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NIGER Das Pflegezentrum feierte sein 25-jähriges Jubiläum BURKINA FASO Von einer Fistel Geheilte erzählen ihre Geschichte N° 257 / April 2018 SENEGAL Den Familien den Zugang zur Pflege erleichtern © Yvan Muriset

N° 257 / April 2018 Das Pflegezentrum feierte sein 25-jähriges Jubiläum Burkina Faso Von einer Fistel Geheilte erzählen ihre Geschichte N 257 / April 2018 senegal ... | Kolumbien

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María Camila, die im Wohn-heim aufgenommen wurdeDie zehnjährige María Camila wurde am 26. Dezember im Sicher-heits-Wohnheim von Sentinelles in Minas aufgenommen. Gewalt hatte ihre Familie zerstört: die Mutter sitzt im Gefängnis, weil sie in Drogenhandel und organisierte Diebstähle mit jungen Delin-quenten verwickelt war. Dabei machte auch ihr grosser Bruder mit, bis er nach einem Zusammenstoss mit der Polizei gelähmt wurde. Er war 19-jährig. Seit ihre Mutter im Gefängnis ist, leb-ten María Camila und ihre neunjährige Schwester Valentina bei ihrem Vater und der Grossmutter. Valentina wurde wie eine Prin-zessin behandelt, María Camila hingegen musste alle Haushal-tarbeiten erledigen, wobei die alte Dame sie beschimpfte und erniedrigte, ohne dass ihr Vater etwas dazu sagte. María Camila hat auf diese emotionale Vernachlässigung mit zwanghafter Nahrungsaufnahme reagiert. Im Wohnheim fühlt sie sich wohl und spielt mit den anderen Kindern. Noch vor ein paar Monaten dachte sie an Selbstmord. Heute lebt sie in dieser geschützten und ruhigen Umgebung, welche eine positive Energie ausstrahlt.

| SeneGal

Ein Dach für eine FamilieNdeye ist eine alleinstehende Mutter mit sieben Kindern. Sie stand auf der Strasse. Im Februar 2017 hat Sentinelles um Ihre Unterstützung gebeten, um dieser Familie ein Dach über dem Kopf zu geben. Zahlreiche von Ihnen haben grosszügig auf unse-ren Appell reagiert. So konnten wir zur Tat schreiten, um ein Grundstück zu finden und ein Wohnhaus zu bauen. In Mbour ist es nicht einfach, ein bezahlbares Grundstück zu finden, das nahe genug beim Zentrum, den Schulen und einem Gesundheits-dienst liegt. Nach langem Suchen fanden wir eines. Die Bauar-beiten haben Ende 2017 begonnen und die Familie freut sich, bald einziehen zu können.

Es ist unser Anliegen, in der Nähe von Menschen in großer Not zu sein - aber auch in Ihrer Nähe, liebe Leserinnen und Leser. Sie erlauben es Sentinelles Kinder zu retten, denen es aus Armut an Pflege fehlt; Frauen in Situationen extre-mer Verletzlichkeit zu unterstützen und ihr tägliches Leben und ihre Zukunft positiv zu beeinflussen.

Die wichtigen Veränderungen, die Sie in unserer Zeitschrift bemerken werden, bezeugen unsere Absicht, diese Nähe zu ihnen - und auch zu Ihnen - zu stärken, mit tiefstem Res-pekt für die Vision von Edmond Kaiser, dem temperament-vollen und engagierten Gründer der Aktivitäten von Senti-nelles. Unser Leitartikel bekräftigt auch unsere Bemühung um Offenheit.

Sie haben eine neue Version vor Ihren Augen, die – so hof-fen wir - Ihnen näher ist und doch unseren Prinzipien treu bleibt. Mit unseren «Kurzmeldungen» erhalten Sie kon-zentrierte und sachliche Informationen. In ein paar weni-gen Worten erfahren Sie, warum Maria Camila, eine kleine Kolumbianerin mit lebhaftem und neugierigem Blick, in unser Pflegezentrum gekommen ist. Sie lesen, dass Possibo (siehe Ausgabe vom letzten Dezember) eine neue Schien-beinprothese erhalten und dank Ihrer Mobilisierung und Ihrer Großzügigkeit das Ende seiner Qual erleben wird. Sie werden auch erfahren, dass kompetente und unentgeltlich arbeitende Chirurgen in Ouagadougou an Nome leidende Kinder und junge Erwachsene operiert haben; diese verhee-rende Krankheit, die sie entstellt und oft isoliert.

