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Univ. Prof. Dr. phil. Dr. h.c. Dr. habil. rer.oec. Wolfgang Rohrbach VOM MITTELALTERLICHEN SOZIALWESEN DER KLÖSTER ZUR MODERNEN VERSICHERUNG Erster Vortrag der Veranstaltungsreihe KULTURERBE - Last und Leidenschaft 23.03.2018 Donau-Universität Krems PPT ist erstellt von Dr.iur.Katica Tomic

VOM MITTELALTERLICHEN SOZIALWESEN DER ......Univ. Prof. Dr. phil. Dr. h.c. Dr. habil. rer.oec. Wolfgang Rohrbach VOM MITTELALTERLICHEN SOZIALWESEN DER KLÖSTER ZUR MODERNEN VERSICHERUNG

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Univ. Prof. Dr. phil. Dr. h.c. Dr. habil. rer.oec.Wolfgang Rohrbach

VOM MITTELALTERLICHEN SOZIALWESEN DER KLÖSTER ZUR MODERNEN VERSICHERUNG

Erster Vortrag der Veranstaltungsreihe

KULTURERBE - Last und Leidenschaft

23.03.2018 Donau-Universität Krems

PPT ist erstellt von Dr.iur.Katica Tomic

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Altösterr. Polizzen mit Aufschrift "IM NAMEN GOTTES"

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Altösterr. Polizzen mit Aufschrift "IM NAMEN GOTTES"

Die Polizzen der altösterreichischen Versicherungsgesellschaften„Generali“ und „Riunione“ trugen im 19. Jahrhundert die Aufschrift„Im Namen Gottes“.

Damit sollte gegenüber religiösen Fundamentalisten bekundet werden,dass:

Versicherung KEIN unerlaubtes Eingreifen in die Pläne Gottes(Verhinderung gerechter Strafen) darstellt.

Vielmehr gäbe es -wie der Philosoph G.W.Leibniz entgegnete- denbiblischen Auftrag, das Übel mit allen Mitteln zu bekämpfen.Versicherung sei ein wirksames Mittel.

Dieses Beispiel stellt eine klassische Schnittstelle zwischenKirchengeschichte und Versicherungsgeschichte dar, die ins Mittelalterzurückreicht.

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DIE 7 KONSTITUIERENDEN MERKMALE JEDER VERSICHERUNG

G e g e n s e i t i g e D e c k u n g

im Kollektiv nach dem Prinzip „Einer für alle; alle für einen!“

Vorteil: Vorsorge mit wesentlich geringeren Aufwendungen pro Teilnehmer möglich

F e s t e r A n s p r u c h a u f (G e f a h r e n) D e c k u n g

Im Versicherungsvertrag wird festgelegt, unter welchen Bedingungen fester Anspruch aufDeckung besteht.

E n t g e l t l i c h k e i t d e r B e d a r f s d e c k u n g

Um Versicherungsleistungen zu erhalten, ist die Bezahlung von Beiträgen aller Teilnehmerin den Geldtopf (das Konto des Versicherers) erforderlich.

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Z u f ä l l i g k e i t d e s B e d a r f s

Der Schadensfall darf nicht mit Gewissheit eintreten; er muss zumindest in Teilbereichen ungewisssein.(z.B. sind Tod und Krankheit jedem gewiss, jedoch nicht der Zeitpunkt)

S c h ä t z b a r k e i t d e s V e r m ö g e n s b e d a r f s

Es muss möglich sein, die Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts sowie seines Ausmaßes zuermitteln .

G l e i c h a r t i g e B e d r o h u n g a l l e r i m K o l l e k t i v

Das Risiko darf nicht einzigartig sein, sondern es muss genügend andere, vergleichbare Risikengeben.

E i n t r i t t d e s V e r s i c h e r u n g s f a l l s n u r b e i w e n i g e n i n R e l a t i o n

zu a l l e n b e d r o h t e n T e i l n e h m e r n

Wenn die Summe der Leistungsfälle (Zahlungen) ident ist mit der Summe der Vorsorgenden(Beiträge) ist Versicherung sinnlos.

Versicherungsvorläufern oder versicherungsähnlichen Institutionen (existieren bis heute) fehltzumindest ein konstituierendes Merkmal.

