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Nr. 263 Politik Freitag, 10. November 1989 Namen und Nachrichten Engholm als Teil Anläßlich seines 50. Geburtsta- gab Schleswig-Holsteins ges Min inisterpräsident Björn Eng- holm (SPD) gestern einen Emp- fang im Kieler Landeshaus. Ein Parteigenosse schenkte . Eng- holm einen rot-grünen Apfel; den sich der Landeschef nach Wilhelm-Tell-Art spontan auf den Kopf legte. SPD für Tempo 120 In einem Antrag an den Bundes- tag fordert die SPD-Bundestag- fraktion Geschwindigkeitsbe- grenzungen von 120 km/h auf Autobahnen, von 90 km/h auf Bundesstraßen und von 50 be- ziehungsweise 30 km/h auf Ortsstraßen. Dadurch würden nach Ansicht der Opposition die Verkehrssicherheit erhöht, die Luftverschmutzung verringert und Energie gespart werden. Die Forderung entspricht einem Vorschlag der EG-Komission. Widerruf zu Ordnungsruf Der Vizepräsident des Deut- schen Bundestages, Dieter-Juli- us Cronenberg, hat einen Ord- nungsruf, den er dem CDU-Ab- geordneten Wilfried Böhm wäh- rend der Plenarsitzung vom 26. . Oktober erteilt hatte, aus forma^ , len Gründen zurückgezogen. Böhm hatte der SPD vorgewor- fen, sie koaliere mit „Mauern- ,- mördern". Sein ZwischenruHje- zog sich auf die SPD/DKP-Koali- tion im südhessischen Langen- selbold. Ost geht in den Bergbau Friedhelm Ost (Bild), ehemaliger Regierungs- sprecher, wird zum 1. Januar des kommen- den Jahres ei- ner der Haupt- geschäftsführer der Wirt- schaftsvereini- gung Bergbau in Bonn. Im Juli soll Ost die Nachfolge von Karl-Heinrich Jakob antreten. Der Ex-Regie- rungssprecher ist dann neben Harald Kliebhan der zweite Hauptgeschäftsführer des Spit- zenvefbandes. Özal will EG-Beitritt Als wichtigstes Ziel seines Lan- des hat der neue türkische Staatspräsident Turgut Özal am Donnerstag den Beitritt der Tür- kei zu Europäi- schen Gemein- schaft (EG) be- zeichnet. Zuvor | war der frühere Ministerpräsi- | dent vor dem J Parlament, in Ankara vereidigt worden. Özals Vorgänger, General Evren - er hatte 1980 den Militärputsch in der Türkei angeführt - schied nach sieben Jahren aus. Raketen unterm Hammer Die UdSSR will einen Teil ihrer aufgrund der Abrüstungsverträ- ge ausrangierten Militärausrü- stungen, wie Raketenlafetten, Funkgeräte und Teile der ver- schrotteten atomaren Mittel- streckenraketen, zugunsten wohltätiger Zwecke verkaufen. Am 28. November werde im Moskauer Sokolniki-Park eine Ausstellung eröffnet, bei der sich Interessenten informieren können, teilte ein Sprecher mit. Reformgesetze zur Alterssicherung verabschiedet Blüm: Eine historische Stunde Bonn (dpa). Als „historische Stunde für das Parlament und für die Rentenversicherung" hat Bundesarbeitsminister Blüm (CDU) gestern die Verabschie- dung der Reformgesetze zur Rentenversicherung und Beam- tenversorgung bezeichnet. Red- ner van Regierungskoalition und SPD-ppposition> hoben in der fünfstündigen Debatte die Ge- meinsamkeit bei dem Reform- werk hervor. , Mit den Gesetzen, die zum großen Teil zum 1. Januar 1992 in Kraft treten, sollen vor allem die sich, aus: dem wachsenden Anteil. alter Menschen an der Gesellschaft ergebenden Fihanz- probleme der Alterskassen ge- löst werden. Die Regelalters- grenze für Renten wird ebenso wie für Pensionen nach 2001 schrittweise auf 65 Jahre herauf- gesetzt. Die Beiträge und der Bundeszuschuß zur Rentenver- sicherung werden mittelfristig steigen. Die Renten werden künftig schwächer erhöht. Be- amte können die Höchstversor- gung von 75, Prozent künftig erst nach 40 statt bisher nach 35 Jah- ren erreichen. Künftig sollen bei der Alterssicherung drei Kinder- erziehungsjahre angerechnet werden. Beamte und Rentner er- halten monatlich denselben Be- trag. Abgeordnete sollen ihre Höchstverso'rgung von 75 Pro- zent künftig zwei Jahre später und damit nach 18 Jahren erhal- ten. Bei der Abstimmung votierten die Grünen gegen die Gesetze, Einzelheiten der Reformgesetze finden Sie auf der Wirtschaftsseite. weil sie sie für sozial unausge- wogen halten. Bei den Sozialde- mokraten gab es 17 Enthaltun- gen, ein FDP-Abgeordneter stimmte gegen das Gesetz. Während der Debatte äußer- ten Redner der am Kompromiß beteiligten Parteien die Über- zeugung, die Reform werde bis weit ins nächste Jahrtausend eine verläßliche Grundlage bil- den. Blüm hob hervor, es sei „keine Rentenrevolution" ge- macht worden. Bewährtes wer- de erhalten, Neues eingeführt. D.reßler räumte ein, mit der Reform seien nicht alle Proble- me der Rentenversicherung ge- löst. Als Aufgabe für die 90er Jahre blieben vor allem die Ein- führung einer sozialen Grundsi- cherung und eines Wertschöp- fungsbeitrages. Renate Schmidt (SPD) kritisierte, daß Kinderer- ziehungszeiten bei der Rente weiterhin dann nicht angerech- net werden, wenn die Eltern nach der Geburt des Kindes er- werbstätig bleiben. Sie lastete diese Regelung vor allem Blüm an. Der wies diesen Vorwurf er- regt zurück: „Ich verbitte mir, mich in der deutschen Öffent- lichkeit als Frauenfeind hinzu- stellen". Die Grünen erklärten, die vorliegende Reform sei „unter dem Strich mehr ein Spargesetz" als eine Strukturreform. Die von ihnen geforderte Verschiebung sei möglich, da durch den star- ken Zustrom von Über- und Aussiedlern eine wesentlich günstigere Finanzlage der Al- terskassen zu erwarten sei. Die Redner der anderen Parteien meinten dagegen, die finanziel- len Auswirkungen des Zu- stroms seien noch nicht abzu- schätzen. Lufthansa-Chef: „Inlandsflüge einstellen" Düsseldorf (AP). Der Vorsit- zende der Deutschen Lufthansa, Heinz Ruhnau, hat sich für eine Einstellung von Inlandsflügen und für deren Ersatz durch Bo- denverkehrsmittel ausgespro- chen. Dies sei angesichts des überlasteten Luftraumes ein Ge- bot der Stunde, erklärte Ruhnau auf einer Veranstaltung der nordrhein-westfälischen SPD. . Ein Lufthansa-Sprecher prä- zisierte, die Gesellschaft setze sich vor allem für die Einstel- lung von Inlandsflügen auf ex- trem kurzen Strecken ein. Als Beispiel nannte er die Verbin- dungen Nürnberg - Frankfurt oder Stuttgart Frankfurt. Nach SPD-Angaben plädierte Ruhnau gleichzeitig für den Ausbau der internationalen Flughäfen in der Bundesrepublik. Die deutschen Luftverkehrsunternehmen könnten nur konkurrenzfähig bleiben, wenn ihre Interkonti- nentalflüge ausgelastet seien. Gentechnikgesetz Kabinett ergänzt Entwurf Bonn (dpa). Der Bundestag wird in der nächsten Woche das Gentechnikgesetz in erster Le- sung beraten, das den rechtli- chen Rahmen für die weitere Forschung und Nutzung dieser Technik schaffen soll. Dies kün- digte gestern der forschungspo- litische Sprecher der CDU/- CSU-Fraktion, Christian Lenzer an. Der hessische Verwaltungs- gerichtshof hatte einen Tag zu- vor die geplante Großproduk- tion von Humaninsuliii bei Hoechst .in Frankfurt mit dem Hinweis auf die fehlende bun- desgesetzliche Regelung ge- stoppt. Das Kabinett übernahm gestern eine Reihe von Vor- schlägen des Bundesrates: So sollen Errichtung und Betrieb einer gentechnischen Aanlage nur einer Genehmigung mit Öf- fentlichkeitsbeteiligung unter- liegen. Sie soll'auch andere Zu- stimmungen z.B. nach dem Wasserrecht einschließen. Diätenerhöhung 2,3 % mehr Geld für Abgeordnete Bonn (dpa). Gegen die Stim- men der Grünen haben die Bun- destagsabgeordneten ihre Ge- hälter und Aufwandsentschädi- gungen am gestern rückwirkend zum 1. Juli um 2,3 Prozent er- höht. Die Diäten steigen somit von 9013 auf 9221 Mark brutto im Monat, die steuerfreie Auf- wandsentschädigung erhöht sich von 5155 auf 5274 Mark. EINE „DEUTSCHE PERESTROIKA" strebe der neue Staats- und Parteichef der DDR, Krenz, an. Das attestierte der stellvertretende SPD-Vorsitzende und nordrhein-westfälische Ministerpräsident Rau (rechts) gestern dem Honecker-Nachfolger nach einem, ein- stundigen Gespräch in Ost-Berlin. Am Abend reiste Rau Sach Leipzig, wo er eine zweiwöchige Kulturpräsentation Nordrhein- Westfalens eröffnete. Die Kulturschau mit über 1000 Mitwirken- den ist die bislang größte Veranstaltung der Bundesrepublik dieser Art in der DDR. Unser Foto zeigt in der Mitte DDR-Kulturminister Hoffmann. (dpa-Funkbild) DDR / Ankündigung von freien Wahlen Schabowski: Wollen mit allen reden Fortsetzung Politisches Tagesgespräch war gestern in der DDR die An- kündigung von Staats- und Par- teichef Krenz, ein „neues Wahl- gesetz" zu verabschieden, das freie, allgemeine, demokratische und geheime Wahlen gewähr- leiste. Schabowski erklärte auf die Frage, ob die SED sich für Wahlen wie in Polen eine be- stimmte Zahl von Sitzen im Par- lament reservieren lassen oder den ungarischen Weg einschla- gen wolle, wo alle Parteien die gleichen Rechte haben, die DDR müsse „ihre eigene Praxis finden und definieren". Ein Datum für Neuwahlen stehe noch nicht fest. Die SED sei für eine plurali- stische Meinungsgesellschaft und werde mit allen relevanten gesellschaftlichen Kräften und der Volksbewegung, die alles in Gang gesetzt habe, reden. Aus- drücklich erwähnte er das Neue Forum. Die SED verfüge über langjäh- rige Koalitionsbeziehungen und werde den demokratischen Weg zur Erarbeitung des Wahlgeset- zes einschlagen. Dabei werde man „alle Varianten zur Bestim- mung der SED durchspielen". Schabowski schloß aus, daß bei einem Andauern der Flücht- lingswelle eine Viermächte- Konferenz erforderlich werden könnte. Das Hauptvorstands- mitglied der DDR-CDU, Win- fried Wölk, forderte die Strei- chung des SED-Führungsan- spruches aus der DDR-Verfas- sung. Die Mitinitiatorin der Bür- gerinitiative Neues Forum, Bär- bel Bohley, glaubte nicht an den Willen der SED, freie Wahlen einzuführen. „Das hätte sie schon längst haben können", sagte Frau Bohley in Ost-Berlin. Das Neue Forum, das jetzt mit Gründungsverhandlungen be- ginne, werde versuchen, als Or- ganisation an den nächsten Volkskammerwahlen teilzuneh- men. Einen Tag nach der Wahl in das neue SED-Politbüro wurde Hans-Joachim Böhme (59) als SED-Bezirkschef von Halle von den örtlichen Gremien mit gro- ßer Mehrheit abgewählt. Eine Entscheidung darüber, ob Böh- me nun im Politbüro bleiben könne, kündigte Schabowski für heute an. Anders verhalte es sich bei dem gestern von seiner Funktion als Erster Sekretär der Bezirksleitung Cottbus entbun- denen Werner Walde, der Kan- didat des Politbüros ist. Er sei auf eigenen Wunsch zurückge- treten. Als dritter Oberbürger- meister in der DDR trat nach 18jähriger Amtszeit in Stral- sund Horst Lehmann zurück. China / Militärchef Generalbundesanwalt KP-Chef Jiang Anklage gegen folgt auf Deng Palästinenser Peking (dpa). Chinas führen- der Politiker Deng Xiaoping ist von seinem letzten hohen Amt in der Kommunistischen Partei Chinas, dem Vorsitz der Zentra- len Militärkommission, zurück- getreten. Nachfolger des 85jäh- rigen Deng ist KP-Chef Jiang Zemin (63). Deng hatte laut der chinesischen Nachrichtenagen- tur Xinhua formell seinen Rück- tritt eingereicht, der von der am Donnerstag in Peking beendeten ZK-Plenarsitzung nach „gewis- senhaften Diskussionen" gebil- ligt worden sei. Der Vorsitz in der Militär- kommission, der faktisch den Oberbefehl über die chinesi- schen Streitkräfte bedeutet, gilt als die entscheidende Schlüssel- position im chinesischen Machtgefüge. Der 82jährige Staatspräsident Yang Shangkun wurde Stellvertreter Jiangs. Angeblich hatte er sich auch um den Vorsitz beworben. Beobachter erwarten, daß Deng auch nach seinem Rück- tritt die dominierende Kraft in Peking und eine Art „Schieds- richter" zwischen Konservati- ven und Reformern bleiben wird. Im Rücktrittsschreiben wird kein konkreter Grund für den Rückzug genannt, sondern allgemein von „gesundheitli- chen Gründen" gesprochen. Besuch in Polen Karlsruhe/Frankfurt (dpa/AP). Wegen des Verdachts des zwei- fachen gemeinschaftlich ver- suchten Mordes und weiterer Straftaten hat Generalbundes- anwalt Rebmann gegen zwei mutmaßliche Mitglieder der ter- roristischen Vereinigung „Volksfront für die Befreiung Palästinas - Generalkomman- do" (PFLP-GC) Anklage erho- ben. Die beiden Angeschuldig- ten Hafez Kassem Dalkamoni (45) und Abdel Fattah Ghadan- far (48) befinden sich seit dem 27. Oktober 1988 in Frankfurt in Untersuchungshaft. Im Zuge einer größeren Poli- zeiaktion waren im Herbst 1988 in deren Frankfurter Wohnung Sprengmittel und Bomben ge- funden worden. Beim Entschärfen einer dieser Bomben ist ein Kriminalbeamter getötet und ein weiterer lebens- gefährlich verletzt worden. Den Angeklagten wird außerdem vorgeworfen, am 31. August 1987 und am 26. April 1988 in Hedemünden (Kreis Göttingen) zwei Sprengstoffanschläge auf US-Militärtransportzüge. mit dem Ziel verübt zu haben, mög- lichst viele US-Bürger zu töten oder zu verletzen. Bei den Ak- tionen war eine' Deutsche ver- letzt worden und erheblicher Sachschaden entstanden. Kohl bekräftigt Bonner Position zur Westgrenze Warschau (dpa). Am Abend seines ersten Besuchstages in Polen betonten Bundeskanzler Kohl wie auch Regierungschef Mazowiecki die Bedeutung der deutsch-polnischen Aussöh- nung für Europa. In Tischreden während eines Banketts verwie- sen sie auf die Reformbewegun- gen in Ost- und Mitteleuropa und bekräftigten den Willen, ei- nen Durchbruch zu erzielen. Mazowiecki unterstrich, daß in der Frage der Oder-Neiße- Grenze alle Polen zusammen- stünden. „Es geht um die grund- sätzlichsten nationalen Interes- sen: das Recht auf ein Leben in gesicherten.von niemandem be- strittenen Grenzen." Er fuhr fort: „Ausgehend von der Aner- kennung der Oder-Neiße-Gren- ze als westliche Grenze Polens" habe der Vertrag von 1970 die „unentbehrliche Grundlage für die Entwicklung der Beziehun- gen zwischen unseren beiden Staaten" geschaffen. Kohl wiederholte zur Oder- Neiße-Grenze Formulierungen aus seiner Erklärung zur Lage der Nation vom Vortag: „Wir können und wir wollen keine Rechtspositionen verändern." Zu den Grundlagen der Deutschlandpolitik gehöre „das Festhalten an Buchstaben und Geäst des Warschauer Vertra- ges in allen seinen Teilen". Je- der wisse, „daß wir noch keinen Friedensvertrag haben": Beide Politiker sprachen das Problem der deutschen Minder- heit in Polen an. Mazowiecki gab ,zu, „daß Vernachlässigun- gen im Zugang zur ... deutschen Kultur für jene, die sich zu die- ser Tradition bekennen", nach- zuholen seien. Gleichzeitig dür- fe man aber auch die „humanitä- re Frage" der Entschädigung für Kriegsopfer und Zwangsarbei- ter nicht vernachlässigen. Siehe auch Kommentar Bevölkerung / Paritätischer Wohlfahrtsverband: „Zehn Prozent sind arm" Bonn (dpa/epd). Mindestens zehn Prozent der bundesdeut- schen Bevölkerung ist nach dem gestern in Bonn vorge- stellten ersten Armutsbericht des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DPWV) arm. Das sind mehr als sechs Millionen Menschen. Das läßt sich nach Ansicht des DPWV vor allem an der Zahl der Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfänger so- wie an der Zunahme von Räu- mungsklagen ablesen; aber auch an den Lebönsumständen alter oder kranker Menschen. Die Zahl der Sozialhilfeemp- fänger ist seit 1980 um über 46 Prozent auf mehr als drei Mil- lionen Menschen gestiegen. Der Verband forderte die Einführung einer Armutsbe- richterstattung in der Bundes- republik wie in Frankreich oder der Schweiz. HESSISCHE/NIEDERSÄCHSISCHE ALLGEMEINE Herausgeber Rainer Dierichs, Dr. Dietrich Batz, Achim von Roos Chefredakteur Lothar Orzechowski Stellv. Chefredakteure Wolfgang Rossbach, Peter M. Zitzmann Verantwortliche Redakteure Chef vom Dienst: Rainer Merforth. Politik: Jochen Prater. Blick in die Zeit: Walter Schütz. Wirtschaft und Sozialpolitik: Horst Seidenfaden. Kultur: Dirk Schwarze. Frau u. Reise: Ilse Methe-Huber. Sport: Rolf Wie- semann. Sonntagszeit: Frank Thonicke. Kassel Stadt und Land: Wolfgang Ross- bach. Bezirksredaktionen: Peter M. Zitz- mann. Koordination: Helmut Lehnart. Hes- sen/Niedersachsen: Eberhard Heinemann. Chefreporter: Karl-Hermann Huhn. Son- derthemen: Peter Ochs. Redaktion Wiesbaden: Rolf Effenberger. Redaktion Hannover: Harald Birkenbeul. Redaktion Bonn: Hans Ludwig Laucht. Verlagsleitung Dr. Dietrich Batz, Rainer Dierichs, Wigbert H. Schacht. Anzeigenleiter: Horst Prehm. Vertriebsleiter. Gerd Lühring. Verlag Dierichs GmbH & Co KG, Frankfur- ter Str. 168, Postfach 10 10 09, 3500 Kas- sel, Ruf 05 61 / 20 3-0. Tel. Anzeigenan- nahme 05 61 / 20 3-3. Fernschreib-Nr. 99 635. Telekopierer 05 61 /20 36. Teletex 5 618110. Postgirokonto 155132-608 Frankfurt/M. Anzeigenpreisliste Nr. 29. Mo- natlicher Abonnementspreis DM 25,60 inkl. 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Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

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20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer haben wir für Sie Zeitungsseiten aus den Ausgaben der HNA vor und nach dem Mauerfall 1989 zusammengetragen.

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Page 1: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 263 Politik Freitag, 10. November 1989

Namen undNachrichten

Engholm als TeilAnläßlich seines 50. Geburtsta-

gab Schleswig-HolsteinsgesMin

inisterpräsident Björn Eng-holm (SPD) gestern einen Emp-fang im Kieler Landeshaus. EinParteigenosse schenkte . Eng-holm einen rot-grünen Apfel;den sich der Landeschef nachWilhelm-Tell-Art spontan aufden Kopf legte.

SPD für Tempo 120In einem Antrag an den Bundes-tag fordert die SPD-Bundestag-fraktion Geschwindigkeitsbe-grenzungen von 120 km/h aufAutobahnen, von 90 km/h aufBundesstraßen und von 50 be-ziehungsweise 30 km/h aufOrtsstraßen. Dadurch würdennach Ansicht der Opposition dieVerkehrssicherheit erhöht, dieLuftverschmutzung verringertund Energie gespart werden.Die Forderung entspricht einemVorschlag der EG-Komission.

Widerruf zu OrdnungsrufDer Vizepräsident des Deut-schen Bundestages, Dieter-Juli-us Cronenberg, hat einen Ord-nungsruf, den er dem CDU-Ab-geordneten Wilfried Böhm wäh-rend der Plenarsitzung vom 26.

. Oktober erteilt hatte, aus forma^, len Gründen zurückgezogen.

Böhm hatte der SPD vorgewor-fen, sie koaliere mit „Mauern-

,- mördern". Sein ZwischenruHje-zog sich auf die SPD/DKP-Koali-tion im südhessischen Langen-selbold.

Ost geht in den BergbauFriedhelm Ost (Bild), ehemaligerRegierungs-sprecher, wirdzum 1. Januardes kommen-den Jahres ei-ner der Haupt-geschäftsführerder Wirt-schaftsvereini-gung Bergbauin Bonn. Im Julisoll Ost dieNachfolge vonKarl-HeinrichJakob antreten. Der Ex-Regie-rungssprecher ist dann nebenHarald Kliebhan der zweiteHauptgeschäftsführer des Spit-zenvefbandes.

Özal will EG-BeitrittAls wichtigstes Ziel seines Lan-

des hat derneue türkischeStaatspräsidentTurgut Özal amDonnerstag denBeitritt der Tür-kei zu Europäi-schen Gemein-schaft (EG) be-zeichnet. Zuvor

| war der frühereMinisterpräsi-

| dent vor demJ Parlament, in

Ankara vereidigt worden. ÖzalsVorgänger, General Evren - erhatte 1980 den Militärputsch inder Türkei angeführt - schiednach sieben Jahren aus.

Raketen unterm HammerDie UdSSR will einen Teil ihreraufgrund der Abrüstungsverträ-ge ausrangierten Militärausrü-stungen, wie Raketenlafetten,Funkgeräte und Teile der ver-schrotteten atomaren Mittel-streckenraketen, zugunstenwohltätiger Zwecke verkaufen.Am 28. November werde imMoskauer Sokolniki-Park eineAusstellung eröffnet, bei dersich Interessenten informierenkönnen, teilte ein Sprecher mit.

Reformgesetze zur Alterssicherung verabschiedet

Blüm: Eine historische StundeBonn (dpa). Als „historische

Stunde für das Parlament und fürdie Rentenversicherung" hatBundesarbeitsminister Blüm(CDU) gestern die Verabschie-dung der Reformgesetze zurRentenversicherung und Beam-tenversorgung bezeichnet. Red-ner van Regierungskoalition undSPD-ppposition> hoben in derfünfstündigen Debatte die Ge-meinsamkeit bei dem Reform-werk hervor. , •

Mit den Gesetzen, die zumgroßen Teil zum 1. Januar 1992in Kraft treten, sollen vor allemdie sich, aus: dem wachsendenAnteil. alter Menschen an derGesellschaft ergebenden Fihanz-probleme der Alterskassen ge-löst werden. Die Regelalters-grenze für Renten wird ebensowie für Pensionen nach 2001schrittweise auf 65 Jahre herauf-gesetzt. Die Beiträge und derBundeszuschuß zur Rentenver-sicherung werden mittelfristigsteigen. Die Renten werdenkünftig schwächer erhöht. Be-amte können die Höchstversor-gung von 75, Prozent künftig erstnach 40 statt bisher nach 35 Jah-ren erreichen. Künftig sollen bei

der Alterssicherung drei Kinder-erziehungsjahre angerechnetwerden. Beamte und Rentner er-halten monatlich denselben Be-trag. Abgeordnete sollen ihreHöchstverso'rgung von 75 Pro-zent künftig zwei Jahre späterund damit nach 18 Jahren erhal-ten.

Bei der Abstimmung votiertendie Grünen gegen die Gesetze,

Einzelheiten der Reformgesetzefinden Sie auf der Wirtschaftsseite.

• weil sie sie für sozial unausge-wogen halten. Bei den Sozialde-mokraten gab es 17 Enthaltun-gen, ein FDP-Abgeordneterstimmte gegen das Gesetz.

Während der Debatte äußer-ten Redner der am Kompromißbeteiligten Parteien die Über-zeugung, die Reform werde bisweit ins nächste Jahrtausendeine verläßliche Grundlage bil-den. Blüm hob hervor, es sei„keine Rentenrevolution" ge-macht worden. Bewährtes wer-de erhalten, Neues eingeführt.

D.reßler räumte ein, mit derReform seien nicht alle Proble-

me der Rentenversicherung ge-löst. Als Aufgabe für die 90erJahre blieben vor allem die Ein-führung einer sozialen Grundsi-cherung und eines Wertschöp-fungsbeitrages. Renate Schmidt(SPD) kritisierte, daß Kinderer-ziehungszeiten bei der Renteweiterhin dann nicht angerech-net werden, wenn die Elternnach der Geburt des Kindes er-werbstätig bleiben. Sie lastetediese Regelung vor allem Blüman. Der wies diesen Vorwurf er-regt zurück: „Ich verbitte mir,mich in der deutschen Öffent-lichkeit als Frauenfeind hinzu-stellen".

Die Grünen erklärten, dievorliegende Reform sei „unterdem Strich mehr ein Spargesetz"als eine Strukturreform. Die vonihnen geforderte Verschiebungsei möglich, da durch den star-ken Zustrom von Über- undAussiedlern eine wesentlichgünstigere Finanzlage der Al-terskassen zu erwarten sei. DieRedner der anderen Parteienmeinten dagegen, die finanziel-len Auswirkungen des Zu-stroms seien noch nicht abzu-schätzen.

Lufthansa-Chef:

„Inlandsflügeeinstellen"

Düsseldorf (AP). Der Vorsit-zende der Deutschen Lufthansa,Heinz Ruhnau, hat sich für eineEinstellung von Inlandsflügenund für deren Ersatz durch Bo-denverkehrsmittel ausgespro-chen. Dies sei angesichts desüberlasteten Luftraumes ein Ge-bot der Stunde, erklärte Ruhnauauf einer Veranstaltung dernordrhein-westfälischen SPD. .

Ein Lufthansa-Sprecher prä-zisierte, die Gesellschaft setzesich vor allem für die Einstel-lung von Inlandsflügen auf ex-trem kurzen Strecken ein. AlsBeispiel nannte er die Verbin-dungen Nürnberg - Frankfurtoder Stuttgart -» Frankfurt. NachSPD-Angaben plädierte Ruhnaugleichzeitig für den Ausbau derinternationalen Flughäfen in derBundesrepublik. Die deutschenLuftverkehrsunternehmenkönnten nur konkurrenzfähigbleiben, wenn ihre Interkonti-nentalflüge ausgelastet seien.

Gentechnikgesetz

Kabinettergänzt Entwurf

Bonn (dpa). Der Bundestagwird in der nächsten Woche dasGentechnikgesetz in erster Le-sung beraten, das den rechtli-chen Rahmen für die weitereForschung und Nutzung dieserTechnik schaffen soll. Dies kün-digte gestern der forschungspo-litische Sprecher der CDU/-CSU-Fraktion, Christian Lenzeran. Der hessische Verwaltungs-gerichtshof hatte einen Tag zu-vor die geplante Großproduk-tion von Humaninsuliii beiHoechst .in Frankfurt mit demHinweis auf die fehlende bun-desgesetzliche Regelung ge-stoppt. Das Kabinett übernahmgestern eine Reihe von Vor-schlägen des Bundesrates: Sosollen Errichtung und Betriebeiner gentechnischen Aanlagenur einer Genehmigung mit Öf-fentlichkeitsbeteiligung unter-liegen. Sie soll'auch andere Zu-stimmungen z.B. nach demWasserrecht einschließen.

Diätenerhöhung

2,3 % mehr Geldfür Abgeordnete

Bonn (dpa). Gegen die Stim-men der Grünen haben die Bun-destagsabgeordneten ihre Ge-hälter und Aufwandsentschädi-gungen am gestern rückwirkendzum 1. Juli um 2,3 Prozent er-höht. Die Diäten steigen somitvon 9013 auf 9221 Mark bruttoim Monat, die steuerfreie Auf-wandsentschädigung erhöhtsich von 5155 auf 5274 Mark.

EINE „DEUTSCHE PERESTROIKA" strebe der neue Staats- undParteichef der DDR, Krenz, an. Das attestierte der stellvertretendeSPD-Vorsitzende und nordrhein-westfälische MinisterpräsidentRau (rechts) gestern dem Honecker-Nachfolger nach einem, ein-stundigen Gespräch in Ost-Berlin. Am Abend reiste Rau SachLeipzig, wo er eine zweiwöchige Kulturpräsentation Nordrhein-Westfalens eröffnete. Die Kulturschau mit über 1000 Mitwirken-den ist die bislang größte Veranstaltung der Bundesrepublik dieserArt in der DDR. Unser Foto zeigt in der Mitte DDR-KulturministerHoffmann. (dpa-Funkbild)

DDR / Ankündigung von freien Wahlen

Schabowski: Wollenmit allen redenFortsetzung

Politisches Tagesgesprächwar gestern in der DDR die An-kündigung von Staats- und Par-teichef Krenz, ein „neues Wahl-gesetz" zu verabschieden, dasfreie, allgemeine, demokratischeund geheime Wahlen gewähr-leiste. Schabowski erklärte aufdie Frage, ob die SED sich fürWahlen wie in Polen eine be-stimmte Zahl von Sitzen im Par-lament reservieren lassen oderden ungarischen Weg einschla-gen wolle, wo alle Parteien diegleichen Rechte haben, die DDRmüsse „ihre eigene Praxis findenund definieren". Ein Datum fürNeuwahlen stehe noch nichtfest. Die SED sei für eine plurali-stische Meinungsgesellschaftund werde mit allen relevantengesellschaftlichen Kräften undder Volksbewegung, die alles inGang gesetzt habe, reden. Aus-drücklich erwähnte er das NeueForum.

Die SED verfüge über langjäh-rige Koalitionsbeziehungen undwerde den demokratischen Wegzur Erarbeitung des Wahlgeset-zes einschlagen. Dabei werdeman „alle Varianten zur Bestim-mung der SED durchspielen".

Schabowski schloß aus, daßbei einem Andauern der Flücht-lingswelle eine Viermächte-Konferenz erforderlich werden

könnte. Das Hauptvorstands-mitglied der DDR-CDU, Win-fried Wölk, forderte die Strei-chung des SED-Führungsan-spruches aus der DDR-Verfas-sung. Die Mitinitiatorin der Bür-gerinitiative Neues Forum, Bär-bel Bohley, glaubte nicht an denWillen der SED, freie Wahleneinzuführen. „Das hätte sieschon längst haben können",sagte Frau Bohley in Ost-Berlin.Das Neue Forum, das jetzt mitGründungsverhandlungen be-ginne, werde versuchen, als Or-ganisation an den nächstenVolkskammerwahlen teilzuneh-men.

Einen Tag nach der Wahl indas neue SED-Politbüro wurdeHans-Joachim Böhme (59) alsSED-Bezirkschef von Halle vonden örtlichen Gremien mit gro-ßer Mehrheit abgewählt. EineEntscheidung darüber, ob Böh-me nun im Politbüro bleibenkönne, kündigte Schabowski fürheute an. Anders verhalte essich bei dem gestern von seinerFunktion als Erster Sekretär derBezirksleitung Cottbus entbun-denen Werner Walde, der Kan-didat des Politbüros ist. Er seiauf eigenen Wunsch zurückge-treten. Als dritter Oberbürger-meister in der DDR trat nach18jähriger Amtszeit in Stral-sund Horst Lehmann zurück.

China / Militärchef Generalbundesanwalt

KP-Chef Jiang Anklage gegenfolgt auf Deng Palästinenser

Peking (dpa). Chinas führen-der Politiker Deng Xiaoping istvon seinem letzten hohen Amtin der Kommunistischen ParteiChinas, dem Vorsitz der Zentra-len Militärkommission, zurück-getreten. Nachfolger des 85jäh-rigen Deng ist KP-Chef JiangZemin (63). Deng hatte laut derchinesischen Nachrichtenagen-tur Xinhua formell seinen Rück-tritt eingereicht, der von der amDonnerstag in Peking beendetenZK-Plenarsitzung nach „gewis-senhaften Diskussionen" gebil-ligt worden sei.

Der Vorsitz in der Militär-kommission, der faktisch denOberbefehl über die chinesi-schen Streitkräfte bedeutet, giltals die entscheidende Schlüssel-position im chinesischenMachtgefüge. Der 82jährigeStaatspräsident Yang Shangkunwurde Stellvertreter Jiangs.Angeblich hatte er sich auch umden Vorsitz beworben.

Beobachter erwarten, daßDeng auch nach seinem Rück-tritt die dominierende Kraft inPeking und eine Art „Schieds-richter" zwischen Konservati-ven und Reformern bleibenwird. Im Rücktrittsschreibenwird kein konkreter Grund fürden Rückzug genannt, sondernallgemein von „gesundheitli-chen Gründen" gesprochen.

Besuch in Polen

Karlsruhe/Frankfurt (dpa/AP).Wegen des Verdachts des zwei-fachen gemeinschaftlich ver-suchten Mordes und weitererStraftaten hat Generalbundes-anwalt Rebmann gegen zweimutmaßliche Mitglieder der ter-roristischen Vereinigung„Volksfront für die BefreiungPalästinas - Generalkomman-do" (PFLP-GC) Anklage erho-ben. Die beiden Angeschuldig-ten Hafez Kassem Dalkamoni(45) und Abdel Fattah Ghadan-far (48) befinden sich seit dem27. Oktober 1988 in Frankfurt inUntersuchungshaft.

Im Zuge einer größeren Poli-zeiaktion waren im Herbst 1988in deren Frankfurter WohnungSprengmittel und Bomben ge-funden worden.

Beim Entschärfen einer dieserBomben ist ein Kriminalbeamtergetötet und ein weiterer lebens-gefährlich verletzt worden. DenAngeklagten wird außerdemvorgeworfen, am 31. August1987 und am 26. April 1988 inHedemünden (Kreis Göttingen)zwei Sprengstoffanschläge aufUS-Militärtransportzüge. mitdem Ziel verübt zu haben, mög-lichst viele US-Bürger zu tötenoder zu verletzen. Bei den Ak-tionen war eine' Deutsche ver-letzt worden und erheblicherSachschaden entstanden.

Kohl bekräftigt BonnerPosition zur Westgrenze

Warschau (dpa). Am Abendseines ersten Besuchstages inPolen betonten BundeskanzlerKohl wie auch RegierungschefMazowiecki die Bedeutung derdeutsch-polnischen Aussöh-nung für Europa. In Tischredenwährend eines Banketts verwie-sen sie auf die Reformbewegun-gen in Ost- und Mitteleuropaund bekräftigten den Willen, ei-nen Durchbruch zu erzielen.

Mazowiecki unterstrich, daßin der Frage der Oder-Neiße-Grenze alle Polen zusammen-stünden. „Es geht um die grund-sätzlichsten nationalen Interes-sen: das Recht auf ein Leben ingesicherten.von niemandem be-strittenen Grenzen." Er fuhrfort: „Ausgehend von der Aner-kennung der Oder-Neiße-Gren-ze als westliche Grenze Polens"habe der Vertrag von 1970 die„unentbehrliche Grundlage fürdie Entwicklung der Beziehun-gen zwischen unseren beiden

Staaten" geschaffen.Kohl wiederholte zur Oder-

Neiße-Grenze Formulierungenaus seiner Erklärung zur Lageder Nation vom Vortag: „Wirkönnen und wir wollen keineRechtspositionen verändern."Zu den Grundlagen derDeutschlandpolitik gehöre „dasFesthalten an Buchstaben undGeäst des Warschauer Vertra-ges in allen seinen Teilen". Je-der wisse, „daß wir noch keinenFriedensvertrag haben": •

Beide Politiker sprachen dasProblem der deutschen Minder-heit in Polen an. Mazowieckigab ,zu, „daß Vernachlässigun-gen im Zugang zur ... deutschenKultur für jene, die sich zu die-ser Tradition bekennen", nach-zuholen seien. Gleichzeitig dür-fe man aber auch die „humanitä-re Frage" der Entschädigung fürKriegsopfer und Zwangsarbei-ter nicht vernachlässigen.Siehe auch Kommentar

Bevölkerung / Paritätischer Wohlfahrtsverband:

„Zehn Prozent sind arm"Bonn (dpa/epd). Mindestens

zehn Prozent der bundesdeut-schen Bevölkerung ist nachdem gestern in Bonn vorge-stellten ersten Armutsberichtdes Deutschen ParitätischenWohlfahrtsverbandes(DPWV) arm. Das sind mehrals sechs Millionen Menschen.

Das läßt sich nach Ansichtdes DPWV vor allem an derZahl der Langzeitarbeitslosenund Sozialhilfeempfänger so-

wie an der Zunahme von Räu-mungsklagen ablesen; aberauch an den Lebönsumständenalter oder kranker Menschen.Die Zahl der Sozialhilfeemp-fänger ist seit 1980 um über 46Prozent auf mehr als drei Mil-lionen Menschen gestiegen.

Der Verband forderte dieEinführung einer Armutsbe-richterstattung in der Bundes-republik wie in Frankreichoder der Schweiz.

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ALLGEMEINEHerausgeber

Rainer Dierichs, Dr. Dietrich Batz,Achim von Roos

ChefredakteurLothar Orzechowski

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Page 2: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 263 Politik Freitag, 10. November 1989

Namen undNachrichten

Engholm als TeilAnläßlich seines 50. Geburtsta-

gab Schleswig-HolsteinsgesMin

inisterpräsident Björn Eng-holm (SPD) gestern einen Emp-fang im Kieler Landeshaus. EinParteigenosse schenkte . Eng-holm einen rot-grünen Apfel;den sich der Landeschef nachWilhelm-Tell-Art spontan aufden Kopf legte.

SPD für Tempo 120In einem Antrag an den Bundes-tag fordert die SPD-Bundestag-fraktion Geschwindigkeitsbe-grenzungen von 120 km/h aufAutobahnen, von 90 km/h aufBundesstraßen und von 50 be-ziehungsweise 30 km/h aufOrtsstraßen. Dadurch würdennach Ansicht der Opposition dieVerkehrssicherheit erhöht, dieLuftverschmutzung verringertund Energie gespart werden.Die Forderung entspricht einemVorschlag der EG-Komission.

Widerruf zu OrdnungsrufDer Vizepräsident des Deut-schen Bundestages, Dieter-Juli-us Cronenberg, hat einen Ord-nungsruf, den er dem CDU-Ab-geordneten Wilfried Böhm wäh-rend der Plenarsitzung vom 26.

. Oktober erteilt hatte, aus forma^, len Gründen zurückgezogen.

Böhm hatte der SPD vorgewor-fen, sie koaliere mit „Mauern-

,- mördern". Sein ZwischenruHje-zog sich auf die SPD/DKP-Koali-tion im südhessischen Langen-selbold.

Ost geht in den BergbauFriedhelm Ost (Bild), ehemaligerRegierungs-sprecher, wirdzum 1. Januardes kommen-den Jahres ei-ner der Haupt-geschäftsführerder Wirt-schaftsvereini-gung Bergbauin Bonn. Im Julisoll Ost dieNachfolge vonKarl-HeinrichJakob antreten. Der Ex-Regie-rungssprecher ist dann nebenHarald Kliebhan der zweiteHauptgeschäftsführer des Spit-zenvefbandes.

Özal will EG-BeitrittAls wichtigstes Ziel seines Lan-

des hat derneue türkischeStaatspräsidentTurgut Özal amDonnerstag denBeitritt der Tür-kei zu Europäi-schen Gemein-schaft (EG) be-zeichnet. Zuvor

| war der frühereMinisterpräsi-

| dent vor demJ Parlament, in

Ankara vereidigt worden. ÖzalsVorgänger, General Evren - erhatte 1980 den Militärputsch inder Türkei angeführt - schiednach sieben Jahren aus.

Raketen unterm HammerDie UdSSR will einen Teil ihreraufgrund der Abrüstungsverträ-ge ausrangierten Militärausrü-stungen, wie Raketenlafetten,Funkgeräte und Teile der ver-schrotteten atomaren Mittel-streckenraketen, zugunstenwohltätiger Zwecke verkaufen.Am 28. November werde imMoskauer Sokolniki-Park eineAusstellung eröffnet, bei dersich Interessenten informierenkönnen, teilte ein Sprecher mit.

Reformgesetze zur Alterssicherung verabschiedet

Blüm: Eine historische StundeBonn (dpa). Als „historische

Stunde für das Parlament und fürdie Rentenversicherung" hatBundesarbeitsminister Blüm(CDU) gestern die Verabschie-dung der Reformgesetze zurRentenversicherung und Beam-tenversorgung bezeichnet. Red-ner van Regierungskoalition undSPD-ppposition> hoben in derfünfstündigen Debatte die Ge-meinsamkeit bei dem Reform-werk hervor. , •

Mit den Gesetzen, die zumgroßen Teil zum 1. Januar 1992in Kraft treten, sollen vor allemdie sich, aus: dem wachsendenAnteil. alter Menschen an derGesellschaft ergebenden Fihanz-probleme der Alterskassen ge-löst werden. Die Regelalters-grenze für Renten wird ebensowie für Pensionen nach 2001schrittweise auf 65 Jahre herauf-gesetzt. Die Beiträge und derBundeszuschuß zur Rentenver-sicherung werden mittelfristigsteigen. Die Renten werdenkünftig schwächer erhöht. Be-amte können die Höchstversor-gung von 75, Prozent künftig erstnach 40 statt bisher nach 35 Jah-ren erreichen. Künftig sollen bei

der Alterssicherung drei Kinder-erziehungsjahre angerechnetwerden. Beamte und Rentner er-halten monatlich denselben Be-trag. Abgeordnete sollen ihreHöchstverso'rgung von 75 Pro-zent künftig zwei Jahre späterund damit nach 18 Jahren erhal-ten.

Bei der Abstimmung votiertendie Grünen gegen die Gesetze,

Einzelheiten der Reformgesetzefinden Sie auf der Wirtschaftsseite.

• weil sie sie für sozial unausge-wogen halten. Bei den Sozialde-mokraten gab es 17 Enthaltun-gen, ein FDP-Abgeordneterstimmte gegen das Gesetz.

Während der Debatte äußer-ten Redner der am Kompromißbeteiligten Parteien die Über-zeugung, die Reform werde bisweit ins nächste Jahrtausendeine verläßliche Grundlage bil-den. Blüm hob hervor, es sei„keine Rentenrevolution" ge-macht worden. Bewährtes wer-de erhalten, Neues eingeführt.

D.reßler räumte ein, mit derReform seien nicht alle Proble-

me der Rentenversicherung ge-löst. Als Aufgabe für die 90erJahre blieben vor allem die Ein-führung einer sozialen Grundsi-cherung und eines Wertschöp-fungsbeitrages. Renate Schmidt(SPD) kritisierte, daß Kinderer-ziehungszeiten bei der Renteweiterhin dann nicht angerech-net werden, wenn die Elternnach der Geburt des Kindes er-werbstätig bleiben. Sie lastetediese Regelung vor allem Blüman. Der wies diesen Vorwurf er-regt zurück: „Ich verbitte mir,mich in der deutschen Öffent-lichkeit als Frauenfeind hinzu-stellen".

Die Grünen erklärten, dievorliegende Reform sei „unterdem Strich mehr ein Spargesetz"als eine Strukturreform. Die vonihnen geforderte Verschiebungsei möglich, da durch den star-ken Zustrom von Über- undAussiedlern eine wesentlichgünstigere Finanzlage der Al-terskassen zu erwarten sei. DieRedner der anderen Parteienmeinten dagegen, die finanziel-len Auswirkungen des Zu-stroms seien noch nicht abzu-schätzen.

Lufthansa-Chef:

„Inlandsflügeeinstellen"

Düsseldorf (AP). Der Vorsit-zende der Deutschen Lufthansa,Heinz Ruhnau, hat sich für eineEinstellung von Inlandsflügenund für deren Ersatz durch Bo-denverkehrsmittel ausgespro-chen. Dies sei angesichts desüberlasteten Luftraumes ein Ge-bot der Stunde, erklärte Ruhnauauf einer Veranstaltung dernordrhein-westfälischen SPD. .

Ein Lufthansa-Sprecher prä-zisierte, die Gesellschaft setzesich vor allem für die Einstel-lung von Inlandsflügen auf ex-trem kurzen Strecken ein. AlsBeispiel nannte er die Verbin-dungen Nürnberg - Frankfurtoder Stuttgart -» Frankfurt. NachSPD-Angaben plädierte Ruhnaugleichzeitig für den Ausbau derinternationalen Flughäfen in derBundesrepublik. Die deutschenLuftverkehrsunternehmenkönnten nur konkurrenzfähigbleiben, wenn ihre Interkonti-nentalflüge ausgelastet seien.

Gentechnikgesetz

Kabinettergänzt Entwurf

Bonn (dpa). Der Bundestagwird in der nächsten Woche dasGentechnikgesetz in erster Le-sung beraten, das den rechtli-chen Rahmen für die weitereForschung und Nutzung dieserTechnik schaffen soll. Dies kün-digte gestern der forschungspo-litische Sprecher der CDU/-CSU-Fraktion, Christian Lenzeran. Der hessische Verwaltungs-gerichtshof hatte einen Tag zu-vor die geplante Großproduk-tion von Humaninsuliii beiHoechst .in Frankfurt mit demHinweis auf die fehlende bun-desgesetzliche Regelung ge-stoppt. Das Kabinett übernahmgestern eine Reihe von Vor-schlägen des Bundesrates: Sosollen Errichtung und Betriebeiner gentechnischen Aanlagenur einer Genehmigung mit Öf-fentlichkeitsbeteiligung unter-liegen. Sie soll'auch andere Zu-stimmungen z.B. nach demWasserrecht einschließen.

Diätenerhöhung

2,3 % mehr Geldfür Abgeordnete

Bonn (dpa). Gegen die Stim-men der Grünen haben die Bun-destagsabgeordneten ihre Ge-hälter und Aufwandsentschädi-gungen am gestern rückwirkendzum 1. Juli um 2,3 Prozent er-höht. Die Diäten steigen somitvon 9013 auf 9221 Mark bruttoim Monat, die steuerfreie Auf-wandsentschädigung erhöhtsich von 5155 auf 5274 Mark.

EINE „DEUTSCHE PERESTROIKA" strebe der neue Staats- undParteichef der DDR, Krenz, an. Das attestierte der stellvertretendeSPD-Vorsitzende und nordrhein-westfälische MinisterpräsidentRau (rechts) gestern dem Honecker-Nachfolger nach einem, ein-stundigen Gespräch in Ost-Berlin. Am Abend reiste Rau SachLeipzig, wo er eine zweiwöchige Kulturpräsentation Nordrhein-Westfalens eröffnete. Die Kulturschau mit über 1000 Mitwirken-den ist die bislang größte Veranstaltung der Bundesrepublik dieserArt in der DDR. Unser Foto zeigt in der Mitte DDR-KulturministerHoffmann. (dpa-Funkbild)

DDR / Ankündigung von freien Wahlen

Schabowski: Wollenmit allen redenFortsetzung

Politisches Tagesgesprächwar gestern in der DDR die An-kündigung von Staats- und Par-teichef Krenz, ein „neues Wahl-gesetz" zu verabschieden, dasfreie, allgemeine, demokratischeund geheime Wahlen gewähr-leiste. Schabowski erklärte aufdie Frage, ob die SED sich fürWahlen wie in Polen eine be-stimmte Zahl von Sitzen im Par-lament reservieren lassen oderden ungarischen Weg einschla-gen wolle, wo alle Parteien diegleichen Rechte haben, die DDRmüsse „ihre eigene Praxis findenund definieren". Ein Datum fürNeuwahlen stehe noch nichtfest. Die SED sei für eine plurali-stische Meinungsgesellschaftund werde mit allen relevantengesellschaftlichen Kräften undder Volksbewegung, die alles inGang gesetzt habe, reden. Aus-drücklich erwähnte er das NeueForum.

Die SED verfüge über langjäh-rige Koalitionsbeziehungen undwerde den demokratischen Wegzur Erarbeitung des Wahlgeset-zes einschlagen. Dabei werdeman „alle Varianten zur Bestim-mung der SED durchspielen".

Schabowski schloß aus, daßbei einem Andauern der Flücht-lingswelle eine Viermächte-Konferenz erforderlich werden

könnte. Das Hauptvorstands-mitglied der DDR-CDU, Win-fried Wölk, forderte die Strei-chung des SED-Führungsan-spruches aus der DDR-Verfas-sung. Die Mitinitiatorin der Bür-gerinitiative Neues Forum, Bär-bel Bohley, glaubte nicht an denWillen der SED, freie Wahleneinzuführen. „Das hätte sieschon längst haben können",sagte Frau Bohley in Ost-Berlin.Das Neue Forum, das jetzt mitGründungsverhandlungen be-ginne, werde versuchen, als Or-ganisation an den nächstenVolkskammerwahlen teilzuneh-men.

Einen Tag nach der Wahl indas neue SED-Politbüro wurdeHans-Joachim Böhme (59) alsSED-Bezirkschef von Halle vonden örtlichen Gremien mit gro-ßer Mehrheit abgewählt. EineEntscheidung darüber, ob Böh-me nun im Politbüro bleibenkönne, kündigte Schabowski fürheute an. Anders verhalte essich bei dem gestern von seinerFunktion als Erster Sekretär derBezirksleitung Cottbus entbun-denen Werner Walde, der Kan-didat des Politbüros ist. Er seiauf eigenen Wunsch zurückge-treten. Als dritter Oberbürger-meister in der DDR trat nach18jähriger Amtszeit in Stral-sund Horst Lehmann zurück.

China / Militärchef Generalbundesanwalt

KP-Chef Jiang Anklage gegenfolgt auf Deng Palästinenser

Peking (dpa). Chinas führen-der Politiker Deng Xiaoping istvon seinem letzten hohen Amtin der Kommunistischen ParteiChinas, dem Vorsitz der Zentra-len Militärkommission, zurück-getreten. Nachfolger des 85jäh-rigen Deng ist KP-Chef JiangZemin (63). Deng hatte laut derchinesischen Nachrichtenagen-tur Xinhua formell seinen Rück-tritt eingereicht, der von der amDonnerstag in Peking beendetenZK-Plenarsitzung nach „gewis-senhaften Diskussionen" gebil-ligt worden sei.

Der Vorsitz in der Militär-kommission, der faktisch denOberbefehl über die chinesi-schen Streitkräfte bedeutet, giltals die entscheidende Schlüssel-position im chinesischenMachtgefüge. Der 82jährigeStaatspräsident Yang Shangkunwurde Stellvertreter Jiangs.Angeblich hatte er sich auch umden Vorsitz beworben.

Beobachter erwarten, daßDeng auch nach seinem Rück-tritt die dominierende Kraft inPeking und eine Art „Schieds-richter" zwischen Konservati-ven und Reformern bleibenwird. Im Rücktrittsschreibenwird kein konkreter Grund fürden Rückzug genannt, sondernallgemein von „gesundheitli-chen Gründen" gesprochen.

Besuch in Polen

Karlsruhe/Frankfurt (dpa/AP).Wegen des Verdachts des zwei-fachen gemeinschaftlich ver-suchten Mordes und weitererStraftaten hat Generalbundes-anwalt Rebmann gegen zweimutmaßliche Mitglieder der ter-roristischen Vereinigung„Volksfront für die BefreiungPalästinas - Generalkomman-do" (PFLP-GC) Anklage erho-ben. Die beiden Angeschuldig-ten Hafez Kassem Dalkamoni(45) und Abdel Fattah Ghadan-far (48) befinden sich seit dem27. Oktober 1988 in Frankfurt inUntersuchungshaft.

Im Zuge einer größeren Poli-zeiaktion waren im Herbst 1988in deren Frankfurter WohnungSprengmittel und Bomben ge-funden worden.

Beim Entschärfen einer dieserBomben ist ein Kriminalbeamtergetötet und ein weiterer lebens-gefährlich verletzt worden. DenAngeklagten wird außerdemvorgeworfen, am 31. August1987 und am 26. April 1988 inHedemünden (Kreis Göttingen)zwei Sprengstoffanschläge aufUS-Militärtransportzüge. mitdem Ziel verübt zu haben, mög-lichst viele US-Bürger zu tötenoder zu verletzen. Bei den Ak-tionen war eine' Deutsche ver-letzt worden und erheblicherSachschaden entstanden.

Kohl bekräftigt BonnerPosition zur Westgrenze

Warschau (dpa). Am Abendseines ersten Besuchstages inPolen betonten BundeskanzlerKohl wie auch RegierungschefMazowiecki die Bedeutung derdeutsch-polnischen Aussöh-nung für Europa. In Tischredenwährend eines Banketts verwie-sen sie auf die Reformbewegun-gen in Ost- und Mitteleuropaund bekräftigten den Willen, ei-nen Durchbruch zu erzielen.

Mazowiecki unterstrich, daßin der Frage der Oder-Neiße-Grenze alle Polen zusammen-stünden. „Es geht um die grund-sätzlichsten nationalen Interes-sen: das Recht auf ein Leben ingesicherten.von niemandem be-strittenen Grenzen." Er fuhrfort: „Ausgehend von der Aner-kennung der Oder-Neiße-Gren-ze als westliche Grenze Polens"habe der Vertrag von 1970 die„unentbehrliche Grundlage fürdie Entwicklung der Beziehun-gen zwischen unseren beiden

Staaten" geschaffen.Kohl wiederholte zur Oder-

Neiße-Grenze Formulierungenaus seiner Erklärung zur Lageder Nation vom Vortag: „Wirkönnen und wir wollen keineRechtspositionen verändern."Zu den Grundlagen derDeutschlandpolitik gehöre „dasFesthalten an Buchstaben undGeäst des Warschauer Vertra-ges in allen seinen Teilen". Je-der wisse, „daß wir noch keinenFriedensvertrag haben": •

Beide Politiker sprachen dasProblem der deutschen Minder-heit in Polen an. Mazowieckigab ,zu, „daß Vernachlässigun-gen im Zugang zur ... deutschenKultur für jene, die sich zu die-ser Tradition bekennen", nach-zuholen seien. Gleichzeitig dür-fe man aber auch die „humanitä-re Frage" der Entschädigung fürKriegsopfer und Zwangsarbei-ter nicht vernachlässigen.Siehe auch Kommentar

Bevölkerung / Paritätischer Wohlfahrtsverband:

„Zehn Prozent sind arm"Bonn (dpa/epd). Mindestens

zehn Prozent der bundesdeut-schen Bevölkerung ist nachdem gestern in Bonn vorge-stellten ersten Armutsberichtdes Deutschen ParitätischenWohlfahrtsverbandes(DPWV) arm. Das sind mehrals sechs Millionen Menschen.

Das läßt sich nach Ansichtdes DPWV vor allem an derZahl der Langzeitarbeitslosenund Sozialhilfeempfänger so-

wie an der Zunahme von Räu-mungsklagen ablesen; aberauch an den Lebönsumständenalter oder kranker Menschen.Die Zahl der Sozialhilfeemp-fänger ist seit 1980 um über 46Prozent auf mehr als drei Mil-lionen Menschen gestiegen.

Der Verband forderte dieEinführung einer Armutsbe-richterstattung in der Bundes-republik wie in Frankreichoder der Schweiz.

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Page 3: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 263 Themen des Tages Freitag, 10. November 1989

Solide BasisRentenreformIn selten erlebter Einmütigkeit ha-ben SPD und Koalition die Renten-reform über die Bühne gebracht.Das Gesetzeswerk bietet für den-jenigen wenig Angriffsflächen, derin der Reform kein Allheilmittel füralle aktuellen und zukünftigen Pro-bleme der Altersversorgung sieht.Bei realistischer Betrachtung bie-tet das Paragraphenwerk wenigAngriffsflächen', was dafür spricht,daß es ein gelungenes Werk ist.

Die Bonner Reform stellt dieRentenfinanzen - sowohl bei Be-ziehern als auch bei Versicherern -mittelfristig auf eine solide Basis.Sie verteilt die durch die sich ver-ändernde Altersstruktur der Bevöl-kerung entstehenden Problemeder Rentenversicherung auf meh-rere Schultern. Bund und Beitrags-zahler werden zur Kasse gebeten,die Rentner können mit gesicher-ten Zahlungen rechnen. Die Anhe-bung der Altersgrenzen ist in die-sem Zusammenhang ein unange-nehmer, aber unentbehrlicherSchritt, wenn die Belastungen fürdie drei verschiedenen Gruppen inGrenzen gehalten werden sollen.

Die Rentenreform ist eine verläß-liche Grundlage, mit der sich undan der sich arbeiten läßt. In einigenTeilbereichen sind nämlich Nach-besserungen wünschenswert: Bei-spielsweise müßte über die neueRegelung der Anerkennung vonKindererziehungszeiten nachge-dacht werden. Der Sprung von ei-nem auf drei Jahre bei Babys, dieab 1992 geboren werden, ist.unge-recht. Noch weniger begründbarist die Beschränkung auf jene Vä-ter oder Mütter, die nach der Ge-burt nicht arbeiten. Da auch in Zu-kunft wohl vor allem Frauen ihreberufliche Karriere zugunsten derKindererziehung unterbrechen, istdies eine die Mütter benachteili-gende Regelung.