In unseren beiden Dossiers berichten Gouanssongou und Aguiratou, zwei burkinische Frauen, die an obstetrischen Fis-teln gelitten haben, über ihr körperliches und seelisches Lei-den, über die erlittenen Demütigungen und ihre Enttäuschun-gen. Sie drücken auch einfach und aufrichtig die immense Freude über die Heilung und ihr Vertrauen in die Zukunft aus.

Doch über die Texte und Fotos und übermittelten Informa-tionen hinaus zeichnen sich Lebenswege von Kindern und Frauen ab, die wir gemeinsam und leidenschaftlich beglei-ten wollen.

Leitartikel

Marlyse Morard Geschäftsführerin

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k u r z g e s a g t

Sentinelles wurde 1980 von Edmond Kaiser frei von jeglicher Ideologie gegründet und setzt sich für die Rettung und Beglei-tung von unendlich verletzten Kindern und Erwachsenen ein.

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| maDaGaSKar

Besprechungen zur Vorbereitung eines EinsatzesFür die Zusammenarbeit von Sentinelles mit freiwilligen Chirurgen aus La Réunion werden die Untersuchungen und die orthopädischen Eingriffe der jungen Pati-enten des Behandlungsprogramms nor-malerweise im ehemaligen Militärspital von Antananarivo vorgenommen. Durch-schnittlich gibt es vier bis fünf Einsätze im Jahr. Im Jahr 2017 konnten die Chirurgen leider nicht so häufig wie gewünscht kommen. Dr. Aliamus, ein französischer Chirurg, hielt sich am Jahresende auf privater Basis auf Madagascar auf und benutzte diesen Aufenthalt, um die Patienten zu sehen. An einem Morgen untersuchte er in einem Sen-tinelles-Gebäude dreizehn Kinder. Mit schon operierten Kindern, die an verschiedenen angeborenen oder von Unfällen verursachten Schäden litten, war er zufrieden. Für die neuen Patienten hat der Arzt Diagnosen gestellt und diejenigen ausgewählt, die beim nächsten Einsatz operiert werden können. Ferner hat er die Nachbehandlungen einiger der übernommenen Fälle mit der Physiotherapeutin Henriette besprochen.

| burKina FaSo

Chirurgie-Einsatz in OuagadougouDas Sentinelles-Haus hat erneut Kinder und junge Erwach-sene aufgenommen, die an den Folgen von Noma oder ande-ren Beschwerden im Gesichtsbereich leiden. Sie wurden vom Team der Professorin Brigitte Pittet (HUG) anlässlich des Chir-urgie-Einsatzes in Ouagadougou zwischen dem 20. Januar und dem 2. Februar 2018 operiert. Das Team von freiwilligen Chirur-gen, Pflegerinnen und Animatorinnen setzte sich ein, um ihre Gesichter wieder herzustellen. Ein Einsatz von Physiotherapeu-ten des Vereins PhysioNoma schloss sich im Februar diesem Team an, um die Nachbehandlungen der operierten Patienten zu übernehmen. Über diese Einsätze werden wir demnächst wie-der berichten!

| burKina FaSo

Eine neue Prothese dank Ihrer Hilfe!Im Dezember haben wir einen Auf-ruf für Possibo lanciert, um ihm zu einer neuen, passenden Bein-prothese zu verhelfen. Herzlichen Dank an die zahlreichen Spender, welche auf diesen Aufruf reagiert haben! Possibo wird dank dieser sehr rasch gesammelten Gelder im April in die Schweiz kommen, damit ihm diese Prothese angepasst werden kann. Wir werden nächs-tens von seiner Reise in die Schweiz und ihrem Ergebnis berichten.

Der Chor la rosalie gibt ein Benefiz-konzert

zugunsten von sentinelles

- Axion esti -

Oratorium von Mikis Theodorakis über ein Gedicht von Odysseas Elytis

(Auszüge für einen Solisten, Chor und Klavier)

samstag, 23. Juni - 20h Casino de Montbenon – Lausanne

Freier eintrittKollekte zu Gunsten von besonders benachteiligten Menschen, die von Sentinelles unterstützt werden.

Dank an alle Sängerinnen und Sänger für diese grosszügige Unterstützung!

