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BÄRENREITER WERKEINFÜHRUNGEN BÄRENREITER WERKEINFÜHRUNGEN Olaf Matthias Roth CLAUDIO MONTEVERDI MARIENVESPER

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BÄRENREITER WERKEINFÜHRUNGEN

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www.baerenreiter.com

BÄRENREITER WERKEINFÜHRUNGEN

An der Schnittstelle zweier Epochen

komponierte Monteverdi seine »Marienvesper«.

Versiert in den Kompositionstechniken der Renaissance,

gehörte er gleichzeitig zu der Avantgarde, die die Tür

zum virtuosen und ausdrucksstarken Sologesang des

Generalbasszeitalters aufstieß.

Olaf Matthias Roth erschließt den Entstehungs-

kontext des Werkes und zeigt in Besprechungen der

einzelnen Sätze, wie Monteverdi den traditionellen

Cantus firmus in immer neuen Formen verarbeitete

und die Entwicklungen der gerade entstandenen

Oper auf die geistliche Musik übertrug.

BÄRENREITER WERKEINFÜHRUNGEN

Olaf Matthias Roth

CLAUDIOMONTEVERDIMARIENVESPER

1 · 17

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Olaf Matthias Roth

Claudio MonteverdiMarienvesper

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

eBook-Version 2017© 2017 Bärenreiter-Verlag Karl Vötterle GmbH & Co. KG, KasselUmschlaggestaltung: +christowzik scheuch design unter Verwendung der Abbildung »Madonna in den Erdbeeren« eines Oberrheinischen Meisters, um 1425; Mischtechnik auf Fichtenholz, 144,5 × 87,5 cm; Kunstmuseum Solothurn, übernommen vom Kunstverein Solothurn, 1879Abbildungsnachweis Innenteil: S. 8 Bärenreiter-Archiv; S. 15 akg-images / De Agostini Picture Lib. / A. Dagli Orti; S. 24 akg-images / Cameraphoto; S. 27 akg-imagesKorrektorat: Daniel Lettgen, KölnInnengestaltung und Satz: Dorothea WillerdingNotensatz: Tatjana Waßmann, Winnigstedtisbn 978-3-7618-7045-7dbv 124-01www.baerenreiter.com

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Inhalt

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Teil I: Entstehung und Konzeption

Schmelztiegel der Einflüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Ein rätselhaftes Meisterwerk 9 Umbruch: Das Erbe der Renaissance 11 Monteverdis Lebenswelt 13 Gezügelte Regellosigkeit: Das Barock 18 Pflicht und Kür 20 »Sicut erat in principio«: Der Gregorianische Choral 21 Die Spur führt nach Venedig: Zwischen Sakralmusik und Oper 23

Gesamtanlage der »Marienvesper« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26Amadinos Ausgabe von 1610 26 Entstehungsanlass? 28 Die Programmatik des Titelblattes 29 Aufbau 32 Von den Hesperiden zur Vesper 34 Die Texte 36

Editionsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37Die unterbrochene Tradition 37 Probleme: Takt, Tonart, Besetzung 40

Teil II: Musikalische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

1 . Domine ad adiuvandum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

2 . Dixit Dominus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

3 . Nigra sum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

4 . Laudate pueri Dominum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

5 . Pulchra es . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

6 . Laetatus sum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

7 . Duo Seraphim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

8 . Nisi Dominus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

9 . Audi coelum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

10 . Lauda Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

11 . Sonata sopra Sancta Maria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

12 . Ave maris stella . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

13 . Magnificat septem vocibus / 14 . Magnificat sex vocibus . . . . . . . . . . . . . . . . 76

Die Stellung der einzelnen Teile zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

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Teil III: Die »Marienvesper« im Licht der Aufführungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

Von Mensuralnotation und One-Voice-Per-Part . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

Diskographische Erkundungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

Monteverdi und die Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

Monteverdi und »Die Ordnung der Dinge« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

Anhang

Übersicht: Psalmtöne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

Auswahldiskographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Ausgewählte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

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Vorbemerkung 7

Vorbemerkung

Anmerkungen zum Notentext beziehen sich, wo nicht anders vermerkt, auf die Ausgabe der Marienvesper von Hendrik Schulze.