Die Nachwuchsprobleme derRepublik werden durch die Reformaber nicht behoben: Spätestens imJahr 2010 ist die nächste Reformfällig. Horst Seidenfaden

Eine Reiseim SchatteniNun mußte auch des KanzlersGedenkstunde in Auschwitz ver-tagt werden. Juden hatten Einwän-de, weil an ihrem hohen Feiertagdie Ruhe der Opfer des Holocaustgestört werden könnte. Es wareine Panne unter weiteren Peinlich-keiten, die Schatten voraus auf dieals historisch eingestufte Polenrei-se warfen. Daß vor dem Mark- einStolperstein noch eben wegge-räumt werden konnte, ist Vor allemder Beharrlichkeit des Außenmini-sters Genscher zuzuschreiben,der damit die wohlwollende Auf-merksamkeit der Gastgeber aufsich zieht. Die bisher weitestge-hende Garantie für die polnischeWestgrenze sorgte für Aufhellungin einem nach wie vor schwierigenVerhältnis.

Dabei wurde manche Fehlein-schätzung führender Bonner Politi-ker zur Räson gebracht. Es hatsich gezeigt, daß der Wechsel inWarschau keinen Wandel in Fra-gen von grundsätzlicher Bedeu-tung mit sich bringt. Wenn etwasdie Polen eint, dann ist es ihreleidvolle jüngere Geschichte, diemit dem deutschen Überfall be-gann. Diese Narben schmerzenund wecken ungute Gefühle, wennVergangenheit mit einem flottenFederstrich bewältigt werden soll.Auch Wirtschaftshilfe, so willkom-men sie ist, darf nicht als Allheilmit-tel erscheinen.

Noch ist nicht aller Tage Abend.Helmut Kohl hat eben erst ein Ter-rain betreten, das noch immer er-kundet werden muß. Die Mißlich-keiten im Vorfeld können überwun-den werden durch ein treffendesWort und eine sprechende Geste.Es geht nicht nur darum, Polen da-für zu entlohnen,-daß es sich vomOsten weg dem Westen zuwendetund mutig seinen Weg sucht zuFreiheit und Demokratie, sondernauch um die Einlösung einerSchuld. Das kann nur in einem Aktder Verständigung geschehen, indem beide Seiten anerkennen,was war und was ist.

Alfred Brugger

Das Zitat

DDR nach den Ankündigungen von Krenz und Schabowski

„Ich wünsche mir, daß unsere Poli-tiker mit dem Gesicht zum Volkstehen. Und nicht erst dann, wennsie mit dem Rücken zur Wand ste-hen."

Der ehemalige DDR-Spionage-chef Markus Wolf

Der Wahlkampf hat schon begonnenVon unserem Mitarbeiter Peter Gärtner, Berlin

n der DDR scheint der Wahl-kampf zu beginnen: Die Libera-len fordern in ihrem Parteiblatt..Der Morgen" einen „pluralisti-schen Sozialismus", der durchfreie Wahlen garantiere, daß dieMacht allein vom werktätigenVolk ausgehe. Es gehe nichtbloß um neue Leute an der Spit-ze, so der Kommentator der Zei-tung gestern, sondern um eine..prinzipielle neue Politik". Understmals in der Geschichte derDDR ist die SED unter EgonKrenz offenbar bereit, sich einerfreien, allgemeinen, demokrati-

schen und geheimen Wahl zustellen. •

Daß Krenz mit seiner spekta-kulären Ankündigung, sich fürein neues Wahlgesetz einzuset-zen, ernst machen will, unter-strich am Mittwochabend derjetzt für Information und Me-dienpolitik im Politbüro zustän-dige Günter Schabowski. Mitden Worten „theoretisch ist die-se Möglichkeit drin", räumteder SED-Reformer ein, daß dieStaatspartei bei freien Wahlenauch abgewählt werden könnte.

Dazu gehört dann auch

zwangsläufig, daß der seit vier-zig Jahren erhobene Führungs-anspruch der Staatspartei neudefiniert werden muß: „EinGrundmangel unseres bisherexistierenden Systems", so gabKrenz in seiner Grundsatzredeoffen zu, „war eine solche Bezie-hung zwischen Staat und Partei,daß diese Partei diesen An-spruch letzten Endes doch inhohem Maße administrativdurchzusetzen versuchte". AlsKonsequenz kündigte Krenznun eine „Entflechtung vonStaat und Partei" an.

.Deine Uhr geht nach, Egon, es ist schon 5 nach 12!"

Dahinter stecken offenbarVorstellungen von innerpartei-licher Demokratie, die bislangnur von den ungarischen undpolnischen „Bruderparteien" inAnsätzen verwirklicht wurden.Der Abschied vom Zentralismussteht jedenfalls für den neuenSED-Chef fest: Das Prinzipfunktionierte „von oben nachunten", erwies sich aber umge-kehrt „als nicht ausreichend ar-beitsfähig". Deshalb könne nachAnsicht von Krenz das Ziel derReformen nur sein, „einen ge-sellschaftlichen Konsens zurLösung der Probleme im Rah-men einer sozialistischen Ge-sellschaftsordnung zu schaffen".Für die Staatspartei SED stehteine außerordentliche Partei-konferenz im Dezember vor derTür.

Innerhalb der Verfassung

Zwar stehen der Termin unddie Umstände der Wahlen nochnicht fest, doch soviel scheintjetzt bereits sicher: Die SEDwird nicht darum herumkom-men, jetzt auch die neu entstan-denen Sammlungsbewegungenzuzulassen. Allerdings unterder entscheidenden Bedingung,daß die oppositionellen Grup-pierungen „auf dem Boden derVerfassung" (Egon Krenz) ste-hen müssen. Der SED-Chefstellt sich offenbar in diesem Zu-sammenhang vor, daß in derVerfassung festgelegte Systemder Blockparteien unberührt zulassen, womit allerdings auchdie Möglichkeit für eine weitereBlockpartei gegeben wäre.. Ganz in diesem Sinne fordertedie Initiativgruppe „Neues Fo-rum" bereits gestern ein „Wahl-

(Karikatur: Wolf) bündnis" aller oppositioneller

Parteien und Gruppierungen.Die Begründung veröffentlichte„Der Morgen": „Der Anspruchauf das Wahrheits-, Macht- undFührungsmonopol durch nureine politische Kraft hat sich alsschädlich erwiesen."

Grenzen aufgezeigt

Wie weit die „Hinzuziehungneuer gesellschaftlicher Kräfte"(Schabowski) gehen wird, ist zurZeit noch'ungewiß. Die Grenzenihrer politischen Arbeit zeigteKrenz in seiner Rede auf: „Auf-fassungen, Konzeptionen undPlattformen, die über die Verän-derung verfassungsmäßigerGrundlage auf eine Erosion odergar den Umsturz der sozialisti-schen Staats- und Gesell-schaftsordnung hinauslaufen,werden keine Chance haben."

Aktionsprogramm

Die ersten drei Punkte desvon Krenz ^zur Diskussion ge-stellten „Aktionsprogramms"laufen jedoch ohne Zweifel aufeine Legalisierung der Opposi-tion hinaus: Erarbeitet soll vonder Volkskammer ein neuesVereinigungsgesetz, ein neuesVersammlungsgesetz sowie einMediengesetz werden.

Auf einmal scheine alles mög-lich, kommentierte gestern dasZentralorgan der DDR-CDU„Neue Zeit" bissig, und trotz-dem komme alles zu spät undreiche nicht aus. „Das Mißtrau-en ist zu groß", diagnostiziertedas Blatt der Christdemokraten.Von daher verlange man „baldi-ge Neuwahlen und ein wahrhaftdemokratisches Wahlgesetz".

80 Partnerstädte aus UdSSR und Bundesrepublik/.Treffen

Das große Thema ist der FriedenVon unserem Redaktionsmitglied Rolf Effenberger

Jlline Stadt, die man vor lauterBäumen nicht sieht, das istAlma-Ata, die Hauptstadt derSowjetrepublik Kasachstan inMittelasien, wo die Uhren ge-

§enüber unserer Zeit um fünftunden vorgehen. Vier Flug-

stunden östlich von Moskau ge-legen. Dort fand, in der Bundes-republik fast nicht wahrgenom-men, in der Öffentlichkeit derSowjetunion aber stark beachtet-' sogar die „Prawda" nahmNotiz davon - das zweite Tref-fen der Partnerstädte der UdSSRund der Bundesrepublik statt.Delegationen aus 80 Städtenbeider Länder waren gekom-men, um'in Plenarsitzungen undGesprächen am Runden Tischgemeinsame Probleme zu be-sprechen und die Freundschaftweiter zu festigen. Mit' Spruch-bändern, die über den breitenStraßen angebracht waren, wur-den die Gäste aus dem Westenin deutscher Sprache willkom-men geheißen.

Bessere Kontakte

Der Kongreß habe den Wert,„daß viele merken, daß es vielesind", stellte der Kasseler Ober-bürgermeister Hans Eichel,, Lei-ter des Gesprächskreises'Öko-logie, fest. In der Tat, in Alma-Ata zeigte sich, daß Städte derBundesrepublik zu keinem an-deren Land der Erde so intensi-ve und zahlreiche Verbindun-gen unterhalten wie zu ihrenPartnern in der Sowjetunion, siebeschränken sich nicht nur aufoffizielle Kontakte. Ihre Zahlhat sich in zwei Jahren, seit dem

ersten Partnerschaftstreffen inSaarbrücken, auf 100 verdop-pelt. Und sie halten sich nichtmehr beim „allgemeinen Frie-denspathos" auf, wie Eichel fest-stellte, sondern führen zu sehrkonkreten Projekten auf vielenkommunalen Gebieten.

Dennoch spielt der Friedenfür die Sowjetbürger in diesenBeziehungen eine große Rolle.Immer wieder testen sie unauf-fällig die Ehrlichkeit der Frie-densbereitschaft der Deutschen,und genau diesem Thema galtdie Frage eines Journalisten dersowjetischen Nachrichtenagen-tur Tass: „Wie ernst werden diePartnerschaften in der Bundes-republik genommen?"

Am Ende des Partnerschafts-treffens betonte der Oberbür-germeister von Alma-Ata: „Daswichtigste Problem ist, den Frie-den zu erhalten", und über-reichte Reste der letzten Mittel-streckenrakete, die im Rahmender Abrüstungsvereinbarungenauf einem Testgelände in Ka-sachstan zerstört worden war,an den Vorsitzenden derdeutsch-sowjetischen Freund-schaftsgesellschaft, DietrichSperling, und den Leiter der De-legation, Claus-Wilhelm Hoff-mann, Oberbürgermeister vonBiberach a. d. Riss.

Die Zerstörung der Raketenschafft für die Sowjetunion einneues Problem: Wohin mit denPlutonium-Sprengköpfen? Alssichersten Weg ihrer Beseiti-gung sieht der ChefökologeMoskaus, sich der Gefahrenwohl bewußt, den Bau vonKernkraftwerken, die mit die-sem Plutonium betrieben wer-

den. Bei einer Reihe deutscherTeilnehmer rief das Kopf schüt-teln hervor.

Die Probleme liegen in der So-wjetunion auf der Straße. ImZeichen von Glasnost und Pere-stroika wird darüber ohne Um-schweife gesprochen. Hilfe zurihrer Lösung erhoffen sich dieSowjet-Partner von den Bundes-republikanern, vor allem auchauf wirtschaftlichem Gebiet. Indieser überraschenden Offen-heit sieht Eichel den „konse-quenten Bruch mit der stalinisti-schen Vergangenheit". Aller-dings befürchtet er auch, daß dieSowjets die Möglichkeiten deut-scher Städte überschätzen. Den-noch könnten sie manche Hilfe-stellung bei der Herstellung vonentsprechenden Kontakten inder Bundesrepublik leisten.

Lebendige Partnerschaften

Die StädtepartnerschaftenUdSSR und Bundesrepublik je-denfalls sind äußerst lebendig.„Unsere Beziehungen sind zuwichtig, als daß wir nur die Di-plomaten werkeln lassen könn-ten", sagte der VorsitzendeSperling. Nachdem er die Gast-geber vor einer zu großen Moto-risierung mit allen ihren Konse-quenzen, vor zu sorglosem Um-gang mit der Energie, vor denGefahren der Kernkraft gewarnthatte, stellte er fest: „Wir brau-chen in der Ökologie die Einmi-schung des anderen - das istVolksdiplomatiel" Volksdiplo-matie im gemeinsamen Haus Eu-ropa wurde zum geflügeltenWort des Kongresses.

Presse-EchoZum „Zerfall des kommunistischenMachtgefüges" in der DDR, der mit denjüngsten Ereignissen im Deutschlandjenseits der Mauer einhergeht, schreibtdie

Aber genügen „Reformen",wenn völlig neue Strukturen nö-

tig sind? Und genügen die neuenMänner aus den Reihen der al-ten Partei? Auch auf diesen Re-formern lastet der Fluch der bö-sen Erfahrung, den die Bevölke-rung der DDR so lange hat ertra-gen müssen und der nicht nurden politischen Alltag, sondernauch die ökonomische Wirk-lichkeit so unerträglich machte.

Kein Wunder, daß es nun nichtmehr nur um eine „neue SED"geht, sondern um die Brechungdes Machtmonopols und - dasmuß wohl als sicher gelten - umfreie Wahlen. Diese Tatsachefreilich enthüllt die wahre welt-politische Dimension der jüng-sten Vorgänge, aber auch dieGefahren...

Bundesrepublik: Immer mehr kommen

Das Land als MagnetVon AP-Korrespondent Harald Schultz

Diie Trabbis mit den DDR-Bür-gern stauen sich an der tsche-choslowakischen Grenze. Im-mer mehr Aussiedler schnürenihr Bündel. Obendrein kommenviele Ausländer, die zwischenFlensburg und Berchtesgadenihr Auskommen suchen. DieBundesrepublik ist ein Magnetfür Menschen aus aller HerrenLänder. Der „Wanderungsge-winn" betrug 1988 rund einehalbe Million Menschen, so vielwie seit 1971 nicht mehr. Und1989 wird er noch größer sein.1988 stieg die Bevölkerungszahlum ein knappes Prozent, weilder „Wanderungsgewinn" grö-ßer als das Geburtendefizit war,wie das Statistische Bundesamtin Wiesbaden errechnet hat. Imvergangenen Jahr zogen etwa900 000 Menschen zu, gut400 000 zogen weg.

machten die Fortzüge nur knappdie Hälfte aus, der Rest derDeutschen ziehe in andere euro-päische Länder.

Seit 1945 kamen nach Anga-ben des Bundesinnenminste-riums rund vier Millionen Men-schen aus der SowjetischenZone und der DDR in die West-zonen und die Bundesrepublik,vor allem in den 50er Jahren.Unmittelbar nach dem Krieg wa-ren es rund 730 000, von 1949bis zum Mauerbau 1961 knapp2,7 Millionen. Seit 1962schwankten die jährlichen Zah-len nur noch zwischen etwa11 000 und rund 40 000. In die-sem Jahr ist der Strom der Zu-wanderer aus der DDR aber dra-stisch angeschwollen: Bis zum 5.November kamen gut 174 000Übersiedler, mehr als 1961 biszum Mauerbau am 13. August.

Abstimmung gewonnen Millionen Vertriebener

Wenn eine starke Zuwande-rung ein Zeichen für den Erfolgeines Gemeinwesens ist, dannwar die Bundesrepublik bisherungeheuer erfolgreich. Die „Ab-stimmung mit den Füßen" hat siegewonnen. In der DDR lebtenzum Beispiel 1949 rund 18,8Millionen Menschen, 1987 abernur noch 16,7 Millionen. Für dieBundesrepublik dagegen regi-strierte die Wiesbadener Behör-de von 1950 bis 1988 rund 24,8Millionen Zuzüge und 16,1 Mil-lionen Fortzüge. Über die Gren-zen kamen also 8,7 MillionenMenschen mehr in die Bundes-republik, als weggingen.

Weniger Auswanderer

Gleichzeitig ließ die Auswan-derung der Deutschen nach. Diejährliche Zahl ihrer Fortzügesank von gut 100 000 in den50er Jahren auf etwa 60 000 seit1970. Nur ein Teil dieser Deut-schen wandert auch tatsächlichaus. Viele gehen nach Angabendes Amtes nur für eine Zeit alsTechniker, Entwicklungshelfer,Manager oder Studenten fort.Eine Auswanderungsstatistikliege aber nicht vor. Jedenfalls

Ähnlich ist es mit den Ver-triebenen und Aussiedlern ausden Ostgebieten des früherenDeutschen Reiches und Osteu-ropa. Das Innenministeriumschätzt ihre Zahl in den Jahrenunmittelbar nach dem Krieg aufzwölf Millionen. Laut Bundes-ausgleichsamt in Bad Homburgkamen dann von 1950 bis 1987rund 1,4 Millionen. Jährlich wa-ren es bis 1975 meist etwa20 000, manchmal auch mehr; inden Jahren danach rund 40 000.Aber seit kurzem öffnen dieHerkunftsländer ihre Tore weit:1987 kamen knapp 80 000 Aus-siedler, 1988 gut 200 000 undvon Januar bis Oktober 1989 so-gar 297 000.

Ende 1988 lebten rund 1,5Millionen Türken in der Bun-desrepublik, knapp 600 000 Ju-goslawen, gut 500 000 Italiener,fast 300 000 Griechen, knapp130 000 Spanier und rund70 000 Portugiesen. Platz bietetdas Land aber auch 170 000 Po-len, gut 150 000 Österreichernund fast 100 000 Niederländern.Nicht zu vergessen jeweils rund80 000 Briten und US-Bürger so-wie die 70 000 Franzosen, ohnedie stationierten Soldaten undihre Angehörigen.

Page 4: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 263 Hessen Freitag, 10. November 1989

Flüchtlingsstrom reißt nicht ab

1000 Plätze für Übersiedlerin Kasernen der Bundeswehr

Kassel/Homberg (ach/ula/g/lag). Der Zu-strom der Übersiedler aus-der DDR reißtnicht ab, in den hessischen Notunterkünftenwird es immer enger. Auch die Übergangs-wohnheime des Bundesgrenzschutzes inBad Hersfeld, Hünfeld, Fulda und Aisfeldplatzen aus allen Nähten. Die BGS-Unter-

künfte in Fuldatal-Ihringshausen, in derschon einmal Übersiedler untergebracht wa-ren, sind jedoch zur Zeit als Notquartier nichtim Gespräch. Statt dessen hält die 2. Pan-zergrenadierdivision der Bundeswehr in Kas-sel ab heute, Freitag, rund 1000 Plätze fürdie Flüchtlinge parat.

Bei den Göttinger Panzer-grenadieren ist in der Zieten-kaserne Platz für 180 Übersied-ler. In Hess. Lichtenau (Werra-Meißner-Kreis) werden bei Pan-zeraufklärern und Panzerbatail-lon zunächst 130 Menschen, inSontra 50 untergebracht. In Ful-datal-Rothwesten (Kreis Kassel)gibt es bei der Fernmeldeeinheitin der Fritz-Erler-Kaserne250 Plätze, in Rotenburg/Fuldakönnen bei den Panzergrenadie-ren in der Alheimerkaserne 160Personen unterkommen. In derSchwalmstädter Harthbergka-serne (Schwalm-Bder-Kreis) ste-hen 250 Betten bereit, und imAusbildungsstützpunkt der Divi-sion in Winterberg (Hochsauer-landkreis), wo in den vergange-nen Monaten bereits zweimalOstaussiedler untergebrachtwurden, sollen nun 120 DDR-Übersiedler einziehen.

Notfalls Turnhallen

Nach Angaben von Divisions-sprecher Oberstleutnant UlrichKorst wird auch in weiteren derinsgesamt 18 Divisionsstandortegeprüft, ob zusätzliche Unter-kunftsplätze geschaffen werdenkönnen. Bisher werden keineTurnhallen mit Betten belegt.Bleibt die Flüchtlingswelle wei-ter so stark, müßten aber auchHallen in Notunterkünfte um-funktioniert werden.

Die Truppe muß sich ein-

schränken: „Unterbringung gehtvor Ausbildung", lautet der In-spekteurs-Befehl. Die Flüchtlin-

Hubschrauberholte FormulareBraunschweig/Gießen (dpa).Wegen des unvermindertenAnsturms von Übersiedlernaus der DDR mußten amDonnerstag die notwendigenVordrucke für Aufnahme-scheine per BGS-Hub-schrauber von der Druckereiin Braunschweig abgeholtwerden.

Nach Informationen derDruckerei hatte dasBundesnotaufnahmelager inGießen seit August bereits200 000 solcher sechsseiti-gen - Vordrucke anfertigenlassen. In den vergangenen'24 Stunden wurden nocheinmal 100 000 Stück ver-langt, von denen 50 000 nunauf dem Luftweg nach Gie-ßen gebracht wurden. Zu-sätzlich 150 000 Exemplaresind in Auftrag gegeben undsollen in den nächsten Tagenausgeliefert werden.

ge bekommen nicht nur die Ver-pflegung, sondern bei Bedarfauch rasche und unbürokrati-

sche ärztliche Hilfe von derBundeswehr.

Im Schwalm-Eder-Kreis wur-de nach Fritzlar und Schwar-zenborn neben den bereits be-stehenden 26 Unterkünften mitetwa 1300 Betten, in denen auchDeutsche aus Polen und derUdSSR untergebracht sind, jetzteine weitere Unterbringungs-möglichkeit für DDR-Übersied-ler im Feriendorf Silbersee beiFrielendorf geschaffen.

Mit Bahn, Bussen und Pkw

Bis zum Abend hatten sich hier130 ehemalige DDR-Bürger ge-meldet, die mit Bahn, Bussen odereigenen Pkw zumeist über Gie-ßen, aber auch über die UmwegeBonn oder Lübeck gekommenwaren. Weitere Busse wurdenerwartet. Ingesamt stehen am Sil-bersee 600 Betten zur Verfügung.

In Fritzlar waren in Halle 7 derGeorg-Friedrich-Kaserne derBundeswehr am Mittwochmor-gen bis zu 420 ehemalige DDR-Bürger untergebracht. Gesternvormittag nutzten noch 250 dieKaserne. Die Aufnahmeverfah-ren konnten schnell abgeschlos-sen werden. Bisher lagen denFritzlarern noch keine konkretenAngaben über neue Einquartie-rungen vor, doch lassen Anfra-gen nach zusätzlichen Unter-künften vermuten, daß weitereÜbersiedler nach Fritzlar weiter-verwiesen werden.

Vollzugsbeamte

Minister fürVerbesserungen

Wiesbaden/Mainz (dpa). EineVerbesserung der Situation derBeamten im allgemeinen Voll-zugsdienst haben der hessischeJustizminister Koch (CDU) undsein rheinland-pfälzischer Amts-kollege Caesar (FDP) gemeinsamvon der Bundesregierung gefor-dert.

Nach einem Treffen in Wiesba-den sprachen sich beide Ministeram Donnerstag für eine höhereBewertung dieser Laufbahn aus;die Anforderungen an den Berufseien aufgrund zahlreicher Re-formmaßnahmen seit 1977 er-heblich gestiegen. Die Beamtendes allgemeinen Vollzugsdien-stes seien nicht mehr wie zuvorvornehmlich mit Sicherungs-,Ordnungs- und Versorgungs-funktionen befaßt, sondern auchweitgehend in die Behandlungder Gefangenen einbezogen.

Deutlich verbessert werdenmüßten, so die beiden Minister,die Beförderungsmöglichkeitenfür die Beamten im Vollzugsbe-reich. Gleichzeitig solle bei dergeplanten Anhebung der Polizei-zulage auch die Vollzugszulagevon derzeit 90 auf mindestens150 Mark monatlich erhöht wer-den, forderten Koch und Caesar.

Staatliche Anerkennung von Sozialarbeitern

GhK-Konvent protestiertgegen Gesetzentwürfe

Kassel (nh). Proteste und Em-pörung haben in der Gesamt-hochschule Kassel (GhK) dieGesetzentwürfe zur StaatlichenAnerkennung von Sozialarbei-tern und Sozialpädagogen aus-gelöst, die den Hochschulenjetzt von der hessischen Landes-regierung zugegangen sind. Wiein der Lehrerbildung, so heißt esin einem einstimmigen Beschlußdes Konvents der Universität,werde wiederum „ein Stück Stu-dienreform der GhK in Frage ge-stellt".

Die Entwürfe enthielten, ob-wohl von der GhK in den mehr-jährigen Vorgesprächen wie-derholt gefordert, keinerlei Re-gelungen, die die Besonderhei-ten des „Kasseler Modells" imintegrierten Diplomstudiengangfür soziale Berufe anerkennen.Im Gegenteil: Die jetzt von derLandesregierung vorgesehenenAnpassungen „heben die Kasse-ler Besonderheiten als prakti-sche Konsequenz quasi auf".Dabei gehe es vor allem um dieGemeinsamkeit der Ausbildungvon Sozialarbeitern und Sozial-pädagogen und um die Einbezie-hung, Bewertung und Anerken-

nung der Berufspraxis. Würdendie Gesetzentwürfe so verab-schiedet, werde ein Ausbil-dungsmodell in Frage gestellt,das nun bereits 15 Jahre erfolg-reich arbeite.

Der Konvent der GhK fordertdeshalb Regelungen, „die mit derPluralität der Ausbildungsgängeauch den weiteren Bestand desbewährten und auch von den An-stellungsträgern anerkanntenStudiengangsmodells als Kasse-ler Spezialität sicherstellt".

Bereits eine Woche zuvor hat-te GhK-Präsident BrinckmannWissenschaftsminister Ger-hardt einerseits dafür gedankt,daß er bei der „Sicherung wich-tiger Elemente der Lehrerbil-dung" in Kassel mitgeholfenhabe, ihn aber gleichzeitig dazuaufgerufen, „die nächste Exeku-tion des fragwürdigen Gebotesder Einheitlichkeit", die nun imSozialwesen vor der Tür stehe,„von Anfang an zu verhindern".Wenn man von den Hochschu-len fordere, daß sie sich demWettbewerb stellten, so Brinck-mann, müsse die GhK auch dieChance haben, „ihre besonde-ren Leistungen anzubieten".

Wegen Aussiedlern

Philologen:Mehr StellenWiesbadener Redaktion

Wiesbaden (Eff). Die Einstel-lung von 190 zusätzlichen Leh-rerinnen und Lehrern hat ge-stern der Vorsitzende des Hes-sischen Philologenverbandes,Günther, von der Landesregie-rung gefordert, um angesichtsder groben. Zahl von Aussied-lern und Übersiedlern aus derDDR deren Kinder ausreichendin den Schulen betreuen zu kön-nen. Im gymnasialen Bereich seider Zustrom überproportionalhoch. Das müsse bei der künfti-gen Stellenverteilung berück-sichtigt werden.

Gentechnik / FDP-Fraktion

,Gesetz bald verabschieden'Von unserer Wiesbadener Redaktion

Wiesbaden (Eff). Als Reaktionauf das Gentechnikurteil desHessischen Verwaltungs-gerichtshofs (VGH). in Kasselforderte die FDP-Landtagsfrak-tion Bundesregierung und Bun-destag auf, ein Gesetz über dieAnwendung der Gentechnologiebeschleunigt zu verabschieden.Der umweltpolitische Sprecherder FRaktion, Hielscher, erklär-te, dieses Gesetz müsse natür-lich gründlich beraten werden,was aber nicht dazu führen dür-fe, daß die deutsche Industrieinternational ins Hintertreffengerate. Für die Regelungen zurAnwendung der Gentechnologie

sei ein breiter gesellschaftlicherund politischer Konsens not-wendig, betonte er (siehe auchMeldung auf Seite 2).

Der VGH hatte -'wie berichtet- vorgestern entschieden, daßeine Versuchsanlage derHoechst AG in Frankfurt zurHerstellung von Humaninsulinauf der Basis von gentechnischveränderten Bakterien nicht inBetrieb genommen werden dürfe,weil es in den geltenden Gesetzenkeine Rechtsgrundlage für dieErrichtung gentechnischer Anla-gen gebe. In den USA wird be-reits Hümaninsulin mit Hilfe derGentechnologie produziert.

In der „Puppenstube" zeigen sich RisseFrankfurts umstrittene fungen seien falsche statische„Römer-Ostzeile" - im Volks- Berechnungen. Die beauftrag-mund „Puppenstube" genannt ten Statiker hätten offenbar- zeigt vorzeitige Alters- die Statik des Holzes und dererscheinungen: Mehrere der Betonteile des Hauses „Engel"acht vor erst fünf Jahren fer- (unser Foto, im Hintergrundtiggestellten Fachwerkhäuser der Kaiserdom) nicht genü-haben Risse, eines ist nicht gend aufeinander abgestimmt,mehr standfest genug. Wie Nachdem sich das Holz ge-Stadtrat Hanskarl Protzmann setzt habe, sei die Steinkon-(SPD) mitteilte, haben städti- struktuion bis zur Bruchge-sche Mitarbeiter Stützpfosten fahr unter Spannung geraten,zur Absicherung des Gebäu- Das Gebäude muß damitdes angebracht. Das Gebäude schon nach einem halbenmüsse wahrscheinlich ge- Jahrzehnt saniert werden,räumt werden. Die Häuser Ein gerichtliches Beweis-auf dem Römerberg waren sicherungsverfahren sollhistorischen Vorbildern nach Angaben Protzmannsnachgebauten worden. Ursa- zur Klärung der Haftungs-che der baulichen Verwer- frage beitragen. (Foto: dpa)

34jährige erdrosselt

Erneut Mord anProstituierterin Offenbach

Offenbach (lhe). Zum dritten-mal innerhalb von acht Wochenist im Raum Offenbach eine Pro-stituierte tot aufgefunden wor-den. Wie die Polizei am Donners-tag mitteilte, wurde eine 34 Jahrealte Prostituierte erdrosselt in ih-rer Wohnung entdeckt.

Ein Freund der Frau hatte derPolizei gemeldet, daß er seineBekannte seit Samstag nichtmehr erreichen habe, obwohlihr Wagen vor der Tür stehe.Als die Polizei in die Wohnungeindrang, fand sie die Tote imFlur liegend. Nach den bisheri-gen Ermittlungen ist die Fraubereits in der Nacht zum Mon-tag getötet worden.

Am 3. Oktober war in Langeneine 25jährige Frau tot aufge-funden worden und am 9. Sep-tember eine 22jährige in Seli-genstadt (Kreis Offenbach). Alledrei Frauen wurden erdrosselt.Allerdings kann nach Ansichtder Polizei nicht davon ausge-gangen werden, daß es sich inden drei Fallen um denselbenTäter handele.

Zwei Tote beiZusammenstoß

Lampertheim (lhe). Ein 21 jäh-riger Italiener aus Worms und.eine 57jährige Frau aus Lam-pertheim-Hofheim (Kreis Berg-straße) kamen am Donnerstag-morgen beim Frontalzusammen-stoß ihrer Personenwagen aufeiner Landesstraße bei Lampert-heim-Rosengarten ums Leben.Die 17jährige Tochter der Frauwurde schwer verletzt.

Nach den Ermittlungen derPolizei geriet der 21 jährige nacheinem Überholmanöver beimWiedereinscheren mit seinemFahrzeug ins Schleudern. Dabeikam der Wagen auf die Gegen-fahrbahn und prallte frontal ge-gen den Wagen der 57jährigenFrau. Sie und der junge Mannstarben am Unfallort.

PORZELLANHAUS

LÄNG

Page 5: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

HESSISC KASSEL1 P 3713 A

ALLGEMHESSISCHE/NIEDERSÄCHSISCHE

ALLGEMEINEPreis 1,40 DM

KASSELER ZEITUNG

Nr. 264 • Samstag, 11.11.1989

NICHT PARTEIGEBUNDEN

Ruf (05 61) 203-0 • Anzeigen 203-3

Neue Reiseregelung fuhrt zu Massenansturm von DDR-Bürgern / Weitere Übergänge in den Westen

Die Berliner Mauer stürzt einBerlin (dpa/AP). Die Berliner Mauer stürzt ein: In den nächsten Tagen

werden neun neue Übergänge zwischen dem Ost- und Westteil der Stadtoder von West-Berlin zur DDR geöffnet, für die Teile der Sperranlageeingerissen werden müssen. Bereits in der Nacht zum Freitag wurde dieGrenze durchlässig wie nie zuvor: Nach der Freigabe des Reiseverkehrs

durch die DDR-Regierung nutzten mehr als 100 000 DDR-Bürger die Gelegenheit, zum Teil erstmals in ihrem Leben westlichen Boden zu betretenDer Andrang an den Berliner Sektorenübergängen und den Grenzkontroll-stellen zwischen der Bundesrepublik und der DDR war nicht mehr zu zählen,Rund 90 Prozent der Ost-West-Besucher kehrten in die Heimat zurück.

Schon am Freitag abend öffne-ten die neuen Berliner Grenz-übergänge an der GlienickerBrücke und im Vorort Lichten-rade. Zugleich begannen Abriß-arbeiten an der Mauer im BezirkPrenzlauer Berg und am Potsda-mer Platz. Dort soll von heutebeziehungsweise morgen an derVerkehr fließen. Die weiterenÜbergänge werden in den näch-sten Tagen entstehen. Außer-dem soll Ost-Berlin mehr undmehr an das Westberliner Nah-verkehrsnetz angeschlossenwerden.

Nachdem am Donnerstagabend SED-PolititbüromitgliedSchabowski in Ostberlin be-kannt gegegeben hatte, daß alleDDR-Bürger jederzeit ein Visumfür die Reise in den Westen er-halten können, gab es an denGrenzen zwischen der DDR undWest-Berlin oder der Bundesre-publik kein Halten mehr. Nochin der Nacht kamen rund 50 000Ostberliner und DDR-Bürger inden Westteil der Stadt.

Politik der Erneuerung

SED-Chef Krenz:Strecken allendie Hand aus

Berlin (dpa). Mit der Gewäh-rung der Reisefreiheit für allemündigen DDR-Bürger wolltedie Ost-Berliner Führung nachden Worten des DDR-Staats-und Parteichefs Krenz auch zumAusdruck bringen, „daß wir esmit der Politik der Erneuerungernst meinen und allen die Handausstrecken". Auf einer Kund-gebung der Ost-Berliner SED, zuder sich gestern abend 150 000Menschen im Lustgarten einfan-den, sagte Krenz: „Oft wurdeuns gesagt, wenn die Leute aus-reisen dürfen, dann bleiben siehier. Wir üben uns gerade darinund wollen sie (Reisefreiheit)lernen."

Dieser Schritt sei ein Teil ei-ner „großen Lektion, die wirnicht vergessen werden". DieseMaßnahme sei im Interesse derMenschen, niemand sollte siegegen die Menschen mißbrau-chen, warnte Krenz, dessenRede von Beifall aber auch vonPfiffen begleitet wurde.

Zum Thema Wahlen erklärteKrenz: „Wir setzen uns dafürein, daß.freie Wahlen stattfin-den und unser Volk die Bestenins Parlament schickt". Die SEDsei für eine „demokratischeKoalitionsregierung". Das vomZK beschlossene Aktionspro-gramm sei ein Programm für diePartei, „um das Vertrauen imVolk wiederzugewinnen". DieSED sei bereit, sich zu ändern,„wir werden uns aber niemalsaus der Verantwortung steh-len".

Wörtlich heißt es im Aktions-programm: „Wir schlagen vor,die Volkskammerwahlen aufder Grundlage einer neuenWahlgesetzgebung durchzufüh-ren. Wir sind für ein Wahlrecht,das eine freie, allgemeie, demo-kratische und geheime Wahl ge-währleistet und in jedem Stadi-um der Wahl die öffentlicheKontrolle garantiert. Wir setzenuns dafür ein, daß Volkskammerund örtliche Volksvertretungenohne Bevormundung ihre ver-fassungsmäßige Rechte undPflichten als souveräne Macht-organe... • uneingeschränktwahrnehmen".

Um eine dramatische Situati-on zu verhindern, so das DDR-Innenministerium, sei die Ab-fertigung unbürokrastisch er-folgt: Die DDR-Bürger konntenzunächst mit Personalausweis,später teilweise ganz ohne Kon-trolle die Grenze passieren. Die-se Regelung wurde bis zumAbend praktiziert, obwohl ur-sprünglich ab Freitag 8 Uhr einVisum verlangt werden sollte.Am späten Abend kam es dann

Weitere Berichteüber die Ereignisse im Zu-

sammenhang mit der Öff-nung der DDR-Grenze zurBundesrepublik sowie Hin-tergrundberichte und Repor-tagen stehen auf den folgen-den vier Seiten. „Blick in dieZeit" und die Landesseite fin-den Sie weiter im Innern.

zum Chaos: Weil ein Durch-kommen an den Übergängenwegen des großen Ansturmskaum noch möglich war, klet-.terten Ostberliner und West-berliner einfach über die Mauer.Volkspolizisten halfen ihnendabei. In West-Berlin spieltensich den ganzen Tag über rüh-rende menschliche Szenen desWiedersehens ab. Auf dem Ku'dämm herrschte Volksfeststim-mung.

Heikle Situationen

Bei allem Jubel in West undOst kam es gestern abend auchzu heiklen Situationen: Etwa500 Westberliner begannen ander Falkenseer Chaussee damit,die Mauer einzureißen. An die-ser Stelle soll bald ein neuerGrenzübergang eingerichtetwerden. Nach Angaben derPolizei standen in offenbar ge-spannter Situation etwa 50Menschen auf DDR-Seite einer

Kette von Grenzsoldaten gegen-über, die Hunde bei sich hatten.Vor dem Brandenburger Torstanden Tausende von West-berlinern vor und auf den Sperr-anlagen und riefen „Die Mauermuß weg". Zwischenfälle wur-den bis Mitternacht nicht be-kannt.

Kilometerlange Staus

die DDR zusammen. Ein großerTeil der mehr als 7500 DDR-Bürger, die bis 17.30 Uhr in dieBundesrepublik gereist war,machte sich auf den Rückweg.Auf bundesdeutscher Seite ent-standen Wartezeiten von bis zudrei Stunden, während sich aufDDR-Gebiet die Fahrzeuge aufmehr als zehn Kilometer Längestauten.

Weitere Grenzübergänge willdie DDR nach Ankündigung vonInnenminister Dickel auch zurBundesrepublik öffnen. Nach-dem an den alten Übergängenbereits tagsüber Zehntausendedie offene Grenze für eine Stipp-visite im Westen genutzt hatten,nahm der Ansturm der DDR-Bürger mit Beginn des Wochen-endes noch zu. Der Bundes-grenzschutz berichtete von kilo-meterlanen Stauungen an denGrenzkontrollpunkten.

Am Übergang Duderstadtbrach der Rückreiseverkehr in

Regelung „von Dauer"

DDR-Innenminister Dickelmachte in einer Fernseh-An-sprache klar, daß für Reisen inden Westen künftig ein Visumentweder in den Paß oder in denPersonalausweis eingetragenwerden muß. Er versicherte denDDR-Bürgern ausdrücklich, daßdie jetzt gefundene Ausreiselö-sung „von Dauer" sei und zu denGrundlagen des neuen DDR-Reisegesetzes gehören wird.Fortsetzung nächste SeiteSiehe „Zum Tage"

VOR DEM SYMBOL BERLINS, dem Brandenburger Tor, kletterten auch am Freitagabend hunderte von Ost- und Westberlinern auf dieMauer und demonstrierten damit, daß die „befestigte Grenzanlage" der DDR politisch nicht mehr existiert. (dpa-Funkbild)

SED geht gegen ausgeschlossene ZK-Mitglieder vor

„Fehlverhalten" Mittags wird untersuchtBerlin (dpa). Mit Überra-

schungen hat das SED-Zentral-komitee (ZK) auch an seinemletzten von drei Sitzungstagenaufgewartet: Die früheren SED-Politbüromitglieder Mittag undHerrmann wurden aus dem ZKausgeschlossen. In einem Kom-munique heißt es, der Aus-schluß Mittags sei wegen „gröb-lichster Verstöße gegen die in-nerparteiliche Demokratie, ge-gen die Partei- und Staatsdiszi-plin sowie Schädigung des An-sehens der Partei" erfolgt. DieZentrale Parteikontrollkommis-sion wurde beauftragt, „dasVerhalten und die Fehlleistun-gen" Mittags zu untersuchenund „gegen weitere Genossen,

die gegen das Statut der Parteiverstoßen haben, entsprechen-de Maßnahmen einzuleiten".

Aus dem Politbüro traten ge-stern der als SED-Bezirkssekre-tär von Halle abgelöste Hans-Joachim Böhme zurück. Außer-dem wurden die Kandidaten Jo-hannes Chemnitzer, Inge Lan-ger und Werner Bälde abgelöst.In Erfurt trat Oberbürgermeiste-rin Seibert (SED) zurück.

DDR-GeneralstaatsanwaltWendland forderte gestern ei-nen Volkskammer-Untersu-chungsausschuß für Korruptionund Funktionsmißbrauch. ZurBegründung sagte er, Bürgerwürden „namentliche benann-ten Personen" persönliche Be-

reicherung, ungerechtfertigteVorteilsgewährung oder Ver-geudung von Volksvermögenanlasten. Gleichzeitig räumte erÜbergriffe der Sicherheitsorga-ne ein, die die „Würde der ein-zelnen bei der Zuführung oderim Gewahrsam verletzten".

Der Erste Sekretär des FDJ-Zentralrates, Eberhard Aurich,enthüllte gestern, der entmach-tete DDR-Staatschef Honeckerhabe ein FDJ-Schreiben vom 9.Oktober als größten „Angriff derFDJ auf die Parteiführung invierzig Jahren" bezeichnet undals Mittel benutzt, um den heu-tigen Generalsekretär Krenz ge-gebenenfalls daran zu hindern,die Wende einzuleiten. Weitere

Angaben machte er nicht.Nach seinen Worten wird in

der FDJ zur Zeit darüber disku-tiert, wie die Organisation offenfür Mitglieder, gleich welcherPartei, welcher Weltanschau-ung oder welchen religiösen Be-kenntnisses sein könne.

Massive Selbstkritik übte in-zwischen der langjährige SED-Chefideologe Hager. „Wie an-dere Genossen zergrüble" ersich den Kopf über seinen un-mittelbaren Anteil an gemach-ten Fehlern. Offensichtlich habeer sich immer weiter entfernt„vom realen, täglichen" Leben,von dem, was in den Betriebenoder in den Kaufhallen odersonstwo vor sich ging".

Zum Tage

Freude, beinahgrenzenlosWelch ein Tag. Und welch eineNacht. Die Nachricht, daß die Aus-reise aus der DDR an förmlicheVoraussetzungen nicht mehr ge-bunden sei, wenn auch immernoch an eine Erlaubnis, verstandenzigtausend Ostberliner, wie dasHerz es ihnen eingab. Die Mauer,verstanden sie, ist weg, die Gren-ze ist offen. Sie setzten sich inBewegung und probierten dieneue Freiheit sogleich aus. Und vorihrer fröhlichen Zuversicht zerfieldie Mauer tatsächlich.

•Berlin war für Stunden ganz re-

gellos vereint. Die Menschen igno-rierten einfach den Rest der Gren-ze. Und niemand traute sich, ihnenin den Weg zu treten. Es war eindeutsches Fest, es .ist ein deut-sches Fest. Denn in Berlin verdich-tete sich nur, was an anderen Stel-len der Grenze - in Duderstadt undHerleshausen-auch geschah. Ge-regelter, aber mit dem gleichenwunderbaren Überschwang. Weildas Wort von der grenzenlosenFreude zu nahe liegt, möchte manes fast vermeiden. Aber hierstimmt es wie selten. Hier ist es anseinem konkreten Platz.

•Eine historische Stunde also?

Oh ja. Mag sein, daß es noch grö-ßere, endgültigere Augenblickegeben wird. Noch ist die DDR jakein freies Land. Noch regiert dieSED, auch wenn ihr die Zügel ausder Hand zu gleiten scheinen.Noch existieren die Grenzen unddie gegensätzlichen Systeme. Undwenn die rapide Entwicklung auchin ihrer Richtung eindeutig scheint,nämlich hin zu Freiheit und Selbst-bestimmung, so kennt- die Ge-schichte doch brutale Wendun-gen. Speziell die deutsche Ge-schichte ist voll davon. Deshalbsollten wir den Dingen nicht eupho-risch vorauseilen.

•Könnte vor allem sein, daß es

den Dingen nichts nützt. Die natio-nale Wiedervereinigung, vielleichtkommt sie. Vielleicht ist sie sogarder logische Endpunkt dessen,was in der DDR und in Europa ins-gesamt passiert. Dennoch: siejetzt politisch herbeitrommeln zuwollen, könnte falsch sein. Wir imWesten haben weder die Perestroi-ka in der Sowjetunion noch die re-volutionären Veränderungen in Po-len und Ungarn bewirkt. Und wenn,dann nicht durch Reden, sonderndurch unsere beispielgebende Exi-stenz. Da liegt auch die stärksteKraft der Bundesrepublik gegen-über der DDR, in ihrem bloßen Da-sein.

Dieses Dasein ist durch Freiheitund - zum Glück - Wohlstand be-stimmt. Beide, so labil ihr Verhält-nis ist, hängen nach unserer Mei-nung zusammen. Und die übergro-ße Mehrheit der DDR-Bevölkerungglaubt es auch. Welche Art vonFreiheit und welche Art von Wohl-;tand (Wohlstand auch als Wohl-

gefühl begriffen) die Menschendrüben für sich ins Auge fassen,das müssen wir ihnen strikt selbstüberlassen. Schön, das sagen alle.Und vielleicht ist damit gar nichtsgesagt.

Bleiben wir bei den Tatsachen.Sie sind unbegreiflich, ja phanta-tisch genug. Die Mauer ist gebor-

sten. Was Erich Honecker noch vorwenigen Monaten als Jahrhundert-werk bezeichnete, existiert nurnoch als Trümmerhaufen. Abfall,vielleicht auch Mahnmal der Ge-schichte. Und das allein ist, egalwas daraus noch folgen mag,Grund zur Freude, zu menschli-her, zu nationaler, zu deutscher

Freude. Erlauben wir uns doch, be-vor wir wieder ins Grübeln kom-men, dieses schöne Gefühl. Es istein Gefühl, das uns mit den Men-schen in der DDR in jedem Fallvereint, nicht nur heute, sondernhoffentlich für immer.

Lothar Orzechowski

Page 6: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 264 Themen des Tages Samstag, 11. November 1989

Zitate des Tages

„Ick war ebenim Westen"

„Hallo Taxi 17 - einmalHamburg und zurück." (Ein40jähriger aus Schwerin, derper Taxi kurz einen krankenFreund in Hamburg besuch-te)

„Als ich sechs war, wurdedie Mauer gebaut, jetzt istmein Junge hier sechs." (EinOst-Berliner auf dem Rück-sitz eines vollbesetzten Tra-bis bei einem Besuch imWestteil der Stadt)

„Außer vier Ostlern nix."(Antwort eines jungen West-Berliners auf die Frage vonDDR-Grenzern, ob er etwasim Wagen habe)

„Ick war eben im Westen,habe bei meiner Freudin Bierund Kaffee getrunken, aberjetzt muß ick erst mal wiederarbeeten jehen." (Junge Ost-Berlinerin in der S-Bahn)

„Ab heute sage ich, ichmöchte hundert Jahre altwerden, auch wenn ichschon mehr als die Hälfte-hinter mir habe." (ÄltereLeipzigerin)

„Heute wollen wir unsschnell einmal in Hof um-schauen, aber morgen nach-mittag... gehen wir wiederzur Demo." (DDR-Bürger beieinem Besuch in Bayern)

„Seit 30 Jahren mein erstesSchultheiss." (Ost-Berlineram Checkpoint Charly)

„Ich war auf der Reeper-bahn... es war wie ein Zwang,ich mußte es einfach ma-chen." (Junger DDR-Bürgerauf einer Spritztour in Ham-burg)

„Guten Morgen, Frau Mi-nisterin." (Volkspolizist zurBundesministerin für inner-deutsche Beziehungen, Do-rothee Wilms, bei ihrer Ein-reise am Morgen in Ost-Ber-lin)

Politikersprüche

„GlücklichstesVolk der Welt"

„Die für uns Deutsche sobewegenden Stunden derletzten Nacht bedeuten ei-nen tiefen historischen Ein-schnitt in die Nachkriegsge-schichte." (BundespräsidentRichard von Weizsäcker)

„Gestern Nacht war dasdeutsche Volk das glück-lichste Volk auf der Welt."(der neue Präsident des Bun-desrates, Berlins Regieren-der Bürgermeister WalterMomper, vor der Länder-kammer)

„Der Schritt, zu dem sichdie Führung der DDR veran-laßt sah, unterstreicht in be-eindruckender und elemen-tarer Weise, daß der Willezur Freiheit auf Dauer stär-ker ist als jeder staatlicheZwang." (Kanzleramstsmini-ster Rudolf Seiters vor demBundesrat)

„Wir sind nahe an einemPunkt, wo die Menschen imgespaltenen Deutschlandwieder zusammenkommenwerden." (SPD-Ehrenvorsit-zender Willy Brandt, zu des-sen Amtszeit als RegierenderBürgermeister die Mauer ge-baut worden war)

„Daß die Verantwortlichenin der DDR nicht nur Perso-nen in den entscheidendenPositionen auswechseln,sondern ihr System dem Wil-len des Volkes entsprechendverändern, halte ich für un-ausbleiblich." (Kölns Erzbi-schof Joachim KardinalMeisner)

„Das, was uns aber mitDankbarkeit gegen Gott inbesonderer Weise erfüllt, istdie Art und Weise, wie dasgeschehen ist. Ohne Gewalt,durch das Gebet vieler Chri-sten durch Jahre hindurch."(Martin Kruse, Berliner Bi-schof und Vorsitzender desRates der evangelischen Kir-che in Deutschland)

Niemand hatte den Bau der Mauer für möglich gehalten

28 Jahre Symbol der TeilungVon dpa-Korrespondent Wolfgang Marquardt

Aisls in den frühen Morgen-stundendes 13. August 1961 aufOst-Berliner Seite der Sektoren-grenze Siraßenpflaster aufgeris-sen, Betonpfähle eingerammt,Stacheldraht gezogen und Grä-ben ausgehoben wurden, hättees wohl niemand der damaligenZeitzeugen für möglich gehal-ten, daß dies der erste Schritt fürden Bau der Mauer und damitzur völligen Abschottung vonWest-Berlin war.

Hinweise gab es

Und doch hat es schon vorhereinen versteckten Hinweis aufdie eigentlichen Absichten derDDR-Führung gegeben. In einerinternationalen Pressekonfe-renz am 15. Juni 1961 hatteSED-Chef Walter Ulbricht aufdie Frage einer westdeutschenKorrespondentin, ob die DDReine Staatsgrenze am bisherdurchlässigen BrandenburgerTor errichten könnte, geantwor-tet: „Niemand hat die Absicht,eine Mauer zu errichten." ZweiMonate später war sie da.

Seitdem beschäftigen sich dieHistoriker mit der Frage, ob aufwestlicher Seite jemand von derbeabsichtigten Absperrung ge-

wußt habe und Gegenmaßnah-men bewußt unterlassen wordenseien. Wenn irgendein westli-cher. Geheimdienst etwas ge-ahnt haben sollte, bis in die poli-tischen Etagen war eine solcheInformation nicht gedrungen. InWest-Berlin und Bonn herrsch-te totale Überraschung und Rat-losigkeit. Erst hinterher erin-nerten sich politische Beobach-ter, daß US-Präsident Kennedyin seinem Bericht zur Lage derNation (State oi the Union mes-sage) gesagt hatte: „Die Grenzeder Freiheit verläuft am Potsda-mer Platz in Berlin."

Dies sei in Moskau als Signalaufgefaßt worden, ihren Sektorohne-Risiko absperren zu kön-nen, um der dramatischenFluchtbewegung jener Tage Ein-halt zu gebieten. Um ganz sicherzu gehen, stellte sich der gesam-te Warschauer Pakt damals hin-ter den Mauerbau, was heute imOsten hie und da schon andersinterpretiert wird.

Dramatischer Höhepunkt, derden wackligen Weltfrieden inGefahr bringen konnte, war derAufmarsch amerikanischerPanzer am AusländerübergangCheckpoint Charlie, um demRecht der Westalliierten auf un-kontrollierten Zugang nach Ost-

Kohl hielt es nicht in Polen

Drama der Gegenwartholte den Kanzler einAus Warschau berichtet Hans-Ludwig Laucht •

Freitag, 9.45 Uhr: Der Kanzlerist auf die Minute pünktlich. Esist .ein kalter,, ,klarer; .Morgen,Helmut Kohl nimmt ein Blumen-gebinde fest in beide Hände undlegt es mit unbewegter,M.iߧ auf.den grauen, • skandinavischenBasalt des Denkmals zu Ehrender Helden ; de&, -WarschauerGhettos. Der Ort, im Zentrumder polnischen Hauptstadt gele-gen, steht wieder einmal imBrennpunkt der Weltgeschich-te. Hier kniete Willy Brandt.Das Bild vom in Demut gebeug-ten Bundeskanzler ging um denGlobus. Am 10. November 1989wird Helmut Kohl von der dra-matischen Gegenwart eingeholt.Die Ereignisse in der DDR be-stimmen seine Gedanken.„Nicht hier, gehen wir etwas zurSeite", bittet der Kanzler zur im-provisierten Pressekonferenz imSchatten des Mahnmals.

Für die Gastgeber der jüdi-schen Gemeinde bleibt wenigZeit. Sie zeigen Verständnis.„Ich fliege heute nach Bonn zu-rück. Mein Platz ist im Augen-blick im Kanzleramt", sagt Kohl.Doch es ist nicht das Ende seinerReise durch Polen. „Ich kommeSamstagabend wieder nachWarschau zurück." Dann gehtdas Besuchsprogramm planmä-ßig weiter.

Überall Ratlosigkeit

Aber was heißt schon Plan?Schon am ersten Besuchstagüberschlugen sich die Ereignis-se. Ratlosigkeit allenthalben.Die Nachricht von der Öffnungder DDR-Grenze ereilt denKanzler beim Abendessen mitdem polnischen Premiermini-ster Tadeusz Mazowiecki im Pa-lais des Ministerrates. Die Polensind bewegt und zeigen Ver-ständnis für eine mögliche Un-terbrechung der Reise. DochKohl ist unsicher. Als er kurzvor Mitternacht im LuxushotelMariott vor die eilig zusammen-getrommelten Bonner Korre-spondenten tritt, sagt er: „Ge-schichtliche Augenblicke rich-ten sich nicht nach Program-men. Ich bin in einer schwieri-gen Lage meinen Gastgebern ge-genüber. Die Polen messen mei-nem Besuch eine unglaublicheBedeutung zu."

Das mag in der offiziellen Les-art so sein. Der politische Nor-malverbraucher in Warschaunimmt das Ereignis gelassen zurKenntnis. Die 1,7 Millionen Ein-wohner der polnischen Metro-pole meinen, wenn sie angespro-chen werden, lapidar: „Na, end-

lich." Polnische Intellektuelleschrecken vor dem arg strapa-zierten ,W,ort„, Wieder.vereirn-gung kaum zurück. Aber Äng-ste um. eine neuer ausuferndeißebatte über,j, ihr«. (Westgrenzezeigen sie unverhohlen. Daspolnische Trauma heißt Schle-sien. ».Dort, wo; das: industrielleHerz Polens schlägt. DeutscheGebietsansprüche, eine Ver-schiebung der Oder-Neisse-Li-nie nach Osten sind in War-schau kein Thema für Verhand-lungen. „Die Völker unsererLänder, Polen und Deutsche,müssen in gegenseitigem Ver-ständnis und Eintracht mitein-ander leben. Wir sind auf die-sem Wege", erklärt Regierungs-chef Mazowiecki.

Andere Sorgen

Kohls Blitz-Abstecher an denRhein läßt den kleinen Mann inWarschau kalt. Ihn quält dasmühsame Alltagsleben. Die In-flation (monatlich 15 Prozent)frißt Einkommen und Spargro-schen, soweit vorhanden, auf.Alte Menschen wissen kaum,wie sie ihren Lebensunterhaltbestreiten sollen. Viele Senio-ren beziehen nur eine kärglicheRente von 50 000 Zloty. Ein Li-ter fette Milch kostet bereitsüber tausend Zloty. Ein Brot istnicht unter 600 Zloty zu haben.Ein Abendessen im Restaurantgehört für polnische Familienbereits zum Luxus. 10 000 Zlotypro Essen sind die Regel - dochein Normalverdiener kommtnur auf 120 000 Zloty im Monat.DDR-Bürger werden in War-schau bereits als Kapitalisteneingeordnet.

Wenig Informationen

Als Helmut Kohl am Freitagum 14.30 Uhr mit seiner Luft-waffenmaschine im Himmel ver-schwindet, ist auch WalterWallmann, Hessens Minister-präsident, an Bord. „Ich bleibein der Bundesrepublik", verkün-det er. In der jetzigen Lage kom-me es auf die Länderchefs unddie Kommunen an. Aber drama-tisieren will er die Situationnicht. „Vom Notstand kannnicht die Rede sein." Sicher istsich da niemand. Informationentröpfeln in Warschau nur lang-sam ein. „Wir wissen einfach zuwenig", räumt Wallmann ein.Dann eilt er hinter dem Kanzlerher, der in Warschau seinerHauptbeschäftigung nachgeht:Dem Telefonieren.

Berlin Nachdruck zu verleihen.Die Sowjets reagierten prompt.Sie ließen ihrerseits auf östli-cher Seite Panzer auffahren. Dieeinstigen Kriegsverbündetenstanden sich mit drohend auf-einander gerichteten Kanonengegenüber. Dann funktionierteder heiße politische Draht. DiePanzer fuhren in die Kasernenzurück.