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| burKina FaSo

Die Lebensfreude wieder findenZwei Frauen, die an Scheidenfisteln gelitten haben, erzählen mit ihren eigenen Worten von ihrem schwierigen leben, zwischen ablehnung ihrer umgebung und Hoffnung auf Heilung.

In Burkina Faso begleitet Sentinelles Frauen, die an Scheidenfisteln leiden, oft als Folge einer schwierigen Geburt. Um eine dauernde Inkontinenz zu vermeiden ist eine Operation notwendig; manchmal sind auch mehrere Eingriffe notwendig. Zwei Frauen, Gouanssongou und Aguira-tou, erzählen ihre Geschichte. Wir haben ihre Berichte so sinn- und wortgetreu wie möglich übersetzt.

gouanssongou« Wieder lachen können » Ich heisse Gouanssongou und bin 54 Jahre alt, glaube ich. Ich bin seit fünf Jah-ren wegen einer schwierigen Totgeburt, die mit einem Kaiserschnitt geendet hat, krank.

Meine Krankheit hat mich sehr leiden las-sen. Nach meiner Begegnung mit Senti-nelles habe ich meine Gesundheit nach einer Operation in Tanguiéta in Benin wiedergefunden. Das war und ist meine einzige Fistel-Kur.

Meine Brüder und meine Kinder sind die einzigen, die mich unterstützen. Ich bin seit drei Jahren wegen meiner Krankheit von meinem Mann getrennt. Ich habe eine Nebenfrau, die mich versteht und Mitleid

hat, nicht so mein Mann. Am Anfang ging alles gut, doch dann wurde er immer här-ter zu mir; er demütigte mich vor meiner Nebenfrau und oft ignorierte er mich völ-lig. Er ass die Nahrung nicht mehr, die ich kochte, trank nicht mehr aus meinen Was-serkrügen und kam nicht mehr in mein Haus.

Er sagte, ich solle mich selbst

pflegen, denn er habe dafür kein

Geld und ich allein wisse, was ich

gemacht hätte, um diese schändli-

che Krankheit zu haben. Ich litt an

jedem Tag der verging.

Eines Tages, als mein Bruder zu Besuch war, hat er mein gelebtes Martyrium bemerkt. Ich habe ihm mein Problem geschildert und er hat mich ermutigt. Da mein Mann mir nicht helfen wollte, meine Gesundheit wiederzufinden und meine Anwesenheit nicht ausstehen konnte, hat mein Bruder meinen Mann gefragt, ob er mich zu sich nehmen und nach einer Heilmöglichkeit für mich suchen dürfe. Mein Mann fand das sehr gut, er selbst habe daran gedacht, mich zu mei-nem Bruder zu schicken, damit er mich unterstütze.

An diesem Tag war ich vom Verhalten meines Mannes sehr enttäuscht. Ich habe ihm erklärt, dass ich die Krankheit habe, weil ich ihm ein Kind habe geben wollen und dieses Kind gehöre nicht meinem Bruder. Ich habe meinem Bruder gesagt, dass er wieder abreisen könne, ich käme nicht mit. So bin ich also geblieben, daran glaubend, dass mein Mann sich ändern würde, doch nichts geschah. In meinem Haus wurde täglich alles schlimmer.

Nach zwei Leidensjahren habe ich beschlossen, zu meinem Bruder zu gehen. Mit ihm und seiner Frau habe ich nie Pro-bleme gehabt; sie sorgen gut für mich. Mein Bruder hat mich mehrere traditi-onelle Behandlungen machen lassen, ohne Erfolg. Seit dem Tag, wo ich mein Heim verlassen habe, hat sich mein Mann nie nach mir erkundigt. Er hat mich nie besucht; es ist ihm ganz egal, was aus mir geworden ist. Durch Gottes Gnade bin ich Sentinelles begegnet und sie haben mir das Lächeln zurückgegeben.