Die Einteilung in Verse folgt Whenham, Vespers, der sich bei seiner Zählung auf nicht weniger als fünf italienische Quellen beruft: Breviarium Romanum (Venedig 1598), Breviarium Romanum (Venedig 1603), Psalte-rium Chorale (Venedig 1585), Breviarii S. Barbarae (Venedig 1583) sowie im Archivio storico diocesano in Mantua aufbewahrte Dokumente aus dem Fondo Basilica ex Palatino di Santa Barbara.1

Der hier wiedergegebene lateinische Text basiert auf der Vulgata, die deutsche Übersetzung ist an die Ausgabe der Marienvesper von Hendrik Schulze angelehnt, welcher wiederum die Luther-Übersetzung zugrunde liegt. Die Psalmenzählung richtet sich in dem vorliegenden Werk ebenfalls nach Luther.

Eine Übersicht über die zugrunde liegenden Psalmtöne finden Sie auf Seite 100.

Alle Stimmen, die über die üblichen vier Stimmen hinaus zum Ein-satz kommen, werden mit den lateinischen Bezeichnungen durchnumme-riert: »Quintus« (»der Fünfte«), »Sextus« (»der Sechste«), »Septimus« (»der Siebte«) etc. Dies geschieht unabhängig von der Stimmlage; diese lässt sich nur an der originalen Schlüsselung ablesen: Sopranschlüssel mit c1 auf der untersten Notenlinie, Altschlüssel (wie der heutige Bratschenschlüssel) mit c1 auf der mittleren Notenlinie, Tenorschlüssel (wie heute für die hohen Cellolagen) mit c1 auf der zweiten Linie von oben und Bass schlüssel (wie heute noch) mit f auf der zweiten Linie von oben. Seltener sind der Mezzo sopranschlüssel (c1 auf der zweiten Linie von unten) und der Bariton schlüssel ( f auf der mittleren Linie).2

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Claudio Monteverdi (1567–1643). Porträt von Bernardo Strozzi, um 1630

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Teil I: Entstehung und Konzeption 9

Teil I: Entstehung und Konzeption

Schmelztiegel der Einflüsse

Ein rätselhaftes Meisterwerk

Wie jedes wahre Meisterwerk umgibt Monteverdis Marienvesper ein Ge-heimnis. Unzählige Fragen wirft sie auf – beim Studium der Partitur, beim Anhören in einer der zahlreichen Aufnahmen und natürlich erst recht bei ihrer Aufführung. Daher nimmt es nicht wunder, dass ihre Rätsel inzwischen Generationen von Forschern und Musikern beschäftigt haben. Immer wieder fordert dieses enigmatische Opus – unbestritten eines der bedeutendsten geistlichen Werke – zu neuen Deutungen heraus.

Nachdem er lange Jahre kein geistliches Werk veröffentlicht hatte, brachte Claudio Monteverdi 1610 bei dem venezianischen Verleger Ricciardo Amadino eine Messe und eine Vesper heraus, meldete sich also in den beiden Hauptgattungen der Sakralmusik um 1600 zu Wort. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatte die Zahl der Vesperkompositionen rapide zugenom-men. Ließ sich schon im Verlauf des 16. Jahrhunderts ein Anstieg konsta-tieren, so schnellte die Zahl der Veröffentlichungen im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts noch einmal nach oben.1 Die Messe, Missa In illo tempore, ist eine Parodiemesse auf Themen des franko-flämischen Kompo nisten Nicolas Gombert. Die Vesper – Vespro della Beata Vergine, so der italienische Titel – ist marianischen Inhalts, es steht also Maria, die Gottesmutter, im Mittelpunkt. Beide Werke sind Vertonungen religiöser Texte in lateini-scher Sprache für mehrere Gesangsstimmen, deren Partien stellenweise oder vielleicht auch überwiegend von einem gemischten Chor (der im Falle der Vesper auch geteilt vorkommt), übernommen werden können. Zusätzlich ist die Marienvesper mit Instrumentalstimmen versehen. Monte-verdis Sammlung ist allerdings zu dieser Zeit nicht die einzige vokal- instrumentale Komposition für liturgische Zwecke; es gibt etliche V orläufer gerade im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert, wenngleich Monteverdi im Umfang weit über das bis dato Übliche hinausgeht.2

Wie wir sehen werden, gibt es etliche Gründe für die Annahme, Monte-verdis Marienvesper sei gar kein in sich geschlossenes Werk, sondern viel-mehr eine für einen bestimmten Zweck zusammengestellte Sammlung