77 starben

Seitdem kam es an der 29 Ki-lometer langen Mauer immerwieder zu dramatischen Flucht-versuchen von Ost nach West.Kränze und Mahnmale erinnernan 77 Menschen, die es nichtgeschafft haben, den freien TeilBerlins unversehrt zu erreichen.Seit dem 9. November 1989 istdie Mauer nach 28 Jahrendurchlässig geworden. WillyBrandt, 1961 Berliner Regieren-der Bürgermeister, der damalsvor hunderttausenden Berlinerndie Forderung erhoben hatte:„Die Mauer muß weg!" ist derMeinung, die mit den Vorgän-gen dieser Tage verbundenestille Revolution werde die bis- AN DER MAUER VERBLUTETE am 17. August 1962 der 18jährigeherige Spaltung Deutschlands Peter Fechter, dessen Leiche hier abtransportiert wird,hinter sich lassen. • (dpa-Archivbild)

EIN FOTO GING UM DIE WELT: Während des Mauerbaus nutzt ein junger Soldat der Volksarmee dieletzte Möglichkeit zur Flucht. (Contipress-Archivbild)

Innerdeutsche Grenze

Trennlinie von 1393 km LängeAls die Siegermächte des

Zweiten Weltkriegs 1944 imLondoner Protokoll Deutsch-land unter sich aufteilten, hattensie auch schon die Grenze zwi-schen den fünf Jahre später ent-standenen beiden deutschenStaaten festgelegt: 1393 Kilome-ter lang, verläuft sie von der Lü-becker Bucht im Norden bis zurdeutsch-tschechoslowakischenGrenze östlich von Hof im Sü-den.

Um die Bürger vom attrakti-ven Westen abzuschotten, be-gann die kommunistische DDR

1952, umfangreiche Sperranla-gen zu errichten: Stacheldraht-,Metallgitter- und Betonzäune,Minenfelder, Gräben, Hundel-aufanlagen und Wachtürme.Dieser bis zu zwei Kilometerbreite Streifen wird von mehrals 45 000 Soldaten der DDR-Grenztruppe überwacht. Zu Be-ginn der 80er Jahre versuchtedie DDR ihr internationales An-sehen zu verbessern, indem sie1983/84 die geiürchteten Selbst-schußanlagen („Tötungsauto-maten" ) an den Metallgitterzäu-nen abbaute. 1985 entfernten

Bautrupps hundertausende Mi-nen.

125 Menschen gelang es 1988(1987: 98), unter Gefahr für Leibund Leben diese Barrieren zuüberwinden. Nach Angaben derZentralen Erfassungsstelle inSalzgitter, wo Unrechtstaten inder DDR registriert werden, ka-men seit dem Bau der BerlinerMauer 1961 an der Grenze zwi-schen der Bundesrepublik undder DDR mindestens 111Flüchtlinge ums Leben, an derMauer 77.

(dpa)

Bundespräsident von Weizsäcker:

Freiheit nicht einzumauernB,'undespräsident Richard vonWeizsäcker hat die Entwick-lung in der DDR als eine „tiefenhistorischen Einschnitt in derNachkriegsgeschichte" gewer-tet. Der Deutschen Presse-Agentur (dpa) erklärte Weiz-säcker am Freitag, die Ereignis-se zeigten, daß Freiheit aufDauer nicht eingemauert wer-,den könne.

Die Stellungnahme des Bun-

despräsidenten hat folgendenWortlaut:

„Die für uns Deutsche so be-wegenden Stunden der letztenNacht bedeuten einen tiefenhistorischen Einschnitt in dieNachkriegsgeschichte. Sie zei-gen aber auch, wie schon dievorangegangenen Entwicklun-gen, daß Freiheit auf Dauernicht eingemauert werdenkann. Respekt und Hochach-

tung gilt den vielen Menschen,die bei aller Bewegung beson-nen geblieben sind und Aus-brüche nicht zugelassen haben.

In diesem Sinne gilt es nun,mit Verantwortungsbewußt-sein und Augenmaß Schritt fürSchritt einen Zustand zu errei-chen, in dem die Menschen inDeutschland hüben und drü-ben in Freiheit und Würde mit-einander leben können."

Page 7: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 264 Politik Samstag, 11. November 1989

Flüchtlingsproblem / Bremen will Wohnraum beschlagnahmen

Behörden suchen mit Hochdrucknach neuen Notunterkünften.. Hamburg (dpa/AP). Mit derÖffnung der innerdeutschenGrenze durch die DDR hat sichdas Flüchtlingsproblem in derBundesrepublik weiter ver-schärft. Die bundesdeutschenBehörden bemühten sich ge-stern mit Hochdruck um zusätz-liche Notunterkünfte in der oh-nehin schon katastrophalen Un-terbringungssituation. Kirchen,Organisationen und Hilfswerkewollen weitere Betten bereit-stellen. Auch die AlliiertenStreitkräfte, Österreich und Ka-nada boten ihre Hilfe an.

Verfügung vorbereitet

Der Bremer Senat will unge-nutzten Wohnraum beschlag-nahmen, falls die Zuwande-rungswelle von DDR-Übersied-lern anhält. Der zuständige Bre-mer Sozialsenator, Bürgermei-ster Henning Scherf, erklärtegestern, er habe eine entspre-chende Beschlagnahmeverfü-gung vorbereiten lassen. Ange-sichts des Massenansturmesvon Menschen aus der DDR undder nicht zu bewältigenden Un-terbringungsprobleme müßtenEigentümer von ungenutztemWohnraum Platz schaffen. Werdazu nicht freiwillig bereit sei,der müsse dann durch die Be-hörden gezwungen werden, sag-te Scherf.

In einer Art konzertierter Ak-tion bereiteten sich Bundeslän-der und Einrichtungen des Bun-des auf die erwartetenen Tau-senden von Neuankömmlingevor. Der Zivilschutz richtete in

einer „Blitzaktion" bundesweitSchutzräume für die Aufnahmevon Übersiedlern her. Die Län-der griffen auf Hilfskrankenhäu-ser, Jugendherbergen, Turnhal-len, Polizeischulen und -kaser-nen zurück. So wurden in Nie-dersachsen sieben meist unter-irdische Hilfskrankenhäusermit rund 2000 Betten vorberei-tet. Auch Hessen, das zum Wo-chenende 8000 neue' Platzeschaffen will, mobilisierte Bet-ten in Hilfskrankenhäusern.Das nordrhein-westfälische So-zialministerium mietete gesternacht auf dem Rhein in Düssel-dorf liegende Hotelschiffe zurUnterbringung von DDR-Über-siedlern an.

Das Technische Hilfswerk(THW) bereitete weitere Be-helfsquartiere vor. In acht Städ-ten seien die angebotenen Ein-richtungen bereits belegt, hießes. Die Bundeswehr hat bis ge-stern abend rund .30 000 Unter-kunftsplätze für Übersiedler inüber 100 Kasernen im ganzenBundesgebiet bereitgestellt. DerBundesgrenzschutz hat in sei-nen Kasernen und Unterkünftenbislang etwa 8000 Menschenaufgenommen.

Hilfe durch Alliierte

Auch die amerikanischenStreitkräfte stellen in ihren Ka-sernenanlagen Unterkünfte zurVerfügung. Dasselbe boten amFreitag die französischen Streit-kräfte in der Bundesrepublik an.In West-Berlin hat die britischeArmee zwei Hallen mit Betten,

Matrazen und Decken herge-richtet. Kanada will Gelände zurErrichtung von Notunterkünf-ten bereitstellen.

Der österreichische Innenmi-nister Franz Löschnak sagte,seine Regierung sei grundsätz-lich bereit, Bonn und Ost-Berlinbei der Lösung von Problemenim Zusammenhang mit denDDR-Flüchtlingen zu helfen.Außenminister Mock lehnteaber die Aufnahme einer größe-ren Zahl von Emigranten ausder DDR entschieden ab.

An Grenze der Belastbarkeit

Das Bayerische Rote Kreuz(BRK) ist durch die anhaltendeMassenflucht inzwischen nahean die Grenze seiner Belastbar-keit gestoßen. Die freiwilligenHelfer hätten mittlerweile500 000 unbezahlte Einsatz-stunden hinter sich, sagte BRK-Präsident Bruno Merk. Das Bay-rische Rote Kreuz stehe nun vorseinem größten Einsätz seitKriegsende.

Der Verband der Angestell-ten-Krankenkassen bot an,Übersiedler in Rehabilitations-zentren, Ausbildungseinrich-tungen und Personalwohnhei-men unterzubringen.

Das Diakonische Werk derEvangelischen Kirchen inDeutschland appellierte an dieKirchengemeinden, schnell undunkonventionell zu helfen. Sostünden zahlreiche Erholungs-und Kureinrichtungen von Kir-chen, Firmen, Verbänden undGewerkschaften im Winter leer.

Parteichef seit 1956

Bulgarien: Todor Schiwkow tritt abSofia (dpa). Der seit 1956 am-

tierende bulgarische ParteichefTodor Schiwkow ist am Freitagvom Zentralkomitee , SeinerPartei überraschend von die-sem Posten entbunden worden.Das meldete die amtliche bul-garische NachrichtenagenturBTA. Nach dieser Meldung batder 78jährige Spitzenpolitikerselbst um seine Entlassung.

Der bisherige AußenministerPetar Mladenow wurde seinNachfolger. Das Zentralkomi-tee hat dem Parlament darüberhinaus vorgeschlagen,Schiwkow auch als Staatsober-haupt abzulösen.

Die Ablösung Schiwkowskam für westliche Beobachterin Sofia völlig überraschend.Erst vor wenigen Tagen hatte

sich Schiwkow noch an dieSpitze der Reformbewegunggesetzt. Die bulgarischen Re-formbemühungen seien deut-lich hinter der Lage in der So-wjetunion zurückgeblieben,hatte er kritisiert. Er hatte dieErrichtung einer „bürgerlichenGesellschaft sozialistischenTyps" mit politischem Pluralis-mus angekündigt.

Öffnung der Grenzen durch Ostberlin

Moskau: Kluge und richtige EntscheidungMoskau/Washington (dpa).

Der sowjetische AußenministerSchewardnadse hat die Ent-scheidung Ost-Berlins, dieGrenzen zur Bundesrepublikund zu West-Berlin zu öffnen,als eine „normale Entscheidung"bezeichnet. In einem Interviewsagte das Politbüro-Mitglied:„Die Öffnung der Kontrollpunk-te in Berlin geschah nicht aufunsere Weisung, die deutschenFreunde selbst haben diese Ent-scheidung getroffen". Sche-

wardnadse weiter: „Ich glaube,es war eine richtige und kluge,eine weise Entscheidung."

Er schloß gleichzeitig aus, daßin der DDR eine Regierung ohnedie Beteiligung der Kommuni-sten möglich sei. „Ich glaube,das wird nicht passieren".

US-Präsident Bush begrüßtedie Öffnung der DDR-Grenze,beobachtet aber auch mit Vor-sicht die Fortschritte der DDR inRichtung .Demokratie. „Nie-

mand weiß, was demnächst pas-sieren wird", sagte er in derNacht zum Freitag. Bush fügtehinzu: „Aber es läuft in unsereRichtung." Die Grenzöffnungnannte der Präsident „ein dra-matisches Ereignis". Viele DDR-Bürger, die sich eingesperrt ge-fühlt hätten, könnten nun sagen:„Sieh mal, wir können umzie-hen, aber wäre es nicht besser,wir beteiligen uns an den Refor-men, die in unserem Lande vorsich gehen?".

Echo auf Grenzöffnung

Parteien:Reformprozeßunterstützen

Bonn (dpa/AP). Nach der Öff-nung der DDR-Grenze zum We-sten haben gestern im Bundesratdie Bundesregierung und dieBundesländer ihre Bereitschaftbekräftigt, den Reformprozeß inder DDR mit großzügiger Hilfezu unterstützen. In einer spon-tanen Aussprache in der Län-dervertretung wurde zugleichversichert, daß auch weiterhinin der Bundesrepublik alleDDR-Bürger willkommen seien,die sich trotz des Wandels zurAusreise entschlossen hätten.

Der neue Präsident des Bun-desrates, der Berliner Regieren-de Bürgermeister Momper(SPD), eröffnete die Sitzung mitden Worten: „Gestern Nachtwar das deutsche Volk dasglücklichste Volk auf der Welt."Auf diesen Tag hätten die Deut-schen 28 Jahre seit dem Mauer-bau gewartet. Die hohen Lastenund die großen Probleme, die aufdie Bundesländer zukämen,würden angesichts der Freudeüber die Entwicklung inDeutschland gemeistert werden.

Kanzleramtsminister Seiters(CDU) bekräftigte die ZusageBundeskanzler Kohls, der DDRbei wirklichen Reformen in ei-ner „völlig neuen Dimension" zuhelfen. An die Länder und dieBürger in der Bundesrepublikappellierte er, die auftretendenProbleme solidarisch zu lösen.Besondere Unterstützung brau-che auch Berlin.

SPD für „runde Tische"

Die Bundestagsfraktionen be-rieten in Sondersitzungen. SPD-Fraktionschef Vogel plädiertefür ein schnelles Treffen Kohlsmit dem nominierten DDR-Re-gierungschef Modrow. Er for-derte die Einrichtung von „run-den Tischen" nach polnischemMuster in Ost-Berlin und Bonn.

Unions-Fraktionschef Dreg-ger bewertete diesen Vorschlagzurückhaltend. Wie Vogel un-terstrich er aber die Bereit-schaft, der DDR bei Versor-gungsschwierigkeiten zu helfen.

Der CSU-Vorsitzende, Bun-desfinanzminister Waigel, stell-te auf einer Pressekonferenz inMünchen der DDR projektge-bundene Kredite in Aussicht.Bundesdeutsche Hilfen müßtenjedoch an weitreichende politi-sche und wirtschaftliche Refor-men geknüpft werden.

FDP mit „Marshallplan"

Die FDP will Vorschläge fürbessere Lebensverhältnisse inder DDR entwickeln. Ihr Fi-nanzexperte Gattermann prä-sentierte bereits eine Art„Marshallplan" für private ge-werbliche Investoren. Danachsoll ein Fonds bei der Lasteriaus-gleichsbank eingerichtet wer-den, dessen Mittel durch privatebundesdeutsche Kapitalgeberaufzubringen wären.

Die Grünen forderten eine ra-dikale Kürzung des Rüstungs-haushalts, eine drastische Re-duzierung der Bundeswehr undngere Zusammenarbeit mit der

DDR auf dem Gebiet des Um-weltschutzes.

Vereinbarungen unterzeichnet / Kohl:

^Entwicklung in Polennicht vernachlässigen'

Warschau (dpa/AP). Bundes-außenminister Genscher undsein polnischer AmtskollegeSkubiszewski haben gestern imBeisein der Regierungschefs bei-der Länder eine Reihe von Ab-kommen und Ressortvereinba-rungen unterzeichnet, darunterdas erst vor einigen Tagen fer-tiggestellte Investitionsschutz-abkommen und Vereinbarungenüber Jugendaustausch, Kultur-institute und die Errichtigungvon Generalkonsulaten in Kra-kau und Hamburg.

Genscher reiste am Nachmit-tag zusammen mit Bundeskanz-ler Kohl in die Bundesrepublikzurück. Kohl, der seinen fürsechs Tage geplanten offiziellenBesuch in Polen wegen der Er-eignisse in der DDR unterbrach,entschuldigte sich am Flughafenbei seinen polnischen Gastge-bern und versicherte: „Ich bin in28 Stunden wieder da."

Der Kanzler hatte in den Mor-genstunden nach einer Kranz-niederlegung am Ghetto-Denk-mal in Warschau an die Persön-lichkeiten aus Wirtschaft, Kul-tur und Politik aus seiner Be-gleitdelegation appelliert, in Po-

len zu bleiben und ihre Gesprä-che wie geplant zu führen. Esdürfe nicht der Eindruck entste-hen, daß man jetzt, die polnischeEntwicklung vernachlässige.1

Kohl hatte dem polnischenRegierungschef Mazowieckihatte am Donnerstag abend ei-nen Brief über wirtschaftlicheHilfsmaßnhamen für Polenübergeben. Bundeswirtschafts-minister Haussmann teilte mit,die Bundesregierung wolle denpolnischen Reformkurs mit ei-ner neuen Kredit von drei Milli-arden DM unterstützen. Zu-gleich'verzichtete die Bundesre-gierung praktisch auf den größ-ten Teil der Rückzahlung des al-ten Milliarden-Kredits: 750 Mil-lionen DM Kredit- und Zinsver-pflichtungen werden ganz erlas-sen, 570 Millionen DM werdenin Zloty in einen Fonds einge-zahlt, aus dem gemeinsame Pro-jekte in Polen finanziert werden.

Kohl will - sofern nichts Un-vorhergesehenes eintritt" heuteabend wieder in Warschau seinund am Sonntag zusammen mitdem polnischen Ministerpräsi-denten Mazowiecki an einerMesse in Kreisau teilnehmen.

Volksarmee Werden abkommandiert

Zunächst keine Stasi-LeuteEinberufungen in den Tagebau

Berlin (dpa). Die DDR will diewegen der Ausreisewelleschwierige wirtschaftliche Si-tuation durch den Einsatz vonSoldaten bewältigen. Daher sol-len von Januar bis April 1990keine Reservisten in die Natio-nale Volksarmee (NVA) und dieGrenztruppen eingezogen wer-den. Wie das Verteidigungsmi-nisterium der Nachrichtenagen-tur ADN zufolge mitteilte, wer-den gleichzeitig die für den Zeit-raum vom 6. November bis 8.Dezember 1989 festgelegtenEinberufungsüberprüfungerfzum Reservistenwehrdienst für1990 eingestellt.

Ostberliner Anwalt

De Maiziereneuer CDU-Chef

Berlin (dpa). Der OstberlinerRechtsanwalt Lothar de Maizie-re ist neuer Vorsitzender derCDU in der DDR. Auf ihn entfie-len im Hauptvorstand der Partei92 von 118 abgegebenen Stim-men, meldete die amtliche DDR-Nachrichtenagentur ADN ge-stern. Sein Gegenkandidat Win-fried Wölk erhielt vier Stimmen.Der bisherige langjährige Vor-sitzende Gerald Götting war erstvor wenigen Tagen zurückge-treten.

Der 49jährige de Maiziere istein Neffe des ehemaligen Gene-ralinspekteurs der Bundeswehr,Ulrich de Maiziere.

Berlin (AP). 1200 Mitarbeiterdes DDR-Staatssicherheitsdien-stes werden nach Angaben desstellvertretenden Ministers fürStaatssicherheit, Rudi Mittig, inden nächsten Tagen zum Braun-kohleabbau abkommandiert.Mittig habe das Zentralkomiteeder SED darüber informiert, daßAngehörige seines Ministeri-ums „zur sofortigen Unterstüt-zung für die Volkswirtschaft ...in der Braunkohle zum Einsatzkommen" sollten, meldete die"DDR-NacKrichtenagentur A,pNam Freitag. Demonstranten inder DDR hatten mehrfach gefor-dert: „Stasi in den Tagebau."

DDR-TV-Nachrichten

„AktuelleKamera" in 3Sat

Mainz (eg). Die Nachrichten-sendung des DDR-Fernsehens„Aktuelle Kamera" wird künftigtäglich zum Programmschlußauch über das gemeinsame Sa-tellitenprogramm 3Sat von ZDF,ORF und SRG ausgestrahlt. Dasist das Ergebnis einer Überein-kunft, die zwischen den Pro-grammverantworllichen vonZDF/3Sat und dem Fernsehender DDR vereinbart wurde.3Sat-Koordinator Walter Kon-rad sagte dazu: „Wir sollten an-gesichts der jüngsten Ereignis-se... jede Perspektive nutzen, umein umfassendes Bild der Situa-tion zu dokumentieren."

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Page 8: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 264 Wirtschaft Samstag, 11. November 1989

Die Rentenreform im Detail (Teil 2)

Drei Erziehungsjahrebald anrechenbar

Bonn. Am vergangenenDonnerstag verabschiedeteder Bundestag in Bonn die Re-iormgesetze zur Altersiche-rung. Mit den Gesetzen, diezum großen Teil zum 1. Januar1992 in Kraft treten, sollen vorallem die sich aus dem wach-senden Anteil alter Menschenan der Gesellschaft sich erge-benden Finanzprobleme derAltersklassen gelöst werden.In unserer Serie stellen wir diewichtigsten Änderungen imDetail vor.• Bundeszuschuß. Der Zu-schuß des Bundes zur Renten-versicherung von derzeit 29,4Milliarden Mark wird 1990um 300 Millionen Mark, imfolgenden Jahr um weitere 2,3Milliarden aufgestockt. Dazukommen 1992 noch voraus-sichtlich 4,8 Milliarden Mark,mit denen die bisher gesonderterstatteten Ausgaben für Kin-dererziehungszeiten pauschalabgegolten werden. Ab dannwird er jährlich automatischerhöht; der Anstieg ist ab 1992nicht nur an den der Brutto-verdienste, sondern auch anden der Beitragssätze gekop-pelt. Damit wird der Anteil desBundes an den Rentenausga-ben bis zum Jahr 2010 aufetwa 19,2 Prozent stabilisiert.• Erziehungs- und Pflegezeit.Für Kinder, die ab 1992 gebo-ren werden, kann sich Mutter

oder Vater drei statt bisher einKindererziehungsjahr anrech-nen lassen, die mit 75 Prozentdes Durchschnittseinkom-mens bewertet werden. Wermehr verdient und nach derGeburt weiterarbeitet, hat da-von nichts. Insgesamt zehn Er-ziehungsjahre sowie Pflegezei-ten wirken sich als sogenannte„Berücksichtigungszeiten"rentensteigernd aus. Ein ur-sprünglicher Unterschied zurBeamtenversorgung, wonachein Jahr Kindererziehung fürdie Staatsdiener gut den dop-pelten Betrag ausgemacht hät-te, wurde ausgebügelt: Jetzt istein Babyjahr für pensionierteBeamte und Rentner gleicher-maßen 28,79 Mark im Monatwert.

• Rente nach Mindesteinkom-men. Diese Regelung, die vorallem Frauen mit wenig Ein-kommen begünstigt, wird ver-längert und auch auf niedrigePflichtbeiträge in den Jahrenseit 1973 ausgedehnt. Damitwerden Geringverdiener sobehandelt, als hätten sie höch-stens 75 Prozent des durch-schnittlichen Rentenbeitragsgezahlt. Voraussetzung dafürist eine Wartezeit von 35 (bis-her 25) Jahren, wobei „Be-rücksichtigüngszeiten" einge-schlossen sind.

(Wird fortgesetzt)

Lufthansa und Interflug Durch „Private"

Kooperation Werbe-Einbußenwird erweitert in der ARD

Frankfurt (dpa/vwd). Die Flug-gesellschaften Interflug undLufthansa (LH) wollen ihre Zu-sammenarbeit erweitern undden innerdeutschen Flugver-kehr - ,,auf eine normale Jpasisstellen". Angesichts derr.'Rei*seerleichterungen für DDR-Bür-ger sei eine deutliche Steigerungder Nachfrage nach regulärenVerbindungen zwischen beidendeutschen Staaten zu erwarten.Das wurde in einem gestern inFrankfurt verbreiteten „Kom-munique Leipzig" bekannt, dasInterflug-Generaldirektor KlausHenkes und Lufthansa-Vor-standschef Heinz Ruhnau nacheinem Verhandlungen am Don-nerstag in Leipzig unterzeichnethatten.

Die Linienflüge zwischenFrankfurt und Leipzig sowiezwischen Leipzig und Düssel-dorf sollten ohne zeitliche Ein-schränkung fortgesetzt werden,fordern Lufthansa und Interflug.Die Begrenzung bis zum 1. Fe-bruar sei nicht geeignet, einedauerhafte Verbindung zuschaffen, und mit Genehmigun-gen für jeweils nur drei Monatewerde der kommerzielle Erfolgverhindert. In Kürze werde dieFortsetzung der Flüge nach dem1. Februar 1990 beantragt.

Berlin (dpa). Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender be-kommen die private Konkur-renz immer stärker zu spüren.Bei einem insgesamt stark ex-pandierenden- Werbemarkt ge-hen immer mehr lukrative Wer-beaufträge an ihnen vorbei. DieEinbußen im Werbegeschäft er-reichen inzwischen mehrstelligeMillionenbeträge, wie eine Um-frage für die neueste Ausgabedes dpa-Informationsdienstesfür Medien ergab.

Von den zum Teil dramati-schen Einbrüchen sind bislangausschließlich die ARD-Senderim Norden und Westen betrof-fen, die ihre Preise für Werbe-spots zum Teil bereits kräftig ge-senkt haben. Der Umfrage zufol-ge blieben bislang die Sender inSüddeutschland von dieser Ent-wicklung verschont. NebenPreissenkungen und Sparmaß-nahmen gibt es innerhalb derARD jetzt Überlegungen, Wer-bezeiten überwiegend bundes-weit anzubieten. Anders als frü-her sind beim WestdeutschenRundfunk (WDR), beim Saar-ländischen Rundfunk (SR), beimNorddeutschen Rundfunk(NDR) und beim Sender FreiesBerlin (SFB) die Werbezeitennicht mehr ausgebucht.

DDR / Investitionen, Kooperationen

Bundesdeutsche Firmen in StartlöchernHamburg (dpa/vwd). Auf die

„überwältigende und atembe-raubende" Entwicklung in derDDR hat die bundesdeutschePrivatwirtschaft mit großemKooperationswillen reagiert. Ineiner dpa-Umfrage am Freitagmachten die befragten Großun-ternehmen jedoch auch klar,daß noch weitreichende Wirt-schaftsreformen in der DDR not-wendig sind, um neue Hilfsmaß-nahmen, Joint Ventures und Di-rektinvestitionen im großem Stilin die Tat umzusetzen.

Der Daimler-Benz-Konzerngeht nach der „überwältigendenEntwicklung" in der DDR davonaus, daß die bisherigen Ge-schäftsentwicklungen eine„qualitativ neue Dimension er-fahren". UnternehmenssprecherMatthias Kleinert erklärte: „An-gesichts der aktuellen Entwick-lung eröffnen sich vielleichtChancen des gemeinsamen Wir-kens, die wir bis vor kurzemnicht für möglich gehalten ha-ben."

Sein Unternehmen sei selbst-verständlich bereit, über kon-krete Projekte „einer verstärk-ten Zusammmenarbeit auf allenGebieten, die unser Konzern be-arbeitet, mit der DDR zu spre-

chen". Erst Ende September hat-te der designierte DDR-Regie-rungschef Hans Modrow denAutokonzern besucht. Damalshatte er erklärt, daß das Fahr-zeugkombinat IFA mit Daimler-Benz Gespräche über eine Zu-sammenarbeit auf dem Gebietder Nutzfahrzeuge führe.

„Schnell handeln" •

Nach Einschätzung von Thys-sen-Chef Dieter Spethmannsind „viele deutsche und anderewestliche Unternehmen bereit,schnell zu handeln", in dem sieBetriebe in der DDR eröffnen.Den Unternehmen muß lautSpethmann in der DDR Gele-genheit gegeben werden,Grundstücke zu nutzen unddarauf Betriebe zu errichten.Maschinen und Produktions-programme würden mitge-bracht.

Für die Vermarktung der dortgefertigten Produkte auf demWeltmarkt werden dann bun-desdeutsche Firmen sorgen. DieDDR-Mitarbeiter könnten mitden so eingenommen Devisenauch in West-Geld entlohntwerden. Damit sei dann eine

realer Ansatz erreicht, „dieMenschen am Verbleib in derDDR zu überzeugen ". Die bun-desdeutschen Großunterneh-men haben jedoch als Voraus-'Setzung für ein starkes Engage-ment fast ausnahmslos mehrmarktwirtschaftliche Elemente,in der DDR gefordert. Commerz-bank-Chef Walter Seipp erklär-te: „Angesichts der rasch wach-senden politischen Veränderun-gen in der DDR sollten wir nichtdavon ausgehen, daß auch diewirtschaftliche Lage im anderenTeil Deutschlands mit einemPaukenschlag von heute aufmorgen geändert werden kann."Seipp forderte» für Joint Ventu-res ein „Investitionschutzab-kommen", das auch die Fragedes „Gewinntransfers" ein-schließe.

„Produkte bekannt"

Die Deutsche UnilieverGmbH (Hamburg) sieht in derÖffnung der DDR große Markt-chancen. „80 Prozent der DDR-Bevölkerung kennt unsere Pro-dukte durch die Fernsehwer-.bung", erklärte der Sprecher desNahrungs- und Waschmittel-

Südwesten/Metallarbeitgeber reagierten auf IG-Metall-Forderungen

Gewerkschaftspaket abgelehntFellbach (AP). Die baden-

württembergischen Metallar-beitgeber haben gestern mit ei-ner Reihe von Gegenvorschlä-gen auf den Forderungkatalogder IG Metall geantwortet, diein der Tarifrunde des kommen-den Frühjahrs sowohl die 35-Stunden-Woche als auch Ein-kommenserhöhungen um achtbis neun Prozent durchsetzenwill. Der Vorsitzende des Ver-bands der Metallindustrie(VMI), Dieter Hundt, sprachsich in Fellbach dafür aus, daßhochqualifizierte Kräfte längerarbeiten sollen als dies der ge-genwärtige Tarifvertrag erlaubt.Außerdem soll auch Samstags-arbeit möglich werden.

Das Forderungspaket der Ge-werkschaft, das nach Arbeitge-berberechnungen eine Gesamt-belastung in zweistelliger Höhe

umfaßt, lehnte Hundt ab. Nachden Vorstellungen des Ver-bandsvorsitzenden soll derkünftige Manteltarifvertrag fürFacharbeiter eine Regelarbeits-zeit von 40 Stunden statt dergegenwärtigen 37 Stunden er-möglichen.

Er plädierte dafür, die Ar-beitszeit auf maximal zehn Stun-den täglich und an sechs Tagenin der Woche zu verteilen. Da-mit soll auch samstags gearbei-tet werden können.

Die IG Metall verlangt dage:gen die Einführung einer „Nor- 'malarbeitszeit" von 35 Stundenin der Woche für alle.,Verteiltwerden soll die Normalarbeits-zeit auf maximal acht Stundenam Tag und 40 Stunden in derWoche, wobei nur von Montagbis Freitag gearbeitet werdensoll. Der Samstag darf nach den

Überlegungen der Gewerk-schaft nicht zur Regelarbeitszeitwerden, der Sonntag soll ar-beitsfrei bleiben.

Darüber hinaus präsentiertedie Gewerkschalt im Südwe-sten, wo rund eine Million Me-tallarbeitnehmer tätig sind, eindickes Bündel von Zusatzforde-rungen, die von weitgehenderArbeitszeitsouveränität überdie Verwirklichung der Men-schenwürde im Betrieb bis hinzu weitgehenden Mitbestimm-ugsrechten des Betriebsrates

"reichen. •Hundt sprach von einem

„sehr engen" Yerteilungsspiel:,räum im kommenden Jahr und'schlug vor, den erwarteten Pro-duktivitätsfortschritt in Höhevon rund drei Prozent voll fürEinkommensverbesserungen zuverwenden.

Mercedes-Benz AG / Niederlassung Kassel

Dreifacher Wechsel in der FührungsspitzeKassel (hos). In der Kasseler

Niederlassung der Mercedes-Benz AG dreht sich das Perso-nalkarussell: Gleich drei Mit-glieder der Führungsmann-schaft wechseln im Rahmen derUmorganisation des Daimler-Konzerns, in deren VerlaufPkw- und Nutzfahrzeugbereichaus der Holding Daimler-BenzAG in eine neugeschaffene Ge-sellschaft Mercedes-Benz AGeingegliedert wurden, in anderePositionen. Technischer LeiterDetlef König wechselt als Tech-

nischer Leiter für die RegionMitte nach Mannheim. Nachfol-ger des 50jährigen ist der 39jäh-rige Klaus Ulkann, der bisherTechnischer Leiter der Nieder-lassung Schweinfurt war.

Helmut Altemöller (47), Ver-kaufsleiter Nutzfahrzeuge undUm'mog, geht als VertriebsleiterNutzfahrzeuge der Region Mitteebenfalls nach Mannheim. SeinePosition in Kassel besetzt der46jährige Ulrich Vreemann, derbisher im Vertrieb Nutzfahrzeu-ge in der Zentrale in Stuttgart

tätig war.Der Verkaufsleiter Pkw der

Kasseler Niederlassung, KurtSchwierzowski (45), wechselt indie Stuttgarter Konzernzentra-le. Für ihn kommt der 46jährigeHorst Grimm aus der BerlinerNiederlassung nach Kassel.

Niederlassungsleiter HorstBeier dankte den scheidendenMitarbeitern in einer Feierstun-de und würdigte deren Verdien-ste um den Aufbau der KasselerNiederlassung.

konzerns Helmut Barth. Fdl'sdie Rahmenbedingungen sichentsprechend entwickln, willUnilever auch in der DDR inve-stieren.

Die Continental AG (Hanno-ver) sei als „an der Grenze lie-gendes Unternehmen" bereit,sich .verstärkt in der DDR zuengagieren. Sinnvoll könntenJoint Ventures sein, wenn dieRahmenbedingungen stimmten,sagte ein Sprecher des Reiten -herstellers.- Dazu gehörten einverläßliches Rechts- und Wah-ruhgssytem sowie ein funktio-nierendes Rechnungswesen.

Interesse Reemtsmas-

Auch die Reemtsma Cigaret-tenfabriken GmbH (Hamburg)bringt die Bereitschaft; zu Di-rektinvestitionen und Know-How-Transfer mit. Sonst würdeder Gesamtvorstand nicht - wievorgesehen - am 19. und.20. No-vember in Dresden zusammen-treten, sagte ein Unternehmens-sprecher. Die erste Sitzung desGesamtvorstands außerhalb desWerks sei ein „Signal",, das inder DDR sicher verstanden wer-de.

Neues vom Tage

Dollar festerFrankfurt. Der amtliche Mit-

telkurs des US-Dollar wurde amFreitag in Frankfurt mit 1,8517(Donnerstag: 1,8447) DM ohneoffizielle Mitwirkung der Deut-schen Bundesbank festgestellt.

Höhere RenditeBonn. Vom 13. November an

werden neue' Bundesobligatio-nen mit einem Nominalzins von7,25 Prozent (Serie 87) zürn Ver-kaufskurs von 99,5 Prozent miteiner Rendite von 7,37 Prozentangeboten. Sie werden am 20.Dezember 1994 fällig.

Cointreau, Remy fusionierenParis, Die^yiberwiegend^von

Familien gehaltenen französi-schen Getränkehersteller Coin-treau und Remy Martin fusio-nieren. In die neue Wein- undSpirituosen-Gruppe bringtRemy 4,15 Milliarden Francs(1,2 Mrd. DM), Cointreau 1,8Milliarden Franc Jahresumsatzein. Nach Angaben der Unter-nehmen vom Freitag in Paris solldie Identität jedes Partners ge-wahrt bleiben.

Stagnieren SpritpreiseDüsseldorf. Für die Fahrer der

fast 30 Millionen Autos auf bun-desdeutschen Straßen wird sichnach Ansicht des Esso-ChefsThomas Kohlmorgen mit demgemeinsamen europäischen Bin-nenmarkt bei den Benzinpreisennichts'ändern. Die in den EG-Mitgliedsländern zum Teil sehrgroßen Preisunterschiede fürBenzin blieben zunächst beste-hen, so der Esso-Chef in Düssel-dorf. Eine Harmonisierung derunterschiedlichen Mineralöl-steuersätze sei nicht realistisch.

BÖRSEFrankfurter Wertpa-pierbörse, übermitteltvon der DRESDNERBANK.

LebhaftAn den deutschen Aktien-märkten kam es am Freitagnach der Öffnung der DDR-Grenze bei recht lebhaftemGeschäft zu einer deutli-chen Kurstestigung. DieÜbersiedlerwelle verhalfvor allem Bau-, Maschinen-bau- und Konsumwerten zudeutlichen Aufschlägen.Der Commerzbank-Indexstieg um 33,3 auf 1 862,3Punkte. Leichter hat derRentenmarkt nach mittle-rem Umsatz geschlossen.Der Commerzbank-Renten-marktmdex betrug 104,847(plus 0,033).

Alle Angaben ohne Gewähr

Aktien

Stücknotiz in DM

AEGAG für VerkehrAllianz vers.AltanaAnzagAsea Brown BoverBASF3ayer3ayer Hypo3ayer Veremsb.3ekulaDill, -r bergerBHF-Bank3MW3mding3OSS Vz.3rau und Brunnen3rem. VulkanCommerzbankkontinental AGDaimlerDegussaDeutsch. BabcockDeutsche BankDLWDresdner BankDyckerh StämmeFAG KugelfischerFeldmühle NobelFrankfurter Hypo.GoldschmidtHagen BatterieHambornerHarpenerHeidelb. ZementHenkel Vz,Herlitz StämmeHenninger BrHochtiefHoechstHoeschHolzmann

2,401012116

121212

12,50135

1 n1U12

12,501022

0098

1210,50

512121087

1012124

• 8

12,508

8,5066

10128

10

9, 11

242,00664,00

2055,00402,00350,00640,00267,70278,50372,30355,00117,50

401'00520,50550,00

1200,00470,00115,00256,00351,50654,00467,00195,00654,00700,00327,00

345,00550,00900,00424,50210,00479.00484.00

1180.00527,00246,00680,00928,00264.00228,50

1055,00

10 11.

244.50690,00

2070,00408.50346,00643,00270.00281,20375,00364,00127,50ccc nnDOu.UU401,00534,50574,50

1250,00494,00115.00258.00345,50659,50478,00198,00665.00715,00334,00850,00358,00553,50915,00433,00210,00495,00 '490,00

1220,00534,00255,00700,00980,00265,30223,80

1140,00

Aktien

Stücknotiz in DM

HortenHussel/OouglasIWKAKali + SalzKarstadtKaufhofKSB StämmeKHDKlöckner-WerkeKolbenschmidtLeifheit

LindeLufthansaMAHOMANMannesmannMauser Wald.Mercedes Hold.Metallges.NixdorfPKIPorschePreussagPUMA Vz,PWARheinmetallRosenthalRWE StammeSalamanderScheringSiemensSELThyssenVartaVDOVebaVEWVIAGVGTVWWellaWMF

610709

8,506,50

008

121 Tlo46

6,506,50

01284

1611509

8,50588

1211

2,507,50

106,50

116,507.507.50

1095

9. 11.

297,00689.90278.00221,50574.00551,00265,00169.00146.50232,50590,00

174^00347.00340,00230,00280,00517,50443,50322 00569^00775,00309,00340.00280,00360,00340,00311,50415,50733,50545,50319,00212,80368,00280.00321.50175,50305,50570.00416.00598,50455,00

10 11.

310,00730.00296.00223.20605.00580.00272.00173.5015100238,00

mo. uu176.50358.00352.50240.00283,00522.00458,00318.00569,00760,00308,50342.00287.00368,00 '345,00318,00440,00741.00559.50317.00223.50379.00289,00330.50180.50309.00549.50432,00609.00

Festverz. Werte, Wandel

und upuonsa meinen

6,5% Buobl, S. 59 (90)6,75% Bund v. 85/956% Bund v, 86/987,125% Bahn v. 85/957% Post v, 85'976,75% Hyp. Hbg, (95)6,75% KfW v. 85/939,125% Dresdner ECU/938% Hoechst $ v. 83 ex12.375% Dresd. A-$ 85/90

9, 11

98.6096,6591.4098,5097,7594,6096,35

101,37597,0097,75

Auslandsaktien (DM/Stck.)

AkzoAlcanAlgem. Bk. Nedl.AlusuisseAnglo American CorpBanco CentralBPDe BeersExxonFiat StämmeGeneral MotorsHitachi (100 St.)IBMICIITTKLMLittonNorsk HydroOlivetti Vorz.PhilipsRoyal DutchSchweiz. Bankges.SonyUnileverUnited TechnXerox

9, 11.

112,4040.1037.00

1525,0048,0075.00

8.6026.3084,0014,3081,70

1840,00178,5033,30

106,5040.90

155,5038,50

6,7042,50

119,504085,00

107.00127,4098.00

104,90

10 11.

98,6096,3591,2598,5097,6594,6096,35

101,37597.0097,75

10. 11.

112,5040,2036.80

1550,0047.3075,00

8,6526,3083 5014.3582.50

1840,00180,5033,00

106,5040,90

156,5038,70

6,6043,40

119,504110.00

108.50129.2097.50

104.50

Investmentfonds

AdifondsAdirentaAditecAdiverbaA.G.I -Fonds Nr. 1AkkumulaColonia RtfdsConcentraDekafondsDekarentDekaspezial

DekatresorDespa-FondsDIFA-Fonds Nr.1DIT-Eurozins

2,101,401,002.457,00

—2,911,281.302,30

3,308,00270

DIT-Intern Rtfds, „K" 5,51DIT Paziftk-Fds.DIT-SchweizDIT-Rohstoff-Fds.Dt. RentenfondsDWS EurorentaFondirentFondiroGerling DynGerling RenditeGrundbesitz InvGrundw. FondsHaus-Invest.III Fonds Nr 1IndustriaInrentaInterkapitalInter-RentaIntervestIntern. Rentenf.InvestaPlusfondsRenditdekaRentensparfondsThesaurentTransatlantaUnifonds

0,80—

' 1,204,166,007,151,802,754,203.206,503.204,601,284,401.203,103,806,122,652,851,903,55

0,251,34

Ausg.

10. 11

72.4721,91

112.55173.29179.71315.75

48,8443,2955,2033.08

204.8C

88'.34179.9077.0978,07

167.4284,8792,2982,5088,0080,8895,9069,1551,6476,40

138,30•71,00121.4068.6265,00

—35,35

102,2580,3470,6082,6833,7755,9780,1729,6033,50

Rücknahme

10. 11.

69.0221,27

107,19165,04171,15300,71

47,1941,2352,4432,12

194.57

83^93170.90

78.8476,17

159,4582,4089,6080,4985,4478,5291,3366,1750,1472,72

131,0967,54

115.5065.3563.3821,5434.3097,3778,0067,2378,7432,7954,3478,2128,1931,83

Investmentfonds

Uniglobal 132Unirak 3.89Umrenta • 2.80Unispezial 1,65

Ausg.

0 11

84.5078.6540.5084.20

Dpvtapnkiirse {Verkauf in nun

USA (US $ 1.-)England (£ 1,-)Irland (Ir £ 1,-)Kanada (kan $ 1,-)Holland (hfl 100)Schweiz (sfr 100)Belgien (bfr 100)Frankreich (FF 100)Dänemark (dkr 100)Norwegen (nkr 100)Schweden (skr 100)Italien (Lire 1000)Österreich (öS 100)Spanien (Pta 100) ,Portugal (Esc 100)Japan (Yen 100)Finnland (Fmk 100)100 M Ost (Ank.)100 M Ost (Verk.)

Metalle + Münzen (o. MwSt.)

Unze Gold (US-$) LondonGold (Ankauf)Gold (Verkauf)Silber (Ankauf)Silber (Verkauf)Krügerrand (neu)Maple LeafTscherwonez 1975-80je 100 kg: ,ElektrokupferAlüm. f. L.Blei in KabelnMessing MS 58-1Messing MS 58-2Messing MS 63

. 691.00722,00165 00

504,14362.00136.25436.00462,00492,00

Rücknahme

10 11

80 4474 8839.30

• 80.16

1 85572 9^3

'• 2.6701 5886

•8ß>35114 0<i5

4 77929.5752584526.80028.900

1.374514.223

1.5901.1801.2985

43.4109 50

12.50

386 4522700.0023 500.00

30000360,00

— 731.00— 762,00— 191,00

— 506.20— 365.00— 137,25— 451,00— 485,00— 499,00

Page 9: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 264 Hessen Samstag, 11. November 1989

Ganz besondere Brote j ^ ue

en

n i nKaufungen (Landkreis Kassel) gestern aus Sau-erteig und Roggenmehl im Freien geknetet undim Backhaus gebacken. Das verwendete Mehlstammt aus einem „ Roggenanbau wie vor 50 Jah-ren", den der Arbeitskreis RegionalmuseumKauf ungen angeregt hatte. Saat, Ernte, Verarbei-tung und jetzt schließlich das Brotbacken - alles„wie zu Omas Zeiten". Ganz stilecht wurde imSeptember vorigen Jahres der Boden mit Pferdengepflügt und das Getreide eingesät. Mit der Sen-se zogen die Kaufunger zur Ernte im Juli auf das

Feld und schwangen anschließend die Dresch-flegel. Gestern nun wurde das alte Öfchen mitHolz und Reisig eingeheizt: Mit einem vier Meterlangen Holzschieber holt August Viehmann (imBild rechts, neben ihm seine Frau Marie) dieschwelende Glut aus dem Ofen; die Lehmwändehaben sich inzwischen gut aufgeheizt. Mit der„Huddel" reinigt er den Backraum von Asche.Dann gibt er das Backen frei. 25 große Laibe Brotverschwinden einer nach dem anderen im heißenOfen. Nach der Aktion treffen sich alle Beteilig-ten heute zum großen Brotschlemmen.

((itx/Foto: Herzog)

Weserbergland-Mittelweser

Fremdenverkehrsverbandmit neuem Erscheinungsbild

Rinteln (ybc). Der Fremden-verkehrsverband Weserberg-land-Mittelweser mit seinensechs Regionen zwischen Qber-weser, Mittelweser-SteinhuderMeer" Deister-Ö'sterwajld,Schaumburg-PÖrta Westfalicaund dem Osnabrücker Land sollstärker zusammenwachsen.Deshalb gehören die Reorgani-sation des Verbandes, die Festi-gung des Erscheinungsbildesund der Identität des Verbandessowie ein besseres „Marketing"zu den Hauptaufgaben für 1990,wie in der Verbandsversamm-lung in Rinteln bekanntgegebenwurde.

Dazu wurde als vielfältig ver-wendbares Werbesymbol fürdie nächsten Jahre auch einneues grün-blaues Verbands-logo mit Wellenlinien (Weser,Ufer und Berge) vorgestellt.

Bei 35 000 Betten im Ver-bandsgebiet wurden mit6,8 Millionen Gästeankünften

bis einschließlich Oktober vierProzent mehr Übernachtungenals im Vorjahr gezählt: Das We-serbergland zähle deutlich zuden Gewinnern: Deutschland-Urlaub und Mittelgebirge lägenderzeitig im Trend, Ferienorteseien attraktiver geworden, kul-turspezifische Werbemaßnah-men zeigten ihre Wirkung.

Radfernweg

Auch das für 1989 kreierte„Jahr der Weserrenaissance"und die „Straße der Weser-renaissance" seien hervor-ragend angenommen worden.Außerdem sei das Angebot imWeserbergland durch den 190Kilometer langen Radfernweg er-weitert worden, dessen Teilbe-reich von Münden bis Minden imOktober eingeweiht wurde. Esfehle nur noch die Fortsetzungzur Mittelweser nach Bremen.

Appell an Kommunen

Land verkauftGrundstücke

Wiesbaden (lhe). Das LandHessen will zugunsten desWohnungsbaus 22 staatlicheGrundstücke mit einer Gesamt-fläche von fast 280.000 Qua-dratmeter an Kommunen ver-kaufen.' Als Käufer mußtenStädte, Gemeinden und Kreisedafür sorgen, daß auf den Area-len möglichst bald Wohnungenerrichtet werden, erklärte Fi-nanzminister Kanther (CDU) amFreitag in Wiesbaden. Ange-sichts des Zustroms von Über-diedlern prüften auch andereBehörden, darunter vor allemdie Forstverwaltung, ob sieGrundstücke besitzen, die sichfür den Wohnbau eignen.

Innenminister Milde (CDU)appellierte gestern an Städteund Gemeinden, Baulandreser-ven so schnell wie möglich fürden Wohnungsbau auszuwei-sen. Der derzeitige Mangel anbebaubaren Flächen sei „in er-ster Linie ein kommunales Pla-nungs- und Umsetzungsdefizit."

Je 15 000 Mark Geldstrafen ausgesetzt Antrag der Grünen:

Kinopreis für Blockiererinnen ,Keine Bahnhöfe12 Filmtheater verwarnt mehr schließen'Wiesbadener Redaktion

Wiesbaden (Eff). Zwölf hessi-sche Filmtheater, darunter das„Capitol C" und der „Film-laden", beide Kassel, erhaltenden erstmals in diesem Jahr ver-gebenen Hessischen Kinopreisdes Ministers für Wissenschaftund Kunst für ihr „ausgezeich-netes Programm". Dieses Votumder Jury gab gestern Wissen-schaftsminister Gerhardt (FDP)bekannt. Urkunde und einenGeldpreis von je 15 000 Markwird der Minister am 27. No-vember in Wiesbaden im SchloßBiebrich den Preisträgern über-geben.

Mit dem Hessischen Kino-preis werde ein weiterer Schrittim Rahmen der Neugestaltungder Filmförderung getan, erklär-te Gerhardt. Im kommendenJahr werde erstmals ein Hessi-scher Filmpreis verliehen wer-den. Der Minister unterstrichseine Absicht, gute Kinos zu er-halten und zu fördern - als Ab-spielstätte und bei Auswahl ei-nes kulturell wertvollen Pro-gramms. Eine sinnvolle Film-förderung müsse auch als ge-wichtigen Teil die Kinoförde-rüng umfassen, sagte er.

Michelstadt (lhe). Das Amts-gericht in Michelstadt (Qden-waldkreis) hat am Freitag gegenvier Odenwälder Frauen wegender Blockade eines amerikani-schen Munitionstransporterseine Verwarnung ausgespro-chen. Zusätzliche Geldstrafenwurden zur Bewährung ausge-setzt.

Die vier Angehörigen des„Odenwälder Friedensforums"hatten am 31. Oktober 1988 miteiner rund einstündigen Blocka-de einem Munitionstransporterder amerikanischen Streitkräftedie Zufahrt zur Verladestationam Michelstädter Bahnhof ver-wehrt.

Richter Trautmann bezeich-nete die Blockade als „Gewalt-anwendung im Sinne des Para-graphen 240 Strafgesetzbuch."Die Anwendung von Gewalt impolitischen Kampf laufe dem de-mokratischen Prinzip zuwider.Zugleich hielt er den Angeklag-ten aber ein „besonnenes undmaßvolles Verhalten vor Ort"zugute. Die Handlung sei nichtvon „eigennützigen Motiven"bestimmt gewesen.

Die Frauen kündigten Beru-fung vor dem DarmstädterLandgericht an.

Wiesbadener Redaktion

Wiesbaden (Eff). Der Land-tagsabgeordnete Reeh (Hom-berg) hat einen Antrag einge-bracht, nach dem der Landtagdie Landesregierung auffordernsoll, die „weiteren eklatantenAngebotseinschränkungen imSchienennahverkehr durchBahnhofsschließungen in Nord-hessen" zu verhindern.

Das neue Nahverkehrskon-zept der Bahn für Nordhessen seizwar ein erster Schritt zur Umge-staltung des Personenverkehrsauf der Schiene, zugleich bringees aber auch eine Verschlechte-rung für eine Reihe von Gemein-den und Ortsteilen mit insgesamt15 500 Einwohnern, sagte Reeh.Sie würden davon betroffen, weildie Züge auf zehn Bahnhöfen we-sentlich seltener oder überhauptnicht mehr hielten, nämlich inBaumbach, Kassel-Oberzwehren,Rengershausen, Wolfershausen,Altenbrunslar, Singlis, Schlier-bach, Ihringshausen, Kragenhofund Gertenbach.. Die Aufrechterhaltung der be-drohten Haltepunkte könne undmüsse durch ein angebotsorien-tiertes Nahverkehrssystem ab-gesichert werden, forderte Reeh.

Thema: Auswirkungen der Entwicklung in der DDR auf Hessen

Sondersitzung des Kabinettsund Aktuelle Stunde im Landtag

Wiesbaden (Eff/Ihe). Auftakt der viertägi-gen Plenarsitzung des Landtags in der näch-sten Woche wird am Dienstag nach der Frage-stunde eine Aktuelle Stunde sein, beantragtsowohl von der SPD .als auch von CDU undFDP, in der die dramatische Entwicklung in derDDR und ihre Auswirkungen auf Hessen disku-

tiert werden sollen. Bereits heute wird sich dashessische Kabinett in einer Sondersitzung mitder veränderten innerdeutschen Situation be-fassen. Ministerpräsident Wallmann (CDU),der Bundeskanzler Kohl auf seiner Polen-Reisebegleitet, unterbrach ebenfalls seinen Besuchund kehrte nach Wiesbaden zurück.

Die Landesregierung hatte be-reits in der Nacht zum Freitageinen Arbeitsstab eingerichtet,der sich um provisorische Un-terkünfte für Übersiedler küm-mert. Der Arbeitsstab will Un-terkünfte für rund 8000 Neu-bürger aus der DDR „aktivie-ren." Bereits in der Nacht zumFreitag sei damit begonnen wor-den, etwa 2500 Betten in fünfHilfskrankenhäusern und inSchutzräumen bereitzustellen.Nach Öffnung der innerdeut-schen Grenze rechne Hessenmit einem erneuten Anstieg der-Übersiedlerzahlen, erklärte eineSprecherin des Ministeriums inWiesbaden.

„Keine Bevormundung"

CDU-Generalsekretär Jungsagte, die „Gemeinsamkeit allerDeutschen", sei jetzt gefordert.Nach ersten Kontakten mit derOst-CDU in Berlin hob er her-vor, daß die Freiheit suchendenMenschen in der DDR keine Be-vormundung aus der Bundesre-publik wollten. Man müsse ih-nen dabei helfen, in ihrer Hei-mat Lebensbedingungen zuschaffen, die ihnen das Dort-bleiben erleichterten.

FDP-FraktionsvorsitzenderWilke unterstrich das. Um deut-lich zu machen, in welcher Brei-te geholfen werden könnte,nannte er als Beispiel ein Woh-nungsbauprogramm der Bun-desrepublik in der DDR.

In Aufnahmelagern

Der SPD-LandesvorsitzendeEichel forderte gestern die so-fortige Einberufung einer Son-derkonferenz der kommunalenSpitzenverbände Hessens undder Landesregierung, auf derpraktisch zu lösende Problemeder Flüchtlinge besprochenwerden müßten.

Wenn auch ein „Ausblutender DDR" verhindert werdenmüßte, so sollten doch die Men-schen, die in den nächsten Ta-gen noch kommen würden, mitoffenen Armen aufgenommenwerden und auch in Hessen eineBleibe finden. Die Organisationdieser Aufnahme müsse zwin-gend zwischen Landesregie-rung, Städten, Gemeinden undLandkreisen, abgestimmt wer-den. Er icherte zu, daß Sozial-demokraten, die auf kommuna-ler Ebene Verantwortung tra-gen, ihren Beitrag dazu leistenwollten.

Neue Partnerschaften

Eichel schlug vor, die Städte-partnerschaften zwischen derBundesrepublik und der DDR zuintensivieren, vor allem auf derEbene der kommunalen Betrie-be, um den Menschen der DDRzu helfen. Darüber hinaus regteer an, zwischen den Bundes-ländern und den DDR-BezirkenPartnerschaften zu gründen. FürHessen böten sich die drei thü-ringischen Bezirke an, sagte er.Zugleich könnte die Grenze

zwischen Hessen und Thürin-gen zum deutsch-deutschen„Begegnungsraum" gemachtwerden.

Ferner sprach sich Eichel da-für aus, wegen der Entwicklungin der DDR die dritte Stufe der

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Steuerreform auszusetzen. Die25 Milliarden Mark, die zum 1.Januar frei würden, sollten fürdie „Wohlfahrt auf beiden Sei-ten der deutsch-deutschenGrenze eingesetzt werden."

Psychologenverband bietetkostenlose Beratung an

Frankfurt/Bad Soden (lhe). Zukostenlosen Beratungen fürDDR-Übersiedler wollen mehrals 100 Psychologen in dennächsten Wochen in die Auf-nahmelager gehen. Mit dieserAktion des BerufsverbandsDeutscher Psychologen (BDP) inZusammenarbeit mit dem Deut-schen Roten Kreuz sollten de-pressive Reaktionen der Neu-ankömmlinge gerade in den er-sten Tagen nach der Übersied-lung verhindert werden, kün-digte BDP-Präsidentin AngelaSchorr am Freitag in Frankfurtzum Auftakt des zweitägigenBundeskongresses des Verban-des in Bad Soden an.

Die DDR-Bürger, die in dieBundesrepublik kommen, littenvor allem unter Heimweh, derTrennung von ihrer Familieoder anderen psychischenSpannungen. Gruppengesprä-che in den Lagern oder Über-gangsheimen könnten eine Hilfebieten, sagte Frau Schorr.Außerdem seien die Psycholo-

gen in der Lage, die Übersiedlerbei der Eingliederung in dieneue Gesellschaft zu beratenoder ihnen Tips für Bewer-bungsgespräche zu geben.

Ferner forderten die Ver-bandssprecher von der Bundes-regierung ein Psychotherapeu-tengesetz. Darin müßten Berufs-zulassung, Qualifikation und dieEinbeziehung der KlinischenPsychologen in die Krankenver-sicherung einheitlich geregeltwerden.

Wegen der bisherigen Rege-lung, die Psychologen nur alsHilfspersonen des Arztes inner-halb der Krankenversorgungvorsehe, gebe es eine Unter-versorgung bei der Behandlungvon psychisch Kranken. Um dierichtige Anwendung von psy-chologischen Tests etwa beiKindern oder bei Bewerbungenum einen Arbeitsplatz zu garan-tieren, setzen sich die mehr als10 000 Diplom-Psychologen imBDP ferner für einen gesetz-lichen Schutz solcher Tests ein.

