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DAS ORCHESTER DER ELBPHILHARMONIE »Mozart hat die Grenzen der Musik erreicht und sich drübergeschwungen, die alten Meister, die Modernen und die Nachwelt selbst hinter sich lassend.« Muzio Clementi D3: Fr, 20.12.2013, 20 Uhr | Hamburg, Laeiszhalle L3: Sa, 21.12.2013, 19.30 Uhr | Lübeck, Musik- und Kongresshalle Thomas Hengelbrock Dirigent Wolfgang Amadeus Mozart Sinfonie Nr. 39 Es-Dur KV 543 Sinfonie Nr. 40 g-Moll KV 550 | Sinfonie Nr. 41 C-Dur KV 551 „Jupiter“

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D A S O R C H E S T E R D E R E L B P H I L H A R M O N I E

»Mozart hat die Grenzen der Musik erreicht und sich drübergeschwungen, die alten Meister, die Modernen und die Nachwelt selbst hinter sich lassend.«

Muzio Clementi

D3: Fr, 20.12.2013, 20 Uhr | Hamburg, LaeiszhalleL3: Sa, 21.12.2013, 19.30 Uhr | Lübeck, Musik- und KongresshalleThomas Hengelbrock DirigentWolfgang Amadeus Mozart Sinfonie Nr. 39 Es-Dur KV 543Sinfonie Nr. 40 g-Moll KV 550 | Sinfonie Nr. 41 C-Dur KV 551 „Jupiter“

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DAS ORCHES TER DER ELBPHILHARMONIE

aus Anlass des 150. Geburtstags

Eine Alpensinfonie op. 64Don Quixote op. 35 Don Juan op. 20 Burleske für Klavier und Orchester Der Rosenkavalier (Konzertsuite) Ein Heldenleben op. 40

Das „Strauss-Abo“ (36,– bis 166,– Euro) ist erhältlich im NDR Ticketshop, Tel.: (040) 44 192 192, [email protected] Informationen unter ndr.de/sinfonierochester

4 Konzerte im Abonnement

Richard Strauss

Juraj Valčuha (10.01.2014) | Thomas Hengelbrock (16.01.2014)David Zinman (27.03.2014) | Semyon Bychkov (19.06.2014)

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Dirigent:

Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)

Freitag, 20. Dezember 2013, 20 UhrHamburg, Laeiszhalle, Großer Saal

Samstag, 21. Dezember 2013, 19.30 UhrLübeck, Musik- und Kongresshalle

Thomas Hengelbrock

Sinfonie Nr. 39 Es-Dur KV 543(1788)I. Adagio – AllegroII. Andante con motoIII. Menuetto. AllegrettoIV. Finale. Allegro

Sinfonie Nr. 40 g-Moll KV 550(1. Fassung, 1788)I. Molto allegroII. AndanteIII. Menuetto. AllegrettoIV. Allegro assai

Pause

Sinfonie Nr. 41 C-Dur KV 551 „Jupiter“(1788)I. Allegro vivaceII. Andante cantabileIII. Menuetto. AllegrettoIV. Molto allegro

Einführungsveranstaltung mit Thomas Hengelbrock und Friederike Westerhaus am 20.12.2013 um 19 Uhr im Großen Saal der Laeiszhalle.

NDR SINFONIEORCHESTER

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Das Konzert wird am 12.01.2014 um 11 Uhrauf NDR Kultur gesendet.

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Thomas HengelbrockDirigent

Thomas Hengelbrock ist seit 2011 Chefdirigent des NDR Sinfonieorchesters. Unkonventionelle Programmgestaltung, interpretatorische Expe-rimentierfreude, innovative Musikvermittlung und Lust an der Ausgrabung vergessener Meis-terwerke sind Markenzeichen seiner Arbeit. Auf Tourneen durch Deutschland, Europa und Japan sowie bei den Eröffnungskonzerten des Schleswig-Holstein Musik Festivals 2012 und 2013 hat die Zusammenarbeit Hengelbrocks mit dem NDR Sinfonieorchester auch bundesweit und international ein großes Echo gefunden. Als CD-Einspielung erschien zuletzt Schuberts Große C-Dur-Sinfonie.