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VERSICHERUNGSWISSENSCHAFT

Sie ist eine Sammelwissenschaft, die sich aus folgenden Einzelwissenschaften zusammensetzt:

Versicherungsrecht

Versicherungswirtschaft

Versicherungsmathematik

Versicherungsmedizin

Versicherungspolitik

Versicherungsphilosophie

Versicherungspsychologie

Versicherungskriminologie

Versicherungsengineering

Versicherungsgeschichte

Versicherungsinformatik

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VERSICHERUNGSWESEN = VERSICHERUNGSPRAXIS + VERSICHERUNGSTHEORIE BZW WISSENSCHAFT

Die Versicherungswissenschaft des 21. Jh.s ist eine interdisziplinäre Wissenschaft, die

sich mit den unterschiedlichen Aspekten des Versicherns bzw. der Versicherung

auseinandersetzt

Praktiker liefern der Wissenschaft Anregungen, wo Vertiefung von Forschung und Lehre

erforderlich ist, um das gesamte Versicherungswesen zu verbessern .(z.B. Maßnahmen

gegen Cyberkriminalität)

Die Wissenschaft zeigt der Praxis neue und effektive Lösungsmöglichkeiten auf (z.B.

künstliche Intelligenz)

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ENTWICKLUNGSSTUFEN VON DER OPFERGABE ZUR VERSICHERUNG

1.DIE HEIDNISCHEN OPFERGABEN DER URGESCHICHTE UND ANTIKE

Sie sollten Spender und ihre Angehörigen vor dem Zorn der Götter bewahren.

Der „Bogen zur Urform eines Versicherungsvertrages“ fehlt, da es keine Gegenleistung desGottes bzw. der Götter gibt.

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2. DIE CHRISTLICHEN OPFERGABEN DER SPÄTANTIKE UND DES FRÜHMITTELALTERS

Sie stellen religionsgeschichtlich eine Wende dar, zumal nicht mehr der Mensch alleinopfert, sondern auch Gott sich selbst durch die Menschwerdung Christi bis hin zumKreuzigungstod als Opfer darbringt. Dadurch erfolgt die Erlösung der Menschen „vomÜbel“

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3. SEELENHEIL-VORSORGE DER MITTELALTERLICHEN KLÖSTER

Die christliche Opfergabe wurde zur Urform des Versicherungsvertrags, wegen der"Gegenleistung“ Gottes; die Seelenheil im Jenseits garantiert. Die Worte Christi beimletzten Abendmahl bekräftigten den Pakt: „Dies ist der Kelch des Neuen und ewigenBundes; mein Blut, das vergossen wird, zur Vergebung eurer Sünden..“

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4. KLÖSTER ALS STÜTZPUNKTE DER MISSIONIERUNG UND KULTIVIERUNG

Ab dem 9./10.Jh erhielten Spender Verträge , die auch materielle Gegenleistungen des Klosters vorsahen.

Umsichtige Landesfürsten gründeten Klöster oft in unterentwickelten Gegenden und statteten sie mit großen Ländereien aus. ( Bezeichnung Stift, abgeleitet von Stiftung durch weltliche Herrn)

Dort wurden Klöster :

Versammlungsorte der Untertanen.

Stützpunkte der Missionierung und Kultivierung

wichtige Entwicklungszentren für -Grundschulung und Weiterbildung -Landbau und (Heil) Kräuterkunde

Gewerbe

Kunst

Forschung

Stätten der Kranken- und Altenpflege

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5. WERKE DER NÄCHSTENLIEBE WERDEN ZU LEISTUNGEN KLÖSTERLICHER VERSICHERUNGSVORLÄUFER

Da das Christentum tätige Nächstenliebe zu seinen Geboten und Pflichten zählt, wurde in Klöstern Notleidenden jeder Art Hilfe zuteil. Dies geschah sowohl durch einzelne Mönche, als auch an Spendenaktionen beteiligte Gläubige und ehrenamtliche Helfer.

In der Benediktiner-Regel wird z.B. den Mönchen vorgeschrieben, jedem bedürftigen Fremden im Kloster Unterkunft und Pflege zu gewähren „als wäre Christus selbst gekommen“.