Zaun bei Tann abgerissen__. _

Grenzarbeitenstark reduziert

Kassel (m.s.). Erheblich redu-ziert hat die DDR-Grenztruppeseit Mitte Oktober die Arbeitenan der thüringisch-hessischenGrenze. Wie das Grenzschutz-kommando Mitte und der Grenz-zolldienst gestern mitteilten,waren im Oktober nur noch 300Grenzsoldaten und Pioniere(September: 740) sowie 430(480) Zivilarbeiter eingesetzt.Sie wurden Von 300 (555)Grenzsoldaten bewacht.

Ostwärts von Tann/Rhönwurde die vordere Reihe deszweireihigen Metallgitterzauns,der nur noch in diesem Grenz-abschnitt in dieser Form be-stand, abgerissen. Das Geländewurde planiert, die Versor-gungspunkte für die eingesetz-ten Pioniere, Grenzsoldaten undGeräte abgebaut. Dieser schonbaufällige Teil der Sperren hatteseine „Aufgabe" verloren, nach-dem laut BGS und Grenzzoll-dienst der Grenzsperr- undSignalzaun etwas weiter imLandesinnern der DDR funk-tioniere.

Günther (SPD): Neue Perspektiven für Kurhessen und Thüringen

..Gemeinsamer Wirtschaftsraum denkbar"Kassel (m.s.). Für die gesamte

Region Ost- und Nordhessensowie Südniedersachsen hättendie deutschlandpolitischenEntwicklungen außergewöhnli-che und neue Perspektiven, diejetzt genutzt werden müßten,erklärte gestern abend derVorsitzende des SPD-BezirksHessen-Nord, Landtagsvize-präsident Dr. Günther. Zum er-stenmal sei das bisher Undenk-bare denkbar geworden, dengemeinschaftlichen Wirt-schaftsraum Kurhessen-Thü-ringen in Zukunft wiederum sozu verbinden, daß diese Regionaus ihrer Grenzlage herauswieder zu einem Wirtschafts-raum in der Mitte Deutsch-lands und Europas liege.

Günther erinnerte daran, daßKassel und Mühlhausen (Thü-

ringen) einst einen gemein-samen Industrie- und Handels-kammer-Bezirk bildeten. Zuraktuellen Situation sagte ernach einer Sitzung des Bezirks-vorstands, die SPD Hessen habebereits beim Landesparteitag inLimburg Angebote an die DDRformuliert, in denen sie sich un-ter anderem für ein gemein-sames EntwicklungsprogrammHessens mit der DDR für Städteund Gemeinden beiderseits derGrenze eingesetzt. Ferner sol-len, so Günther, Partnerschaf-ten vertieft und neue gegründetwerden.

Der SPD-Bezirksvorsitzendebegrüßte ausdrücklich den Vor-schlag zur Öffnung weitererSchienenübergänge zwischender Bundesrepublik und derDDR.

Die Initiative der nordhessi-schen SPD vor einem Jahr,Brückenfunktionen zu unserenNachbarn in der DDR zu über-nehmen, sei jetzt in einer Weisebestätigt worden, wie sie damalsselbst die SPD noch nicht habevoraussehen können, erklärteGünther. Er habe damals zu ei-nem kulturellen Austausch, zurZusammenarbeit der Hochschu-len im Wissenschaftsbereichund zu Wirtschaftskontaktenaufgerufen.

Günther sagte, erst die vonden Sozialdemokraten unterWilly Brandt eingeleitete Ost-und Deutschlandpolitik habezu einer solch positiven Ent-wicklung beitragen können.Damals sei diese Politik vonkondervativen Kreisen verun-glimpft worden.

Page 10: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 264 Stadt Kassel Samstag, 11. November 1989

DDR-Bürger testen neue Freiheit mit Kassel-Besuch

Einfach so in den WestenVon Jörg Steinbach (Text) und Hans-Joachim Thienemann (Fotos)

Kassel. Der erste Trabbi wurde in derNacht zum Freitag um 3.20 Uhr gesichtet,sinnigerweise auf dem Platz der DeutschenEinheit. Am Großen Kreisel fragte der Fahrereinen Schutzmann nach dem richtigen Wegdurch die Stadt. Die Polizei plazierte einenFunkwagen als mobilen Infostand, und bis

4.45 Uhr zählten die Beamten schon 60 rat-suchende Autofahrer aus der DDR. Überall inder Stadt waren gestern den ganzen Tag dieTrabants, Wartburgs'und Ladas zu sehen.Die plötzliche Reisefreiheit sorgte für einenBesucheransturm der Menschen aus Eisen-ach, Arnstädt und anderswo in Kassel.

Am Hauptbahnhof kletternmittags vier junge Männer ausihrem Wartburg „mit VW-Mo-tor", wie einer stolz betont.„Jetzt fahren wir einfach mal'und gucken, ob das klappt",schildert Rüdiger Thiel den ge-stern früh spontan gefaßten Ent-schluß. „Wieso soll das nicht ge-hen?", fragte am ÜbergangWartha/Herleshausen derGrenzpolizist zurück. Schwupp,waren die vier aus Eisenach'drüben. „Einfach so, wir konn-ten das kaum fassen".

Dabei hatten sich RüdigerThiel, Lutz-Achim Linge, JörgStrauß und Uwe Hans gedacht,nur mit dem Personalausweis„hat das bestimmt keinenZweck". Jetzt aber drücken ih-nen Kasseler Feuerwehrmännerder mobilen Einsatzleitstelle amHauptbahnhof Stadtpläne in dieHand. Los geht's zum Bummel inder Innenstadt. Vorher noch

rasch die Frage, die gesternwohl jeder Besucher aus demOsten hörte: Wollt ihr dennhier bleiben? „Nee, wir müssenzurück", wir arbeiten doch alle",lautet die Antwort. Und etwasverlegen kommt hinterher:„Heut' haben wir halt mal frei-gemacht." Der Freitag als Feier-tag in den grenznahen Städtender DDR, „drüben läuft heute'eh nichts."

Notbetten im Bunker

Im Katastrophenschutz-Bun-ker unter dem Hauptbahnhof istum diese Zeit wieder Ruhe ein-gekehrt. Karl Kaiser, mitten inder Nacht aus dem Bett geklin-gelt, hat gegen 3 Uhr die Bun-kertür aufgeschlossen und mitHelfern von Katastrophen-schutz und DRK den Bunker mit960 Betten als Notunterkunft

klargemacht. Jetzt ist der LeiterZivil- und Katastrophenschutzdes städtischen Brandschutzam-.tes reichlich müde. Um 5.30 Uhrkam eine junge Frau mit ihremvierjährigen Jungen, um einpaar Stunden zu schlafen unddann nach Bielefeld weiterzurei-sen, erzählt Kaiser. Etwas spä-ter kamen vier Studenten ausder DDR. Sie waren noch imDunkeln durch Kassel gestiefelt,wollten „nur mal sehen, ob'swahr ist." Im Bunker wärmtensie sich auf, bekamen ein kräfti-ges Frühstück. Dann ging's wie-der heimwärts, „wir haben heu-te noch Vorlesung", erklärtensie der verduzten Bunkerbesat-zung.

Bis gestern abend hatten sichin der Bunker-Notaufnahmeganze drei DDR-Bürger einge-funden, die nicht zurück woll-ten. Die drei wurden in einÜbergangslager weitergeleitet,

100 MARK BEGRÜSSUNGSGELD pro Person holten sich gestern350 DDR-Bürger im Rathaus ab. (Foto: Jochen Herzog)

der Bunker bleibt aber geöffnet -falls doch noch Notbetten fürFlüchtlinge gebraucht werden.

Mittags in der City: Auf demParkplatz am Karlsplatz und imRathaus-Innenhof parken - vonPassanten neugierig beäugt -mehrere Autos mit DDR-Kenn-zeichen. Manche haben trotzParkgebührenzone keinen Park-schein hinter der Windschutz-scheibe liegen.

Trabbis ohne Knöllchen

„Eigentlich haben wir allegleich zu behandeln", sagt dieHilfspölizistin, die gerade einembundesdeutschen Pkw einKnöllchen unter den Scheiben-wischer steckt. Sie geht kontrol-lierend weiter. Der Trabbi umdie Ecke - auch ohne Park-schein - bleibt ohne Knöllchen.Nachmittags fällt im Rathaus of-fiziell die Entscheidung: KeinDDR-Autofahrer ohne Park-schein wird zur Kasse gebeten.

„Nie damit gerechnet"

.. Im Übergangswohnheim fürÜbersiedler in der Jägerkaserneschreibt ein ehemaliger DDR-Bürger gerade einen Brief an diefrüheren Arbeitskollegen. „DieFreunde bleiben ja", sinniert der38jährige, der mitsamt seiner

Ehefrau Mitte Oktober über Un-garn geflüchtet war. „Das konn-te keiner voraussehen", sagt ernachdenklich zur jetzt offenenGrenze, „damit hätten wir nie imLeben gerechnet."

„Dem Krenz traut keiner"

Zur Zeit der Flucht „hattenwir Angst, die machen ganz zu."Fühlt er sich jetzt betrogen? DerKränführer und Rangierer, derbereits einen neuen Arbeits-platz gefunden hat, schütteltden Kopl. „Die haben uns 'drü-ben 30 Jahre verarscht, demKrenz traut doch keiner." Zu-rück will er allenfalls mal „nurzu Besuch"; das Mißtrauen istnoch groß: „Wir glauben nochnicht 'dran, daß das immer sobleibt."

Westmark um Mitternacht

Spätabends richtete die Feu-erwehr gestern in der mobilenEinsatzleitstelle und Informa-tionszentrale am Hauptbahnhofsicherheitshalber noch eine„Nachtzahlstelle" der Stadtver-waltung ein. Damit die spät inKassel eintreffenden Nacht-schwärmer aus der DDR sichmitsamt Begrüßungsgeld inswestliche Nachtleben stürzenkonnten...

TAGESBESUCH in Kassel: Aus Eisenach rollten gestern gemeinsam (von links) Uwe Hans, JörgStrauß, Lutz-Achim Linge und Rüdiger Thiel an. - . .

Blitzumfrage in der Kasseler Innenstadt

„Sie sollen gerne kommen, aber wieder 'rüberfahren"Kassel (ach). Auf dem Park-

platz am Karlsplatz sitzt FritzGrünberg in seinem Wagen undschaut zu einem gleich gegen-über geparkten DDR-Trabant'rüber. Die plötzliche Grenzöff-nung sieht er als gute Methodeauf dem Weg zu demokrati-schen Verhältnissen in derDDR. „Ich bin überzeugt, daßdie Masse der Menschen 'drü-ben bleibt", sagt er und findet,jeder Bundesbürger „sollte bei-tragen, daß die Besucher einenangenehmen Aufenthalt ha-

ben."Zur überraschenden Reise-

freiheit für DDR-Bürger gab esgestern bei einer Blitzumfrageder HNA in der Kasseler Innen-stadt ohne Einschränkung nurpositive Stimmen. „Find' ich inOrdnung", meint kurz und bün-dig Jürgen Brand, der mehrereVerwandte in der DDR-StadtAltenburg hat. Die vielleichtschon bald mal zum Kaffeetrin-ken bei dem Kasseler vorbei-schauen.

Daß möglicherweise sehr vie-

le DDR-Bürger die offenenGrenzen zur Flucht nutzenkönnten, sorgte freilich auch fürskeptische Stimmen. Die schonangekommenen, zahlreichenFlüchtlinge, die auf Dauer in derBundesrepublik bleiben wollen,lassen viele Bürgerinnen undBürger im Westen nachdenklichwerden.

„Sie sollen gerne kommen,aber sollen auch wieder 'rüber-fahren", sagt Karola Hartmann-Kling. Und auch Ehemann Nor-bert Kling findet: „Es kann nicht

in unserem Interesse liegen, daßdie DDR entvölkert wird." ImMoment sehe es aus, als seienalle Deutschen gleich, aberDDR-Bürger gleicher, merkt diejunge Frau kritisch an. Wennnicht wirklich alle gleichbehan-delt würden, „dann wird's beiuns noch ganz, ganz großeSchwierigkeiten geben", sagtdas Ehepaar und denkt dabei anGeldgeschenke für DDR-Bürgerund die schlechten Abgaswerteder Trabbis, an Wohnungsnotund Arbeitslosigkeit in der Bun-

desrepublik.„Das wird hart für DDR-Bür-

ger, die hierbleiben wollen",glaubt Rosemarie Mosler. Aberdie Reisefreiheit „finde ich toll",sagt sie. „Die Mauer muß weg,die sollen 'rein und 'raus dürfenwie in jedem anderen Land". Es„ist mir lieb, wenn Besuchkommt", sagt die Kasselerin, dieebenfalls noch Angehörige inder DDR hat. Bloß davor, daßBesucher hierbleiben möchten,ist ihr bange: „Aufnehmen kannich niemand."

lÜRRBM RRAKin FRITZ GRÜNBERG KAROLA HARTMANN-KLING NORBERT KLING ROSEMARIE MOSLER

Hilfe am Wochenende

Wegweiser fürDDR-Bürger

Kassel (b/man). Die StadtKassel sowie einige Gemeindenim Altkreis Kassel haben ge-stern spontan auf den Besucher-andrang aus der DDR reagiertund beschlossen, auch am Wo-chenende einen Betreuungs-dienst anzubieten.

Die Stadt Kassel rechnet auf-grund der Öffnung der DDR-Grenze mit rund 2000 Besu-chern. Für sie wird im Lesezim-mer im 2. Stock des Rathausesein Betreuungsbüro eingerich-tet, das heute von 8.30 bis14 Uhr und morgen von 14 bis18 Uhr geöffnet sein wird. Im be-treuungsbüro erhalten die DDR-Bürger - auch die, die keineZählkarte vorweisen können -das Besuchergeld in Höhe von100 Mark. Klaus Angermann,der Leiter der Koordinations-stelle, betonte, es sei auch si-chergestellt, daß die Besucherkostenlose KVG-Karten sowiesonstige Informationen erhal-ten. Auch die Unstützung auf

Heute um 11 Uhr

Kundgebungam Rathaus

Kassel (b). Aus Anlaß derEreignisse in der DDR findetam heutigen Samstag um11 Uhr vor dem KasselerRathaus eine Kundgebungmit Oberbürgermeister HansEichel statt.

Das Kasseler Stadtober-haupt erläuterte gestern, ermöchte nicht nur die DDR-Besucher in Kassel begrü-ßen, sondern vor allem auchdie Demokratiebewegung inder DDR unterstützen. Ei-chel appellierte au die Kassenle'r Bevölkerung, sich an derKundgebung zu beteiligen.

dem Wege der ..Sozialhilfe fürdurchreisende Übersiedler seigewährleistet.

Außerhalb der Öffnungszei-ten des Betreuungsbüros im Rat-haus steht für die DDR-Besu-cher am Hauptbahnhof ein In-formationsbus bereit. Im Zivil-schutzbunker am Hauptbahn-hof, Eingang Ottostraße, könnenBesucher bis zu zwei Nächtenuntergebracht werden. -'

Kreisgemeinden

Die Gemeindeverwaltungenvon Niestetal, Fuldatal und Ful-dabrück bleiben am Wochenen-de ebenfalls für mehrere Stun-den geöffnet, um für Wochend-gäste aus der DDR ansprechbarzu sein und ihnen das Begrü-ßungsgeld auszahlen zu können.In Kaufungen und Schauenburgwerden Bereitschaftsdiensteeingerichtet.

Die Gemeindeverwaltung Nie-stetal wird heute von 8 Uhr biszum frühen Nachmittag für ge-öffnet sein. Am übrigen Wo-chenende ist unter der Rathaus-nummer 05 61 / 5 20 20 ein Be-reitschaftsdienst eingerichtet.Außerdem will BürgermeisterHerbst mit dem Kreis über diekurzfristige Einrichtung einesNotquartiers in der Grundschu-le Sandershausen verhandeln.

In Fuldatal bleibt das Rathausheute von 11 bis 12 und von 15bis 16 Uhr sowie morgen von 11bis 12 Uhr für DDR-Gäste geöff-net, in Fuldabrück heute von 10bis 12 Uhr. Die Gemeinde Kau-fungen setzt auf Flexibilität:Über einen Bereitschaftsdienst( « 0 56 05 / 38 44) sind sowohlMitarbeiter der Verwaltung(Auszahlung des Begrüßungs-geldes) als auch des Bauhofs(Einrichtung von Notquartie-ren) erreichbar. In der Schauen-burg können über BürgermeisterErich Schmidt (0 56 01/33 98)am Wochenende die zuständi-gen Mitarbeiter der Gemeindeinformiert werden.

In den größten Kommunen al-lerdings, Baunatal und Vellmar,erkannten die Verantwortlichenkeinen Handlungsbedarf. Auchein Sprecher der Gemeinde Loh-felden stellte fest, daß besondereVorkehrungen sich erübrigen.

Page 11: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 264 Stadt Kassel Samstag, 11. November 1989

Kassels Partnerstadt

Spontaner Besuchaus Arnstadt

Kassel (b). Im vergangenenMonat, als der Rat der StadtArnstadt die Beziehung zurPartnerstadt Kassel einseitigeinfror, hätte wohl keiner fürmöglich gehalten, was gesterneintrat: Spontaner Besuch ausArnstadt in Kassel. Nicht nur,daß sich unter den 350 Besu-chern aus der DDR, die sich ge-stern im Kasseler Rathaus dasBegrüßungsgeld in Höhe von100 Mark abholten, vier Arn-städter Bürger befanden. Auchein SED-Stadtrat aus der thürin-gischen Partnerstadt nutzte ge-stern die Öffnung der Grenze füreine Reise nach Kassel, gabOberbürgermeister Hans Eichelpreis.

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tal den Weg nach Nordhesseneingeschlagen. Doch dann wa-ren sie zunächst nach Kassel ge-fahren und „erstmal hier hän-gengeblieben", wie sie am Nach-mittag im Rathaus erzählten, wosie sich ihr Besuchergeld abhol-ten.

Überhaupt sei die Partner-schaft mit Kassel in Arnstadtnur wenig bekannt, sie selbsthätten es nur erfahren, weil ihreBaunataler Verwandten ihnenArtikel der HNA geschickt hät-ten. Jetzt hoffen die beiden - diegestern morgen spontan ihreArbeitsstelle verließen, um end-lich mal in den Westen zu reisen- daß die Partnerschaft richtig indie Gänge kommt und regelmä-

ucher-Aal I20,- bis 50,- nett verpackt!

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Der OB zeigte sich gesternnicht nur überzeugt, daß dieKontakte schon bald auch offi-ziell wieder aufgenommen wer-den, er lüftete auch ein strenggehütetes Geheimnis: Auch inden vergangenen Tagen hat esstädtepartnerschaftliche Berüh-rungspunkte gegeben. So sei be-reits vor gut zwei Wochen einArnstädter Vertreter des NeuenForums in Kassel zu Gast gewe-sen, und am Freitag habe er mitArnstadts Bürgermeister BerndMarkert telefoniert.

Markert habe mitgeteilt, daßdie Rat der Stadt Arnstadt amMontag nächster Woche seineneue Position zur Partnerschaftfestlegen wolle, anschließendsei ein weiteres Gespräch ge-plant.

Spontanbesuche

Für Rudolf Frank und seinenSchwager Mathias Richter ausArnstadt war es allerdings we-niger die Städtepartnerschaft,die sie gestern nach Kassel zog.In erster Linie hatten sie wegenihrer Verwandtschaft in Bauna-

ßige Besuche zur Normalitätwerden. Frank und Richter sindsich jedoch sicher: „Wir werdenwirtschaftlich noch schwereZeiten durchmachen." Auf demRückweg wollten sie auch nochin Baunatal reinschauen.

Auch für Thomas Hoppe ausArnstadt war gestern klar, daßer noch am selben Tag wiederzurückkehren wird. Noch Stun-den nach dem Grenzübertrittglaubte der 24jährige CNC-Dre-her zu schweben, schien ihm„einfach unbegreiflich, die Mau-er von hinten gesehen zu ha-ben". Hoppe bedauerte, daß diePartnerschaft Arnstadt-Kassel,von der er nur über den gutfunktionierenden „Buschfunk"(Mundpropaganda) in der DDRerfahren habe, in den letztenWochen „untergegangen" sei.

Daß Besuch im Westen kamfür den 24jährigen so überra-schend, daß er gar nicht wußte,was er sich von den 100 Mark(„es ist schon ein bißchen pein-lich, etwas geschenkt zu neh-men") kaufen würde. Am lieb-sten, so beteuerte er, „würde ichein Stück Stacheldraht als Sou-venir mit zurücknehmen".

STÄDTEPARTNERSCHAFT: Rudolf Frank (links) und sein Schwa-ger Mathias Richter aus Arnstadt nutzten gestern die Öffnung derGrenze für einen Besuch in der Partnerstadt Kassel. (Foto: Herzog)

Schnelle Hilfe nach DKW-PanneKassel (b). Auch im Golde-

nen Westen sind die DDR-Bürger vor Ost-Problemennicht gefeit: Kaum hatten ge-stern vier Heizer aus demHeizkraftwerk Eisenach ihrZiel Kassel erreicht, da gab aufder Kölnischen Straße die Ma-schine ihres DKW-Zweitak-ters ihren Geist auf - und kei-ne Chance, für das historischeGefährt in Kassel Ersatzteilezu bekommen.

Was die Panne erschwerte:Erstens waren die vier Heizerfest entschlossen, pünktlichzur Nachtschicht in Eisenach

zu erscheinen, und zweitenswollten sie die Rückreise unterkeinen Umständen ohne ihrAuto antreten. Und einenRücktransport durch denADAC für 300 Mark ließen diefinanziellen Möglichkeiten dervier Heizer nicht zu.

Magistratssprecher Hans-Jochem Weikert schließlicherhörte den Hilferuf und gabspontan die Order aus, die Ka-rosse vom ADAC transportie-ren zu lassen. In der festenÜberzeugung: „Irgendwiekriegen wir die 300 Markschon zusammen."

Der Einfluß der Biografie auf die GeographieMeleiningen habe ich immer zufinden gewußt: Auf der Höhe vonFulda direkt nach Osten. AuchWeimar, Eisenach, Erfurt braucheich auf keiner Karte lange zu su-chen. Die Heimatkunde aus denersten beiden Meininger Schul-jahren hat sich da niedergeschla-gen. Aber mit dem Wechsel in derBiografie änderte sich auch derBlick für die Geographie - aus derneuen Heimat Kassel wandte ersich nicht zurück auf die geradeüberwundene Grenze zu Thürin-gen, sondern richtete sich nachWesten.

Im Heimatkundeunterricht hingjetzt die Hessenkarte, die, als wirälter wurden, von der Deutsch-landkarte verdrängt wurde. In je-nen fünfziger Jahren war es nocheine dreigeteilte, die neben derBundesrepublik die „sowjetischbesetzte Zone" aufwies und dieGebiete „unter polnischer undrussischer Verwaltung." Daraufsuchte ich manchmal Weimar, woich geboren bin, oder sagte fürmich wie eine Litanei die vertrautklingenden Namen der Orte umMeiningen her, wo ich aufwuchs:Schmalkalden, Wasungen, Zelta-Mehlis, Hildburghausen.

SylviaGriffin

Templin, Eisleben, Ludwigslust?Und so, wie uns diese Orte op-tisch aus dem Blick gerieten, ent-schwanden sie uns ganz aus demBlickfeld. Der Grauschleier derPolitik schob sich dazwischen.

Vc

Bei einem Treffen ehemaligerMeininger in der Rhön zum 17.Juni hörte ich sie einmal überLautsprecher in den Osten schal-len: „Wir rufen Schmalkalden, Zel-la-Mehlis, Eisenach!" Aber im Erd-kundeunterricht spielten sie keineRolle. Die Karte hätte ebensogutan der Grenze enden können.Und so ging es auch mir, die ichdoch Bindungen nach drübenhatte, wie so vielen Schulkindernmeiner Generation und danach:Nur vage Vorstellungen, wo wel-che Städte in der DDR liegen.

Berlin, Leipzig und Dresdenvielleicht noch. Aber Prenzlau,

orgestern abend, als das Fern-sehen die Öffnung der Grenzemeldete, habe ich den altenSchulatlas hervorgeholt. Ich habemich geübt im Wiedererkennender Orte, aus denen in den letztenWochen diese erstaunlichenNachrichten, diese aufregendenBilder kamen. Ich habe nachge-schaut, wo ich vielleicht baldohne große Formalitäten hinfah-ren könnte. Die Vorstellung, daßdieses neue Deutschland da drü-ben ganz einfach erreichbar wür-de, nimmt mir noch immer denAtem. Als Kind habe ich „drüben"die DDR-Hymne gelernt und ge-sungen: „Auferstanden aus Rui-nen und der Zukunft zugewandt".Jetzt könnte das für die Men-schen dort erstmals wahr werden.Und ich könnte Zeuge sein: Nichtmit dem Finger auf der Landkartedes Schulatlas, sondern mit Au-gen und Ohren auf dem Markt-platz von Meiningen.

Ramona Menzel: Ich war' so gern dabeigewesen

Zwischen Freude und WutKassel (wet). So zerrissen wie

jetzt hat sich die junge Frauwohl lange nicht gefühlt: Ramo-na Menzel, am 12. Spetembermit ihren Töchtern Nancy (6)und Linda (4) von der DDR ausüber Ungarn geflüchtet und seitihrem Eintreffen in Kassel vonder HNA bei ihren erstenSchritten in der Bundesrepublikbegleitet, fühlt sich betrogenerdenn je zuvor. Tränen standender 24jährigen in den Augen, alssie am Donnerstagabend im Ra-dio die Meldung von der Öff-nung der DDR-Grenze hörte.

Tränen der Freude über eineNachricht, auf die kaum jemandzu hoffen gewagt hatte. Tränender Wut aber auch darüber, daßoffensichtlich alles umsonstwar. Umsonst, sich über Nachtvon ihren Freunden, ihrer Ar-beit, ihren Kollegen, ihrem gan-zen Hab und Gut getrennt zuhaben, unter gefährlichen Um-ständen in eine Ungewisse Zu-kunft geflohen zu sein. „Es sinddoch noch diesselben!" Diesel-ben an der Macht, die verant-wortlich waren für Unfreiheit,Gängelei und Angst, „die dre-hen und wenden sich jetzt, wiees für sie gerade am besten ist".

Und wütend bricht es aus ihrheraus: „Die haben doch immernur auf Kosten der Leute in derDDR gelebt, die wissen garnicht, was sie uns antun, daskönnen sie nie wieder gutma-chen! Und schlechtes Gewissenhaben sie jetzt auch nicht, son-dern reden immer drum rum".

Schon die Nachrichten der

vergangenen Wochen hattenihre Wirkung: „Ich hab' jetzt oftHeimweh, nachts habe ich Alp-träume von zuhause. Wenn ichdas gewußt hätte, wäre ichglaub' ich nicht gegangen."Doch als sie ging, war von alldem noch nichts zu ahnen.

Viel Glück gehabt...

Ramona Menzel gehört si-cherlich zu denen, die Glückhatten im „goldenen Westen",der, das weiß sie nun auch, inmanchen Dingen so golden nichtist. Sie hat eine wunderschöneund dank vieler Spenden auchkomplett eingerichtete • Woh-nung, Nancy geht zur Schule,Linda seit 14 Tagen begeistert inden Kindergarten. Und obwohlsie noch keine Arbeit hat, nichtvermittelt wird, weil die Kindernur von 8 bis 13 Uhr betreutsind, ihr die Decke oft auf denKopf fällt, versichert sie, „esgeht mir gut, ich könnte jaschließlich immer noch im Lagersein!" Nein, undankbar möchtesie nicht erscheinen.

Aber sie wäre eben doch sogerne dabeigewesen - bei denDemonstrationen in Magdeburgund Ostberlin, an den Grenz-übergängen gestern nacht, alsdie Menschen unbehelligt vonOst nach West gingen, den hi-storischen Augenblick feierten:„Sie können sich gar nicht vor-stellen, was das für die Leute inder DDR bedeutet! Ich war'dann bestimmt auch mal in denWesten gefahren, hätte mir was

Schönes gekauft und war' wie-der rüber. Und dann hätt' ichgesagt, guckt hier, das hab' ichaus dem Westen".

Also zurück? „Wenn ich nochim Lager war' und allein, dannja..., aber so?" Ramona MenzelsPartner ist auch in der Bundes-republik, und er will bleiben,mißtraut der DDR-Führung wei-terhin. Sie dagegen meint, daß„die nun nicht mehr zurück kön-nen". Ihre ganze Hoffnung giltdaher einem Besuch in der DDR,der Möglichkeit, ihre Freundewiederzusehen, „telefonierthab' ich schon mit ihnen!"

Und wieder schweift der Blickdurch die neue Wohnung, Nan-cy und" Linda kommen, schwen-ken ifröhlich die Laterne für denUmzug am Martinstäg. Das, sodie Mutter, „kannten wir auchnicht." Wie so vieles. Noch im-mer beispielsweise verbirgt sieihre Freude und ihr Erstaunenüber das Angebot hier, „dennich möchte nicht als DDR-Flüchling erkannt werden"; alsjemand, der auf die Hilfe derMenschen hier angewiesen ist.Denn daß angesichts der Flücht-lingsströme aus Solidarität Ab-lehnung zu werden droht, weißauch Ramona Menzel.

Doch schon hat sie die Kauf-häuser wieder vergessen, ihreSprunghaftigkeit spiegelt diezwiespältigen Gefühle: „Manch-mal muß ich an meine Blumendenken, die waren so schön.Aber sie haben die Wohnungversiegelt, da werden sie alleeingegangen sein."

272 Straftaten / Angeklagte geständig

Aus Wut Großfeuer gelegtKassel (t). In der Nacht zum

10. Juni 1988 gegen 2.20 Uhrschreckten die Bewohner Nie-derzwehrens aus dem Schlaf.Großbrand in einem Teppichbo-denlager am Glockenbruchweg.„Ich wollte zunächst ein paarTapetenrollen anstecken, dochdie brannten nicht gut", sagteder Brandstifter gestern vor der3. Strafkammer des Landge-richts. Als das Feuer ausblieb,zündete er ein leicht entflamm-bares Verdünnungsmittel an.Mit dem Erfolg, daß das Lagerausbrannte, ein Schaden von 6,3Millionen Mark entstand unddas alles, weil der junge Mann„eine fixe Idee hatte".

Er und sein Kumpan geben an,in die Halle eingebrochen zusein, um nach Bargeld zu su-chen. Als sie eine halbe Stundelang keine müde Mark gefundenhatten, ärgerten sie sich und ka-men in Wut: „Da habe ich nichtlange überlegt und angesteckt."

Die beiden beutelosen Brand-stifter gehören zu jener zehn-köpfigen Truppe von jungenMännern über 21 Jahren ausKassel und Umgebung, die, da-

mals zumeist arbeitslos, von1984 bis 1989 in Kassel, der Re-gion und fast im gesamten Bun-desgebiet Einbrüche verübten.

Die „Arbeitsweise" war immergleich: in beinahe allen von be-kannt gewordenen und ange-klagten 272 Fällen schraubtenoder drehten sie die Profilzylin-der von Türen ab und gelangtenso vornehmlich zu nächtlicherStunde in Büros oder verlasseneWohnungen. Sie waren fast im-mer auf Bares aus, verschmäh-ten aber auch Schmuck und an-dere wertvolle Gegenständenicht, die sie später „versilber-ten". Sogar einige Sparschwei-ne, die in den Büros gefundenwurden, mußten „sterben".

Die Angeklagten sind im gro-ßen und ganzen geständig. Da-bei zeigte sich jedoch bei demlaut Anklageschrift angerichte-ten Gesamtschaden von 700 000Mark (ohne Brandstiftung) einWiderspruch. Die angeblich ge-stohlenen Summen sind in ver-schiedenen Fällen oftmals vonden Geschädigten höher ange-geben, als die Angeklagten ge-stehen, oder sich erinnern kön-

nen. Anscheinend haben man-che Bestohlenen ihren Versi-cherungen geschönte Zahlengenannt, um ihrerseits einen gu-ten Schnitt machen zu können.

Staatsanwälte Wagner rat-tert in Kurzfassung die Tatenvon 100 bis 150 in so kurzer Zeitherunter (die Angeklagten nik-ken jeweils, oder schütteln denKopf, oder sie sagen leicht pro-testierend bei der Angabe desgestohlenen Betrags „viel zuhoch"), daß Richter Knauf be-sorgt anfragt, ob eine Pause an-gezeigt sei. Die Staatsanwältinjedoch bedankt sich und setztdie Zahlenreihe fort.

So kommt man dann gesternbei der Zahl 272 an. Gelegent-lich läßt Richter Knauf einenGag einfließen, so bei der Kurz-Schilderung eines Einbruchs indas Kasseler Büro der „NeuenHeimat", bei dem zwei Täter 40Mark erbeuteten. „Haben Sie",fragt der Kammervorsitzende,„bei der Neuen Heimat tatsäch-lich Geld gesucht?" AllgemeinesGelächter im Saal. Die Ver-handlung wird am 17. Novem-ber fortgesetzt.

Elgershäuser Sportler:

Arnstädtereinladen!

Schauenburg (ing).' Nur eineStunde nach Bekanntwerdender Meldung, daß die DDR dieGrenze nach Westen öffnet, faß-te die Führungsspitze des TTCElgershausen ganz spontan ei-nen, wie sie meint, „spektakulä-ren Beschluß". Die Tischtennis-freunde aus dem SchauenburgerOrtsteil, zufällig zur Vorstands-sitzung versammelt, wollen auf

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WeihnachtsfeiernStadthallen-Restaurant

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Tel. 0 56 73/79 51

GänseessenVorschlag von Vereinschef KarlSchäffer umgehend Kontakt auf-nehmen mit ihren Sportkollegenin Kassels Partnerstadt Arn-stadt - und an einem Adventwo-chenende 20 Familien aus Thü-ringen drei Tage nach Elgers-hausen einladen. Es reiche näm-lich nicht, lediglich Freund-schaftsspiele auszutragen.

„Die Welle der Sympathie fürdie Bürgerinnen und Bürger imanderen Teil - Deutschlandsschwappte über an die Theke",schildert TTC-Organisationslei-ter Roland Kotaska die Stim-mung im Vereinslokal „Zur Soh-le". Und so wanderte denngleich ein Sparschwein herumund schluckte die ersten Schei-ne für den guten Zweck.

Für Drogenabhängige

Anlaufstelle imCafe Nautilus

Kassel (tox). Ein Modell-U-Boot mit dem Namen Nautilusgehörte zu den symbolträchti-gen Geschenken bei der Eröff-nungsfeier. Gestern füllten nochgeladene Gäste die Räume desCafe Nautilus. Am Mittwochum 14 Uhr öffnet das Cafe seineTüren für drogenabhängige unddrogengefährdete Menschen.

Als Kontaktladen des Dro-genvereins Nordhessen konzi-piert, soll das Cafe in unmittel-barer Nähe zum HauptbahnhofAnlaufstelle sein. Angebotenwerden konkrete Lebenshilfen:Mahlzeiten und Getränke zumSelbstkostenpreis, sanitärerAnlagen, Spritzenaustauschund Kondomvergabe.

Angela Waldschmidt undHeiner König vom Vorstand desDrogenvereins Nordhessendrückten die Hoffnung aus, daßdas Cafe demnächst ebenso gutbesucht sein werde wie zur Er-öffnung. An die Polizei richteteKönig die Bitte, mit diesem neu-en Projekt so sensibel umzuge-hen wie dies in der Vergangen-heit bei anderen Einrichtungender Kasseler Drogenhilfe derFall war. Er bat um Verständnisdafür, daß „Zusammenarbeit" imSinne der Vertrauensbildungdarin bestehen müsse, daß mannicht zusammenarbeite.

Unterstützung zugesagt

Stadträtin Christine Schmar-sow sagte auch für die Zukunftdie Unterstützung der Stadt zu.Auch Angelika Mallach vomHessischen Sozialministeriumkündigte eine weitere finanziel-le Förderung des Cafes an. Mit-tel kommen in erster Linie ausdem Topf des Bundesmodells„Booster" (Verstärkung).

Eine gute Zusammenarbeitwünscht sich Manfred Sauttervom Beratungszentrum W 23und benannte ein gemeinsamesProblem. Denjenigen, die dasDrogenproblem aus dem öffent-lichen Bewußtsein verdrängenwollten, sei das Cafe Nautilusgenauso ein Dorn im Auge wiedas W 23. Die steigende Zahlvon Drogenabhängigen fordereeine intensive Kooperation derverschiedenen Einrichtungen.Geöffnet hat „Nautilus", Wer-ner-Hilpert-Straße 25-27, mon-tags und donnerstags (11 bis 15Uhr, mittwochs 14 bis 18 Uhr,sonntags 16 bis 19 Uhr. Sozial-arbeit auf der Straße, die „street-work" im Umfeld der Szenetreff-punkte, ergänzt die Aktivitätender Nautilus-Mitarbeiter Chri-stine Haseke, Ute Schimmeleund Rolf Wehnhardt.

Page 12: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

HESSISCHE/NIEDERSACHSISCHE

ALLGEMEINE

HESSISCHE KASSEL1 P 3713 A

ALLGEMEINEUNABHÄNGIG

Preis 1,10 DM

KASSELER ZEITUNG

Nr. 265 • Montag, 13. 11.1989

NICHT PARTEIGEBUNDEN

Ruf (05 61) 203-0 • Anzeigen 203-3

Millionenfaches WiedersehenDeutschland feierte am

Wochenende millionenfa-ches Wiedersehen - dieMauer bekam neue, gro-ße Löcher - und ganz Ber-lin war „eine Wolke": Überdrei Millionen DDR-Bürgerströmten am Samstagund Sonntag in endlosenKolonnen über die offe-nen Grenzen in die Bun-desrepublik und nachWest-Berlin - allein schät-zungsweise eine Millionauf den Kurfürstendammund die umliegende City.Die grenznahen Städtewie Kassel oder Lübeckplatzen aus allen Nähten.Die Bilanz der Behördenim Westen war - trotzchaotischer Verkehrsver-hältnisse und Massenan-sammlungen in den Städ-ten - mehr als positiv: „Eswar ein friedliches Wie-dersehensfest. Die DDR-Bürger sind uns weiterwillkommen." Über die al-ten und mehrere eiligsteingerichtete neue Grenz-übergänge machte sichdie überwiegende Zahlder zu Besuch gekom-menen DDR-Bürger ge-stern abend auf denHeimweg.

ZU DEUTSCH-DEUTSCHEN TREFFEN ungeahnten Ausmaßes kam schenmeer - am Nachmittag war für die Straßenbahnen in deres gestern in den grenznahen Städten. Kassel (unser Bild) erlebte Königsstraße kein Durchkommen mehr. Für die meisten Gäste ausden Ansturm von über 20 000 DDR-Besuchern, die aus der nord- der DDR gab der Kassel-Aufenthalt allerdings nur einen Schaufen-hessischen Metropole mit ihren Fahrzeugen eine „Trabantenstadt" sterbummel her, weil - anders als in den kleineren Städten - fastmachten. Die Fußgängerzone glich einem unübersehbaren Men- kaum Geschäfte außerplanmäßig öffneten. Foto:Koch

Berlin/Hamburg (dpa). So wiesie in Massen kamen, so verlie-ßen Hunderttausende von DDR-Bürgern gestern nach ihremWochenend-Besuch wieder dieBundesrepublik und Westber-lin. Nur ein ganz kleiner Pro-zentsatz blieb hier. Überein-stimmende Reaktion in denschier endlosen Rückfahrt-schlangen (hin waren die Stausbis zu 70 km lang): „Wir sindüberwältigt, damit hätten wirnie mehr gerechnet. Es istWahnsinn, davon kommt dieDDR-Führung nicht mehr weg -wir kommen wieder."

Die DDR hatte bis Sonntagnachmittag rund 4,3 MillionenVisa für Privatreisen von DDR-Bürgern in den Westen ausge-stellt. Seit Donnerstag abend -mit Bekanntgabe der neuen Rei-semöglichkeiten - stempeltenDDR-Beamte Visa für die Bun-desrepublik „im Akkord",gleichgültig ob in Reisepaß oderPersonalausweis.

Nach der Öffnung der Gren-

Weizsäcker warnt vor Triumphgefühlen

DDR öffnet neue GrenzübergängeStaus auch bei Rückreisewellezen sehen nun offenbar immerweniger DDR-Bürger einen Sinndarin, ihre Republik jetzt zuverlassen. In West-Berlin hießes, es kämen erheblich wenigerDDR-Bürger, die um Aufnahmein die Durchgangslager bäten.Dieser Trend wurde auch imübrigen Bundesgebiet deutlich.

Bundespräsident von Weiz-säcker, der am Sonntag über dieneuen Grenzübergänge Glienik-ker Brücke und Potsdamer Platzauf Ost-Berliner Gebiet ging unddort Blumen von DDR-Bürgernüberreicht bekam, sagte: „Wirbrauchen Zeit, um Gefühle und

Gedanken zu ordnen." Im Rah-men eines Gottesdienstes in derKaiser-Wilhelm-Gedächtnis-kirche rief er zu einem „ernst-haften und verantwortlichenGebrauch von Freiheit undWahrheit" auf. Er warnte vorTriumphgefühlen und davor, dieDDR „mit West-Mark an dieWand zu drücken". Mehr als dieHälfte der Gottesdienstbesu-cher waren DDR-Bürger.

Zuvor hatte es am PotsdamerPlatz, wo früher das Leben derReichshauptstadt Berlin pul-sierte, einen historischen Hän-dedruck gegeben. Direkt auf der

Grenzlinie trafen sich West-Berlins Regierender Bürgermei-ster Momper (SPD) und der Ost-Berliner OberbürgermeisterKrack (SED). Beide sprachenvon einem historischen Mo-ment, als sie den fünften neuenGrenzübergang in Berlin freiga-ben. Drei weitere sollen folgen.Momper betonte: „Das HerzBerlins beginnt wieder zu schla-gen." Krack sagte zu, als näch-stes solle der freie Reiseverkehrfür West-Berliner in den Ostteilder Stadt geprüft werden.

Am Samstag und Sonntag warvor allem die City von West-

Berlin schwarz vor Menschen.Mehrere 100 Meter langeSchlangen bildeten sich - wie inden grenznahen Gemeinden derBundesrepublik - vor Bankenund Postämtern, die das Begrü-ßungsgeld für DDR-Bürger inHöhe von 100 DM auszahlten.

Jeweils am Abend zogen Tau-sende von DDR-Bürgern mitPlastiktüten voller Mitbringselaus dem Westen nach Hause.Überall hatten die Behörden inder Bundesrepublik das Lan-denschlußgesetz aufgehoben.Ärger gab es am Sonntag, als ineinigen Städten, z.B. in Kassel,die meisten Geschäfte dennochgeschlossen blieben.

Die DDR-Führung machte amWochenende deutlich, daß dieneuen Reisemöglichkeiten fürihre Bürger nicht wieder zu-rückgenommen werden. Inzwi-schen gibt es Vereinbarungenzwischen Reichs- und Bundes-bahn zu einer Verbesserung desinnerdeutschen Zugverkehrs.Siehe „Zum Tage"

Bundesbürger / DDR

Kein freierReiseverkehr

Berlin (AP). Die DDR hat mitNachdruck bestritten, daß nunauch Westberliner und Bundes-deutsche ohne Formalitäten inden Osten reisen können. DieOstberliner Nachrichtenagen-tur ADN meldete gestern, ent-sprechende „Gerüchte und Spe-kulationen" entbehrten jegli-cher Grundlage. Die zwischenbeiden deutschen Staaten unddem Westberliner Senat ge-schlossenen Reisevereinbarun-gen blieben bestehen.

Zuvor hatte der Bundesgrenz-schutz mitgeteilt, Reisende hät-ten übereinstimmend erzählt,daß die Vorlage des Personal-ausweises oder des Reisepassesfür eine Einreise genügt habe.

Hoffmann: Führungsanspruch könnte überholt sein Rotes-Kreuz/Rückkehrer

SED kündigt Sonderparteitag anBerlin (dpa). DDR-Staats- und

Parteichef Krenz hat einen Son-derparteitag der SED vorge-schlagen. Danach soll die vom15. bis 17. Dezember vorgesehe-ne Parteikonferenz in einen Au-ßerordentlichen Parteitag umge-wandelt werden. Nach Angabenvon ADN wird das Zentralko-mitee am Montag abend überden am Sonntag nachmittag vomPolitbüro unterbreiteten Vor-schlag beraten. Krenz sagte zuder Initiative, viele Briefe vonParteikollektiven hätten ihn„sehr beeindruckt". Am Wo-chenende hatten Tausende vonSED-Mitgliedern auf Kundge-bungen in zahlreichen Städtendie Einberufung eines Sonder-parteitags gefordert.

DDR-Kultusminister Hans-

Hoffmann stellte im Zusammen-hang mit einer möglichen Ände-rung der DDR-Verfassung denFührungsanspruch der SED in-frage. Die Verfassung, die dieführende Rolle der Partei fest-schreibt, fixiere „bestimmte Zu-stände". „Wenn diese Zuständenicht mehr da sind, dann mußman die Verfassung ändern",sagte Hoffmann am Sonntag inLeipzig.

Die personelle Erneuerungder SED ging auch am Wochen-ende weiter. In den BezirkenMagdeburg, Erfurt, Halle undKarl-Marx-Stadt wurden neueBezirkschefs gewählt.

Angesichts des ungehemmtenReisestroms von DDR-Bürgernin den Westen haben führende.Vertreter des DDR-Jugendver-

bandes FDJ, der evangelischenJugendarbeit und der Opposi-tion in einer gemeinsamen Er-klärung „Angst um die Existenzunseres Landes" geäußert. Indem am Sonntag in Ost-Berlinbekanntgewordenen Papierwird der SED-Spitze vorgewor-fen, die neue Reisepraxis ohneflankierende politische und öko-nomische Konzepte eingeführtzu haben. Darin hieß es: „Wirhaben Sorge um den Ausver-kauf unseres Landes."

Der Leipziger Gewandhaus-kapellmeister Kurt Masur, einerder Köpfe der DDR-Reformbe-wegung, rief die DDR-Bürgerauf, die Wende im eigenen Staatmit Demonstrationen „weiter indie richtige Richtung zu len-ken".

Hilfe vereinbartBonn (AP). Das Deutsche Rote

Kreuz (DRK) hat mit dem RotenKreuz in der DDR eine Verein-barung zur .umfassenden Be-treuung von Übersiedler getrof-fen, die aus der Bundesrepublikin den Osten zurückkehrenmöchten. Wie das DRK gesternin Bonn berichtete, wollen diebeiden Gesellschaften ab sofortRückkehrer auf ihrem Heimwegbegleiten und ihnen Hilfestel-lung bei der Wiederbegründun-dung ihrer Existenz in der DDRgeben.

Die Organisation wies daraufhin, daß angesichts der jüngstenEntwicklungen in der DDR ge-genwärtig DDR-Bürger in größe-rer Zahl in ihre Heimat zurück-kehren wollen.

Zum Tage

Die Machtder GefühleW a s wir am Wochenende inDeutschland erlebt haben, war dieMacht der Gefühle.. Unerwartetkam zunächst die Öffnung derGrenzen. Das war ein politischerAkt und von der DDR-Führung im-mer noch mit einem Kalkül verse-.hen. Was danach geschah, durchdie Menschen geschah, hatte je-doch die Kraft des Elementaren.Für das, was sich an den Grenzenin den grenznahen Orten und inBerlin abspielte, fehlen die stich-

.haltigen Begriffe. Es hilft ja nichts,einen beschreibenden Superlativauf den anderen zu setzen. DieMacht der Gefühle entmachtet dieWörter. '

Freilich nicht nur die Wörter, umdie es am Ende gar nicht schadewäre. Außer Kraft gesetzt war andiesem Wochenende mehr, näm-lich die zähe Normalität des Le-bens hüben und drüben, wenig-stens dem äußeren Anscheinnach. Alle, so der Anschein, warenfür 48 Stunden ihrem Alltag ent-rückt und standen ein Stück übersich selbst, gerührt, erschüttert,mitgerissen. Und für diesen Zu-stand gibt es sehr wohl einen Be-griff, einen doppeldeutigen: dendes Ausnahmezustands.

Es mag ein wunderbares Erleb-nis sein, wenn die Regeln derSchwerkraft nicht mehr gelten,wenn alles fliegt und alles stürzt.Zukunft haben solche Augenblickenicht und dürfen sie nicht haben.Der Ausnahmezustand, wo er dau-erhaft würde, wäre destruktiv.Selbst in die Hochstimmung dieserTage mischte sich bereits Mißstim-mung. Mißstimmung am Grunde,leise Töne des Verdrusses, vor al-lem aber Fragen nach dem gere-gelten Weiterkommen, das alleswar abgedrängt, wurde aber hör-bar.

Es war nicht die Stunde der Poli-tik, sondern die der Gefühle. Ambesten stand da, wer sie halbwegsadäquat wiederzugeben vermoch-te. Das wird morgen vergessensein. Was ab sofort wieder gilt, istkühle Gedankenarbeit, sind verläß-liche Entwürfe, klare Konzeptio-nen, damit das, was explosiv imGefühl stattfand, auch in einer dau-erhaften Realität stattfinden kann.Gerade die oppositionellen Kräftein der DDR sind zur Zeit eher be-drückt als begeistert. Sie fürchten,daß in Freudenfeuem verbrennt,was erst als neue Ordnung mühse-lig aufgebaut werden muß.

Das ist richtig. Aber die Erkennt-nis des einen wird die Erkenntnisdes anderen nicht mehr auslö-schen. Es herrscht, längst totge-sagt, zwischen Deutschen undDeutschen doch noch ein innigesGefühl der Zusammengehörigkeit.Es ist einfach da und es hat, gibtman ihm nur Raum, eine unglaubli-che Frische und Kraft. Das ist dieLehre dieser Tage.

Lothar Orzechowski

Wie die Deutschenvon hüben und drüben das

große Wiedersehen feierten,schildern Berichte und Re-portagen im Innern. „Blick indie Zeit" und die Landesseitesind dabei weiter nach hin-ten gerückt.

Lotto- und TotozahlenLotto: 4, 20, 26, 29, 32, 48 Zusatz-zahl: 17.Toto: 2, 1, 2, 1, 0, 0, 1, 0, 1, 1, 1.Auswahlwette: 5, 12, 22, 38, 40, 41Zusatzspiel: 35.Rennquintett:Rennen A: 10, 7, 15.Rennen B: 33, 32, 26.Spiel 77: 8 1 7 2 7 6 7.Süddeutsche Klassenlotterie: GroßesLos der Woche mit 1 Million DMLosnummer 381 543.

(Ohne Gewähr)

Page 13: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. .265 Politik Montag, 13. November 1989

NA ENDLICH BIST DU DA, scheint dieses Bild auszudrücken. Oft wohnten Verwandte oder Freunde „WEM GOTT WILL RECHTE GUNST ERWEISEN" - mit dieser Melodie marschierte eine Blaskapellenur wenige Gehminuten entfernt, doch erst jetzt können sie wieder in die Arme geschlossen werden, aus Diedorf/Wendehausen gestern durch den löchrig gewordenen „Eisernen Vorhang" zum Platz-

(Foto: Koch) konzert nach Wanfried. (Foto: Stier)

Volksfest-Stimmung an der deutsch-deutschen Grenze.Der „Eiserne Vorhang" hat über Nacht seinen Bann verloren.Vom „Todesstreifen" seit Jahrzehnten zerrissene Straßenöffnen sich wie im Märchen, werden binnen eines Vormittagszu Volks-Wanderwegen. Zehntausende von Menschen ausThüringen, Hessen und Niedersachsen liegen sich mit Trä-nen in den Armen. Ein Wunder wird Wirklichkeit. Vollbracht

haben es in bis dahin unvorstellbarer Zusammenarbeit DDR-Grenzsoldaten, bundesdeutsche Straßenbauer und um Mit-ternacht „drüben" aus den Betten getrommelte Hilfskräfte:Zu den langjährigen Check-Points gehören seit Sonntagneue Übergänge - für Zehntausende von Bürgern beiderdeutscher Staaten „vor der Haustür." Unsere Redaktionsmit-glieder waren vor Ort.

Massenansturm auf die neuen Grenzübergänge in der Region

Mit Blasmusik zu den NachbarnVon Kar l -Hermann Huhn, Thomas St ier , Frank Thon icke , Werner Kel ler und Hans-Jürgen Fisseler

Wanfried. Bei Wanfried, woseit gestern Mittag Tausendeüber die Grenze wechselten,wurde seit kurz nach Mitter-nacht fieberhaft gearbeitet. EinDDR-Bautrupp, viele Freiwilligeund die Eschweger Straßenbau-er schufteten beim Schwerma-schineneinsatz gemeinsam.Hunderte von -Westdeutschenschauten zu. !

Bald gibt's erste Gesprächemit DDR-Grenzern. Der Esch-weger Landrat Brosey kommt.Auf die Frage: „Wann dürft

• auch Ihr rüber?" die Antwort:„Hoffentlich bald, wenn es einneues Reisegesetz gibt." Bishergelten für die Uniformiertennoch strenge Sonderbestim-mungen.

Brausender Beifall

Es ist 11.30 Uhr. Es kann lps-gehn. Ursprünglich hieß es: Öff-nung ab 12 Uhr. „Die Männer,die die ganze Nacht hier so flottgearbeitet haben, sollen die er-sten sein, die rüberfahren," ver-kündet ein DDR-Offizier unterbrausendem Beifall. Und dannkommen sie. In zwei Trabbis rol-len sie durch die jubelnde Men-ge gen Wanfried. Die erstenFußgänger von „drüben" sindvon „drüben" im Anmarsch,Motorradfahrer folgen. Es wer-den immer.mehr. Gegen 12 Uhrmarschiert eine Blaskapelle ausDiedorf/Wendehausen mit„Wem Gott will rechte Gunsterweisen" durch den „EisernenVorhang" - zum Platzkonzertnach Wanfried. Dort steht dieHauptstraße voller Menschen.Die Grenze hat ihren Bann ver-loren. Immer mehr Besucherströmen gen Westen. Und nach„drüben"?

Was niemand für möglich ge-halten hat, geschieht gegen12.45 Uhr: „Sie können dieGrenze passieren, bitte nehmenSie den Ausweis mit," heißt es.Die Menschen, die zum Teil seitStunden darauf gewartet haben,ziehen los - hinüber. Unter ih-nen auch der 79jährige Wan-frieder Alfons Mehler. Mit demFahrrad und zwei Eimern vollerCox-Orangeäpfel: „Für meineGeschwister, zwei Kilometervon hier in Diedorf, die habenkeine." Viele nutzen die Gunstder Stunde zur DDR-Süpvisiteohne Visum und Paß. In dieserhistorischen Stunde sind dieGrenzer großzügig.

Vor dem DDR-Dorf habenSoldaten Zelte aufgeschlagen,eine provisorische Grenzkon-trollstelle geschaffen, unter frei-em Himmel gibt's Ausreise-Visafür DDR-Bürger, formlos, flott.Ein Team der Aktuellen Kamerainterviewt die „Westler", die

herübergekommen sind, unterihnen der Eschweger Stadtver-ordnetenvorsteher Heinz Büh-rig. Er hat Tränen im Gesicht.

Tränen gibt es an diesem Tagnoch oft, in Katharinenberg, inDiedorf, Wendehausen, überallbegegnen sich ungezählteGrenzlandgänger aus Nordhes-sen und Thüringen, die sich seitJahrzehnten nicht mehr gese-hen, nur brieflich die altenFreundschaften bewahrt hatten- gestern wurden sie erneuert.Mit dem beiderseitigen Willen:Was hier und heute erreichtwurde, kann uns keiner mehrnehmen.

Bummel im Todesstreifen,

Wildeck. Punkt 10 Uhr, aufder Straße zwischen Obersuhlund Untersuhl. Dort, wo ein Git-terzaun die beiden kleinen Orteseit Jahren trennt, geschieht Hi-storisches. Das Metall wirdweggeräumt, die Grenze ist of-fen. Als erster strampelt einRadfahrer gen Westen, gefolgtvon ungezählten Trabbis, Mo-peds. Die l ersten Fußgängerbummeln durch den Todesstrei-fen, der zum Weg in ein neuesLeben wird. Tausende erwartendie DDR-Bürger. Klatschen, Ju-beln, Tränen schießen in die Au-gen. „Herzlich willkommen inWildeck", hat einer ein Schildgemalt., Bananen werden ver-schenkt. Polizei-Hauptkommis-sar Klaus Lorenz, Stationsleiterin Rotenburg, begrüßt seinenDDR-Kollegen mit Handschlag.Kameras klicken. Wenig späterfreut sich der Vopo, als ihm einPolaroid-Bild von diesem Mo-ment geschenkt wird.

Ergreifende Wiedersehenss-zenen. Christiane Heckmannaus Obersuhl schließt ihreGroßtante Erika Eimer aus Un-tersuhl in die Arme. Als Kind,erzählt uns Erika Eimer, habesie in Obersuhl gespielt. Nun,nach Jahren, kommt sie zu Fußzu ihren Verwandten: „Was fürein Gefühl: Du gehst aus einerDDR-Haustür raus und in eineWest-Haustür rein".

Tränen kullern

Freude ist sicher nur einschwaches Wort für das, wasJürgen Schmidt aus Untersuhlin diesen Momenten erlebt.Noch einen Meter hat der Mannbis zu Grenze, da stürzenSchaulustige und Journalistenauf ihn ein, stellen Fragen. Dochdiesen einen Schritt in den We-sten will der Mann zunächsttun. „Erstmal raus", ruft er, „erstraus..." Tränen kullern über dieWangen: „Ist das schön, hier zu

sein". Er deutet zurück, auf seinHeimatdorf. „Jahre konnten wirnur hierher gucken,1 jetzt sindwir da".