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geistlicher Kompositionen, die nie für eine Aufführung in dieser Form gedacht waren. Monteverdi hat das Werk Papst Paul V. gewidmet und wollte es ihm zusammen mit seiner Missa In illo tempore anlässlich einer Reise nach Rom persönlich überreichen. Ob Monteverdi die Marienvesper, die Helmut Hucke als »gar kein liturgisches Werk«3 bezeichnet hat, je voll-ständig oder teilweise zur Aufführung gebracht oder sie gehört hat, ist bis heute nicht geklärt und lässt sich womöglich auch nicht klären.4

Wie ein Puzzle liegen die einzelnen Teile der Marienvesper vor uns. Und so wie die Forschung sich bemüht, sie in eine logische Reihenfolge zu bringen, oder auch Teile aussortiert und für ihre unterschiedlichen Thesen immer wieder plausible Gründe findet (bis eine neue These die bisherigen Forschungen zumindest teilweise infrage stellt), tragen auch die Interpre-ten mit zahllosen Aufführungen ihr Teil zur Klärung der Fragen bei, die die Marienvesper aufwirft.

Unermüdlich rätseln Forscher, ob sie überhaupt jemals eine festgeschrie-bene liturgische Funktion hatte (Monteverdi war in seiner Mantuaner Zeit, während derer das Werk entstand, zumindest offiziell nicht für die Kirchenmusik zuständig, schrieb aber wohl geistliche Werke für den Hof), und falls doch, wie diese Liturgie ausgesehen haben mag. Daher erscheint es sinnvoll, sich langsam an dieses Werk heranzutasten und dabei manchen – womöglich nur vermeintlichen – Umweg in Kauf zu nehmen. Dabei soll versucht werden, den musikinteressierten Laien mit dem Werk vertraut zu machen, zugleich aber den Stand der Forschung abzubilden, soweit dies bei der schwierigen Gemengelage möglich ist. Denn obwohl die geistliche Musik Monteverdis auch in der Forschung erst entdeckt werden musste – die Madrigale und Bühnenwerke hatten da einen deutlichen Vorsprung –, hat die Forschungsliteratur zur Marienvesper inzwischen einen beträchtlichen Umfang erreicht. Monographische Untersuchungen bilden jedoch nach wie vor die Ausnahme. Grundsätzlich stellen die englischsprachigen Arbeiten zum Thema den gewichtigsten Anteil; allen voran müssen hier Jeffrey Kurtzman und John Whenham genannt werden, deren Forschungen auch dieses Buch viel verdankt. Berücksichtigt wurden aber auch Arbeiten von Gary Tomlinson, Denis Stevens, Denis Arnold und Tim Carter. Im italie-nischen Sprachraum ist es vor allem Paolo Fabbri, der Licht ins Dunkel gebracht und viele Fragen erhellt hat. Paola Besutti beschäftigte sich insbe-sondere mit der Frage, ob Monteverdi die Marienvesper für die Cappella di Santa Barbara komponiert haben könnte, deren Liturgie zumindest stel-lenweise mit Monteverdis Werk übereinstimmt. Eine der führenden Mon-

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Teil I: Entstehung und Konzeption 11

teverdi-Forscherinnen ist Silke Leopold, deren Monteverdi- Monographie von 1982 zu einem in mehrere Sprachen übersetzten Standardwerk wurde. Nach wie vor empfehlenswert, auch wenn in manchen Teilen überholt, sind die Arbeiten von Hans Redlich und Leo Schrade. Bedeutende Bei-träge zur Monteverdi-Forschung lieferte auch Wolfgang Osthoff.