In Wilhelmshaven geboren, begann Hengelbrock seine Karriere als Violinist in Würzburg und Freiburg. Grundlegende Impulse erhielt er durch seine Assistenztätigkeiten bei Witold Lutosławski, Mauricio Kagel und Antal Doráti, ebenso durch seine Mitwirkung in Nikolaus Harnoncourts Concentus musicus. Neben frü-hen Begegnungen mit zeitgenössischer Musik war Hengelbrock maßgeblich daran beteiligt, das Musizieren mit Originalinstrumenten in Deutschland dauerhaft zu etablieren. In den 1990er Jahren gründete er mit dem Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble Klangkörper, die zu den international erfolgreichsten ihrer Art zählen. Führende Positionen hatte Hengel-brock daneben bei der Deutschen Kammer-philharmonie Bremen, dem Feldkirch Festival und an der Wiener Volksoper inne. 2012 wurde ihm der Praetorius Musikpreis Niedersachsen verliehen.

Thomas Hengelbrock ist heute gleichermaßen als Opern- wie auch als Konzertdirigent inter-national gefragt. Er dirigiert an Opernhäusern wie der Opéra de Paris, dem Royal Opera House in London und dem Teatro Real in Madrid. Mit herausragenden Produktionen ist er im Fest-spielhaus Baden-Baden zu einem der wichtig-sten Protagonisten geworden. Gastdirigate führen Hengelbrock wiederholt zum Symphonieorches-ter des BR (zuletzt im November 2013), zu den Münchner Philharmonikern, zum Chamber Or-chestra of Europe sowie zum Orchestre de Paris. Mit seinen Balthasar-Neumann-Ensembles sorgte er im Januar 2013 mit konzertanten Aufführun-gen von Wagners „Parsifal“ auf authentischen Instrumenten für Aufsehen. Bei den Salzburger Fest spielen begeisterte Hengel brock Publikum und Presse mit seiner Interpretation von Mo-zarts Requiem sowie dem musikalisch-literari-schen A cappella-Programm „Nachtwache“.

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Mozarts drei letzte Sinfonien: drei Werke, drei Mirakel. Niemand weiß genau, aus welchem Anlass diese Musik komponiert wurde und ob der Komponist sie jemals in einer Aufführung hörte. Kein Mensch kann glauben, dass alle drei Sinfonien vielleicht in insgesamt nur neun Wochen aufs Papier geworfen wurden. Und alle Welt zerbricht sich den Kopf darüber, inwiefern die völlig verschiedene Charaktere ausprägende Trias dennoch als zusammenhängender Zyklus zu verstehen ist. Jede Sinfonie für sich genom-men ist ein unangefochtenes Meisterwerk und auf Konzertpodien, Tonträgern und in der Musikliteratur omnipräsent. Selten aber hört man alle drei Werke an einem einzigen Konzert -abend, mithin so, wie sie in Mozarts Kopf während der Entstehungsphase zusammen-geklungen haben mögen.

Wer nun irgendetwas über diese Entstehungs-phase wissen möchte, kann sich durch einen schier erschlagenden Berg von Büchern über Mozart oder speziell über die letzten drei Sin-fonien hindurcharbeiten – und ist am Ende im entscheidenden Punkt doch „so klug als wie zuvor“. Sollten nicht irgendwann einmal uner-wartete Quellen auftauchen, bleiben die Hin-tergründe der Komposition der drei Sinfonien für immer im Dunkeln. Das Einzige, was man mit den Händen greifen kann, sind die Partituren selbst und Mozarts Einträge im eigenhändigen „Verzeichnüß“ seiner Werke. Dort trug er unter dem Datum des 26. Juni 1788 die Es-Dur-Sin-fonie ein, am 25. Juli die g-Moll-Sinfonie und am 10. August schließlich die C-Dur-Sinfonie. Keine Briefstelle, keine überlieferte Äußerung

Mozarts, kein Zeitdokument vermag diese bloßen Erfassungsdaten näher zu beleuchten. Ihre unmittelbare Nachbarschaft jedoch fordert gleich mehrere Fragen heraus: Dürfen wir von einer Kompositionsserie ausgehen, also von einer Dreiergruppe von Werken gleicher Gat-tung, so wie man sie im 18. Jahrhundert – man denke etwa noch an Beethovens drei Klavier-trios op. 1 – üblicherweise veröffentlichte? Wo aber wäre dann der Verleger, dem Mozart diese Gruppe angeboten oder der sie in Auftrag gegeben hätte? Welcher Anlass könnte Mozart andernfalls zu einer so dichten Folge von drei

Mozarts sinfonisches VermächtnisZum Programm des heutigen Konzerts

Wolfgang Amadeus Mozart, Silberstift-Zeichnung von Doris Stock (1789)

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Sinfonien verleitet haben? Und, von den Gründen einmal ganz zu schweigen, wie geht das eigentlich an: drei so vollendete und im Charakter völlig verschiedene Meisterwerke in so kurzer Zeit?

