt. Dieser Umstandhindert uns aber nicht daran, sie als Aachener Stiftungen anzuerkennen. Denn dasFuldaer Beispiel zeigt, dass die damaligen urbanistischen Unternehmungen sichmanchmal über einen weiten Raum erstreckten. Einige andere Beispiele lassen vermu-ten, dass der Monarch bei der Gründung der besprochenen Kirchen und ihrer Lokalisie-rung an der Grenze der Stadt und vielleicht sogar außerhalb dieser bemüht war, seinerHauptstadt auf diese Weise einen Schutz gegen äußere böse Kräfte zu gewährleisten.Den damaligen Baumeistern schwebte das Ideal vor, den städtischen Raum in ein vonSakralobjekten bestimmtes Kreuz einzuschreiben. Es ist möglich, dass Otto III. dieses

60 Analoge Fakten sind auch aus dem ostchristlichen Kulturkreis bekannt, vgl. Werner Philipp, Diereligiöse Begründung der altrussischen Hauptstadt, in: Margarete Woltner / Herbert Bräuer (Hrsg.),Festschrift für Max Vasmer zum 70. Geburtstag am 28. Februar 1956. Berlin 1956, 375–387.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 23: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 59

Ziel ebenfalls erreichen wollte.61 Denn nicht auszuschließen ist, dass er plante, nocheine weitere Kirche auf der Westseite Aachens zu stiften. In diesem Falle wäre es ihmum einen noch effektiveren Schutz der Stadt durch höhere Mächte gegangen.

Wir sind geneigt anzunehmen, dass die Entstehung der Salvator-, der Nikolai- undder Adalbertkirche und vielleicht auch der Rotunde zur Jungfrau Maria in Krakau dasWerk einer urbanistischen Unternehmung war, auch wenn seine Verwirklichung mehre-re Jahrzehnte gedauert haben mag. Die drei ersten Kirchen umgaben das politische undreligiöse Zentrum der Stadt in beträchtlicher Entfernung, was, wie wir wissen, gut zuden Bräuchen der ottonischen und späteren Zeit passt. Möglicherweise war den Schöp-fern dieses Projekts die Hoffnung nicht fremd, dem Wawel auf diese Weise Sicherheitvor den Angriffen unreiner Kräfte zu garantieren. Aber das war nicht das Hauptzieldieser Unternehmung. Weiter oben haben wir die These aufgestellt, dass Bolesław I. derTapfere – vielleicht auch sein Sohn oder Enkel – aus Krakau eine Replik von Aachenmachen wollte und bemüht war, dies durch eine entsprechende Wahl und Verteilung derPatrozinien zu realisieren. Im Resultat entstand ein Kranz von Kirchen, die die Resi-denz des Monarchen mitsamt der Palastkapelle als das Hauptzentrum der Agglomerati-on umgaben. Der – übrigens recht unvollständige – Überblick über die urbanistischenKonzeptionen der ottonischen Epoche lieferte ein wesentliches, für unsere Hypothesesprechendes Argument. Denn es stellte sich heraus, dass die Angleichung einer Stadt aneine andere mit Hilfe entsprechend verteilter Kirchen, die bestimmte Patrozinien trugen,damals eine bekannte und angewandte Praxis darstellte.

Für unsere Hypothese spricht auch noch ein weiterer Umstand. Wenn es stimmt, dassdie ersten Piasten versucht haben, in ihrer Heimat ein eigenes ‚Aachen‘ zu schaffen,dann war das keineswegs ein Einzelfall. Ein gleichsam klassisches Beispiel für derarti-ge Praktiken liefert das Compiègne Karls des Kahlen. Am 5. Mai 877 wurde das beimPalast in Compiègne errichtete Kollegiatstift eingeweiht.62 Vom gleichen Tag stammteine Urkunde, in der Karl der Kahle, seit anderthalb Jahren Kaiser, erklärt, warum erdiese kirchliche Institution ins Leben gerufen hat. Das betreffende Fragment lautetfolgendermaßen: „Es ist bekannt, dass der Kaiser seligen Angedenkens, unser Großva-ter Karl, dem die Göttliche Vorsehung die ungeteilte Herrschaft über dieses ganzeKaiserreich hat anvertrauen wollen, im Palast von Aachen eine Kapelle zu Ehren derGottesmutter, der Jungfrau Maria, errichtet hat; dass er zum Heil seiner Seele, zurVergebung der Sünden und zugleich zur Ehre der kaiserlichen Würde dort Kanonikerzum [Gottes]Dienst eingesetzt hat; dass er diesen Ort mit einer Vielzahl von Reliquiengeheiligt und mit unzähligen kirchlichen Gegenständen geschmückt hat. Deshalb wol-

61 Vgl. Michael Schmitt, Die städtebauliche Entwicklung Aachens im Mittelalter unter Berücksichti-gung der gestaltbildenden Faktoren. Aachen 1972, 70f.; Wurzel, Reichsabtei Burtscheid (wieAnm. 2), 13.

62 Zur Palastkapelle in Compiègne May Vieillard-Troïekouroff, La chapelle du palais de Charles leChauve à Compiègne, in: Cahiers Archéologiques 21, 1971, 89–108.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 24: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

60 Roman Michałowski

len auch wir seinen Brauch und den der übrigen Könige und Kaiser, unserer Vorgänger,nachahmen, und da jener Teil des Reiches infolge der Teilung uns noch nicht gehört,haben wir in dem unserer Herrschaft unterstehenden Gebiet, und zwar im Palast inCompiègne, zu Ehren der ruhmreichen Gottesgebärerin und ewigen Jungfrau Maria einKollegiatstift erbaut, ausgestattet und mit Gottes Hilfe mit ungezählten Gaben bedachtund ihm [diesem Kollegiatstift] den königlichen Namen verliehen. Wir haben [außer-dem] beschlossen, dass Kanoniker, einhundert an der Zahl, unablässig den Herrn umBarmherzigkeit anflehen und dort [beten] für das Wohlergehen der Heiligen KircheGottes, für unsere Eltern und Vorfahren, für uns, unsere Gattin und unsere Kinder,sowie für die Beständigkeit unseres ganzen Reiches.“63

Bei der Darlegung der Motive, von denen er sich bei der Stiftung der Kirche in Com-piègne leiten ließ, hob Karl der Kahle eines mit besonderem Nachdruck hervor: Erwollte dem Vorbild seiner Vorgänger folgen, vor allem jenem Karls des Großen. So wiesein Großvater eine Kapelle im Aachener Palast errichtet hatte, stiftete auch er einKollegiatstift in seinem Palast. Daraus ergibt sich ganz klar, dass die Stiftung in Com-piègne in den Augen des Stifters ein Akt war, der ihn – soweit dies überhaupt möglichwar – einem Herrscher gleichstellen sollte, der als unerreichbares Ideal galt. Karl derKahle war gewiss der Meinung, dass die Stiftung von Kirchen einen charakteristischenZug jedes großen Monarchen darstellte, und wollte auf diese Weise, indem er einprächtiges Gotteshaus errichtete, die Würde seiner monarchischen Majestät manifestie-ren. Aber diese Interpretation erschöpft den Inhalt der Urkunde keineswegs. DerSchreiber versäumte nämlich nicht zu erklären, dass Karl der Kahle ein Kollegiatstift inCompiègne errichtete, weil jener Teil des Reiches – d. h. der, in dem Aachen lag – demKaiser nicht gehörte. Dies ist folgendermaßen zu verstehen. Der Monarch stiftete dieKirche in seinem Palast nicht nur – und vielleicht sogar nicht einmal deshalb –, um eineStiftung als solche zu tätigen, sondern um ein eigenes ‚Aachen‘ in seiner Nähe zuhaben. Hätte sich die Hauptstadt seines großen Vorfahren in den Händen des Kaisers

63 Proinde quia divae recordationis imperator, avus scilicet noster Karolus, cui divina providenciamonarchiam totius hujus imperi conferre dignata est, in palatio Aquensi cappellam in honorebeate Dei genitricis et virginis Mariae construxisse ac clericos inibi Domino od sue anime reme-dium atque peccanium absolutionem pariterque ob dignitatem apicis imperialis deservire consti-tuisse ac congerie quamplurima reliquiarum eundem locum sacrasse multiplicibusque ornamentisexcoluisse dinoscitur, nos quoque morem illius imitari ceterorumque regum et imperatorum, de-cessorum scilicet nostrorum, cupientes, cum pars illa regni nobis sorte divisionis nondum conti-gerit, infra tamen potestatis nostre dicionem in palatio videlicet Compendio, in honore glorioseDei genitricis ac perpetue semper virginis Marie monasterium cui regium vocabulum dedimusfundotenus extruximus et donariis quamplurimis Domino juvante ditavimus, atque clericos inibinumero centum, pro statu sanctae Dei Ecclesie, pro genitoribus ac progenitoribus nostris, pronobis, conjuge et prole proque totius regni stabilitate jugiter Domini misericordiam imploraredecrevimus; Recueil des actes de Charles II le Chauve roi de France. Bd. 2: 866–871. Ed. GeorgesTessier / Clovis Brunel / Georges Tessier. Paris 1952, Nr. 425; 451.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 25: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 61

befunden, wäre die Palastkirche in Compiègne – weil unnötig – sicher überhaupt nichtentstanden.

Die am 5. Mai 877 geweihte Kirche war damals im Sinne der Absicht ihres Stiftersein Substitut der Aachener Kapelle und schon dadurch deren Symbol und Nachahmung.Es gibt Hinweise, die dafür sprechen, dass sie ihre genaue Kopie darstellen sollte. BeideKirchen befanden sich am Palast, beide waren der Jungfrau Maria gewidmet und beidewaren Kollegiatstifte.64 Und das ist noch nicht alles. Johannes Scottus Eriugena be-schrieb in seinem poetischen Werk Aulae siderae das Aussehen der bereits fertigge-stellten oder vielleicht erst projektierten Kirche in Compiègne.65 Daraus wird ersicht-lich, dass sie eine architektonische Replik der Kapelle in Aachen war oder eventuellsein sollte.66 Das besprochene Beispiel ist völlig eindeutig und in diesem Sinne einma-lig. Ohne Schwierigkeiten ließen sich noch viele analoge, wenn auch quellenmäßigschlechter dokumentierte Fälle aufzeigen. Dabei wäre mit Blick auf unsere Überlegun-gen vor allem das ungarische Alba Regia zu nennen, wo König Stephan I., der Heilige,eine Marienkirche stiftete. Dieses Gotteshaus verbindet eine ganze Reihe von Gemein-samkeiten mit der Aachener Kapelle. Beide trugen das gleiche Patrozinium, beidebefanden sich in einer wichtigen Residenzstadt, beide waren Kollegiatstifte, beidedienten als Krönungsstätte und in beiden ruhten schließlich – oder sollten ruhen – diesterblichen Überreste des königlichen Stifters. Diese Häufung von Gemeinsamkeitenlässt vermuten, dass Stephan mit Hilfe dieser Stiftung bemüht war, aus Alba Regia eineReplik der Hauptstadt Karls des Großen zu machen.67

Karl der Kahle verstand Aachen als Symbol der kaiserlichen Herrschaft und wolltemittels der Schaffung eines Substituts dieser Stadt in Compiègne unterstreichen, dass erein Kaiser par excellence und ein legitimer Nachfolger seines großen Ahnen war. DiePiasten dagegen dachten überhaupt nicht an die kaiserliche und nicht einmal an diedeutsche Krone. In dieser Situation stellt sich die Frage, von welchen Absichten sie sichleiten ließen, als sie versuchten, Aachen an der Weichsel zu vergegenwärtigen. DenSchlüssel zur Lösung dieses Problems liefert, wie es scheint, die Begegnung Ottos III.und Bolesław I. in Gnesen vom Frühjahr 1000. Die Interpretation der Rechtsakte, diedort vollzogen wurden, bildet seit vielen Jahren den Gegenstand von Kontroversen, undes ist zu bezweifeln, dass es auf diesem Gebiet in nächster Zeit endgültige Lösungen

64 Zu den ältesten Strukturformen der Pfalzkapelle in Aachen Josef Fleckenstein, Über das AachenerMarienstift als Pfalzkapelle Karls des Großen, in: Helmut Maurer / Hans Patze (Hrsg), FestschriftBerent Schwineköper zu seinem siebzigstem Geburtstag. Sigmaringen 1982, 19–28.

65 Die letzte Ausgabe dieses Textes besorgte zusammen mit seiner französischen Übersetzung undeinem Kommentar Michel Foussard, Aulae sidereae. Vers de Jean Scot au Roi Charles, in: Ca-hiers Archéologiques 21, 1971, 79–88.

66 Vieillard-Troïekouroff, Chapelle (wie Anm. 62), 90f.67 Josef Deer, Aachen und die Herrschersitze der Arpaden, in: MIÖG79, 1971, 1–56, hier 18f. Zum

Aspekt der Nachahmung von Aachen auch Żurowska, Rotunda Wawelska (wie Anm. 12), 67f.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 26: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

62 Roman Michałowski

geben wird.68 Im Gegensatz zur kirchlichen zeichnet sich die strikt politische Problema-tik dieser Begegnung besonders unklar ab. Doch es genügt, wenn wir hier nur dieTatsachen festhalten, die für unseren Gedankengang von besonderer Bedeutung undgleichzeitig so weit geklärt sind, dass wir sie benutzen können.

Bolesław der Tapfere wurde in Gnesen zu einer Würde erhoben, die Gallus Anony-mus mit den Worten cooperator imperii sowie populi Romani amicus et socius be-zeichnete.69 Diese Titel entnahm der Chronist sicher zeitgenössischen Schriften, demLiber de passione [Adalberti] martyris und vielleicht auch der Bulle Silvesters II.70 Ausden genannten Termini und insbesondere der ersten Formulierung können wir ersehen,dass Bolesław vom Moment seiner Erhebung an im Imperium bzw. für das Imperiumbestimmte Funktionen erfüllen sollte.71 Aus dem nächsten Satz im Bericht des Galluserfahren wir, dass Bolesław von Otto das Recht erhielt, auf dem Gebiet Polens und derin Zukunft von ihm bekehrten Länder die Bischöfe zu investieren.72 Anscheinend warenbeide Tatsachen – die Erhebung zur Würde eines Mitarbeiters des Reiches und dieVerleihung des Rechts auf Besetzung der Bischofssitze – eng miteinander verbunden73,und die Pflichten dieses ‚Kooperanten‘ beruhten, vielleicht nur unter anderem, auf derÜbernahme der Verantwortung für eine bestimmte geopolitische Zone, die zum Bestanddes Imperiums gehörte oder sich doch zumindest im Spektrum seiner Interessen befand.

In diesem Zusammenhang muss auch einem symbolischen Akt nähere Aufmerksam-keit gewidmet werden, der damals vollzogen wurde: Der Kaiser schenkte dem polni-schen Herzog nämlich eine Kopie der Heiligen Lanze.74 Die Heilige Lanze gehörte zuden wichtigsten Insignien der deutschen Herrscher;75 es genügt zu sagen, dass ihre

68 Die Literatur zum Treffen von Gnesen bespricht Gerard Labuda, Studia nad początkami państwapolskiego [Studien über die Anfänge des polnischen Staates], Bd. 1. Poznań 21987, 237; 505f.Vgl. auch die Beiträge in Michael Borgolte (Hrsg.), Polen und Deutschland vor 1000 Jahren. DieBerliner Tagung über den ‚Akt von Gnesen‘. Berlin 2002; Roman Michałowski, Zjazd Gnieź-nieński. Religijne przesłanki powstania arcybiskupstwa gnieźnieńskiego [Das Treffen von Gne-sen. Religiöse Voraussetzungen der Entstehung des Erszbistums Gnesen]. Wrocław 2005.

69 Galli Anonymi Cronicae et gesta ducum sive principum Polonorum. Ed. Karol Maleczyński, in:MPH NS, Bd. 2. Kraków 1952, 20. Wir übergehen die Frage, wie sich die Begriffe „Mitarbeiterdes Reiches“ und „Patrizier“ zueinander verhielten und ob Bolesław I. überhaupt der Patrizier-würde teilhaftig wurde.

70 Labuda, Studia, Bd. 1 (wie Anm. 68), 242f.; Oskar Kossmann, Deutschland und Polen um dasJahr 1000. Gedanken zu einem Buch von Herbert Ludat, in: ZOF 21, 1972, 401–466, hier 410f.

71 Vgl. Aleksander Gieysztor, Christiana respublica et la politique orientale de l´Empire, in: Renova-tio imperii. Atti della Giornata internazionale di studio per il millenario. Ravenna, 4–5 novembre1961. Faenza 1963, 41–62, hier 56f.

72 Vgl. Labuda, Studia, Bd. 2 (wie Anm. 10), 510f.73 Herbert Ludat, An Elbe und Oder um das Jahr 1000. Skizzen zur Politik des Ottonenreiches und

der slavischen Mächte in Mitteleuropa. Köln / Wien 1971, 72.74 Galli Anonymi Cronicae. Ed. Maleczyński (wie Anm. 69), 19.75 Zur Heiligen Lanze Percy Ernst Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu

ihrer Geschichte vom dritten bis zum sechzehnten Jahrhundert, Bd. 2. Stuttgart 1955, 492ff.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 27: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 63

Überreichung manchmal gleichbedeutend war mit der Anerkennung der betreffendenPerson als König. Gleichzeitig war sie eine Reliquie. Sie enthielt Nägel vom HeiligenKreuz und galt zugleich als Lanze des Kaisers Konstantin bzw. des hl. Mauritius. Dankihres sakralen Charakters erwirkte sie dem deutschen Monarchen den Sieg über seineFeinde, sowohl über die christlichen als auch die heidnischen. Die Überreichung einerKopie der Heiligen Lanze an Bolesław hatte somit einen doppelten Sinn.76 Erstens wardies ein symbolischer Akt der Übergabe von Pflichten an den polnischen Herrscher, dieauf dem Kaiser (eventuell dem deutschen König) lasteten, sowie von damit verbunde-nen Rechten.77 Zweitens stattete Otto III., als er Bolesław diesen Gegenstand schenkte,den slawischen Herzog mit einem Instrument aus, das ihm die Erfüllung dieser Pflich-ten erlaubte oder überhaupt erst ermöglichte. Denn die Kopie der Heiligen Lanze besaßja selbst sakralen Charakter, und dies sowohl deshalb, weil sie die Kopie eines Sakral-objekts darstellte, als auch Bruchstücke von Nägeln des Heiligen Kreuzes enthielt.78

Wenn wir in Betracht ziehen, dass ein Mitarbeiter des Kaisers zu sein soviel bedeutetewie Anteil an den Rechten und Pflichten des Kaisers zu haben, dann gelangen wir zuder Überzeugung, dass die Aushändigung dieser Kopie der Heiligen Lanze an Bolesławaufs engste mit der Erhebung des polnischen Herrschers zur Würde eines cooperatorImperii verbunden war.

Vielleicht bedeutete dies auch eine Ankündigung der Königswürde. Betrachten wirdie Widmungsminiatur aus dem um 1000 entstandenen Liuthar-Evangeliar. Es stelltOtto III. in Begleitung einiger Personen dar, darunter zweier Männer mit Kronen. DerAnalyse von Johannes Fried zufolge symbolisieren sie nicht Herzöge, wie allgemeinangenommen wird, sondern Könige. Für uns ist der Umstand bemerkenswert, dass dieseKönige Lanzen in der Hand halten. Dies zeigt, dass für den in der Umgebung Ottos III.und vielleicht in dessen Auftrag arbeitenden Künstler, dessen Werk ungefähr zeitgleichmit der Begegnung in Gnesen entstand, die Lanze die Insignie eines Königs war, derseine Herrschaft in Gemeinschaft und unter der Oberhoheit des Kaisers ausübt. Gewisswar dies nicht nur die Ansicht des Miniaturisten, sondern auch des Imperators selbst.Und wirklich besaß der hl. Stephan, der mit Zustimmung Ottos III. zum König gekröntwurde, eine heilige Lanze, die er gewiss von letzterem erhalten hatte. Aber da sich

76 Literaturangaben zu diesem Thema bei Bronisław Nowacki, Symbolika prawna w ceremonialezjazdów monarchów polskich z władcami niemieckimi od X do połowy XII wieku [Die Rechts-symbolik im Zeremoniell der Begegnungen polnischer Monarchen mit den deutschen Herrschernvom 10. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts], in: Rocz. Hist. 43, 1977, 1–28, hier 6f.; vgl. auchFried, Otto III. und Boleslaw Chrobry (wie Anm. 4), 128f.; 136f.

77 Nowacki, Symbolika prawna (wie Anm. 76), 6f.; vgl. auch Trawkowski, Pielgrzymka Ottona III(wie Anm. 5), 118.

78 Trawkowski, Pielgrzymka Ottona III (wie Anm. 5), 118; zur polnischen Lanze AleksanderGieysztor, Włócznia [Lanze], in: Kowalenko / Labuda / Lehr-Spławiński (Hrsg.), Słownik (wieAnm. 45), Bd. 6. Wrocław 1977, 543; Mieczysław Rokosz, Wawelska włócznia Bolesława Chrob-rego [Bolesław Chrobrys Lanze auf dem Wawel], in: Rocz. Krak. 55, 1989, 17–44.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 28: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

64 Roman Michałowski

Bolesław im Jahre 1000 nicht zum König krönte, muss das Geschenk in Form einerLanze als Verheißung und Antizipation der Königskrone interpretiert werden.79

In Gnesen wurde der slawische Monarch zu einem Mitglied der kaiserlichen Familie,und zwar auf dem Wege einiger voneinander unabhängiger Akte. Wie wir von Galluswissen, machte Otto III. Bolesław zu seinem Bruder; den symbolischen Ausdruckdessen bildete sicher das Aufsetzen eines Diadems auf das Haupt des polnischen Her-zogs.80 Um das Jahr 1000 wurde Bolesław ein Sohn geboren, der zu Ehren des Kaisersden Namen Otto erhielt.81 Höchstwahrscheinlich fungierte der Imperator selbst als

79 Dass Otto III. in Gnesen seinen Willen äußerte, Bolesław zur Königswürde zu erheben, wurde in derLiteratur recht häufig angenommen. Dagegen hat Fried, Otto III. und Boleslaw Chrobry (wie Anm. 4)die These entwickelt, dass der polnische Herrscher damals tatsächlich zum König erhoben worden sei.Dabei stützt er sich u. a. auf die erwähnte Miniatur und suggeriert, die auf ihr abgebildeten lanzentra-genden Könige würden den hl. Stephan und Bolesław I. darstellen. Tatsächlich aber stellt diese Malereinur eine bestimmte politische Theorie dar, welche der Wirklichkeit entsprechen konnte, jedoch nichtmusste, und es wäre eine gefährliche Operation, in Europa um das Jahr 1000 um jeden Preis nach vonOtto gekrönten Königen zu suchen, um sie dann den auf der Miniatur abgebildeten Gestalten unter-schieben zu können. Die These selbst ist unannehmbar, weil ihr Autor die Schwierigkeiten nicht besei-tigt hat, auf die sie stößt. Vor allem konnte er die Frage nicht zufriedenstellend beantworten, warumGallus in seinem doch ausführlichen Bericht über die Gnesener Begegnung die mit der königlichenSalbung verbundenen kirchlichen Feierlichkeiten nicht geschildert hat. Fried zufolge geschah dies des-halb nicht, weil solche kirchlichen Feierlichkeiten überhaupt nicht stattgefunden haben. Die Erhebungzur Königswürde habe sich allein auf ihren weltlichen Teil beschränkt – das Aufsetzen des Diademsauf Bolesławs Kopf durch den Kaiser. Dies bedeutete keinesfalls, dass die Teilnehmer dieser Ereignisseder Salbung keine Bedeutung beigemessen hätten, sondern es gab damals nach Fried in Gnesen keinenErzbischof, der diesen Ritus hätte vollziehen können. Denn infolge des Protests von Bischof Unger,dessen Diözese bisher ganz Polen umfasste, sei es damals nicht zur Gründung eines Gnesener Erzbis-tums gekommen. Aber diese Interpretation überzeugt schon deshalb nicht, weil sie dem Bericht Thiet-mars von Merseburg widerspricht. Dieser stellt nämlich unzweideutig fest, dass Otto III. anlässlich sei-nes Aufenthalts in Gnesen dort wirklich ein Erzbistum mit Gaudentius an der Spitze gegründet hat;Thietmari Merseburgensis episcopi chronicon. Ed. Robert Holtzmann, in: MGH SS. rer. germ. NS, Bd.9. Berlin 21955, lib. IV, cap. 45; vgl. auch die Polemik mit Fried bei Gerard Labuda, Zjazdgnieźnieński roku 1000 w oświetleniu ikonograficznym [Das Gnesener Treffen des Jahres 1000 in iko-nografischem Licht], in: Kwart. Hist. 98, 1991, 3–18.