10.45 Uhr. Immer mehrSchaulustige drängen durch denoffenen Zaun, längst stehenHunderte auf DDR-Gebiet. DieVolkspolizisten, die DDR-Gren-zer, schauen zu. Man zieht sichzurück. Was von den Bundes-bürgern wie ein Signal verstan-den wird. „Jetzt woll'n wir malrüber", sagt einer eher belang-los. Es wirkt wie eine Aufforde-rung. „Jetzt nach Untersuhl".„Jetzt wolln wir's wissen.". EinDritter: „Ich hab doch keineAngst mehr". Die Menge setztsich in Bewegung, RichtungDDR. Man durchquert auf altenBetonplatten den Todesstreifen.Manchem wird mumig. Die wer-den doch alle Minen wegge-räumt haben?

Nach 300, 400 Metern istSchluß mit diesem sonntägli-chen deutsch-deutschen Spa-ziergang. DDR-Grenzer stehenvor einem Stop-Schild. Passie-ren darf nur, wer ein Visum hat.

Trotzdem: Weitere Erfahrun-gen ganz neuer Art dürfen ge-macht werden. Zum BeispielPlaudereien mit DDR-Grenzbe-amten. „Das bleibt hier offen",sagt ein hoher Offizier, „ist dochganz normal. Und wenn Sie einVisum haben, können sie vonmir aus auch auf den Händen zuuns rüberkommen".

Bundesbürger konnten nurmit dem Personalausweis einenSpaziergang nach drüben ma-chen - mußten allerdings 30Mark bezahlen (fünf Mark Vi-sum, 25 Mark Mindestum-tausch).

Starker Rückreiseverkehr

In den ersten anderthalbStunden passierten den Über-gang 1750 Personen in 400Fahrzeugen von Osten nachWesten. In Gegenrichtung wa-ren es 260 Personen in 85 Wa-gen. Am Nachmittag setzte einstarker Rückreiseverkehr ein.Dabei nahm der neue Übergangauch Fahrzeuge auf, die am überHerleshausen bzw. Worbis indie Bundesrepublik gekommenwaren.

Hessens MinisterpräsidentWallmann war ebenso wie In-nenminister Milde und Staatsse-kretär Stanitzek Zeuge des fürden Grenzkreis historischenAugenblicks. Wallmann machtesogar einen kleinen Gang aufDDR-Gebiet.

Wegen seiner Nähe zur Auto-bahn Göttingen-Kassel und zurBundesstraße 27 kommt demÜbergang bei Eichenberg einezentrale Bedeutung zu. DieGrenzbehörden schätzen, daß erspäter einmal ein ebenso hohesPkw-Aufkommen haben könntewie Herleshausen.

Aus dem Boden gestampft Großer Tag

Neu-Eichenberg. Unter demstürmischen Beifall von 6000Menschen wurde am Sonntag-mittag auch der neue Grenz-übergang bei Eichenberg imNorden des Werra-Meißner-Kreises von der DDR geöffnetworden. Rudi Müller aus derDDR-Gemeinde Vatterode roll-te mit seinem Trabbi als erster inden Westen - in Gegenrichtungpassierte der Vorsitzende desWerratalvereins Witzenhau-sen, Artur Künzel, samt Familiedas Tor in die DDR, das sichüber Nacht aufgetan hatte.

Binnen elf Stunden war eineprovisorische Grenzkontroll-stelle von Arbeitskräften derDDR sowie BGS-Angehörigenbuchstäblich aus dem Boden ge-stampft worden. Die Nachrichtvon der Öffnung des neuenÜbergangs löste eine Völker-wanderung aus dem hessisch-niedersächsischen Grenzgebietnach Eichenberg aus. Es gab ki-lometerlange Stauungen auf denStraßen. Der Jubel kannte keineGrenzen - Ordnungskräfte hat-ten Mühe, den Fahrzeugen beimPassieren des Überganges dieBahn freizumachen.

Northeim. Großer Tag für diealte Eisenbahnerstadt Nort-heim: Gestern um 9.55 Uhr er-reichte der erste von drei Son-derzügen der Bundesbahn mitrund 350 DDR-Bürgern ausNordhausen und Ellrich überden überraschend für den Per-sonenverkehr geöffnetenGrenzübergang Walkenried diesüdniedersächsische Kreisstadt.Über 1000 Menschen nutztendiese Möglichkeit zu einem Be-such im Westen.

Am Nachmittag setzte dieBundesbahn wiederum dreiZüge ein, um die Besucher nachEllrich zurückzubringen. Dieplanmäßigen Züge, für die all dieJahre Walkenried die Endsta-tion war, fuhren ungehindertweiter bis zur DDR-Grenzsta-tion Ellrich.

In der Northeimer Innenstadtsetzten sich viele DDR-Bürgerin Diskussionen vehement füreine Direktverbindung zwi-schen Nordhausen und Nort-heim ein. Eine solche Direktver-bindung würde den alten Eisen-bahnknotenpunkt Northeim zueiner neuen Dimension aufstei-gen lassen.

BUNDES- :REPUBLIK:DEUTSCH-:ALANDS:;:;! Gadebusch Mustin

DDR POLEN

Berlin

Ellerich/Walkenried

vacha/

Hohengandern/WitzerthausenKatharinenberg Wanfried

•JUntersuh /ObersuhlProbstzella/Ludwigsstadt

MBIosenberg/HofHönbach/Neustadt

CSSRINDEX FUNK 3929

Die neuen GrenzübergängeLöcher in der Mauer und

Lücken im Zaun: Die einst fastunüberwindliche Grenze zwi-schen der Bundesrepublik undder DDR sowie zwischen denbeiden Teilen Berlins istdurchlässig geworden. Um denliberalisierten Reiseverkehrzu bewältigen, hat die DDR-Führung zahlreichen neuenÜbergängen zugestimmt. InBerlin wurde die Mauer schondreimal durchbrochen. Andrei weiteren Stellen wird siein den nächsten Tagen einge-rissen. Auch durch weitereBuslinien wurde die Sperran-lagen zur DDR durchlässiger.

An der innerdeutschenGrenze will die DDR nach An-gaben des innerdeutschen Mi-nisteriums bis heute zehn wei-tere Grenzübergänge einrich-ten oder erweitern. FolgendeÜbergänge waren schon amSonntag für Pkw und Fußgän-ger offen:

Bezirk Schwerin: Gadebusch-Ratzeburg; Bezirk Magdeburg:Stapelburg-Bad Harzburg; Be-zirk Erfurt: Hohengandern-Neu-Eichenberg, Katharinen-berg-Wanfried und Untersuhl-Obersuhl; Bezirk Suhl: Vacha-Philippsthal und Höhnebach-Neustadt; Bezirk Gera: Probst-zellaTLudwigstadt; BezirkKarl-Marx-Stadt: Blosenberg-Felitzsch/Hof

Der Übergang Ellerich inNiedersachsen wurde für denPersonenverkehr per Eisen-bahn erweitert.

Gestern abend berichteteder Bundesgrenzschutz, dieDDR habe am Sonntag im Harznoch zwei weitere Grenzüber-gänge geöffnet: Zwischen Ho-hegeiß und Rothe Sütte (DDR)sowie Braunlage und Elend(DDR) können allerdings nurFußgänger die Grenze passie-ren, (dpa)

HESSISCHE/NIEDERSACHSISCHE

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Page 14: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 265 Politik Montag, 13. November 1989

Bilder des Tages vom Potsdamer Platz

Deutsch-deutsche Grenzpatrouille Von Weizsäcker im Gespräch mit einem DDR-Polizei-Offizier

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Die Mauer ist kein Bollwerk mehr: Sie fällt in Stücken

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Zum ersten Mal im Westteil der Stadt Bürgermeistertreffen: Momper und sein östlicher Kollege Krack

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Page 15: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 265 Themen des Tages Montag, 13. November 1989

Die Umarmungvon KreisauGrIroße Gesten geraten schnell indie Nähe des Profanen, ja des Lä-cherlichen. Die Kreisauer Umar-mung zwischen dem deutschenBundeskanzler und dem polni-schen Premier ist weit davon ent-fernt. Sie ist sichtbarer Ausdruckdafür, daß sich das Verhältnis derbeiden Völker zu entkrampfen be-ginnt. Die Polen zeigten aus eige-ner leidvoller Erfahrung Verständ-nis für die Reiseunterbrechung desKanzlers, und sie wissen es zu wür-digen, daß er zurück an die Weich-sel gekommen ist. Sie erweisenihm, allen voran Tadeusz Mazo-wiecki, auch menschlichen Re-spekt.

Vergessen, so sagte BischofNossel, könnten seine Landsleutenicht. Wie sollten sie auch, nachallem, was sich beide Völker ge-geneinander angetan haben. Aberder Wille zur Versöhnung führt überdie Bereitschaft, die Sorgen undÄngste des anderen zu verstehen.Der Oberhirte sprach von der Ein-maligkeit dieser Stunde im schlesi-schen Kreisau. Das EuropäischeHaus jedenfalls, das Michail Gor-batschow skizzierte, ist ohne Polenund Deutsche nicht denkbar.

Die Polen wollen nicht in der Rol-le des Bittstellers auftreten. Sie ha-ben konkrete Vorstellungen dar-über, wie sie ihre desolate Wirt-schaft wieder voranbringen kön-nen. Ohne Hilfe des Westens aberwird sich Warschau nicht wiedererholen können. Der Bundeskanz-ler hat sich einen eigenen Einblickin die Lage verschaffen wollen. Aufihm ruhen viele Hoffnungen der Po-len, aber auch der Deutschen, dienoch jenseits der Grenze leben.

Nach den Pfiffen von Berlinschlug Helmut Kohl im fernen Po-len viel Sympathie entgegen. Undwer die Gemütslage des empfind-samen Kanzlers kennt, der weiß,daß er sich noch immer zu revan-chieren wußte.

Hans-Ludwig Laucht, Kreisau

Die Umarmung von Kohl und Mazowiecki

Mehr als eine bloße GesteAus Kreisau berichtet unser Redaktionsmitglied Hans-Ludwig Laucht

Hiln Hilferuf aus Oberschle-sien: „SOS - OS". Das Transpa-rent drückt aus, was viele emp-finden. Sie sind mit dem Auto,mit dem Motorrad, mit demFahrrad oder zu Fuß gekommen.Das einsame Rittergut derer vonMoltke spannt für einen Tag dieBrücke vom fernen Schlesienzur westdeutschen Heimat.Zwischen Breslau (Wroclaw)und dem fünfzig Kilometer ent-fernten Schweidnitz (Swidnica)weisen nur kleine weiß-rote pol-nische Fahnen und die Farbender Bundesrepublik den Weg.Gegen 10 Uhr am Sonntag mor-gen mögen es einige tausendsein, die den Altar unter freiemHimmel umringen. Im eiskaltenWind wehen Transparente.„Helmut, denk an uns!" ist zulesen. „Helmut, du bist auch un-ser Kanzler", „vergiß uns nicht",heißt die beschwörende Mah-nung. Der Kirchenchor singt„Das ist der Tag des Herrn."

Um die Gestaltung dieses Ta-ges war lange gerungen worden.Kohl wollte ursprünglich aufden Annaberg, den Wallfahrts-ort der Schlesier. Doch denempfindsamen Polen war dieserOrt zu sehr mit eigenen,schmerzlichen Erinnerungenbefrachtet. Sie boten Kreisau an.Der Kanzler, innen- und außen-politisch unter Beschüß geraten,nahm an.

Doch vielen Schlesiern warden Weg zu weit. „Zum Anna-berg wären 50 000 gekommen",klagte eine Gruppe aus Beuthen.In Kreisau, schätzt die katholi-sche Kirche, versammelten sichrund 7000 Menschen. DieMehrheit: ehemalige Deutsche.

Einer von ihnen ist GerhardSchneider. Er ist einer von den30 „reinblütigen" Deutschen,die noch in Schweidnitz leben.

Presse-Echo

Am Wochenende gab es nur ein Thema.

DIE WELTEin ganz irdisches Wunder

scheint geschehen. Erstmals seiteiner Generation bewegten sichDeutsche im Osten frei nachWesten. Auch wenn man An-stöße von draußen berücksich-tigt, der Umbruch ist durch dieDeutschen zwischen Elbe, Oder,Ostsee, Erzgebirge selber ver-wirklicht worden... Wie be-nommen läßt man die Zeit derEinsamkeit, auch der politi-schen, hinter sich. Man schämtsich seiner Tränen nicht.

Nichts ist stärker als eine Idee,deren Zeit gekommen ist, hatAußenminister Genscher kürz-lich gesagt. Richtig. Und dasgilt... auch für die SED. Der Rei-sefreiheit und Versammlungs-freiheit werden Koalitions- undMeinungsfreiheit folgen müssenund - auch das steht längst an -die Annullierung der gefälschtenKommunalwahl vom Sommer.Erst dann werden die Zweifler andie Wende glauben können undsich an der Umgestaltung ihresGemeinwesens beteiligen.

Q Q Westdeutsche Zeitung

Den Westen trifft die neuesteEntwicklung iader DDR nahezuunvorbereitet. Zwar hat manseit Jahrzehnten die Fahne derWiedervereinigung hochgehal-ten und gebetsmühlenhaft Er-leichterungen gefordert für dieMenschen im anderen TeilDeutschlands. Doch Strategienentwickelt oder Denkmodellefür den Fall, der jetzt eingetretenist, hat man nicht. Man fragtsich, was im innerdeutschen Mi-nisterium in den letzten Jahr-zehnten geschehen ist.

ÜölmfcfiePunDfctjauDie Freude sollte uns aber

nicht so überwältigen, daß wirunfähig zur sachlichen Ein-schätzung der Situation werden,die uns mit unbeschreiblichenGlücksgefühlen erfüllt, zugleichaber auch mit der Sorge kon-frontieren muß, wie es mit demarg gebeutelten Staat zwischen

Oder-Neisse und Elbe weiterge-hen soll,

PassauerNeuePresseDieser 9. November 1989

wird in die Geschichte eingehenals ein Freudentag für die Deut-schen, weil die unmenschlicheGrenze endlich offen ist.

Jranffurter^llgemeineEs ist unwahrscheinlich, daß

die DDR ihre Grenzen geöffnethat ohne Absprache mit der So-wjetunion. Schließlich hatte nurwenige Stunden zuvor ein Spre-cher des Außenministeriums inMoskau noch einmal ausdrück-lich den anderen Teil Deutsch-lands als „strategischen Ver-bündeten" der östlichen Groß-macht hervorgehoben. Geplantwar das Unterfangen der DDRalso wohl kaum. Vielmehr dürf-te die Einwilligung des Kremlallein dem atemberaubendenDruck der Entwicklungen in derDDR zuzuschreiben sein.

SüddcutschcZeirung

Die DDR ist fast mit einemSatz in eine neue Phase ihresUmbruchs getreten. Aber auchfür die Bundesrepublik hat sichüber Nacht - im wörtlichen Sin-ne - eine neue Lage ergeben.

WIESBADENER KURIEROb Völker glücklich sein kön-

nen, wie Berlins BürgermeisterMomper es ausgedrückt hat, seidahingestellt. Aber sovieleglückliche Menschen wie seitder „verrückten Mauernacht"hat Deutschland - und beson-ders die DDR - seit 1945 nichtmehr gesehen.

NÜRNBERGERZEITUNGIEr™

Die Dominanz militärischenDenkens ist damit abgeklungen.Mit der Öffnung der DDR-Gren-zen stellt Egon Krenz auch denWarschauer Pakt in Frage.Wenn der sogenannte Schutz-wall gefallen ist, fällt die wortlo-se waffenstarrende Konfronta-tion an der Zonengrenze in sichzusammen.

Die Ausreisepapiere hat er inder Tasche. Aber die Frau desRentners wurde krank. „Nunmuß ich wohl für immer hierbleiben. Es ist schön, wiedereinmal Deutsch zu hören." SeineVersorgung macht ihm Kum-mer. Es reicht kaum zum Leben.

In den Taschen der BonnerKorrespondenten sammeln sichviele Adressen von Leuten wieGerhard Schneider, die bei derBundesregierung Rentenan-sprüche geltend machen wollen.„Wir haben außer euch sonstniemanden mehr." Das Verhält-nis zwischen Polen und Deut-schen hat sich, wenn man denStimmen Glauben schenkenwill, seit 10, 20 Jahren ent-spannt. Und nachdem die neueRegierung in Warschau regiert,sind die zwischenmenschlichenBeziehungen besser geworden.„Materiell geht es nach wie vorschlecht."

Der Kanzler ist bewegt

Helmut Kohl fährt im schwar-zen Volvo vor. Das Wetter inWarschau war zu schlecht, umein Flugzeug zu benutzen. DieKorrespondenten folgen demRegierungschef in Taxis oderOmnibussen, auch ein Beweisdafür, daß die OrganisationZüge des Chaotischen trägt. Diedicht an dicht stehenden Men-schen applaudieren und skan-dieren: „Helmut, Helmut." DerKanzler ist tief bewegt. Der Ju-bel kommt von Herzen. Es istmehr stille Freude als lärmendeDemonstration. Sichtlich betrof-fen blickt Polens Premiermini-ster Tadeusz Mazowiecki umsich. Er spürt, daß die Mengeangespannt ist. Es ist ein seltsa-mer Kontrast. Dort der vor Kraft

strotzende westdeutsche Kanz-ler. Daneben das angestrengte,schmale, leidende Gesicht sei-nes Gastgebers.

„Selig sind, die Frieden stif-ten", steht in großen Lettern auf'dem Altar. Und um Frieden zustiften, sind beide gekommen.Fast beschwörend mahnt wäh-rend der Predigt der Bischof vonOppeln, Alfons Nossel, die Poli-tiker und Völker zum menschli-chen Miteinander. Die Wortedes Oberhirten finden in derUmarmung und Kohl und Mazo-wiecki sichtbaren Ausdruck.Die Menge ist ergriffen. Einigenstehen Tränen in den Augen. Sieempfinden, daß dies mehr alseine bloße Geste ist.

„Großer Gott wir loben dich",singen die Menschen. Doch esschwingt auch Trauer mit. Bi-schof Nossel erinnert an denTerror der Naziherrschaft, andie Schrecken der Vertreibung.Aber da ist auch Kreisau. JenerOrt, der zu einer Keimzelle desWiderstandes gegen Hitler wur-de. Da sind die Männer um Hel-mut James Graf von Moltke unddessen Freund, den Grafen Yorkvon Wartenburg. Männer, dieihren Kampf gegen das Un-rechtsregime unter dem Fallbeiloder im Konzentrationslagerverloren. Auch diese Seite deut-scher Geschichte findet Eingangin die Worte des Geistlichen.

Heute wird das aus dem 13.Jahrhundert stammende Ritter-gut vom Staat bewirtschaftet.Die Witwe Moltkes, Freya, lebtseit 1960 mit ihrem Sohn Kon-rad in den Vereinigten Staaten.Im Herrenhaus hat man neueFenster eingesetzt. Sie kündendavon, daß hier eine Gedenk-stätte entstehen soll. Die Mittelsind im Etat der Bundesregie-rung eingeplant.

Nachhaltiges Echo im Ausland

Ende der Mauerüberall bestauntD.ie Ereignisse an derdeutsch-deutschen Grenzehaben in den Auslandsmedienein gewaltiges Echo gefunden.Auch die Sonntagszeitungenenthielten vor allem in westli-chen Ländern Sonderseiten ingroßem Umfang, nachdemschon am Samstag die Volks-feste an der Grenze beherr-schendes Thema waren; sostellte die französische „Libe-ration" das Geschehen auf 17Sonderseiten dar. Auch inLändern der Dritten Welt wieMexiko und Ägypten domi-nierte Deutschland die Schlag-zeilen.

Sondersendungen

Weltweit widmeten Funk-und Fernsehsender ihre Nach-richten vorrangig dem DDR-Geschehen und brachten Son-dersendungen auch über diehistorische Entwicklung imNachkriegsdeutschland. DasAuslandsinteresse spiegeltesich auch in der großen Zahlvon Berichterstattern wider,die vor Ort über das Gesche-hen berichten.

In den Kommentaren wardas Meinungsspektrum weitgefaßt.. Neben euphorischenÄußerungen („Dagens Nyhe-ter"/Schweden: „weltpoliti-sche Freudenstunde") wurdenSorge über eine mögliche Wie-dervereinigung und Verschie-bungen im internationalen po-litischen Gleichgewicht laut.In diesem Zusammenhangfehlten auch Hinweise auf denbevorstehenden Gipfel vonKremlchef Michail Gorba-tschow und US-PräsidentGeorge Bush nicht.

Der „Corriere della Serra"(Italien) registrierte das „Endeder Ordnung von Jalta", unddas französische „Journal deDimanche" meinte: „Moskauhat schon erklärt, daß eine Än-derung der Grenzen nicht inFrage kommt. Wie kann man

akzeptieren, daß die beidenSupermächte, die sich dieWelt geteilt haben, immernoch ohne Europa über dieZukunft Europas diskutieren?"

Sorge geäußert

Vor allem französische Blät-ter v äußerten Sorge über einwiedervereinigtes Deutsch-land „mit 80 Millionen Men-schen" als „Hauptpartner Ruß-lands" („Le Figaro"), das mehrExportkraft habe als „Großbri-tannien und Frankreich" zu-sammen („Le Parisien"). „LeMonde" sah die „Gefahr", daßdurch die deutsch-deutscheAnnäherung der „europäischeAufbau Schaden" nehme:.Gro-ße Beachtung fand eine Äuße-rung des DeutschlandexpertenAlfred Grosser, wonach dieDDR-Bürger keine Wieder-vereinigung fordern.

Auch „Berlingske Tidende"(Dänemark) wies darauf hin,daß die „Volkserhebung" „zukeinem Zeitpunkt die Forde-rung nach Wiedervereinigungerhoben hat". „Maariv" (Isra-el) warnte, wer eine rascheWiedervereinigung unterstüt-ze, ignoriere die „ernsthafteGefahr, daß das deutsche Volkwieder mit der Illusion zu spie-len beginnt, daß zum drittenMal... versucht werden könn-te, die Welt zu zerstören".

Moskau im Visier

Die „Neue Zürcher Zeitung"unterstrich, daß von der weite-ren deutschlandpolitischen„Entwicklung letztlich auchdas Überleben der sowjeti-schen Führung abhängenkönnte". Der britische „Inde-pendent" bezeichnete dieGrenzöffnung als „verzweifel-ten Versuch, die Unterstüt-zung der Regierten zu ge-winnen".

(dpa)

Potsdamer Platz: Das Herz schlägt wieder

„Das Unglaublicheist wahr geworden"Von unserem Mitarbeiter Paul F. Duwe, Berlin

vjenau um 8.21 Uhr lief dererste Schub von etwa 100 Ost-berlinern über den PotsdamerPlatz zur Bellevuestraße amWestberliner Tiergarten. Dortwar erst wenige Minuten voracht Uhr die letzte Betonplattefür den zwölf Meter breitenMauerdurchbruch von einemKran herausgehoben worden.Als die ersten „Ostler" auf Höhedes Grenzstreifens waren, wie-derholte sich das bewegendeBild dieser Tage: Jubel, Freu-denschreie und -tränen, Blumenwanderten hin und her, Sekt-korken knallten.

Kein Halten mehr

In diesem Monat kannte auchdie vieltausendköpfige Mengeauf Westberliner Gebiet keinHalten mehr. Sie drückte sokräftig gegen die gemeinsameKette von West-Polizisten undOst-Grenzern, daß viele Hun-derte auf den für 28 Jahre zumSperrgebiet verwandelten Pots-damer Platz strömten.

Punkt acht Uhr trafen sich dieBürgermeister der beiden TeileBerlins direkt auf der Grenzlinieund schüttelten einander dieHände. Walter Momper sprachvon einem historischen Moment

Westberliner war nicht zu den-ken. In teilweise gereiztem Tonwurden die Menschen abgewie-sen, wahrend die Ostberlinerdurch ein Spalier schubweise inder Gegenrichtung passierendurften. Kurz nach zehn Uhrhatte sich die Lage normalisiert.Die ersten „Trabbis" konntenauf der notdürftig angelegten Pi-ste über die Grenze rollen, woimmer noch Hunderte Beifallklatschten und jubelten.

Unterdessen erlebte die Stadtauch gestern wieder ein turbu-lentes Wiedersehensfest. Wieschon seit Tagen üblich, bracherneut der Verkehr zusammen.Im Stadtzentrum am Kurfür-stendamm versammelten sichwieder Hunderttausende, insge-samt mögen es mehr als eineMillion Besucher gewesen sein,die von der neuen Freiheit Ge-brauch machten.

Auf den Straßen spielten sichimmer wieder Szenen der Hilfs-bereitschaft ab. Westberlinernahmen die Ostberliner einfachmit dem Auto mit, weil die Busseoft nicht mehr kamen. Und wenndie Besucher kein Westgeldmehr hatten, dann spendiertenihnen die Gastgeber Bier, Zei-tungen oder rückten auch schonmal einen grünen oder braunenGeldschein heraus.

(Aus: Kölner Stadt-Anzeiger / Hanel)

und davon, daß „das alte HerzBerlins" wieder zu schlagen be-gonnen habe. Sein OstberlinerKollege Erhard Krack hielt sichindes merklich zurück. Für ihnbedeutete das Spektakel ledig-lich eine „symbolische Geste".

Schon in der Nacht zum Sonn-tag harrten Tausende vor derMauer aus, um den Einsturz desSperrwerks vielleicht miterle-ben zu können. Aber die Ost-Grenzer brauchten Stunden,ehe sie mit leichten Preßluft-hämmern die Fugen zwischenzwei Platten geöffnet hatten.

Als dann der historische Mo-ment am Sonntagmorgen nahte,steigerte sich auch die Euphorieder Medienleute aus Amerika,Japan oder Italien. Ein amerika-nischer Fernsehreporter sprachmit atemloser Stimme in sein«Kamera: „Das Unglaubliche istwahr geworden. Die BerlinerMauer fällt. Nun können nochganz andere Träume Wirklich-keit werden, sogar die Wieder-vereinigung Deutschlands."

Währenddessen verlangte dieMenschenmenge: „Wir wollenFrühstücken auf dem Alex."Doch die Ost-Grenzer wolltenden „Bürgern aus Berlin-West"diesen Wunsch, wie noch in derNacht von Donnerstag auf Frei-tag, nicht erfüllen. UniformierteEinheiten mit geschultertem Ge-wehr rückten an. AndereTrupps erschienen im Gleich-schritt mit martialischenSchutzschilden. Nur von derPlattform für die Journalistenkonnte man dieses Schauspielverfolgen. Ein Beobachter mein-te: „Wie bei Asterix und Obe-lix".

Etwas später beruhigte sichdie Lage. Schilde und Karabinerwurden zumeist beiseite gelegt,doch an ein Durchkommen für

Wohl mehr als 30 000 Autosaus dem Osten tuckerten durchdie Stadt, darunter viele Zwei-takt-„Trabbis", die bläulicheGeruchsfahnen hinter sich her-zogen. Aber auch das nehmendie meisten Westberliner in die-sen Tagen gern in Kauf. Ein Poli-zist besänftigte einen „Trabbi"-Kritiker mit den Worten: „Berlinist doch kein Luftkurort".

Die Geschwindigkeit, mit deran diesem Wochenende dieMauer bröckelt, erzeugt nochimmer bei Berlinern aus allenStadtteilen Fassungslosigkeitund ungläubiges Staunen. Einjunger Mann aus Biesenthal,nordöstlich von Berlin, drücktedieses Gefühl vor dem Branden-burger Tor in Worten aus: „Ichbin ein Jahr älter als die Mauer.Ich kann das gar nicht glauben,daß ich die Mauer jetzt von die-ser Seite aus sehen kann."

Die Öffnung der neuen Grenz-übergänge, all das überwältigtdie Menschen auch noch Tagedarauf. Etwa die Öffnung der„Brücke der Einheit" über dieHavel nach Potsdam. Jahrzehn-telang wurden hier Agentenausgetauscht, jetzt macht sie ih-rem Namen wieder alle Ehre.

Loch in der Mauer

Oder der Übergang an derBernauer Straße von Weddingzum Prenzlauer Berg. Dort hat-ten sich am und nach dem 13.August 1961 erschreckendeSzenen zugetragen, als Men-schen aus den oberen Stockwer-ken der Häuser sprangen odersich abseilten, weil die unterenbeiden Etagen schon zugemau-ert waren. Und jetzt ist selbst andiesem symbolträchtigen Ortein Loch in der Mauer.

Page 16: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 265 Politik Montag, 13. November 1989

Polen-Besuch / Umarmung Kohls und Mazowieckis in Kreisau

Messe im Zeichen der VersöhnungKreisau (dpa/AP). Als Zeichen

der Versöhnung haben sich dieRegierungschefs der Bundesre-publik und Polens gestern beieiner Messe auf dem ehemaligenGutshof des Hitler-GegnersHelmuth James Graf von Molt-ke im niederschlesischen Krei-sau demonstrativ umarmt. Diekatholische Zeremonie war fürBundeskanzler Kohl der symbo-lische Höhepunkt seiner Polen-Reise. Vor dem Altar unter frei-em Himmel begrüßte der Bischofvon Oppeln, Alfons Nossol, die„beiden christdemokratischenRegierungschefs" Tadeusz Ma-zowiecki und Kohl. Sie saßennebeneinander auf der Altarem-pore. Vor der Kommuniontauschten sie unter dem Beifallder Menge mit einer Umarmungden christlichen Friedensgrußaus. Kohl und Mazowiecki um-armten sich dann noch demon-strativ unter dem Beifall derMenge.

Nach dem Gottesdienst, derunter dem Matthäus-Wort „Se-lig, die Frieden stiften" stand,versicherte der Kanzler, jederhabe gespürt, „daß dies einwichtiger Augenblick im Lebenunserer Völker ist. Wir habendie Geschichte gespürt. Sie warda - gerade auf diesem Platz mit-ten in Europa." Der gegenseitigeGruß der Versöhnung dürfe„nicht ohne Folgen bleiben: Laßtuns aufbrechen von diesem Al-tar in eine gute, friedvolle, gott-gesegnete Zukunft für unsereVölker, für die Polen, für dieDeutschen, für uns alle in Euro-pa." Mazowiecki meinte, diesesGefühl der christlichen Brüder-lichkeit zwischen beiden Völ-kern müsse auch nach derRückkehr der Teilnehmer vondiesem Gottesdienst in Kreisaubleiben.

Zu der Messe waren etwa7000 Menschen gekommen, un-ter ihnen viele Deutsche vonden offiziell noch nicht zugelas-senen „Deutschen Freund-schaftskreisen" mit Traftsparen-

AUF DEM EHEMALIGEN GUTSHOF IN KREISAU: Bei einer Messe unter freiem Himmel umarmen sichder polnische Ministerpräsident Mazowiecki und Bundeskanzler Kohl. (dpa-Funkbild)

ten und einer Blaskapelle. Sieforderten unter anderem deut-sche Schulen und Gottesdien-ste. Die mehr als sechsstündigeAutobusfahrt nach Kreisau, zuder Kohl im nebelverhangenenWarschau nachts gestartet war,wurde in Schweidnitz (Swidni-ca) kurz unterbrochen. Dort be-suchte der Bundeskanzler dieevangelische Friedenskirche.

In seiner nacheinander aufpolnisch und deutsch gehalte-nen Predigt unterstrich der Bi-schof von Oppeln, Nossol, wieschwierig dieser Polen-Besuchdes Kanzlers sei, obwohl dochbeide „europäische Nachbarnsind". Es müsse sich jetzt das

„Wunder der wahren Versöh-nung zwischen den so lange ver-feindeten Völkern" vollziehen,die sich im Zeichen christlicherLiebe gegenseitig vergebenmüßten. Auch Nossol verwiesauf die historische Bedeutunggerade dieses Ortes, der einSymbol für den antifaschisti-schen Widerstand sei.

Am Nachmittag besuchteKohl das WallfahrtsklosterTschenstochau. Zusammen mitdem polnischen Ministerpräsi-denten Tadeusz Mazowiecki be-tete er vor dem Gnadenbild der„Schwarzen Madonna", dempolnischen Nationalheiligtum.Am Abend holte Kohl sein Tref-

fen mit dem polnischen Staats-präsidenten Jaruzelski nach,das wegen der Unterbrechungder Polenreise ausgefallen war.

Unterdessen forderte der pol-nische Außenminister KrysztoffSkubiszewski eine klare Stel-lungnahme zu der Grenzproble-matik zwischen den beidenStaaten. Bezogen auf die jüngsteEntwicklung in der DDR erklär-te er in einem Interview, daßeine eventuelle Wiedervereini-gung für Polen nur dann akzep-tabel sei, wenn der neue Staatdie polnische Westgrenze nichtin Frage stellen würde.Siehe auch Kommentarund „Themen des Tages"

Äußerung „Volk der DDR"

Heftiger StreitKohl - Momper

DDR / SPD fordert nationales Programm

Waigel: Hilfe wirksamerst nach Reformen

Bonn (dpa). Ein ungewöhnlichheftiger Streit ist am Wochen-ende zwischen BundeskanzlerKohl (CDU) und Berlins Regie-rendem Bürgermeister Momper(SPD) ausgebrochen. Momperwarf Kohl „eklatantes Versagenin der entscheidenden Situationin der deutschen Geschichte"vor. Zuvor hatte Kohl den Bür-germeister vor der Bonner Pres-se angegriffen und die Frage auf-geworfen, ob Momper im Sinnedes Grundgesetzes „das gleicheVerfassungsverständnis hat ...wie ich".

Auslöser der Verärgerung desKanzlers war offenbar die Kund-gebung am Freitag abend vordem Westberliner RathausSchöneberg. Während Momper,der SPD-EhrenvorsitzendeBrandt und Außenminister Gen-scher (FDP) bejubelt wordenwaren, hatte es Pfiffe und Buh-rufe für den Kanzler gegeben.

Kohl kritisierte am Samstagvor der Presse in Bonn äußerstscharf, daß seine Ansprache vorden nur 10 000 Menschen amRathaus von den elektronischenMedien ausführlich übertragenworden sei, eine anschließendevor 150 000 Menschen an derGedächtniskirche aber nicht.

Auf eine Journalisten-Frage,wie er Mompers Äußerungenvor dem Rathaus beurteile, griff

Kohl den Bürgermeister plötz-lich scharf an, ohne genau zusagen, welche Passage er meine:„Herr Momper spricht eine an-dere Sprache als ich." Dieserhatte unter anderem vom „Volkder DDR" gesprochen. Zu demPfeifkonzert, das auch die vonihm angestimmte Nationalhym-ne überdeckte, sagte Kohl, erhabe sich „geschämt", daß sol-che „Pöbelszenen" möglich ge-wesen seien.

Momper reagierte am Sams-tag abend mit scharfen Angrif-fen und Enttäuschung auf dieÄußerungen des Kanzlers. Die-ser „lebt und denkt offenbar anden Gefühlen der Menschen indieser historischen Stunde vor-bei". Momper betonte, er habebewußt vom „Volk der DDR" ge-sprochen. Der Kanzler habenicht begriffen, daß die Men-schen in der DDR nicht die Wie-dervereinigung interessiere.

Führende CDU-Politiker wieCDU-Generalsekretär Rühewiesen am Sonntag die KritikMompers und anderer Sozialde-mokraten an Kohl zurück. Dernordrhein-westfälische CDU-Chef, BundesarbeitsministerNorbert Blüm (CDU), erklärte,die SPD solle aufhören, den Er-folg der Menschen in der DDRparteipolitisch für sich zu be-schlagnahmen.

Bonn/Berlin (AP/dpa). DieEntwicklung in der DDR undwirtschaftliche Hilfsmaßnah-men für die Menschen dort stan-den am Wochenende bei denBonner Parteien im Blickpunkt.CSU-Chef Waigel bekräftigte,erst wenn die aus Bonn ange-mahnten politischen und wirt-schaftlichen Reformen verwirk-licht seien, könne Unterstüt-zung als Hilfe zur Selbsthilfewirksam werden.

Zur Finanzierung der Reise-devisen für Besucher aus derDDR erklärte der Finanzmini-ster, es sei der Ost-Berliner Füh-rung zuzumuten, einen Teil ih-res Devisenaufkommens • zurVerfügung zu stellen. Das je-weils einmal im Jahr gezahlteBegrüßungsgeld solle auch un-ter den Bedingungen des DerWestberliner Regierende Bür-germeister Momper (SPD) wie-derholte seinen Vorschlag, dasBegrüßungsgeld entfallen zu las-sen und es stattdessen derStaatsbank in der DDR zum Um-tausch zu überweisen.

Ein nationales Programm zurUnterstützung von Reformenforderten die SPD-Abgeordne-ten Ingrid Matthäus-Maier undWolfgang Roth, um den Bürgernin der DDR das Bleiben zu er-leichtern. Bundesdeutsche Un-ternehmen sollten mit westli-

chen Know-how und umfassen-den Investitionen helfen.

Auch der baden-württember-gische Ministerpräsident Späth(CDU) setzte sich für eine Wirt-schaftshilfe ein. Die Grenzöff-nung habe auch abrüstungspoli-tische Bedeutung.

Um die Forderung von SPD-Parteichef Vogel nach einem„runden Tisch" in der Bundesre-publik mit Regierung, Hilfsver-bänden und Tarifpartnern kames am Wochenende zum Streit.Kohl lehnte den Vorschlag mitHinweis darauf ab, daß in Polenmit dem „runden Tisch" die Ab-lösung einer Diktatur begonnenhabe. Die Zusammenarbeit mitden Ländern und Verbändenfunktioniere. SPD-Bundesge-schäftsführerin Anke Fuchssprach daraufhin von kleinli-chen parteitaktischen Motiven.

Bundeskanzler Kohl wird sichwahrscheinlich Anfang Dezem-ber außerhalb Ost-Berlins mitDDR-Staats- und ParteichefKrenz und dem dann gewähltenneuen Ministerpräsidenten Mo-drow treffen. Das vereinbarteKohl, der am Freitag seinen Po-len-Besuch unterbrochen hatte,vor Beginn einer Sondersitzungdes Kabinetts in Bonn. Kanzler-amtsminister Seiters soll zurVorbereitung am 20. Novembernach in Ost-Berlin reisen.

Statt 17. Juni / Gedenktag in Ost und West Dresden / Verfahren gegen Offiziere geplant

Vogel: 9. November künftig feiern DDR läßt Demonstranten freiBonn (dpa). Der SPD-Vorsit-

zende Vogel hat den 17. Juni alsnationalen Gedenktag in Fragegestellt und stattdessen den 9.November als gemeinsamenFeiertag für beide deutscheStaaten ins Gespräch gebracht.Um den Sinn des „Tages derdeutschen Einheit" habe esschon immer Diskussionen ge-geben, sagte Vogel am Sonntag

in einem Interview. Nun könnedarüber nachgedacht werden,ob nicht der 9. November „einehöhere Bedeutung" habe. Wennes danach ginge, „was eineVolksbewegung erreicht hat",sei es naheliegend, anstatt dererfolglosen Arbeiterunruhenvom 17. Juni 1953 die Öffnungder innerdeutschen Grenzen am9. November 1989 zu feiern.

Berlin (AP). Die DDR läßt allein Dresden Inhaftierten frei, diedort bei der Durchfahrt von Zü-gen mit DDR-Flüchtlingen ausder Bonner Botschaft in Prag anProtesten und Ausschreitungenbeteiligt waren.

Die DDR-Nachrichtenagentur.ADN meldete gestern das gelteauch für die Teilnehmer späte-rer Demonstrationen in Dres-

den. Gegen Sicherheitskräfte,die ihre Befugnisse überschrit-ten hatten, werden dem Berichtzufolge Verfahren eingeleitet.Darunter befinden sich lautADN auch Offiziere. Der Direk-tor des Bezirksgerichts, Sieg-fried Stranovsky, habe mitge-teilt, auch bereits ergangene Ur-teile gegen drei junge Männerwürden angefochten.

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Page 17: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 265 Stadt Kassel Montag, 13. November 1989

KOMMENTAR:

Glatt versagtM a n muß sie gesehen haben: DieKinder, wie sie sich an den Schau-fenstern die Nasen plattdrückten.Die jungen Leute, die den Hunder-ter übermütig küßten, ehe sie ihnsorgfältig im DDR-Paß verstauten.Die Älteren, die den ungewohntenSchein gründlich betrachteten, be-vor sie ihn im Gedränge an derKasse aus der Hand gaben.

Wie am Schnürchen funktionier-te das Auszahlen des Begrüßungs-geldes gestern in Kassel. Greifbarnahe war für die Besucher die Erfül-lung ihrer Wünsche. Aber sie stan-den vor verschlossenen Türen.

In Duderstadt, in Eschwege, inWitzenhausen, in Bebra - überallwurde kurzfristig Personal mobili-siert, um den DDR-Bürgern diesefast kindliche Freude zu gönnen:Einmal kaufen, was das Herz be-gehrt und die übervollen Lädenhergeben. Einmal leichtsinnig seindürfen mit diesem unverhofftenGeschenk von hundert Mark West.

Die meisten Einzelhändler im„Oberzentrum" Kassel waren dieletzten beiden Tage offenbar blindund taub. Sie hatten am Samstagabend nicht Phantasie genug, we-nige Stunden weiterzudenken. Ent-gangen ist ihnen die Chance ihresLebens: Geld, das der Staat ver-schenkt, direkt in ihre Kassen zuleiten. Aber viel schlimmer ist dieEnttäuschung, die sie den Besu-chern bereitet haben. Sie habenglatt versagt, geschäftlich wiemenschlich.

Sylvia Griffin

Kurioses am Rande

Feuerwache alsTrabbiwerkstattLJie Kasseler Berufsfeuer-wehr entwickelte sich amWochenende zum Trabbi-Experten. Zahlreichen Auto-fahrern aus der DDR, dieProbleme mit ihren Karossenhatten, halfen die Feuer-wehrmänner fachmännischaus der Patsche. In einemFall wurde gar eine gebro-chene Antriebswelle wiederflott gemacht. , •

Zitate \

„Sonst muß ich für 100Mark tausend Formulareausfüllen, heute kriege ich50 000 Mark einfach so indie Hand gedrückt." (EinMitarbeiter des Rathauses,der Begrüßungsgeld an DDR-Bürger auszahlte).

Nachdem Klaus Angermann,der Leiter der Koordinations-stelle im Kasseler Rathaus,vor der Presse mitgeteilt hat-te, daß die Besucher aus derDDR kostenlos die Busse undBahnen der KVG benutzendürfen, kam es zu folgendemGespräch zwischen WolframBremeier, dem KVG-Vor-standsvorsitzenden, undMagistratssprecher Hans Jo-chem Weikert. Bremeier:„Wer hat denn das entschie-den?" - Weikert: „Der Vor-standsvorsitzende der KVG,Wolfram Bremeier." - Bre-meier: „Ach so."

Bilanz des deutsch-deutschen Volksfests in Kassel

Über 20 000 waren daVon B u r g h a r d Ho l z , A r m i n H i n g s t ( T e x t ) und J o c h e n H e r z o g ( F o t o s )

Kassel. Deutsch-deutschesVolksfest in der Kasseler Innen-stadt: Über 20 000 Menschenaus der DDR nutzten am Wo-chenende die Öffnung derStaatsgrenze zu einem sponta-nen Besuch in Nordhessen undverwandelten die City an beidenTagen in ein riesiges fröhlichesMenschenmeer.

Reibungslose Auszahlung

Die Mitarbeiter der Rathäuserin Kassel und den umgrenzen-den Städten und Gemeindensorgten trotz des Massenan-drangs für eine reibungsloseAuszahlung des Besuchergel-des; die Hilfsorganisationen lei-steten Tausende von freiwilli-gen Arbeitsstunden, um die Gä-ste zu verpflegen und unterzu-bringen; die Bürger in Kasselund Umgebung empfingen dieBesucher aus dem Osten mitgroßer Herzlichkeit. Allein derEinzelhandel träufelte einendicken Wermutstropfen in denFreudenbecher. „Wir sind zwei-mal überrascht, aber nicht über-rollt worden", zog ein übermü-deter Klaus Angermann, der

Leiter der eigens eingerichtetenKoordinationsstelle, gesternabend überaus zufrieden Bilanz.

Oberbürgermeister Hans Ei-chel sprach von einer „General-probe", auf die sich die Stadtrechtzeitig eingerichtet und diesie deshalb größtenteils mit Bra-vour bestanden habe. Das ersteLob richtete der OB an die Be-völkerung, die die Gäste „sofreundlich aufgenommen hat,wie man es sich nur vorstellenkann". Den Besuchern aus derDDR bescheinigte er, mit „gro-ßem Verständnis und Disziplinaufgetreten" zu sein. Eine Lo-beshymmne sang Eichel auchauf die Hilfsorganisationen -Johanniter Unfallhilfe, Arbei-ter-Samariter-Bund, DeutschesRotes Kreuz, Technisches Hilfs-werk, Freiwillige Feuerwehren- sowie auf die Mitarbeiter imRathaus, im Landratsamt undbei der Berufsfeuerwehr.

Allein beim Handel habe es„nicht geklappt", zeigte sich derOberbürgermeister enttäuschtüber die überwiegend geschlos-senen Geschäfte in der Innen-stadt. Obwohl sich Mitarbeiterdes Rathauses laut Magistrats-sprecher Hans-Jochem Weikert

SPONTANE HILFSBEREITSSCHAFT in Kassel-Bettenhausen: Mitglieder des Polizei-Funk-Clubs Kassel sowie private Funkergruppen fin-gen die Besucher aus der DDR an der Stadtgrenzeab und organisierten Autokonvois, die dann vonder Polizei in die Innenstadt und die Randgemein-den geleitet wurden. Hier wie auch anderswobegrüßten zahlreiche Anwohner die Gäste mitKuchen, belegten Broten, Kaffee und Tee. Auch

am Hallenbad Ost wurden die Besucher aus derDDR am Samstag von einem privaten Begrü-ßungskomitee in Empfang genommen und bewir-tet. Die HNA versorgte die DDR-Bürger gesternmorgen mit einer Ausgabe der „Sonntagszeit",der sie wichtige Hinweise für ihren Aufenthalt inKassel und in der Region entnehmen konnten,und lud sie zu einem kostenlosen Mittagessen insKasino des Presse + Druckzentrums ein.

gestern morgen „die Fingerwund gewählt" hatten, um dieEinzelhändler aus ihrem „Tief-schlaf" zu wecken und sie zumÖffnen zu überreden, ließen sichnur einige wenige von der lukra-tiven Einnahmequelle locken.

Nicht nur im Rathaus und -laut Eichel - bei der Industrie-und Handelskammer stieß dieTatenlosigkeit des Handels aufVerwunderung, vor allem dieKasseler Bevölkerung reagiertestocksauer, weil sich/die Gästedadurch viele Wünsche nichterfüllen konnten. Umso größerwar Eichels Dank an diejenigen,die gestern ihre Läden geöffnetoder spontane Verkaufsständeorganisiert hatten.

„Zu spät erfahren,,

Dr. Karl Schumann, der Vor-sitzende des Einzelhandelsver-band Hessen-Nord, wies ge-stern abend die Vorwürfe ent-schieden zurück und betonte,der Einzelhandel habe zu spätvon der Aufhebung der Laden-schlußzeiten erfahren und seinicht mehr in der Lage gewesen,darauf zu reagieren.

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BANANEN und anderes Obst sowie Kaffee und Toilettenartikelstanden ganz oben auf der Einkaufsliste der Besucher aus der DDR.Während ein Händler gestern das Kilo Bananen für 1,49 Markanbot, mußten die Gäste anderswo fast das Doppelte bezahlen.Einige Händler mußten sich sogar den Vorwurf gefallen lassen, diewenig zahlungskräftigen DDR-Bürgern zu übervorteilen.

Gutes Zusammenspiel der HelferUmso besser die Reaktion imKasseler Rathaus, im Landrats-amt, und in den Gemeinden desLandkreises. Überall meldetensich freiwillige Helfer, um dieAuszahlung des Besuchergeldeszu beschleunigen.

Ihren Höhepunkt erreichtedie Völkerswanderung gesterngegen 6 Uhr, als sich etwa 6000Besucher aus der DDR vor demKasseler Rathaus einreihtenund eine mehrere hundert Me-ter lange Schlange bildeten. Ins-gesamt wurden im Rathaus ge-stern 8000 Gäste begrüßt, amSamstag waren es 6000 gewe-sen. Im Landratsamt holten sichan beiden Tagen knapp 2000

den Haufen geworfen. In einemFall transportierte die Polizei150 000 Mark sogar in einer Pla-stiktüte.

Hochbetrieb herrschte an bei-den Tagen auch am Info-Bus amHauptbahnhof, der vielen Besu-chern als erste Anlauf- und inden Nächten als Auszahlungs-stelle diente. Nur wenige Meterentfernt, im 900 Plätze bieten-den Zivilschutzbunker amHauptbahnhof, übernachteten„in Wechselschicht" über 3000Besucher. Zudem teilten dieHilfsorganisationen dort rund10 000 kalte Mahlzeiten aus.Zusätzlich zu den Plätzen inBunkern standen Betten in der

Feuerwehr vermittelt BettenKassel (b). Da weiterhin mit

Besucherandrang aus der DDRgerechnet wird, bleibt derInfo-Bus der Berufsfeuerwehrvorerst Anlaufstelle amHauptbahnhof. Unter den Ruf-nummern 7 16 70 und 7 88 40

nimmt die Feuerwehr Über-nachtungsangebote von Pri-vatpersonen entgegen undvermittelt sie. Die Auszah-lungsstelle für das Besucher-geld im Lesezimmer des Rat-hauses öffnet heute .um 7 Uhr.

DDR-Bürger das Besuchergeldab, in den Altkreisgemeindenwurden 4700 Anträge bearbei-tet.

Die Schwerpunkte lagen zumeinen - zwangsläufig - in Kau-fungen (2500 Besucher) sowie inLohfelden und Niestetal, wohindie Polizei die Besucher im Kon-voi führte, um das Kasseler Rat-haus zu entlasten. Um den An-drang zu bewältigen und dasBargeld von insgesamt zwei Mil-lionen Mark zu organisieren,wurden teilweise sämtliche bü-rokratischen Formalitäten über

Fritz-Erler-Kaserne in Rothwe-sten zur Verfügung. Darüberhinaus vermittelte die Berufs-feuerwehr 270 Schlafplätze, dieKasseler Privatpersonen ange-boten hatten.

Mit Einbruch der Dunkelheitwurden die Trabbis, Wartburgsund Ladas, die zwei Tage dasBild auf fast allen Parkplätzender Stadt geprägt hatten, gestar-tet und die Rückreisewelle setz-te sich in Bewegung. Spätestensam nächsten Wochenende wol-len die meisten wieder zu Be-such kommen.

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Page 18: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

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KASSELER ZEITUNG

Nr. 266 • Dienstag, 14.11.1989

NICHT PARTEIGEBUNDEN

Ruf (05 61) 203-0 • Anzeigen 203-3

ADN-Mitteilung

Weizsäckerbald in DDR?

Berlin (AP). Bundespräsidentvon Weizsäcker möchte in ab-sehbarer Zeit die DDR besu-chen, nach Ostberliner Anga-ben möglicherweise noch vorWeihnachten. Dieser Terminwurde vom Präsidialamt in Bonnjedoch nicht bestätigt.

Wie die DDR-Nachrichten-agentur ADN mitteilte, habevon Weizsäcker seinen Wunschbei einem überraschenden Be-such am Potsdamer Platz ge-stern morgen gegenüber einemDDR-Grenzer geäußert.

Nationalelf

Wirbel umDorfner

Wirbel um Fuß-ball-NationalspielerHans Dorfner (Foto)zwei Tage vor demWM-Qualifika-tionsspiel gegenWales. Der Münch-ner hatte aus demTrainingslager sei-nen Vereinstrainer11 ynckes öffentlich

harf kritisiert.S he Sport

Aids-Inßzierung

Lebengefährdet

Zum erstenmalhat der Bundesge-richtshof die Verur-teilung eines Aids-infizierten, der ei-nen Partner durchungeschütztenSexualverkehr ang-steckt hat, wegengefährlicher Kör-perverletzung be-stätigt. Siehe „Blickin die Zeit".

DDR-Probleme

Was zutun ist

Die deutsch-deut-sche Euphorie vomletzten Wochenen-de weicht nüchter-ner Betrachtung derbleibenden Proble-me. Woran dieDDR-Wirtschaftkrankt und was so-fort geschehen muß,steht auf einer Poli-tik-Sonderseite.Siehe Kommentar.

Janssen 60

GenialerZeichner

Der HamburgerGrafiker und Zeich-ner Horst Janssen(Foto), eine der gro-ßen Begabungen un-serer Zeit, wird heu-te 60 Jahre alt. Inden letzten Jahrenist Janssen auchhäufiger mit literari-schen Texten an dieÖffentlichkeit getre-ten. Siehe Kultur

DDR / Nach Wahl zum Regierungschef

Modrow strebtKoalition an

Berlin (dpa/AP). Die DDR-Volkskammer hat gesternabend den Dresdner Reformpolitiker Hans Modrow (61) zumneuen Regierungschef gewählt. Ohne Aussprache stimmtendie rund 500 Parlamentarier bei einer Gegenstimme perHandzeichen für Modrow.

nach seinen

Kurz nach seiner Wahl er-klärte der 61jährige im DDR-Fernsehen, er habe ein schweresAmt übernommen, „das sehrharte Arbeit" bedeute. Die Kraftdafür finde er in der Bescheiden-heit, sagte der SED-Politiker.Modrow strebtWorten eine„echte Koali-tionsregierung"an. Alle Partei-;en müßten nun,„kompetenteLeute" dafür^vorschlagen.Erste Gesprä-iehe darüber!sollen bereits!heute stattfin-|den. Für den!17. Novemberkündigte Modrow seine Regie-rungserklärung und die Kabi-nettsliste an.

Bei der ersten geheimen Ab-stimmung in der DDR-Volks-kammer war es am Morgen zueiner Überraschung gekommen:In der ersten Stichwahl ihrerGeschichte wählte die Volks-kammer den Vorsitzenden derDDR-Bauernpartei, Günter Ma-leuda, zum neuen Parlaments-präsidenten. Der allgemein alsFavorit gehandelte Liberal-De-mokrat Manfred Gerlach erhielt230 Stimmen, 16 weniger alsMaleuda. •

Der 58jährige, der die Nach-

Demonstrationen

folge des SED-Politikers Sinder-mann antrat, sprach sich fürgroße Bürgerriähe aus, um dasverlorene Vertrauen zurückzu-gewinnen. Jetzt sollte nicht nur„in den Rückspiegel" geschaut,sondern beispielsweise ein neu-es Wahlgesetz ausgearbeitetwerden.

Maleuda: „Ich verweise hierauf die oberflächliche Arbeit mitdem Reisegesetz. So etwas darfuns in der Vorbereitung zur Ge-setzgebung nicht wieder passie-ren." Eine Zusammenarbeit mit-den Bürgerbewegungen wie demNeuen Forum könne er sichnicht nur vorstellen, „ich glau-be, dazu sind wir verpflichtet".

Ein Porträt des neuen Volkskam-merpräsidenten Male,uda findenSie auf „Themen des Tages".

Die gestrige ganztägigeVolkskammer-Debatte wurdevon Abgeordneten als eine„Lernstunde der Demokratie"bezeichnet. Dabei wurde auchKritik an den Politikern der ab-getretenen Führung geübt.

Gestern abend beschloß dasZentralkomitee der SED erwar-tungsgemäß einen außerordent-lichen Parteitag. Er soll vom 15.bis 17. Dezember in Ost-Berlinstattfinden.dpa cg Siehe „Zum Tage" undBericht nächste Seite

Besucher aus DDR

400 000 fordern HBV für früherenfreie Wahlen langen Samstag

Berlin (dpa). Vier Tage nachEinführung der neuen Reisere-gelüng haben gestern abendüber 400 000 Bürger in der DDRwieder für Reformen demon-striert. Gefordert wurden freieWahlen und eine „dauerhafte,gesetzlich verbriefte Reisefrei-heit". In Sprechchören und aufTransparenten wurden weiterewirksame Reformen verlangt.So hieß es zum Beispiel in Leip-zig: „Die Mauer hat ein Loch,aber weg muß sie doch", „FreieWahlen, wahre Zahlen" und„Egon, rück' das Westgeldraus".

Demonstrationen gab es außerin Leipzig unter anderem auchin Dresden, Cottbus, Halle undNeubrandenburg.

Düsseldorf (dpa). Die Ge-werkschaft Handel, Banken undVersicherungen (HBV) hat an-gesichts des starken Besucher-andrangs aus der DDR vorge-schlagen, einen der vier langenEinkaufssamstage in der Vor-weihnachtszeit auf den kom-menden Samstag vorzuziehen.„Vor dem Hintergrund der Öff-nung der Grenze sollten wir fle-xibel reagieren und allen Besu-chern Berlins sowie der grenz-nahen Gebiete am kommendenSamstag Einkaufsmöglichkeitenbis 18 Uhr bieten", erklärte derzweite Vorsitzende der Ge-werkschaft HBV, Steinborn. AlsAusgleich dafür sollte auf denlangen Samstag am 23. Dezem-ber verzichtet werden.

• sra XiX!*UNERWARTETE NIEDERLAGE für Manfred Gerlach (Mitte): Die DDR-Volkskammer wählte gesternnicht den Chef der Liberaldemokraten zum neuen Parlamentspräsidenten, sondern den Vorsitzen-den der Bauernpartei, Günter Maleuda (links). Die SED von Egon Krenz (rechts) hatte keinenKandidaten aufgestellt. (dpa-Funkbild)

DDR-Besucher / 5,2 Millionen Visa ausgestellt

Wieder kamen über 100 000Berlin/Hamburg (dpa/AP).