„Komponiert ist schon alles“

Um mit der letzten Fragestellung zu beginnen, sei dieser Aspekt hier einmal in aller Drastik dargestellt: Seit nun mehr als 200 Jahren haben die drei letzten Sinfonien Mozarts unzählige Aufführungen erlebt, für die Millionen an Probe- und Übestunden veranschlagt werden dürfen. Bücher, die einzig und allein der berühmten

Trias gewidmet sind (z. B. Peter Gülkes knapp 300 Seiten starke Monographie „Triumph der neuen Tonkunst“ oder die Werkführer zu den einzelnen Sinfonien von Stefan Kunze), haben den Autoren monatelanges Recherchieren, Interpretieren und Formulieren abverlangt. Demgegenüber erscheinen die 16 Tage, die etwa zwischen den „Verzeichnüß“-Einträgen der g-Moll- und der C-Dur-Sinfonie liegen, wie ein Witz. Zwar charakterisiert ein solches Unver-hältnis der zeitlichen und gedanklichen Inan-spruchnahme von Werkgenese und -rezeption jedes echte Meisterwerk, im Fall von Mozarts letzten Sinfonien stellt es sich aber ganz be-sonders krass dar. Fast meint man heute – um mit Platon zu reden – „besser als der Dichter

Mozart: „Verzeichnüß aller meiner Werke vom Monath Februar 1784 bis Monath ...“. Anfang jenes eigenhändigen Werkverzeichnisses, in dem Mozart auch die Sinfonien des Jahres 1788 eintrug

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Bescheid zu geben über die Werke, die dieser selbst verfasst hat“. Und wenn Mozarts hohes Arbeits tempo ohnehin legendär ist, so scheint es im vorliegenden Fall ein Ausmaß anzunehmen, das „jede normale Vorstellung vom schöpferi-schen Prozess“ übersteigt (Volker Scherliess). Den we nigen Mozart-Kritikern, die wie Hans Georg Nägeli 1826 solche Ungeheuerlichkeiten zum willkommenen Anlass nahmen, auf das „eilfertige“ und „zu leichtfertige“ Komponieren geringschätzig herabzublicken, sei nur ent-gegengehalten, was Mozart gegenüber seinem Vater äußerte: dass er nämlich „gerne langsam und mit Überlegung arbeite“. Ohne die unglaub-liche Genieleistung Mozarts schmälern zu wollen, sei deshalb ‚zur Beruhigung’ angedeu-tet, was die bloßen Vollendungsdaten im „Verzeich nüß“ nicht wiederzugeben vermögen und was Mozart in die berühmten Worte fasste: „Komponiert ist schon alles – aber geschrieben nicht.“

„Appell an die Ewigkeit“?

Ganz gleich, wie lange sich Mozart effektiv mit den Gedanken an jene Sinfonien herumtrug und wie viel Material dazu – schriftlich oder im Kopf – schon fertig bereitlag: der Sommer 1788 ist zumindest die Phase der endgültigen Ge-staltwerdung der großen Trias. Ein Jahr zuvor hatte Mozarts väterlicher Freund Joseph Haydn in Wien drei Sinfonien (Nr. 82-84) herausge-bracht, die ebenfalls in den Tonarten C-Dur, g-Moll und Es-Dur stehen. Die Parallele ist zu auffällig, um nicht über einen möglichen An-

sporn zur Komposition nachzudenken: Wie in den sechs Haydn gewidmeten Quartetten von 1785 wollte Mozart dem verehrten Vorbild jetzt vielleicht auch auf dem Feld der Sinfonie seine Reverenz erweisen und damit zugleich seinen Anspruch auf den zweiten Platz in der Komponistenrangfolge Wiens unterstreichen? Bisher war die Sinfonie im Unterschied zum Klavierkonzert oder der Oper nicht gerade die Gattung gewesen, mit der Mozart die Gunst des Publikums gewonnen hatte. Mag sein, dass er sich auch für die im Vorjahr erhaltene Anstellung als „k. k. Hof-Kammermusikus“ quasi rechtfertigen und seine Zuhörer – trotz aller Risiken – mit anspruchsvollem Repertoire kon-frontieren wollte. Wie dem auch sei: 1788 ist das Jahr, das einen „‚blinden Fleck’ in Mozarts Vita als ausübender Künstler“ markiert, wie der Mozart- Forscher Ulrich Konrad resümiert. Ob Mozart hier Akademiekonzerte veranstaltete, ist nicht überliefert. Auch nach 1788 kündigte er kein Konzert mit eigener Musik mehr an. Eine geplante Englandreise kam nicht zustande. Dabei hätte Mozart in dieser Zeit lukrative An-gebote und Aufführungsmöglichkeiten aufgrund offen sichtlicher Verschuldungen durchaus nötig gehabt. Das ist nicht nur den berühmten Bettelbriefen an seinen Freimaurer-Logenbruder Michael Puchberg zu entnehmen. Überhaupt spricht man von den Jahren ab 1788 von Mozarts Krisenjahren, in denen er seinen Zenit überschritten hatte, in Wien keine Erfolge als Unternehmer mehr verbuchen konnte, in denen sein Einkommen deutlich sank (wenngleich keinesfalls das zählebige Ammenmärchen von Mozarts „Armut“ perpetuiert werden soll!) und