Da es Im Hochmittelalter und in der Frühneuzeit noch keinen Sozialstaat gab, wurden den Dienstleistungen für "Kranke, Verunglückte, Alte usw." Strukturen von Versicherungsvorläufern gegeben.

Ein Teil der Spenden mutierte zu Beiträgen an Vorsorgekassen.

In der Risikogemeinschaft der Gläubigen galt ab nun das Prinzip „Einer für alle; alle für einen!“

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Vom 11.bis 13.Jh entstanden in Europa Städte mit einem neuen Typ von Stadtklöstern, die eine

völlig andere Art des Ordenslebens hatten. Kreuzzüge und Pilgerboom ins Heilige Landführten zur

Entstehung geistlicher Ritterorden Diese dienten:

• der Verteidigung der christlichen Kultstätten

• dem Schutz und Geleit der Pilger, die das Heilige Land aufsuchten.

• die Pflege Armer, Schwacher und Kranker (auch vor Ort) blieb aber weiter Domäne der

Ordensgemeinschaften.

Die Ordensbrüder waren nun nicht mehr an das Kloster gebunden, sondern konnten innerhalb ihresOrdens (z.B. in Hospize für Pilger) versetzt werden - oder begaben sich selbst auf Wanderschaft.

6. RITTER, SPITALS UND PFLEGEORDEN

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Da es in den Städten des Hochmittelalters oft zu Krankheitsepidemien kam, wurde dasKrankenhauswesen ausgebaut durch

Spital und Bettelorden,

die entweder

•in eigenen Spitälern (Stiftungen) dienten oder

•in den Bürgerspitälern der aufstrebenden Städte.

•Die Ordensbrüder verpflichteten sich durch ein Sondergelübde zum Hospitaldienst .

Immer häufiger lösten die Spitalsorden (Hospitaliter) die Ritterorden im Krankenhauswesenab.

Die Hospitaliter verfolgten modern anmutende Grundsätze des Sozialwesens in derKrankenpflege, Hygiene und Diätetik sowie auch hinsichtlich gemeinnütziger sanitärerEinrichtungen und der kommunalen Gesundheitsvorsorge.

Diese Neuerungen erforderten aber erhebliche zusätzliche Geldmittel.

6A. RITTER, SPITALS UND PFLEGEORDEN

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Im Spätmittelalter wurde in etlichen Klöstern der reine Spital-und Pflegedienst ausgedehnt

auf :

Die Verpfründung

•Damit wurde das Kloster/Spital auch zu einer Versorgungsanstalt mit sicheren Einkünften.

Die Struktur entsprach einem vertraglich festgelegten Pflegeversicherungsvorläufer. :

•Bürger überantworteten ihr Haus bzw. „Hab und Gut“ in der Form eines einmaligen

Versicherungsbeitrags einem Orden oder der Kirche und erhielten als

"Versicherungsleistung"

• lebenslängliche Versorgung/Pflege im Hospital/Kloster.

7. VERPFRÜNDUNG UND LEIBRENTEN ALS VERSICHERUNGSVORLÄUFER

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•Es gab auch Fälle, in denen wohlhabende Adelige für alte oder kranke Untertanen

Pründnerspitäler stifteten, denen dort Nahrung, Kleidung und Unterkunft vertraglich

zugesichert wurde.

•Der alte schwache Mensch wurde -soweit wie möglich- in die Kommunikation und das

Ordensleben einbezogen.

•Nach den meisten Hausordnungen müssten die Pfründner täglich am Gottesdienst

teilnehmen, vor und nach jeder Mahlzeit beten, sowie regelmäßig beichten.

Die Hospitaliter vom Hl.Geist z.B. widmeten sich schließlich nurmehr der

Verpfründung.

Die "Herrenpfründe" waren eine Art Sonderklasseversicherung für Wohlhabende.

• Gegen Überlassung eines größeren Grundstückes oder Hauses (mittelalterliche Einmalprämie) erhielten Adelige oder Großbürger

7A. VERPFRÜNDUNG UND LEIBRENTEN ALS VERSICHERUNGSVORLÄUFER

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•im Alter oder bei chronischer Krankheit lebenslänglich

•eine bessere Unterkunft,

•eine ansprechende Verpflegung

•und medizinische Versorgung.