Mit Sentinelles, das ist reine Freude. Als ich aufgeboten worden war, um an der Mission teilzunehmen, haben sie mich vor der Abreise nach Tanguiéta im Zentrum in Fada gut aufgenommen. Nach einem

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chirurgischen Eingriff bin ich für die Genesungszeit von einem Monat wieder ins Pflegezentrum zurückgekommen. Es ist eitel Freude mit den anderen Frauen; wir wohnen und essen gut. Das Personal ist immer bereit, uns zuzuhören und sich um uns zu kümmern. Wir lernen viele Aktivitäten wie Stricken und die Seifen-herstellung. Ich bin heute sehr glücklich und dies dank Sentinelles. Sie haben mir nach meiner Heilung auch eine Hilfe für den sozialen Wiedereinstieg versprochen. Vielen Dank an alle, die daran arbeiten, um uns, den Opfern von Fisteln, ein bes-seres Leben zu bieten.

aguiratou «autonom sein»Ich heisse Aguiratou Ouedraogo und kenne mein genaues Alter nicht, doch es ist um die 35 Jahre. Mein Dorf heisst Pis-sila, wo ich mit meinem Vater lebe, denn mein Mann ist der Grund meines Rück-falls. Er hat mich geschlagen. Ich habe vier Schwangerschaften gehabt, zwei lebende und zwei tote Kinder.

Ich habe meine Krankeit vor etwa fünf Jahren nach einer schwierigen Geburt bekommen. Diese Krankheit hat mich sehr leiden lassen. Nach meiner Begeg-nung mit Sentinelles habe ich vier Ope-

rationen gehabt, wenn meine Erinnerung stimmt. Nach der dritten war ich ganz geheilt und sehr glücklich bis zum Tag, wo mein Mann mich schlug, vor allem am Bauch, und mein Urin ist wieder abge-flossen, wie wenn nichts gemacht wor-den wäre.

Anfänglich hat mich mein Mann unter-stützt, aber seit er wieder verheiratet ist, ist es für mich die Hölle geworden. Ich habe Demütigungen aller Art erlitten, von meiner Nebenfrau und allen Dorfbewoh-nern. Ich habe beinahe alle Tränen mei-nes Körpers geweint bis hin zu glauben, dass sie versiegen würden.

Dank der Gnade Gottes habe ich einige Jahre später bei einer Konsultation einen Pfleger kennengelernt der mir von Senti-nelles erzählt hat; so hat mich Sentinel-les gleich in sein Programm in Fada auf-genommen, um mich zu pflegen.

Nach der vierten Operation dachte ich, dass meine Probleme beendet wären, doch im Gegenteil, sie sind grösser gewor-den. Nach meiner Genesungszeit im Pfle-gezentrum in Fada stand ich immer noch unter Anweisungen des Arztes (keine schweren Arbeiten und Abstinenz für mindestens acht Monate). Meine Neben-

frau hat dies nicht ertragen, sie musste unseren Ehemann gegen mich aufhet-zen. Zumindest musste er mich unter dem Druck der Nebenfrau beschimpfen, seine Mutter war anwesend, doch machtlos und ich glaubte einen Moment, dass sie sogar seine Komplizin sei. Ich habe sehr unter dieser Situation gelitten bis zu dem Tag, wo er mich geschlagen hat, als ob er mich umbringen wollte. Am gleichen Tag ist mein Urin in alle Richtungen geflossen.

Sentinelles musste zwischen uns vermit-teln und ihnen erklären, wie viel ich schon unter dieser Krankheit gelitten hatte und dass ich ihre Unterstützung bräuchte, um die Kraft zum Weiterleben zu haben und dass Sentinelles alleine nichts tun könne. Diese Worte haben das Herz meines Man-nes berührt. Er hat erlaubt, dass ich zu meinem Vater zurückkehre bis zum Ablauf der Anweisungen. Ich habe noch eine wei-tere Operation gehabt und meine Gesund-heit wiedergefunden.

Heute bin ich eine der glücklichs-

ten Frauen auf der Welt, denn dank

Euch verliere ich den Urin nicht

mehr, was mir erlaubt, Freunde

zu haben, auf den Markt zu gehen,

Leute zu besuchen und nicht mehr

in den vier Wänden eingesperrt zu

bleiben und auf die Nacht zu war-

ten, um herauszukommen.

Zudem hat mir Sentinelles eine wirt-schaftliche Hilfe versprochen, sobald die Anweisungen aufgehoben sind, damit ich selbständig sein und sogar den andern helfen könne. Ich habe beschlossen, Reis zu verkaufen, um das Leben der Dorf-bewohner zu vereinfachen. Sie müssen mehrere Kilometer zurücklegen, um ihn anderswo zu kaufen.