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in denen Mozart auch aufgrund persönlicher Schicksalsschläge – 1787 war sein Vater ge-storben – in seelische Depression und Melan-cholie verfi el. Abgesehen davon, dass „Arbeit stets Mozarts wirksamstes Gegenmittel gegen Niedergeschlagenheit oder äußere Wechselfälle“ war (Maynard Solomon), wird mit Recht auch eine wirtschaftliche Motivation für die hohe Produktivität angenommen, die Mozart im Sommer 1788 fernab des Wiener Trubels in seiner neuen Vorstadtwohnung in Währing entfaltete. Neben den Sinfonien entstanden dabei übrigens noch zwei Klaviertrios, eine Klavier- und eine Violinsonate!

Bei all dem Rätseln um die ‚Verwendung’ der Sinfonien bleibt am Ende natürlich noch das, was Alfred Einstein in seinem viel gelesenen Mozart-Buch folgendermaßen ausdrückte: „kein Auftrag mehr, keine unmittelbare Absicht, sondern Appell an die Ewigkeit.“ Es ist klar, dass dergleichen Vorstellung sehr viel mit dem Geniegedanken der Romantik zu tun hat, aber nur wenig mit den pragmatischen Realitäten des 18. Jahrhunderts. Peter Gülke hat darauf hingewiesen, dass sich die von Einstein ge-nannten Kriterien ja keinesfalls ausschließen. Dem reinen „Appell an die Ewigkeit“ hat er seine These von der „Strategie der schöpferischen Pause“ entgegengestellt: Denkbar, dass Mozart die Sinfonien in einer Situation geschrieben habe, in der er auf erwartete Anlässe baute, ohne von ihnen abhängig zu sein. Und wenn wir keinerlei Beweise haben, dass Mozart seine drei letzten Sinfonien jemals gehört hat – denn selbst im Falle jener von Antonio Salieri diri-

gierten Akademien der Wiener Tonkünstler-Societät im April 1791, für die Mozart aller Wahr-scheinlichkeit nach die Partitur der g-Moll-Sin-fonie um Klarinettenstimmen ergänzte, kommt man über Vermutungen nicht hinaus –, so heißt die Konsequenz für Gülke: „Die traurig-schöne Legende der zu Mozarts Lebzeiten nie gespiel-ten, ausschließlich der Nachwelt, wenn nicht der Ewigkeit zugedachten Sinfonien ersetzen wir durch die noch traurigere Annahme, daß sie wohl gespielt und angehört, zunächst aber als das, was sie sind, nicht wahrgenommen worden sind.“

Einheit aus Gegensätzen

In der Tat erreichten die drei Sinfonien erst nach Mozarts Tod in allen europäischen Musik-städten weithin anerkannte Popularität. Im Jahr 1808 konnte etwa die „Allgemeine musi-kalische Zeitung“ in Leipzig von der „Jupiter-Sinfonie“ als einem „erklärten Lieblingsstück der hiesigen Kunstfreunde“ sprechen, das dem Publikum „kein Jahr vorenthalten“ werde. Eine gewisse ‚Inkubationszeit’ brauchten die Sinfo-nien sicherlich auch deshalb, weil sie mit der im 18. Jahrhundert traditionell geistvoll und galant unterhaltenden Ästhetik dieser Gattung nicht mehr viel gemein hatten. Der Musikwis-senschaftler Martin Geck erkennt in den späten Sinfonien Mozarts stattdessen so etwas wie „die Auseinandersetzung des Individuums mit mächtigen, bisweilen übermächtig erscheinen-den Kräften“. Was die spezielle Ausprägung der Sinfonik durch den Musikdramatiker Mozart im