Umbruch: Das Erbe der Renaissance

Creator of Modern Music hat der große Monteverdi-Forscher der Nachkriegs-zeit, Leo Schrade, sein wichtigstes Werk über den Schöpfer der Marien­vesper betitelt. Das hat durchaus seine Berechtigung, wenn man bedenkt, dass Claudio Monteverdi (1567–1643) in eine Zeit des Umbruchs hineinge-boren wurde. Einerseits noch stark der Renaissance verhaftet, wirkte er stil-bildend in die Barockzeit hinein. Die Renaissance wird heute kritischer gesehen als etwa im 19. Jahrhundert, gilt aber dennoch weiterhin als eine Zeit des allgemeinen Aufbruchs. Wie kaum eine zweite Epoche steht sie für einen Neustart. Doch Epochenbezeichnungen haben ihre Tücken. Sie sind immer erst aus der Rückschau auf einen begrenzten Zeitrahmen entstan-den, und sie stellen in ihrem Zwang zur Etikettierung stets auch eine Be-schränkung dar. Auf die Renaissance trifft dies ganz besonders zu. Schon das häufig genannte »Geburtsdatum« – die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus im Jahr 1492 – ist eine willkürliche Setzung. In seinem erfrischend subjektiv geschriebenen Buch Die Wende führt der Literatur-wissenschaftler Stephen Greenblatt die Entstehung der Renaissance auf die Wiederentdeckung eines Gedichts des römischen Dichters Lukrez zurück, De rerum natura. Sehr anschaulich beschreibt der Pulitzerpreis- gekrönte Autor das Wesen der Renaissance, das hauptsächlich aus zwei Komponen-ten besteht: aus der Rückbesinnung auf die Antike, wie sie vor allem in literarischen Dokumenten überliefert ist, und auf das neu artige Verhältnis zur Natur, das in völligem Widerspruch zur herrschenden Doktrin der Kirche stand (weshalb Greenblatts Buch auch als Reaktion auf die Kreatio-nisten zu verstehen ist, die gerade wieder an Boden gewonnen hatten). Den geistigen Nährboden für diese neuen Weltanschauungen bereitete der Humanismus, der in Italien durch Persönlichkeiten wie Francesco Petrarca und Giovanni Boccaccio vertreten ist. In Deutschland fasste der Humanis-mus mit großer Verspätung von fast hundert Jahren Fuß und fand seine bedeutendsten Repräsentanten im Bereich der Geistesgeschichte in Luther und Melanchthon, Erasmus, Johannes Reuchlin und Ulrich von Hutten.

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Der Begriff »rinascita«, Wiedergeburt, von dem italienischen Maler und Kunsthistoriker Giorgio Vasari geprägt, gelangte in seiner durch den Historiker Jules Michelet spezifizierten, auf eine Epoche gemünzten Form – »rinascimento« – im 19. Jahrhundert in den deutschen Sprachraum. Hier gilt die Renaissance bis heute als eine äußerst progressive Epoche, der wir unter anderem die Entdeckung des Subjekts verdanken, kurz: die Geburts stunde der Moderne. Maßgeblich dazu beigetragen hat das 1860 erst veröffentlichte Werk des Schweizer Historikers Jacob Burckhardt Die Kultur der Renaissance in Italien, das zu einer Verklärung der Epoche führte.

Etliche von Burckhardts Thesen wurden (unter anderem Ende des 19. Jahrhunderts von dem deutschen Historiker Konrad Burdach) wider-legt – insbesondere seine Darstellung des Mittelalters als rückständige, »dunkle« Epoche hat heute keinen Bestand mehr. Antike Autoren wurden bereits im Mittelalter rezipiert, sodass die Renaissance in dieser Hinsicht keineswegs eine derart einschneidende Zäsur darstellte, wie Burckhardt glauben machen wollte, sondern es vielmehr eine kontinuierliche Aus-einandersetzung mit lateinischen und griechischen Autoren gab.5 Den-noch darf nicht übersehen werden, dass es sich insbesondere bei dem aus-gehenden Cinquecento (16. Jahrhundert) um eine äußerst konfliktreiche Epoche handelte, in der – begünstigt durch die im Zuge der Erfindung des Buchdrucks explosionsartig anschwellenden Publikationen – zahlreiche Ideo logien aufeinanderprallten.6

Ohne es zu wollen, trug Burckhardt – nicht zuletzt durch die Begeis-terung für seinen Gegenstand – dazu bei, die Epoche der Renaissance zu glorifizieren. Dem steht eine Tendenz gegenüber, historisch sicherlich widersprüchliche Figuren wie Papst Alexander VI., Lucrezia Borgia und ihren Bruder Cesare Borgia als Prototypen einer Epoche dumpfer ego-manischer Leidenschaften abzustempeln (nicht ganz unschuldig daran ist die bewusst tendenziöse literarische Aufbereitung durch die französische Romantik). Doch ob Glorifizierung oder Dämonisierung: Es ist zweifels-ohne eine Epoche, in der eine unvergleichliche Aufbruchsstimmung ge-herrscht haben muss. Die großen Erkundungsreisen von Seefahrern wie Magellan, Kolumbus, Sir Francis Drake oder Bartolomeu Dias führten zu einem völlig neuen Weltbild und Selbstverständnis ganz Europas. Die Ko-lonialisierung Südamerikas, Indiens und Südostasiens brachte den usurpie-renden Ländern (im 15. und 16. Jahrhundert vor allem Spanien und Portugal) unermesslichen Reichtum, hauptsächlich in Form von Bodenschätzen. Der beginnende Welthandel in dieser Phase des Frühkapitalismus machte den