Seitens der Gefühle möchte ich nicht mehr zu meinem Mann zurück, auch wenn die Anweisungen von Sentinelles aufgehoben sind. Ich habe zu sehr unter ihm gelitten und möchte nicht mehr mit ihm leben, damit er mich zu seiner Skla-vin macht, nur gut genug um die Felder zu bestellen und für die anderen Hausar-beiten. Ich habe zwei Töchter, die erste ist elf; sie lebt bei ihrer Tante und die jüngere ist sieben und wohnt bei ihrem Vater. Ich kann sie von Zeit zu Zeit besuchen. ■

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in Senegal ist die medizinische betreuung qualitativ sehr unausgeglichen. Senti-nelles unterstützt mittellose Familien wie diejenigen von Fatou und ndeye.

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Für qualitativ gute Pflege

Fatou gehört zu unserem Programm «Kinder als Begleiter von Blinden». Ihre Mama hat uns kürzlich angerufen, denn ihre kleine Tochter, zweieinhalb Jahre alt, hatte die ganze Nacht erbrochen und klagte über starke Schmerzen beim Bauchna-bel. Unsere Mitarbeiterin hat sie darauf notfallmässig per Taxi ins Spital von Thiès gebracht, etwas 50 km von unseren Räum-lichkeiten in Mbour entfernt. Für unsere mittellosen und wenig gebildeten Mamas ist es immer schwierig, sich in eine unbe-kannte Stadt zu begeben, alleine die nötigen Schritte des Ein-schreibens zu erledigen oder auch die richtigen Büros in einem Krankenhaus zu finden. Die Begleitung unserer Sozialarbeiterin ist da sehr nützlich bei einem ersten Kontakt im Krankenhaus.

Die Ärzte haben einen Nabelhernie diagnostiziert, aber sie ver-muten auch eine Infektion, deren Ursprung schwierig festzustel-len ist. Sie haben die Kleine übers Wochenende zur Beobachtung dort behalten. Nachdem die Infektion besiegt war, haben sie Fatous Hernie operiert. In allen Spitälern ist es die Regel, dass ein Angehöriger beim Patienten bleiben muss, um seine Mahl-zeiten zuzubereiten, ihn zu waschen und auf seine Bedürfnisse während des ganzen Krankenhausaufenthaltes zu achten.. Die Mamas haben oft Schwierigkeiten, diese Präsenz zu garantieren, denn sie müssen sich ja auch um den Rest der Familie kümmern: kochen und alle täglichen Haushaltarbeiten verrichten, die auf ihren Schultern lasten.

Die Mama von Fatou hatte glücklicherweise die Möglichkeit, ihrer Tochter beizustehen. Auch hatte die Familie Bekannte in Thiès, die sie nach der Operation aufnehmen konnten. So haben Mutter und Tochter vor Ort bleiben und somit den weiten Weg von Mbour bis Thiès für die postoperativen Kontrollen und die Verbandwechsel vermeiden können.

Der Fall von Fatou zeigt gut all die Schwierigkeiten, die

sich einer Familie stellen, die keine finanziellen Mit-

tel und keine spezielle Hilfe hat und die nicht auf ein

nahes adäquates Spital zählen kann. Heute hat Fatou

ihr Lächeln wiedergefunden und auch ihren Platz in

der Familie. Alles ist gut gegangen.

Das gerettete auge von nDeyeNdeye, ein kleines einjähriges Mädchen, ist auch von Senti-nelles betreut worden. Einen Monat nach ihrer Geburt ist eine Geschwulst im linken Augenwinkel gewachsen. Seine Mama hat gemeint, es sei ein gewöhnlicher Pickel, aber sie ist dann doch unruhig geworden, als sie sah, dass er immer grösser wurde. Ndeye wurde zum Pflegezentrum zu einer Konsultation, dann ins Spital gebracht, wo der Arzt ein Gesichtsangiom auf der Höhe des Tränenkanals diagnostizierte. Ohne Operation würde das Angiom weiter wachsen, mit dem Risiko, das Auge zu beschä-

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digen und längerfristig Blindheit herbeizuführen. Die Familie verfügte nicht über die nötigen Mittel zur Operation. Der Papa ist Wächter und die Mama bettelt, um die drei Kinder zu ernäh-ren. Die Familie hat kein eigenes Haus und die Miete für das ein-zige Zimmer, das sie bewohnen, belastet weitgehend den kleinen Lohn des Vaters. Die Mama hat darauf an alle Türen geklopft, in der Hoffnung, Hilfe zu finden; so ist sie schliesslich zu Sen-tinelles gekommen. Nachdem wir sie angehört hatten, haben wir den Ort besucht, wo sie wohnen. Nachdem wir festgestellt haben, dass es sich wirklich um eine der ärmsten Familien han-delt, haben wir beschlossen, den Fall zu übernehmen. Die kleine Ndeye ist erfolgreich operiert worden.