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Unterschied zum Ideenkunstwerk Beethovens ferner auszeichne, sei die Kreuzung des Gestus’ des Erhabenen mit dem Buffonesken, also mit Elementen der komischen Oper. Durch diese ambivalente Ästhetik sowie den hohen kom-positorischen Anspruch schon genug heraus-gefordert, hatten die Zeitgenossen freilich erst recht keine Gelegenheit, etwas wahrzunehmen, worüber bis heute nach Kräften spekuliert wird: die rätselhafte Einheit der drei letzten Sinfonien Mozarts. „Stücke wie diese kommen nicht im Abstand weniger Wochen zu Papier, ohne mit-einander zu tun zu haben“, beteuert nicht nur Gülke. Und so suchen Analytiker seit eh und je nach musikalisch verbindenden Elementen der drei Sinfonien. Als besonders ergiebig hat sich dabei die markante Vierton-Figur vom Kopf des Finalthemas der „Jupiter-Sinfonie“ erwiesen, die – ohnehin ein „unpersönlicher Gemeinplatz“ (Kunze) – mit gutem Willen nicht nur im Trio des Menuetts sowie im Bass des

Andante aus derselben Sinfonie, sondern auch am Beginn des Andante der g-Moll-Sinfonie auszumachen ist. Gülke geht sogar noch weiter: „Wie exemplarisch unterschiedlich Mozart die drei Sinfonien immer eröffnet – in allen Anfän-gen kommt die Viertonfi gur unter“. Außerdem erklinge im Trio des Menuetts der Es-Dur-Sinfonie nahezu die gleiche Wendung wie am Beginn des Andante der „Jupiter-Sinfonie“. All dies sind Details, denen sich insbesondere in einer zyk lischen Aufführung treffl ich nach-spüren lässt. Wichtiger als solche mehr sicht- als hörbaren Motivzusammenhänge erscheinen aber konzeptionelle Ideen wie etwa diejenige, dass Mozart in seinen drei letzten Sinfonien genau die drei hergebrachten Möglichkeiten eines Finales auslotete: in der Es-Dur-Sinfonie den heiteren Kehraus, in der g-Moll-Sinfonie den Tanz und in der „Jupiter-Sinfonie“ die Fuge. Ferner scheint auch die Reihenfolge der drei Sinfonien dramaturgisch festgelegt: „Allein für die pathetische Adagio-Einleitung des ersten Stücks und das gewichtige Finale des letzten kann man sich kaum andere Plätze innerhalb des Zyklus ausdenken“, konstatiert Martin Geck. Und dennoch täten wir „gut daran, vor allem auf das Besonde re der einzelnen Werke zu achten.“ Der Auffassung von einer Einheit aus Gegensätzen schließt sich denn auch Volker Scherliess an, dem „eher das Individuelle als das Verbindende“ auffällt. „Es ist, als habe Mozart die ganze Breite dessen, was ihm als Instrumentalkomponisten zu sagen möglich war, zeigen wollen: den Reichtum der musika-lischen Erfi ndung, die Vielfalt der Charaktere und stilistischen Grundhaltungen.“

Titelblatt des ersten Klavierauszugs der Es-Dur-Sinfonie Mozarts, eingerichtet von Johann Wenzel, Prag. Stich von Johann Berka, 1794.

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Sinfonie Es-Dur KV 543

Die Individualität der drei Sinfonien manifes-tiert sich schon klanglich in den verschiedenen Bläserbesetzungen. So kontrastiert die g-Moll-Sinfonie, zumal in der Erstfassung ohne Klari-netten, etwa deutlich mit der vorhergehenden Es-Dur-Sinfonie ohne Oboen, aber mit Pauken und Trompeten. Die auch davon beeinfl ussten Unterschiede in Gestus und Ausdrucksgehalt sind beim Hintereinanderweghören der drei Sinfonien so unmittelbar zu erleben, dass Worte hier unzulänglich bleiben müssen. Gülke sprach von der „mit großem Gestus Tradition beschwö-renden Es-Dur-Sinfonie, der bekennerischen g-Moll- und der summierenden, alle Möglich-keiten klassischen Komponierens ins hellste Licht stellenden Jupiter-Sinfonie“. Tatsächlich scheint sich die Es-Dur-Sinfonie, die oftmals mit Attributen wie „glücklich“, „liebenswürdig“, aber auch „heroisch“ ausgestattet wird, vor allem mit dem überkommenen Begriff der Gattung sowie mit der Ästhetik des Erhabenen auseinanderzusetzen. Dies manifestiert sich in der (nebenbei auch freimaurerischen) Tonart Es-Dur und ist gleich in der feierlichen Einlei-tung erkennbar, die mit typischen Punktierun-gen nach dem Vorbild der barocken Ouvertüre gestaltet ist. Dass der „erhabene Stil“ nach zeitgenössischer Vorstellung freilich auch „scheinbare Unordnung“ mit einschließt, macht Mozart durch vielerlei Kontraste deutlich. Ob das ungewöhnlich zarte Thema des 1. Satzes nach der pompösen Intro duktion unpassend ist und daher „Züge einer widerwärtigen Styllosigkeit“ offenbare (wie Nägeli meinte),