80 Galli Anonymi Cronicae. Ed. Maleczyński (wie Anm. 69), 19f.. Die von Tadeusz Wasilewski, Bizan-tyńska symbolika zjazdu gnieźnieńskiego i jego prawno-polityczna wymowa [Die byzantinische Sym-bolik der Gnesener Begegnung und ihre rechtlich-politische Aussagekraft], in: Prz. Hist. 57, 1966, 1–14geäußerte These wurde von vielen Forschern akzeptiert; Labuda, Studia, Bd. 2 (wie Anm. 10), 513 unddort Anm. 197 präzisierte sie dahingehend, dass das Aufsetzen des Diadems einen reichhaltigeren sym-bolischen Inhalt in sich trug als lediglich die Anknüpfung brüderlicher Beziehungen. Diese These wur-de allerdings von ihrem Autor selbst wieder verworfen, zunächst implicite, als er die Ansicht äußerte,beim Gnesener Treffen habe eine wirkliche Krönung stattgefunden, dann auch explicite in einem imJanuar 1988 im Historischen Institut der Warschauer Universität im Seminar der Professoren Macząk,Samsonowicz und Wyrobisz gehaltenen Referat.

81 Gerard Labuda, Otto, in: Kowalenko / Labuda / Stieber, Słownik (wie Anm. 46), Bd. 3. Wrocław1967, 558f.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 29: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 65

Taufpate, und die Taufe fand vielleicht aus Anlass der Gnesener Begegnung statt.82

Möglich wäre auch, dass die Heirat Mieszkos II. mit Richeza, der Nichte des deutschenHerrschers, schon damals vereinbart wurde.83 Indem er sich durch Verwandtschafts-bande mit Bolesław vereinte, machte sich Otto III. den bzyantinischen Gedanken einerFamilie von Königen mit einem basileus an der Spitze zu Eigen.84 Hervorgehobenwerden muss der Umstand, dass der nach den byzantinischen Kriterien nicht zur Würdeeines Sohnes, sondern eines Bruders des Kaisers erhobene Piastenherzog damit denhöchsten Rang erreichte, den man sich vorstellen konnte. Diese außergewöhnlicheAuszeichnung fand auch in der infolge des Sakraments der Taufe entstandenen Ver-wandtschaft ihren Ausdruck. Der polnische Monarch war nicht das Taufkind Ottos III.,sondern der Vater des Täuflings, so dass zwischen dem Imperator und Bolesław eine inden mittelalterlichen Quellen als compaternitas bezeichnete Verbindung entstand85 –ein wahres Pendant für die Beziehung der Bruderschaft.

Als die Gnesener Begegnung zu Ende ging, begleitete Bolesław den Kaiser höchst-wahrscheinlich bis nach Aachen.86 Wenn dies tatsächlich der Fall war, dann muss erauch bei der Öffnung des Grabes Karls des Großen zugegen gewesen sein. Die Chronikdes Ademar de Chabannes berichtet, dass Otto III. Bolesław den goldenen Thronschenkte, auf dem Karls Leichnam ruhte.87 Aber wir wissen nicht, inwieweit wir dieserInformation Glauben schenken dürfen.88 Zur Rolle und Würde eines Mitarbeiters desReiches erhoben, mit kaiserlichen Rechten ausgestattet, im Besitz der Kopie der deut-schen Heiligen Lanze als Insignie seiner Herrschaft, von Otto III. zum König designiert

82 So schon Anatol Lewicki, Mieszko II, in: Rozprawy i sprawozdania z posiedzeń WydziałuHistoryczny-Filozoficznego Akademii Umiejętności 3, 1876, 87–208, hier 115f.; vor dem allge-meinen europäischen Hintergrund interpretiert diese Tatsache Arnold Angenendt, Kaiserherrschaftund Königstaufe. Kaiser, Könige und Päpste als geistliche Patrone in der abendländischen Missi-onsgeschichte. Berlin / New York 1984, 302f. und passim.

83 Ludat, Elbe und Oder (wie Anm. 73), 72 und 165, Anm. 451; vgl. auch Eduard Hlawitschka,Königin Richeza von Polen – Enkelin Herzog Konrads von Schwaben, nicht Kaiser Ottos II.?, in:Lutz Fenske / Werner Rösener / Thomas Zotz (Hrsg.), Institutionen, Kultur und Gesellschaft imMittelalter. Festschrift für Josef Fleckenstein zu seinem 65. Geburtstag. Sigmaringen 1984, 221–244, der völlig zu Recht die unlängst aufgestellte Hypothese verwirft, Richeza, die Gattin Miesz-kos II., sei nicht die Tochter der Kaiserstochter Mathilde gewesen.

84 Wasilewski, Bizantyńska symbolika (wie Anm. 80), 12 und passim.85 Angenendt, Kaiserherrschaft (wie Anm. 82), 304.86 So zum Beispiel Stanisław Kętrzyński, Karol Wielki i Bolesław Chrobry [Karl der Große und

Bolesław Chrobry], in: Prz. Hist. 36, 1946, 19–25, hier 20; Ludat, Elbe und Oder (wie Anm. 73),77. Aber in dieser Frage besteht unter den Historikern keine Einigkeit.

87 Adémar de Chabannes, Chronique. Ed. Jules Chavanon, in: Collection de textes pour servir àl'étude et à l'enseignement de l'histoire, Bd. 20. Paris 1897, 154.

88 In dieser Frage sind sich die Historiker ebenfalls nicht einig. So ist Kętrzyński, Karol Wielki iBolesław Chrobry (wie Anm. 86), 20f. geneigt, dieser Information zu vertrauen, während Ludat,Elbe und Oder (wie Anm. 73), 77 an ihrer Richtigkeit zweifelt und Beumann, Grab und Thron(wie Anm. 1), 18f. sie entschieden verwirft.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 30: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

66 Roman Michałowski

und unter Menschen verkehrend, die Karl den Großen verehrten, mag Bolesław denDienst am Reich tatsächlich als die Berufung seines Lebens angesehen haben.89 Es gibtzwei zusätzliche Gründe, die für eine solche Ansicht sprechen. Wir erwähnten bereits,dass Gallus Anonymus zur Beschreibung des Verlaufs und der Ergebnisse der GnesenerBegegnung die – heute verschollene – Vita des hl. Adalbert heranzog90. Wenn wir inBetracht ziehen, wie nachdrücklich der Autor dieses nicht mehr existierenden Werkesdie Größe Bolesławs hervorhob – was aus dem Text des Gallus unzweideutig hervor-geht –, dann gelangen wir mit Leichtigkeit zu der Überzeugung, dass das erwähnteWerk den Gesichtspunkt des polnischen Hofes widerspiegelt. Daher konnten solcheTitel wie socius et amicus populi Romani oder cooperator Imperii in diesem Text schonallein deshalb vorkommen, weil Bolesław seine Würde und Berufung mit ihrer Hilfeselbst definiert hat. Der im Jahre 1016 geborene Sohn Mieszkos II. erhielt zwei Vorna-men: Kasimir und Karl.91 Der Name Karl ist schon deshalb überraschend, weil er zurdamaligen Zeit außerhalb der karolingischen Dynastie fast überhaupt nicht verwendetwurde. Sein Sinn lässt sich nur dann zufriedenstellend erklären, wenn angenommenwird, dass Bolesław, der seinem Enkel diesen Namen gab, an die Person Karls desGroßen anknüpfen und damit die Lebensaufgabe Kasimirs definieren wollte – eineAufgabe, die in der Ausübung der Herrschaft im Kaiserreich bestand, vielleicht geradeals Mitarbeiter des Imperiums, und eventuell in der Teilnahme am Werk der renovatioimperii Romanorum.92 Man muss bedenken, dass der Junge nach der Denkweise derdamaligen Menschen die besten Chancen hatte, die in ihn gesetzten Hoffnungen zuerfüllen. Mütterlicherseits war er ein Nachkomme der Liudolfinger und vielleicht auchder Karolinger.93

Aufgrund mangelnder Quellen können wir nicht mit Entschiedenheit sagen, welchesdie Ansichten Mieszkos II. hierzu waren. Es muss jedoch als überaus wahrscheinlichgelten, dass auch er – der schließlich mit einer Enkelin Ottos II. verheiratet war und mitSicherheit die Autorität seines Vaters in politischen Fragen anerkannte – für sich undfür Kasimir die Rolle eines Mitarbeiters des Reiches akzeptierte. Nichts Genaues lässtsich auch über die Beziehung des letzteren zum Kaiserreich und zur Idee der renovatio

89 So Ludat, Elbe und Oder (wie Anm. 73), 67–92; vgl. jedoch die Skepsis, auf die Ludats Stand-punkt stieß bei Kossmann, Deutschland und Polen (wie Anm. 70), 46 und passim.

90 Zu diesem Werkes vgl. Reinhard Wenskus, Studien zur historisch-politischen GedankenweltBruns von Querfurt. Münster / Köln 1956, 202–246; Gerard Labuda, Żywoty św. Wojciecha, in:Labuda / Stieber, Słownik (wie Anm. 45), Bd. 7. Wrocław 1982, 323–328, bes. 325f.

91 Galli Anonymi Cronicae. Ed. Maleczyński (wie Anm. 69), 40.92 In diesem Sinne äußerten sich Kętrzyński, Karol Wielki i Bolesław Chrobry (wie Anm. 88), 24f.

und Ludat, Elbe und Oder (wie Anm. 73), 86f. Würden wir davon ausgehen, dass Kasimir denNamen ‚Karl‘ erst in seiner späteren Kindheit oder Jugend angenommen hat, dann wäre die politi-sche Aussagekraft dieses Namens keineswegs gemindert, mit dem einzigen Unterschied, dass diekommentierte Tatsache dann nicht ein Zeugnis der Ideologie Bolesławs I., sondern seines Sohnesoder Enkels wäre.

93 Ludat, Elbe und Oder (wie Anm. 73), 168, Anm. 478.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 31: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 67

imperii Romanorum sagen. Aber es besteht kaum ein Zweifel daran, dass ihm dieideologischen Strömungen des damaligen Reiches bekannt waren. Schließlich war ernicht nur der Enkel von Bolesław, sondern auch des lothringischen Pfalzgrafen Ezzound der Kaisertochter Mathilde; mehr noch, er hielt sich selbst eine Zeitlang im Reichauf, wo er gewiss mit den Verwandten seiner Mutter verkehrte, die in der damaligenPolitik eine bedeutsame Rolle spielten.94 Aber ist es denn wahrscheinlich, dass dieserHerzog den Ehrgeiz besaß, die Rolle eines Mitarbeiters des Reiches zu spielen? EinHerzog, der, aus seinem Land verbannt, dann zwar den Thron zurückerlangte, aber esnicht vermochte, der polnischen Monarchie jenen Glanz zurückzugeben, in dem sieunter Bolesław I. und Mieszko II. erstrahlte? Wahrscheinlich ja – denn gerade dieserriesige Erfolg, den die Wiederaufrichtung des piastischen Staates aus seinen Ruinendarstellte,95 mochte ihn in seiner Überzeugung bestätigt haben, dass er – ein Nach-komme der Kaiser – zu besonderen Aufgaben berufen sei.

Im Lichte des präsentierten Materials wird der piastische Versuch, Krakau zu einerReplik Aachens umzugestalten, völlig verständlich. Die Hauptstadt Karls des Großenwar ein Symbol des Imperiums. Daher konnten Bolesław der Tapfere bzw. sein Sohnoder Enkel diesen Versuch unternommen haben, um die Position zu manifestieren, diesie im Kaiserreich einnahmen oder einnehmen wollten. Wir geben gern zu, dass diesnicht die einzige mögliche Interpretation ist. Denn es ist leicht vorstellbar, dass Aachenfür die polnischen Herrscher ganz einfach ein Symbol monarchischer Majestät darstellteund dass sie, wenn sie nach diesem Symbol griffen, ihre Würde zum Ausdruck bringenwollten, wobei die Idee der Teilhabe am Reich überhaupt keine Rolle gespielt habenmuss.96 Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass der ungarische König Stephan I. ausseiner Hauptstadt eine Replik Aachens machen wollte, indem er in Alba Regia eine derJungfrau Maria gewidmete Kirche nach dem Vorbild der Aachener Pfalzkapelle stiftete.Dieser Umstand ist auch deshalb interessant, weil Stephan dem Reich gegenüber eineähnliche Position einnahm wie Bolesław der Tapfere.97 Durch seine Heirat mit derSchwester des künftigen Kaisers Heinrich II. war er in die kaiserliche Familie aufge-

94 Zur Familie von Kasimirs Mutter Ursuła Lewald, Die Ezzonen. Das Schicksal eines rheinischenFürstengeschlechts, in: Rheinische Vierteljahresblätter 43, 1979, 120–168; Klaus Gereon Beu-ckers, Die Ezzonen und ihre Stiftungen. Eine Untersuchung zur Stiftungstätigkeit im 11. Jahr-hundert. Münster 1993, bes. 30–37.

95 Das Ausmaß seines Erfolgs wurde in der von Gallus übermittelten Tradition voll gewürdigt: DerChronist bezeichnete Kasimir als restaurator Poloniae; Galli Anonymi Cronicae. Ed. Ma-leczyński (wie Anm. 69), 40.

96 Eben in dieser Richtung bewegte sich Żurowska, Rotunda Wawelska (wie Anm. 12), 71; 83; 85;91, die in den polnischen Palastkapellen Aachener Einflüsse erkannte und dies als Ausdruck derIdee der Souveränität der piastischen Herrscher verstand.

97 Vgl. Aleksander Gieysztor, Sylvestre II et les Eglises de Pologne et Hongrie, in: Michele Tosi(Hrsg.), Gerberto-Scienza, storia e mito. Alli del Gerberti Symposium. 25–27 iuglio 1983. Bobbio1985, 733–746, hier 739f.; Fried, Otto III. und Boleslaw Chrobry (wie Anm. 4), bes. 65f.; 128f.;142.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 32: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

68 Roman Michałowski

nommen worden, hatte sich von Ottos III. Gnaden zum König gekrönt und wurde vomrömisch-deutschen Herrscher mit einer heiligen Lanze beschenkt. Der Versuch, Krakauin eine Kopie Aachens umzugestalten, würde sich somit in eine gewisse Gesetzmäßig-keit einschreiben, wodurch er selbst an Wahrscheinlichkeit gewinnt.

Noch ein Zweifel bleibt zu beseitigen. Wenn die Piasten – wie wir postulieren – Kra-kau tatsächlich zu einer Replik Aachens machen wollten, dann heißt das, dass dieWeichselstadt die Rolle der führenden Residenzstadt und des ideologischen Zentrumsspielen sollte – eines Zentrums, das die übrigen sedes regni principales an Bedeutungdeutlich übertreffen würde. Indessen mangelt es nicht an Hinweisen, dass Gnesen daspolitische, religiöse und ideologische Zentrum der ersten Monarchie war.98 Aber dies istwohl nur ein scheinbarer Widerspruch. Es genügt, einen näheren Blick auf das damaligeUngarn zu werfen. Dort existierten zwei Hauptstädte nebeneinander: Gran (Strigonium,Esztergom) und Alba Regia.99 Gran fungierte als Zentrum der kirchlichen und gleich-sam auch der weltlichen Administration, während Alba Regia als ewige Ruhestätte deshl. Stephan und Krönungsort der ungarischen Könige eher in ideologischer Hinsicht alsZentrum des Staates galt. Wir wollen nicht behaupten, dass es in der Monarchie Bo-lesławs und Mieszkos II. zwei gleichberechtigte Zentren gegeben hätte: Gnesen undKrakau. Aber das ungarische Beispiel gebietet uns, die Möglichkeit in Betracht zuziehen, dass im damaligen Polen neben der Hauptstadt par excellence – Gnesen – einweiteres herausragendes Zentrum funktioniert haben könnte, das jenem zwar nichtgleichkam, aber alle übrigen sedes regni principales entschieden überragte.100

98 Die einschlägige Literatur spricht sich größtenteils für diese Meinung aus; vgl. Oswald MarianBalzer, Stolice Polski 963–1138 [Die Hauptstädte Polens 963–1138]. Lwów 1916, 8f.; JacekBanaszkiewicz, Jedność porządku przestrzennego, społecznego i tradycji początków ludu (U-wagi o urządzeniu wspólnoty plemienno-państwowej u Słowian) [Die Einheit der räumlichenund sozialen Ordnung und der Traditionen über die Ursprünge des Volkes (Bemerkungen zurOrdnung der Stammes- und Staatsgemeinschaft bei den Slawen)], in: Prz. Hist. 77, 1986, 445–466, hier 459f.

99 Deer, Aachen (wie Anm. 67), passim.100 Wo der Hauptstadtcharakter Gnesens in Zweifel gezogen wird, tritt zumeist Posen an seine

Stelle und nicht Krakau; vgl. Henryk Łowmiański, Początki Polski. Z dziejów Słowian w pier-wszym tysiącleciu naszej ery [Die Anfänge Polens. Aus der Geschichte der Slawen im erstenJahrtausend unserer Zeit], Bd. 5. Warszawa 1973, 456, Anm. 1444. Zu den Ausnahmen gehörteStanisław Zakrzewski, Bolesław Chrobry Wielki [Bolesław Chrobry der Große].Lwów / Warszawa / Kraków [1925], 337f.; 421. Die Bedeutung Krakaus zur Zeit Bolesławs I.unterstrich Jan Dąbrowski, O kolebkę kultury polskiej [Über die Wiege der polnischen Kultur],in: Studia staropolskie. Księga pamiątkowa ku czci A[leksandra] Brücknera. Kraków 1928, 10–26, bes. 15f. Vgl. auch Gerard Labuda, Jak i kiedy Kraków został stolicą Polski piastowskiej[Wie und wann Krakau die Hauptstadt des piastischen Polens wurde], in: Rocz. Krak. 52, 1986,5–18; Ders., Studia, Bd. 2 (wie Anm. 10), 294–321, der an Gnesen als Hauptstadt der erstenMonarchie festhielt, aber die Rolle unterstrich, die Krakau als Sitz Bolesławs vor 992 und alsteilfürstlicher Sitz Mieszkos II. 1013–1025 spielte. Labuda verwies auch auf die wirtschaftlichenund geopolitischen Grundlagen der Position Krakaus.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 33: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 69

Man könnte mehrere Tatsachen anführen, in deren Licht diese Ansicht an Wahr-scheinlichkeit gewinnt. Bekanntlich war Krakau im 10. Jahrhundert das Zentrum einesgroßen territorialen Blocks. Bezeugt wird dies von Ibrahim ibn Jakub, durch das RegestDagome iudex sowie die Urkunde Heinrichs IV. für den Prager Bischof.101 Aller Wahr-scheinlichkeit nach hat Bolesław I. in der Weichselstadt residiert, ehe er nach dem Todeseines Vaters die Herrschaft in Gnesen antrat. Und schießlich ein letzter Umstand.Wenn man den archäologischen Funden Glauben schenken darf, dann wies das Krakauder ersten piastischen Monarchie die größte Ansammlung von gemauerten Gebäudenauf. Es können fast zehn Objekte präromanischer Architektur angeführt werden,102

während für Posen nur eines und für Gnesen lediglich zwei archäologisch fassbarevorromanische Steinbauten bekannt sind.103 Selbstverständlich müssen nicht alle der inKrakau entdeckten präromanischen Bauten vor dem Tode Mieszkos II. entstandensein.104 Auch ist zu beachten, dass der Wawelberg mitsamt seiner Umgebung vielbesser erforscht ist als Gnesen oder Posen. Aber trotzdem darf wohl kaum an der hohenStellung gezweifelt werden, die die Weichselstadt in der räumlichen Struktur der erstenPiastenmonachie eingenommen hat.105

Gerard Labuda hat die These vertreten, dass Mieszko II. noch zu Lebzeiten seinesVaters die Herrschaft in einem gesonderten Teilfürstentum, nämlich in Krakau ausgeübthabe. Sollte diese These richtig sein, dann wäre zu überlegen, ob das ‚Aachen‘ an derWeichsel nicht ein vor 1025 begonnenes Werk von Bolesławs Sohn war. Selbst wenndies der Fall gewesen sein sollte, ist kaum anzunehmen, dass es Mieszko darum ging,

101 Karol Buczek, Polska południowa w IX i X wieku [Südpolen im 9. und 10. Jahrhundert], in:Małopolskie Studia Historyczne 2, 1959, 23–48, hier 31f.

102 Damit meinen wir die von Firlet / Pianowski, Wawel wczesnośredniowieczny (wie Anm. 13),55 genannten Objekte.

103 Für Posen kommt die Kathedrale in Frage (die Taufbecken ziehen wir nicht in Betracht); vglAndrzej Wędzki, Poznań romański: architektura i sztuki plastyczne, in: Jerzy Topolski (Hrsg.),Dzieje Poznania do 1793 roku, Bd. 1/1. Warszawa / Poznań 1988, 134–139; für Gnesen kannneben der Kathedrale vielleicht eine dem hl. Georg gewidmete Rotunde oder Kirche vorausge-gangen sein; vgl. Pietrusińska, Katalog (wie Anm. 26), 689f.; 693.

104 So verhielt es sich sicher mit dem so genannten Saal der 24 Säulen; Janusz Firlet / ZbigniewPianowski, Badania weryfikacyjne przed północną elewacją pałacu krółewskiego na Wawelu w1985 r. Problem wczesnośredniowiecznej rezydencji książęcej [Verifizierungsforschungen vorder Nordfassade des Königspalastes auf dem Wawel. Das Problem der frühmittelalterlichenHerzogsresidenz], in: Spraw. Arch. 32, 1987, 251–259, hier 254. An der Beurteilung der Be-deutung Krakaus würde sich selbst dann nichts ändern, wenn wir annehmen würden, dass einigeder dortigen gemauerten Bauwerke unter der böhmischen Herrschaft entstanden sind; vgl. Wy-rozumski, Polityczna rola Krakowa (wie Anm. 24), 33; 35f. Die Tatsache, dass sie die Piastennicht zufriedenstellten, wäre schon für sich genommen vielsagend.

105 Vgl. Kazimierz Radwański, Problemy badawcze Krakowa przedlokacyjnego [Forschungsprob-leme bezüglich Krakaus vor der Lokation], in: Kraków przedlokacyjny. Materiały z sesji nau-kowej z okazji Dni Krakowa 1984. Kraków 1987, 9–27, hier 26, der Krakau an der Wende vom10. zum 11. Jahrhundert als „größten städtischen Organismus des damaligen Polens“ bezeichnet.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 34: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

70 Roman Michałowski

den Sitz eines Teilfürstentums zu verherrlichen. Eher dürfte er daran gedacht haben,dem herausragenden Zentrum des als Ganzes verstandenen piastischen Staates Glanz zuverleihen, an dessen Spitze er in Zukunft selber stehen sollte.