Wahl Des spitals Nicht nur der Zugang zu medizinischer Pflege bleibt ein quälen-des und unlösbares Problem für einen grossen Teil der senega-lesischen Bevölkerung, sondern auch die Qualität der Betreuung in den verschiedenen Strukturen des Landes ist sehr unausge-glichen. Gewisse Institutionen werden systematisch gemieden, selbst von den bescheidensten Familien, weil sie von schwerwie-genden, sogar tödlichen Situationen Kenntnis haben als Folge von medizinischen Fehlern und vagen oder fehlerhaften Diag-nosen.

Auch wir haben unsere Wahl getroffen. Die Begünstigten unse-rer Programme werden Ärzten und Pflegepersonal anvertraut, denen wir vertrauen, selbst wenn der Ort weiter entfernt ist. So gehen wir für alle chirurgischen Interventionen nach Thiès ins Spital Saint Jean de Dieutrotz der zwei Autostunden Entfernung. Dort sind die Berufsleute, mit denen wir seit vielen Jahren arbei-ten, qualifizierte Gesprächspartner. Wenn eine Intervention in ihrem Spital nicht möglich ist, werden wir zu einem anderen Spital vermittelt, normalerweise eines in Dakar.

Diese Situation ist offensichtlich nicht ideal, denn die Reisen, die zu gewissen Zeiten zahlreich sind, stellen eine zusätzliche Schwierigkeit dar, sowohl für unsere Sozialarbeiter als auch für die Familien der Kranken. Die Transportkosten sind hoch und könnten mit einem näher gelegenen Spital mit besserer Qualität vermieden werden. Die armen Familien haben oft keine andere Möglichkeit, als bei uns anzuklopfen. Wir bevorzugen immer die ärmsten Familien, die sich in einer Situation befinden, welche das Leben oder die Zukunft eines Kindes schwer beeinträchtigt. ■

DIE VErsICHErungEn, EInE kOstBarE HIlFE, aBEr…

Die Stadt Kaolack, in einer Gegend gelegen wo wir auch arbei-ten, war die erste, die eine Gesundheitsversicherung aufge-baut hat. Warum gerade diese Stadt? Weil es dort am meisten Menschen mit HIV gibt. Das Projekt wollte anfangs denjeni-gen, die an dieser Krankheit litten, den Zugang zu Pflege und Medikamenten ermöglichen. Vom Spital bis zur Apotheke übernahm diese Versicherung die Behandlung, die Medika-mente und die Folgebetreuung. Jetzt haben die Versicherun-gen ihre Uebernahme auf alle Krankheiten ausgeweitet.

Für eine breite Palette der Leistungen übernimmt der Staat 80% der Kosten und das Versicherungsmitglied zahlt 20%. Im Falle eines Spitalaufenhaltes zahlt der Staat die ersten 7 Tage zu 100%. Dann muss der Versicherte dafür aufkommen.

Die Mitgliedschaft in einer solchen Versicherung kostet 3,500 CFA (etwas weniger als CHF 7.-) pro Person und Jahr. In einem Land, wo das monatliche mittlere Einkommen ca. 80 CHF beträgt für eine Familie von 6 Personen oder oft mehr, ist die verlangte Summe am Anfang des Jahres sehr hoch. Wir dachten, wir würden die Familien, die wir unter-stützen, bei einer dieser Versicherungen anmelden, um sie dann mit der Zeit dazu zu bringen, ihre gesundheitlichen Probleme selbst in die Hand zu nehmen, indem wir ihnen anfangs helfen würden bei der Bezahlung der Prämien.

Leider müssen wir heute erkennen, dass diese Versiche-rungen nicht mehr korrekt funktionieren. Der Staat ist der grösste Schuldner geworden und hat Mühe, seinen Anteil zu bezahlen. Den Gesundheitsposten und auch den Spitälern mangelt es an Geld, und so sind sie unfähig, den Bedürnis-sen der Kranken gerecht zu werden.