sei in diesem Sinne dahingestellt. Genauso mag man den dunklen (subjektiv motivierten?) h-Moll-Einbruch im 2. Satz sowie den laut Nägeli „styllos unschließenden, abschnappen-den“, das Versprechen der majestäti schen Sinfonie-Eröffnung so gar nicht einlösen den Schluss des à la Haydn wirbelnden Finales als Momente bewusst mitkomponierter Unfass-lichkeit und Überraschung verstehen. Zu eben-diesem jäh abreißenden Schluss hat einmal mehr Peter Gülke eine attraktive Deutung parat: „Das Werkende befi ndet sich mitten im Opus [der Trias]; so darf die Sinfonie ihrer be schränk -ten Autonomie gemäß nur vorläufi g enden“.

Sinfonie g-Moll KV 550

Gewissermaßen schließt an dieses bewegte, offene Ende also direkt der berühmte Beginn der g-Moll-Sinfonie an. Gleich mit den ersten zwei dem unruhig drängenden Thema vorge-schalteten Takten entführt uns Mozart in eine völlig andere, subjektive Welt. Es gibt diesmal keine repräsentative Einleitung, vielmehr geht es mit dem „Molto allegro“ sofort los – und Mozart hat das Tempo nachträglich extra noch nach oben korrigiert. Es ist der schmerzlich erregte Typus einer „Aria agitata“, den der Komponist in seinen Opern bereits mehrfach erprobt hatte und den er hier auf die Instru-mentalmusik übertrug. Die Parallelen insbe-sondere zur schnellen Cherubino-Arie aus dem „Figaro“ sind in der Literatur wiederholt be-tont worden. Bemerkenswert ist auch, welchen Reichtum an Varianten Mozart in diesem Satz

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(und in der ganzen Sinfonie) aus dem Seufzer-motiv der fallenden Sekunde gewinnt. Dabei erhält vor allem die Durchführung mit ihrem Gang durch verschiedenste Tonarten ein un-gewöhnlich großes Gewicht. „Diese Durchfüh-rungen sind Stürze in Abgründe der Seele, symbolisiert in modulatorischen Kühnheiten, die den Zeitgenossen als Entgleisungen vor-kommen mußten, aus denen nur Mozart selber wieder auf den Weg der Vernunft fi nden konnte“, kommentierte Alfred Einstein. Und noch Un-geheuerlicheres als im 1. Satz geschieht in der

Durchführung des letzten Satzes: Wenn das rastlose Hauptthema hier plötzlich nicht mehr weiter kommt, in harmonische Konfusion gerät und „den Satz aus den Angeln zu heben droht“ (Kunze), werden so ganz nebenbei auch sämt-liche Töne der Tonleiter in übermäßigen oder verminderten Intervallen berührt – eine erste Ahnung späterer Zwölftonreihen! Das anschlie-ßende kontrapunktische Verfahren faszinierte Beethoven so sehr, dass er sich einige Takte aus dieser Durchführung in die Skizzen zum Scherzo seiner Fünften Sinfonie notierte. Und

Sinfonie g-Moll KV 550, erste Seite des 4. Satzes in der Notenhandschrift Mozarts

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die Schlusstakte des 4. Satzes drücken dann – ganz anders als in der Es-Dur-Sinfonie – „fi nster und wild ihr Siegel unter das Ganze“, wie Hermann Abert 1921 interpretierte. Eine solche Formulierung entspricht freilich jener roman-tischen Deutung der g-Moll-Sinfonie, die in der Rezeption wohl am meisten verbreitet ist, wenn Worte wie Trauer, Leiden und Dämonie gebraucht werden oder wenn von „Mozarts Unerbittlichkeit“ und seinem „fatalistischen Kammerwerk“ (Einstein) die Rede ist. Oft miss-

verstanden wurde demgegenüber Robert Schumanns Diktum von der „griechisch schwe-benden Grazie“ dieser Sinfonie – eine Charak-teristik, die hinsichtlich des 2. Satzes ja gar nicht so abwegig erscheint. Am besten aber hält man es wohl mit Volker Scherliess, der aus den vielfältigen, von der Komödie bis zur Tra-gödie reichenden Auslegungen der Sinfonie vor allem eines herausliest: Hier geht es eben um „menschliches Empfi nden, das alle Nuancen umfasst“.