Der vom Kloster/Spital dadurch erzielte Gewinn wurde für die Versorgung ärmererHilfesuchender verwendet. Als im 15./16. Jh. der Ansturm auf diese Kloster-bzw.Krankenhauseinrichtungen zu groß wurde, kauften sich die Klöster/Spitäler durch

Leib-und/oder Pflegerenten-Zahlung von dieser Verpflichtung frei. Damit war die Basis zur späteren Lebens(renten) versicherung gelegt. Allerdings erfolgte die Bemessung der Renten noch nicht nach wahrscheinlichkeitsmathematischen Grundsätzen, sondern auf Basis von Beschlüssen des Konvents.

7B. VERPFRÜNDUNG UND LEIBRENTEN ALS VERSICHERUNGSVORLÄUFER

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Zu den großen Klöstern Europas gehörten nicht bloß Hunderte Mönche pro Einheit, sondern in über acht Jahrhunderten der Grundherrschaft auch Tausende bäuerliche Untertanen. Sie wurden in der Landwirtschaft eingesetzt.

Für die These, dass „ GRUNDHERRSCHAFT auch EINE ART VERSICHERUNGSVERTRAG" zwischen Herr/Kloster und Untertanen war, gibt es einige Begründungen.

•Der Grundherr (ob weltlich oder geistlich) war kein Grundeigentümer in heutigem Sinn, den der Staat erforderlichenfalls in seinen Rechten schützt.

S c h ä t z b a r k e i t d e s R i s i k o s

•Er musste selbst imstande sein, Gewalt, Schutz und Schirm gegenüber seinem Besitz, zudem auch die Untertanen gehörten, risikotechnisch richtig einzuschätzen und auszuüben,weil ihm daraus Rechte und Pflichten gegenüber den Untertanen erwuchsen.

8. KLÖSTER IM SPIEGEL DER GRUNDHERRSCHAFT

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Als Ende 1917 als letzte große gesetzgeberische Leistung der Donaumonarchie das österreichische Versicherungsvertragsgesetz ediert wurde, gab es darin eine Bestimmung , nach welcher der Versicherungsnehmer (Klient) von der Verpflichtung zur Beitragszahlung frei wird, wenn der Versicherer den vertraglich vereinbarten Versicherungsschutz nicht (ausreichend) zu bieten vermag.

Diese Kriterien galten auch für das mittelalterliche Herrschaftsverhältnis.

Der "Schwabenspiegel", das um 1275 entstandene süddeutsche Rechtsbuch, lässt die Bauern sagen:

"W i r s u l l e n d e n h e r r n d a r u m b e d i e n e n, d a z s i u n s b e s c h i r m e n. B e s c h i r m e:n s i u n s n i t, s o s i n d w i r i n e n n i c:h t d i e n s t e ss c h u l d i g n a c h r e c h t e."

V e r t r a g m i t w e c h s e l s e i t i g e n P f l i c h t e n u n d R e c h t e n

8A. KLÖSTER IM SPIEGEL DER GRUNDHERRSCHAFT

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G l e i c h a r t i g k e i t d e r B e d r o h u n g

•alle Bauern bildeten eine Risikogruppe, die gleichartigen Gefahren ausgesetzt war.

E n t g e l t l i c h k e i t:

•Sie entrichteten an den Grundherrn/das Kloster regelmäßig Abgaben in Naturalien (oder Geld)

F e s t e r A n s p r u c h a u f D e c k u n g

•Der Grundherr musste im Schadensfall , wenn Haus, Vieh und Feldfrüchte durch Feuer, Hochwasser , Sturm etc. vernichtet wurden, für Ersatz, der das Überleben des/der Geschädigten sichert, aufkommen.

•Der Grundherr wehrte aber auch fremde Aggressoren ab.

G e g e n s e i t i g e D e c k u n g

Seit dem 15.Jh gründeten die Bauern von den Grundherren unterstützte Genossenschaften zur wechselseitigen Hilfe bei Hausbau, Feld und Waldarbeiten nach Unglücksfällen.