Die Stiftung des Klosters Tyniec

Die zeitgenössischen Historiker sind sich darüber einig, dass die Abtei Tyniec in derZeit der zweiten piastischen Monarchie entstanden ist. Umstritten ist nur, wer von dendamaligen Herrschern ihr Stifter war: Kasimir I. der Erneuerer oder Bolesław II. derKühne.106 Die seit dem 13. Jahrhundert greifbare Tradition ist in dieser Frage uneinheit-

106 Lange Zeit überwog die Ansicht, dass Bolesław II. der Gründer gewesen sei. Vgl. z. B. TadeuszWojciechowski, Szkice historyczne jedenastego wieku. [Historische Skizzen des11. Jahrhunderts.] Warszawa 31950, 140ff. (erste Ausgabe 1904); Pierre David, Les bénédictinset l´ordre de Cluny dans la Pologne mèdièvale. Paris 1939, 30f.; 37f.; Aleksander Gieysztor, Okilku biskupach polskich XI wieku [Über einige polnische Bischöfe des 11. Jahrhunderts], in:Juliusz Bardach u. a. (Hrsg.), Europa – Słowiańszczyzna – Polska. Studia ku uczczeniu profes-ora Kazimierza Tymienieckiego. Poznań 1970, 311–326, hier 313f.; Ders., Początki Tyńca [DieAnfänge von Tyniec], in: Znak 28. 1976, 315–324; Henryk Łowmiański, Początki Polski. Bd.6/1: Polityczne i społeczne procesy kształtowania się narodu do początku wieku XIV [Die An-fänge Polens. Bd. 6/1: Politische und gesellschaftliche Prozesse der Nationswerdung bis zumAnfang des 14. Jahrhunderts]. Warszawa 1985, 293f. Einige der sich für Bolesław II. ausspre-chenden Historiker behaupten gleichzeitig, der Tyniecer Konvent sei ursprünglich von Kasimirdem Erneuerer auf dem Wawel angesiedelt gewesen und erst später, unter Bolesław dem Küh-nen, nach Tyniec geholt worden; z. B. Wojciechowski, ebd., 110; David, ebd., 30f. Kasimir denErneuerer sehen als Gründer tout court gegenwärtig Gerard Labuda, Początki klasztoru wświetle źródeł pisanych [Die Anfänge des Klosters im Lichte der schriftlichen Quellen], in: Ma-teriały sprawozdawcze z badań zespołu pobenedyktyńskiego w Mogilnie 1, 1978, 21–59, hier44f.; Ders., Aron, in: Labuda / Stieber, Słownik (wie Anm. 45), Bd. 7. Wrocław 1982, 379;Ders., Z dyskusji nad początkami klasztoru benedyktyńskiego w Tyńcu: fundatorzy i pierwsiopaci [Zur Diskussion über die Anfänge des Benediktinerklosters in Tyniec: die Stifter und sei-ne ersten Äbte], in: Jerzy Gadomski u. a. (Hrsg.), Symbolae historiae artium. Studia z historiisztuki Lechowi Kalinowskiemu dedykowane. Warszawa 1986, 93–109; Ders., Studia, Bd. 2(wie Anm. 10), 299; Zygmunt Świechowski, Uwagi na temat architektury benedyktynów w Pol-sce XI w. [Bemerkungen zum Thema der Architektur im Polen des 11. Jahrhunderts], in: Mate-riały sprawozdawcze z badań zespołu pobenedyktyńskiego w Mogilnie 2, 1980, 5–13, hier 7;11, Anm. 11. Im 19. Jahrhundert vertraten manche Forscher gern die Ansicht, Bolesław I. derTapfere sei der Stifter von Tyniec gewesen, z. B. Tadeusz Wojciechowski, Chrobacja. Rozbiórstarożytności słowiańskich [Chrobatien. Eine Analyse der slawischen Altertümer], Bd. 1.Kraków 1873, 202; Franciszek Piekosiński, Jeszcze słowo o dokumencie legata Idziego dlaTyńca [Noch ein Wort über die Urkunde des Legaten Ägidius für Tyniec], in: Kwart. Hist. 3,1889, 49–74, hier 58, und einmal fiel diesbezüglich sogar der Name von Władysław Herman,Tadeusz Wojciechowski, O rocznikach polskich [Über die Polnischen Jahrbücher], in: PamiętnikAkademii Umiejętności w Krakowie. Wydziały Filologiczny i Historyczno-Filozoficzny 4,

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 35: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 71

lich. Nach einer gefälschten Urkunde mit dem Datum 1105, dem so genannten TyniecerFalsifikat, hielten die dortigen Mönche König Bolesław für ihren Gründer, vielleichtauch die Königin Judith. Der Text dieser Urkunde behauptet dies nicht direkt, aber dader Fälscher versichert, dass alles, was das Kloster besaß, einer Schenkung von KönigBolesław und Königin Judith entstamme, konnten die Benediktiner niemand anderen alsStifter ansehen.107 Es scheint, dass sie unter diesem Bolesław nicht Bolesław II. denKühnen verstanden, sondern Bolesław I. den Tapferen. Der Fälscher legte Bolesław III.Schiefmund die Deklaration in den Mund, er würde den Spuren seiner Großväter undUrgroßväter folgend all das eifrig hüten, was Boleslaus rex und Iudith regina der Abteigeschenkt hatten. Aber die Mönche waren wohl soweit mit der Geschichte Polensvertraut, um zu wissen, dass Bolesław der Kühne der Oheim von Bolesław Schiefmundwar und nicht dessen entfernter Vorfahre.

Ein 1418 schreibender cluniazensischer Mönch war ebenfalls der Ansicht, dass dieAbtei in Tyniec von König Bolesław ins Leben gerufen worden sei.108 Diesbezüglichreferierte er die Meinung des Tyniecer Mönches Nikolaus Nason, für den dieser Bo-lesław ganz eindeutig Bolesław der Kühne war. Dieser polnische Benediktiner bezogdie Legende von einer in Cluny abgelegten Profess auf diesen Herrscher, d. h. eineSage, die gewöhnlich mit der Person Kasimirs des Erneuerers in Verbindung gebrachtwurde. Im Zusammenhang damit könnte man vermuten, dass wir es hier ganz einfachmit einem Versprecher des polnischen Informanten oder mit einem Irrtum des Clunia-zensers zu tun haben. Aber dieser Verdacht ist unbegründet. Der französische Mönch

1880, 144–233, hier 225, Anm. 3. Von beiden Hypothesen hat Wojciechowski später Abstandgenommen. Zum Thema der Anfänge von Tyniec vgl. auch den ausgewogenen Standpunkt vonPaweł Sczaniecki, Katalog opatów tynieckich [Katalog der Äbte von Tyniec], in: Nasza Przeszł.49, 1978, 5–244, hier 13–18.

107 Album paleographicum. Ed. Stanisław Krzyżanowski. Kraków 1935, Nr. 18 (das angeblicheOriginal), Nr. 19 (Transsumpt von 1275). Der betreffende Abschnitt des angeblichen Originalslautet: Qvapropter ego Egidius Thusculanus episcopus, sancte Romae Ecclesie et domini Calyxtipape per Ungariam et Poloniam legatus, sancte Thinciensi ecclesie, consenciente gloriosissimoPolonorum duce Boleslauo et filio (eius) Wladislauo et episcopo Cracouiense Radosto, quicquideadem ecclesia in prediis et foris et thabernis et macellis et quod polonico more pomozne dicituret duodecim marcis pro occisione hominis soluendis, si inter homines ecclesie quod absit euene-rit, que omnia eidem ecclesie a Boleslauo rege et Judith regina concessa esse prefatus dux tes-tabatur, et a se et ab omnibus auis et prosauis suis reuerenter custodita testabatur, apostolicaauctoritate decretali concessione firmamus, quicquid habet et tenet uel futuro tempore iuste ad-quisierit (…)“. Eine andere Interpretation bei Labuda, Aron (wie Anm. 106). Die aus dem14. Jahrhundert stammende Interpolation zur Bulle Gregors IX. aus dem Jahre 1229, Kodeksdyplomatyczny, Teil 1. Ed. Kętrzyński (wie Anm. 34), Nr. 11 b, bezeichnet den König Bolesławund die Königin Judith direkt als fundatores; allerdings ist nicht bekannt, ob dieser Terminus indiesem Kontext als ‚Gründer‘ oder eher als ‚Wohltäter‘ übersetzt werden muss; vgl.hierzuLabuda, Z dyskusji (wie Anm. 106), 98.

108 Visitatio in Alemania de tempore Roberti abbatis 1418. Ed. Wojciech Kętrzyński, in: MPH, Bd.5. Lwów 1888, 913–916, hier 914f.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 36: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

72 Roman Michałowski

schrieb, dass Kasimir der Vater des Stifters war. Hätte der Tyniecer Mönch Kasimir denErneuerer als den Gründer seines Klosters angesehen, dann müsste hier der NameMieszkos II. gefallen sein. Daher muss angenommen werden, dass ein doppelter Ver-sprecher oder ein doppelter Irrtum vorlag, was schon weniger wahrscheinlich erscheint.Zudem ist zu beachten, dass sich die Informationen des Cluniazensers über das Tyniecaus dem frühen 15. Jahrhundert wie auch über andere polnische Benediktinerklöster,durch Genauigkeit auszeichnen. Und außerdem – hätte Nikolaus Nason tatsächlichKasimir im Sinne gehabt, wie wäre dann der Name Bolesław überhaupt in die Erzäh-lung hineingekommen? Es hat eher den Anschein, als hätten die Tyniecer Benediktiner,die Bolesław II. als ihren Gründer ansahen, eine sich ursprünglich auf Kasimir bezie-hende Legende mit seiner Person verbunden. Dies taten sie nicht nur ad maioremgloriam des Stifters, sondern auch zur größeren Ehre ihres eigenen Hauses. Dem Be-richt des Cluniazensers zufolge bildete die Gründung der Abtei an der Weichsel denPreis für die Befreiung Bolesławs von seinen Ordensgelübden, was ihm den Antritt derKönigsherrschaft ermöglichte. Durch diese Operation waren die Benediktiner alsobemüht, die Genese ihres Klosters mit der Geschichte Polens zu verbinden.109

Während im mittelalterlichen Tyniec König Bolesław als Stifter galt, wobei esSchwankungen geben konnte, ob es sich dabei um Bolesław I. den Tapferen, oderBolesław II. den Kühnen handelte, sprach man sich außerhalb von Tyniec für Kasimirden Erneuerer aus. Die älteste Quelle, in der wir dieser zweiten Ansicht begegnen, istdie in den 1280er Jahren in Schlesien entstandene Chronica Polonorum. Sie findet sichdann auch in der Chronica Poloniae Maioris und bei Jan Długosz, um schließlich –wenn auch erst in der Neuzeit – auch die Billigung der Tyniecer Mönche selbst zufinden.110

Einen wichtigen Platz in der Diskussion über die Anfänge der Abtei Tyniec nimmtdie sich auf den Krakauer Bischof bzw. Erzbischof Aaron beziehende Tradition ein. Inden Quellen findet sich die Information, dass dieser in Tyniec Mönch oder auch Abtgewesen sei.111 Da Aaron glaubwürdigen Angaben zufolge im Jahre 1059 verstarb,

109 Vgl. die Bemerkungen des Herausgebers in Visitatio in Alemania (wie Anm. 108), 913; auchDavid, Bénédictins (wie Anm. 106), 46.

110 Chronica Polonorum. Ed. Ludwik Ćwikliński, in: MPH, Bd. 3. Lwów 1878, 578–656, hier 621; in dervollständigen polnischen Version der Monographie Princeps fundator widmet der Autor den erstenTeil des 4. Kapitels einer eingehenden Analyse des Ideengehalts der Chronica Polonorum: RomanMichałowski, Princeps fundator. Studium z dziejów kultury politycznej w Polsce X–XIII wieku[Princeps fundator. Studien zur Geschichte der politischen Kultur im Polen des 10. bis13. Jahrhundert]. Warszawa 1993, 115–127; Chronica Poloniae Maioris. Ed. Brygida Kürbis, in:MPH NS, Bd. 8. Warszawa 1970, 41; Ioannis Dlugosii Annales seu Cronicae incliti regni Poloniae.Liber 3–4. Ed. Zofia Budkowska u. a. Varsaviae 1970, Buch 3, 49f. (zum Jahr 1044); StanisławSzczygielski, Tinecia sev Historia Monasterii Tinecensis. Ordinis S. Benedicti Primariæ inter PolonicaCænobia venerationis. Cracoviae 1668, 5f.; vgl auch Labuda, Z dyskusji (wie Anm. 106), 94.

111 Ausführlich hierzu Labuda, Z dyskusji (wie Anm. 106), 99ff., der von der Richtigkeit dieserInformation ausgeht.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 37: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 73

muss das Kloster vor diesem Jahr entstanden sein, d. h. unter der Herrschaft Kasimirsdes Erneuerers (gest. 1058).112 Aber entspricht die Tradition, dass Aaron im Kloster ander Weichsel als Mönch lebte, tatsächlich der Wahrheit? Zum ersten Mal wird sie in derVita maior sancti Stanislai (Mitte des 13. Jahrhunderts) greifbar und danach in einerganzen Reihe polnischer Annalen, im dritten Katalog der Krakauer Bischöfe undschließlich auch bei Długosz.113 Sie tritt also ab dem Moment in Erscheinung, ab demman sich in Krakau für die Person dieses Hierarchen hinsichtlich seiner – tatsächlichenoder vermuteten – erzbischöflichen Würde zu interessieren begann. Dieses Interessewar mit Versuchen verbunden, das Prestige der dortigen Kirche zu heben, deren letzt-endliches Ziel es war, das Krakauer Bistum zum Erzbistum umzugestalten.114 Unterdiesen Umständen drängt sich die Frage auf, ob die Tradition von Aarons Mönchtum inTyniec nicht vielleicht erst infolge der von seiner Person ausgeübten Faszination ent-standen ist.115 Da er in Krakauer Kreisen zu einer so wichtigen Person wurde, ist esnicht verwunderlich, dass man bemüht war, mehr über ihn zu erfahren, und da dieQuellen mit Informationen geizten, wurde die Neugier durch Vermutungen befriedigt.Nicht weit von Krakau entfernt, erhob sich das uralte Kloster in Tyniec. Daher konnteman leicht auf den Gedanken verfallen, dass Aaron dort als Mönch oder auch als Abtgelebt habe, ehe er zur erzbischöflichen Würde gelangte. Dieses Ausfüllen von Lückenin der Biografie des Krakauer Erzhirten muss nicht unbedingt ein uneigennützigesUnternehmen gewesen sein. Die Hypothese vom Aufenthalt Aarons im Kloster an derWeichsel kam den Tyniecern Mönchen sicher sehr zupass und sie wurde daher viel-leicht gerade von ihnen aufgestellt. Sie konnten zu Recht erwarten, dass sie auf dieseWeise das Prestige ihres Ordenshauses heben würden. Dies bedeutet nicht, dass siedurch ihre Berufung auf ihren großen Mitbruder irgendwelche formalen Privilegiengewinnen wollten,116 obwohl auch dies nicht völlig ausgeschlossen werden kann. DerRuhm von Tyniec war ihnen Gewinn genug, besonders da es im 13. Jahrhundert – ineiner Zeit, als die Bettelorden große Faszination ausübten – um den guten Ruf der

112 Dies ist die naheliegendeste, aber keineswegs zwingende Schlussfolgerung. Denn es wäre dochzu überlegen, ob der Benediktinerkonvent, dem Aaron angehörte, nicht zuerst woanders ange-siedelt gewesen sein könnte und erst nach seinem Tod nach Tyniec kam.

113 Alle Stellen außer Długosz zusammengestellt bei Wacław Korta, Czy Kraków był metropoliąkościelną w połowie XI wieku? [War Krakau Mitte des 11. Jahrhunderts eine Kirchenmetro-pole?], in: Marian Biskup / Gerard Labuda (Hrsg), Ars historica. Prace z dziejów powszechnychi Polski. Poznań 1976, 321–340, hier 323f.; die betreffenden Abschnitte bei Długosz – IoannisDlugosii Annales (wie Anm. 110), Buch 3, 49f. (sub anno 1044); 54f. (sub anno 1046).

114 Eine Zusammenstellung der wichtigsten einschlägigen Literatur bei Łowmiański, PoczątkiPolski, Bd. 6/1 (wie Anm. 106), 290f.

115 Positiv beantwortet diese Frage Gieysztor, Początki Tyńca (wie Anm. 106), 316, der auch dieTradition von Aaron als Abt von Tyniec entschieden verwirft.

116 Vgl. Labuda, Z dyskusji (wie Anm. 106), 99.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 38: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

74 Roman Michałowski

Benediktiner nicht gerade zum besten bestellt war.117 Im Übrigen konnten die TyniecerMönche erwarten, dann wie in alten Zeiten wieder mit zahlreichen und reichen Schen-kungen überhäuft zu werden.118

Wenn die Vermutung zutrifft, dass die Tradition über das Mönchsleben Aarons inTyniec im 13. Jahrhundert entstanden ist, dann muss die Glaubwürdigkeit dieser Tradi-tion selbst in Frage gestellt werden. Eine gewisse, aber wohl eher nur scheinbare Chan-ce ihrer Verteidigung bietet folgendes Argument: Im 13. Jahrhundert wurden die Bi-

117 Die bereits im 13. Jahrhundert geschwächte Position der polnischen Benediktiner unterstreichtJerzy Kłoczowski, Zakony na ziemiach polskich w wiekach średnich [Die Orden in den polni-schen Gebieten im Mittelalter], in: Kościół w Polsce, Bd. 1: Średniowiecze. Kraków 1966, 373–466, hier 404.

118 In seinen Ergänzungen zu den Annalen des Traska (Rocznik Traski) bieten die Excerpta IoannisDlugossi e fontibus incerti. Ed. Wojciech Kętrzyński, in: MPH, Bd. 4. Lwów 1884, 7–15, hier 10zum Jahr 1044 folgende Notiz: Fundatur Thinciense monasterium; vgl. auch Ioannis DlugosiiAnnales. Ed. Budkowska (wie Anm. 110), Buch 3, 49f. (zum Jahr 1044); Spominki trzemes-zeńskie [Trzemesnoer Erinnerungen]. Ed. August Bielowski, in: MPH, Bd. 3. Lwów 1878, 133f.,hier 134. Sollte das Datum dieses Ereignisses zutreffend sein, dann müsste die Stiftung der Ab-tei Tyniec in die Zeit Kasimirs des Erneuerers verschoben werden. Aber der zitierten Notiz darfschon deshalb nicht vertraut werden, weil sie das Resultat einer gelehrten Konstruktion seinkönnte, die sich auf zwei Prämissen stützt: 1. der Gründer von Tyniec war Kasimir, 2. der Abtdieses Klosters war Aaron, wobei diese Tatsache vor der Erhebung dieses Herrschers auf denKrakauer Thron stattgefunden haben musste, d. h. vor 1046 (dieses Datum wird in einer Reihevon Annalen genannt); so Gieysztor, Początki Tyńca (wie Anm. 106), 316. Wenn dagegen an-genommen wird, dass dieses Datum das Ergebnis einer Kombination von Długosz selbst war,kommt noch eine dritte Prämisse ins Spiel. Ioannis Dlugosii Annales (wie Anm. 110), Buch 3,44f.; 49 nämlich behauptet, dass Kasimir den letztendlichen Sieg über seine Feinde im Jahre1043 davongetragen habe (Niederlage der Pomoranen) und dass in dessen Konsequenz der Toddes aufrührerischen Großen Miecław vor 1043 erfolgt sei. Gleichzeitig meinte der Chronist, Ka-simir der Erneuerer habe mit der Gründung des Klosters zu Tyniec dem Herrgott für die Hilfedanken wollen, die er ihm in soviel Widrigkeiten erwiesen habe. Von daher musste Długosz dieStiftung des Klosters bei Krakau gleich nach 1043, d. h. auf das Jahr 1044 ansetzen. Will mandie Glaubwürdigkeit der vom Chronisten angegebenen Daten richtig beurteilen, muss die in den‚Annales‘ angewandte Vortragstechnik beachtet werden. Angefangen vom Jahr 965 ordnet Dłu-gosz das historische Material strikt nach den Jahren, in denen die besprochenen Ereignisse statt-fanden. Da wo ihn die ihm bekannten Texte nicht über das Datum eines Ereignisses informier-ten, fühlte er sich gezwungen, die Lücke mit einer Hypothese auszufüllen. Dass wir mit vollemRecht in der kommentierten Notiz eine wissenschaftliche Hypothese Długoszs oder seines In-formanten vermuten dürfen, belegen zwei andere Interpolationen, die er in die Annalen desTraska eingebracht hat. Unter dem Jahr 1041 schreibt er: Kazimirus coronatur in Poloniae re-gem, während er zu 1077 ausführt: Petrus triennio mortuus a beato Stanislao suscitatus duciturin testem (Excerpta, ebd., 1.c.). Niemand wird behaupten, dass diese Notizen direkt oder indirektaus einer Quelle des 11. Jahrhunderts übernommen worden sind. Vgl. Wojciech Kętrzyński, in:MPH, Bd. 4. Lwów 1884, 8f.; Aleksander Semkowicz, Krytyczny rozbiór dziejów polskich JanaDługosza (do roku 1384) [Eine kritische Analyse der Polnischen Geschichte von Jan Długosz(bis zum Jahre 1384)]. Kraków 1887, 117; Labuda, Z dyskusji (wie Anm. 106), 103f.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 39: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 75

schofssitze mit Vertretern des Kathedralklerus besetzt und nicht mit Mönchen. Wiehätte in dieser Situation jemand eine benediktinische Vergangenheit des KrakauerHierarchen erfinden können?119 Dieses Argument verliert beträchtlich an Bedeutung,wenn man berücksichtigt, dass der damalige Kathedral- und Mönchsklerus Tag für Tagmit Hagiographien Umgang hatte, sei es indem man sich ihrer individuellen Lektürewidmete oder – und dies vor allem – am officium divinum (Lesen der Laudes) teilnahm.Aus diesem häufigen Umgang konnte die treffende Überzeugung entstehen, dass inalten Zeiten gerade Mönche oft Bischöfe wurden. Unsere Einwände wären bedeu-tungslos, wenn sich zeigen ließe, dass die durch Texte des 13. bis 15. Jahrhundertsvermittelte Information über das Mönchsleben Aarons in Tyniec auf einer Notiz ausdem 11. Jahrhundert gründete. Doch die Analyse des Quellenmaterials erbringt keinpositives Ergebnis.120

Die betreffende Information findet sich in einer ganzen Reihe von Annalen.121 Siealle entstammen mittelbar den Annales deperditi bzw. de so genannten Älteren Annalendes Krakauer Kapitels. Sie gehören dabei zwei verschiedenen Gruppen im hypotheti-schen Filiationssystem der polnischen Annalistik an.122 In dieser Situation drängt sichder Gedanke auf, dass sich die uns interessierende Erwähnung auf den Seiten der ver-schollenen Annalen befand, die im 11. Jahrhundert und später fortlaufend geführtwurden. In einem solchen Fall bestünde eine solide Grundlage für die Annahme, Aaronsei tatsächlich Mönch im Kloster an der Weichsel gewesen. Man kommt allerdingsnicht umhin, die Tatsache zu bedenken, dass eine derartige Notiz in den (jüngeren)Annalen des Krakauer Kapitels fehlt,123 die ebenfalls einen Auszug aus den Annales

119 Vgl. Labuda, Początki klasztoru (wie Anm. 106), 44f.120 Anders Labuda, Z dyskusji (wie Anm. 106), 100f.121 Rocznik Krakowski [Krakauer Annalen] Ed. August Bielowski, in: MPH, Bd. 2. Lwów 1872,

826–852; Rocznik Traski [Annalen des Traska], ebd., 826–861; Rocznik Sędziwója [Annalendes Sędziwój], ebd., 871–880; Rocznik małopolski [Kleinpolnische Annalen], ebd., 816–825;Rocznik krótki krakowski [kurze Krakauer Annalen], ebd., 792–816; Rocznik świętokrzyski do1490 r. [Heiligkreuz-Annalen bis zum Jahr 1490]. Ed. August Bielowski, in: MPH, Bd. 3. Lwów1878, 53–87 sowie Rocznik Krasińskich do r. 1351 [Krasiński-Annalen bis zum Jahr 1352],ebd., 127–133; vgl. Korta, Czy Kraków był (wie Anm. 113), 323f. Die fragliche Notiz lautet inder Fassung der Annalen des Traska (ebd., 830) folgendermaßen: 1046 Aaron monachus Thin-ciensis in episcopum postulatur, assumptus per Benedictum papam nonum, Coloniae consecra-tur, privilegio archiepiscopatu insignitur (…). Die anderen annalistischen Werke, die sich in ih-rer Stilistik voneinander unterscheiden, enthalten, wenn auch nicht immer unter dem Jahr 1046,mehr oder weniger die gleichen Angaben. Eine Ausnahme bilden diesbezüglich die KurzenKrakauer Annalen, in denen die erzbischöfliche Würde Aarons nicht erwähnt wird.

122 Gerard Labuda, Główne linie rocznikarstwa polskiego w wiekach średnich [Hauptlinien derpolnischen Annalistik im Mittelalter], in: Kwart. Hist. 78, 1971, 804–839, hier 830f.; 832 (Filia-tionsschema der Annalen).