Das Gesundheitssystem und der Zugang zu medizinischer Pflege für arme Familien bleiben in Senegal sehr kompli-ziert. Die wirtschaftliche Lage einer grossen Anzahl von Familien ist katastrophal und viele unter ihnen kehren daher zu traditioneller Medizin und okkulten Praktiken zurück

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Im Dezember feierte Sentinelles sein 25-jähriges Engagement im Niger mit einer eintägigen Retrospektive im Pflegezentrum von Zinder. Um diesen Geburtstag würdig zu feiern, durften wir auf die Unterstützung der traditionellen und administrativen Ver-waltungen, sowie auf die unserer Partner zählen. Im Beisein der Medien waren auch zahlreiche Erwachsene und Kinder, die an unserem Programm teilgenommen haben, präsent.Reportage.

Seit den frühen Morgenstunden sind unsere Mitarbeitenden auf den Beinen, um den Vorbereitungen für das Fest den letz-ten Schliff zu verleihen und unsere Gäste zu begrüssen. Die jun-gen Gäste und Kinder stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Gut angezogen und in aufgeräumter Stimmung tanzen sie zum Rhythmus der Musik. Die Frauen, die sich auf den Matten im Zelt niedergelassen haben, treiben sie mit ermunternden Zuru-fen an. Die Anwesenheit der filmenden Medien kreiert eine spe-zielle Atmosphäre : alle möchten gerne gefilmt werden. Es ist für alle ein Freudentag.

Ein Erzähler animiert das Fest und hat die Lacher auf seiner Seite. Gegen 09h30 trifft der Sultan von Zinder mit seinem Gefolge ein. Die Anwesenheit dieser traditionell hoch respek-tierten Persönlichkeit und ihrer Notablen bedeutet eine enorme Würdigung der Aktivitäten von Sentinelles für die von der Krank-heit gebeutelten Kinder im Niger.

Die Gäste besuchen das Empfangszentrum und entdecken eine Fotoausstellung mit Bildern von den Aktivitäten von Sentinel-les. Viele sind beeindruckt von den Kompetenzen des Zentrums und dem hohen Arbeitseinsatz des Teams zu Gunsten der an Noma erkrankten Kinder. Viele Fragen werden beantwortet und die Medien führen Interviews mit den Verantwortlichen des Zen-trums und dem Sultan durch. Die Verantwortlichen fordern die Bevölkerung und die Behörden auf, Noma zu bekämpfen und bessere Präventionsarbeit gegen die Krankheit zu leisten.

Für viele Kinder ist es ein spezieller Tag : es ist ihre erste Gele-genheit, an einem solchen Fest teilzunehmen und dies erst noch im Beisein des Sultans. Eine wahrhaftige Anerkennung auf ihr Recht zu leben.

| niGer

25 Jahre im Kampf gegen Noma

pFlege unD prävention

Das Zentrum in Zinder nimmt an Noma erkrankte Kinder in verschiedenen Stadien der Krankheit auf, sowie Personen, die vor oder nach einer Operation stehen. Seit der Eröff-nung wurden über 2,000 Kinder behandelt. Die an Noma erkrankten Kinder leiden an einer Lippen-Kiefer-Gaumen-segel-Spalte; sie erhalten mit dem Programm individuelle, medizinische und soziale Unterstützung. Das Zentrum kann bis zu 100 Bewohner aufnehmen; in der Regel wohnen zwi-schen 20 und 50 Patienten mit ihren Begleitpersonen vor Ort. Weitere Schwerpunkte der Arbeit von Sentinelles sind die Öffentlichkeitsarbeit und die Früherkenung von Noma.

Les Cerisiers, route de Cery CH -1008 Prilly / Lausanne (Suisse) Tel. +41 21 646 19 [email protected] www.sentinelles.org

Postscheck-Konto: Lausanne 10 - 4497- 9 Kantonalbank Waadt, 1001 Lausanne: BIC/SWIFT BCVLCH2LXXX Schweizer Franken Konto : IBAN CH12 0076 7000 S045 9154 0 Euro Konto : IBAN CH14 0076 7000 t511 2794 9

Auflage: 35.000 Exemplare (fr/de/eng)Abonnement: CHF 20.–/J (sechs Ausgaben) Verleger: SentinellesLayout: Mathias Regamey Druck: PCL Presses Centrales SA