•Im 16./17.Jh wurden die bisher nur mündlichen Abmachungen zwischen den Bauern schriftlich fixiert. Damit entstanden die sog. Bauerassekuranzen , die seit der Aufhebung der Grundherrschaft (Bauernbefreiung 1848) als Kleine Versicherungsvereine bis heute existieren.

8B. KLÖSTER IM SPIEGEL DER GRUNDHERRSCHAFT

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Im 17. / 18.Jh trat die Aufklärung als 3. tragende Säule der europäischen Kultur zum

Christentum und dem Humanismus hinzu.

Charakteristisch für die Aufklärung ist ein Denkprozess, der dem Anliegen verpflichtet

ist, den Menschen mit Hilfe der Vernunft " zum "A u s g a n g i h r e r s e l b s t v e r s

c h u l d e t e n U n m ü n d i g k e i t" ( Immanuel Kant) zu verhelfen.

Im Versicherungswesen bzw. in Risikogruppen war eine Kernfrage ungeklärt: Wie lässt

sich das Phänomen zwischen der Zufälligkeit einzelner Schäden und der Schätzbarkeit

des Gesamtausmaßes der anfallenden Schäden erklären?

•Im Zusammenhang mit dem Würfelspiel gelang es dem

französischen Mathematiker Blaise Pascal (1623 - 1662)

die mathematischen Zusammenhänge des Zufalls und der

Wahrscheinlichkeit seines Eintritts in der von ihm

begründeten W a h r s c h e i n l i c h k e i t s r e c h n u n g

zu klären.

9. DIE KLASSISCHE VERSICHERUNG - EIN "KIND" DER AUFKLÄRUNG

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•Ein Würfel hat sechs Flächen, die mit ein bis sechsAugen markiert sind. Dh dass die Wahrscheinlichkeit desEintreffens einer Ziffer von 1 bis 6 je 1/6 beträgt. Jegrößer die Anzahl der Würfe ist, desto genauer lässt sichdas Eintreffen einer bestimmten Augenzahl vorhersagen.

• Der Schweizer Mathematiker Jacob Bernoulli (1654 -1705) stellte die Wahrscheinlichkeitsrechnung im "G e se t z d e r g r o ß e n Z a h l e n" auf eine allgemeinenversicherungs theoretische Grundlage.

Anhand der Im Zeitalter des Merkantilismus in Modegekommenen Bevölkerungs- und Handelsstatistikenkonnten Versicherungspioniere Sterbe -, Morbiditäts- undUnfalltafeln zur Berechnung der Lebens-, Kranken- undUnfallversicherungsbeiträge, erstellen.

Mitte des 18.Jahrhundert war das Grundgerüst der statistisch-mathematischen Grundlagen der Assekuranz fertig gestellt.

9A. DIE KLASSISCHE VERSICHERUNG - EIN "KIND" DER AUFKLÄRUNG

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Schon seit Ende des 17. Jhs wurde der Bereich der Versicherungsvorläufer zu Versicherungs-frühformen weiterentwickelt. Dies geschah in den halbreligiösen

Handwerkerkorporationen der Z ü n f t e undden B r u d e r l a d e n der Bergknappen,

In den Zunft- und Bruderladen-Ordnungen warendie von jedem Mitglied zu erbringenden Beiträgeund die Leistungen der Organisationen in denWechselfällen des Lebens genau umrissen. Teileder Leistungen erfolgten jedoch auf Basis vonDarlehen an die Geschädigten.

10. BERUFSSTÄNDISCHE UND SOZIALSTAATLICHE VERSICHERUNGSFRÜHFORMEN

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Beeinflusst durch das Gedankengut der Aufklärung wurden in der 2. Hälfte des 18.Jhs imHabsburgerreich die religiösen Komponenten der berufsständischenVersicherungsfrühformen durch sozialstaatliche abgelöst (Staatliche Bruderladenordnungder Bergknappen von 1773).

S o z i a l s t a a t l i c h e P e n s i o n s s y s t e m e

Unter der Monarchin Maria Theresia wurde 1749 ein Militärfonds für das Offizierskorpseingerichtet; 1758 ein Pensionssystem für die große Zahl der invaliden Soldaten desSiebenjährigen Krieges . Es wurde aus 5-10% igen Abgaben aus dem Sold, Zuschüssender Kirche und Stiftungen des Adels und der Monarchin finanziert. Teilinvalide Soldatenwurden in Manufakturen beschäftigt.