Auch am ersten Arbeitstag nachdem deutsch-deutschen Wie-dersehensfest vom Wochenen-de nutzten gestern wieder über100 000 DDR-Bürger die offenenGrenzen für einen Kurzbesuchim Westen. Einige Städte wieLübeck waren wieder mit DDR-Autos vollgestopft. West-Berlinatmete nach dem Massenan-sturm auf, der Besucherstromging deutlich zurück.

Seit Öffnung der DDR-Gren-zen am Donnerstag abend sindnach inoffiziellen Schätzungenbislang weit über drei MillionenDDR-Bürger in die Bundesrepu-blik und nach West-Berlin ge-kommen - und fast alle wiederzurückgekehrt. Die DDR hat be-reits über 5,2 Millionen Visa fürPrivatreisen in den Westen aus-gestellt, 10 754 Menschen wur-

de die Übersiedlung genehmigt.Gleichzeitig öffnete die DDR

am Montag neue Grenzübergän-ge, zwei in Berlin und jeweilseinen in Hessen (für Fußgängerbei Altenburschla im Werra-Meißner-Kreis) und in Bayern.Zwei weitere Mauerdurchbrü-che sind für heute angekündigt.Westberliner können zudemvon sofort an mit Fahrrädernund Motorrädern nach Ost-Ber-lin und die DDR fahren, teilteSenatssprecher Kolhoff mit.

Sperrzone aufgehoben

Mit sofortiger Wirkung hobdie DDR außerdem die seit 37Jahren bestehende Sperrzoneim Grenzgebiet zur Bundesre-publik auf - eine weitere „Maß-nahme im Interesse weiterer Er-

leichterungen für die DDR-Bür-ger", wie es offiziell in Ost-Ber-lin hieß. Damit können DDR-Bürger jetzt wieder ohne Kon-trollen und Beschränkungen bisunmittelbar zur Grenze gehen.Auch wurde der Schießbefehlnun auch offiziell außer Kraftgesetzt.

Das Innenministerium in Ost-Berlin teilte gestern zudem mit,für Angehörige und Zivilbe-schäftigte der DDR-Volkspoli-zei sowie der anderen Organedes Ministeriums seien die libe-ralisierten Regelungen für Pri-vatreisen ebenfalls gültig.

Keine Chance dagegen fürWolf Biermann: der 1976 ausge-bürgerte Liedermacher hat er-neut keine Einreisegenehmi-gung erhalten, teilte der Ostber-liner Pfarrer Reiner Eppelmannmit.

Immer weniger wollen im Westen bleibenBonn/Hamburg (dpa/AP). Im

Strom der Millionen DDR-Besu-cher sind nach wie vor Tausen-de von Menschen, die in derBundesrepublik bleiben wollen.Allerdings geht ihre Zahl zu-rück. Von Sonntag bis gesternfrüh kamen deutlich wenigerDDR-Übersiedler in die Bundes-republik als an den Vortagen.Von den knapp 416 000 DDR-Bürgern, die über die offeneGrenze in die Bundesrepublikeinreisten, wollten nach Anga-ben des Bundesinnenministe-riums 3456 in der Bundesrepu-blik bleiben. Am Vortag hattensich von etwa 280 000 Besu-

chern aus ..der DDR knapp11 500 als Übersiedler gemel-det. Nicht enthalten ist in denZahlen Berlin, wo die Situationunübersichtlich war. Unklar istauch, wieviel Übersiedler in dieDDR zurückkehren wollen. DasDeutsche Rote Kreuz stellt sichauf eine „beträchtige Zahl" ein.

Mit der Bereitstellung von10 000 heuen Unterkünften fürDDR-Übersiedler haben die So-zialversicherungsträger erst-mals den Plan von Arbeitsmini-ster Blüm unterstützt, Neuan-kommenden rasch eine vorüber-gehende Bleibe in Kur- und Er-holungsheimen zu verschaffen.

Die Ausreisewelle hat auchdie Zentrale Erfassungsstelle inSalzgitter erfaßt. „Wir verzeich-nen ein ungeheuer dramatischesAnsteigen der gemeldeten Ge-waltakte aus der DDR, weil unsdurch die Übersiedler mehr In-formationen zur Verfügung ste-hen", erklärte gestern ein Spre-cher der Erfassungsstelle. Erstellte bei weiterer Entwicklungin der DDR die Existenz seinerBehörde in Frage: „Wenn dieAmnestie in der DDR greift unddas politische Strafrecht weitge-hend wegfällt, dann entfällt dergrößte Teil dessen, was wir zuregistrieren haben."

Zum Tage

Im GaloppDaas sozialistische System derDDR ist von galoppierenderSchwindsucht befallen. Kein Tagvergeht, an dem nicht ein Götzestürzt und ein Dominostein fällt.Was eben noch Antwort war, wirdbereits wieder infragegestellt.

Dabei sind Überraschungenschon die Regel. Präsident derVolkskammer wurde ein bisher fastUnbekannter. Die erste geheimeAbstimmung wirkte sich aus. Dochdie eigentliche Situation ist, daßdie SED freiwillig die Führungsposi-tion räumte, auf der Egon Krenznoch besteht. Sie trat zur Wahl garnicht erst an.

Das strahlt aus. Aus den Reihender lange gefügsamen Blockpar-teien ertönt der Ruf, die Nummer 1in Staat und Verfassung zur Dispo-sition zu stellen. Das zu Ende ge-dacht, bedeutet den freien Wett-bewerb und damit die Zulassungunabhängiger Parteien. DiesenSauerstoff will dem Staat der insolcher Therapie bewanderte Man-fred von Ardenne zuführen. DaßMarx nur zu Murks führt, weckt sei-ne Forderung nach einer sozialisti-schen Marktwirtschaft.

Statt Welten trennen demnach,in der Vision nur noch, Winkel undNischen die DDR von der Bundes-republik. Die Annäherung erfolgtrasant. Daß ein Reformpolitikervom Schlage des unverdächtigenHans Modrow Ministerpräsidentwerden soll, galt vor kurzem nochals Verheißung. Inzwischen sindauch Träume und Wünsche refor-miert. Als Exponent der SED haftetseinem Ruf auch deren Ruch an.Seine Zeit der Bewährung wirdkurz sein. Alfred Brugger

,Kein Gedanke an Abriß'

Modrow: Mauerbleibt vorerst

Hamburg (dpa). Die DDR plantoffenbar nicht den Abriß derBerliner Mauer. „Im Momenthaben wir daran überhaupt kei-nen Gedanken", erklärte DDR-Regierungschef Modrow in ei-nem Interview der „Bild"-Zei-tung. Berlins Regierender Bür-germeister Momper stehe in sei-nem Teil der Stadt doch in einer„gleichen Furcht. Der kommtökonomisch auch nicht ..zu-recht", meinte Modrow. Übereine Öffnung des BrandenburgerTores werde dagegen dem-nächst mit der Bundesregierungzu sprechen sein.

Für die DDR stelle sich nocheine andere Frage: „In unseremStaat gibt es nur geringe Krimi-nalität, kaum Aids, Rauschgiftist so gut wie unbekannt." Wenneine offene Grenze all dies „her-überschleudert, dann habe ichals Ministerpräsident für meinePolitik auch keine Chance".

Nach Einschätzung BjörnEngholms geht die SED „konse-quent den Weg zu freien Wah-len". Nach einem Gespräch mitModrow in der Nacht zum Mon-tag erklärte • der Kieler Regie-rungschef, daß in Ost-Berlin sei-er Ansicht nach erwogen werde,den auf das Frühjahr 1991 fest-gelegten Wahltermin in daskommende Jahr vorzuverlegen.

Die endgültigen QuotenLotto: Gewinnklasse I 1 215 701,20DM; II 59788,50 DM; III 9589,20DM; IV 143,20 DM; V 10,30 DM.Toto:Auswahlwette: I. 1 278 843,70 DM;II. 57 370,90 DM; III. 1517,70 DM;IV. 42,10 DM; V. 4,60 DM. - Ergeb-niswette: I. 5302,80 DM; II. 181,60DM; III. 17,90 DM.Rennquintett:Rennen A: Gewinnklasse I 870,50DM; II 95,10 DM.Rennen B: Gewinnklasse 147,70 DM;II 16,30 DM.Kombinationsgewinn: unbesetzt,Jackpot 84 803,40 DM.

(Ohne Gewähr)

Page 19: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 266 Politik Dienstag, 14. November 1989

Namen undNachrichten

Engholm mit Momper-PaßAuf unbürokratische Weise ge-

langte derschleswig-hol-steinische Mi-nisterpräsidentEngholm (Foto)am Wochenen-de beim Grenz-übergang

i \ •%£*%* CheckpointI ' J ^ Charlie nachwk ***- • H Oftberlin. Da erwk « r a n s e i n e n P a ß ver~H l |L w i Sassen hatte,

half, ihm eineNotiz seines ParteigenossenWalter Momper. Auf einenFlugplan schrieb der RegierendeBürgermeister Berlins: „BitteMinisterpräsident Björn Eng-holm, der seinen Paß vergessenhat, einen kurzen Besuch nachBerlin (Ost) ermöglichen".

Neubauer hört aufNach einjähriger Amtszeit ver-zichtet derBundesvorsit-zende der FDP-Nachwuchsor-ganisation Jun-ge Liberale (Ju-lis), GeorgNeubauer, aufeine weitereKandidatur.Als Grund fürseinen Verzichtgab der 31 jähri-ge beruflichePrioritäten an. In den Reihen derJulis waren Neubauer mangeln-de Aktivitäten vorgeworfenworden.

Zahnarzt als DDR-SpionGeneralbundesanwalt KurtRebmann hat gegen einen Zahn-arzt aus der DDR Anklage we-gen Spionageverdachts erho-ben. Der Zahnarzt soll demDDR-Ministerium für Staatssi-cherheit (Stasi) nach mehrerenBesuchen der Bundesrepubliküber das Kontrollverfahren ander Grenze berichtet und ver-sucht haben, alles über eine Per-son herauszufinden, von der derStasi angenommen habe, daß siebeim Bundesnachrichtendienstarbeite. Der Zahnarzt befindetsich seit dem 16. Juli in Unter-suchungshaft.

200 000 für AbtreibungMit Massenkundgebungen ha-ben am Sonntag in 120 Städtender USA mehr als 200 000 Men-schen für das Recht von Frauenauf Abtreibung demonstriert.Allein in Washington versam-melten sich nach Angaben der„Los Angeles Time" 150 000Menschen, darunter zahlreichePolitiker und Kandidaten derGouverneurs- und Kongreß-wahlen 1990. Organisiert hattedie Kundgebungen die „ProChoice"-Bewegung, nachdemder Oberste Gerichtshof derUSA den Bundesstaaten dieMöglichkeit eingeräumt hatte,das liberale Abtreibungsgesetzeinzuschränken.

Demo in Sofia geplantUm Bulgariens neuen Parteichef

.Petar Mlade-Jnow (Bild) zurIdemokrati-1 sehen Reform-I politik zu er-" muntern, haben,die sechs Op-äpositionsgrup-jpen des Landes[für Samstag inI Sofia zu einerI Großdemon-3 stration aufge-rufen. Dies teil-

te Professor Peter.Beron von derUmweltgruppe „Öko-Glasnost"mit. Die Ablösung von TodorSchiwkow, dem früheren Partei-chef, „kann nur der Anfangsein", meinte Beron. Es seien„viel radikalere Reformen nö-tig".

Funktionäre müssen ranHöhere kommunistische Partei-funktionäre Chinas müssenkünftig 15 Tage jährlich körper-liche Arbeit leisten. Das gesterndie Parteizeitung Renmin Ribao.Die Kader sollten auf diese Wei-se vor Ort „von den Arbeiternan der Basis lernen und ein bes-seres Verständnis für deren Pro-bleme entwickeln." Die Arbeits-leistungen der Funktionäre sol-len jährlich bewertet und die Be-urteilung auch veröffentlichtwerden.

Deutschlandpolitik / Zusicherung an EG und Nato In Zigaretten

Genscher: Kein Bonner Alleingang |G "»•««««" ** Teergehalt

Brüssel (dpa/AP). Bundesau-ßenminister Genscher hat denwestlichen Verbündeten zugesi-chert, daß die Bundesrepublikangesichts der Ereignisse in derDDR auf keinen Fall einen natio-nalen Alleingang unternehmenwerde. Die Bundesregierungwerde die Integrationspolitik inder Europäischen Gemeinschaftund in der Nato konsequentfortsetzen, erklärte Genschergestern in Brüssel während derMinistertagung der Westeuro-päischen Union.

Genscher bezeichnete es als„absolut verfrüht", schon jetztim Kreis der ehemaligen Sieger-mächte USA, Frankreich, Groß-britanniens und Sowjetunionüber die weitere Entwicklungder Ereignisse zu beraten.

Der SPD-Politiker Bahrsprach sich für eine Vier-Mäch-te-Konferenz unter Beteiligungder beiden deutschen Staatenaus. Es sei jetzt an der Zeit, „daß

wir von einigen Überresten derBesatzüngszeit oder der Besat-zungsmentalität selbst frei wer-den und diese Zöpfe abschnei-den". Bahr: „Dieser ganzeQuatsch mit diesen alten Besat-zungsrechten muß jetzt zu Endesein."

Dagegen meinte der Partei-ratsvorsitzende Gansei, jetzt dieSiegermächte für weiterreichen-de Lösungen deutsch-deutscherProbleme verantwortlich ma-chen zu wollen, sei ein „Mangelinnerer Souveränität". Werheute noch von „Besatzungs-mächten" rede, leiste Ressenti-ments Vorschub.

Die SPD erneuerte unterdes-sen ihr Angebot für ein „Höchst-maß an Gemeinsamkeit" bei derBewältigung der anstehendenAufgaben. Bundesgeschäftsfüh-rerin Fuchs rückte dabei aller-dings von dem Begriff des „run-den Tisches" ab. Die SPD wolleaber solche Koordinationsstel-

len nun in den von ihr regiertenBundesländern einrichten. DerWestberliner Senat warf derBundesregierung „Untätigkeit"in der Deutschlandpolitik vor.

Gegen die Idee des „rundenTisches" wandte sich auch FDP-Chef Lambsdorff. Der Begriff seidurch Polen „verbraucht". Der„runde Tisch" in der Bundesre-publik sei das Parlament.

Einladung zu EG-Gipfel

Der französische Staatspräsi-dent Mitterrand hat unterdes-sen Staats- und Regierungschefsder Europäischen Gemeinschaft(EG) für Samstag nach Paris zueinem Sondergipfel eingeladen,um über die neue politischeLage in Europa zu diskutieren.Auch der Präsident der EG-Kommission, Delors, soll an demTreffen teilnehmen.Siehe auch Kommentar

Brüssel (AP). Den Zigaretten-rauchern in der EuropäischenGemeinschaft wird der starkeTobak entzogen. Die Gesund-heitsminister der zwölf EG-Län-der haben am Montag eine Ver-ordnung verabschiedet, wonachvon Ende 1992 an nur noch Zi-garetten mit einem Höchstge-halt von 15 Milligramm Kon-densat (Teergehalt) pro Stückverkauft werden dürfen. BisEnde 1997 soll der höchstzuläs-sige Teergehalt dann auf zwölfMilligramm gesenkt werden.

Vorgeschrieben sind künftigauch mindestens zwei auf derPackung aufgedruckte Warnun-gen vor gesundheitlichen Schä-den. Unter anderem: „Rauchenverursacht Herz- und Gefäß-krankheiten". Die Minister wol-len damit bis zum Jahr 2000 dieZahl der Todesfälle durchKrebserkrankung um 15 Pro-zent drücken.

Guerilla-Offensive

350 Tote inEl Salvador

San Salvador (AP). Die salva-dorianische GuerillabewegungNationale Befreiungsfront Far-abundo Marti (FMLN) hat denNorden der Hauptstadt San Sal-vador unter ihre Kontrolle ge-bracht. Der rechtsextreme Prä-sident Cristiani verkündetewährenddessen am Sonntagabend den landesweiten Belage-rungszustand. Die Kämpfe zwi-schen den linken Rebellen undder Armee waren die schwer-sten seit Beginn des Bürger-kriegs vor zehn Jahren.

Nach amtlichen Angabenwurden mindestens 350 Men-schen getötet und Hunderteverwundet. Das Rote Kreuz teil-te mit, in vielen Gebieten sei me-dizinische Hilfe unmöglich.

Die Rebellen hatten die Offen-sive angekündigt, nachdem Ge-spräche zwischen ihnen und derRegierung kürzlich gescheitertwaren.

FDP-Politiker gegen gemeinsamen Feiertag am 9. November Polenreise / „internationales Judentum'Als positiv bewertete Bundes-

innenminister Schäuble (CDU)gestern Überlegungen für einengemeinsamen Feiertag von Bun-desrepublik und DDR am 9. No-vember. Entscheidend sei, daßan einem „Tag der Deutschen

Einheit" festgehalten werde.Gegen das Datum 9. Novem-

ber wandten sich FDP-Politiker.Dies sei ein „problematischerTag für die Deutschen", sagteGeneralsekretärin Schmalz-Ja-cobsen. Parteichef Lambsdorff

erinnerte daran, daß der 9. No-vember auch der Tag der Kapi-tulation im Ersten Weltkrieg,der Tag des Hitler-Marsches aufdie Feldherrenhalle und die so-genannte Reichskristallnachtgewesen sei.

Klein zieht umstritteneFormulierung zurück

Warschau (dpa). Äußerungenvon Regierungssprecher Klein(CSU) über das „internationaleJudentum" haben am Montag inWarschau am Rande des Polen-besuchs von BundeskanzlerKohl für Aufregung gesorgt.Klein nahm nach einem klären-den Gespräch mit dem Vorsit-zenden des Zentralrates der Ju-den in Deutschland, Heinz Ga-linski, diese Formulierung zu-rück und versicherte, er werdesie nicht mehr verwenden. Ga-linski sagte daraufhin: „Die Sa-che ist aus der Welt."

Klein hatte in Pressekonfe-renzen zur Verschiebung derKanzlervisite im ehemaligen KZAuschwitz, die ursprünglich amjüdischen Feiertag Sabbat(Samstag) geplant war und dannauf heute verlegt wurde, von„Sensibilitäten des internationa-len Judentums" gesprochen.Galinski, der von Kohl in dieoffizielle Kanzlerdelegation beider Polenreise aufgenommenworden war, erklärte dazu: „Daswar ein Begriff während der Na-zizeit, um uns Juden zu diskri-minieren und zu diffamieren.Diesen Begriff kenne ich nicht

EIN DREIEINHALBSTUNDIGES GESPRACH führten am Sonntagabend Polens Staatspräsident Jaru- unter uns Juden.". Klein versi-zelski und Bundeskanzler Kohl. Im Mittelpunkt stand die Grenzfrage. Dazu erklärte Bonns Regie- cherte anschließend, er haberungssprecher Klein, daß trotz der Rechtslage Formeln gefunden werden könnten, die der schwieri- „nicht im Traum" daran ge-gen Situation auch psychologisch gerecht würden. (dpa-Funkbild) dacht, sich des NS-Sprachge-

brauchs zu bedienen. Der heute76jährige Galinski war von1943 bis 1945 selbst Häftling imKonzentrationslager Ausch-witz, wo seine Frau und seineMutter umgebracht wurden.

Kohl wirbt um Verständnis

Bundeskanzler Kohl hat ge-stern um Verständnis für denWunsch der Deutschen nachSelbstbestimmung geworben.Bei der Verleihung der Ehren-doktorwürde an der katholi-schen Universität Lublin räumteer aber ein, es gehe nicht nur dieDeutschen an, „ob und wie sieihr Schicksal frei bestimmenund ob sie ihren Weg mit odergegen die Nachbarn gehen".Kohl forderte eine „gerechteund dauerhafte Friedensord-nung, in der auch das deutscheVolk in freier Selbstbestimmungseine Einheit wiedererlangt".Kohl erhielt die Auszeichnungfür seinen Einsatz zur Aussöh-nung zwischen den Völkern.

Am Sonntag abend hatte Kohlin einem dreieinhalbstündigenGespräch mit dem polnischenStaatspräsidenten Jaruzelski„ungewöhnlich offen" über dieLage in der DDR gesprochen.Siehe „Themen des Tages"

Aussprache in DDR-Volkskammer / Stoph übt Selbstkritik

Abrechnung mit alten FehlernAussiedlerheime

Berlin (AP). In der OstberlinerVolkskammer hat am Montageine ungewöhnlich offene Aus-sprache über die innenpoliti-sche Krise in der DDR stattge-funden. Redner mehrerer Frak-tionen rechneten in schonungs-loser Offenheit mit den Fehlernder vergangenen Jahrzehnte ab.

Der frühere DDR-Minister-präsident Stoph (SED) übte offenSelbstkritik, griff aber auch diePolitik des früheren Staats- undParteichefs Horiecker an. Dervon ihm geführte Ministerrat, soStoph, sei in der Vergangenheitseinen „verfassungsmäßigenPflichten nicht voll nachgekom-men".

Stoph erklärte, die Regierunghabe „verabsäumt", .der höch-sten Volksvertretung „Rechen-schaft über ihre Arbeit abzule-;en und sie auf die neu entstan-lenen Entwicklungsprobleme"

im Land aufmerksam zu ma-chen. Stoph griff neben Ho-

necker auch den inzwischen ausdem SED-Zentralkomitee aus-geschlossenen DDR-Wirt-schaftsführer Mittag an. Beidehätten eine selbstherrliche Poli-tik betrieben und einsame Ent-scheidungen getroffen.

SED-Politbüromitglied Wer-ner Jarowinsky verlangte eineStärkung des Parlaments undeine bessere Kontrolle der Re-gierung, in der künftig die vierkleineren Blockparteien nebender SED einen größeren Einflußerhalten müßten als bisher. Zu-gleich bekräftigte Jarowinskyden Willen seiner Partei zur po-litischen Wende in der DDR undsprach sich für freie Wahlen inder DDR aus.

Jarowinksy sagte, die „politi-sche Arroganz" der bisherigenStaats- und Parteiführung seischuld an den Problemen, siehabe die Regierungsarbeit ein-geschränkt und Entscheidungen

ohne die erforderliche kollekti-ve Beratung durchgesetzt. Jaro-winsky verlangte die uneinge-schränkte Verwirklichung derMenschenrechte in die DDRund die öffentliche Kontrolle al-ler staatlichen Entscheidungen.

Der bekannte Dresdner Wis-senschaftler Manfred von Ar-denne schlug die umfangreich-sten wirtschaftlichen Verände-rungen vor, die in der DDR bis-her öffentlich zur Diskussion ge-stellt worden sind. Als Vertreterdes Kulturbundes plädierte erferner für Zulassung und Entfal-tung unabhängiger Parteien undalternativer Gruppierungen aufdem Boden der Verfassung.

Notwendig sei weiter der Ab-bau unverdienter Privilegienund die Auswechslung inkom-petenter Fachleute.

Der 82jährige sprach von ei-nem „erschreckenden Wirt-schaftsgefälle" zwischen derBundesrepublik und der DDR.

Münster (AP). Das Oberver-waltungsgericht Münster hateine einstweilige Anordnunggegen den Bau von Übergangs-wohnheimen für Aussiedlerfa-milien abgelehnt. Grundstücks-•nachbarn hatten die von der Ge-meinde begonnene Errichtungvon zwei Doppelhäusern in ei-nem reinen Wohngebiet verhin-dern wollen. Die Bausubstanzentspräche jedoch den Festset-zungen des Bebauungsplanes,entschied das Gericht.

Bundestag / CSU

Zimmermann nichtmehr Direktkandidat

Landshut (dpa). Bundesver-kehrsminister Zimmermann istgestern abend bei der Nominie-rung des CSU-Direktkandida-ten zur Bundestagswahl 1990 imniederbayerischen WahlkreisLandshut gegen einen 3 4jähri-gen Bewerber unterlegen. Zim-mermann (64) hatte den Wahl-kreis seit 1957 in Bonn vertre-ten. Ihm wurde von den Dele-gierten vorgehalten, daß er inden vergangenen Jahren so sel-ten im Wahlkreis war.

HESSISCHE/NIEDERSÄCHSISCHE

ALLGEMEINE

Außenhandels-Staatssekretär: Zunächst Annäherung

DDR hält EG-Mitgliedschaft nicht für ausgeschlossenParis (dpa). Die DDR hält lang-

fristig einen Beitritt zur Europäi-schen Gemeinschaft für möglich.„Wir schließen den Gedankenlangfristig nicht aus", sagte derDDR-Staatssekretär für Außen-handel, Christian Meyer, dem

Wirtschaftsblatt „La Tribüne del'Expansion". „Für den Augen-blick" wünsche Ost-Berlin je-doch nur eine „Annäherung anden Gemeinsamen Markt".

Meyer erklärte das Interesseder DDR, noch vor dem Jahres-

ende mit der EG ein Wirtschafts-hilfe-Abkommen zu schließen.„Wir sind bereit, die Verhand-lungen so schnell wie möglichwieder aufzunehmen, um dasProjekt zum Abschluß zu brin-gen".

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Page 20: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 266 Blick in die Zeit Dienstag, 14. November 1989

Aids-Infizierung

BGH: Das LebengefährdendeBehandlung

Karlsruhe (dpa). ÜbertragenAids-Infizierte bei ungeschütz-ten Sexualkontakten den Virusauf gesunde Partner, müssen siemit einer Verurteilung wegengefährlicher Körperverletzungrechnen. Komme es zu einer In-fektion, sei dies eine „das Lebengefährdende Behandlung", heißtes in einer am Montag veröffent-lichten Entscheidung des Bun-desgerichtshofs (BGH), mit derdie Verurteilung eines Mannesdurch das Landgericht Saar-brücken zu einer auf Bewährungausgesetzten Freiheitsstrafe voneinem Jahr und sechs Monatenbestätigt wurde.

Damit entschied das Karlsru-her Gericht erstmals einen Fall,in dem es tatsächlich zu einerAids-Infektion gekommen war.

Der Angeklagte erfuhr 1985durch den Arzt eines Gesund-heitsamtes, daß er mit dem Hu-manen Immunmangel-Virus(HIV) infiziert sei. Zugleichwurde er über die Ansteckungs-gefahr bei jedem ungeschütztenSexualverkehr unterrichtet.Gleichwohl hatte der Mann imJuni 1987 mit einem Mann zwei-mal ungeschützten Verkehr.Dabei ging der Partner davonaus, daß der Verkehr mit demAngeklagten ohne gesundheitli-che Risiken sei. Bereits zehnTage nach dem letzten Ge-schlechtsverkehr wurden imBlut des Mannes erste Infek-tionsmerkmale festgestellt.

Damit habe der Angeklagteeine gefährliche Körperverlet-zung begangen, die das Strafge-setzbuch mit Freiheitsstrafen biszu fünf Jahren bedroht, ent-schied nunmehr der BGH. DerMann habe gewußt, daß er infol-ge seiner Aids-Infektion keinenungeschützten Sexualverkehrhaben dürfe und ganz bewußtdie Gesundheitsschädigung sei-nes Partners in Kauf genommen.

(AZ: 4 StR 318/89)

Teilchenbeschleuniger

„Ins Geheimnis derMaterie eindringen"

Genf (AP). Im EuropäischenLaboratorium für Teilchenphy-sik bei Genf ist am Montag dergrößte Teilchenbeschleunigerder Welt offiziell seiner Bestim-mung übergeben worden. Ander Zeremonie nahmen Staats-oberhäupter und Minister aus14 europäischen Staaten teil,darunter Frankreichs Staatsprä-sident Francois Mitterrand so-wie der schwedische König CarlXVI. Gustaf.

Der 27 Kilometer lange Teil-chenbeschleuniger verläuftringförmig unter französischemund Schweizer Gebiet. Die An-lage ist bereits seit längerem inBetrieb. Mitterrand sagte, dieAnlage werde den europäischenKernphysikern dabei helfen, inZusammenarbeit mit ihren Kol-legen in aller Welt in das Ge-heimnis der dichten Strukturender Materie einzudringen.

Mai und Juni '90

Rockstars tretenin Hannover auf

Hannover (dpa). Die Rock-Stars Tina Turner und Princewerden im Mai und Juni 1990im Niedersachsen-Stadion inHannover auftreten. Konzert-veranstalter Fritz Rau will mitder „Rock-Weltliga" bis zu60 000 Zuschauer in die Arenalocken, in der der ZweitligaklubHannover 96 seine Heimspieleausträgt. Das Niedersachsen-Stadion ist der einzige Ort inNorddeutschland, wo Princeauftreten wird, Tina Turnerwird auch in Oldenburg zu hö-ren und zu sehen sein. Verhand-lungen liefen noch mit den Rol-ling Stones, sagte Rau am Mon-tag vor Journalisten in Hanno-ver. Neben der US-Prominenzwerden im kommenden Jahr inHannover unter anderen auchUdo Lindenberg und Peter Maf-fay auftreten.

Für die Fans wird es jedenfallskein billiges Vergnügen: JedeKarte kostet 45 Mark.

Ohne Paß und Visum über die deutsch-deutsche Grenze

Mit dem Rad das Thüringer Land „entdeckt"Von unserem Redaktionsmitglied Andreas Leicht

Als sie bei Wanfried (KreisEschwege) mittags die Grenzenöffneten und die knatterndeTrabbi-Kolonne den Berg run-ter in den Westen rollte, bin icheinfach rüber gefahren. OhnePaß, ohne Visum. Noch nichteinmal gefragt hat man mich,wohin ich denn will. Gewinkthaben sie mir, die DDR-Gren-zer, und gelächelt. In dieser hi-storischen Stunde haben sienicht mehr an Dienstvorschrif-ten und Befehle gedacht. Siehaben sich nur noch dem Rechtder Freiheit verpflichtet ge-fühlt.

Einfach rüber mit dem Rad.An diesem Tag ist alles erlaubt.

Ich erreiche Katharinenberg,das nur wenige Kilometer vonWanfried entfernt ist, aber wojahrelang Welten zwischen la-gen. Das sonst so beschauliche,ruhige Dorf ist zum Verkehrs-knotenpunkt geworden. VonMühlhausen, Treffurt und Din-gelstädt her stauen sich hier die

.m Feldrand, wo das kleineElektrizitätswerk von Kathari-nenberg steht, steige ich das er-ste Mal ab. Mein Blick schweiftüber das weite, schroffe Acker-land, das sich zwischen densanften Hügel des ThüringerLands erstreckt. Links untenwärmt sich das kleine Diedorfin der nachmittäglichen No-vembersonne, und ganz hinten,wo schon der Dunst einem diefreie Sicht nimmt, da muß wohlTreffurt liegen.

Der Anblick ist bewegend.Alles so neu und doch so ver-traut. Sogar der breite Grenz-streifen mit dem meterhohenStacheldraht paßt plötzlich andiesem wunderschönen Sonn-tag ins Bild. Und erst jetzt, inder Ruhe dieses Moments, wirdmir bewußt, daß ich an diesemdenkwürdigen Tag, wo vor derMauer nicht das Ende, sondernder Anfang war, mit meinen Fü-ßen und meinem Fahrrad aufdem Boden der DDR stehe.

Autos. Die Volkspolizisten, diestundenlang in der stinkendenAbgaswolke versuchen, denÜberblick zu behalten, haben'snicht leicht. Ein junger Trabbi-fahrer, der aus Richtung Mühl-hausen kommt, meckert: „Laßtdoch endlich mal von unsererSchlange ein paar durch. Wirwollen auch rüber."

„Unglaublich"

Ein älterer Mann fragt micherstaunt, woher ich denn kom-me. „Von drüben." - „Mit demRad?" - „Ja, mit dem Rad, ein-fach rüber." Es sei unglaublich,sagt er, „40 Jahre lang und jetztdas." Er sei noch nicht drübengewesen, er habe so lange ge-wartet, nun „kommt es auf ei-nen Tag auch nicht mehr an."Wir verabschieden uns. „Einenschönen Tag noch und komm'bald wieder", ruft er mir nochzu, als ich schon den Berg run-

ter nach Diedorf fahre. Auf demWeg begegne ich immer wiederBürgern aus dem Westen.Spontan haben sie sich für ei-nen Sonntagsspaziergangdurch die DDR entschieden. •Vielen steht noch das Staunenüber diese fast groteske Situati-on im Gesicht. „Wohin?", frageich sie. „Soweit die Füße tra-gen." Jeder Blick, jeder Schrittin den Osten ist für sie ein neu-es Erlebnis.

Manche von ihnen treffe ichspäter in Diedorf wieder, beiHelmut Erdmann in der Knei-pe, die einzige, die an diesemTag geöffnet hat. Am Morgen,erzählt der Wirt, habe er nochüberlegt, ob er überhaupt öff-nen solle. „Es sei ja sowieso kei-ner da." Doch dann macht erdas Geschäft des Jahres. SeineGaststätte an der Kirche wirdzum Treffpunkt deutsch-deut-scher Gemütlichkeit. Sie ist sovoll wie mancher Supermarktim Westen.

Wieder auf der Straße unter-halte ich mich mit einem Fach-arbeiter. Fast 40 Jahre habe erhier in Diedorf in einerStrumpffabrik gearbeitet, dieauch an westliche Kaufhäuserhefere. Ständig bevormundetund kontrolliert. „Wir habenHunger gelitten, und die Obe-ren haben in Saus und Brausgelebt." Aber „jetzt endlich ha-ben sie den SED-Betriebsleiterverjagt."

Und dann erzählt er noch,daß er früher oft am Sonntagmit dem Rad nach Wanfriedund über Altenburschla undWendehausen zurück nachDiedorf gefahren sei. Das Radhat er noch...

Ich weiß nicht, mit wievielenwildfremden Menschen aus derDDR ich an diesem Sonntag beimeinem „Ausflug" ins Thürin-ger Land geredet habe. Ich weißnur noch, daß sie mir alle sowundersam vertraut gewesensind.

MÜLLEIMER: Der Hut ist aus grünem Stroh, der Abfall ist echt.Die Absicht ist umweltfreundlich und der Designer ist GrahamSmith, der in London die Hutmode für Frühjahr und Sommer'90 vorstellte. Nach seinen Vorstellungen sollen die Ladies fürdas Müllhütchen tief in die Geldbörse greifen. Ob sich wohlKäuferinnen finden?. (dpa-Funkbild)

Ostfrankreich

Schäferhundbiß Säugling tot

Lomiges (dpa). Ein drei Wo-chen alter Säugling ist am Mon-tag in Saint-Priest-sous-Aixe(Ostfrankreieh) vom Schäfer-hund seiner Großeltern totge-bissen worden. Der Hund hattedas Kind im Maul durch dieWohnung geschleppt, bevor ermehrfach zubiß. Das Tier, dassich wie tollwütig verhielt, solleingeschläfert werden. Die Mut-ter des Babys war zur Erholungvon der Entbindung mit demKind bei ihren Eltern zu Besuch.

Nordrhein-Westfalen

Anti-Drogen-Discofür Jugendliche

Düsseldorf (dpa). Mit Musik,Videoclips und. Aufklärungstartet in Nordrhein-Westfalendie erste „Anti-Drogen-Disco":Das von Baden-Württembergübernommene Pilotprojekt sollbei Jugendlichen in Verbindungmit Musik Interesse wecken,sich über Probleme von Rausch-giftkonsum und -kriminalität zuinformieren. Trauriger Hinter-grund: Von Januar bis Ende Ok-tober wurden nach Angaben desInnenministeriums in NRW be-reits 196 Drogen-Todesfälle re-gistriert. 1988 waren es 179Rauschgiftopfer.

Nach dem Auftakt am kom-menden Mittwoch in Düsseldorfsind zwölf weitere Veranstal-tungen geplant. In die Musik-und Lightshow werden an jedemAbend dreimal kurze Informa-tionsblöcke von etwa zehn Mi-nuten eingestreut.

Devisenskandal ab Mittwoch vor Braunschweiger Landgericht

Schaden für VW: Rund 473 Millionen DMBraunschweig (dpa/vwd). Die

Anklageschrift ist 435 Seitendick, die sichergestellten Unter-lagen reihen sich auf einhundertMeter aneinander. Der VW-De-visenskandal, der ab Mittwochvor dem Landgericht Braun-schweig verhandelt wird, gilt alseiner der größten Finanzaffärenin der Bundesrepublik. DerVolkswagen AG entstand insge-samt ein Schaden von rund 473Millionen DM, annähernd einJahresgewinn des Unterneh-mens. Ausgelöst worden warendie Ermittlungen durch eineStrafanzeige von VW vom März1987.

Vor Gericht verantwortenmüssen sich der Frankfurter De-visenmakler Hans-JoachimSchmidt (40) sowie vier ehema-lige Mitarbeiter der VW-Devi-senabteilung: der frühere Chef-devisenhändler von VW, Burk-hard Junger (42), sowie Hans-Jürgen Bunk (40), Heinz-GünterSchwarz (40) und Lutz Quaquil

(32). Sie sollen zwischen Ende1983 und Oktober 1987 fortge-setzte Untreue in zum Teil be-sonders schwerer Art und Ur-kundenfälschung begangen ha-ben; Schmidt Beihilfe zur Un-treue und Urkundenfälschung.Den strafrechtlich relevantenSchaden gibt die Staatsanwalt-schaft Braunschweig mit etwa385 Millionen DM an.

Der dickste Brocken sind die„Ungarn-Geschäfte". Schmidtsoll mit Unterstützung der VW-Mitarbeiter insgesamt 300 Mil-lionen Dollar aus mißglücktenSpekulationsgeschäften wegendes drohenden Verlustes beimWolfsburger Unternehmen ein-geschleust haben. Mit Hilfe ge-fälschter Papiere kamen der An-klage zufolge dann zu einem ho-hen Wechselkurs Terminge-schäfte mit der Ungarischen Na-tionalbank zustande. Die Sacheflog auf, als die Ungarn bei Fäl-ligkeit die Annahme der Wäh-rung verweigerten. VW wurde

ADAC warnt vor DDR-Fahrzeugen

Trabbis keine RennerMünchen/Bonn (AP/dpa).

Nachdem sich bereits die erstenUnfälle mit Trabbis und Wart-burgs auf bundesdeutschen Au-tobahnen ereignet haben, hatder ADAC in München amMontag an alle Autofahrer ap-pelliert, ganz besondere Rück-sicht auf die zahlreichen DDR-Fahrzeuge zu nehmen. Die Wa-gen aus der DDR seien oft nurmit Tempo 70 bis 80 auf denAutobahnen unterwges. Beson-ders bei Nacht sei erhöhte Vor-sicht geboten, da die Schluß-leuchten der Trabbis und Wart-burgs oft nur sehr spät zu erken-nen seien. Auch sollte berück-sichtigt werden, daß die DDR-Besucher mit ihren Wagen aufden Strasseri auch an exponier-ten Stellen hielten, um Landkar-ten zu studieren.

Schadensregulierung

Bundesbürger und West-Ber-liner, die durch einen Autofah-rer aus der DDR einen Schadenerlitten haben, können ihre An-sprüche direkt beim Gesamtver-band der Haftpflicht- und Un-fallversicherer (HUK) in Ham-burg geltend machen. Daraufhat die Organisation am Montagin Bonn hingewiesen. Umge-kehrt erhalten DDR-Bürger, diedurch einen bundesdeutschenoder westberliner Autofahrer zuSchaden gekommen sind, Scha-denersatz direkt von der staatli-chen Versicherung der DDR.Maßgebend für die Höhe derSchadenersatzleistungen sei je-weils das Recht des Staates, indem sich der Unfall ereignet.

Rund 36 000 Liter Benzin sindnach Angaben des Bonner Ver-

kehrsministeriums in den ver-gangenen Tagen an grenznahenAutobahntankstellen kostenlosan Besucher aus der DDR abge-geben worden. Das Verkehrsmi-nisterium hatte die für die Tank-stellen zuständige Gesellschaftfür Nebenbetriebe an Bundesau-tobahnen gebeten, dafür zu sor-gen, daß Besuchern aus der DDRin Notfällen unbürokratisch ge-holfen wird. Aus welchem Etatder Treibstoff bezahlt wird, istnoch nicht geklärt.

Kennzeichenan DDR-Autos

Die Kennzeichen vonTrabbis und Wartburgs, diejetzt auf unseren Straßen fah-ren, geben noch Rätsel auf.Hier die Auflösung: der ersteBuchstabe auf dem Num-mernschild verrät den Ver-waltungsbezirk, aus dem dasAuto kommt:A = RostockB = SchwerinC = NeubrandenburgD,P = PotsdamE = Frankfurt/OderH,M = MagdeburgK,V = HalleL,F = ErfurtN = GeraO = SuhlR,Y = DresdenS,U = LeipzigT,X = Karl-Marx-StadtZ = CottbusAutos, die aus Ost-Berlinkommen, sind an der römi-schen Eins (I) zu erkennen.

die teuer gekauften Dollar nurmit großem Verlust wieder losund büßte rund 377 MillionenDM ein. Schmidt und Junger ha-ben die Fälschungen bereits ge-standen.

Daneben sollen die Angeklag-ten,noch fast acht Millionen DMin die eigene Tasche gewirt-schaftet haben, als sie Kursge-winne aus geglücktem Geldhan-del „abschöpften". Die Differenzin Höhe von 88 Millionen., DMzum VW-Gesamtschaden sindnach Angaben des Gerichts De-visengeschäfte vom Herbst1985, die Junger in den Sandgesetzt haben soll.

Junger soll außerdem in demZivilverfahren zwischen demUnternehmen und der Ungari-schen Nationalbank im Oktober1987 vor dem LandgerichtFrankfurt einen Meineid began-gen haben. Der VW-Vorstandgeht davon aus, daß dem Unter-nehmen Schadensersatz zu-steht.

Teils neblig, teils sonnigDie Vorhersagefür heute

SA 7.38, SU 16.35; MA 16.52, MU

Wetterlage:Ein Hoch, dassich von denBritischen In-seln bis zumMittelmeererstreckt,bleibt wetter-bestimmend.Vorhersage:In den Vor-mittagsstun-den verbreitetneblig-trüb,sonst tags-über überwie-gend sonnig.7 bis 12 Grad.In der Nachtklar, dabei er-neut Nebel-bildung.Nachts umminus 2 Grad.Schwachwin-dig. Aftssich-ten: WenigÄnderung.

9.40

Page 21: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 266 Themen des Tages Dienstag, 14. November 1989

SchädlicherAktionismusL/ie Dynamik der deutsch-deut-schen Wiederbegegnung wirft allepolitischen Konzepte in Ost undWest über den Haufen. So schnellwie die Menschen von ihrer neuenFreiheit Besitz ergreifen, könnensich die Regierenden nicht aus denSchablonen gewohnten Denkensbefreien. In Bonn überschattetkleinliches Gezänk um frühere Ver-dienste und künftige Absichten diebewegenden Ereignisse. Vom Wil-len zur Gemeinsamkeit in histori-scher Stunde sind die Parteienweit entfernt. Was soll man davonhalten, daß Spitzenpolitiker wegenrhetorischer Schnitzer wie „Volkder DDR" oder organisatorischerBagatellen wie dem „runden Tisch"mit der Streitaxt aufeinander losge-hen? Wie können sie allen Ernsteserwägen, den 9. November zumFeiertag der Einheit zu erklären,anstatt sich erst einmal um die Ein-heit zu kümmern?

Die Mahnung des Bundespräsi-denten zu Geduld und Besonnen-heit gilt nicht nur für die Menschenin Ost und West, die alles Trennen-de überwinden wollen und bessereLebensbedingungen erhoffen. Siesollte auch von allen Politikern be-herzigt werden, denen die Verän-derungen nicht schnell genug ge-hen. Bloßer Aktionismus kann nurSchaden anrichten. Weder stehtdie Wiedervereinigung hier undheute auf der Tagesordnung, nochwürde es sinnvoll sein, mit derdeutschen Frage jetzt eine Konfe-renz der vier ehemaligen Sieger-mächte zu befassen.

Der auch in der SPD umstritteneVorschlag von Gaus und Bahr ver-kennt, daß eine europäische Frie-densordnung nicht durch Besat-zungsrecht dekretiert, sondern nurin freier Entscheidung aller betrof-fenen Staaten geschaffen werdenkann. Jetzt kommt es darauf an,den Prozeß der Selbstbestimmungin der DDR zu fördern. Die Dynamikder Volksbewegung würde durcheine Viermächte-Konferenz nur ge-bremst werden. Achim v. Roos

Folgt dem Glückbald der Frust?Musgeräumte Regale - bis zu 300Prozent mehr Umsatz. Dank derMillionen DDR-Besucher hattenviele leidgeprüfte Kaufleute in denstrukturschwachen Zonenrandre-gionen am Wochenende das Ge-schäft ihres Lebens gemacht. Undes gibt sicher nicht wenige unterihnen, die nach Öffnung der Gren-ze davon ausgehen, dieser „run"setze sich nunmehr munter Wochefür Woche fort. Das freilich wäre einIrrglaube, den sie schnellstens auf-geben sollten.

Denn es ist kurzfristig keine Lö-sung in Sicht, wie die Besucherdauerhaft an harte Währung kom-men. Natürlich könnte man das Be-grüßungsgeld anheben, vielleichtsogar mehrmals im Jahr zahlen.Doch das alles bliebe unbefriedi-gend, weil sich am Almosen-Ge-ruch, der mit dieser Praxis verbun-den ist, nichts ändern würde.

Gefragt sind also andere Wege.Solche nämlich, die über die DDRführen und somit nicht sofort zurealisieren sind. So muß Ost-Berlinalles daran setzen, das • eigeneWährungs- und Bankensystem zureformieren. Insbesondere gilt es,den ungeheuren Kaufkraftüber-hang abzuschöpfen und Geld- undWarenmenge in vernünftige Rela-tion zu setzen. Das Ergebnis einersolchen Radikalkur wäre eine eini-germaßen harte DDR-Währung,die - frei austauschbar - auch imWesten gern akzepiert würde.

Doch an den- Reformern drübenliegt's nicht allein, auch aus derBundesrepublik muß' tatkräftigeHilfe kommen, wenn das soebenerlebte Glück mittelfristig nicht inFrust umschlagen soll. Gemeintsind Kredite zur Verbesserung derInfrastruktur sowie die Bereit-schaft, den Firmen im anderenDeutschland mit Know how undKapital unter die Arme zu greifen.Dabei darf es nicht darum gehen,die DDR aufzukaufen. Dies würdedie Menschen dort nämlich nichtweiterbringen. Ulrich Brehme

Das Zitat„Die Zeitungen bei uns sind jetztvoll von Perestroika und Men-schenrechten. Dabei hatten wirnoch nie so viele Verhaftete undund so viele auf den Straßen prü-gelnde Polizisten wie jetzt."

Jan Urban,CSSR-Bürgerrechtler

Die Volkskammer, bisher vonvielen DDR-Bürgern als das„einstimmigste Gremium derWelt" verspottet, beginnt jetztDemokratie zu üben: Erstmals inder Geschichte der Volksver-tretung stellten sich zur Wahldes Präsidenten gleich mehrereKandidaten. Und die Staatspar-tei SED, mit 127 Abgeordnetengrößte Fraktion in der Volks-kammer, verzichtete sogar aufeinen eigenen. Ihr weitreichen-der Einfluß kam aber doch zumVorschein: Denn nicht den inden letzten Wochen recht auf-müpfige Liberaldemokrat Man-fred Gerlach, sondern den bis-lang eher unauffällig angepaßtenGünther Maleuda bestimmtendie Abgeordneten zum Volks-kammer-Präsidenten.

Der 58jährige Maleuda ist seit1987 Vorsitzender der Demo-kratischen Bauernpartei'Deutschlands (DBD), die erst1948 im mecklenburgischenSchwerin gegründet wurde undbei der „Wende" in der DDR kei-ne besondere Rolle spielt. Erstvor wenigen Tagen beklagtesich der neue Volkskammer-

Günther Maleuda neuer Präsident der Volkskammer

Wahl mit SchönheitsfehlernVon unserem Berliner Mitarbeiter Peter Gärtner

Präsident in der „Aktuellen Ka-mera", der Nachrichtensendungdes DDR-Fernsehens, daß diePositionen seiner Partei auf demBildschirm „kein Thema" seien.Der frühere Landarbeiter hat inder DBD, der er bereits zweiJahre nach ihrer Gründung bei-trat, eine stromlinige Karrierehinter sich: Nach dem Studiumin Potsdam, das Maleuda 1955als Diplomwirtschaftler ab-schloß, arbeitete er als hauptbe-ruflicher Funktionär in Klein-städten am Rande Berlins.

Der große Sprung nach vorngelang ihm 1976 als er zumDBD-Vorsitzenden des BezirksHalle delegiert wurde. Ein paarJahre später gehörte er bereits

dem Parteivorstand an, bis er imMärz 1987 den an einem Herz-leiden erkrankten Parteivorsit-zenden Ernst Mecklenburg ab-löste. Seit Juni 1987 war er dannauch einer der Stellvertreter desStaatsratsvorsitzenden, der bisvor wenigen Wochen nochErich Honecker hieß. Im Gegen-satz zu Manfred Gerlach, demeigentlichen Favoriten für daseher repräsentative Amt desVolkskammer-Präsidenten, istvon Günther Maleuda nicht be-kannt, daß er jemals aus der Rei-he tanzte.

Es wird also erst zeigen müs-sen, ob ein „Wendehals" wieMaleuda wirklich dajür geeig-net ist, den demokratischen Stil

der letzten Wochen von denStraßen in das Parlament zu tra-gen. Dazu gehört dann bei-spielsweise auch, die Volks-kammer aus der Scheindemo-kratie herauszuführen: Denn inden vergangenen Jahrzehntentrat das „Scheinparlament" nurzweimal im Jahr zusammen,stets nach den Tagungen des ZKder SED, um deren Beschlüsseabzusegnen. Zur „Sitte des Hau-ses" gehörte auch, auf eigeneStellungnahmen, Anfragen undVorschläge - obwohl in derDDR-Verfassung eigentlich vor-gesehen - zu verzichten. Undbislang wurde kein einziges Ge-setz auf Initiative der Volks-kammer verabschiedet.

Ein weiterer grober Schön-heitsfehler der Demokratie-übung war gestern nicht zuübersehen: In die gläsernen Ur-nen steckten ihren Wahlscheinauch die längst abgelöste Volks-bildungsministerin Margot Ho-necker und der entmachtetePropaganda-Chef des Politbü-ros, Joachim Herrmann. Dennalle 478 anwesenden Abgeord-neten waren noch über die un-demokratische Einheitsliste insParlament gelangt, eine wirkli-che Legitimation der Bürger be-sitzt keiner von ihnen. Das sollsich nun bald ändern, jedenfallsnach dem vorläufigen „Aktions-programm" des SED-Politbüros.Parteichef Egon Krenz hat die„Entflechtung" von Staat undPartei bereits mehrfach ange-kündigt: Vorgezogene Wahlen,vielleicht schon im nächstenJahr, gehören dazu.

Doch in den Oppositionsgrup-pen wachsen die Bedenken, sicheiner raschen Wahl zu stellen.„Bei sofortigen Neuwahlen", sovermutet Bärbel Bohley vom„Neuen Forum", „würden wirden kürzeren ziehen".

„Nicht zu fassen, der Krenz macht ernst!" (Karikatur: Haitzinger)

Presse-EchoÜber die Zukunft Europas schreibt dieLondoner

THE TIMESDie Zukunft Europas ... wird

sowohl auf der Tagesordnungdes amerikanisch-sowjetischenGipfels vor Malta wie 'auch aufder des Gipfeltreffens der Mit-gliedsstaaten der EuropäischenGemeinschaft in Straßburg ste-hen. Drei Veränderungen sindzusammengelaufen. Die Regie-rungen in Osteuropa wurdenbeiseite geschoben von derKraft von Reformen, die siekaum verstehen oder kontrollie-ren können... Zweitens ist dieForm der Nachkriegs-Sicher-heitsregelung durch die verän-derte Politik Gorbatschows unddie daraus folgenden Abrü-stungsverhandlungen neu ge-staltet worden. Drittens steht

die Europäische Gemeinschaftvor der Entscheidung, welcheGestalt sie nach der Schaffungdes Binnenmarktes 1991 anneh-men soll. Die Zukunft Deutsch-lands, oder der beiden Deutsch-lands, ist für alle diese dreiPunkte eine zentrale Frage -Grund für Hoffnung und gleich-zeitig Angst in ganz Europa ...

Die Bundesrepublik... wirdim Westen am besten verankertdurch die Schaffung eines politi-schen Verbandes der EG. Dieserwürde ein wiedervereinigtesDeutschland überwachen, damites sich nicht eine eigene Einfluß-zone schafft...

Einen ganz anderen Aspekt der Ent-wicklung in der DDR kommentiert dasWiener Massenblatt

KURIERIn den stürmischen Tagen der

DDR entstanden - in dersprachschöpferischen Kraft desVolkes - neue Worte. So etwader Begriff des Wendehalses alsSynonym dafür, sich flugs vomSaulus in den Paulus zu verwan-deln - und nach Bedarf ebensoflugs wieder zurück in den Sau-lus.

Egon Krenz, der neue Staats-chef der DDR, gilt im Volk alsWendehals. Er hatte im vergan-genen Mai die Wahlen ge-fälscht, dem chinesischen Mas-saker an friedlichen Demon-stranten applaudiert. Jetzt dieWendung: Krenz begrüßt freieWahlen und den Fall der Mau-er. Von seinem Luxusauto hatsich der Wendehals abgewendetund einem schlichten Lada zu-gewendet. So wendig ist derWendehals, stets hängt er sei-nen Mantel nach dem Wind, denWendemantel.

Polenreise / Heute gemeinsame Erklärung

Kohls Schwerstarbeit,Kleins UngeschickAus Warschau berichtet Hans-Ludwig Laucht

Haanna Szymanska hält mit ih-rer Meinung nicht hinter demBerg. „Die Zusammenarbeit zwi-schen Polen und Deutschlandliegt in beiderseitigem Interesse.Wir brauchen die Deutschenauch, um aus unserer wirt-schaftlichen Misere herauszu-kommen." Dann fügt die Redak-teurin der Wochenzeitung „Ko-bieta" (Die Frau) nachdenklichhinzu: „Es geht ja nicht nur umökonomische Dinge. Man könn-te ja auch fragen, wo die Polenheute stünden, wenn es nichtden 1. September 1939 gegebenhätte."

Die hübsche blonde Frau sitztfür die Kommunisten im War-schauer Parlament. Und auchsie treibt die Furcht vor einemwiedervereinten Deutschlandum, wie viele Polen in diesendramatischen Tagen und Wo-chen. Polen als Puffer zwischendem mächtigen Rußland und ei-nem vereinigten Deutschland istnicht nur für Politiker an derWeichsel eine Horrorvorstel-lung. „

Stichwort Wiedervereini-gung. Hanna Szymanska kannden Wunsch der Deutschennach Einheit verstehen. Dreimalwar Polen in seiner Geschichtegeteilt. Dieses Trauma sitzt tief.„Die Deutschen sollten ihre al-ten Fehler nicht wiederholen.Der Bundeskanzler hat bei sei-nem Besuch Gelegenheit, diepolnische Westgrenze ein für al-lemal zu garantieren.".

Ob in der gemeinsamen Erklä-rung, deren Veröffentlichungfür heute erwartet wird, dieOder-Neiße-Linie angespro-chen wird, ist noch nicht klar.Auch das Problem der deut-schen Minderheiten ist noch of-fen. Wie es heißt, soll diese Be-zeichnung in der Abschlußer-klärung nicht vorkommen. Was

„La Pasionaria" ist tot

Eine spanische Nationalheldin

KONSEQUENTE STREITERINbis ins hohe Alter: „La Pasiona-

(dpa-Funkbild)na

Die als „La Pasionaria" be-kannte Präsidentin der spani-schen Kommunisten, DoloresIbarruri, ist tot; sie erlag 93jäh-rig einem Herzversagen. Siewar zum Mythos geworden, alssie 1936 in den ersten Monatendes spanischen Bürgerkriegesin Madrid die republikanischenKämpfer mit der Parole „No pa-saran" (Sie werden nichtdurchkommen) gegen die auf-ständischen Truppen GeneralFrancos mobilisierte. Ihre flam-menden Reden und ihr Motto„Lieber aufrecht sterben, alsauf Knien leben" (Mas vale mo-rir de pie que vivir arrodilla-dos) sind auch bei den Interna-tionalen Brigaden unvergessen,in der Freiwillige aus aller Weltdie Republik unterstützten.

Bekannt geworden war dieam 9. Dezember 1895 im baski-schen Städtchen Gallarta in ei-ner Bergmannsfamilie geborene

Dolores jedoch schon vorher.Nach der Grundschule wolltesie Lehrerin werden, doch derFamilie fehlte es an Geld für dieAusbildung. So lernte sieSchneiderin und arbeitete alsHausmädchen. 1915 heiratetedie damals noch gläubige Ka-tholikin den Bergmann, Soziali-sten und späteren Kommuni-sten Julian Ruiz Gabina mitkirchlichem Segen.

Mit ihm zusammen gründetesie seit 1919 erste kommunisti-sche Zellen in Asturien. In derPartei stieg sie schnell auf, wur-de 1930 ins Zentralkomitee ge-wählt, 1932 ins Politbüro. Da-neben fing sie an, in kommuni-stischen Blättern unter demPseudonym „La Pasionaria"(Die Leidenschaftliche) Artikelzuschreiben. 1931 schickte diePartei sie nach Madrid. Sie be-teiligte sich an Streiks und Auf-ständen und saß im Gefängnis.