Sinfonie C-Dur KV 551, erste Seite der Notenhandschrift Mozarts

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Sinfonie C-Dur KV 551

Wenn die g-Moll-Sinfonie sich in eine abgrün-dige Innenwelt wandte, so knüpft die „Jupiter-Sinfonie“ C-Dur mit ihrer nach außen gerichte-ten, scheinbar gesellschaftskonformen Haltung gewissermaßen dort an, wo die Einleitung der Es-Dur-Sinfonie aufgehört hatte. „Von der avanciertesten Musik der Trias kommend“, so Gülke, gerate man nach der g-Moll-Sinfonie hier an „die herkömmlichste“ und anonymste. „Die Haupttöne des ersten Themas begegnen in jeder dritten feierlichen Eröffnung“. Vermutlich brachte Johann Peter Salomon, jener aus Haydns Vita bekannte Londoner Impresario, erstmals den Beinamen „Jupiter“ auf, der seit-dem für diesen festlichen Glanz der Sinfonie, ihre erhabene Klarheit und Ordnung einsteht. Dennoch unterläuft Mozart die prunkvolle Würde durch zahlreiche Kontraste auch hier. So charakterisiert schon das erste Thema ein krass dualistisches Frage-Antwort-Prinzip. Schlicht und dezent kommt sodann das zweite Thema als Umkehrung des entsprechenden Motivs aus der g-Moll-Sinfonie daher, wird aber von schockhaften Signalmotiven unterbrochen. Und in die Buffo-Oper entführt das dritte Thema, das Mozart auch in seiner Arie „Un bacio di mano“ verwendete. Insofern erscheint die These, der Komponist repräsentiere in den drei Themen gleichsam verschiedene Gesell-schaftsschichten (aristokratisch, bürgerlich und volkstümlich) oder theatralische Stilsphären durchaus hilfreich. Nach einem gesanglich-warmen 2. Satz und einem wiederum pracht-vollen – wenn auch ungewöhnlich behutsam

einsetzenden – Menuett, in dessen Trio bereits das Hauptmotiv aus dem Finale vorweggenom-men wird, folgt der wohl meistuntersuchte Satz der Wiener Klassik vor Beethoven: jenes Finale, welches die Nachwelt nicht lange nach Mozarts Tod zum „Triumph der neuen Tonkunst“ kürte. „Alle scheinbar kluge Zurückhaltung beim Gebrauch von Superlativen wird ange-sichts dieser Musik von der Gewißheit weg-geräumt, daß, wenn irgendwie und -wo klassi-sches Komponieren kulminiere, dann so und hier“ (Gülke). Oft hat man den Satz als meister-hafte Verschränkung von Fugen-, Sonaten- oder Rondoform fehlgedeutet. Der eigentliche Clou dieses Kompendiums kontrapunktischer Praktiken, dieser Mozartschen „Kunst der Fuge“ ist jedoch, dass der Komponist es hier spiele-risch schafft, Gelehrsamkeit selbstverständlich mit Heiterkeit aufzufrischen, gewissermaßen „kunstvoll verschmitzt“ (Geck) das Schwere leicht zu machen. So wird man beim genuss-vollen Anhören der Musik auch nicht über die ungeheuer komplexe Coda stolpern, die im doppelten Kontrapunkt alle fünf Fugenthemen des Satzes miteinander verbindet, dabei ihre Ähnlichkeit offenlegend. Wie insgesamt bei der Begegnung mit den drei letzten Sinfonien Mozarts kann man also auch hier nur Stefan Kunze beipfl ichten: „Die Vollendung ist in Mozarts Musik von der Art, daß sich hinter ihr leicht das Unerhörte des musikalischen Ge-schehens verbirgt und als Selbstverständlich-keit des bloß Schönen, der formalen Ausge-wogenheit erscheint.“

Julius Heile

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NDR SINFONIEORCHESTER

D4 | Fr, 10.01.2014 | 20 UhrHamburg, LaeiszhalleJuraj Valčuha DirigentJean-Yves Thibaudet KlavierZoltán KodályTänze aus GalántaFranz LisztKlavierkonzert Nr. 2 A-DurAntonín DvořákDer Wassermann –Sinfonische Dichtung op. 107Richard StraussDer Rosenkavalier op. 59(Konzertsuite)