123 Fryderyk Papée, Najstarszy dokument polski. Studium dyplomatyczne o akcie Idziego [Dieälteste polnische Urkunde. Eine diplomatische Studie über den Akt des Ägidius], in: Rozprawy i

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 40: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

76 Roman Michałowski

deperditi bilden. Dieses Jahrbuch enthält nicht alle Aufzeichnungen, die sich auf denSeiten der Annales befanden. Nichtsdestotrotz stellt es den umfangreichsten Auszugdar.124 Sein im Schatten der Wawelkathedrale schreibender Autor zeigte ein besonderesInteresse an der Geschichte des Krakauer Bistums.125 Wenn wir in diesem Zusammen-hang berücksichtigen, dass die dortige Geistlichkeit damals vom Pallium für ihrenBischof träumte und nach der kürzlich erfolgten Kanonisierung des hl. Stanisław Tagedes Ruhms und der Größe erlebte, dann wird es uns schwerfallen zu glauben, der Chro-nist hätte eine Aaron betreffende Notiz übergangen, falls der Ausgangstext eine solchetatsächlich enthalten hätte,126 erst recht eine Notiz, in der von der Einsetzung diesesHierarchen auf den Krakauer Thron die Rede gewesen wäre. Allerdings ist nicht sicher,ob es sich bei diesem Ausgangstext unmittelbar um die Annales deperditi handelte.Gerard Labuda ist der Ansicht, dass der Annalist lediglich ein Exzerpt davon verwendethat.127 Wollte man anhand des im (jüngeren) ‚Kapiteljahrbuch‘ enthaltenen Materialsurteilen, dann müsste dieses Exzerpt ungewöhnlich umfangreich und sein Autor sehr ander Geschichte der Krakauer Kirche interessiert gewesen sein. Daher können wir mitFug und Recht wiederholen, dass es unter diesen Umständen kaum wahrscheinlich ist,dass der Verfasser des früheren Auszuges eine Erwähnung Aarons übergangen hätte.Deshalb darf bezweifelt werden, dass sich die uns aus den späteren Annalen bekannteNotiz, welche u. a. über Aarons Mönchtum informiert, in den Annales deperditi befand.

sprawozdania z posiedzeń Wydziału Historyczno-Filozoficznego Akademii Umiejętności 14,1888, 268–312, hier 300.

124 Annales Cracovienses priores cum Kalendario. Ed. Zofia Kozłowska-Budkowa, in: MPH NS,Bd. 5. Warszawa 1978, XXXV; XXXIX.

125 Ebd., XXXIX.126 Diese Schlussfolgerung würde sich noch stärker aufdrängen, sollte Gerard Labuda, O nowym

wydaniu najstarszych roczników krakowskich [Zur Neuausgabe der ältesten Krakauer Jahrbü-cher], in: StŹródł 26, 1981, 183–188, hier 187; Ders., Zaginiona kronika z pierwszej połowyXIII wieku w Rocznikach Królestwa Polskiego Jana Długosza. Próba rekonstrukcji [Eine ver-schollene Chronik aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Jan Długoszs Annalen des Kö-nigreiches Polen. Versuch einer Rekonstruktion]. Poznań 1983, 164f. recht haben, dass Vincenzvon Kielce der Autor der (neuen) ‚Annalen des Krakauer Kapitels‘ war. Der DominikanerVincenz hat sich in der Tat für die Person Aarons und seine erzbischöfliche Würde interessiert;Vita sancti Stanislai Cracoviensis episcopi (Vita maior). Auctore fratre Vincentio de ordinefratrum praedicatorum. Ed. Wojciech Kętrzyński, in: MPH, Bd. 4. Lwów 1884, 319–438, hier383. Es stimmt, dass es dem Autor der ‚Annalen des Krakauer Kapitels‘ nicht unbedingt darumgegangen sein muss, die Verbindungen dieses Krakauer Hierarchen mit Tyniec hervorzuheben.Aber wenn sich die kommentierte Notiz in seiner Vorlage befunden hätte, dann hätte er höch-stens die Formulierung monachus (abbas) Thienciensis übergangen, den ganzen Rest dagegenaber abgeschrieben, der immerhin die Bischofsweihe des einzigen Erzbischofs in der GeschichteKrakaus betraf, so wie er analoge Erwähnungen abschrieb, die sich auf andere Bischöfe des11. Jahrhunderts – und zwar nicht nur in Krakau – bezogen.

127 Labuda, Główne linie rocznikarstwa (wie Anm. 122), 833 und das Filiationsschema auf 832.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 41: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 77

Aus all dem wird deutlich, dass die Analyse der mittelalterlichen Tradition keineeindeutige und direkte Antwort auf die Frage gibt, wer der Stifter von Tyniec war. Ausder Analyse ergeben sich drei Lösungsvarianten: Bolesław der Tapfere, Kasimir derErneuerer und Bolesław der Kühne. Die archäologischen Quellen können uns bei derLösung dieses Problems nur teilweise weiterhelfen. Die Spuren der ältesten Klosterkir-che, die im Ergebnis archäologischer Untersuchungen freigelegt wurden, beweisen,dass diese Kirche nicht vor der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts entstanden seinkann. Die Hypothese von Bolesław I. als Stifter – eine Hypothese, die heute übrigensvon niemandem mehr vorgebracht wird – muss daher als eventuelle Lösung ausge-schlossen werden. Eine präzisere Datierung des Objekts stößt jedoch auf Schwierigkei-ten. Klementyna Żurowska spricht sich für das letzte Viertel des 11. Jahrhundertsaus.128 Im Lichte dieser Ansicht müsste als sehr unwahrscheinlich gelten, dass Kasimirder Klostergründer gewesen ist. Zygmunt Świechowski dagegen datiert die Entstehungder ältesten Abteikirche zurück bis in die Zeit Kasimirs des Erneueres und stellt gleich-zeitig fest, dass dieses Gotteshaus von derselben Bauhütte errichtet wurde, die bereitsdie Kirche St. Gereon auf dem Wawel errichtet hatte, die von Kasimir gestiftet wordensei.129 Die von Świechowski vorgeschlagene Datierung würde also gegen Bolesław denKühnen sprechen.

Betrachten wir noch einmal die einzelnen Strömungen der sich direkt oder indirektauf die Anfänge von Tyniec beziehenden Tradition. Die Erinnerung an Menschen undEreignisse festigt sich oder verschwindet in Abhängigkeit davon, ob die sie betreffendesoziale Gruppe an ihrer Aufrechterhaltung interessiert ist oder nicht. Es steht außerZweifel, dass die Abtei Tyniec an der Wahrung der Erinnerung an ihren Gründer inte-ressiert war. Denn sie war ja, wie jedes andere Benediktinerkloster auch u. a. dazugegründet worden, unablässig bis ans Ende der Welt ihres Stifters im Gebet zu geden-ken.130 Um diese Aufgabe erfüllen zu können, schrieben die Mönche im gesamtenchristlichen Abendland den Namen ihres verstorbenen Gründers zum Beispiel in ihrNekrologium ein. Dies muss auch in der nahe Krakau gelegenen Abtei der Fall gewesensein. Mit einer völlig anderen Situation haben wir es zu tun, wenn wir die Traditionbetrachten, die sich außerhalb dieses Klosters an der Weichsel entwickelte. Egal ob derVerfasser der Chronica Polonorum nun ein Lubińer Zisterzienser, ein aus Deutschlandstammender Breslauer Dominikaner oder auch ein Franziskaner war, kann er kaumeiner sozialen Gruppe zugeordnet werden, für die das Wissen, wer der Stifter vonTyniec war, noch irgendwie von Bedeutung gewesen sein könnte. Das gleiche trifft aufden Autor der Chronica Poloniae Maioris zu.131 Mit der Wawelkathedrale verbundene

128 Klementyna Żurowska, Romański kościół opactwa benedyktynów w Tyńcu [Die romanischeKirche der Benediktinerabtei in Tyniec], in: Folia Historiae Artium 6–7, 1971, 49–119, hier 113.

129 Świechowski, Uwagi (wie Anm. 106), 7 und 11, Anm. 11.130 Wojciechowski, Szkice historyczne (wie Anm. 106), 141.131 Zur Herkunft der Erwähnung der Tyniecer Stiftung in der Chronica Poloniae Maioris vgl. die

Bemerkungen von Marek Derwich, Janko z Czarnkowa a Kronika wielkopolska [Jan von

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 42: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

78 Roman Michałowski

Kreise fühlten sich zwar verpflichtet, die Erinnerung an Aaron zu bewahren; schließlichwar er ja Bischof in Krakau. Und tatsächlich findet sich in den Annalen des KrakauerKapitels eine Notiz über Aarons Tod.132 Dagegen muss bezweifelt werden, dass demKrakauer Klerus besonders daran gelegen war, sich zu erinnern, wer dieser Würdenträ-ger war, bevor er Bischof von Krakau wurde. Die erwähnte Notiz enthält keine solcheInformation. Die Situation konnte sich erst ändern, als die Person Aarons für die dortigeGeistlichkeit besondere Bedeutung erlangte, wie dies im 13. Jahrhundert tatsächlich derFall war.

Wenn wir die Glaubwürdigkeit der Tradition daher vom Gesichtspunkt des sozialenRahmens beurteilen wollen, in dem sie entstanden und erhalten geblieben ist, dannmuss festgestellt werden, dass ausschließlich die in Tyniec kultivierte Tradition eingewisses Vertrauen verdient, zumindest in Hinblick auf die Aussage, dass ein gewisserrex Boleslaus der Stifter war. Das Zögern der Mönche hinsichtlich einer genaueren Be-stimmung seiner Person (Bolesław der Tapfere oder Bolesław der Kühne) konntedadurch begründet gewesen sein, dass weder die Erinnerung noch das Nekrologiumirgendwelche Angaben außer dem Namen und der Würde boten; oder aber dadurch,dass die Mönche zwar wussten, dass sie ihre Existenz Bolesław dem Kühnen verdank-ten, dies aber wegen dessen Konfliktes mit dem Krakauer Bischof Stanisław, der aufGeheiß Bolesławs II. ermordet worden sein soll, nicht zur Kenntnis nehmen wollten.133

Unglaubwürdig ist dagegen die Legende von Kasimir als Gründer der Abtei an derWeichsel und auch die von Aaron als dortigem Mönch. Gegen die Richtigkeit erstererspricht noch ein weiteres, nicht unbedeutendes Argument. Der Name Kasimirs alsStifter von Tyniec fiel zum ersten Mal in der Chronica Polonorum, d. h. in einemaußerordentlich trügerischen Werk, zumindest was die Geschichte Polens vor seinerteilfürstlichen Zersplitterung betrifft.

Die im Kloster in der Nähe von Krakau kultivierte Tradition darf jedoch nicht verab-solutiert werden. Denn manchmal kam es tatsächlich vor, dass sich Mönchs- oderKanonikerkonvente hinsichtlich der Person ihres Gründers irrten.134 Deshalb müssenwir auch diese Tradition einer zusätzlichen Verifizierung unterwerfen. Gewisse Mög-lichkeiten bietet diesbezüglich die Analyse einiger von uns noch nicht verwerteter

Czarnków und die Großpolnische Chronik], in: Acta Universitatis Wratislaviensis, Nr. 800, His-toria, Bd. 50. Warszawa / Wrocław 1985, 127–162, hier 156f.

132 Rocznik kapituły krakowskiej. Ed. Kozłowska-Budkowa (wie Anm. 25), 48 (zum Jahr 1059).133 Vgl. Gieysztor, Początki Tyńca (wie Anm. 106), 317; Łowmiański, Początki Polski, Bd. 6/1 (wie

Anm. 106), 29. Mit einer von beiden Situationen haben wir es im Falle der Nekrolognotiz zuKönig Bolesław im Kalender der Krakauer Kathedrale unter dem 3. April zu tun. Ursprünglichbezog sie sich auf Bolesław den Kühnen, während spätere Leser in ihm Bolesław den Tapferensahen; dazu zuletzt Gerard Labuda, Król Bolesław qui constituit episcopatus per Poloniam, in:StŹrodł 30, 1987, 51–57.

134 Als Beispiel kann die Tyniecer Tradition dienen, die zuerst Bolesław und dann Kasimir alsGründer ansah. Mindestens eine dieser Ansichten muss zwangsläufig falsch sein.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 43: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 79

Fragmente des Tyniecer Falsifikats. Diese Urkunde, die angeblich vom Legaten Ägi-dius ausgestellt und mit dem Datum 1105 versehen wurde, gelangte in zwei mittelalter-lichen Überlieferungen auf uns: als angebliches Original, das zu Beginn des14. Jahrhunderts verfertigt wurde, und als authentisches Transsumpt Bolesławs desSchamhaften aus dem Jahre 1275.135 In diesem Diplom bestätigt der Legat mit Einver-ständnis von Herzog Bolesław, dessen Sohn Władysław und des Krakauer BischofsRadost die namentlich aufgezählte Ausstattung der Abtei Tyniec. Es besteht kein Zwei-fel daran, dass dieses Falsifikat unter Verwendung einer heute nicht mehr erhaltenenUrkunde fabriziert wurde, die Ägidius während seines in die Jahre 1123 bis 1125fallenden Aufenthaltes in Polen ausgestellt hatte. Zu lösen bleibt dagegen das Problem,ob die authentische Urkunde eine Beschreibung der Ausstattung enthielt oder nur eineDetailangelegenheit betraf136 und eventuell auch eine Formulierung enthielt, die ganzallgemein die Unantastbarkeit des gesamten Besitzstandes bestätigte.137 Unabhängigdavon, welche Lösung wir annehmen, müssen wir dennoch der Ansicht zustimmen,dass sich die im Falsifikat enthaltene Beschreibung der Ausstattung direkt oder indirektauf Notizen gründete, die zweifellos, wie es der damaligen Praxis entsprach, in Tyniecfortlaufend geführt wurden, wobei die der Abtei gemachten Schenkungen sukzessivnotiert wurden.138 Aber es besteht kein Grund zu der Annahme, es habe eine den Klos-terbesitz auflistende Urkunde aus dem 11. Jahrhundert existiert.

Das Tyniecer Falsifikat enthält folgendes Fragment: (…) ego Egidius Thusculanusepiscopus (…) apostolica auctoritate decretali concessione firmamus, quicquid [Thin-ciensis ecclesia] habet et tenet uel futuro tempore iuste adquisierit, id est: Thinciensiumuillam cum transitu nauali et una thaberna, secundam ultra fluuium, cum uoto ducisduodecim marcarum argenti et tribus poledris singulis annis et omnibus ministris curieregis competentibus, cum omni castellatura ab omnium inpendimento defensis, tampistoribus, lagenariis, quam cocis et camerariis, piscatoribus et peccorariis et omniconstancia muniuit; villam Luntki, aliam Cassow, aliam Sylou sub una circuicione;

135 Vgl. Zofia Kozłowska-Budkowa, Repertorjum polskich dokumentów doby piastowskiej. Zeszyt1: Do końca wieku XII [Repertorium polnischer Dokumente der Piastenzeit. Heft 1: Bis zumEnde des 12. Jahrhunderts]. Kraków 1937, Nr. 26; Antoni Gąsiorowski, Tyniecki dokument[Das Dokument von Tyniec], in: Kowalenko / Labuda / Lehr-Spławiński, Słownik (wieAnm. 45), Bd. 6, Wrocław 1977, 329–340, hier 329f. Łowmiański, Początki Polski, Bd. 6/1 (wieAnm. 106), 294f.

136 Mit dieser Frage beschäftigte sich unlängst Gąsiorowski, Tyniecki dokument (wie Anm. 135),239. Für eine mittlere Lösung entschied sich H. Łowmiański, dem zufolge die authentischeÜberlieferung des Ägidius eine Beschreibung der Ausstattung enthielt, aber nur desjenigen Teilsvon ihr, der aus der Schenkung Bolesław des Kühnen stammte; Łowmiański, Początki Polski,Bd. 6, Teil 1 (wie Anm. 106), 297.

137 So wie die Urkunde des Kardinals Humbald für Trzemszno; Kozłowska-Budkowa, Repertorjum(wie Anm. 135), Nr. 44.

138 Kozłowska-Budkowa, Repertorjum (wie Anm. 135), 32; Gąsiorowski, Tyniecki dokument (wieAnm. 135), 239.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 44: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

80 Roman Michałowski

Voycouo cum piscatoribus, Nines, Priuit artifex lagenarium et doliorum; Prutnic cumuna thaberna, cuius heredes Mars et Radei tres scotos soluentes; que uille ab omni suntpensione ducis immunes (…).139

Bemerkenswert ist der Umstand, dass die dienstbare Bevölkerung, die auf den Län-dereien von Tyniec wohnte, hier als zum königlichen Hof gehörend oder auch denköniglichen Hof bedienend bezeichnet wird. Angenommen die Formulierung ministricurie regis competentes habe sich in der Notiz befunden, die in dem Augenblick ent-stand, als diese Ländereien dem Kloster übergeben wurden, oder gleich danach, dannkönnten wir feststellen, dass diese Güter vom König vergeben wurden, d. h. zweifellosvon Bolesław II. dem Kühnen.140 Aber vielleicht entstammt diese Formulierung eherder Feder eines Interpolators, der sie in die ursprüngliche Notiz einfügte, oder siestammt von der Person, die Ägidius’ Urkunde diktierte, oder vielleicht sogar vomVerfasser dieses Falsifikats selbst?141 Das ist kaum wahrscheinlich.142 Denn wir wissennicht, zu welchem Zweck die Mönche fünfzig, hundert oder zweihundert Jahre nach derVergabe dieser Ländereien hätten hinzuschreiben sollen, das dienstbare Volk habe einstzum Hof des Monarchen gehört, da dies doch keinerlei praktische Bedeutung mehrgehabt hätte? Und selbst wenn wir annehmen würden, dass weiterhin ein Zusammen-hang zwischen dieser Bevölkerung und dem Königshof bestand und dass die Mönche esaus diesem Grunde für angemessen hielten, diese Tatsache zu notieren, dann hätten siewohl eher die Formulierung curia ducis gewählt und nicht curia regis, weil es ja schonseit langem keinen König mehr gab, und die Pflichten, die das dienstbare Volk viel-leicht zu einem gewissen Teil weiterhin dem Herrscher gegenüber erfüllen musste, esfür den Herzog leistete. Man könnte zwar unterstellen, der Interpolator bzw. Fälscherhabe, weil er davon überzeugt war, Tyniec verdanke seine Existenz dem König, ganzbewusst die archaisierende Formulierung curia regis verwendet. Aber diese Vermutungist wohl ebenfalls unbegründet, weil keine Versuche einer derartigen Archaisierung imFalsifikat ersichtlich sind, da in der Schilderung der Ausstattung zweimal das Wort duxfällt (cum uoto ducis und a pensione ducis). Höchstwahrscheinlich entstand die Formu-

139 Album palaeographicum. Ed. Krzyżanowski (wie Anm. 107), Nr. 18; vgl. auch Nr. 19.140 Wir folgen hier der Spur von Piekosiński, Jeszcze słowo (wie Anm. 106), 54f. (der diesen König

jedoch mit Bolesław I. identifizierte); Wojciechowski, Szkice historyczne (wie Anm. 106), 143;Łowmiański, Początki Polski, Bd. 6/1 (wie Anm. 106), 304f.

141 Kontrovers ist, ob diese Formulierung in der authentischen Urkunde des Legaten Ägidiusenthalten war. Papée, Najstarszy dokument (wie Anm. 123), 282f.; 306 verneinte dies, währendPiekosiński, Jeszcze słowo (wie Anm. 106), 54f. und Łowmiański, Początki Polski, Bd. 6/1 (wieAnm. 106), 298 und 303 dies bejahten. Solange nicht bewiesen werden kann, dass das Privilegdes Ägidius überhaupt eine Beschreibung der Klosterausstattung enthielt, ist die Diskussionüber diese Frage gegenstandslos. Allerdings muss bemerkt werden, dass Papées Argumentationüberhaupt nicht überzeugend zu sein scheint.

142 Vgl. Karol Modzelewski, Organizacja gospodarcza państwa piastowskiego. X–XIII wiek[Die wirtschaftliche Organisation des piastischen Staates. 10.–13. Jahrhundert].Wrocław / Warszawa / Gdańsk 1975, 189.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 45: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 81

lierung ministri curie regis competentes daher während der Herrschaftszeit des KönigsBolesław II. des Kühnen (1076–1079).

Freilich hat auf der Basis desselben Fragmentes der Tyniecer Fälschung GerardLabuda angenommen, Kasimir der Erneuerer habe der Abtei die Ländereien von Tyniecgeschenkt.143 Er berief sich dabei auf die Immunitätsklausel, der zufolge die Klostergü-ter und somit auch jene von Tyniec von Dienstleistungen für den Herzog (a pensioneducis) befreit waren. Wären die Informanten des Legaten Ägidius (Bolesław Schief-mund, Władysław II., Bischof Radost – alles gewiss gut informierte Personen) derMeinung gewesen, Bolesław der Kühne habe diese Güter vergeben, dann hätten sie imText die Formulierung a pensione regis verwendet, selbst wenn der Akt der Schenkungvor dessen Krönung im Jahre 1076 stattgefunden hätte. Es gibt mehrere Gründe dafür,dass wir dieser Argumentation nicht folgen. Erstens setzt sie die zeitliche Übereinstim-mung zwischen der Vergabe der Ländereien und der Erteilung der ersten ökonomischenImmunität voraus. Aber eine solche Übereinstimmung scheint keineswegs offensicht-lich zu sein. Die das Diplom diktierende Person konnte darüber informiert gewesensein, dass Tyniec seine Güter von jemand anderem erhalten hatte als von der Person, diesie von allen Dienstleistungen für den Herrscher befreit hatte. Zweitens wissen wirnicht, ob die Formulierung a ducis im authentischen Privileg des Ägidius enthalten war.Vielleicht wurde sie erst im 13. Jahrhundert formuliert.144 Dann würde sie nicht die

143 Labuda, Z dyskusji (wie Anm. 106), 98. Die Konsequenz dieser These bildet selbstverständlich dieBehauptung, das Kloster sei von Kasimir dem Erneuerer gegründet worden. Unter Berufung auf dieTyniecer Urkunde verweist Labuda auf noch einen weiteren Umstand, der für diese Behauptung spre-chen soll. In der Beschreibung der Ausstattung, die das Privileg des Ägidius liefert, wurde Tyniec ge-trennt von Opatowiec behandelt, von dem gesagt wird, rex Boleslaus habe es gestiftet. Falls BolesławSchiefmund, Władysław II. und Bischof Radost gemeint hätten, Bolesław der Kühne sei der Stifterdes Klosters gewesen, dann hätten sie Tyniec und Opatowiec zu einer Stiftung zusammengefasst.Aber diesem Argument können wir nicht zustimmen. Erstens wissen wir nicht, aus welcher Zeit dieBeschreibung der Ausstattung stammt, und können daher nicht sagen, ob es sich bei den Autoren die-ser Beschreibung um Personen handelte, die über die älteste Geschichte des Klosters gut informiertwaren. Zweitens mag über die Unterscheidung von Tyniec und Opatowiec ein territorialer Gesichts-punkt entschieden haben, denn sowohl in der Urkunde als auch auf der Landkarte liegt zwischen bei-den Ortschaften das von Judith gestiftete Książnice. Erwähnt werden muss, dass Judith von den Mön-chen – zumindest im 14. Jahrhundert – für die Gattin König Bolesławs gehalten wurde; Kodeksdyplomatyczny klasztoru tynieckiego, Teil 1. Ed. Kętrzyński (wie Anm. 34), Nr. 11b. Da im Mittelal-ter Stiftungen gewöhnlich als das gemeinsame Werk von Ehepaaren verstanden wurden, brauchte dieUnterscheidung zwischen den Gütern aus der Schenkung des Mannes und denen aus der Schenkungseiner Frau keinen inneren Widerspruch bedeuten. Bemerkt werden muss auch, dass dieser BolesławTyniec und Opatowiec nicht gleichzeitig gestiftet haben musste, so dass sich getrennte Notizen aufbeide beziehen konnten, die sich auf verschiedenen Seiten desselben Codex oder sogar in zwei ver-schiedenen Codizes befanden.

144 Die Historiker sind sich nicht einig, ob diese Formulierung im authentischen Privileg desÄgidius enthalten war; vgl. Papée, Najstarszy dokument (wie Anm. 123), 306; Łowmiański,Początki Polski, Bd. 6/1 (wie Anm. 106), 301 und 303, Anm. 707.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 46: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

82 Roman Michałowski

Ansichten gut informierter Personen wiedergeben, sondern die von Menschen, diezweihundert Jahre nach der Gründung des Klosters lebten. Und schließlich der ent-scheidende Einwand: Selbst wenn der Diktierer der authentischen Urkunde des Ägidiusbzw. der Autor des Falsifikats davon überzeugt gewesen wäre, der König habe dieTyniecer Ländereien vergeben und mit Immunität ausgestattet, dann hätte er trotzdemdie Formulierung a pensione ducis und nicht regis gewählt, da es ihm doch ganz offen-sichtlich darum ging, dass die Klostergüter in diesem Augenblick – und nicht irgend-wann in der Vergangenheit – von keinerlei Abgaben belastet sind.145 Der besprocheneAbschnitt verwendet nämlich die Gegenwartsform.