1933 reist die stets schwarzgekleidete Dolores Ibarrurierstmals in die Sowjetunion,von der sie „unauslöschliche"Eindrücke mitbrachte. Nachder Niederlage der Republikfloh sie 1939 über Paris in dieSowjetunion. Die spanischeExil-KP wählte sie 1942 zurGeneralsekretärin und 1960zur Präsidentin. Am 13. Mai1977, nach 38jährigem Mos-kauer Exil, kehrte die schloh-weiße Dolores Ibarruri in ihreHeimat zurück. Ihre Anhängerbereiteten ihr einen triumpha-len Empfang.

Am 15. Juni 1977, bei denersten freien Wahlen nachFranco, wurde „La Pasionaria"wieder als Abgeordnete ge-wählt, gab ihr Mandat jedochbald ab und lebte seitdem zu-rückgezogen, arbeitete aberfast bis zuletzt noch in den Par-teigremien mit. (dpa)

die Erklärung betrifft, kenntden Text zur Zeit nur cjer außen-politische Berater des Bundes-kanzlers, Horst Teltschik. „Dersitzt auf dem Papier wie eineGlucke", sagen die Beamten desPresse- und Informationsamtes.

Verblüffendes Ergebnis

Die Zeitung der Gewerkschaft„Solidarität" kam bei einer Um-frage unter 2213 Bürgern in 48Städten des Landes zu einemverblüffenden Ergebnis: 39% derBefragten sprachen sich für diedeutsche Wiedervereinigungaus, 36% lehnten sie ab, 24% hat-ten keine Meinung. Nicht min-der heikel ist auch das Problemder deutschen Minderheit. DenPolen fällt es schwer, diesen Be-griff zu verwenden. Im offiziel-len Sprachgebrauch der Regie-rung und der katholischen Kir-che kommt er nicht vor. Den-noch antworteten 55,6% auf dieFrage nach der Existenz dieserdeutschen Bürger polnischerStaatsangehörigkeit mit Ja, 24%mit Nein.

Der Bundeskanzler leistet indiesen Tagen Schwerstarbeit.Kohl meistert den Besuch miteiner bewundernswerten Kon-dition. Am Sonntagmorgen umdrei saß er im Auto nach Krei-sau, weil der Flug wegen Nebelgestrichen werden mußte. Denganzen Tag über folgten Bespre-chungen. Die Korrespondentenin seiner Begleitung klagen der-weil über chaotische Terminpla-nungen und schlechte Nach-richtenverbindungen mit denHeimatredaktionen.

Für zusätzliche Aufregungsorgte eine Mißstimmung zwi-schen Regierungssprecher HansKlein und dem Vorsitzenden desZentralrates der Juden inDeutschland, Heinz Galinski. Eswar nicht nur die Bemerkungüber das „Internationale Juden-tum", die Galinski verurteilte.Der Sprecher der deutschen Ju-den fühlt sich in Warschau ver-nachlässigt. So habe ihn dieBundesregierung erst einen Tagvor der Abreise nach Polen überdas Programm unterrichtet.Auch das, so hört man, gehörtzu den Ungeschicklichkeiten imVorfeld der mehrfach verscho-benen Kanzlervisite.

Heute nach Auschwitz

Heute wird Helmut Kohl dasehemalige NS-Vernichtungsla-ger Auschwitz aufsuchen. Be-fürchtungen, daß ehemaligeZwangsarbeiter die Gelegenheitbenutzen könnten, ihre Forde-rungen nach Wiedergutma-chung anzumelden, wurden inder polnischen Hauptstadt nichtausgeschlossen. Drei MilliardenMark verlangen die ins ehemali-ge Reich verschleppten Männerund Frauen für die in den Kon-zentrationslagern geleisteteZwangsarbeit. Galinski hat in-zwischen zur Mäßigung aufge-rufen und appelliert, die Ruhedes Ortes nicht zu stören. Fürihn ist Auschwitz „der größtejüdische Friedhof der Welt."

Page 22: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 266 Hessen Dienstag, 14. November 1989

Verbindung zwischen Gemeinde und Bahnhof Großburschla bei Wanfried-Heldra geöffnet

Fünfter neuerÜbergangfreigegebenWanfried (harn). Um 15.45 Uhr,

eine Viertelstunde früher als an-gekündigt, strömten die Massendurch das neue Loch im Zaun:Nach Eichenberg-Arnstein undWanfried-Katharinenberg wur-de gestern nachmittag nahe demWanfrieder Ortsteil Heldra derdritte neue Übergang von derDDR zum Werra-Meißner-Kreis- und damit der fünfte zwischenThüringen und Hessen - eröff-net. Er verbindet den thüringi-schen Ort Großburschla mit sei-nem Bahnhof, der seit Ziehungder Grenze unerreichbar war.

Blaskapelle vorweg

Nahezu alle 1300 EinwohnerGroßburschlas strömten laut ju-belnd durch das neue Tor, in derHand Blumen, die die Gärtneri-sche Produktionsgenossen-schaft für diesen denkwürdigenAugenblick zur Verfügung ge-stellt hatte. Voran marschiertedie Heldrasteiner Blaskapelleaus Schnellmannshausen.

Auf westlichem Gebiet hattensich im Laufe des NachmittagsHunderte Schaulustiger versam-melt, die den DDR-Bürgern einenbegeisterten Empfang bereiteten.Viele von ihnen strömten durchden Zaun nach Großburschla. In

MIT BLUMEN, die die Gärtnerische Produktionsgenossenschaft gestiftet hatt k i n nahezu alleEinwohner Großburschlas über den neuen Übergang in den Westen. (Foto: Hammerl)

den Gaststätte „Zur Farbe" und„Zur Krone" entwickelten sichspontan ausgelassene Feiern.

Der neue Übergang ist zu-nächst nur für Fußgänger zu pas-sieren, doch ab morgen sollen ihnauch Autos benutzen können.

Für die Arbeiter der Gärtneri-schen Produktionsgenossen-schaft, die noch am .Vorabendfür die Öffnung des Übergangsdemonstriert hatten, kam derAuftrag, bei der Beseitigungder Anlagen zu helfen,

dennoch überraschend. PeterStephan, 29jähriger Arbeiter:„Ich hab' geheult, als ich dasZeug weggeräumt habe." Um13.30 Uhr sei er dazu von eineranderen Arbeit abkommandiertworden.

Ministerpräsident Wallmann:

Land will sich an Projekten in DDR beteiligenVon unserer Wiesbadener Redaktion

Wiesbaden (Eff). Das Land Hessen werde sich auch (CDU) vor der Landespressekonferenz nach der Öffnung derfinanziell an bestimmten Projekten in Thüringen bei der DDR-Grenze zur Bundesrepublik an. Voraussetzung sei, daßEinführung einer freiheitlichen Ordnung in der DDR engagie- freie Wahlen verbindlich in Aussicht stünden. „Wir finanzie-ren. Das kündigte gestern Ministerpräsident Wallmann ren nicht den Monopolanspruch der SED", betonte er.

Wallmann schloß nicht aus,daß in der Bundesrepublik füreine begrenzte Zeit Steuern,z. B. die Benzinsteuer, erhöhtwürden oder ausschließlich fürdiesen Zweck eine höhere öf-fentliche Verschuldung in Kaufgenommen werde, um diese Hil-fe zu finanzieren. Der Minister-präsident wollte diese Äußerun-gen als „lautes Nachdenken"verstanden wissen.

„Nicht bevormunden"

Die Bundesrepublikanerwarnte Wallmann davor, gegen-über DDR-Bürgern auch nurden „Anschein von reichen Vet-tern" zu erwecken. Angesichtsder schlimmen wirtschaftlichenLage in der DDR müsse mit ih-nen die Sozialismus-Diskussiongeführt werden. Das dürfe aber

nicht zu einer Bevormundungführen. Er zeigte sich jedochüberzeugt, daß sich in diesemDiskussionsprozeß zwischenden Extremen Kapitalismus undSozialismus der dritte Weg, diesoziale Marktwirtschaft, durch-setzen werde.

Der Ministerpräsident sprachsich dafür aus, daß jedes Bun-desland seine Hilfe auf eine Re-gion der DDR konzentriere,Hessen auf das benachbarteThüringen. Mit seinem Koali-tionspartner, seinem Stellver-treter Gerhardt (FDP), habe ersich bereits über erste Schritteverständigt. Dieser arbeite alsWissenschaftsminister Vor-schläge für kulturelle Kontakteaus.

Wallmann sieht eine Reihevon Möglichkeiten der Zusam-menarbeit mit der DDR: dieSchließung der Autobahnlücke

zwischen Wildeck und Warthabei Herleshausen, den Bau einerAutobahn Kassel-Eisenach, dieÖffnung weiterer Grenzüber-gänge, die Elektrifizierung derEisenbahnstrecke Bebra-Eisen-ach, die Einrichtung eines Per-sonennahverkehrs zwischenStädten oder Gemeinden dies-seits und jenseits der Grenzeund die Entsalzung der Werra.

Für Zeitungsaustausch

Einen freien Austausch vonhessischen und thüringischenZeitungen hält Wallmann fürsehr wichtig. Die Bundesbürgerseien über die Verhältnisse inder DDR weit weniger infor-miert als umgekehrt. Dieser In-formationsaustausch könne demgegenseitigen Verständnis die-nen, betonte er. In diesem Zu-

sammenhang sprach sich derRegierungschef, ebenso wie esder Vorsitzende der SPD-Land-tagsfraktion," -Welteke, - schongetan hat, für die allgemeineEinspeisung der DDR-Fernseh-programme in die Kabelnetzeder Bundespost aus.

Wallmann mahnte, über derFreude der Öffnung der DDR-Grenze nicht die Versöhnungs-gespräche von BundeskanzlerKohl in Polen untergehen zu las-sen. Er hatte den Kanzler aufeinem Teil der Polenreise be-gleitet und dabei vorgeschlagen,daß sich die Bundesländer eben-falls in Polen engagieren, vor al-lem auf dem Gebiet der Kultur.Der hessische Regierungschefberichtete, er habe in Polen Ge-spräche darüber geführt, wie ge-holfen werden kann. Nun er-wartet er konkrete Projekte vonpolnischer Seite.

Sendebetrieb beginnt morgen / Informationen und Musik rund um die Uhr

Privater Rundfunksender FFH ist startklarFrankfurt (hpo). Der erste pri-

vate Rundfunksender Hessensist startklar. 24 Stunden Voll-programm: Informationen undMusik rund um die Uhr - mitdiesem Konzept will Radio FFHmorgen früh um 4.55 Uhr seinenSendebetrieb aufnehmen. „Gu-ten Morgen, Hessen!" heißt dasvierstündige Magazin. FFH-Programmchef Hans-DieterHillmoth ist stolz auf das Sen-deschema, das er und seine Mit-arbeiter in den zurückliegendenMonaten entworfen haben. Ge-stern stellte er es erstmals derPresse vor.

Vor allem Oldies

„Ein angenehmer Begleiterdurch den Tag" will FFH denHörern werden, ein „freund-licher Nachbar". Die Musik vonRadio FFH soll ins Ohr gehen,nicht daran vorbei, erläuterteHillmoth. Vor allem Oldies ausden letzten 40 Jahren, aktuelleHits, „die das' Zeug haben, Ol-dies zu werden" und auch deut-sche Titel („allerdings keinHeino") werden das Programmbestimmen. Zwischen 18 und

19 Uhr werden täglich„Wunschhits" aufgelegt.

„Ohne Ladenschluß"

Der „unterhaltsame Nach-richtenkanal ohne Laden-schluß" will seine Hörer stetsauf dem laufenden halten; dieaktuellen Ereignisse aus Politik,Sport und Weltgeschehen sol-len ebenso wie Hessen-Themendann in die Sendung eingestreutwerden, wenn sie „frisch" sind.Hillmoth: „Kein Warten also aufNischen oder Sende-Kästchen."Ein Programm in dieser Formhabe es in Hessen bisher nochnicht gegeben.

Ganz ohne Rubriken geht esaber auch bei FFH nicht. Nach-richten kommen immer fünf Mi-nuten vor der vollen Stunde,morgens zwischen 5 und 9 Uhrauch fünf Minuten vor der hal-ben Stunde, „Hessen aktuell"gibt's um 16.25 und 17.25 Uhr.40 Korrespondenten in allerWelt sowie fünf Außenstudiosin Kassel, Fulda, Gießen, Wies-baden und Darmstadt liefern derZentrale in Frankfurt-Rödel-heim zu.

Den Vorbericht zur Börse sen-det FFH um 10.25 und die Bör-senmeldungen um 13.39 Uhr.Der Polizeireport, ein Hörer-Wetterbericht, Umwelttips undVeranstaltungshinweise sowieKlatsch und Tratsch aus Hessensind andere wiederkehrendenProgrammpunkte.

„Behörden wachküssen"

Hörern, die Ärger mit Ämternhaben, will Radio FFH mit derSendung „Wir küssen die Behör-den wach" helfen. Rund um dieUhr ist das Hörertelefon besetzt;die Nummer: 069-19725.

Einen Service besonderer Artbietet Radio FFH denen, die Pro-bleme mit dem Liebesleben ha-ben. Erika Berger, Zuschauernvon RTL plus und Illustrierten-Lesern als Sex-Beraterin be-kannt, wird jeden Donnerstagzwischen 22 und 1 Uhr ihre Dien-ste anbieten. „Zeit für Zärtlich-keit" heißt die Sendung.

Die Stunde zwischen 21 und22 Uhr am Montag gehört demschwarzen Entertainer RonWilliams, vor allem bekannt fürseine umwerfenden Ronald-

Reagan-Parodien. In „Ron-sens"soll Mr. Reagan eine zweiteReporter-Karriere starten.

Für die Moderation hat RadioFFH „keine Stars vom Hessi-schen Rundfunk" eingestellt,sondern junge Radio-Profis, diebisher vornehmlich in Bayernund Schleswig-Holstein gearbei-tet haben. Uwe Hackbarth undDiana Hartmann zum Beispiel,die morgen in der ersten Sendungzu hören sein werden, stammenaus Kassel und Bad Hersfeld.

„Rotierende Werbeinseln"

Da sich Radio FFH aus Wer-bung finanzieren muß, sollen proStunde drei eingestreut werden.Geschäftsführer Dr. HaraldJosse hofft, daß sich die Werbe-beiträge „harmonisch ins Pro-grammeinfügen". Zwölf Minutenpro Stunde seien erlaubt, mehrals sechs Minuten sollen es nachseine Worten aber nur in Aus-nahmefällen werden. 85 Prozent'aller Bürger Hessens werden beiSendebeginn erreichbar sein; Ra-dio FFH hofft, pro Werbestundedurchschnittlich 180 000 Hörerzu haben.

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Page 23: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 266 Politik Dienstag, 14, November 1989

Die Bevölkerung der beiden deutschen Staaten ist immernoch von der unverhofften Freude über die Öffnung derGrenze ergriffen. Die Besucherwelle hält an - und langsammischen sich sorgenvolle Äußerungen unter den Jubel. DerGrund: Die Devisenknappheit der DDR macht es den Besu-chern schwer, im Westen beispielsweise umfassend einzu-kaufen oder sich länger aufzuhalten. Der Tausch von Ost-währung gegen DM ist zwar möglich - doch die Kursrelatio-nen sind alles andere als attraktiv für die Deutschen ausdem Osten. Sie greifen schon in diesen Tagen zur Notlö-

sung: Wertvoller Familienbesitz wie Bestecke oder Antiqui-täten werden mit in den Westen genommen und hier gegenDM verscherbelt. Der Ausverkauf der DDR, von vielenExperten befürchtet, beginnt bereits. Der Zusammenfüh-rung der Wirtschaftssysteme dient eine solche Entwicklungaber nicht: Die Kluft zwischen reich (im Westen) und arm(im Osten) ist schon so groß genug. Politiker und führendeWirtschaftswissenschaftler zerbrechen sich die Köpfe, wiesie einen goldenen Mittelweg zur Lösung der Problemebeschreiten können. Einerseits darf die DDR nicht zum

Kostgänger des reichen Partners Bundesrepublik werden.Andererseits aber scheint eine Stärkung des Systems unterden gegenwärtigen Bedingungen kaum möglich. Das Pro-blem drängt, die Vorweihnachtszeit mit dem erwartetenMilliardengeschäft, das in diesem Jahr durch DDR-Besu-cher noch angeheizt wird, steht vor der Tür. Wir befragtenExperten nach Lösungsvorschlägen. Das Prekäre der Si-tuation ist allseits bekannt. Einziges Manko der Umfrage: Inder DDR war gestern kein Gesprächspartner zu erreichen.Das Telefonnetz war hoffnungslos überlastet.

Drfr, Meinhard Miegel, Leiterdes Instituts für Wirtschaft undGesellschaft in Bonn, sieht dieDinge unkompliziert. Da dieDDR-Wirtschaft nicht von heu-te auf morgen zu reformierensei, müßten kurzfristig außerge-wöhnliche Hilfen angebotenwerden. Sein Vorschlag: DieBundesbürger sollten allesamteinen Arbeitstag ausschließlichfür die DDR arbeiten. Vorge-schlagen werde hierfür der 17.Juni, der „auf diese Art undWeise sinnvoller als bis heutegenutzt werden kann", erklärteer gestern gegenüber unsererZeitung.

Und so sieht Miegels Berech-nung aus: Arbeitstag für Ar-beitstag schaffen und erbringendie Bundesbürger Werte an Gü-tern und Dienstleistungen inHöhe von zehn MilliardenMark. Und genau diese Summekönne der DDR beispielsweisezur Verbesserung ihrer Infra-struktur zur Verfügung gestelltwerden. Wörtlich: „Wir sind einreiches Land und können aufdieses Geld ohne Verlust unse-res Lebensstandards verzichten.

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Wichtig: „Geldschaum" muß wegVon unseren Redak t i onsm i tg l i ede rn Ul r ich Brehme, Andreas Käckel l und Horst Se idenfaden

Andererseits würde es dort drü-ben die Menschen voranbrin-gen."

Freilich weiß auch Miegel,daß die DDR-Wirtschaft übereine solche Hilfe grundsätzlichkaum gesunden kann: „Hierfürsind weitere Hürden zu neh-men." So gilt es laut Miegel undseinem Kollegen Hans-KarlHartwig (Uni Münster, Abtei-lung „Vergleich von Gesell-schaftssystemen"), den hohenGeldüberhang in der DDR auf-zulösen. Möglich sei dies überzwei Wege:• Alle Preise werden freigege-ben. Dies würde zu einer Ab-wertung der DDR-Mark führen,gleichzeitig könnte erkanntwerden, wo Abgebotsmängel

bestehen.• Nur Preise für Güter des ge-hobenen Bedarfs werden freige-geben, die der notwendigstenLebensmittel nicht. Eine solcheWährungsreform wurde 1948 inden Westzonen praktiziert. Derpositive Aspekt: Sozialer Un-mut könnte vermieden werden.

Wenn der „Geldschaum"(Miegel) dann verschwundensei, die DDR-Mark also hart undkonvertierbar wäre, könnte mansie in ein System fester Wech-selkurse bringen. So wie dies inder Währungsschlange der Eu-ropäischen Gemeinschaft schonseit zehn Jahren mit Erfolgpraktiziert werde. Die DDR-Bürger könnten mit ihrem Gelddann auch hier einkaufen (so

wie in Belgien, wo zwei Wäh-rungen parallel umlaufen) undwären nicht mehr auf das Begrü-ßungsgeld oder auf Almosen an-gewiesen.

Das wären sie auch dann nichtmehr, wenn DDR-Bürger bei-spielsweise im Osten lebten,aber im Westen arbeiteten. Derfür die DDR damit verbundenepositive Aspekt: Diejenigen mitD-Mark in der Tasche würdenim Westen einkaufen und -da-durch den heimischen Konsum-warenmarkt entlasten.

Wichtiger ist es nach Ansichtbeider Wissenschaftler, die Zu-sammenarbeit zwischen Ost-und Westfirmen auf eine neueEbene zu heben. Konkret solltedie DDR-Wirtschaft sogenannte

Joint ventures (Gemeinschafts-firmen) erlauben. Dies würdeKapital und dringend benötigtesKnow how ins Land bringen. Indiesem Zusammenhang lehntensie einen „Ausverkauf" der DDRab. Wenn westdeutsche Groß-firmen die besten Anlagen undBöden dort aufkauften, bringe esden Menschen dort nichts.

Miegel glaubt, daß auf dieseArt und Weise in der DDR diegrößten Defizite in drei bis fünfJahren überwunden werdenkönnten. Unser Lebensstandardsei dann bei optimaler Koopera-tion in zehn Jahren erreichbar.Den Sozialismus (Volkseigen-tum an Produktionsmitteln)brauchte die DDR dabei nicht

aufgeben.Professor Rainer Ölten vom

Fachbereich Wirtschaftswis-senschaften der Gesamthoch-schule Kassel sieht im Aufbaueiner Zweitwährung in der DDReine Möglichkeit, die aktuellenProbleme in den Griff zu bekom-men. Diese zweite Währungmüßte mit der DM im Kurs 1:1getauscht werden. Die DDR-Notenbank dürfe allerdingsnicht versuchen, mit der Aus-weitung der Geldmenge Zah-lungsschwierigkeiten der Be-triebe oder anderer Stellen zubekämpfen. „Die Gekhjberhän-ge müssen weg," fordert Ölten.

Eine Angleichung wäre auchdurch eine Änderung des Preis-systems möglich: Die Abschaf-fung der Subventionen würde zueinem Preisanstieg der Warenführen und das Preisgefälle zwi-schen Ost und West abbauen.Damit allerdings, so Ölten, wür-de eine ökonomische Kettenre-aktion ausgelöst: Steigen diePreise im Osten, müßten Löhneund Gehälter angehoben wer-den. Waren würden teurer, dieinternationale Wettbewerbsfä-higkeit gemindert.

Die DDR-Misere

Viel Geld -wenig Warenü ines der Hauptproblemeder DDR-Wirtschaft ist dasMißverhältnis zwischenGeld- und Warenmenge. Of-fiziell hatten die DDR-Bürger1987 bei einem Bargeldum-lauf von 15 Milliarden Ost-mark rund 142 MilliardenDDR-Mark teils auf Giro-,teils auf Sparkonten gehor-tet. Dem stand ein Einzels-handelsumsatz (gilt als Indi-kator für den privaten Ver-brauch) von 121,9 MilliardenMark gegenüber. Dies zeigtnach Angaben von dem ausKassel stammenden Prof.Karl-Hans Hartwig (UniMünster, Chef der Abteilung„Vergleich von Wirtschafts-systemen"), daß die Güter-menge viel zu gering ist. DieMenschen haben zwar Geld,können sich dafür aber nichtin ausreichendem Maß Güterund Waren kaufen.

Zwei Gründe

Dieses Mißverhältnis istlaut Hartwig auf zwei Grün-de zurückzuführen. Zum ei-nen produziert die DDR Gelden masse. Dies sei systembe-dingt. So bekommen Betriebein der Planwirtschaft östli-cher Prägung selbst dannGeld, wenn nichts erzeugtwird oder wenn die produ-zierten Güter unverkäuflichsind. Der Verlust wird vomStaat, sprich: von der Noten-presse, getragen. Diesem Sy-stem dient selbstverständ-lich auch das dortige einstu-fige Bankensystem (in derDDR gibt es nur eine Bank,die Staatsbank, die überzahlreiche Filialen verfügt).Während sich die Banken beiuns refinanzieren müssen,entfällt dies für die Institutein der DDR. Konkret: Kreditean Staatsbetriebe brauchennicht abgesichert zu werden.Im Zweifel hilft die Staats-bank.

Wenig Produktivität

Der zweite Grund für diedesolate Situation in derDDR ist laut Hartwig das fastfehlende marktwirtschaftli-che Denken der Betriebe. DieUnternehmen sind personellaufgebläht und verfügen ent-sprechend nur über eine ge-ringe Arbeitsproduktivität.Hinzu kommt, daß für sie derPlan und nicht die Nachfragedas Maß aller Dinge ist. Dieslahmt die Eigeninitiative unddamit den Anreiz, Güter her-zustellen, die von den Kon-sumenten begehrt sind.

Rangfolge im Osten

Auto-Standard Telefon-Standard Fleisch-StandardPkw aufje 1000Einwohner(1986)

Haupt- •anschlüsseauf je 1000Einwohner(1988)

Verbrauchje Einwohner1986 in kg

Bulgarien

CSSRKI«Rumänien

DDR K l 102UdSSR B i 100Ungarn H 76

Polen H 74

Ungarn

Bulgarien

Polen

UdSSR 1 4 7Rumänien • 44

Zum Vergleich: Bundesrepublik Deutschland

Weit hinter dem Standard des Westens zurückZuverlässige Statistiken darüber, wie es

den Menschen in den Staaten des Ost-blocks geht, wieviel sie verdienen, wievielsie dafür kaufen können (also wieviel ihr Geldwert ist), gibt es nicht. Wohl aber Statistiken,die indirekt über die materielle Lage derMenschen im Osten etwas aussagen.

So zum Beispiel die Kfz-Statistik. Von je1000 Bürgern der DDR haben immerhin über200 einen Pkw; damit ist die Ausstattung mitdiesem wichtigen Indikator privaten Wohl-stands halb so groß wie in der Bundesrepu-blik. In der Sowjetunion und in Bulgarien hatdas Privatauto dagegen noch Seltenheits-wert.

Bei der Telefonausstattung nimmt dieDDR einen bemerkenswert schlechten Platzein: Mit 102 Hauptanschlüssen je 1000 Ein-wohner liegt sie nur knapp vor der UdSSR(100 Anschlüsse).

Aber beim Fleisch verbrauch, der für geho-benen Nahrungsmittelkonsum kennzeich-nend ist, steht sie mit 97 Kilogramm je Ein-wohner wieder ganz oben; die Sowjetrussenmüssen sich mit 62,5 Kilogramm zufriedengeben, und zwar einschließlich Schlachtfett.Vermutlich steht es in Rumänien nochschlechter, aber für den Fleischverbrauch indiesem Land gibt es keine Zahlen.

(Globus)

Wie Hessen und Niedersachsen reagieren

Erste Pläne hier,wenig Konkretes dortIm hessischen Wirtschaftsmi-nisterium hat man zweigleisigauf die Ereignisse des Wochen-endes reagiert.

Einmal will man den hessi-schen Unternehmen helfen, dieDDR als neues Betätigungsfeldzu entdecken. Ministeriums-sprecher Thomas Pier meintegestern gegenüber unserer Zei-tung, man wolle Gesprächspart-ner in der DDR suchen und denUnternehmen anbieten. AuchBonner Politiker mit guten DDR-Kontakten hätten ihre Hilfe be-reits zugesagt.

Wegbereiter*

Wie schon in der Sowjetuni-on, als das Ministerium hessi-schen Unternehmen bei mehre-ren Besuchen in Moskau die Tü-ren zum UdSSR-Markt öffnete,möchte das Ministerium Weg-bereiter für Kooperationen sein.

Doch auch strukturpolitischdenkt man in Wiesbaden übergeeignete Maßnahmen nach:Denn betroffen von der Reise-welle sind vor allem der ost- undder nordhessische Raum. Hier,so Pier, sei mit erheblichen In-vestitionsschüben zu rechnen.

Gruppe tagt

Gestern tagte eine Arbeits-gruppe im Ministerium; sie wirdihre Ergebnisse heute vorstel-len. Eines ist für Wiesbaden lautPier jedoch klar: Die Zonen-randförderung dürfe jetzt erstrecht nicht angetastet werden,

weil man sie gerade jetzt für diestrukturschwachen Räume ander Grenze und die immensenAufwendungen zur Bewältigungdes Grenzverkehrs benötige.

Noch keine konkreten Anga-ben zu zukünftigen wirtschaftli-chen Kontakten zwischen Nie-dersachsen und der DDR konnteder Sprecher des Wirtschafts-ministeriums in Hannover, Hen-ning-Werner Schwarze, ma-chen.

Gute Kontakte

Er verwies auf die bereits inder Vergangenheit zustande ge-kommenen Beziehungen zwi-schen niedersächsischen Groß-unternehmen und der DDR-Wirtschaft. „Die guten Kontak-te, die beispielsweise die Salz-gitter AG und VW seit Jahrenpflegen, werden jetzt bestimmtweiter ausgebaut", gibt sichSchwarze optimistisch. Dar-überhinaus verfüge Nieder-sächsen über weitere Wirt-schaftszweige, die für die DDRvon großem Interesse sein könn-ten.

Noch zu früh

Noch sei es aber zu früh unddie Entwicklung in der DDR zujung, als daß bereits klare, ge-meinsame Wirtschaftsprojektemit dem Nachbarland ins Augegefaßt werden könnten: „Im Mo-ment ist die Situation eben nochetwas schwierig, was aber weni-ger an uns als vielmehr an derDDR liegt."

Was sagen die Experten der Parteien? Verschiedene Rezepte, aber:

Lösung des Devisenproblems ist das Gebot der StundeMaLan darf die DDR nicht hän-gen lassen, sie darf nicht ausblu-ten oder ausverkauft werden."Für den deutschlandpolitischenSprecher der SPD-Fraktion imBundestag, Heinz Büchler (Hof),ist die Lösung des Devisenpro-blems das Gebot der Stunde.Sein Vorschlag: DDR-Bürgermüßten beim Besuch in der Bun-desrepublik die Möglichkeit ha-ben, 500 DM zum Kurs 1:1 ein-tauschen zu können. Ohne dop-pelte Absicherung allerdings istdies nicht möglich, sieht Büchlerein. Denn: Die Bundesbank müß-te verpflichtet werden, die einge-tauschten Ostmark abzukaufen.Um die DDR-Notenbank nicht inVersuchung zu bringen, das De-

visenproblem angesichts des at-traktiven Umtauschkurses imWesten durch Betätigung der ei-genen Notenpresse zu lösen,müßte man laut Büchler auch dieDDR in diese Vereinbarung ein-binden.

Die DDR solle sich verpflich-ten, ihr Geld zurückzukaufen.Durch ein solches Zugeständniswürde man inflationsschürendesVerhalten der DDR-Notenbankverhindern. Büchler jedoch hatnoch mehr im Sinn: Am einfach-sten wäre es, wenn die DM in derDDR als Zweitwährung zugelas-sen werden würde. Die erstenAnsätze eines Ausverkaufs hatBüchler am Wochenende imgrenznahen Hof selbst miterlebt:

DDR-Besucher fragten gleich,wo man beispielsweise alte Uh-ren günstig verkaufen könnte.

Die Lösung des Parlamenta-riers: Die DDR müsse wirksameZollkontrollen entwickeln, diedie Ausfuhr profitträchtigerWare verhinderten. Gleichzeitigsollten die bundesdeutschenEinzelhandelsketten schnellst-möglichst mit den HO-Läden inder DDR zusammenarbeiten, da-mit die Versorgung der DDR-Be-völkerung mit Nahrungsmittelngesichert werden könne.

Für den deutschlandpoliti-schen Sprecher der FDP-Bun-destagesfraktion, Uwe Ronneb-urger (Tetenbüll, Schleswig-Holstein) kommt dagegen eine

Erhöhung des Begrüßungsgeldesnicht in Frage. Solche Gelderhätten immer den Anschein vonAlmosen und machten von da-her auch die DDR-Bürger einwenig verlegen. Stattdessenmüsse die DDR die Vorausset-zungen dafür schaffen, daß inihre Betriebe von westlicher Sei-te investiert werde. Das würdedann auch das Devisenproblemlösen. Je besser die Wirtschaftlaufe, desto höher steige derWert der DDR-Mark.

Für ein deutsch-deutschesReisewerk, das von „allen ge-sellschaftlich relevanten Grup-pen" beider deutscher Staatengetragen werden müßte, machensich die Grünen stark. Nach

Angaben der Abgeordneten Ka-ritas Hensel (Pfungstadt) solldieses Reisewerk über Kontenbei allen Banken verfügen.DDR-Bürger könnten hier ihrGeld im Verhältnis 1:3 tau-schen. An den Einlagen solltesich auch die Bundesregierungbeteiligen. Das Geld wäre durchStreichung anderer Posten(Häftlingsfreikauf, Begrüßungs-geld u.a.) aufzutreiben.

Keine Änderungen zum ge-genwärtigen Zustand erstrebtdie Union. Ihr deutschlandpoli-tischer Sprecher Eduard Lind-ner (Bad Kissingen) meinte, essei Sache der DDR-Führung,ihre Bürger mit Devisen auszu-statten.

Page 24: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 266 Stadt Kassel Dienstag, 14. November 1989

Kassel (f). Was viele Kasselermit Empörung quittierten, dieTatsache nämlich, daß die mei-sten Geschäfte in der Stadt amSonntag trotz der unzähligenDDR-Besucher geschlossenblieben, hat jetzt beim nordhes-sischen Verband der Einzel-händler zu hektischen Reaktio-nen geführt.

Nachdem die erste Chanceverpaßt wurde, will der Ver-band nun durchstarten. An denkommenden Wochenenden, soder der Vorsitzende Dr. KarlSchumann, sollen die Geschäftejeweils samstags bis 16 Uhr undauch an den Sonntagen zwi-schen 11 und 16 Uhr geöffnetbleiben.

Dieser Appell schließe auchGeschäfte ein, die keinen zu-sätzlichen Umsatz zu erwartenhätten, wie Juweliere oderPelzgeschäfte. Viele DDR-Gä-ste wollten „einfach einmal guk-ken", und diese Möglichkeitsolle ihnen gegeben werden, soSchumann.

Einzelhandel macht Zusagen ftir Wochenenden

Nach Kritik: Läden länger offenMit dem Beschluß, der von

allen Mitgliedern akzeptiertworden sei, wolle man den Be-suchern aus der DDR auch de-monstrieren, „was eine Markt-wirtschaft kann, und was einePlanwirtschaft nicht kann".

Bitte um Verständnis

Schumann betonte gesterngegenüber der Presse, die Ent-täuschung über die geschlosse-nen Geschäfte sei verständlich.Gleichzeitig bat er jedoch umVerständnis für die Einzel-händler, die erst im Laufe desSamstagvormittags erfahrenhätten, daß sie ihre Geschäfteam Samstag länger und auch am

Sonntag offenhalten konnten.Dies sei zu kurzfristig gewesen,zumal die Meldung ausschließ-lich über den Rundfunk ver-breitet worden sei und vieledeshalb überhaupt keineKenntnis davon erhalten hät-ten.

Zudem sei nicht etwa das La-denschlußgesetz außer Kraftgesetzt worden, sondern ledig-lich eine Anweisung der Lan-desregierung an die Ordnungs-ämter ergangen, die zusätzli-chen Ladenöffnungen zu dul-den. Dies ändere jedoch nichtsdaran, daß man die öffentlicheKritik, sich nicht flexibel genuggezeigt zu haben, akzeptierenmüsse, räumte GeschäftsführerEdgar Donath ein.

Befremdet über die Absichtder Einzelhändler, nun auf ein-mal auch die Sonntage zumVerkaufstag zu machen, äußer-te die Fachsekretärin für denEinzelhandel der GewerkschaftHandel, Banken und Verkehr(HBV), Erika Preuß. Dafür gebees keine gesetzliche Grundlage.Zum einen berate die HessischeLandesregierung erst heuteüber die weitere Handhabungder Ladenöffnungszeiten, imübrigen seien die Beschäftigtendes Handels nicht unbegrenztbelastbar.

Sie hätten sich zwar amSamstag spontan bereiterklärt,die DDR-Bürger auch über ihrenormale Arbeitszeit hinaus zubedienen und dies mit großer

Herzlichkeit getan, doch dürfedieses Engagement von denHändlern nicht dazu ausge-nutzt werden, auf diese Weisedas Ladenschlußgesetz ganzauszuhebein und das ganz nor-

• male Weihnachtsgeschäft aufsieben Tage auszudehnen.

Im Dezember kämen vier lan-ge Samstage; angesichts derdauerhaft offenen Grenze bietedies den DDR-Besuchern genü-gend Gelegenheit einzukaufen.Erika-Preuß: „Das werden dieDDR-Besucher auch akzeptie-ren." Über mögliche zusätzlichelange Samstage werde man mitden Betriebsräten reden, wennsich die Landesregierung ent-schieden habe.

Inzwischen erklärte eines derKasseler Kaufhäuser, die amSonntag geschlossen hatten,man habe mit dem Betriebsratvereinbart, am kommendenSamstag bis 16 Uhr und aucham Sonntag von 11 bis 16 Uhrzu öffnen.

Am Tag nach dem Ansturm

Trabbis gehörenjetzt schon dazu

Kassel (f). Der erste große Ansturm ist vorüber, unddennoch versiegte auch gestern der Strom an Besuchernaus der DDR nicht. Schon hat man sich an die Trabbis undWartburgs in unserem Straßenbild gewöhnt.

Auf dem Parkplatz am Fried-richsplatz, in der Leipziger Stra-ße und an vielen Plätzen derStadt waren sie zu sehen, teilsals „Nachzügler" des ersten gro-ßen Reise Wochenendes, teilsaber auch eben angereist undmit den gleichen überschweng-lichen Gefühlen wie ihre Lands-leute in den Tagen zuvor.

Die jetzt neu Angekommen-enen erlebten dabei eher dieNormalität des Kasseler Alltagsals die Wochenendbesucher,vor allem aber fanden sie offeneGeschäfte vor.

Einer, der sich in aller Frühemit seiner Frau und dem wenigeWochen alten Baby aus einemDorf bei Dresden auf den Weggemacht hatte, fand diese Nor-malität schon erstaunlich genug.„In einem Geschäft wollte icheinen Ölradiator kaufen", be-richtete er. Der Verkäufer hatteihm gesagt, er habe ihn momen-tan nicht vorrätig, er solle inzwei Stunden wiederkommen.„Bei uns hätte das mindestensein halbes Jahr gedauert" - eineErfahrung, die ihm sichtlich zu-setzte.

Kontakte zu „verschollenen"Verwandten werden nach undnach wieder geknüpft. Ein jun-ger Mann suchte verzweifelteine bestimmte Straße, von derer wußte, daß dort einmal Ver-wandte wohnten, mehr Informa-tionen hatte er nicht - jahrelanghatte man nichts mehr vonein-ander gehört.

Spontane Hilfsangebote

Zahllose spontane Hilfsange-bote von Kasseler Bürgern führ-ten in den vergangenen Tagenjedoch zu neuen Kontakten zu-hauf. 214 Übernachtungen beiKasseler Familien waren alleinam Wochenende beim Info-Busder Kasseler Feuerwehr amHauptbahnhof, der Anlaufstellefür viele DDR-Besucher, vermit-telt worden. Gestern nachmittaghatten bereits wieder 67 Bürger199 Betten angeboten, die ersten20 Gäste waren sofort vermitteltworden.

Aber auch ohne Vermittlungdurch Organisationen kam es zuzahlreichen Begegnungen, sei esprivat mit einer Einladung zumÜbernachten oder zu einemGlas Bier, sei es bei verschiede-nen Institutionen. Allein imPresse+Druckzentrum derHNA konnten am Sonntag rund400 Besucher begrüßt werden.Werkstätten reparierten Trab-bis, ein Kasseler lotste zweiPulks von DDR-lern nach Hann.Münden, weil dort die Geschäf-te offen hatten.

Bilanz zu ziehen und gleich-zeitig den Blick nach vorn zurichten, damit waren gesternauch die Verantwortlichen derStadt und zahlreicher Organisa-

toren beschäftigt. Während Re-gierungspräsident Ernst Wilkegestern von knapp 13,5 Millio-nen Mark für den Regierungsbe-zirk sprach, die am Wochenen-de als Begrüßungsgeld an dieGäste von drüben ausgezahltwurden, kam der Leiter der Ko-ordinationsstelle des KasselerMagistrats, Klaus Angermann,für die Stadt Kassel auf eineSumme von rund 1,7 MillionenMark, die 270 000 Mark bereitseingerechnet, die auf die rund2700 Neuankömmlinge bisMontag abend entfielen. Anger-mann: „Ein paarmal wurde esknapp mit dem Geld, aber wirhaben immer wieder welchesbeschafft."

Abschlag beantragt

Das Begrüßungsgeld, das vomBund bezahlt wird, mußte aller-dings von der Stadt über kurz-fristige Bankkredite vorge-schossen werden. Regierungs-präsident Wilke kündigte an, erwolle beim Bund eine Ab-schlagszahlung von 26 Millio-nen Mark beantragen, um fürdas kommende Wochenende ge-rüstet zu sein.

Inzwischen bemüht sich dieStadt um eine Regelung ähnlichder in Berlin, wo die Auszah-lung des Begrüßungsgeldes denBanken übertragen wurde.Auch Verkehrsprobleme könn-ten dadurch reduziert werden,etwa wenn die DDR-Bürger ihrGeld bereits bei Bankfilialen imKasseler Osten in Empfang neh-men könnten. Die Stadt hat sichbereiterklärt, bei der Auszah-lung mit städtischen Bedienste-ten auszuhelfen. Eine Entschei-dung darüber soll heute fallen.

Ebenfalls für heute vormittagwurde von der Stadt ein Ge-spräch mit Vertretern verschie-dener Ämter sowie mit Vertre-tern des Landkreises angesetzt,um über das weitere Vorgehenzu beraten. Dazu gehört lautAngermann, daß am nächstenWochenende auch „Kultur indie Stadt kommt"; Musik undAktionen, woran es am vergan-genen Wochenende noch ge-fehlt habe. Im Gespräch sindauch kostenlose Stadtrundfahr-ten.

„Wir kommen wieder"

Möglichkeiten einer verbes-serten Verkehrslenkung bei derAn- und Abreise sollen eben-falls diskutiert werden. AproposAbreise: Nur ein verschwin-dend kleiner Teil der Besucheraus der DDR hat sich entschie-den, hierzubleiben. Nach Schät-zungen der Feuerwehr und derStadt handelte es sich um etwa 20Personen. Die anderen, die zu-rückkehrten, taten es unter demMotto: „Wir kommen wieder."

ANSTURM der DDR-Gäste auf die zu Hause oft entbehrten Obststände. Vorübergehend wurde dieBundesrepublik so zur „Bananenrepublik". (Fotos: Herzog)

ANSTELLEN: Den ersten Platz in der Kolonne räumten die Taxifahrer am Hauptbahnhof einemKollegen aus der DDR ein, der mit seinem Wartburg zu Besuch gekommen war.

Sonntag in der City

Das Arbeitenwurde zum Fest

Kassel (f). Es war am Sonntag-morgen ein paar Minuten nachneun. Karl-Heinz Wagner, Fili-alleiter eines Schuhgeschäfts inder Kasseler Innenstadt, sah dievielen DDR-Besucher „mit trau-rigem Gesicht" vor den Schau-fenstern der verschlossen Ge-schäfte stehen. Spontan ent-schloß er sich, zunächst allein,den Laden aufzumachen, nichtweil er damit rechnete, die Gä-ste aus der DDR würden in Mas-sen Schuhe kaufen wollen, son-dern um ihnen Gelegenheit zugeben, sich,einfach mal im Ge-schäft umzusehen.

Enormer Andrang

Daß er mit seiner Entschei-dung richtig lag, nicht aber mitder Vermutung, es werde nichtsgekauft, stellte sich bald heraus:„Die Leute sagten sich, wenn ichsonst nichts kaufen kann, danneben Schuhe". Schon bald kames zu seltsamen Situationen.„Passen Sie doch bitte auf dieKasse auf, ich muß mal eben insLager", bat er die Kundschaft„von drüben", als der Andrangimmer größer wurde. Wievielees am Ende tatsächlich waren,die in sein' Geschäft strömten -er weiß es nicht. „Tausende",schätzt er.

Schon bald mußte er um Ver-stärkung nachsuchen - und diekam. „Alle Verkäuferinnen, dieich anrief, erklärten sich sofortbereit, auszuhelfen." Die allge-meine Euphorie hatte alle erfaßt,selbst das Arbeiten wurde zumFest. Klar, es wurde schließlichguter Umsatz gemacht, wieWagner bestätigt. Doch im Vor-dergrund stand, wie er betont,das Bemühen, die Menschen ausder DDR einfach willkommen zuheißen, sie nicht auf der Straßestehen zu lassen.

Ärger am Nachmittag

Eine Situation fast wie imMärchen, eitel Freude - zu-nächst. Was danach kam, hatWagner allerdings gründlichgeärgert. „Am Nachmittag, alsdie Kasseler ausgeschlafen hat-ten, kamen dann immer mehrEinheimische, um einzukaufen",erzählt Wagner. Und diese Kun-den, die ihre Besorgungen dochauch zu anderen Zeiten erledi-gen können, hätten sich dann„nobel bedienen lassen".

Vielen sei es schlicht egal ge-wesen, daß die Verkäuferinnendem Ansturm sowieso schonkaum gewachsen waren. Unge-rührt hätten sie sich immer wierder andere Schuhe aus dem La-ger holen lassen. „Da war derLaden voll, und die Verkäufe-rinnen mußten laufen, nur umdiese Leute zufriedenzustellen",regt sich Wagner auf. Die Ge-sichter der anfangs trotz dergroßen Belastung gutgelauntenVerkäuferinnen seien schließ-lich immer länger geworden.

Schockierender Kontrast

Der Kontrast zwischen denstaunenden, dankbaren undhöflichen Besuchern und denEinheimischen, die mit der Atti-tüde des verwöhnten Kundenautraten, hat die Leute imSchuhgeschäft schockiert. Unddennoch, als das Geschäft um16 Uhr geschlossen wurde,empfanden sie diesen Sonntagals etwas ganz Besonderes. Beieinem gemeinsamen Abendes-sen - „wir waren naßgeschwitztund hatten seit dem Frühstücknichts gegessen" - ließen sie dasErlebte Revue passieren, Chro-nik eines Feier-Tages.

Kassel (hei). Ein Dank denfreiwilligen Helferinnen undHelfern, die sich in den vergan-genen Tagen bereit fanden,Tausende von Besuchern ausder DDR in Kassel zu betreuenund zu versorgen. Die meistender über 100 ehrenamtlichenMitarbeiter des Deutschen Ro-ten Kreuzes seien am Wochen-ende über Gebühr belastetworden und hätten vielfach nurwenige Stunden schlafen kön-nen, hob gestern der Vorsitzen-de des Kasseler DRK, WolfgangSchäfer hervor.

Am Wochenende

Freiwillige Helfer„über Gebühr" belastet

Dieser engagierte Einsatz amzurückliegenden Wochenendehabe bewiesen, wie notwendiges sei, daß sich Menschen abge-sehen von Spenden persönlicheinsetzen, sagte Schäfer und

verband damit die Bitte anFrauen und Männer, sich eben-falls zu einer ehrenamtlichenHilfstätigkeit bereitzufinden.Die Gemeinschaft sei gefordert,etwas zu tun.

Die Bilanz des Arbeiter-Sa-mariter-Bundes in Kassel istnicht weniger beeindruckend.Über 60 Helferinnen und Helferboten einen durchgehendenHilfsdienst an, verzichteten aufihre Freizeit, leisteten über1000 Arbeitsstunden und ga-ben rund 1500 Essensportionenaus. Gar nicht zu reden vonTausenden von Litern kalterund warmer .Getränke, die anden verschiedenen eilig errich-teten Stationen in unserenLandsleuten dankbare Abneh-mer fanden.

Page 25: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

HESSISCHE KASSEL1 P 3713 A

ALLGEMEINEHESSISCHE/NIEDERSÄCHSISCHE

ALLGEMEINEPreis 1,10 DM

KASSELER ZEITUNG

Nr. 267 • Mittwoch, 15.11.1989

NICHT PARTEIGEBUNDEN

Ruf (05 61) 203-0 • Anzeigen 203-3

Schienbeinbruch

Müllerfällt aus

Hiobsbotschaft fürFußball-ZweitligistKSV Hessen: Ab-wehrspieler JörgMüller (31) erlitt ge-stern nachmittag imTraining bei einemZweikampf einenSchienbeinbruch undfällt für die restlichensechs Spiele diesesJahres aus. SieheSport.

Gegen Wales

Reuterdabei

Die deutsche Fuß-ball-Nationalmann-schaft wird heuteabend in Köln dasentscheidende WM-Qualifikationsspielgegen Wales mit demMünchener StefanReuter bestreiten.Auf der Reservebanksitzt somit wieder der„Römer" ThomasBerthold. Siehe Sport.

Bücher/DDR

Alles fürdie Leser

Ins Buchangebotder DDR-Verlagewerden in absehbarerZeit nach Überzeu-gung des Schriftstel-lers Stephan Hermlinprinzipiell alle Auto-ren gelangen: Die ei-genen bisher verbote-nen, die in den We-sten übergesiedeltenund die bundesdeut-schen. Siehe Kultur.

Renten-Serie

HeuteAbschluß

In der vergangenenWoche verabschie-dete der DeutscheBundestag in Bonndie Reformgesetzezur Alterssicherung.Das Reformwerk trittzum großen Teil zum1. Januar 1992 inKraft. Nähere Einzel-heiten (letzter Teil)dazu auf der Wirt-schaftsseite.

Trabi-Fahrer

Klappernbeachten!

Trabis sind lautHersteller wirtschaft-lich, robust undschnell. PraxisnaherHinweis im War-tungsbuch des Autosfür Fahrer: Auf Klap-pern achten. Wenn esplötzlich unter derMotorhaube poltert,ist die Lichtmaschineverlorengegangen.„Blick in die Zeit".

Kohl-Reise / Jnterpretationsprobleme'

DAS EHEMALIGE KZ AUSCHWITZ besuchte Bun- An diesen Zeremonien nahinen auch der Vorsit-deskanzler Kohl gestern am letzten Besuchstag inPolen. Er legte Blumen an der Todesmauer imStammlager und am internationalen Denkmal imehemaligen Vernichtungslager Birkenau nieder.

zende des Zentralrats der Juden in Deutschland,Heinz Galinski (Mitte), und 'der Rabbiner vonWarschau, Menachem Joskowicz, teil.

(dpa-Funkbild)

Ostberliner DRK: Aufnahmelager mit bis zu 10000 Plätzen

DDR erwartet jetzt RückkehrerBerlin/Hamburg (dpa/AP). Das

Rote Kreuz der DDR richtet sichauf bis zu 10 000 Menschen ein,die ihre Übersiedlung in dieBundesrepublik wieder rück-gängig machen und in die DDRzurückkehren wollen.

Das Präsidium des DDR-Ro-ten Kreuzes teilte im SED-Zen-tr'alorgan „Neues Deutschland"am Dienstag mit, es richte jetztAufnahmelager für ehemaligeBürger ein, die zurückkehren.Es sei daran gedacht, eventuellauch" Kasernen der NationalenVolksarmee dafür zur Verfü-gung zu stellen.

Interessant in diesem Zusam-menhang ist eine neue Anord-nung des DDR-Finanzministe-riums: Das Vermögen ehemali-

ger DDR-Bürger wird nichtmehr beschlagnahmt. ..

Wenige Tage nach Öffnungder innerdeutschen Grenzenscheint der deutsch-deutscheBesuchsverkehr schon einStück Normalität zu werden. InBerlin wurden am Dienstag wie-der zwei neue Übergänge eröff-net, nun stehen insgesamt 22Passierstellen in der geteiltenStadt zur Verfügung.

An den innerdeutschen Gren-zen riß der Strom von Besuchernzu Fuß, per Bahn oder Autpnicht ab. Das Bundesinnenmini-sterium zählte - ohne Berlin -am Dienstag allein innerhalbvon zehn Stunden 183 500DDR-Reisende. Bundesinnen-minister Schäuble (CDU) be-

richtete der Unionsfraktion inBonn, daß seit Samstag morgeninnerhalb von drei Tagen mehrals 1,5 Millionen DDR-Besucherim Bundesgebiet waren. Behör-den und Polizei rechnen amkommenden Wochenende er-neut mit einem Millionen-An-drang. Die DDR hat laut DDR-Nachrichtenagentur ADN bis-lang 5,7 Millionen Visa für Pri-vatreisen ausgestellt und 11 754Ausreiseanträge genehmigt.

Verringert hat sich die Zahlder DDR-Bürger, die in der Bun-desrepublik bleiben wollen.Nach Angaben Bonns kamen biszum Mittag 1364 Neubürger.Nur fünf wählten den Weg überdie CSSR, kein einziger überUngarn.

Erlaubnis in vier Ländern Begrüßungsgeld / Um 479 Millionen

Läden länger offen Bonn stockt Mittel aufBerlin (AP). Der seit Wochen heißumkämpfte

Ladenschluß gerät unter dem Ansturm der Mas-sen von DDR-Besuchern ins Wanken: Berlin,Hamburg, Hessen und Niedersachsen kündigtengestern verlängerte Öffnungszeiten an. Dagegenlaufen die Gewerkschaft Handel, Banken undVersicherungen (HBV) und die Deutsche Ange-stellten-Gewerkschaft allerdings Sturm: Nachübereinstimmender Meinung der WestberlinerLandesverbände hat die Belastung der Ange-stellten bereits ein Ausmaß erreicht, das nichtmehr zu verkraften sei. In Hessen dürfen dieGeschäfte bis zum 23. Dezember sonntags von 11bis 16 Uhr geöffnet sein, an den beiden restlichenSamstagen im November bis 17 Uhr. Die Erlaub-nis gilt nicht für Büß- und Bettag. VerlängertenÖffnungszeiten muß immer der Betriebsrat zu-stimmen. Ähnliche Regelungen gelten für Nie-dersachsen.

Bonn (dpa). Wegen der hohen Besucherzahlenaus der DDR ist das in diesem Jahr mit 300Millionen DM eingeplante Begrüßungsgeld um479 Millionen erhöht worden. Das teilte die Bun-desministerin für innerdeutsche Beziehungen,Wilms (CDU), am Dienstag abend mit. AllenBanken und Sparkassen, die diese Hilfe von 100DM an die Besucher aus der DDR ausgezahlthaben und noch auszahlen, würden die Gebüh-ren und Zinsverluste erstattet. Im übrigen wurdefestgelegt, daß von heute an das Begrüßungsgelddurch alle Postämter im Bundesgebiet und inBerlin ausgezahlt wird. Dies soll vor allem dieBerliner Banken entlasten. Diese zahlen nurnoch bis einschließlich Samstag Begrüßungsgeldaus, um den normalen Kundenverkehr nichtnoch weiter zu beeinträchtigen. Die BerlinerKreditinstitute haben seit Freitag rund 150 Mil-lionen DM an DDR-Bürger ausgegeben.

Polen siehtGrenzfrage gelöst

Warschau (dpa/AP). Durch die gestern von Bundeskanz-ler Kohl und Ministerpräsident Mazowiecki unterzeichnetedeutsch-polnische Erklärung sieht Warschau die Frage derOder-Neiße-Grenze als gelöst an.

Auf einer gemeinsamen Pres-sekonferenz sagte Mazowieckiin der polnischen Hauptstadt:„Die Grenzfrage als solche be-steht nicht. Es gibt nur das Pro-blem irgendwelcher eventuellerInterpretationen". In der Erklä-rung, die nach den WortenKohls ein „Kursbuch" für dieZusammenarbeit ist, haben bei-de Seiteij mit einem detailliertenMaßnahmenkatalog den Wegfür ihre künftige engere Zusam-menarbeit freigemacht.

Darin bekräftigen beide Län-der den Warschauer Vertragvon 1970 und bekennen, daß„die Unverletzlichkeit derGrenzen und die Achtung derterritorialen Integrität und derSouveränität aller Staaten inEuropa in ihren gegenwärtigenGrenzen eine grundlegende Be-dingung für den Frieden sind".Kohl bekräftigte auf entspre-chende Fragen seinen Stand-punkt, daß er nur für die Bun-desrepublik sprechen könne.

In der 20 Seiten-Erklärungwird die Hilfe der Bundesrepu-blik zur wirtschaftlichen Gesun-dung Polens beschrieben. DieZusage für Hermes-Kreditbürg-schaften in Höhe von drei Milli-arden DM ist nicht in dem Do-

kument festgeschrieben, son-dern in einem Brief Kohls, dender Kanzler dem polnischen Mi-nisterpräsidenten übergebenhat.

Weitreichend sind die polni-schen Zusagen zum Schutz derdeutschen Minderheit. Sie darfkünftig Vereine bilden, ihreSprache und Tradition pflegen,Büchereien und eigene Medienschaffen und erhält dafür Unter-stützung der Bundesrepublik. Inallen Landesteilen Polens sollDeutsch als Fremdsprache inSchulen angeboten werden.

Gespräch mit Schlesiern

Zwölf Vertreter der deut-schen Minderheit aus Schlesienwies Kohl gestern auf die Chan-cen hin, die sich für sie aus derwenige Stunden vorher unter-zeichneten gemeinsamen Erklä-rung ergeben. Die Deutschenhatten vor allem um Deutsch-lehrer gebeten, denn es seiwichtig, daß die Kinder in denSchulen schon möglichst frühDeutsch lernen.Fortsetzung nächste SeiteSiehe auch „Zum Tage"und „Themen des Tages"

Wirtschaftshilfe für DDR nach Reformen

Haussmann legt6-Punkte-Katalog vor

Bonn/Berlin (AP/dpa). Bun-desregierung und Industrie ha-ben der DDR bei konsequenterFortsetzung ihrer Reformpolitikumfassende Wirtschaftshilfen inAussicht gestellt. Bundeswirt-schaftsminister Haussmannschlug Ost-Berlin gestern einenSechs-Punkte-Katalog zur För-derung von Privatbetrieben inder DDR, Investitionen bundes-deutscher Firmen sowie Ge-meinschaftsunternehmen vor.

In einer in Bonn veröffentlich-ten Erklärung forderte Hauss-mann, der sich in Tokio aufhält,die DDR zur möglichst baldigen„Entrümpelung" der Bestim-mungen auf, die die Wirt-schaftsbeziehungen zwischenbeiden deutschen Staaten bishernoch behindern. Dann könntedie Bereitstellung von Geld,Sachleistungen und technologi-

schem Wissen maßgeblich zu ei-ner „wirtschaftlichen Aufbruch-stimmung" in der DDR beitra-gen. Bedingung seien aber „ge-sellschaftliche und wirtschaftli-che Reformen". Ähnlich äußertesich Bundesfinanzminister Wai-gel (CSU).

