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Musiktherapeutische Erfahrungen mit einem Kind mit · PDF fileMusiktherapeutische Erfahrungen mit einem Kind mit ADHD Peter (10), Name geändert, kam zu mir in die Musiktherapie weil

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Musiktherapeutische Erfahrungen mit einem Kind mit ADHD

Peter (10), Name geändert, kam zu mir in die Musiktherapie weil ein Schulwechsel auf die

weiterführende Schule bevor stand und seine Mutter besorgt war ob er die Voraussetzungen

für das Gymnasium oder die Realschule erfüllen würde. Leistungsstand und

Auffassungsvermögen zeigen das Peter ein sehr intelligentes Kind ist jedoch gab es massive

Verhaltensprobleme in der Schule und auch zu Hause. Peter konnte sich oft nicht

konzentrieren, saß nicht still bei seinen Hausaufgaben und störte oft den Unterricht. Aufgrund

dieses Verhaltens und weil er auch häufig seine Aufgaben nicht zu Ende machte war die

Frage des Schulwechsels schwierig. Von der Musiktherapie erhoffte sich die Mutter, dass

Peter lernen würde konzentrierter zu arbeiten und eine ruhigere Arbeitshaltung zu bekommen.

Allgemeiner Verlauf

In den Musiktherapiestunden lag das Energieniveau sehr hoch. Peter lief unruhig umher,

entdeckte immer wieder neue Dinge und ließ sich durch Alles ablenken und mitnehmen. Der

Raum (eine Kapelle, die für verschiedene Zwecke genutzt wird), in der die Musiktherapie

angeboten wurde, überforderte zunächst durch die Größe und das Angebot an Gegenständen.

Mit jeder Stunde wurde Peter`s Orientierung im Raum merklich besser. Er probierte im

Verlauf der Wochen alle Instrumente durch, kam aber dann auf immer dieselben Instrumente

zurück. Das waren Schlagzeug, Orgel und Gitarre, die in ihrer musiktherapeutischen

Bedeutung sehr körpernahe Instrumente sind. Die Vibration dieser Instrumente wird auf den

Körper übertragen. Weiterhin haben diese Instrumente gemeinsam, dass sie eine große

Vielfalt an Material bieten und der "Appellwert" der Instrumente Struktur und Ordnung ist.

Auffallend war vom ersten Tag an, dass "Sprache" so gut wie keine Rolle in der Therapie

spielte. Peter sprach in der gesamten Zeit zunächst nur, wenn er gefragt wurde, später dann,

wenn ihm etwas Wichtiges auffiel. Er sagte es direkt und meist in nur einem kurzen Satz was

erstaunlich war denn in der Schule hatte er oft Probleme weil er durch Reden den Unterricht

störte. Das Stottern fand auch in der Therapie statt, verschwand aber dann immer mehr von

selbst. Nachbesprechungen in der Musik wurden mit der Zeit möglich und waren trotz ihrer

Kürze, qualitativ sehr hochwertig. Peter nahm immer schneller wahr wenn er die anderen

nicht mehr hörte weil er z.B. viel zu laut spielte oder das Tempo dauernd wechselte so dass

niemand seinem Spiel folgen konnte.

Erreichte Ziele nach 6 Wochen Musiktherapie

1. Selbstwahrnehmung und Kontrolle (sich abstimmen auf Andere)

2. Eigene Grenzen spüren, Körpergefühl

3. Grenzen Anderer akzeptieren (Feedback bekommen)

4. Konzentration zielgerichtet einsetzen, Koordination trainieren

5. Konzentrationsspanne verlängern

6. Verbessern der Zielsetzung, Planung und Organisation des Musikstückes (Ideen

entwickeln)

Am Anfang der Therapie spielte Peter sehr laut, so dass die Therapeutin kaum mit ihm ins

Spiel kommen konnte. Im Verlauf der Therapie nahm er dieses Ungleichgewicht mehr und

mehr wahr und reagierte indem er z.B. sagte, er könne die Therapeutin nicht hören. Es wurde

gemeinsam nach Möglichkeiten gesucht, wie mehr Balance in das Spiel kommen konnte und

es wurden verschiedene Dinge ausprobiert. Peter war mit Hilfe in der Lage, sein Spiel Schritt

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für Schritt in der Dynamik anzupassen und zu strukturieren, so dass das Zusammenspiel mehr

Kontakt und Qualität bekam. Die Lautstärke spielte eine sehr große Rolle für Peter, da die

Vibration der Instrumente durch den Schall der Luft und den Fußboden bis in jede

Körperzelle vordrang. Er suchte diese Erfahrung sehr gezielt, um seinen Körper und damit

seine Grenzen spüren zu können. Peter hatte zu Beginn der Therapie Mühe mit sich in

Kontakt zu bleiben, da der Raum, die Instrumente und die neue Situation seine

Aufmerksamkeit unkontrolliert forderten. Durch extreme musikalische Erfahrungen gelang es

ihm, diesen Kontakt wieder herzustellen und sein Körpergefühl zu verbessern. Ein gutes

Körpergefühl ist Voraussetzung, um mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen und

diesen auch zu unterhalten. Peter gelang es in kleinen Schritten, seine Selbstwahrnehmung

durch entsprechende musikalische Mittel zu schärfen (Vibration). Dadurch war es ihm mit

Hilfe möglich, einen eigenen Standpunkt zu finden, von wo aus er Kontakt zu Anderen

aufnehmen konnte. Das Gelingen und die Qualität dieses Kontaktes, hingen jedoch noch stark

von seiner Tagesform ab und waren daher nicht jederzeit abrufbar für Peter. Er spielte oft

einfach drauf los, wechselte sehr häufig Tempo und Rhythmen ohne sich an den Anderen zu

orientieren.