Die Formulierung a pensione ducis wäre für die Datierung der Schenkung von Ty-niec nur dann von Bedeutung, wenn sie eine Notiz enthalten würde, die gleichzeitig mitder Vergabe der Ländereien entstanden ist. In einem solchen Falle könnte man zu Rechtbehaupten, dass die Schenkung vor der Krönung Bolesławs des Kühnen stattgefundenhabe und Kasimir oder dessen Sohn der Wohltäter gewesen sei. Aber die Annahmeeiner solchen Lösung stößt auf eine beträchtliche Schwierigkeit in Form des Abschnit-tes über die ministri curie regis competentes, der zeigt, dass gerade der König derDonator war. Daher müssen wir zwischen zwei Lösungen wählen, die nicht miteinandervereinbar sind: nämlich dass entweder diese Formulierung oder das Wörtchen dux ausder Immunitätsklausel zur ursprünglichen Notiz gehörte. Wir sprechen uns für dieerstere Lösung aus, und zwar aus zwei Gründen. Wir halten es für sehr unwahrschein-lich, dass die Information, dass das Tyniecer dienstbare Volk einst zum Königshofgehört habe, in späterer Zeit noch irgendwie von Bedeutung gewesen sein dürfte;außerdem stellte der Ausdruck curia regis nach der Vertreibung Bolesławs II. (1079)einen Anachronismus dar. Dagegen hätte die Hinzufügung der Immunitätsklausel im12. oder 13. Jahrhundert durchaus praktische Bedeutung gehabt, und die Verwendungdes Wortes dux in ihr war durchaus zeitgemäß.

Tyniec befand sich auf dem Territorium der Tyniecer Ländereien. Deshalb muss de-ren Übergabe an die Mönche im Prinzip als Gründungsakt des Klosters angesehenwerden.146 Angenommen die Notiz über die Vergabe des ursprünglichen Klosterbesit-zes wäre gleichzeitig mit der juristischen Aktion entstanden – was sehr wahrscheinlichist –, dann könnten wir sagen, dass die Abtei zwischen der Krönung Bolesławs desKühnen am 25. März 1076 und seiner Vertreibung ins Leben gerufen wurde147 und dassBolesław II. der Kühne a fortiori der Klostergründer war.

Das heißt selbstverständlich nicht, dass die Mönche erst in dieser Zeit nach Tynieckamen. Dies bedeutet nur, dass damals der formale Stiftungsakt stattfand. Schon vorherkonnten dort Mönche gelebt haben, und dies war sicher auch der Fall. An dieser Stelle

145 Piekosiński, Jeszcze słowo (wie Anm. 106), 55.146 Labuda, Z dyskusji (wie Anm. 106), 98.147 Wojciechowski, Szkice historyczne (wie Anm. 110), 143; Łowmiański, Początki Polski, Bd. 6/1

(wie Anm. 106), 304f.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 47: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 83

wollen wir uns auf eine Konzeption von Aleksander Gieysztor berufen.148 Der ersteTyniecer Abt Anchoras entstammte einem monastischen Kreis, der durch die Formseiner Spiritualität und in gewissem Sinne auch organisatorisch mit der AbteiSt. Maximin in Trier in Verbindung stand. Daher drängt sich die Vermutung auf, dassder erste Tyniecer Konvent demselben monastischen Kreis entstammte, wenn auchnicht unbedingt aus demselben Ordenshaus. Für diese Hypothese sprechen noch einigeweitere Tatsachen. In den Jahren 1068–1071 vertrieb der Kölner Erzbischof aus dreiKlöstern (Siegburg, St. Pantaleon in Köln, Saalfeld) die bisherigen Konvente, die allemit St. Maximin verbunden waren. Wir wissen auch, dass im Jahre 1071 die BegegnungBolesławs des Kühnen mit Heinrich IV. und Erzbischof Anno II. stattfand. Daherdrängt sich der Verdacht auf, dass es dem polnischen Herrscher während dieser Be-gegnung gelungen sein könnte, Personal für das von ihm organisierte Kloster zu gewin-nen. Denn es scheint, dass sich der Erzbischof, der sich für das Schicksal der vertriebe-nen Mönche verantwortlich fühlte, gern in der Rolle eines Vermittlers gesehen habenkönnte. Aufmerksamkeit verdient außerdem der Umstand, dass sich im Besitz der Abteiliturgische Gegenstände befanden, die das Produkt einer im 11. Jahrhundert im Rhein-land wirkenden Werkstatt und eines dortigen Skriptoriums waren. Hierbei handelt essich um einen Krummstab und um ein liturgisches Buch.149 Der erstere Gegenstand, derin einem auf die Jahre der Errichtung der ersten Abteikirche datierten Grab gefundenwurde, gehörte fast mit Sicherheit zur ursprünglichen Klosterausstattung.150

Wenn diese notgedrungen hypothetische, doch einen hohen Grad von Wahrschein-lichkeit aufweisende Konzeption zutreffen sollte, dann müsste die Ankunft des erstenKonvents in Tyniec auf die Zeit unmittelbar nach 1071 datiert werden.151 Weiter oben

148 Gieysztor, O kilku biskupach (wie Anm. 105), 315f.;Ders., Początki Tyńca (wie Anm. 105), 319f.149 Lech Kalinowski, Przedmioty liturgiczne znalezione w grobach pierwszych opatów tynieckich [Die in

den Gräbern der ersten Äbte von Tyniec gefundenen liturgischen Gegenstände], in: Folia HistoriaeArtium 6/7, 1971, 175–207, hier 180. Die Bestimmung des Landes, in dem die anderen in den Grä-bern der Tyniecer Äbte gefundenen Gegenstände hergestellt wurden, stößt auf Schwierigkeiten. AusLothringen stammte auch die frühmittelalterliche Plakette aus Elfenbein, die sicher einst zum KlosterTyniec gehörte und heute verschollen ist, Pietrusińska, Katalog (wie Anm. 26), 773.

150 Kalinowski, Przedmioty liturgiczne (wie Anm. 149), 175.151 Auf das Jahr 1060 datieren will die Tyniecer Stiftung Tadeusz Wasilewski, Dwa utracone dawne

roczniki: Rocznik biskupów dworu polskiego i Rocznik tyniecki (starszy) [Zwei verschollene Anna-len: Das Jahrbuch der Bischöfe des polnischen Hofes und das (ältere) Jahrbuch von Tyniec], in: Rocz.Hist. 54, 1988 (1989), 1–61, hier 43. Er beruft sich auf eine Information aus dem Breviarium Histori-ae Tynecenisi. [o. O.] [1827], 25 [Biblioteka im. Ossolińskich, Wrocław, Manuskript 38/II], dem zu-folge die Abtei im Jahre 1060 50 Dörfer verlor, worin Wasilewski eine auf ihre einstige Vergabe hin-deutende Spur erblickt. Außerdem verweist er auf das Todesdatum des Tyniecer Abtes Anchoras, dasvon neuzeitlichen Quellen auf das Jahr 1070 datiert wird, und zwar von Pater Szczygielski und einemaus dem 17. Jahrhundert stammenden Eintrag ins Lubińer Nekrologium. Wasilewski zufolge wurdenbeide Daten aus den verschollenen Tyniecer Annalen übernommen, die in den Jahren 1117–1118 indiesem Kloster entstanden;Wasilewski, ebd., 39f. Diese Konzeption lehnen wir ab, denn die erwähn-ten Daten können auch das Ergebnis neuzeitlicher Gelehrsamkeit sein, und was die angeblichen Ty-

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 48: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

84 Roman Michałowski

Benediktinerkloster Tyniec: Kelch und Patene aus dem Abtsgrab Nr. 8, 11. Jahrhundert

Abtsstab aus dem Abtsgrab Nr. 15,11. Jahrhundert

niecer Annalen betrifft, so überzeugen uns die zugunsten ihrer Existenz vorgebrachten Argumentekeineswegs.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 49: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 85

sind wir von der Annahme ausgegangen, dass die Vergabe der Tyniecer Ländereieneinen mit der formalen Klostergründung zeitlich zusammenfallenden Akt bildete.Tatsächlich müssen die Ländereien, auf denen die Abtei lag, zu ihrer ursprünglichenAusstattung gehört haben. Denn es ist kaum anzunehmen, dass der das entstehendeKloster ausstattende Monarch diesem statt in seiner nächsten Nachbarschaft gelegeneneLändereien weit entfernt gelegene Besitztümer geschenkt haben soll. Ginge man vonden im 12. Jahrhundert und später herrschenden kirchlichen Verhältnissen aus, sokönnte diese Annahme als gesichert gelten. Für das 11. Jahrhundert ist die Situationjedoch keineswegs so eindeutig. Die Forschung geht gewöhnlich davon aus, dass dieBistümer und Abteien in der Zeit der ersten piastischen Monarchie nicht mit Land undMenschen, sondern mit einem Anteil an den Einkünften des Staates ausgestattet wordensind.152 Erst in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts sei mit dieser Praxis gebrochenoder zumindest begonnen worden, von ihr Abstand zu nehmen. Daher ist es möglich,dass die Abtei Tyniec formal und faktisch viele Jahre vor der Krönung Bolesławs II.gegründet worden ist, vielleicht sogar unter der Herrschaft seines Vaters. Die TyniecerLändereien hätten sich dann deshalb nicht in ihrem Besitz befunden, weil die Abtei überflüssige Einkünfte verfügte. Erst in den Jahren 1076 bis 1079 hätte der König dasKloster dann im Rahmen einer Reform der kirchlichen Vermögensverhältnisse mitLändereien und Menschen ausgestattet, wobei er ihr in erster Linie jene Güter vermachthätte, auf denen das Kloster lag. Eine solche Deutung erscheint im Licht der Quellenallerdings weniger überzeugend. Diese lassen sich vielmehr mit der These, dass Bo-lesław der Kühne der Stifter gewesen sei, völlig ausreichend erklären.153

Bemerkenswert ist, dass – vorausgesetzt unsere Hypothese trifft zu – der formale Aktder Gründung des Tyniecer Klosters innerhalb des kurzen Zeitraums zwischen Bo-lesławs Krönung und seiner Vertreibung stattgefunden haben muss. Man kann sich desEindrucks nicht erwehren, dass zwischen der Zeremonie der königlichen Salbung undder besprochenen Stiftung ein sachlicher Zusammenhang bestand. Der Ritus, der Bo-lesław zur Königswürde erhob, war mit bestimmten Verpflichtungen zugunsten desKönigs aller Könige verbunden: Vom Zeitpunkt seiner Krönung an musste der polni-sche Herrscher auf besondere Weise am Bau des Reiches Christi teilnehmen. DieseAufgabe gliederte sich in eine Reihe von Pflichten, wie den Schutz der Christen gegendie Heiden, die Fürsorge für Arme, Witwen und Waisen sowie die Überwachung derMoral seiner Untertanen. Aber zu den zahlreichen Pflichten, die auf dem von Gottgesalbten Herrscher lasteten, gehörte auch die Gründung kirchlicher Institutionen bzw.– allgemeiner – die Sorge um den göttlichen Kult. Daher drängt sich folgende Vermu-tung auf: Der sich seiner königlichen Berufung bewusste Bolesław hat den formalenAkt der Gründung des Klosters zeitlich mit den Krönungsfeierlichkeiten korreliert.

152 Vgl. Labuda, Początki klasztoru (wie Anm. 106), 54; Łowmiański, Początki Polski, Bd. 6/1 (wieAnm. 106), 288.

153 Łowmiański, Początki Polski, Bd. 6/1 (wie Anm. 106), 295, Anm. 691.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 50: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

86 Roman Michałowski

Möglicherweise ist der Gedanke der Stiftung auch überhaupt erst im Zusammenhangmit seinen königlichen Plänen geboren worden. Der piastische Herrscher mag dabei vondem Willen geleitet worden sein, mit der Stiftung der Abtei Tyniec sich selbst undanderen zu beweisen, dass er würdig war, sich einen von Gott gesalbten Herrscher zunennen.154

Die Stiftung des Kollegiatstifts zum Heiligen Kreuz

Um die Jahreswende 1287/1288 gründete der schlesische Herzog Heinrich IV., derGerechte, auf der Dominsel in Breslau das Kollegiatstift zum Heiligen Kreuz. Bei denHistoriografen dominiert die recht allgemeine Überzeugung, dass diese Stiftung einenpolitischen Akt darstellte.155 Diese Meinung ist zwar richtig, bedarf jedoch einer erneu-ten Erörterung. Denn wie es scheint, kann eine tiefergehende Analyse der uns bisher

154 Die vom Hof Bolesławs II. propagierte Ideologie der Königsherrschaft muss noch genaueruntersucht werden. Entgegen allem Anschein sind die Forschungsperspektiven auf diesem Ge-biet recht vielversprechend. Hier sei zumindest auf das Tagesdatum von Bolesławs Krönung (zuWeihnachten!) sowie auf das ikonografische Programm seiner königlichen Münzprägungenverwiesen; Ryszard Kiersnowski, Wstęp do numizmatyki polskiej wieków średnich [Einführungin die polnische Numismatik des Mittelalters]. Warszawa 1964, Tafel I, Nr. 8. Auf dem Aversdieser Münzen prangt das Bildnis des Herrschers mit der Krone auf dem Kopf und dem Schwertin der Hand, auf der Rückseite findet sich die Darstellung eines dreitürmigen Bauwerkes mitKuppeln. Mit vollem Nachdruck muss unterstrichen werden, dass Kuppeln im Mittelalter einmächtiges Symbol darstellten, vgl Pietrusińska, Katalog (wie Anm. 26), 792; Kalinowski,Sztuka przedromańska i romańska (wie Anm. 24), 13.

155 Vgl. Marian Kutzner, Gotycka architektura kościoła św. Krzyża we Wrocławiu [Die gotischeArchitektur der Heiligkreuzkirche in Breslau]. Maschinenschriftliche Dissertation Poznań 1965[Biblioteka Główna Uniwersytetu im. A. Mickiewicza w Poznaniu, Sign. 304435 III.]; JanuszKębłowski, Treści ideowe gotyckich nagrobków na Śląsku [Ideologische Inhalte der gotischenGrabmäler in Schlesien]. Poznań 1970, 47; 51f.; Ders., Pomniki Piastów śląskich w dobie śred-niowiecza [Denkmäler der schlesischen Piasten in der Zeit des Mittelalters]. Wrocław u. a.1971, 47f.; Szczęsny Skibiński, Pierwotny kościół franciszkanów w Krakowie [Die ursprünglicheKirche der Franziskaner in Krakau]. Poznań 1977, 73f.; aus Sicht des Historikers Tadeusz Silni-cki, Dzieje i ustrój Kościoła na Śląsku do końca XIV w. [Geschichte und Verfassung der Kirchein Schlesien bis zum Ende des 14. Jahrhunderts], in: Ders. (Hrsg.), Historia Śląska od najdaw-niejszych czasów do roku 1400, Bd. 2, Heft 1. Kraków 1939, 176; Władysław Karasiewicz,Jakub II Świnka, arcybiskup gnieźnieński [Jakob II. Swinka, Erzbischof von Gnesen]. Poznań1948, 95. Die beste Charakteristik der Herrschaft Heinrichs des Gerechten liefert Benedykt Zi-entara, Henryk IV Probus [Heinrich IV. der Gerechte], in: Andrzej Galicki (Hrsg.), Poczetkrólów i książąt polskich. Warszawa 1978, 203–211; vgl. auch die Synthesen zur GeschichteSchlesiens sowie die populärwissenschaftlichen Arbeiten von Zygmunt Boras, Niedoszły królPolski – Henryk Probus (Prawy) [Der verhinderte König von Polen Heinrich Prubus (der Ge-rechte)], in: Ders., Książęta piastowscy Śląska [Die piastischen Herzöge Schlesiens]. Katowice21978, 131–161; Zbigniew Zielonka, Henryk Prawy [Heinrich der Gerechte]. Katowice 1982.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 51: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 87

bekannten Quellen neue und wichtige Aspekte dieser Angelegenheit aufdecken. Einesorgfältigere Lektüre verdient die Urkunde vom 11. Januar 1288, in der Heinrich derGerechte seinen Willen erklärt, in Breslau ein Kollegiatstift zum Heiligen Kreuz zugründen, die Prinzipien seiner Organisation festlegt und die Ausstattung beschreibt, dieer für diese Stiftung bestimmt hat.156 Unser Interesse wecken muss vor allem folgendesFragment dieses Diploms: Religiosa benignitas, que diuini numinis cultibus ampliandisstudio sollicite deuocionis inuiligat, hac nos precipue necessitatis lege constrinxit, utquos a deo suscepta principandi prerogatiua magnificat, diuinos honores piisextollamus officiis ac caritatiuis operibus imitemur ad laudem et gloriam regis celi.Cupientes igitur deo gratis diuorum principum progenitorum nostrorum inherereuestigiis, ut et nos de talento nobis credito quidpiam in thesauros celestis patris fami-lias apponamus eique katholice subieccionis debita tribuamus indicia, per quem reges

regnant et potentes scribunt iusticiam, ad honorem omnipotentis die ac uiuifice CrucisChristi, pro remedio peccatorum nostrorum nostraque ac parentum nostrorum eternasalute, specialiter eciam in subleuamen anime patrui nostri karissmi, domini Wladislai,pie recordacionis quondm Salzburgensis archiepiscopi necnon illustrium principum,domini Ottokari, quondam regis Bohemie ac Boleslaij ducis Cracovie auunculorumnostrorum, quorum memoria sit beata, ecclesiam collegiatam infra muros castri nostriWratizlauiensis fundare decreuimus, fundatam contruere, ac dotare constructam inmodum et formam inferius subnotatam.157

In diesem die Motive der Stiftung aufzählenden Text verdient die hervorgehobenePassage besondere Aufmerksamkeit. Es zeigt sich nämlich, dass Heinrich das Kollegiat-stift gründete, um zu beweisen, dass er die Oberherrschaft Gottes über sich aner-kannte.158 Die Stiftung einer Kirche erscheint hier als Anerkennungsakt (indicia subiec-tionis), als Deklaration, dass der Monarch die Autorität des Himmels anerkennt, den er

156 Die Urkunde nach dem Original publiziert bei Gustav Adolf Stenzel, Die Stiftungsurkunde desKollegiatstiftes zum Heiligen Kreuz in Breslau vom 11. Januar 1288, in: Schlesische Gesell-schaft für vaterländische Kultur (Hrsg.), Denkschrift zur Feier ihres fünfzigjährigen Bestehens.Breslau 1853, 68–82. In der vollständigen polnischen Version der Monographie ‚Princeps fun-dator‘ verteidigt der Autor die Authenizität der Urkunde gegenüber Winfried Irgang, Das Ur-kunden- und Kanzleiwesen Herzog Heinrichs IV. von Schlesien ( 1270–1290), in: ZOF 35,1986, 1–51, hier 49–50, der ihre Echtheit in Zweifel gezogen hat; Michałowski, Princeps fun-dator (wie Anm. 110), 160f.

157 Stenzel, Stiftungsurkunde (wie Anm. 156), 68f.158 Gerade dieser Passus ist der Aufmerksamkeit der bisherigen Forscher entgangen. Den betreffen-

den Abschnitt übersetzen wir folgendermaßen: „(…) um einen gebührenden Beweis unserer ka-tholischen Untertänigkeit (Gehorsam) gegenüber demjenigen zu erbringen, durch den die Kö-nige regieren und die Machthaber entscheiden, wie es Recht ist“. Durch Benutzung der Formu-lierung per quem reges renant et potentes scribunt iustitiam knüpfte der Schreiber an Spr. 8,15f. an, wo von der göttlichen Weisheit die Rede ist, die in der Patristik und der mittelalterlichenTheologie mit Christus gleichgesetzt wurde. Vgl. auch die in diesem Fragment ungenaue Über-setzung von Alfons Härtel, Breslaus schönstes gotisches Kleinod. Breslau 1928, 22f.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 52: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

88 Roman Michałowski

als die Quelle seiner Macht ansieht. Aus dem zitierten Fragment folgt unzweideutig,dass die Stiftung der Kollegiatskirche eine spezifische Manifestation darstellte. Eineähnliche Tendenz durchzieht auch die anderen Abschnitte des zitierten Textes. Soerklärte der Herzog, er wolle auf diese Weise das ihm von Gott gegebene Talent zu-rückerstatten. Die Stiftung sollte also davon Zeugnis ablegen, dass Heinrich wenigstensteilweise seinen Herrscherpflichten gerecht wurde. Darüber hinaus stellte der Monarchfest, er wolle den Spuren seiner ehrwürdigen Vorfahren folgen. Durch die Gründungeiner kirchlichen Institution stellte sich Heinrich der Gerechte somit jenen Monarchengleich, deren Gottgefälligkeit und deren Verdienste um ihr Land hochgeschätzt wur-den.159 In dieser Situation kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sichHeinrich der Heiligkreuzstiftung als Element eines politischen Spiels bedienen wollte.Die Stiftung sollte ihn als einen Herzog präsentieren, der seine monarchischen Pflichtenerfüllt, dessen Herrschaft den besten Vorbildern folgt und der Gott als seinen Herrnanerkennt.

Die Historiker begegnen dem Quellenwert ausgetretener Wendungen und gängigerAnsichten misstrauisch und hegen den Verdacht, dass sich hinter ihnen außer rhetori-schen Künsten nicht viel verberge. Zu solchen loci communes kann eventuell die An-spielung auf das Gleichnis von den Talenten (Mt 25, 14ff.) gezählt werden oder dieErwähnung der Absicht, seinen Vorfahren nachzueifern. Dagegen haben wir es, was dieindicia subiectionis betrifft, ganz gewiss nicht mit einem Topos zu tun. Genaue Analo-gien lassen sich kaum anführen. Entferntere Analogien existieren zwar, aber auch siesind nicht sehr zahlreich. Wir begegnen ihnen in zwei für die Zisterzienserklöster inLilienfeld und Goldenkron bestimmten Stiftungsurkunden. Das Kloster in Lilienfeldwurde im Jahre 1202 von dem Babenberger Leopold VI. gestiftet, dem Herzog Öster-reichs und der Steiermark und Aussteller der erwähnten Urkunde. Das auf dem 7. April1209 datierte Diplom wurde in Wirklichkeit erst im Jahre 1213 oder später ausgefer-tigt.160 Und das Kloster in Goldenkron (Zlatá Koruna/Corona Aurea) wurde im Jahre1263 vom böhmischen König Přemysl Ottokar II. gegründet.161 Das gleiche Datum trägtdie vom böhmischen König ausgestellte entsprechende Urkunde. Der uns interessie-rende Abschnitt lautet in beiden Abschnitten fast identisch. Das der österreichischenQuelle entstammende Fragment lautet: Conditori ac rectori universorum domino deo,cuius potentissima providentia nos, qui potestatibus presidemus, in sublimitate consti-tutos sublimi sue potentię fecit esse conformes, subici devotissime, votaque quammagnifica vovere tenemur et reddere. Equidem qui potentes non abicit, cum sit et ipse

159 Beachtenswert ist die hohe Wertschätzung, die vielen Vorfahren Heinrichs auf den Seiten derChronica Polonorum entgegengebracht wurde.

160 Zu dieser Stiftung Karl Oettinger, Die Entstehung von Lilienfeld, in: Österreichische Cistercien-serkongregation vom Heiligsten Herzen Jesu (Hrsg.), Festschrift zum 800–Jahrgedächtnis desTodes Bernhards von Clairvaux. Wien / München 1953, 232–259.