B e a m t e n p e n s i o n e n unter Maria Theresia und Joseph II

Staatliche Beamte erhielten bei ihrer Anstellung ein Recht auf Versorgung im Fall vonKrankheit , Altersinvalidität und bei Freistellung wegen Verwaltungsreformen. DasPensionssystem wurde 1749 institutionalisiert, 1770-1772 präzisiert und erhielt mit demPensionsnormale Kaiser Joseph II 1781 die damals für Europa modernste und bis Mittedes 19.Jhs gültige Form.

10A. BERUFSSTÄNDISCHE UND SOZIALSTAATLICHE VERSICHERUNGSFRÜHFORMEN

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Im 19.Jh wurde Österreich zu einer "Versicherungsweltmacht" mit neuen Sparten und sicherheitstechnischen sowie sozio-ökonomischen Strukturen. Die Übernahme von Industrierisiken erforderte eine hohe Kapitalausstattung und Fachkenntnisse .

Die industrielle Revolution ging mit folgenden versicherungsrelevanten Erscheinungen einher :

• der Massenproduktion von Gütern in neuen mit (Dampf) Maschinen betriebenen brandgefährdeten Fabriken (da Erfahrungen fehlten)

• leicht brennbaren Warenlagern

• unfallträchtigem (da ungewohntem) Eisenbahnbetrieb und Einsatz von Dampfschiffen

• Entstehung einer Not leidenden., bei Krankheit und im Alter unversorgten Arbeiterklasse.

• der Verarmung vieler Handwerksbetriebe.

11. INDUSTRIELLE REVOLUTION UND "VERSICHERUNGS-WELTMACHT"

ÖSTERREICH

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Eine Gruppe neuer, aus dem Adel und Großbürgertum stammender Versicherungsgründer machte ihren

• Einfluss auf den Ausbau der Sozialgesetzgebung geltend, da von Jugend an kranke und schwache Arbeiter auf Dauer Störungen im Fabrik-Betrieb und im Militär hervorrufen.

• Sie tätigten Investitionen in neue technische und bauliche Projekte, die nach ihrer Inbetriebnahme versichert wurden.

11A. INDUSTRIELLE REVOLUTION UND "VERSICHERUNGS-

WELTMACHT" ÖSTERREICH

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So entstand u.a. ein Gesetz, das jene Fabrikanten bei Unfällen Schadenersatzpflichtig machte , die Arbeiter zwangen, an defekten Maschinen zu arbeiten.

Gleichzeitig wurde die Kollektiv-Unfallversicherung für Arbeiter kultiviertund propagiert, die im Fall von Unfallinvalidität und Tod Leistungen an dieVerunfallten bzw. die Hinterbliebenen erbrachte. Sie wurde von denUnternehmern abgeschlossen und bezahlt; Gewerbsinspektoren verhindertenin der Folge Spekulationen auf Kosten der Versicherung.

Versicherer wurden nun in allen risikotechnischen Fragen der Bau undVerkehrswirtschaft sowie des Gesundheitswesens konsultiert.

11B. INDUSTRIELLE REVOLUTION UND "VERSICHERUNGS-WELTMACHT"

ÖSTERREICH

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Österreichs Versicherer leisteten Pionierarbeit auf dem Balkan und kooperierten auch mitund in Russland.

1855 rangierte das Kaisertum Österreich auf Platz 3 unter den Versicherungsweltmächten.(nach England und Frankreich). Ein Dezennium später auf Platz 5 , weil die USA eine

schnelle Entwicklung genommen hatten und das Deutsche Reich 1871 entstanden war.

Der Sozialstaat Bismarck'scher Prägung sah eine Koexistenz von staatlicherSozialversicherung und privater Vertragsversicherung war.

Das ist in weiten Teilen Europa bis heute so geblieben.

11C. INDUSTRIELLE REVOLUTION UND "VERSICHERUNGS-WELTMACHT"

ÖSTERREICH

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!