Im Verlauf der Therapie suchte er regelmäßig seinen Platz im Spiel und versucht sich zu

integrieren indem er z.B. "im Takt" ins Spiel einstieg. Sein Timing verbesserte sich dabei

kontinuierlich. Von Anfang an war sein Impuls zwar richtig, jedoch die Koordination

verzögert, da er die Körperkontrolle und die nötige innere Balance noch nicht gefunden hatte.

Zwischendurch gelang es ihm über längere Zeit einen gleich bleibenden Basslauf oder

Rhythmus spielen, auf den Andere mit Melodiespiel improvisieren konnten. Hierdurch wurde

er Teil der Gruppe und lernte sich als Mitglied zu sehen und Offen zu bleiben für die

Anderen. Das Timing schwankte hierbei noch und je nach Konzentrationsvermögen

verzögerte oder verschnellte er seinen Einsatz und variierte in der Dynamik. Auf eine Gruppe

wirkt das destabilisierend, jedoch gelang es Peter hier immer mehr Kontinuität einzubringen.

Ist er gut konzentriert, hat er ein perfektes Timing und hält die Gruppe zusammen. Mit der

Zeit wurde sein Spiel variationsreicher in der Dynamik und transparenter in der Organisation,

was darauf deutet, dass sich sein Platz in der Gruppe festigt und er mehr Orientierung findet.

Wichtig ist hierbei auch zu bemerken dass er stets mehr Raum für andere Mitspieler

freimachte.

Peter hatte zu Beginn der Therapie enorme Schwierigkeiten, sich auf eine Sache zu

konzentrieren und bei sich bleiben zu können. Er wurde schnell abgelenkt und erreichte

dadurch seine selbst gesteckten Ziele nicht. In der Therapie hat er gelernt, sich ein Ziel zu

setzen (z.B. ich möchte meiner Mutter etwas vorspielen) und dieses mit Unterstützung bis

zum Erreichen durchzusetzen. So gelang es ihm z.B., eine Liedform mit begrenztem Material

festzulegen und dieses gezielt mehrfach zu üben, bis er zufrieden mit dem Ergebnis war. In

der Arbeit mit musikalischen Mitteln konnte Peter lernen, sich längere Zeit auf eine Sache zu

konzentrieren. Dies fällt in der Musik leichter als bei z.B. Schulaufgaben, da der Körper auf

verschiedenste Art und Weise einbezogen wird. Melodie, Rhythmus und Gefühl sind hierbei

sehr dicht beieinander. Die Musik ist auch kognitiv sehr anspruchsvoll und bietet daher die

Möglichkeit zu sehr vielen Variationen, was die Konzentration aufrecht erhält. Peter konnte

sich teilweise sehr lange konzentrieren, so dass er unbemerkt über seine eigenen Grenzen ging

und sich hinterher motorisch abreagieren musste (Schlagzeug, rennen, �). Im verlauf der

Therapie lernte er sein Tun mehr zu organisieren und zu strukturieren was dafür sorgte das er

seinen Kräfte besser einteilen konnte.

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Das selbständige Planen und Durchführen von solchen Zielen fällt Peter noch immer schwer

und wird noch lange Zeit unterstützt werden müssen bevor er es ganz selbständig beherrscht.

Peter hat ein sehr großes kreatives Potential und entsprechend auch viele gute Ideen, seine

Ressourcen auf diesem Gebiet sollten unbedingt gefördert und genutzt werden, da er hieraus

Kraft, Motivation und Selbstbestätigung schöpft. Die Mutter berichtete mir nach den 6

Wochen das es in der Schule deutlich besser gehe und auch der Lehrerin eine Verbesserung

aufgefallen war. Auch sonst fand sie das Peter sich sehr positiv verändert habe.

Zum Schluss

In der Behandlung wurde deutlich, dass die Musiktherapie sehr gut an Peter`s kreativem

Potential anschließt und er hier seine Qualitäten nutzbar machen kann, um wichtige Ziele

seiner Entwicklung spielerisch zu üben und zu lernen. Durch die Arbeit in der Musik, konnte

er sich mit allen Sinnen erfahren und die Musik für sich greifbar machen. Die Fortschritte die

Peter in diesen 6 Wochen gemacht hatte , kamen auch deswegen zustande, weil er der

Musiktherapie sehr offen und positiv gegenübersteht und daher sehr motiviert mitarbeitet.