161 Jiří Kuthan, Die mittelalterliche Baukunst der Zisterzienser in Böhmen und in Mähren. Mün-chen / Berlin 1982, 222f.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 53: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 89

potens, pia quoque potentium vota non despicit. Quapropter ego Liupoldus dux Aus-triae et Styrie, qui ipsius gratia progenitorum meorum dignitatis, potestatis ac copi-arum omnium plentitudinem hereditate possideo, inter alia fidelitatis obsequia, quibuseius munificientię respondere atque inclinare intendo, monasterium Cysterciensisordinis ad ipisius gloriam, in honorem beatę et gloriosę dei genitricis Marię edificaredevovi.162

Der Gedankengang des Schreibers lässt sich folgendermaßen darlegen. Der Verfassergeht von der Feststellung aus, dass Leopold (bzw. Přemysl Ottokar) seine große Machtund hohe Würde dem Himmel verdankte. Aus dieser Tatsache ergibt sich die Pflicht,die Oberhoheit Gottes über sich (subici) anzuerkennen und sich ihm für seine herrlichenGaben dankbar zu erweisen. Diesen moralischen Postulaten entgegenkommend initiiertder Herrscher neben anderen Diensten, die er dem Herrgott erweist (fidelitatis obse-quia), die Stiftung eines Klosters. Und wieder begegnen wir der Ansicht, dass dieGründung einer kirchlichen Institution eine Tat darstellte, in der die Untertänigkeit desHerrschers gegenüber dem Himmel zum Ausdruck kommt. Zwischen den österreichi-schen und böhmischen Urkunden und dem Diplom Heinrichs des Gerechten bestehtjedoch ein gewisser Unterschied. Nur in der polnischen Urkunde wird unmittelbargesagt, dass der Monarch die Kirche deshalb stiftet, um zu zeigen, dass er Gott gehor-sam sein will. Was jene Urkunden nur implicite voraussetzen, deklariert diese klar undunzweideutig.

Während das Diktat des Aktes Leopolds VI. in der herzoglichen Kanzlei entstand,163

wurde das böhmische Diplom von einem Schreiber verfasst, der nicht aus der Kanzleides Ausstellers, sondern aus Heiligenkreuz stammte,164 dem Mutterkloster sowohl von

162 Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger in Österreich, Bd. 1: Die Siegelurkunden derBabenberger bis 1215. Ed. Heinrich Fichtenau / Erich Zöllner. Wien 1950, Nr. 167. Der betref-fende Abschnitt in der Urkunde von Přemysl Ottokar lautet: Conditori ac rectori universorumdomino deo, cuius potentissima providencia nos, qui potestatibus presidemus, in sublimitateconstitutos sublimi sue potencie fecit esse conformes, subici devotissime votaque magnificavovere et reddere exigimur, merito et tenemur; equidem, qui potentes non abicit, cum et ipse sitpotens, pia quoque vota potencium non contempnit. Quapropter nos, qui ipsius gratia progeni-torum nostrorum dignitates, potestates ac copiarum omnium plenitudinem possidemus, interalia fidelitatis obsequia, quibus eius munificentie intendimus respondere, monasterium Cyster-ciensis ordinis ad ipsium gloriam in honore beate et gloriose dei genitricis Marie construeredecrevimus; Codex diplomaticus et epistolaris Regni Bohemiae, Bd. 5, Heft 1: Inde ab a. 1253usque ad a. 1266. Ed. Jindřich Šebánek / Sáša Dušková. Pragae 1974, 581, Nr. 391. Vgl. auch die Ur-kunde des deutschen Königs Konrad III. für das Kloster Viktring vom 16. Juni 1147, in: Die Urkun-den Konrads III. und seines Sohnes Heinrichs. [Conradi III et filius eius Henrici Diplomata.] Ed.Friedrich Hausmann, in: MGH Diplomata, Bd. 9. Wien / Köln / Graz 1969, Nr. 193.

163 Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger, Bd. 1. Ed. Fichtenau / Zöllner (wie Anm. 162), 220.164 Vgl. die Bemerkungen des Herausgebers in: Codex diplomaticus Regni Bohemiae, Bd. 5. Ed.

Šebánek / Dušková (wie Anm. 162), 581. Zur politischen Bedeutung des Diktats des Empfän-gers in den Urkunden Přemysl Ottokars II. Jindrich Šebánek / Sáša Dušková, Das Urkundenwe-

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 54: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

90 Roman Michałowski

Lilienfeld als auch von Goldenkron. Letzteres erklärt, warum die Arenga des Přemysli-den ein fast wörtliches Zitat aus der österreichischen Urkunde oder vielleicht eher ihrerKopie oder eines gemeinsamen Musters darstellt. Aber obwohl der böhmische Textnicht in der königlichen Kanzlei entstand, ist nicht zu bezweifeln, dass er die Ansichtentreu wiedergab, die dem Přemysliden vorschwebten, als er Goldenkron gründete. Dennes ist kaum vorstellbar, dass der Schreiber selbständig und ohne Konsultation mit demStifter die Ziele eines religiös und politisch so wichtigen Aktes wie der Stiftung einesKlosters definiert hätte. Bemerkenswert ist, dass den stereotypen Formulierungen derArenga konkrete Tatsachen entsprechen, und dies sowohl was die Urkunde des Baben-bergers als auch die des Přemysliden betrifft. Sie verleiht der großen Macht des öster-reichischen Herzogs bzw. des böhmischen Königs Ausdruck. Darin liegt keinerleiÜbertreibung. Unter der Herrschaft Leopolds VI. erreichte Österreich eine außeror-dentlich hohe politische Position. Dasselbe trifft auch auf Böhmen im Jahre 1263 zu, alsdie analysierte Urkunde ausgestellt wurde. Přemysl Ottokar II. war damals nicht nur derHerrscher von Böhmen, Mähren und Österreich, sondern auch der Steiermark, seit er imJahre 1260 seinen großen Sieg über die Ungarn errungen hatte.

Der Autor der Arenga berichtet auch von anderen fidelitatis obsequia des Monarchengegenüber Gott, nicht nur von der betreffenden Stiftung. Auch das ist keine Übertrei-bung. Sowohl Leopold VI. als auch Přemysl Ottokar II. bemühten sich, die Pflichteneines christlichen Herrschers mit vollem Eifer zu erfüllen. In Bezug auf ersteren genügtes zu erwähnen, dass er die Häresien in den ihm unterworfenen Ländern ausrottete undan Kreuzzügen teilnahm. Und was den Přemysliden betrifft, so ist bekannt, mit welchgroßer Fürsorge er sich um die Orden kümmerte. Im Übrigen konnten beide Herrscherunabhängig vom Kloster in Lilienfeld bzw. in Goldenkron ernstliche Errungenschaftenauf dem Gebiet der Stiftungstätigkeit verzeichnen.165 Dieser ‚Sitz im Leben‘ des Diktats

sen König Ottokars II. von Böhmen. Erster Teil, in: Archiv für Diplomatik 14, 1968, 304–422,hier 421f.

165 Zu Leopold VI. Karl Lechner, Die Babenberger. Markgrafen und Herzöge von Österreich 976–1246. Wien / Köln / Graz 1976, 192–217; zu seiner Stiftung auch Karl Oettinger, Das WerdenWiens. Wien 1951, 197f.; Alfred Schmeller, Die Ausgrabungen in Klosterneuburg, in: HermannFillitz (Hrsg.), Beiträge zur Kunstgeschichte und Archäologie des Frühmittelalters. Akten zumVII. internationalen Kongress für Frühmittelalterforschung, 21.–28. September 1958.Graz / Köln 1962, 291–335; Mario Schwarz, Romanische Architektur in Niederösterreich.St. Pölten / Wien 1976, 37f.; vgl. Jiří Kuthan, Gotická architektura v jižních Cechách. Zakla-datelské dílo Premysla Otakara II. [Die gotische Architektur im südlichen Böhmen. Gründungendes Premysliden Ottokars II.] Praha 1975; Antoni Barciak, Ideologia polityczna monarchiiPrzemysła Ottokara II. Studium z dziejów polityki zagranicznej w drugiej połowie XIII wieku[Die politische Ideologie der Monarchie Přemysl Ottokars II. Eine Studie zur Geschichte derAußenpolitik in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts]. Katowice 1982; Josef Žemlička, Sto-letí posledních Přemyslovců. Česky stat a společnost ve 13. Století [Das Jahrhundert der letztenPřemysliden. Der böhmische Staat und die Gesellschaft im 13. Jahrhundert]. Praha 1986, insbe-sondere 110–152; Ferdinand Seibt, Die böhmische Nachbarschaft in der österreichischen Histo-

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 55: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 91

erlaubt uns, mit um so stärkerer Überzeugung zu behaupten, dass die Formulierung, derzufolge die Gründung eines Klosters Ausdruck der Untertänigkeit des Herrschersgegenüber Gott sein sollte, mehr war als nur eine rhetorische Wendung.

Heinrich der Gerechte verkehrte in seiner Jugend am Prager Hof, wo Přemysl Otto-kar II. eine Zeitlang Vormund des jungen Herzogs war. Daher ist es möglich, dass dieKonzeption einer als indicia subiectionis verstandenen Stiftung im Kopf des schlesi-schen Herrschers unter dem Einfluss böhmischer Kreise entstanden ist. Aber die Ur-kunde vom Heiligen Kreuz selbst weist, zumindest was die Arenga betrifft, keineÜbereinstimmung des Diktats mit dem Diplom für Lilienfeld und Goldenkron auf.Mehr noch, der Gedanke, der Monarch würde mit der Stiftung einer Kirche seineAbhängigkeit von Gott manifestieren, kam im Akt Heinrichs IV. viel klarer und nach-drücklicher zum Ausdruck. Von einer unreflektierten Übernahme des Topos kann alsonicht die Rede sein. Somit stellt sich eine weitere Frage: Hat sich Heinrich, der seinerStiftung einen solchen Sinn verlieh, dabei von den Erfordernissen der aktuellen Politikleiten lassen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns vor allem eine Übersichtüber die Ereignisse verschaffen, die der Ausstellung der Urkunde vom Heiligen Kreuzvorausgingen und die nach ihr stattfanden.

Um die Jahreswende 1287/1288, also kurz vor der Gründung des Kollegiatstifts,konnte endlich der Konflikt besänftigt werden, der das Herzogtum Heinrichs des Ge-rechten mehrere Jahre lang erschüttert und die Kräfte und Aktivitäten des schlesischenHerrschers völlig in Anspruch genommen hatte. Dabei handelte es sich um seinenKonflikt mit dem Breslauer Bischof Thomas II.166 Dieser Streit betraf ursprünglich die

riographie des 13. und 14. Jahrhunderts, in: ZOF 14, 1965, 1–26; František Graus, PřemyslOtakar II. – sein Ruhm und sein Nachleben, in: MIÖG79, 1971, 57–110, bes. 62f.

166 Urkunden zur Geschichte des Bisthums Breslau im Mittelalter. Ed. Gustav Adolph Stenzel,Breslau 1845, LIX–LXXXI; Colmar Grünhagen, Geschichte Schlesiens, Bd. 1: Bis zum Eintrittder habsburgischen Herrschaft 1527. Gotha 1884, 102–110; Roman Grodecki, Dzieje polityczneŚląska do r. 1290 [Die politische Geschichte Schlesiens bis 1290], in: Stanisław Kutrzeba(Hrsg.), Historia Śląska od najdawniejszych czasów do roku 1400, Bd. 1, Kraków 1933, 155–326, hier 297f.; Władysław Semkowicz, Nieznany testament Tomasza II biskupa wrocławskiego(1270–1292) [Das unbekannte Testament des Breslauer Bischofs Thomas II. (1270–1292)], in:Collectanea Theologica 17, 1936, 263–272; Erich Randt, Politische Geschichte Schlesiens biszum Jahr 1327, in: Hermann Aubin (Hrsg.), Geschichte Schlesiens. Bd. 1: Von der Urzeit biszum Jahr 1536. Breslau 1938, 63–153, hier 123f.; Silnicki, Dzieje i ustrój (wie Anm. 162), 170f.;Karasiewicz, Jakub II Świnka (wie Anm. 155), 20–47; Tadeusz Silnicki / Kazimierz Gołąb, Ar-cybiskup Jakub Świnka i jego epoka. Warszawa 1956, 159–200; Jerzy Kłoczowski, Dominikaniepolscy na Śląsku w XIII–XIV wieku [Die polnischen Dominikaner in Schlesien im 13. und14. Jahrhundert]. Lublin 1956, 181f.; Karol Maleczyński, Walka Probusa z hierachią kościelną osuwerenność państwa [Der Kampf Heinrichs des Gerechten mit der kirchlichen Hierarchie umdie Souveränität des Staates], in: Ders. (Hrsg.), Historia Śląska. Bd. 1: Do roku 1763. Część 1:Do połowy XIV w. [Geschichte Schlesiens. Bd. 1: Bis zum Jahr 1763. Teil 1: Bis zur Mitte des14. Jahrhunderts]. Wrocław 1960, 510–520; Winfried Irgang, Zur Kirchenpolitik der schlesi-schen Piasten im 13. Jahrhundert, in: ZOF 27, 1978, 221–240, hier 232f.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 56: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

92 Roman Michałowski

ökonomischen und gerichtlichen Rechte der Breslauer Kirche, verwandelte sich aberbald in einen Kampf um die prinzipielle Frage, ob der weltlichen oder geistlichenObrigkeit im Herzogtum der Primat zustehe. Dieser Streitgegenstand sowie die Persön-lichkeit der Protagonisten bewirkten, dass beide Seiten bei der Wahl ihrer Mittel nichtgerade wählerisch waren. Der Bischof griff nicht nur mehrfach nach dem Schwert desKirchenbanns und des Interdikts, sondern versuchte auch einen Kreuzzug gegen denHerzog zu organisieren. Dieser wiederum ließ die dem Bischof gehörenden Besitztümerkonfiszieren, vertrieb den ihm treuen Klerus, tat den Parteigängern des Breslauer Hie-rarchen Gewalt an und belagerte ihn selbst in Ratibor, wo Thomas bei den HerzögenMieszko und Przemko Zuflucht gesucht hatte.

Dieser Kampf war umso erbitterter und umso dramatischer, als der Konflikt nationa-len Charakter annahm. Als Symptom und Ursache dieses Sachverhalts diente die Tatsa-che, dass den Bischof hauptsächlich der polnische, den Herzog dagegen generell derdeutsche Klerus verteidigte. Wenn man die Feindschaft in Betracht zieht, die die heimi-sche Bevölkerung damals gegen die Ankömmlinge aus dem Westen hegte, dann drohteder Nationalitätenkonflikt Heinrich in den Augen der polnischen öffentlichen Meinungzu kompromitieren. Mit besonderer Verbitterung nahm diese die Nachricht von denorganisatorischen Veränderungen bei den niederschlesischen Minoriten auf. In den1270er Jahren spalteten sich die Kustodien Breslau und Goldberg von der polnischen(eigentlich böhmisch-polnischen, formell aber böhmischen) Franziskanerprovinz ab undschlossen sich der sächsischen Provinz an. Letzterer wurden auch die 1284 in Namslauund Sagan entstandenen Konvente angeschlossen.167 Die politische Bedeutung dieserEreignisse resultierte u. a. daraus, dass die niederschlesischen Minoriten, zumindest ineinigen Häusern, in überwiegendem Maße Deutsche waren und gleichzeitig eifrigeBundesgenossen Heinrichs des Gerechten. Zu diesen Vorgängen musste der GnesenerEpiskopat Stellung nehmen. Und trotz der recht versöhnlichen Haltung des ErzbischofsJakub Świnka bestätigten sowohl er als auch andere Mitglieder des polnischen Episko-pats den Kirchenbann und das Interdikt, mit dem Heinrich und sein Herzogtum belegtworden waren, und legten beim Heiligen Stuhl Protest gegen die Eingliederung Nieder-schlesiens in die sächsische Franziskanerprovinz ein, die sie als ein den Polen von denDeutschen zugefügtes Unrecht empfanden.

Die ‚Chronik der polnischen Herzöge‘ verbindet die Heiligkreuzstiftung ursächlichmit der Beendigung dieses Konflikts. Der reumütige Heinrich habe – so ihr Autor –beschlossen, eine Kollegiatskirche zu stiften, sozusagen als Genugtuung für die derKirche zugefügten Schäden, und dadurch die Vergebung seiner Sünden erreichen

167 Hubert Wajs, Zmiana przynależności prowincjonalnej kustodii wrocławskiej i złotoryjskiejfranciszkanów w drugiej połowie XIII wieku [Der Wechsel der Provinzzugehörigkeit der Bres-lauer und Goldberger Kustodie in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts], in: Prz. Hist. 74,1983, 255–269; Lucius Teichmann, Die ‚polnische‘ Franziskanerprovinz in Schlesien im13. Jahrhundert, in: Arch. schl. Kirchengesch. 42, 1984, 145–158.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 57: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 93

wollen, die er begangen hatte, als er Bischof Thomas und den Klerus der DiözeseBreslau verfolgte.168 Dieses Zeugnis eines hundert Jahre nach den Ereignissen schrei-benden Chronisten ist zwar nicht maßgeblich. Das heißt jedoch nicht, dass die Ansicht,zwischen der Beendigung des Streites und der Gründung des Kollegiatstifts habe einursächlicher Zusammenhang bestanden, ohne nähere Betrachtung verworfen werdenkann.

Zuerst muss bemerkt werden, dass der Herzog im Sinne der StiftungsurkundeThomas II. und dessen Nachfolgern auf dem Breslauer Bischofssitz das Recht auf dieBesetzung der Prälaturen und Kanonien der Heiligkreuzkirche übertrug.169 Wie esscheint, waren zum Zeitpunkt der Ausstellung des Diploms alle diese Pfründen schonbesetzt,170 so dass es sich hier um Vorrechte handelte, die der Bischof erst in Zukunftwürde nutzen können. In der Urkunde wird dies übrigens explicite festgestellt.171 Diesändert jedoch nichts an der Tatsache, dass der Verzicht des Herrschers auf einen Teilseiner Rechte nicht nur eine Geste der Versöhnung in Bezug auf seinen bisherigenFeind darstellte, sondern in weiterer Perspektive auch seine politische Position stärkte.Daher ist kaum zu bezweifeln, dass die Gründung des Kollegiatstifts Heinrich Gelegen-heit bot, den ihn vom Breslauer Bischof trennenden Abgrund zu verringern.

Der Gründung der Kirche zum Heiligen Kreuz stimmten Bischof Thomas und dasBreslauer Domkapitel zu.172 Diesen Konsens bestätigten sie, indem sie die Urkundevom 11. Januar 1288 beglaubigten und ihr ihre Siegel anhängten.173 Die gemeinsameGründung oder Dotierung kirchlicher Institutionen war im Mittelalter eine Unterneh-mung, die die Teilnehmer an der betreffenden Stiftungsaktion zu einer geschlossenengesellschaftlichen Gruppe integrierte.174 Heinrich der Gerechte war der eigentlicheStifter der Kollegiatskirche, aber durch ihren Konsens und ihre moralische und religiöseUnterstützung partizipierten auch der Bischof und sein Kapitel an dieser Unterneh-mung. Einen gewissen, wenn auch geringeren Anteil hatten ebenfalls die anderenTestatoren des Diploms, d. h. Erzbischof Jakub Świnka und einige weitere eingeschwo-rene Parteigänger Heinrichs. Vielleicht war der Herzog bemüht, durch die Stiftung

168 Kronika ksiąźąt polskich. [Chronik der polnischen Herzöge.] Ed. Zygmunt Węclewski, in: MPH,Bd. 3. Ed. August Bielowski. Lwów 1878, 428–578, hier 499; Ioannis Dlugosii Annales, Liber7–8. Ed. Budkowska (wie Anm. 10), 252 (zum Jahr 1288).

169 Stenzel, Stiftungsurkunde (wie Anm. 156), 79.170 Auf jeden Fall befinden sich unter den Zeugen der Stiftungsurkunde namentlich vier Prälaten

des Kollegiatstifts zum Heiligen Kreuz; Stenzel, Stiftungsurkunde (wie Anm. 156), 82.171 Ebd., 79.172 Ebd., 81.173 Ebd., 81f.174 Vgl. Gerd Althoff, Adels- und Königsfamilien im Spiegel ihrer Memorialüberlieferung. Studien

zum Totengedenken der Billunger und Ottonen. München 1984. In der einschlägigen polnischenLiteratur verwies auf dieses Phänomen Janusz Bieniak, Polska elita polityczna XII wieku. CzęśćII: Wróźda i zgoda [Die polnische politische Elite des 12. Jahrhunderts. Teil II: Fehde und Ein-tracht], in: Społeczeństwo Polski średniowiecznej 3, 1985, 13–74.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 58: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

94 Roman Michałowski

dieser Kirche unter Einbeziehung seiner bisherigen Feinde – zu denen nicht nurThomas, sondern auch die entschiedene Mehrheit der Prälaten und Domkanonikersowie Erzbischof Jakub gehörten – die bisherigen Spaltungen zu überbrücken.

Aber die angeführten Fakten erschöpfen den politischen Sinn der Stiftung noch nicht.Der Konflikt mit Thomas musste bei vielen das Vertrauen in Heinrich als christlichenHerrscher untergraben haben. So mancher musste sich wohl fragen, ob es sich hier nichtetwa um einen Tyrannen handelte, der bei der Ausübung seiner Herrschaft nicht nur dasGottesrecht brach, sondern darüber hinaus die Herrschaft Gottes über sich und seinLand bewusst ablehnte. Eine gewisse, wenn auch sehr unvollkommene Vorstellungdarüber, was man in jenen Jahren von Heinrich hielt und wie man über ihn redete,bieten die Acta Thomae, eine Sammlung der Korrespondenz des Bischofs Thomas, diesich auf seinen Konflikt mit Heinrich bezieht. Nicht kommentieren werden wir solcheEpitheta wie destructor [ecclesiae Wratislaviensis],175 mit denen der Bischof gegenüberdem schlesischen Herzog in seinen Briefen und Erklärungen nicht sparte. Wir wollenlediglich ein Schreiben näher betrachten, das er am 10. August 1287 an die Gläubigender Diözese Breslau richtete, d. h. zu einem Zeitpunkt, als der Konflikt seinen Höhe-punkt erreicht hatte.176 In diesem Schreiben zählte der Hierarch alle Vergehen Heinrichsauf, für die ihn die Strafe der Exkommunizierung traf, während sein Land mit demInterdikt belegt wurde. Eines dieser zahlreichen Vergehen bestand in der Beschlag-nahme des Zehnten bzw. in der Erschwerung seiner Eintreibung. Thomas betonte indiesem Zusammenhang, dass Gott als Zeichen seiner Herrschaft über die Welt (insignum universalis dominii) den Zehnten für sich reserviert habe.177 Man kann sich desEindrucks nicht erwehren, dass der Breslauer Hierarch auf diese Weise suggerierenwollte, der Herzog habe, indem er Gott diesen Ihm gebührenden Zehnten verweigerte,damit auch Gottes Herrschaft abgelehnt. Zwar sagt er dies nicht direkt, aber die An-spielung war klar und deutlich. Es kann nicht festgestellt werden, ob und inwieweitderartige Unterstellungen bei denjenigen auf Verständnis stießen, die weniger im Kon-flikt engagiert waren als der Bischof selbst. Aber es ist zu vermuten, dass sie jedenfallsnicht ganz wirkungslos geblieben sind.