Einführungsveranstaltung: 19 Uhr

B5 | Do, 16.01.2014 | 20 UhrA5 | So, 19.01.2014 | 11 UhrHamburg, LaeiszhalleThomas Hengelbrock DirigentChristopher Franzius VioloncelloJan Larsen ViolaFelix Mendelssohn BartholdyRuy Blas – Ouvertüre op. 95Richard StraussDon Quixote op. 35Albert RousselLe festin de l’araignée op. 17(Suite)Maurice RavelDaphnis et Chloé(Suite Nr. 2)

Einführungsveranstaltungen mitThomas Hengelbrock:16.01.2014 | 19 Uhr19.01.2014 | 10 Uhr

Familienmusik „Ferdinand, der Stier“ parallel zum Konzert:19.01.2014 | 11 Uhr

Konzertvorschau NDR Sinfonieorchester

Jean-Yves Thibaudet

Thomas Hengelbrock

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AUF KAMPNAGEL

KA2 | Fr, 31.01.2014 | 20 UhrHamburg, KampnagelBRASS MEETS PERCUSSIONNDR BrassNDR PercussionWilliam ByrdEarl of Oxfords MarchTielman SusatoSuite aus „Dansereye“Maurice OhanaÉtudes ChorégraphiquesHans Werner HenzeRagtimes and HabanerasKurt WeillSuite aus „Die Dreigroschenoper“

KAMMERKONZERT

Di, 18.01.2014 | 20 UhrHamburg, Rolf-Liebermann-StudioG’SCHICHTEN AUS DEM WIENERWALDSono Tokuda ViolineKatrin Scheitzbach ViolineAnna Buschuew ViolaVytautas Sondeckis VioloncelloDaniel Tomann FlöteGaspare Buonomano KlarinetteJohann Strauß (Sohn)Walzer und Polkasin Bearbeitungen für KammerensembleAlexander Roda RodaGeschichten aus demalten Österreich,gelesen von Thomas Ney

NDR Brass

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NDR SINFONIEORCHESTER

NDR FAMILIENKONZERT

Sa, 11.01.2014 | 14.30 + 16.30 UhrHamburg, Rolf-Liebermann-StudioKARNEVAL DER TIERE –MADE BY NDR BIG BAND!Arrangeur und Dirigent: Rainer TempelErzähler: Peter Urban

ab 6 Jahren

Weitere Konzerttermine in der Reihe „Konzert statt Schule“ (Klasse 1 – 4):Fr, 10.01.2014 | 9.30 + 11 UhrHamburg, Rolf-Liebermann-Studio

Konzertvorschau

NDR PODIUM DER JUNGEN

Sa, 08.02.2014 | 20 UhrHamburg, Rolf-Liebermann-StudioBELCANTONDR RadiophilharmonieVassilis Christopoulos DirigentOlena Tokar SopranPetter Moen TenorJan Stava BassArien u. a. von Wolfgang Amadeus MozartIgor StrawinskyGioacchino RossiniGiuseppe VerdiPeter Tschaikowsky

Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus, Tel. (040) 44 192 192, online unter ndrticketshop.de

Weitere NDR Konzerte

Peter Urban

Sopranistin Olena Tokar, Tenor Petter Moen und Bassist Jan Stava

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Herausgegeben vomNORDDEUTSCHEN RUNDFUNKPROGRAMMDIREKTION HÖRFUNKBEREICH ORCHESTER, CHOR UND KONZERTELeitung: Andrea Zietzschmann

Redaktion Sinfonieorchester: Achim Dobschall

Redaktion des Programmheftes: Julius Heile

Der Einführungstext von Julius Heile ist ein Originalbeitrag für den NDR.

Fotos: Gunter Gluecklich (S. 4)akg-images | Imagno (S. 5, S. 9)akg-images (S. 6, S. 11, S. 12)Kasskara/Decca (S. 15 links)Philipp von Hessen (S. 15 rechts)Markus Hötzel (S. 16)Christian Spielmann | NDR (S. 17 links)Dorothee Falke; Marianne Overaa; Kurt Prinz (S. 17 rechts)

NDR | MarkendesignGestaltung: Klasse 3b, HamburgLitho: Otterbach Medien KG GmbH & Co.Druck: Nehr & Co. GmbH

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet.

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ImpressumSaison 2013 / 2014

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