In dieser Situation konnte die Stiftung einer prächtigen kirchlichen Institution dazudienen, den schlechten Eindruck zu verwischen, den Heinrichs Kampf gegen den Bi-schof und den Klerus der Diözese Breslau hinterlassen hatte. Und dies war dann wohlauch tatsächlich der Fall. Wie wir uns erinnern, betont der Schreiber in der Arenga derUrkunde vom 11. Januar 1288 ausdrücklich, der Herzog habe das Kollegiatstift zu demZweck ins Leben gerufen, um zu beweisen, dass er Gott als seinen Herrn anerkennt.Wie es scheint, sollte gerade dieser Passus eine Antwort auf die die Menschen bewe-genden Zweifel darstellen und vielleicht auch eine Polemik mit den Unterstellungen des

175 Urkunden zur Geschichte des Bisthums Breslau. Ed. Stenzel (wie Anm. 166), Nr. 215.176 Ebd., Nr. 249.177 Ebd., Nr. 249.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 59: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 95

Breslauer Hierarchen. Somit wäre die Entstehung der Heiligkreuzkirche auch unterdiesem Gesichtspunkt eine Folge des Streits zwischen Heinrich und Thomas, genauergesagt: der politischen Situation, die nach der Besänftigung dieses Konflikts entstandenwar.178

In seinen Überlegungen über die Zweckmäßigkeit und den Sinn der geplanten Stif-tung mochte der Herzog neben der aktuellen politischen Konjunktur aber auch nochAbsichten in Betracht gezogen haben, die er erst in Zukunft realisieren wollte. Nachdem Tode Leszeks des Schwarzen am 30. Oktober 1288, d. h. kaum zehn Monate nachder Ausstellung der Stiftungsurkunde, besetzte Heinrich Krakau und herrschte dort biszu seinem Tode, wobei er auch Ansprüche auf die Herrschaft in Sandomir erhob. Esfragt sich, ob die Stiftung der Kollegiatskirche zum Heiligen Kreuz nicht ursächlich mitdem Versuch der Besetzung Kleinpolens sowie mit noch weitergehenden politischenPlänen verbunden war. Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst aufzei-gen, dass der Herrscher bereits im Januar des Jahres 1288 mit einer solchen Aktionrechnete. Die polnischen Historiker gehen allgemein davon aus, dass Leszek derSchwarze Heinrich den Gerechten als seinen Nachfolger im Krakauer und SandomirerTeilfürstentum vorgesehen habe.179 Leider findet diese Hypothese, auch wenn einegewisse Wahrscheinlichkeit für sie spricht, keine direkte Bestätigung in den Quellen. Inder auf den 28. Januar 1288 datierten Urkunde betitelt sich Heinrich nicht nur alsschlesischer Herzog und Herr von Breslau, sondern auch als Herzog von Krakau undSandomir.180 Diese Titulatur könnte beweisen, dass er bereits Anfang des Jahres 1288Ansprüche auf die Herrschaft in Kleinpolen erhob. Das Problem ist nur, dass dieseTitulatur in den anderen Urkunden Heinrichs aus dem Jahre 1288 nicht mehr vor-kommt. Somit entsteht der Verdacht, dass in der Kopie des erwähnten Diploms – dasuns eben nur in Form einer Kopie bekannt ist – ein Datumsfehler auftrat und dass diesesDiplom in Wirklichkeit nach dem Tode Leszeks des Schwarzen entstanden ist.181 Ein

178 In der Literatur zu diesem Thema ist man sich im allgemeinen darüber einig, dass die Stiftungdes Kollegiatstifts ursächlich mit der Beendigung dieses Konflikts zusammenhing. Zweifel da-ran äußerte allerdings Kutzner, Gotycka architektura (wie Anm. 155), 26f.

179 Anders jedoch Karasiewicz, Jakub II Świnka (wie Anm. 155), 93f. sowie ihm folgend JanBaszkiewicz, Powstanie zjednoczonego państwa polskiego na przełomie XIII i XIV wieku [DieEntstehung eines geeinten polnischen Staates an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert].Warszawa 1954, 386f. Nach Gerard Labuda, Dyplomacja polska wczesnego feudalizmu X w. –1306 r. [Die polnische Diplomatie des frühen Feudalismus 10. Jahrhundert bis zum Jahr 1306],in: Ders. / Marian Biskup (Hrsg.), Historia dyplomacji polskiej, Bd. 1: Połowa X w. – 1572.Warszawa 1980, 33–217, hier 198 sei Heinrich der Gerechte bereits von Bolesław dem Scham-haften zum Herrscher des Krakauer Teilfürstentums designiert worden; doch es fehlt an einerQuelleninformation, die diese Annahme stützen würde.

180 Regesten zur Schlesischen Geschichte, Theil 3: Bis zum Jahre 1300, nebst Register. Ed. ColmarGrünhagen, in: Codex Diplomaticus Silesiae, Bd. 7. Breslau 1886, Nr. 2057.

181 So Henryk Łowmiański, Początki Polski. Bd. 6: Polityczne i społeczne procesy kształtowania sięnarodu do początku wieku XIV. Część 2 [Die Anfänge Polens. Politische und gesellschaftliche

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 60: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

96 Roman Michałowski

helleres Licht auf die uns interessierende Frage kann die Stiftungsurkunde für dieHeiligkreuzkirche werfen.

Wie wir aus ihrem Text erfahren, gründete Heinrich der Gerechte das Kollegiatstiftin Sorge um das ewige Leben seiner Verwandten, insbesondere des Salzburger Erzbi-schofs Władysław, des Königs von Böhmen Přemysl Ottokar II. und des Herzogs vonKrakau und Sandomir Bolesław des Schamhaften. Fromme Stiftungen für das Seelen-heil von Familienmitgliedern stellten im Mittelalter eine weitverbreitete Praxis dar.Aber in unserem Fall ist es verwunderlich, dass nicht seine Eltern oder seine Gattin –die nicht nur nicht namentlich genannt werden, sondern darüber hinaus unter demallgemeinen Begriff parentes zusammengefasst sind182 – an der Spitze derer stehen, umderen Seelenheil Heinrich besorgt war, sondern Personen, die doch nur weiter entferntmit ihm verwandt waren.183 Dass in diesem Zusammenhang Władysław und PřemyslOttokar besonders erwähnt werden, ist durchaus verständlich, wenn man den Umstandin Betracht zieht, das sich sowohl der eine als auch der andere um den jungen Herzoggekümmert hatten, als dieser seinen Vater verlor.184 Aber die Stiftung für das SeelenheilBolesławs des Schamhaften lässt sich nicht so leicht erklären. Dieser war mit Heinrichnur entfernt verwandt, und auch die Beziehungen, die beide Herzöge zu Lebzeitenmiteinander verbanden, waren nicht besonders herzlich. Gewiss, Bolesław der Scham-hafte konnte einen gewissen Anteil an der Befreiung Heinrichs aus der Hand Bolesławdes Kahlen gehabt haben,185 aber selbst dieses Verdienst genügt nicht zur Erklärung,warum Heinrich gerade Bolesław dem Schamhaften den Vorrang vor seinen Eltern und

Prozesse der Nationswerdung bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts. Teil 2]. Warszawa 1985,843, Anm. 2044, der dabei Grünhagen, Regesten zur Schlesischen Geschichte (wie Anm. 180),Nr. 2057 folgt.

182 In unserem Fall muss dieses Wort mit ‚Verwandte‘ übersetzt werden; vgl. parens, in: JanFrederik Niermeyer / Co van de Kieft (Hrsg.), Mediae Latinitatis Lexicon minus, Heft 8. Leiden1960, 763. Ginge man davon aus, dass es hier ‚Eltern‘ bedeuten würde, dann könnte man mei-nen, Heinrich habe sich überhaupt nicht um das Seelenheil seiner Gattin gekümmert. Eine sol-che – in sich selbst unwahrscheinliche – Vermutung ist leicht zu widerlegen, indem gezeigtwird, dass am Ende der Urkunde von Anniversarien die Rede ist, die u. a. auch ihr gewidmetsind; Stenzel, Stiftungsurkunde (wie Anm. 156), 80.

183 Bemerkenswert ist auch das Wort specialiter, das sich auf Władysław, Přemysl Ottokar undBolesław bezieht und gerade sie an die Spitze der Personen stellt, deren Seelenheil die Stiftungdienen sollte.

184 Zu Heinrichs Jugend Winfried Irgang, Die Jugendjahre Herzog Heinrichs IV. von Schlesien(†1290), in: ZOF 35, 1986, 321–345.

185 Allerdings muss ausdrücklich festgestellt werden, dass sich die Rolle, die Bolesław der Scham-hafte in der ganzen Angelegenheit spielte, nicht klar abzeichnet. Jedenfalls zeugen die uns be-kannten Fakten nicht von einem besonders aktiven Engagement des Krakauer Herzogs auf Sei-ten von Heinrich dem Gerechten; vgl. Grodecki, Dzieje polityczne Śląska (wie Anm. 166),268f.; Maleczyński, Walka Probusa (wie Anm. 166), 506f.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 61: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 97

seiner Gattin einräumte.186 In dieser Situation entsteht der Verdacht, dass der Herrschervon Breslau sich für den Nachfolger Bolesławs auf dem Thron von Krakau und Sando-mir hielt187 und sich aus diesem Grunde verpflichtet fühlte, auch für das Seelenheilseines Vorgängers Sorge zu tragen; oder er wollte mit dieser ihm gewidmeten Stiftungseine eigenen Rechte auf Kleinpolen manifestieren. Da sich keine andere Erklärung deruns interessierenden Tatsache aufdrängt, muss angenommen werden, dass Heinrichbereits im Augenblick der Ausstellung der Urkunde vom 11. Januar 1288 ernsthaft andie Besetzung von Krakau und Sandomir dachte.

Mit dem besprochenen Problem eng verbunden ist die Frage der Krönungspläne desBreslauer Monarchen.188 Die Existenz solcher Pläne bestätigt klar und unzweideutigOttokar von Steyr, ein Zeitgenosse Heinrichs des Gerechten, dessen Werk allerdingserst zwanzig bis dreißig Jahre nach dessen Tod entstanden ist.189 Diesem Chronistenunterliefen allerdings grobe Fehler, so dass zu fragen ist, ob nicht auch die uns hierinteressierenden Informationen unzutreffend sind. Die Chronik Ottokars von Steyr stelltallerdings nicht das einzige relevante Zeugnis dar. Zu den Quellen, die ebenfalls zuberücksichtigen sind, gehört auch ein Vertrag zwischen Heinrich dem Gerechten unddem Oppelner Herzog Władysław. In seiner überlieferten Form entstand dieser unda-tierte Text in den Jahren 1280 bis 1281.190 In ihm brachte Władysław sein Einverständ-nis zum Ausdruck, dass sein Schwiegersohn Heinrich, Herzog von Schlesien und Herrvon Breslau, in Polen Königtum und Krone erhalten sollte und dass er ihm dabei mitRat und Tat helfen wollte. Eine Bedingung stellte er allerdings: Sollte Heinrich dieKrone gewinnen, sollte er auch seine Gattin krönen, d. h. Władysławs Tochter. Diesbeweist, dass Heinrich schon sieben bis acht Jahre vor der Stiftung der Heiligkreuzkir-

186 Vgl. Andrzej Grzybkowski, Die Kreuzkirche in Breslau – Stiftung und Funktion, in: Zeitschriftfür Kunstgeschichte 51, 1988, 461–478. An dieser Stelle sei Prof. Dr. habil. Andrzej Grzyb-kowski gedankt, der mir Einblick in diese wichtige Arbeit noch vor ihrer Publikation gewährthat.

187 So schon Grünhagen, Geschichte Schlesiens (wie Anm. 166), 111 und ihm folgend fast diegesamte Literatur zum Thema.

188 In der polnischen Literatur wird allgemein angenommen, dass Heinrich beabsichtigt habe, sichzum König von Polen zu krönen. Skeptisch sieht dies hingegen die deutsche Historiographie; soheißt es bei Heinrich Appelt / Walter Kuhn, Heinrich IV. [Herzog von Schlesien-Breslau], in:Neue deutsche Biographie, Bd. 8: Hartmann – Heske. Berlin 1969, 394–396, hier 394: „Ob er[d. h. Heinrich IV.] nach der polnischen Königswürde strebte, ist ungewiss.“

189 Ottokars Österreichische Reimchronik. Ed. Joseph Seemüller, in: MGH Deutsche Chroniken,Bd. 5, Teil 1. Hannover 1890, 285ff. Zur älteren Literatur Oswald Marian Balzer, Królestwopolskie 1295–1370 [Das polnische Königreich 1295–1370], Bd. 1. Lwów 1919, 207f.; zur neu-esten Literatur: Łowmiański, Początki Polski, Bd. 6/2 (wie Anm. 181), 849ff.

190 Diese Quelle veröffentlichte Konrad Wutke, Über schlesische Formelbücher des Mittelalters.Breslau 1919, 65, Nr. 16; siehe die Bemerkungen des Herausgebers, ebd. 65f. Den Text analy-sierte unlängst Łowmiański, Początki Polski, Bd. 6/2 (wie Anm. 181), 841f.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 62: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

98 Roman Michałowski

che an das königliche Diadem dachte, wobei er nicht in Schlesien, sondern in PolenKönig werden wollte.

Verwiesen sei auch auf Heinrichs Grabplatte, die höchstwahrscheinlich im erstenJahrzehnt des 14. Jahrhunderts aufgestellt wurde und sich bis 1945 zusammen mit derTumba in der Breslauer Heiligkreuzkirche befand.191 Auf einem der beiden am Kopf-ende des Herrschergrabes situierten Wappenschilder prangt der Adler mit Krone. Wiewir aus den polnischen ikonografischen Quellen des 12. und 13. Jahrhunderts wissen,musste die Krone nicht unbedingt die königlichen Ambitionen eines Herzogs wider-spiegeln, der dieses Symbol auf seinem Siegel oder seinen Münzen anbringen ließ.192

Das Grabdenkmal entstand jedoch gleich nach der Krönung Przemysłs II. im Jahre1295 und Wenzels II. im Jahre 1300, so dass kaum zu bezweifeln ist, dass der Stifterder Grabplatte dieses Diadem mit der Königskrone assoziierte. Wenn der Auftraggeberalso den Willen geäußert hat, die Tumba mit einem solchen Wappen zu versehen, danndoch wohl sicher um zu unterstreichen, dass Heinrich sich um das Königsdiadembemüht hatte. Da das Grabmal sicher zehn bis zwanzig Jahre nach dem Tode Hein-richs IV. entstand,193 konnte dessen Stifter daher gut über Heinrichs politische Pläneunterrichtet gewesen sein. Da es kaum vorstellbar ist, dass das Grabmal mit dem Sym-bol einer Ideologie versehen worden wäre, welche den Bestrebungen Heinrichs desGerechten völlig fremd war, drängt sich die Vermutung auf, dass dieses Diadem tat-sächlich den Gegenstand der Ansprüche und Ambitionen des schlesischen Herzogsbildete.194

191 Zum Grabmal Janusz Kębłowski, Nagrobki gotyckie na Śląsku [Gotische Grabmäler in Schle-sien]. Poznań 1969, 11ff.; 45ff.; Ders., Treści ideowe (wie Anm. 155), 42f.; Ders., Pomniki Pi-astów (wie Anm. 155), 44f.

192 Vgl Łowmiański, Początki Polski, Bd. 6/2 (wie Anm. 181), 806ff.; Bogumiła Haczewska,Insygnia koronacyjne na monetach polskich w okresie rozbicia dzielnicowego [Die Krönungsin-signien auf polnischen Münzen in der Zeit der teilfürstlichen Zersplitterung], in: StefanKrzysztof Kuczyński / Stanisław Suchodolski (Hrsg.), Nummus et historia. Pieniądz Europyśredniowiecznej.Warszawa 1985, 119–129; Zenon Piech, Uwagi o genezie i symbolice herbuksiążąt kujawskich [Bemerkungen zur Genese und Symbolik des Wappens der kujawischenHerzöge], in: Stud. Hist. 30, 1987, 175–189, hier 182.

193 Kębłowski, Nagrobki gotyckie (wie Anm. 191), 46f. datiert dieses Denkmal auf die Zeit um 1300.194 Unabhängig von Unterschieden in den Details ist eine solche Interpretation in der polnischen

Literatur bekannt; vgl. z. B. Balzer, Królestwo polskie (wie Anm. 189), 199f. Bewusst überge-hen wir hier die Frage der symbolischen Bedeutung des Adlers selbst. Aber wenn der gekrönteAdler von der Breslauer Tumba tatsächlich dem Wappen des Königreiches Polen nachgebildetwar, wie in letzter Zeit angenommen wird, dann muss umso mehr der Ansicht zugestimmt wer-den, dass Heinrich der Gerechte vom Stifter dieses Grabmals Bestrebungen zur Erneuerung desKönigreiches und der Krone zugeschrieben wurden.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 63: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf die zur Zeit Heinrichs IV. verfassteChronica Polonorum. Ihr vielleicht dem Herzog nahestehender Autor war geradezufasziniert von der Geschichte der polnischen Krone und betonte die Bedeutung, die dieschlesische Gesellschaft und vielleicht auch Heinrich der Gerechte selbst einer Ideolo-gie beimaßen, deren Symbol das Königsdiadem bildete. Natürlich muss eingeräumtwerden, dass keines der drei angeführten Quellenzeugnisse völlig sicher und eindeutigist. Das ikonografische Programm des Grabmals wurde trotz allem nicht von Heinrichselbst erarbeitet, und der Verfasser der Chronica Polonorum konnte eine Ideologievertreten, die dem Herrscher tatsächlich völlig fremd war; und was schließlich denVertrag zwischen Heinrich und Władysław betrifft, so muss bemerkt werden, dass ernicht im Original erhalten ist, sondern nur als die sogenannte Summa Nicolai, d. h. alsBestandteil einer unter der Herrschaft Heinrichs IV. oder kurz darauf in Breslau zu-sammengestellten Formelsammlung. Deshalb könnten seine Formulierungen auch einevom Autor des Formelbuchs geschaffene Fiktion sein.

Trotz all dieser Vorbehalte muss geichwohl festgestellt werden, dass wir es mit einergewissen Verdichtung an Belegen zu tun haben, die Zweifel am Bericht des Ottokarvon Steyr als übertriebenen Kritizismus erscheinen lässt. Daher darf angenommen

Princeps fundator 99

Grabplatte Heinrichs IV. des Gerechten aus der Heiligkreuzkirche Breslau (Ausschnitt), Anfang14. Jahrhundert (heute im Nationalmuseum Breslau)

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 64: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

100 Roman Michałowski

werden, dass Heinrich der Gerechte tatsächlich an seine Königskrönung glaubte unddass dieser Plan – falls der Text des Vertrages mit Władysław von Oppeln authentischist – gut und gern einige Jahre vor der Stiftung der Kollegiatskirche zum HeiligenKreuz geboren wurde. Wenn es zutrifft, dass der das Kollegiatstift gründende BreslauerHerzog Kräfte zur Eroberung Kleinpolens sammelte, dann erscheint es auch sehr wahr-scheinlich, dass er diese Stiftung mit dem Gedanken an eben diese politischen Pläneunternommen hat. Dabei dürfte es ihm nicht allein um den notwendigen Ausgleich inseinen Beziehungen zur Kirche gegangen sein. Die Stiftung der Kollegiatskirche zumHeiligen Kreuz sollte auch beweisen, dass Heinricht die Herrschaft Gottes über sichanerkennt und dass er Ihm treu ist. Und weil die Treue zu Gott die grundlegende mora-lische Qualifikation eines gerechten Herrschers darstellte, darf vermutet werden, dassdie Stiftung dem Breslauer Herzog ein moralisches Zeugnis ausstellen sollte, das ihmden Weg zum Krakauer Thron und vielleicht auch zur Königswürde öffnen sollte. Einsolches Zeugnis erschien umso notwendiger, als Heinrichs Reputation durch den Kon-flikt mit Bischof Thomas II. sehr angegriffen war.195

Adressiert war die Botschaft der Stiftung an die Mitakteure seiner politischen Aktio-nen, mit Sicherheit aber auch an Gott. Die damalige polnische Gesellschaft, zumindestaber ihre Elite, war davon überzeugt, dass den sakralen Kräften die militärischen undpolitischen Unternehmungen keineswegs gleichgültig waren. Im Gegenteil, man warder Meinung, dass sie in den Verlauf der Ereignisse eingreifen und demjenigen Fürstendie Palme des Sieges zuerkennen würden, der um Gerechtigkeit kämpft und sich durchFrömmigkeit auszeichnet. Zeugnisse für diese Haltung liefern die zahlreicheren Quellender zweiten Hälfte des 14. und der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.196 Doch auchAufzeichnungen der Annalen des Posener Kapitels, die sich auf das dritte Viertel des13. Jahrhunderts beziehen, unterstreichen, dass das Heer der Großpolen die Hilfe desHimmels erhielt, die für den Ausgang der Schlacht von entscheidender Bedeutungwar.197 Und in Bezug auf Herzog Bolesław schreibt der Annalist, dass Gott ihm jedes-mal in seinen Kriegen geholfen habe, so oft er für die Gerechtigkeit kämpfte.198 Wie auf

195 Die polnische Literatur sieht gern einen Zusammenhang zwischen der Gründung des Kollegiat-stifts zum Heiligen Kreuz und Heinrichs politischen Plänen, legt jedoch den Nachdruck entwe-der auf etwas andere Aspekte oder führt die Sache nicht zu Ende, vgl. Skibiński, Pierwotnykościół (wie Anm. 155), 77ff. Ein scharfes votum separatum kam allerdings von Grzybkowski,Kreuzkirche (wie Anm. 186), 472f. und passim, der jedoch den Gedanken zuließ, dass dieGründung des Kollegiatstifts irgendwie mit Heinrichs Friedensschluss mit Thomas II. im Zu-sammenhang gestanden haben könnte.

196 Die Frage würde eine gesonderte Studie erfordern. Ansätze dazu bei Brygida Kürbis, Sacrum iprofanum. Dwie wizje władzy w polskim średniowieczu [Sacrum und Profanum. Zwei Herr-schervisionen im polnischen Mittelalter], in: StŹrodł 22, 1977, 19–40, hier 33f.

197 Roczniki kapituły poznańskiej [Annalen des Posener Kapitels], in: Annales Poloniae Maio-ris / Roczniki Wielkopolskie. Ed. Brygida Kürbis, in: MPH NS, Bd. 6. Warszawa 1962, 21–78,hier 37 (zum Jahr 1256), 45 (zum Jahr 1259), 50 (zum Jahr 1272).

198 Ebd., 50 (zum Jahr 1272); 48 (zum Jahr 1269), 44 (zum Jahr 1258).

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 65: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 101

einer Tafel, die bis 1945 in der Breslauer Heiligkreuzkirche hing, zu lesen war, sei derHerrgott im Jahre 1288 Heinrich dem Gerechten, als er mit Ruthenen und Krakauernkämpfte, zu Hilfe gekommen sei. Die Tafel stammt sicher aus der Mitte des14. Jahrhunderts, doch mag ihr Inhalt vielleicht auf älteren Aufzeichnungen basieren.199

Schließlich bieten auch einzelne Siegel aus der zweiten Hälfte des 13. JahrhundertsBelege dafür, dass sich der Herzog auf den Schutz manus Dei berief.200 Die Darstellungsymbolisiert die auf den Herrscher herabströmende göttliche Gnade, und da die Lan-desverteidigung zu den grundlegenden Pflichten eines jeden Herrschers gehörte, solltesich diese Gnade gewiss auch in seinen militärischen Siegen äußern, selbstverständlichnur wenn die bewaffnete Aktion für eine gerechte Sache begonnen wurde.

Es versteht sich von selbst, dass Heinrich IV. in dieser Atmosphäre bemüht war, fürseine Pläne den Segen Gottes zu erwirken, und dass er sich für die Stiftung einer Kolle-giatskirche entschied, um den Herrgott von seiner Treue zu Ihm zu überzeugen. Daswar eine umso dringlichere Notwendigkeit, als der Konflikt mit der Kirche diese Treuein Frage gestellt hatte. Auf eine Verbindung der Stiftung mit den politischen PlänenHeinrichs verweisen, wie es scheint, zwei zusätzliche Umstände, nämlich die in derChronica Polonorum zum Ausdruck kommende Ideologie sowie das Patrozinium derBreslauer Kollegiatskirche. Nach der hier formulierten Konzeption korrelierte dieStiftung einer Kirche mit einer erfolgreichen Herrschaft, die manchmal mit dem Kö-nigsdiadem gekrönt wurde. Die Chronik entstand in den letzten Jahren der HerrschaftHeinrichs IV. in Schlesien, vielleicht sogar in ihm nahestehenden Gesellschaftskreisen.Daher ist es möglich, dass ihre Konzeption auch dem Breslauer Herzog nicht fremdwar. Sollte dies tatsächlich der Fall gewesen sein, dann muss er davon überzeugt gewe-sen sein, dass er seine ehrgeizigen Pläne ohne eine prächtige Stiftung nicht würdeverwirklichen können.

Die Urkunde vom 11. Januar 1288 informiert, dass die von Heinrich gestiftete Kirchedem Heiligen Kreuz gewidmet sein sollte.201 Spätere Quellen fügen diesem Patrozinium

199 Kazimierz Stronczyński, Pomniki książęce Piastów, lenników dawnej Polski w pieczęciach,budowlach, grobowcach i innych starożytnościach, zebrane i objaśnione [Die herzoglichenDenkmäler der Piasten, Vasallen des alten Polen auf Siegeln, Gebäuden, Grabmälern und ande-ren Altertümern, gesammelt und erläutert]. Piotrków 1888, 207. Was die Entstehungszeit derTafel und der Aufschrift betrifft, so wurden in der Literatur einander widersprechende Meinun-gen geäußert, vgl. z. B. Hans Lutsch, Die Kunstdenkmäler der Stadt Breslau. Breslau 1886, 26f.;Ludwig Burgemeister (Hrsg.), Die Kunstdenkmäler der Stadt Breslau. Teil 1: Die kirchlichenDenkmäler der Dominsel und der Sandinsel. Breslau 1930, 175.

200 Franciszek Piekosiński, Pieczęcie polskie wieków średnich. Część 1: Doba piastowska [Polni-sche Siegel des Mittelalters. Teil 1: Die piastische Zeit]. Kraków 1899, z. B. 99f., Nr. 134 (Sie-gel Bolesławs des Frommen); 134, Nr. 201a (Siegel Přemysls II.); vgl. Stefan KrzysztofKuczyński, Pieczęcie książąt mazowieckich [Die Siegel der masowischen Herzöge]. Wrocławu. a. 1978, 140f.

201 Stenzel, Stiftungsurkunde (wie Anm. 156), 68, 79–81.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 66: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

102 Roman Michałowski

noch jenes des Apostels Bartholomäus hinzu, das sich auf die untere Kirche bezieht.202

Falls die Errichtung eines zweistöckigen Gotteshauses bereits im Jahre 1288 geplantwar, dann mag es von Anfang an den Plan gegeben haben, das untere Stockwerk einemgesonderten Patron zu widmen, nämlich dem hl. Bartholomäus, dessen Kult bei denschlesischen Piasten sehr beliebt war.203 Die Stiftungsurkunde kennt allerdings nur einPatrozinium – das des Heiligen Kreuzes. Für Heinrich mochte es daher wenn nicht daseinzige, so doch gewiss das Hauptpatrozinium gewesen sein. Das Kreuz ist ein Symbol,hinter dem sich ein fundamentaler Glaubensartikel der christlichen Religion verbirgt –das Dogma von der Erlösung, von der Auferstehung des Fleisches und vom ewigenLeben. Mit diesem eschatologischen Verständnis des Kreuzes verband sich im Mittel-alter die Interpretation, dies auch in den Kategorien des Diesseits zu erfassen. Man warnämlich der Meinung, dass auch der militärische Sieg und das politische Wohlergeheneinen Abglanz des von Christus auf Golgatha errungenen Triumphes darstellten. Des-halb wurde das oft in einem Zeichen oder einer Reliquie vergegenwärtigte Kreuz kul-tisch verehrt, um die Teilhabe an den Früchten der Passion des Herrn zu gewinnen undsich auf diese Weise auch des militärischen Erfolgs auf dem Schlachtfeld zu versichern.Gleichwohl existierte dieses Phänomen im Hochmittelalter weiter und trat in Kreisen inErscheinung, die Heinrich zeitlich, geografisch und gesellschaftlich nahe standen.

Nach dem Sieg über Přemysl Ottokar II. bei Dürnkrut204 gründete Rudolf I. vonHabsburg in Tulln (Niederösterreich) ein dem Heiligen Kreuz gewidmetes Dominika-nerkloster.205 In der Stiftungsurkunde vom 31. August 1280 findet sich folgendesFragment: Deo laudabilem, nobis necessarium, et re vera reipublice utilem belli siveconflictus, contra quondam Othogarum Bohemorum Regem, nostrum et Imperii perse-cutorem notorium, obtenti triumphum, non nobis, non nostre potentie, non armorumDucibus, non nostris viribus attribuimus; sed illius tantum misericordie, et dispositioni,qui nostra et Imperii negotia quelibet hactenus misericorditer disposuit, bonorumomnium largitori videlicet, et victorioso salvifice Crucis signaculo, sub quo bellihujusmodi ambiguitas feliciter est conclusa, tante laudem victorie, digne ducimusasscribendam; unde ne tante gratie, tante beneficentie, tanteque misericordie, quibusnos humiles, et immeritos, tunc, cum vita nostra penderet in pendulo, gratiose respexitaltissimus, ingrati vel immemores omnimodis videamur, ad predicte Crucis vivifice

202 Wilhelm Schulte, Die Bartholomäuskirche unter der Kreuzkirche, in: Schlesische Volkszeitung–Breslauer Hausblätter 40, 1908, Nr. 1 und 3.

203 Grzybkowski, Kreuzkirche (wie Anm. 186),474.204 Zu dieser Schlacht Andreas Kusternig, Probleme um die Kämpfe zwischen Rudolf und Ottokar

und die Schlacht bei Dürnkrut und Jedenspeigen am 26. August 1278, in: Jahrbuch für Landes-kunde von Niederösterreich N.F. 44/45, 1979, 226–311.

205 Floridus Röhrig, Tulln, in: Die Zeit der frühen Habsburger. Dome und Klöster 1279–137.Niederösterreichische Landesausstellung, Wiener Neustadt 12. Mai bis 28. Oktober 1979. Wien1979, 274–276, hier 275f.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 67: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 103

laudem et tanti trophei memoriale perpetuum, in oppido nostro Tulna, claustrum sivecenobium Sanctimonialium. Deo, ut credimus, placitum ereximus (…).“206

Rudolf verdankte seinen Triumph über Přemysl Ottokar mithin dem Herrgott unddem Heiligen Kreuz, genauer gesagt: dem Zeichen des Kreuzes. Die Präzisierung, dasses sich hier nicht um Crux selbst handelt, sondern vielmehr um victoriosum salvificeCrucis signaculum, scheint zu suggerieren, dass der römische König mit seinem Heerunter dem Zeichen des Kreuzes in die Schlacht gezogen ist und dass eben dieser Um-stand ihm den Sieg sicherte. Und tatsächlich wissen wir aus anderen Quellen, dassRudolfs Ritter Kreuze auf ihren Rüstungen trugen und die Rotte, an deren Spitze derHerrscher selbst stand, victoriosissime sante crucis insignia vor sich hertrug.207 In denAnnales sancti Rudberti Salisburgensis findet sich eine Passage, die erklärt, warum demso große Bedeutung beigemessen wurde. Die gegen Ottokar kämpfenden Ritter griffendas gegnerische Heer nämlich nicht nur in Kreuze gekleidet an und stürmten nicht nurunter dem Banner des Kreuzes vorwärts, sondern dies geschah auch an einem Freitagund um die sechste Stunde, also zu dem Zeitpunkt – wie der Chronist unterstreicht –, alsJesus Christus für das Heil der Menschen starb.208 Da der Annalist es sich in diesemZusammenhang nicht nehmen ließ, an das Leiden des Herrn anzuknüpfen, erblickte erdarin offensichtlich auch die Ursache für Rudolfs Sieg. Das Zeichen des Kreuzes sowieReliquien von ihm (solche befanden sich gewiss in dem der königlichen Rotte vorange-tragenen vexillum sancte crucis), der Wochentag und die Tageszeit müssen in denAugen des Verfassers Mittel gewesen sein, die es dem König erlaubten, in den Genussder Früchte des auf Golgotha errungenen Triumphes zu gelangen.209 Beachtung verdientauch der Umstand, dass der Tag der Schlacht, nämlich ein Freitag, sicher im Verlauf dervon den Anführern beider Heere geführten Verhandlungen festgelegt worden war.210

Die Wahl des Tages konnte von strategischen Gründen diktiert sein,211 konnte aber auchaus dem Willen resultieren, diese Schlacht am Tag des Leidens des Herrn stattfinden zulassen. Auf jeden Fall informiert die Continuata Claustroneoburgensis VI, dass es beiRudolf Brauch war, am Freitag zu kämpfen.212

Die angeführten Quellen zeigen, dass das Kreuz auch im Hochmittelalter und auch inMitteleuropa ein Symbol des politischen Triumphes und des Sieges über den sichtbarenGegner darstellte. Dieselben Inhalte verbargen sich hinter dem betreffenden Patrozi-

206 Hermann Meynert, Das Herz Rudolf´s I. und die Habsburger-Gruft des ehemaligen Klosterszum Heiligen Kreuz in Tulln. Wien 1859, Beilage I, 56f.

207 Annales sancti Rudberti Salisburgenses. Ed. Wilhelm Wattenbach, in: MGH SS, Bd. 9. Hannover1851, 758–810, hier 803 (zum Jahr 1278); vgl. Kusternig, Probleme (wie Anm. 204), 276, Anm. 300.

208 Annales sancti Rudberti. Ed. Wattenbach (wie Anm. 207), 803 (zum Jahr 1278).209 Kusternig, Probleme (wie Anm. 204), 266, Anm. 222.210 Ebd., 258f.211 Ebd., 260, Anm. 193.212 Continuatio Claustroneoburgensis VI. a. 1267–1279. Ed. Wilhelm Wattenbach, in: MGH SS,

Bd. 9. Hannover 1851, 742–746, hier 745 (zum Jahr 1278).

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 68: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

104 Roman Michałowski

nium. Als Rudolf das Kloster in Tulln dem Heiligen Kreuz widmete, wollte er damit anseinen Sieg über Ottokar erinnern und seinen Dank dafür bezeugen. Somit scheintbereits das Patrozinium der Breslauer Kollegiatskirche auf die Verbindung dieserStiftung mit den politischen Plänen Heinrichs IV. hinzuweisen. Indem Heinrich einedem Heiligen Kreuz gewidmete Kirche stiftete, wollte er sich seinen Anteil an denFrüchten des Leidens des Herrn sichern und auf diese Weise seine Feinde besiegen, dieihn auf seinem Weg zum Krakauer Thron und eventuell auch zur Königskrone aufhal-ten wollten.213

Da die Verehrung des Heiligen Kreuzes viele verschiedene Aspekte besaß, konnteder Herzog, als er sich für dieses Patrozinium entschied, zugleich auch noch an andereseiner Inhalte anknüpfen. Andrzej Grzybowski, der sich u. a. darauf berief, dass bereitsder ursprüngliche, noch zu Lebzeiten Heinrichs entstandene Plan der Kollegiatskircheeinen zweistöckigen Bau vorsah,214 hat die Hypothese aufgestellt, dass das wesentlicheZiel dieser Stiftung in der Gewährleistung des Fürbittengebets für jene Personen be-stand, für deren Seelenheil die Kirche gestiftet wurde.215 Möglich ist somit noch eineweitere Erklärung dieses Patroziniums. Und zwar sollte es den Glauben an das ewigeLeben und an die Auferstehung des Fleisches zum Ausdruck bringen (das Kreuz alsSymbol des Sieges über den Tod).216

213 Vgl. Skibiński, Pierwotny kościół (wie Anm. 155), 81. Bemerkenswert ist, dass HeinrichsMentor Přemysl Ottokar, wie es scheint, ein eifriger Verehrer der Werkzeuge des Leidens desHerrn war. Auf jeden Fall schenkte er Goldenkron einen Dorn aus Christi Dornenkrone und fürden Heiligkreuzaltar in der Prager Kathedrale stiftete er anlässlich der Krönungsfeierlichkeitenein Kreuz; Kuthan, Mittelalterliche Baukunst (wie Anm. 161), 223f.; Emanuel Poche, Kříž králeOtokara II. [Das Kreuz König Ottokars II.], in: Josef Krása (Hrsg.), Uméní 13. stoleti v českýchzemích. Praha 1983, 455–468.

214 Grzybkowski, Kreuzkirche (wie Anm. 186), 466f. ist der Meinung, dass die zu LebzeitenHeinrichs IV. und nicht ohne seine Mitbeteiligung entstandene architektonische Konzeption dieExistenz einer Ober- und einer Unterkirche vorsah, wobei die untere Etage nicht nur das Pres-byterium, sondern auch den Korpus der Kirche umfassen sollte. Auch Kutzner, Gotycka archi-tektura (wie Anm. 155), 63f.; Ders., Sztuka Wrocławia [Die Kunst Breslaus]. Wrocław / Wars-zawa / Kraków 1967, 82 bezieht die Zweistöckigkeit dieser Kirche auf die Zeit Heinrichs IV.,aber er geht davon aus, dass damals nur der Bau einer Krypta unter dem Chor und nicht der ge-samten unteren Kirche geplant war. Dagegen verwirft Skibiński, Pierwotny kościół (wieAnm. 155), 75f. jeglichen Gedanken an eine Zweistöckigkeit im ursprünglichen Projekt der Kol-legiatskirche.

215 Grzybkowski, Kreuzkirche (wie Anm. 186), 472f.216 Johann Heyne, Dokumentirte Geschichte des Bisthums und Hochstiftes Breslau, Bd. 1: Denk-

würdigkeiten aus der Kirchen- und Diöcesan-Geschichte Schlesiens, von der Einführung desChristenthums in Schlesien bis zur böhmischen Oberherrschaft über dieses Land (966–1355).Breslau 1860, 556 sprach sich für eine weitere Interpretation des Patroziniums der Kolle-giatskirche aus: Heinrich IV. habe beabsichtigt, an einem Kreuzzug teilzunehmen, und da erdieses Gelübde nicht erfüllen konnte, als Genugtuung die Kollegiatskirche gestiftet, die in derKonsequenz dem Heiligen Kreuz gewidmet wurde. Diese Hypothese weckt jedoch Zweifel. AusHeinrichs Testament erfahren wir, dass der Herzog als Entschädigung für das nicht erfüllte Ge-

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 69: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 105

Fassen wir die vorstehenden Überlegungen zusammen. Die Arenga des Stiftungs-diploms beweist, dass die Gründung des Heiligkreuzstifts ein Mittel war, mit dessenHilfe sich Heinrich IV. als gerechter Herrscher präsentieren wollte. Das war nicht daseinzige, aber immerhin ein sehr wichtiges Ziel dieser Stiftung. In der Arenga verdientder Passus besondere Aufmerksamkeit, in dem festgestellt wird, dass der Herzog Gottmit der Stiftung der Kirche indicia subiectionis darbiete. Da diese Formulierung in dermittelalterlichen Diplomatik keineswegs zu den loci communes gehörte, darf ihreAussagekraft auch nicht durch den Verdacht relativiert werden, man habe hier gedan-kenlos eine abgenutzte Wendung benutzt. Die politischen Umstände, unter denen es zuder Stiftung kam, bewegen eher zu der Annahme, dass diese Wendung ganz bewusstgewählt worden ist. Es ist nämlich zu vermuten, dass Heinrich, der sich auf die Erobe-rung Kleinpolens vorbereitete und vielleicht auch an die Königskrone dachte, seineLoyalität gegenüber dem Himmel manifestieren wollte – eine Loyalität, die durchseinen Konflikt mit der Kirche in Frage gestellt worden war. Die Heiligkreuzkirchebildete nicht die einzige Stiftungstätigkeit Heinrichs IV. Auf der Breslauer Dominselerrichtete er eine Schlosskapelle, deren architektonische Merkmale – eine stark betonteWestempore sowie die oktogonale Anlage – vermuten lassen, dass dieses Bauwerk inHeinrichs Augen die Größe seiner monarchischen Majestät verkünden sollte.217 Aufdem Totenbett bedachte er die Breslauer Kirche mit weitgehenden Privilegien;218

gleichzeitig gebot er seinen Nachfolgern die Gründung eines Zisterzienserinnen-klosters219 und bestimmte hundert Mark Gold für den Bau der Krakauer Kathedrale.220

Die Vergabe weitgehender Rechte an das Bistum, die Gründung eines Konvents mit

lübde einhundert Pfund Silber zur Hilfe für das Heilige Land bestimmte; Kodeks Dyplomaty-czny Wielkopolski, Bd. 2: 1288–1349. Ed. Ignacy Zakrzewski, Poznań 1878, Nr. 645. Wäre dieHeiligkreuzstiftung tatsächlich eine Genugtuung für seine Nichtteilnahme am Kreuzzug gewe-sen, dann hätte sich der Herzog zwei Jahre nach dieser Stiftung von seinem Gelübde befreit ge-fühlt und das erwähnte Vermächtnis wäre gar nicht mehr notwendig gewesen.

217 Andrzej Grzybkowski, Wrocławska kaplica zamkowa księcia Henryka IV Prawego [Die Bres-lauer Schlosskapelle des Herzogs Heinrich IV. des Gerechten], in: Zbigniew Bania u. a. (Hrsg.),Podług nieba i zwyczaju polskiego. Studia z historii architektury, sztuki i kultury ofiarowaneAdamowi Miłobędzkiemu. Warszawa 1988, 73–83; Ders., Średniowieczne kaplice zamkowePiastów śląskich (XII–XIV wieku) [Die mittelalterlichen Schlosskapellen der schlesischen Pi-asten (12.–14. Jahrhundert)]. Warszawa 1990, 80–96.

218 Urkunden zur Geschichte des Bisthums Breslau. Ed. Stenzel (wie Anm. 166), Nr. 250; vgl. dieknappe Beurteilung dieser Privilegien bei Irgang, Kirchenpolitik (wie Anm. 166), 235.

219 Kodeks Dyplomatyczny Wielkopolski. Ed. Zakrzewski (wie Anm. 216), Nr. 645. Zu dieserStiftung auch Ewald Walter, Das von Herzog Heinrich IV. auf der Breslauer Dominsel geplanteZisterzienserinnenkloster, in: Jb. Schl. Univ. Bresl. 26, 1985, 35–50.

220 Kodeks Dyplomatyczny Wielkopolski (wie Anm. 216), Nr. 645; vgl. Janusz Firlet / ZbigniewPianowski, Sprawozdania z badań w podziemiach katedry wawelskiej 1981–1983 r. Odkryciekościoła przedromańskiego [Berichte über die Untersuchungen in den Kellergewölben der Wa-welkathedrale 1981–1983. Die Entdeckung einer präromanischen Kirche], in: Spraw. Arch. 30,1985, 169–180, hier 178.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 70: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

106 Roman Michałowski

sehr strenger Regel, der hundert Nonnen und zwanzig Brüder zählte, die Konversennicht mitgerechnet, und schließlich der Bau der Kathedrale – all dies könnte suggerie-ren, dass diese schon am Ende seines Lebens unternommenen Initiativen, ähnlich wiedie Stiftung der Heiligkreuzkirche, zur Sprache monarchischer Ostentation gehörten.Diese Schlussfolgerung ist aber nicht zwingend, trotz des außergewöhnlichen Elans dererwähnten Unternehmungen. Eher ist zu vermuten, dass Heinrich auf dem Totenbett umdas Heil seiner Seele besorgt war. Da er keine Nachkommen hatte, konnte er sicherlauben, überaus freigiebig zu sein. Dazu bewegten ihn Gewissensbisse wegen derSchäden, die er der Kirche zugefügt hatte.

Schluss

Unsere drei exemplarischen Einzelstudien haben wenige sichere Ergebnisse erbracht;zumeist können wir lediglich von mehr oder weniger begründeten Hypothesen spre-chen. Die Ursache für diesen Sachverhalt liegt in der allzu kargen Quellenbasis despolnischen Mittelalters sowie in der Natur der erörterten Problematik selbst. Uns inte-ressiert das Ziel, zu dem eine Stiftungstätigkeit unternommen worden ist. Doch führenVersuche, die Intention einer vergangenen Handlung zu bestimmen, nur selten zu völligeindeutigen Schlussfolgerungen.

Das zusammengetragene Material berechtigt dennoch zu einigen allgemeinerenSchlussfolgerungen. Es zeigt sich nämlich, dass kirchliche Stiftungen – zumindest ineinigen Fällen – Akte waren, mit deren Hilfe die piastischen Herrscher bemüht waren,ihrer großen Majestät Ausdruck zu verleihen oder die Rechtmäßigkeit ihrer Herrsch-schaft zu beweisen. Mit einem größeren oder geringeren Grad an Wahrscheinlichkeit istes uns gelungen, dies in Bezug auf die untersuchten Beispiele festzustellen. Es ist nichtleicht zu bestimmen, wer im gegebenen Fall der Adressat der Botschaft einer Stiftungwar. Man muss immer mit der Möglichkeit rechnen, dass ein Monarch, der eine kirchli-che Einrichtung stiftete oder eine bereits existierende beschenkte, sich damit selbst inder Überzeugung bestärken wollte, dass er würdig war, auf dem königlichen oderherzoglichen Thron zu sitzen. Wenn wir allerdings in Betracht ziehen, dass der Herr-scher als Staatsmann an einer Beeinflussung der Einstellungen anderer Akteure auf derpolitischen Bühne interessiert war, dann müssen wir zu dem Schluss gelangen, dassdiese „introvertierte“ Funktion der als Botschaft gedachten Stiftung weder die einzigenoch die wichtigste war. Die Gründung des Kollegiatstifts zum Heiligen Kreuz inBreslau zum Beispiel erfolgte zu einem Zeitpunkt, als Heinrich der Gerechte, der sich ineiner komplizierten politischen Situation befand, daran gelegen war, dass die Menschenmöglichst gut über ihn dachten. Kann angesichts dessen daran gezweifelt werden, dassHeinrich, als er diese kirchliche Institution ins Leben rief, an der Hebung seines Presti-ges interessiert war?

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 71: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

Princeps fundator 107

Ganz sicher beweist die Chonik des Gallus Anonymus, aber mit einem hohen Gradan Wahrscheinlichkeit auch die ‚Polnische Chronik‘, dass an Weichsel und Oder dieAnsicht vertreten wurde, der Monarch könne durch Gründung bzw. Beschenkungkirchlicher Institutionen sich und seinem Land politischen Erfolg sichern. Dieser Um-stand erlaubt die Schlussfolgerung, dass das Ziel des Stiftungsaktes zumindest in eini-gen der besprochenen Beispiele darin bestand, sich der göttlichen Gnade zu versichernund im Resultat darauf abzielte, die Macht des Herzogs (des Königs) und seines Staateszu begründen oder zu festigen.

Monarchische Stiftungen waren ein fester Bestandteil der politischen Kultur des pi-astischen Polen. In ihnen kam das Selbstbewusstsein des Königs oder Herzogs alsHerrscher zum Ausdruck. Überdies gehörten sie zu jenem Instrumentarium, mit dessenHilfe der Monarch versuchte, sich das Wohlwollen Gottes und der Menschen zu si-chern. Die Bedeutung der monarchischen Stiftungen in der politischen Kultur resultierteaus der Überzeugung, dass der Monarch verpflichtet sei, die Kirche zu unterstützen undsich um den religiösen Kult und Gottesdienst zu kümmern, und zugleich aus demGlauben, dass die Geschicke des Königs bzw. Herzogs und des Königreiches bzw.Herzogtums vom Willen übernatürlicher Kräfte abhängig seien. In dieser Situationnahm die Gründung oder Beschenkung einer kirchlichen Einrichtung den Rang einesBeweises an, dass der Herrscher die an ihn gerichteten Erwartungen erfüllte. Zugleichweckte sie die Hoffnung, dass die überirdischen Mächte den Monarchen gleichsam zumDank dafür mit ihrer Gnade bedenken. Weil der König bzw. der Herzog der Vertreterdes Volkes gegenüber dem Himmel war und sein Wohlergehen und das Wohlergehendes Volkes eine Einheit bildeten, stärkte die auf den Monarchen herabfließende Gnadeden Staat und sicherte den Erfolg der gesamten Nation. Das waren die grundlegendenIdeen, die den frommen Werken des von Gott Gesalbten einen politischen Sinn verlie-hen. Manchmal wurden, wenn man diese Ideen zum Ausgangspunkt nimmt, subtilereInterpretationen der Stiftungstätigkeit des Königs bzw. Herzogs unternommen. Undmanchmal bediente sich der Herrscher, der eine Kirche errichten ließ oder sie ausstat-tete, zusätzlich einer von diesen rudimentären Wahrheiten doch recht entfernten Sym-bolik. Dies geschah zum Beispiel im Falle der ‚Nachbildung‘ Krakaus nach demAachener Vorbild.

Es ist unschwer zu erkennen, dass sich die Sprache der politischen Kultur des piasti-schen Polen in dem uns interessierenden Zeitraum unter dem Einfluss von Impulsengestaltete, die aus anderen Ländern stammten, besonders aus dem Deutschen Reich. DerImport von goldenen Codizes durch den piastischen Hof liefert dafür den besten Be-weis. Allerdings muss der Ansicht zugestimmt werden, dass sich dieser Einfluss frem-der Vorbilder nicht auf das Wesen der Sache selbst bezog, sondern lediglich auf ihrenäußeren Ausdruck. Da Gaben an übernatürliche Kräfte zu den rudimentärsten Handlun-gen menschlicher Gemeinschaften überhaupt gehören, kann kaum daran gezweifeltwerden, dass die Idee – und wer weiß, ob nicht auch die Praxis – einer vom Herrscher

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM

Page 72: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen ||

108 Roman Michałowski

von Amts wegen vorgenommenen Stiftung im piastischen Polen unabhängig von allenäußeren Einflüssen entstanden ist.

Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst LibraryAuthenticated

Download Date | 10/9/14 3:17 PM