Auch der Präsident des Deut-schen Industrie- und Handelsta-ges, Suhl, meinte, die DDR müs-se erst einmal ihre Vorstellun-gen für eine Wirtschaftsreformformulieren, „bevor wir uns hierdie Köpfe zerbrechen". Der Bun-desverband der Deutschen In-dustrie wandte sich gegen einewirtschaftliche Bevormundungder DDR und gegen jedes über-triebene Engagement, das in derDDR die Angst vor einem Aus-verkauf schüren könnte.Fortsetzung nächste SeiteSiehe auch Wirtschaft

Zum Tage

Bilanz positivLJie Polen-Reise des Bundeskanz-lers hatte ein denkwürdiges Ereig-nis werden sollen. Alle Mißver-ständnisse schienen ausgeräumt,die Vereinbarungen sorgfältig vor-bereitet, der Zeitpunkt günstig ge-wählt. Daß dem Neubeginn derdeutsch-polnischen Beziehungendennoch kein überragendes Echobeschieden war, lag weder an Hel-mut Kohl noch an seinen polni-schen Gastgebern. Beide wurdenvon den deutsch-deutschen Ver-änderungen überrascht, wennnicht überrollt.

Der Kanzler mußte seinen Be-such unterbrechen, um in Berlinund Bonn präsent zu sein. SeineGesprächspartner in Warschau sa-hen sich vor eine ganz neue Situa-tion gestellt. Das mögliche Zusam-menrücken der beiden deutschenStaaten machte sie in der Grenz-frage noch sensibler als zuvor. Da-her konnten sie sich mit der Aner-kennung durch die Bundesrepubliknicht zufriedengeben. Eine Bin-dungswirkung für die Zukunft woll-te der Kanzler wiederum nur indi-rekt versprechen. Im Rahmen einereuropäischen Friedensordnungsollen die Grenzen unantastbarsein. Was aber das Selbstbestim-mungsrecht der Deutschen dannnoch bewirken könnte, ließ Kohloffen. So bleibt im „Kursbuch" derdeutsch-polnischen Versöhnungleider immer noch ein Rest vonUndeutlichkeit zurück.

Dagegen gelang es dem Bun-deskanzler, die Furcht der Polenvor einer Konkurrenz der DDR inder Wirtschaftshilfe zu zerstreuen.Das Kreditvolumen, mit dem Bonnden polnischen Reformprozeß un-terstützen will, soll durch diedeutsch-deutsche Annäherungnicht beeinträchtigt werden. Insge-samt kann der Kanzler mit der Bi-lanz seines Besuchs trotz allerSchwierigkeiten zufrieden sein.

Achim v. Roos

SED / Neue Verfassung?

Maleuda gegenFührungsrolle

Berlin (dpa). Der neue DDR-Volkskammer-Präsident Gün-ther Maleuda, der der Bauern-partei angehört, unterstützt eineÄnderung des Artikels 1 derDDR-Verfassung über die füh-rende Rolle der kommunisti-schen SED. Dies meldete amDienstag die DDR-Nachrichten-agentur ADN, ohne Einzelhei-ten mitzuteilen.

Auf einer Vorstandstagungder Bauernpartei sagte Maleu-da, seine Partei müsse zu einerin allen Fragen souveränen Par-tei werden, die Regierungsver-antwortung übernehme und inallen Leitungsgremien maßgeb-lich vertreten ist.

Der Führungsanspruch derSED soll in der neuen Satzungdes DDR-Gewerkschaftsbundesnicht mehr enthalten sein. Dieskündigte die neue FDGB-Vor-sitzende Kimmel an.

Gestern abend begannen be-reits erste Koalitionsgesprächeder DDR-Blockparteien. Derneugewählte MinisterpräsidentModrow (SED) legte seine Kon-zeptionen vor.

Kabinettsbeschluß

Niedersachsenwählt am 13.5.

Hannover (dpa). In Nieder-sachsen wird am 13. Mai 1990ein neues Landesparlament ge-wählt - zeitgleich mit der Land-tagswahl in Nordrhein-Westfa-len. Diesen Termin beschloß dasKabinett in Hannover.

Page 26: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 267 Politik Mittwoch, 15. November 1989

Namen undNachrichten

Bahro will zurückDer 1977 aus der SED ausge-schlossene und1979 in dieBundesrepu-blik übergesie-delte RudolfBahro will indie DDR zu-rückkehren.Dies erklärte ergestern imARD-Fernseh-magazin „Re-port". SeineRückkehrab-sicht begründete Bahro damit,daß es jetzt darum gehe, „dasandere Fundament der DDR zubewahren und eine ökologischeWende herbeizuführen".

Zwei BrandanschlägeDie „Revolutionäre Zellen" (RZ)haben sich zu Brandanschlägenauf Behörden in Köln und Ham-burg bekannt, durch die sie ge-gen die Behandlung von Romaund Sinti protestierten. In derNacht zum Dienstag stiegen siein die Hamburger Sozialbehördeein und legten Feuer. An eineWand sprühten sie „RZ wg.Roma". Ein ähnlicher Anschlagam Sonntag auf eine Kölner Be-treuungsstelle für Roma undSinti geht ebenfalls auf das Kon-to der „RZ". In Hamburg wirdseit längerem um ein Bleiberechtfür Roma und Sinti gestritten.

SEW-Spitze tritt abDie Führungsspitze der SEW,des Westberliner Ablegers derSED, ist zurückgetreten. Auf ei-ner außerordentlichen Partei-vorstandstagung sagte der am-tierende SEW-VorsitzendeDietmar Ahrens, ohne diesenSchritt entstünden ungerecht-fertigte Spannungen in der Par-tei. Die Vorstandstagung wareinberufen worden, um über dieneue Situation in der Partei, diedurch die Entwicklung in derDDR entstand, zu diskutieren.Auch die Reformkräfte der DKPfordern von ihrer Führung un-mittelbare Konsequenzen ausdem Umbruch in der DDR.

Wechmar „Raucher 89"Die „Erste Raucher Lobby" hat

jdenFDP-Politi-I ker RüdigerIvon Wechmar]zum „Raucher1 des Jahres

1989" gekürt.s W i e d i e O r § a -nisation mitteil-

1 te, bekenne[sich der Euro-I pa-Parlamenta-Irier zu seinemRauchgenuß

'mit den Wor-ten: „Ich rauche gern und lasseauch Nichtraucher gewähren".

Honecker weiter krankDer frühere DDR-Staats- undParteichefErich Honeckerist nach seinerGallenoperati-on vor drei Mo-naten gesund-heitlich stärkerangeschlagen,als bislang offi-ziell einge-räumt wurde.Dies teilte seineFrau, die frühe-re Volksbil-dungsministerin Margot Ho-necker, der DDR-Zeitung „Jun-ge Welt" mit. Er befinde sichnicht im Krankenhaus, werde zuHause aber medizinisch betreut.

Späte EvakuierungErst jetzt, dreieinhalb Jahrenach dem Reaktorunglück vonTschernobyl, soll die Bevölke-rung von weiteren 526 ver-strahlten Dörfern umgesiedeltwerden. Seit mehr als einemJahr fordern Bewohner der Ge-biete Mogiljow und Gomel eineEvakuierung, da sie ihre Äckerwegen der Verseuchung nichtbewirtschaften können.

Frist für Trabis läuft ab660 von DDR-Übersiedlern inUngarn zurückgelassene Autoswerden verkauft, wenn sie biszum 20. November nicht überden ungarischen Automobil-Club in die Bundesrepubliküberführt worden sind. Die Ein-nahmen können sich die recht-mäßigen Eigentümer abholen.

Namibia CSU-Vize / Kandidatur Negativliste verschoben

Swapo verfehltWahlziel

Zimmermann Naturheilmitteltritt nicht an werden bezahlt

Windhuk (dpa). Bei der Wahleiner verfassungsgebendenVersammlung in Namibia hatdie UnabhängigkeitsbewegungSwapo ihr Ziel verfehlt: sie er-rang 41 der 72 Mandate und istdamit auf die Unterstützung vonsieben anderen Mitgliedern derVersammlung angewiesen, umbei der Verabschiedung einerVerfassung für ein unabhängi-ges Namibia die notwendigeZweidrittel-Mehrheit zu errei-chen.

Der Sprecher der südafrikani-schen Verwaltungsmacht, Ger-hard Roux, gab am Dienstagabend das endgültige Ergebnisbekannt. Danach wurde die pro-westliche Demokratische Turn-hallen-Allianz (DTA)mit 21 Sit-zen zweitstärkste Partei. Es fol-gen die linksnationale UnitedDemokratie Front (UDF) mit vierund die von Weißen gebildeteAktion Christlich-National(ACN) mit drei Sitzen. Drei an-dere Parteien, die linksstehendeNational Patriotic Front (NPF),die von Mischlingen beherrsch-te Federal Convention of Nami-bia (FCN) und die der politi-schen Mitte zugerechnete Na-mibia National Front (NNF) er-rangen je ein Mandat.

München/Landshut (dpa).Bundesver-kehrsministerZimmermannwird auf demCSU-Parteitagam Samstagnicht mehr alsstellvertreten-der CSU-Vor-sitzender kan-didieren. Nach-dem Zimmer-mann am Vor-abend bei der

Nominierung des CSU-Direkt-kandidaten für die Bundestags-wahl 1990 in seinem bisherigenWahlkreis Landshut-Kelheimüberraschend deutlich geschei-tert war, bestätigten am Dienstagsowohl Parteichef Waigel alsauch Generalsekretär Huber,der 64jährige werde nicht wiederals CSU-Vize antreten. Waigelerklärte, er gehe davon aus, daßZimmermann „als Verkehrsmi-nister seinen Aufgaben mit vol-ler Kraft nachkommen wird."

Für den Posten des CSU-Vizebewirbt sich - voraussichtlichals einziger Kandidat - der Chefder CSU-Fraktion im bayeri-schen Landtag, Glück (49).Siehe auch Kommentar

Bonn (dpa). Die meisten Na-turheilmittel sollen auch weiter-hin von den Krankenkassen be-zahlt werden. Sie werden nachAngaben des FDP-Bundestags-abgeordneten Cronenberg nichtauf der von Bundesarbeitsmini-ster Blüm (CDU) geplanten Ne-gativliste stehen. Diese Liste,die bestimmte Arzneimittel vonder Erstattung durch die Kran-kenkassen ausschließt, werdeaußerdem erst zum 1. Juli 1991in Kraft treten und damit umeineinhalb Jahre verschoben,teilte Cronenberg am Dienstagin Bonn mit.

Cronenberg begrüßte dieseEntscheidung Blüms. Damitwerde den Arzneimittelherstel-lern und den Ärzten Gelegen-heit gegeben, sich auf die neuenVorschriften langfristig einzu-stellen. Bei Naturheilmittelnsoll die Begrenzung auf sechsWirkstoffe in einem Präparatwegfallen.

Andere Arzneimittel mit nichterforderlichen Bestandteilenoder nicht nachgewiesenem the-rapeutischen Nutzen sowieKombinationspräparate derSchulmedizin mit mehr als dreiWirkstoffen sollen allerdingsauf der Negativliste bleiben.

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IN BESTER STIMMUNG verlief ein Treffen zwi- gen Besuch in den Vereinigten Staaten aufhält,sehen US-Präsident Bush und dem Chef der pol- wurde wegen seiner Verdienste um die Demokra-nischen Gewerkschaft Solidarität, Walesa, im tie in Polen von Bush mit dem höchsten zivilenWeißen Haus in Washington; links Barbara Bush. Orden der USA, der Freiheitsmedaille, ausge-Walesa, der sich seit Montag zu einem mehrtägi- zeichnet. (dpa-Funkbild)

In Ostberlin abgelöst Armee / „Dritte Söhne" Westliches Ausland

Schabowski Freistellungin Regierung? wieder möglich

Berlin (dpa). Neuer SED-Be-zirkschef in Ost-Berlin und da-mit Nachfolger von GünterSchabowski ist seit Dienstag der54jährige Funktionär Heinz Al-brecht. In Anwesenheit vonSED-Generalsekretär EgonKrenz hatte die Ostberliner Par-teibezirksleitung zuvor Scha-bowski für sein „erfolgreichesWirken an der Spitze der Berli-ner Parteiorganisation seit 1985gedankt und ihn im Zusammen-hang mit der Übernahme einesneuen Aufgabengebietes als Se-kretär des ZK der SED von die-ser Funktion entbunden". Scha-bowski wurde kürzlich als Polit-büromitglied bestätigt. Er ist fürMedienpolitik zuständig. Er-wartet wird, daß er künftig einewichtige Position in der Regie-rung übernimmt.

Bonn (dpa). Dritte und weitereSöhne einer Familie, von der be-reits zwei Söhne Wehr- oder zi-vilen Ersatzdienst geleistet ha-ben, werden jetzt wieder aufAntrag vom Grundwehrdienstfreigestellt. Das bestätigte derverteidigungspolitische Spre-cher der CDU/CSU, Wilz. Damitkehrt die Bundeswehr wieder zueiner Regelung zurück, die bisvor einem Jahr gegolten hatte.„Dritte Söhne", die in der letztenZeit eingezogen worden waren,brauchen nicht mehr mit Wehr-übungen zu rechnen.

Wilz erläuterte, daß das Ver-teidigungsministerium damit ei-nem Wunsch der Koalitions-fraktionen nachgekommen sei,die vor allem familien- und so-zialpolitische Gründe ins Feldgeführt hatten.

Prag versprichtReisefreiheit

Prag (dpa). Der tschechoslo-wakische MinisterpräsidentAdamec hat in einer Regie-rungserklärung vor dem Parla-ment in Prag den Bürgern desLandes freie Reisemöglichkeitenins westliche Ausland verspro-chen. Die bisher erforderlichenAusreisevisa sollen abgeschafftwerden. Die Neuregelung trittam 1. Januar 1990 in Kraft, ver-lautete ergänzend aus dem Amtdes Ministerpräsidenten.

Bisher wurde bei Nachweisder vorgeschriebenen Devisen-menge - mindestens 30 DM fürjeden Tag - das für den Grenz-übertritt benötigte Ausreisevi-sum von der Polizei ausgestellt.Der Weg zur Polizei soll in Zu-kunft entfallen. Nötig sind nachwie vor Einreisevisa der Reise-länder.

Bundesrepublik und Polen Vogel: Grandiose Idee

Verbesserungen beim Tourismus wird spo-Parteitagnach Berlin verlegt?Fortsetzung

In der Erklärung räumen bei-de Seiten das Recht zur Kriegs-gräberpflege auf ihrem jeweili-gen Gebiet ein. In Polen liegenetwa 400 000 deutsche Soldatenbegraben. Hemmnisse für denTourismus sollen abgebaut wer-den. Dies dürfte auch denZwangsumtausch und den Devi-sennachweis durch polnischeReisende betreffen. Bundesprä-

sident von Weizsäcker wurdezu einem Staatsbesuch nach Po-len eingeladen.

Zur Frage einer Entschädi-gung für polnische Naziopfer,die in der gemeinsamen Erklä-rung nicht erwähnt ist, versi-cherte der Kanzler, er sehe diemenschliche Tragödie, doch dieBundesrepublik habe schonenorme Belastungen auf sich ge-nommen.

Bonn (dpa). Die SPD wird ih-ren Parteitag Mitte Dezembervoraussichtlich von Bremennach Berlin verlegen. SPD-ChefVogel bezeichnete entsprechen-de Vorschläge vor dem Hinter-grund der Ereignisse in der DDRals „grandiose Idee". Gegenwär-tig würden die organisatori-schen Voraussetzungen geprüft.

Arbeitskreis-Schätzung/ 1989 und 1990:

22 Mrd. DM mehrSteuereinnahmen

Bonn (dpa/vwd). Bund, Länderund Gemeinden können 1989und 1990 mit 22 Milliarden DMmehr Steuern in ihren Etatsrechnen als bisher offiziell ange-nommen. Laut ArbeitskreisSteuerschätzungen werden imlaufenden Jahr insgesamt 533,6Milliarden DM an Steuern ein-genommen. 9,3 Prozent mehr als1988. Das ist um 8,3 MilliardenDM höher als nach der Schät-zung vom Mai. Für 1990 korri-gierte der Arbeitskreis seine Er-wartungen gegenüber dem Mai-Wert sogar um 11,4 MilliardenDM nach oben. Da der BonnerAnteil an die EG-Kasse geringerausfällt als ursprünglich ange-nommen, bleiben im Netz desbundesdeutschen Fiskus' rund22 Milliarden hängen.

Möglich sei es auch, die neu-en Schulden des Bundes gegen-über der bisherigen Planungdeutlich zu senken: Für 1989 auf23 bis 24 Milliarden DM gegen-über gesetzlich vorgesehenen27,8 Milliarden DM und für1990 auf unter 30 MilliardenDM, während der Regierungs-entwurf ursprünglich von 33,7

Milliarden ausging.Deutlich nach oben korrigiert

gegenüber der Steuerschätzungvom Mai wurden die Annahmenfür das nominale Bruttosozial-produkt (einschließlich derPreisentwicklung): für 1989 vonplus 5,6 auf 6,5 Prozent und für1990 von 4,7 auf 5,7 Prozent.

Nach Ansicht von Bundesfi-nanzminister Waigel (CSU) hatsich die „Wachstums- und be-schäftigungsfördernde Steuer-politik der Bundesregierung"nicht nur für die Steuerzahler,sondern auch für die öffentli-chen Etats ausgezahlt. DieMehreinnahmen hätten entge-gen SPD-Behauptungen nichtsmit Steuermehrbelastungen derArbeitnehmer zu tun, sondernseien das Ergebnis von Finanz-politik und darauf aufbauenderwirtschaftlicher Entwicklung.

Die SPD-FinanzexpertinMatthäus-Maier forderte vonder Regierung, die Einnahmenzur Lösung drängender Proble-me wie die Bekämpfung vonWohnungsnot und Arbeitslo-sigkeit einzusetzen.Siehe auch Kommentar

Wirtschaftshilfe / Neue Vorschläge

Steinkühler warnt vor„Ausverkauf" der DDRFortsetzung

Vor einem „Ausverkauf" derDDR warnte der Vorsitzendeder IG Metall, Steinkühler: Umein paar Devisen zu ergattern,könnten DDR-Bürger, wie be-reits Tausende von Polen, „alles,was nicht niet- und nagelfestist", im Westen verkaufen.

Auch der SPD-Parteivorsit-zende Hans-Jochen Vogelmeinte, daß ohne schnelle Rege-lungen im Währungsbereich ein„Ausverkauf" der DDR drohe.Vor der Presse in Bonn schlugVogel erneut vor, einen Devi-senfonds in der DDR aus demMindestumtausch und dem Be-grüßungsgeld zu schaffen.

Der Regierende Bürgermei-ster von Berlin, Momper, hatBundeskanzler Kohl inzwischengebeten, den Berliner Senat zueiner Kabinettssitzung nach

Bonn einzuladen. Die Problem-lage nach Öffnung der DDR-Grenze sei mittlerweile so breit,daß es sinnvoll wäre, wenn dasKabinett einlade, sagte Mom-per. Er erneuerte- seine Forde-rung, daß sich die Bundesregie-rung „jetzt ganz schnell mit derDDR-Führung an einen rundenTisch" setzen müsse, um diedrängenden Probleme der Devi-senfrage, des Verkehrs sowieder Wirtschaft auch der DDR zuklären.

Momper lobte, daß die Berli-ner Bundessenatorin Pfarr (SPD)zu der Staatssekretärs-Runde inBonn zugezogen worden ist, diedie Gespräche von Kanzler-amtsminister Seiters (CDU)nächste Woche in Ost-Berlinvorbereitet. Dabei geht es vorallem um die Abstimmung mög-licher Hilfsmaßnahmen für dieDDR.

Bundesbürger / Reisen in die DDR

Berechtigungsschein erforderlichKassel (mwe). Bundesbürger,

die in die DDR reisen wollen,benötigen - wie früher auch —einen von den DDR-Behördenausgestellten Berechtigungs-schein. Das betonte gestern dasniedersächsische Ministeriumfür Bundes- und Europaangele-genheiten. •

Nachdem Ostberlin bereitsam Sonntag darauf verwiesenhatte, daß die zwischen beidendeutschen Staaten beschlosse-nen Reisevereinbarungen beste-hen bleiben, hatten gestern Be-richte von Bundesbürgern, dievon einem Aufenthalt in derDDR zurückkehrten, erneut zuVerunsicherung geführt: sie wa-ren eigenen Angaben zufolge

ohne große Formalitäten einge-reist. Nachfragen unserer Zei-tung ergaben jedoch, daß sicheine solche Möglichkeit nurvorübergehend während derTurbulenzen am Wochenendeund bei der Öffnung neuerGrenzübergänge ergeben hatte.

Nach Auskunft des nieder-sächsischen Ministeriums gibtes allerdings gewisse Erleichte-rungen für Bundesbürger: siekönnen künftig auch mit Fahr-rad, Moped oder Motorrad indie DDR einreisen und dürfensich dort mit Verwandten oderFreunden bereits unmittelbarhinter der Grenze treffen, nach-dem Ost-Berlin die Sperrzoneaufgehoben hat.

HESSISCHE/NIEDERSÄCHSISCHE

ALLGEMEINEHerausgeber

Rainer Dierichs, Dr. Dietrich Batz,Achim von Roos

ChefredakteurLothar Orzechowski

Stellv. ChefredakteureWolfgang Rossbach, Peter M. Zitzmann

Verantwortliche RedakteureChef vom Dienst: Rainer Merforth. Politik:Jochen Prater. Blick in die Zeit: WalterSchütz. Wirtschaft und Sozialpolitik: HorstSeidenfaden. Kultur: Dirk Schwarze. Frauu. Reise: Ilse Methe-Huber. Sport: Rolf Wie-semann. Sonntagszeit: Frank Thonicke.Kassel Stadt und Land: Wolfgang Ross-bach. Bezirksredaktionen: Peter M. Zitz-mann. Koordination: Helmut Lehnart. Hes-sen/Niedersachsen: Eberhard Heinemann.Chefreporter: Karl-Hermann Huhn. Son-derthemen: Peter Ochs.Redaktion Wiesbaden: Rolf Effenberger.Redaktion Hannover: Harald Birkenbeul.Redaktion Bonn: Hans Ludwig Laucht.

Verlagsleitung

Dr. Dietrich Batz, Rainer Dierichs, WigbertH. Schacht. Anzeigenleiter: Horst Prehm.Vertriebsleiter: Gerd Lühring.

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Page 27: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 267 Hessen Mittwoch, 15. November 1989

Grüne enthielten sich der Stimme

" Grunelius-Schule, die auf einem Wunschzettelihren Eltern mitteilen sollen, was sie künftig

heißt eine Aktion, die jetzt von Gesundheits- als gesundes Schulfrühstück haben wollen, sinddezernentin Margarethe Nimsch (Mitte) in von der Aktion hellauf begeistert.Frankfurt gestartet wurde. Die Kinder der (dpa-Funkbild)

Hitzige Debatte über Wallmanns umstrittene Göring-Zitate

Abstimmung auf heute vertagtWiesbaden (lhe). Der Landtag

hat die Abstimmung über An-träge zu umstrittenen Göring-Zitaten von MinisterpräsidentWallmann (CDU) auf heute ver-tagt. Die Verschiebung wurdewährend der Plenarsitzung amDienstag von den Koalitions-fraktionen CDU und FDP gegendas Votum der Oppositions-parteien SPD und Grüne be-schlossen. Nach zweieinhalb-stündiger und überwiegend hit-ziger Debatte hatte die Uniondie Vertagung vorgeschlagen.

In einer gemeinsamen Be-schlußvorlage der Sozialdemo-kraten und Grünen wird derLandtag aufgefordert, Wall-manns Einlassungen zum Ver-halten der SPD bei der Sitzung

des Reichstags am 17. Mai 1933„nachdrücklich" zu mißbilligen.Außerdem liegt den Abgeordne-ten ein Antrag der FDP vor, indem es heißt, Teile der Ge-schichte dürften nicht als Waffeim Kampf für eigene parteipoliti-sche Vorteile benutzt werden.Geschichte solle nicht durchSchuldzuweisungen aufgearbei-tet oder zur Bildung von Legen-den mißbraucht werden.

Wallmann hatte am 12. Okto-ber während einer Parlaments-debatte über die Behandlung derNationalhymne im Schulunter-richt gesagt, während derReichstagssitzung am 17. Mai1933 hätten auch Sozialdemo-kraten das Deutschlandlied ge-sungen. Er zitierte aus dem Pro-

tokoll der Versammlung denReichstagspräsidenten Her-mann Göring mit den Worten:„Männer und Frauen! Ich habedem nichts mehr hinzuzusetzen.Die Welt hat gesehen: Das deut-sche Volk ist einig, wenn es seinSchicksal gilt!"

SPD und Grüne warfen demRegierungschef vor, den un-zutreffenden Eindruck zu er-wecken, Sozialdemokraten hät-ten gemeinsame Sache mit denNazis gemacht.

Der Regierungschef wies dasVerlangen der Opposition zu-rück. Die Behauptung, er habedie SPD in die Nähe der Nazisgerückt, sei „abwegig" und eine„Unterstellung". Er habe dieSPD nicht beleidigt.

Land will Ausbau kommunaler Verkehrswege fördern

Straßenkarten für DDR-BürgerWiesbadener Redaktion

Wiesbaden (Eff). Schnelle Hil-fe für die DDR-Bürger, derenAnsturm auf hessische Städteund Gemeinden nach der Öff-nung der Grenze auch an denkommenden Wochenenden er-wartet wird. Das Wirtschafts-ministerium und der ADACbringen gemeinsam Straßen-karten heraus und verteilen siean die Besucher, damit sie sichin den ihnen unbekannten Re-gionen der Bundesrepublik zu-rechtfinden können. Das teilteMinister Schmidt (FDP) gesternvor der Landespressekonferenzin Wiesbaden mit.

Schilder und Ampeln

Die Verkehrsprobleme, diedie Flut der „Trabis" an derGrenze zur DDR ausgelöst hat,sollen sofort „in den Griff ge-nommen" werden, erklärte derMinister. In den Grenzgebietenwerde die Beschilderung - zu-nächst provisorisch, dann end-gültig - den neuen Erfordernis-sen eines starken Ostverkehrsentsprechend ergänzt. Dazu ge-hörten auch neue Ampelanla-gen an den auf den Nord-Süd-Verkehr ausgerichteten Bun-

desstraßen, um die neuen Ver-kehrsströme aus dem Osten auf-nehmen zu können.

Neue Ortsumgehungen wür-den notwendig und der Ausbauvon kommunalen Straßenebenso wie Verkehrsberuhi-gung in den Ortschaften, stellteSchmidt fest. Sie sollen projekt-bezogen finanziell vom Land ge-fördert werden. Im Grenz-bereich von Witzenhausen bisin die Rhön würden die Kommu-nen nach derartigen Vorhabenabgefragt, um sie möglichstschnell realisieren zu können.Bei der Finanzierung sieht derMinister zunächst keineSchwierigkeiten. Gegebenen-falls müßte sie durch einenNachtragshaushalt gesichertwerden.

Zonenrandförderung

Nachdrücklich betonteSchmidt „gerade jetzt" die Not-wendigkeit der Zonenrandför-derung, um die Rahmenbedin-gungen für eine positiveWirtschaftsentwicklung zu set-zen. Darüber hinaus könnte sicheine neue Perspektive für dieZonenrandförderung in Form ei-ner Zusammenarbeit über dieGrenze hinweg ergeben, meinte

er. Thüringen und Hessen seienja einmal ein Wirtschaftsraumgewesen.

Die Öffnung der Grenze erge-be auch neue Aspekte für dasSchienengrundnetz Hessens,sagte der Minister und wies aufdie Möglichkeit hin, daß durchdie neuen Verkehrsbeziehun-gen von der Stillegung bedrohteBahnstrecken nun doch erhal-ten werden könnten.

Autobahn nach Eisenach

Mit Hilfe der Bundesregie-rung will Schmidt Gesprächs-partner in der DDR suchen, umim sogenannten Thüringer Zip-fel die Autobahnverbindungzwischen Bad Hersfeld und Ei-senach zu schließen. Das liegeim Interesse beider Seiten. Bis-her sei das an den von der DDRverlangten Grenzsicherungs-anlagen gescheitert, die abernun überflüssig gewordenseien.

Zu künftigen wirtschaftlichenBeziehungen mit Betrieben inder DDR äußerte sich der Mini-ster zurückhaltend. Hierbeimüsse zunächst die weitere Ent-wicklung abgewartet werden.Zusammenarbeit dieser Artgebe es aber bereits vereinzelt.

Ausnahmen vom Ladenschluß bis WeihnachtenWiesbaden/Frankfurt (Eff/lhe).

Angesichts des auch an denkommenden Wochenenden er-warteten Ansturms von Besu-chern aus der DDR hat die hes-sische Landesregierung gesterneine bis einschließlich 23. De-zember befristete Ausnahmevom Ladenschlußgesetz be-schlossen.

Wie RegierungssprecherMüller im Anschluß an die Ka-binettsitzung mitteilte, dürfen inganz Hessen die Geschäftesonnabends bis 17 Uhr - an denlangen Sonnabenden vor Weih-nachten wie üblich bis 18 Uhr -

geöffnet sein und sonntags von11 bis 16 Uhr. Ausdrücklichausgenommen von dieser Rege-lung ist der Büß- und Bettag am22. November.

Müller sagte, gegenwärtig seian eine Verlängerung dieserAusnahmeregelung über den23. Dezember hinaus nicht ge-dacht - als Geste der menschli-chen Begrüßung für die DDR-Bürger. Sie sei ein Angebot derGeschäftswelt, aber kein Muß.Die Landesregierung, bitte je-doch die Geschäftsleute darum,von der Ausnahmeregelung Ge-brauch zu machen.

Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) lehnt dieAusnahmeregelung in der vor-liegenden Form ab. Das Kabinetthabe übereilt entschieden undweder Gewerkschaften • nochBetriebsräte angehört, heißt esin einer Stellungnahme vomDienstag in Frankfurt. Die DAGwürde in grenznahen Bereicheneine verlängerte Öffnungszeitan Samstagen mittragen, wenndafür die verlängerten Öff-nungszeiten an den Donners-tagen der betroffenen Wochenund der lange Samstag am23. Dezember fallen würden.

Landtag fordert für Menschenin der DDR SelbstbestimmungVon unserer Wiesbadener Redaktion

Wiesbaden (Eff). Nach fast vierstündigerruhiger und sachbezogener Debatte verab-schiedete gestern nachmittag der Landtagmit den Stimmen von CDU, SPD und FDP eineEntschließung, in der Freiheit und Selbst-bestimmungsrecht der Menschen in der DDR

gefordert und die Unverletzlichkeit der gegen-wärtigen Grenzen in Europa bekräftigt wer-den. Darüber hinaus werden konkrete Schrittezur Intensivierung der Beziehungen zur DDR,insbesondere zu Thüringen, verlangt. Die Grü-nen enthielten sich der Stimme.

Der Fraktionsvorsitzende derGrünen, Fischer, erklärte, eswäre unehrlich, diesem Antragzuzustimmen und somit die un-terschiedlichen Positionen zurWiedervereinigung zwischenGrünen und den drei anderenFraktionen zu vertuschen. Fürdie Grünen habe die staatlicheEinheit der Deutschen nie imVordergrund gestanden. Es gebekeinen vernünftigen Grund für

eine Wiedervereinigung, sagteFischer. Sie könne keines dervorhandenen oder künftigenProbleme lösen, dabei eher hin-derlich sein.

„Auf Frieden hinwirken"

stellte der stellvertretende Mi-nisterpräsident Gerhardt (FDP)fest. Die Polen müßten wissen,daß ihr Recht auf sichere Gren-zen nicht in Frage gestellt wer-de. Eine Politik, die die deutsche

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Zwei Thüringer

Bei Heimfahrtin DDR getötet

Eschwege (lhe). Bei der Heim-fahrt in die DDR sind am Diens-tagabend zwei Bürger aus Arn-stadt (Thüringen) in der Nähe desGrenzübergangs Herleshausen(Werra-Meißner-Kreis) tödlichverunglückt. Wie die Polizei inEschwege' mitteilte, hatte eine37jährige Trabant-Fahrerin ver-sucht, einen Lastwagen zu über-holen. Dabei streifte sie das Heckdes Lkw und stieß auf der Gegen-fahrbahn frontal mit einementgegenkommenden 40 Tonnenschweren Lastzug zusammen.

Nach Mitteilung der Polizeischwebt die Fahrerin in Lebens-gefahr, ihr gleichaltriger Beglei-ter und eine ältere Frau starbennoch an der Unfallstelle. DieBundesstraße 27 war wegen desUnfalls mehr als drei Stundenlang gesperrt.

in der Öffnung der deutsch-deutschen Grenze sieht Mini-sterpräsident Wallmann (CDU)erst eine Forderung der Deutsch-landpolitik erfüllt. Ihr oberstesZiel bleibe es, auf einen Zustanddes Friedens in Europa hinzuwir-ken, in dem das deutsche Volk infreier Selbstbestimmung die Ein-heit wiedererlangt. Jetzt stündenwir in der historischen Pflicht,denen in der DDR zu helfen, diebeim Aufbau der Demokratievorankommen wollten.

„Ängste noch real"

Vor zuviel Überschwangwarnte der SPD-AbgeordneteKrollmann (Kassel): Die Grenzezwischen zwei militärischenMachtblöcken und zwei Wirt-schaftssystemen trenne immernoch die zwei deutschen Staaten.Die Ängste unserer Nachbarnvor einem deutschen Sonderwegseien immer noch real. Für dieBewahrung des Friedens müßtendie Deutschen bereit sein, einenPreis zu zahlen -„auch wenn esder Verzicht auf die Einheit, dieneue Vereinigung der beidendeutschen Staaten wäre."

Es müsse klar sein, daß sichdie deutsche Entwicklung nichtgegen die Nachbarn richte,

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Einheit ermögliche, sei jedochein legitimes Ziel und nicht derAusfluß von Revanchismus.

„Schon vollzogen"

Für den Vorsitzenden derCDU-Landtagsfraktion, Nassau-er (Wolfhagen), hat sich die Wie-dervereinigung der Menschenschon am vergangenen Wochen-ende in Berlin, Helmstedt, Her-leshausen und an jedem Grenz-übergang vollzogen. Insofern seidie Wiedervereinigung in der Tatkein Thema. Der Kern der deut-schen Frage seien Freiheit undMenschenrechte für alle Deut-schen. Sie bleibe offen, solangediese Rechte den Bürgern derDDR vorenthalten würden.

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Page 28: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 267 Stadt Kassel Mittwoch, 15. November 1989

In einem offenen Brief „an denBürgermeister und die Bürger derStadt Kassel" hat Georg Breiteraus Frankfurt an der Oder, derzehn Tage in Niestetal zu Gastwar, seine Eindrücke vom vergan-genen Wochenende in Kasselniedergeschrieben. Wir wollen sieunseren Leserinnen und Lesernnicht vorenthalten.

„... Es ist mir ein Bedürfnis,aus Anlaß der historischen Er-eignisse am 9.November 1989in Deutschland, die wir in Kas-sel miterlebt haben, ein paarDankesworte im Namen allerDDR-Gäste zu sagen.

Tief bewegt haben wir dieNachricht in Fernsehen und

Offener Brief / Dankesworte

„Im Namen aller DDR-Gäste "

Presse erhalten, daß alle DDR-Bürger ab sofort in die BRD rei-sen dürfen. Desto mehr er-staunt und erfreut waren wir,wie der Rat der Stadt Kassel,die Polizei, das Rote Kreuz, derSamariter-Arbeiterbund, dieVerkehrsbetriebe und alle Kas-seler Bürger diese Situation soschnell mit viel Freude undFleiß gemeistert haben. Der,

langersehnte Tag kam doch zuüberraschend, und unsereLandsleute kamen sehr schnellund zahlreich in die Stadt Kas-sel geeilt. Auch unser zweiterSohn kam über Nacht noch hieran, und alle freuten sich überdie Gastfreundschaft und Auf-nahmebereitschaft aller Kasse-ler.

So begann es mit dem Info-

Bus der Polizei, die Zeitungs-notiz über die Betreuungs- undAuszahlungsstelle beim Rat derStadt, die Ubernachtungsmög-lichkeiten am Bahnhof, die ko-stenlose Ausgabe von Imbißund Tee, die Befestigung vonLandkarten an den Autos undvieles mehr. Auch sehr erfreutwaren wir, daß in vielen Kauf-häusern die DDR-Gäste über

Lautsprecher begrüßt wurdenund die Mitarbeiter.des Han-dels sich bereiterklärten, amSamstag bis 16 Uhr und aucham Sonntag für ihre Gäste zuöffnen. Auch der Einsatz derKasseler für einen abge-schleppten Lieferwagen aus derVR Ungarn hat uns sehr beein-druckt...

Zusammenfassend könnenwir sagen, daß rundum alles ge-klappt hat, ... daß es ein Erleb-nis war, in Ihrer schönen Stadtbetreut und umsorgt worden zusein. Wir verabschieden unsmit einem Wort, das an vielenTrabis und Wartburgs stand:Danke!"

DDR-Bürger / Märchenstraße

Appell: Einladenzum Kurzurlaub

G

Kassel (m.s.). Städte und Ge-meinden, die zwischen Hanauund Bremen der Arbeitsgemein-schaft Deutsche Märchenstraßeangehören, sollen Bürgern ausder DDR einen kostenlosen oderpreisgünstigen Kurzurlaub er-möglichen. Dazu hat die Mit-gliederversammlung der Ar-beitsgemeinschaft gestern inKassel spontan in einer Ent-schließung an die 48 Mitgliederaufgerufen.

Mit diesem Angebot wolleman die vom Land Hessen ge-startete Aktion „Begegnungenin Deutschland" unterstützen,erklärten der neue Geschäfts-führer der Arbeitsgemeinschaft,Anzeige

entsprechende Angebote ma-chen.

Einen noch größeren Bekannt-heitsgrad verspricht sich die1975 vom damaligen LandratDr. Herbert Günther gegründe-te Arbeitsgemeinschaft von ei-nem 1990 beginnenden Angebotder Deutschen Touring. DieBundesbahn-Tochter wird nachdem Vorbild des Angebotshef-tes „Romantische Straße" auchein entsprechendes Heft in \deutscher und englischer Spra- %ehe für die Deutsche Märchen-straße entwickeln.

„Gefahr der Aushöhlung"

iJyFRITZ MACHT LICHT y

iedrich-Ebert-StraQel Kassel Tel 15647

Kassels Werbeamtschef undMagistratspressesprecherHans-Jochem Weikert, und derscheidende Vorsitzende, Kreis-beigeordneter Oswald Schröder(Wolfhagen).

Mit der Einladung an DDR-Bürger sollen die Städte und Ge-meinden an der Märchenstraßeihre Gastfreundschaft erweisen.Die Öffnung der Grenze eröffneauch der Märchenstraße völligneue Perspektiven. Die weltweitbekannten Attraktionen könn-ten nunmehr auch die Bürgerder DDR kennenlernen. Ihnenmüsse man ihren Einkommens-und Währungsverhältnissen

Der scheidende Geschäftsfüh-rer Wolfgang Müller betonte, ineiner Zeit, in der die freiwilligenLeistungen der Kommunen im-mer stärker eingeschränkt wür-den, drohe der Arbeitsgemein-schaft die Gefahr der Aushöh-lung. Den kommunalen Vertre-tungskörperschaften müsse des-halb; deutlich gemacht werden,daß jede Kündigung „dem Her-ausbrechen eines Steines ausder Mauer gleicht". Nur der Zu-sammenhalt garantiere auchweiterhin eine erfolgreiche Ar-beit.

Geplant sind 1990 eine durch-gängige Beschilderung der Mär-chenstraße nach den Richtlinienfür touristische Hinweise, dieHerausgabe eines neuen Unter-kunftsverzeichnisses sowie derSonderverzeichnisse Camping,Jugendherbergen und Wan-

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MÄRCHENHAFT. Elf Marchuiligurui der Deutsche MarchcriolrjEc kjvncn gestern zur Mitglieder-versammlung der Arbeitsgemeinschaft, nach Kassel - ein beliebtes Fotomotiv. Hier am Brüder-Grimm-Denkmal auf dem Grimm-Platz. (Foto: Koch)

dem, eine verstärkte Werbungim Inland, zusätzliche Werbungbei den US- und britischen Sta-tionierungsstreitkräften, mehrInformationen in skandinavi-schen Ländern und Werbeak-tionen in der Schweiz und inÖsterreich.

Der Haushalts- und Werbe-plan 1990 umfaßt „nur" 152 000Mark. Deshalb, so Weikert, seiviel Phantasie gefragt. Nach 15Jahren des Aufbaus folge nundie Phase des Ausbaus der Mär-chenstraße „auf einem sehr sta-

bilen Fundament". Wichtig sei,die vier Bundesländer dazu zubewegen, kontinuierlich Zu-schüsse zu zahlen. Hessen seihier Vorbild.

Der hohe Bekanntheitsgradder Märchenstraße im In- undAusland, der Stellenwert unterden mehr als 50 deutschen Tou-ristikstraßen sowie die Erfolgeder Arbeitsgemeinschaft seienauf das unermüdliche Wirkenvon Heinrich Fischer zurückzu-führen. Mit diesen Worten wür-digte Oswald Schröder die

15jährige Arbeit des Geschäfts-führers. Der langjährige, Land-kreis-Pressesprecher hatte dasGeschäftsführer-Amt bis zu sei-ner Pensionierung im Sommer1989 inne. Mit Dank und Aner-kennung wurde er gestern offi-ziell verabschiedet.

Nach 15 Jahren geht die ge-schäftsführende Tätigkeit desLandkreises Kassel auf die Stadtüber. Neuer Vorsitzender undNachfolger von Oswald Schrö-der ist Oberbürgermeister HansEichel.

Harry Düsterdieck und Hans Klipp

Zwei Männer wartenauf den großen Hit

Kassel (ach). Ihr Lied „Myhome is my Kassel" ist schon vorvier Jahren entstanden. In derRegion wurde bisher kaumNotiz davon genommen, dafürspielt RTL plus den Titel. „Hierin Nordhessen fehlt halt jedeUnterstützung", meint HarryDüsterdieck achselzuckend.Entmutigen läßt sich der 38jäh-rige Seifmade-Komponist des-halb noch lange nicht: Zusam-men mit seinem Partner HansKlipp produziert er Musik amlaufenden Band. Mit ihrem

Menschen inunserer Stadt

„Vampir-Studio" hoffen die bei-den Kasseler darauf, irgend-wann mal einen großen Hit zulanden.

Seit er seinen Job als Lkw-Fahrer an den Nagel gehängthat, widmet sich „Harry Har-per" - den Künstlernamen hat ersich zugelegt, „weil sich Düster-dieck ziemlich schlecht ver-markten läßt" - voll und ganzder Musik. Das Wohnzimmerseiner Mietwohnung hat er kur-zerhand zum Studio umfunktio-niert und mit Tontechnik vollge-stopft. Nach Feierabend kommtHans Klipp - 36 Jahre alt undhauptberuflich bei der KVG imVertrieb beschäftigt - dazu und

bringt öfter einen neuen Lied-text mit.

Wenn Texter Hans seine Ide-en zu Papier gebracht hat, sinddie musikalischen Ideen gefragt.„Mal sehen, was ich mit demDrum-Computer machen kann",beginnt dann Harry seine Ar-beit. Da wird viel mit Instrumen-ten und Stimmen experimen-tiert, Multi-Instrumentalist Dü-sterdieck („ich hab' eigentlichalles gespielt") steuert meist Ta-sten und Gesang bei. Und stehtauch schon mal nachts um dreiUhr auf, weil ihm gerade eineflotte Melodie oder ein guterBläsersatz eingefallen ist.

200 Titel hat das Duo schonim Kasten und bei der Gema, derGesellschaft für musikalischeAufführungsrechte, angemel-det. Das muß sein, erklärt Klipp,damit keiner die Ideen klauenkann. Das Geschäft ist hart unddas Geld der beiden Musikma-cher knapp. „Platten sind viel zuteuer", deshalb lassen sie ihreTitel von Volksmusik über Popbis Country vorzugsweise inKleinst-Auflagen auf Kassettenerklingen.

Viele davon sind „bisher gutangekommen, wenn wir auchden großen Schlag noch nichtgelandet haben", erzählt Harry.Das Lob von vielen Freundenund Bekannten bringt den bei-den die Motivation, weiter zutexten und zu komponieren.

Vor drei Jahren haben sie

Länderspiel

Mit Musikkorpsaus Kassel

Kassel (f). Wenn heute abendbeim Fußball-Länderspiel kurzvor 20 Uhr Deutschland - Wa-les die Nationalhymnen erklin-gen, dann sind es Musiker ausKassel, die für diesen feierlichenRahmen sorgen: Im Müngers-dorfer Stadion in Köln spielt dasMusikkorps des BGS vomGrenzschutzkommando Mitte.Die 36 Musiker unter der Lei-tung von Polizeihauptkommis-sar Jürgen Deeg sorgen mitschmissigen Fußball-Hits („Ei-ner geht noch rein...") auch fürdie musikalische Unterhaltungvor dem Spiel und in der Halb-zeitpause.

Die Leute vom Musikkorpssind überzeugt, daß ihr Auftrittim Stadion ein gutes Omen ist.Polizeimeister Franz Kraus, derheute abend die Lyra schlägt:„Die Nationalmannschaft hatnoch nie ein Länderspiel verlo-ren, wenn wir vom Grenz-schutzkommando Mitte mit vonder Partie waren."

Volksbund-Sammlung

Spenden fürSoldatengräber

Kassel (m.s.). Oberbürgermei-ster Hans Eichel und LandratWilli Eiermann haben die Be-völkerung dazu aufgerufen, dieHaus- und Straßensammlungdes Volksbundes DeutscheKriegsgräberfürsorge (VDK)durch Spenden zu unterstützen.Die Sammlung beginnt heuteund dauert bis zum 26. Novem-ber. Die Spenden dienen nachAngaben des VDK der Erhal-tung und Pflege der Soldaten-friedhöfe, den Gräbern der Op-fer von Krieg und Gewaltherr-schaft.

Jürgen Damm, Geschäftsfüh-rer des VDK-KreisverbandesKassel, bedauerte, daß in diesemJahr der Anteil der sammlungs-willigen Schülerinnen undSchüler „sehr zurückgegangen"sei. Schülerinnen und Schüler,die das 12. Lebensjahr erreichthaben, können sich an derSammlung beteiligen. An-sprechpartner für Interessen-ten: Jürgen Damm, ® 77 16 75.

Oberbürgermeister und Land-rat weisen in ihrem Unterstüt-zungsappell auf die von Kasselausgehende weltweite Friedens-arbeit des VDK hin.

Tierschützer:

WOHNZIMMER ALS TONSTUDIO: Komponist Harry Düsterdieck (rechts) und Texter Hans Klipparbeiten seit drei Jahren als Team und haben in ihrem „Vampir"-Studio bereits über 200Musiktitel erdacht und produziert.

sich den Namen „Vampir"-Pro-duktion zugelegt und sind da-mit inzwischen in der Szene be-kannt. Die Idee zum eher düste-ren Namen kam daher, daß „ichschon immer ein Faible für dasMystische hab'", sagt der Kom-ponist. Und schließlich paßt

auch der Slogan von der „Musikmit Biß" so schön dazu.

Nach einem Live-Auftritt von„Harry Harper" kamen die Mu-sikfreunde zum ersten Mal zu-sammen, weil Hans Klipp denMusiker mit der Einschätzungkonfrontierte: „Aus dei-

(Foto: Herzog)

ner Musik ist mit besseren Tex-ten mehr zu machen." Seitherkönnen sich die beiden auch ge-genseitig Mut machen und sichimmer wieder zu neuen Kompo-sitionen aufraffen. Motto: „Jetztversuchen wir den Durch-bruch."

Zeit reif fürWinterfutter

Kassel (eg). Mit der Winter-fütterung der Vögel .sollte jetztbereits begonnen werden. Dar-auf weist der Verein der Tier-freunde in einem Schreiben hinund gibt Tips zur sinnvollenFütterung.

Der Futterplatz sollte vorWind, Regen, Schnee und Kat-zen geschützt sein. Bevorzugtwerden Plätze mit freier Um-sicht, Bäume und Sträucher inder Nähe bieten Schutz undDeckung. An den gekauftenHäuschen fehlen meist Anflug-Lande-Stangen, die für die Tieresehr wichtig sind.

Täglich zur gleichen Zeit

Die Fütterung, so in dem Ap-pell, muß täglich zu den gleichenZeiten angeboten werden, undzwar am frühen Morgen, mittagsund eine Stunde vor Sonnenun-tergang. Getrennt werden soll-ten die Futterstellen von Körn-erfressern, wie Meise, Grünfinkoder Dompfaff, sowie Weich-futterfressern wie Amsel, Rot-kehlchen oder Zaunkönig.

Eine Gefahr für die Vögel stel-le ein verschmutzter Futterplatzdar, da er ein Infektionsherdsein kann. Auf keinen Fall gefüt-tert werden darf laut dem Ver-ein der Tierfreunde: gesalzenesFett, Butter oder Margarine,Speiserest, Brot- oder Kuchen-krümel. Bei Meisenknödel inNetzbeuteln bestehe die Gefahrdes Hängenbleibens mit denKrallen und Verschmutzung desGefieders durch das Fett.

Page 29: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

HESSISCHE/NIEDERSÄCHSISCHE

ALLGEMEINE

HESSISCHE KASSEL1 P 3713 A

ALLGEMEINEUNABHÄNGIG

Preis 1,10 DM )

ro-r

KASSELER ZEITUNG

Nr. 268 • Donnerstag, 16.11.1989

NICHT PARTEIGEBUNDEN

Ruf (05 61) 203-0 • Anzeigen 203-3

0:3-Niederlage in Wien

DDR verpaßtWM-Teilnahme

Kassel (em). Durch eine 0:3-Niederlage.vor 55 000 Zuschau-ern gegen Österreich im WienerPraterstadion verpaßte die Fuß-ball-Nationalmannschaft derDDR erneut die Teilnahme ander Weltmeisterschaft. Nebenden Österreichern fährt aus derGruppe 3 noch die UdSSR (2:0-Sieger über die Türkei) nach Ita-lien. Ebenfalls qualifiziertensich gestern Irland (Gruppe 6,2:0 auf Malta) und Rumänien(Gruppe 1, 3:1 gegen Däne-mark).

40%-Steigerung

VW mitGewinn

Der Volkswagen-Konzern hat in denersten neun Mona-ten dieses JahresUmsatz und Gewinnstark steigern kön-nen. Gegenüberdem gleichen Vor-jahreszeitraum er-höhte sich der Ge-winn um mehr als40 Prozent. SieheWirtschaft.

Spanien: 5 Tote

SchwereUnwetter

Sintflutartige Nie-derschläge undStürme haben inSpanien schwereSchäden in Indu-strie und Landwirt-schaft angerichtet.Fünf Menschen ver-loren bisher ihr Le-ben. In Malaga stan-den die Straßen un-ter Wasser. Siehe„Blick in die Zeit".

Kunstmarkt

KölnerAufgebot

Köln und Frank-furt in harter Kon-kurrenz - im Kunst-geschäft. Die Kölner„Art Cologne" (bis22. November) setztim Angesicht derneuen FrankfurterMesse stark auf Ex-pansion. Über 200Galerien sind diesesJahr zugelassen.Siehe Kultur.

UdSSR/Denken

Heideggerals Idol

Die parteiphiloso-phischen Pflicht-übungen in derUdSSR finden vorfast leeren Sälenstatt, doch bei einerwissenschaftlichenKonferenz in Mos-kau wurde MartinHeidegger plötzlichzum neuen Meister-denker erhoben.Siehe Kultur.

Peter Hofmann

Star imMusical

Soviel scheint si-cher: Wagnertenorund Rocksänger Pe-ter Hofmann (Bild)soll die Hauptrolleim neuen Hambur-ger Andrew-Lloyd-Webber-Musical„Phantom der Oper"(Nachfolger von„Cats") werden.Premiere: 29. Juninächsten Jahres.

DFB-Team nach Italien

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Durch einen 2:1-Sieg über dieFußball-NationalmannschaftWales' sicherte sich die Elf derBundesrepublik vor 60 000 imKölner Müngersdorfer Stadiondie Fahrkarte zur Weltmeister-

schaft in Italien 1990. Die Torefür das DFB-Team hatten RudiVöller (25.) und Thomas Häßler(48.) erzielt. Den Treffer der Gä-ste markierte Allen (11.). DerKölner Pierre Littbarski setzte

in der 77. Spielminute einenFoulelfmeter an den Pfosten.Unser Bild zeigt das l:l-Aus-gleichstor für das DFB-Teamdurch Rudi Völler (Mitte, amBoden). (dpa-Funkbild)

Hilfe für DDR / Anfang nächster Woche Gespräche in Ost-Berlin

Seiters macht noch keine AngeboteBonn (dpa). Bundeskanzler

Kohl hat am Mittwoch in Bonnmit den zuständigen Ministernzwar den Rahmen für Hilfelei-stungen an die DDR abgesteckt,konkrete Angebote wird dieBundesregierung bei ihrer er-sten direkten Kontaktaufnahmemit der neuen DDR-Spitze abernicht vorlegen.

In welchen Bereichen und inwelchem Umfang geholfen wer-den soll, wird unter anderemvon den Gesprächen abhängen,die Kanzleramtsminister SeitersAnfang nächster Woche in Ost-Berlin mit DDR-Ministerpräsi-dent Modrow und Staats- undParteichef Krenz führen wird.Bundeskanzler Kohl wird zu Be-gegnungen mit den beiden DDR-Spitzenvertretern noch in die-sem Jahr in die DDR reisen. Derzunächst ins Auge gefaßte Ter-min Anfang Dezember scheintaber fraglich zu sein.

Regierungssprecher Klein er-klärte nach der Sitzung Kohls

mit den acht zuständigen Mini-stem und den Vorsitzenden derKoalitionsfraktionen, daß beider Erörterung von Hilfsmaß-nahmen den Reform-Forderun-gen der Bürger in der DDR undder tatsächlichen Reformbereit-

Bundeskanzler Kohl gibt heuteeine Regierungserklärung zur Ent-wicklung in der DDR ab. Aus demBundestag berichtet das ErsteDeutsche Femsehen ab 9 Uhr.

schaft der DDR-Führung „Rech-nung getragen werden" müsse.

Entscheidende Themen derGespräche Seiters' in Ost-Berlinseien freie, gleiche und geheimeWahlen, die Einordnung derlaufenden Projekte wirtschaftli-cher Hilfe in den Reformprozeßsowie Reiseerleichterungen fürBundesbürger in die DDR."Aufdie Frage, ob es sich um Vorbe-dingungen oder Bedingungenfür Bonner Hilfe handele, wollte

sich Klein nicht einlassen. Es seiaber klar, daß gemeinsamedeutsch-deutsche Firmen oderwestliche Investitionen in derDDR keinen Sinn machten,wenn die Rahmenbedingungendafür nicht gegeben seien.

CDU-Generalsekretär Rühekündigte gestern nach einer Sit-zung des Bundesvorstands derPartei an, man wolle überlegen,welche wirtschaftlichen Hilfenfür die DDR schon jetzt möglichseien. Dabei gehe es um „Inve-stitionen für Deutschland", dieimmer ihren Wert behielten,egal, wie die Entwicklung in derDDR verlaufe. Als Beispielenannte er Projekte im Umwelt-schutz sowie eine Erneuerungdes Telefonnetzes der DDR.

DGB-Chef Breit und Arbeit-geberpräsident Murmann habensich gestern auf eine gemeinsa-me Arbeitsgruppe ihrer Organi-sationen verständigt, die sichmit den Folgen der Veränderun-gen in der DDR befassen soll.

Noch keine Öffnung des Brandenburger ToresBerlin (dpa). Die DDR hat am

Mittwoch abend die Erwartun-gen gedämpft, daß eine unmittel-bare Öffnung der Mauer vor demBrandenburger Tor bevorsteht.Ein Angehöriger der DDR-

Grenztruppen wandte sich überLautsprecher an die auf westli-cher Seite ausharrende Mengevon Schaulustigen und Journali-sten: „Ich bin ermächtigt, Ihnenmitzuteilen, daß sich heute und

in den' nächsten Tagen am Zu-stand der Grenzsicherungsanla-gen hier nichts ändern wird. DieDDR-Fernsehnachrichtensen-dung „Aktuelle Kamera 2" hattediese Durchsage live übertragen.

Aufforderung an EG / Gorbatschow:

deutsche Grenzenfestschreiben'

Moskau/Paris (dpa/AP). Moskau hat am Mittwoch dieStaats- und Regierungschefs der Europäischen Gemein-schaft aufgefordert, bei ihrem Gipfel am Samstag in Paris dieUnverrückbarkeit der deutschen Grenzen festzuschreiben.Es sei „jetzt nicht die richtige Zeit", bestehende politischeund wirtschaftliche Gebilde zu zerstören.

Dies erklärte laut Parteizei-tung „Prawda" Staats- und Par-teichef Gorbatschow. Er habegewarnt, die Frage einer Wie-dervereinigung zu propagieren.Dies sei „gefährlich".

Laut NachrichtenagenturTass äußerten der französischeAußenminister Dumas und seinsowjetischer Amtskollege Sche-wardnadse bei Gesprächen inMoskau konträre Ansichtenüber die Wiedervereinigung.Außenminister Schewardnadsebezeichnete die Versuche „ge-wisser Kreise in der Bundesre-publik", die Frage einer Wieder-vereinigung auf die Tagesord-nung zu setzen, als „Bestrebung,die territorialpolitische Ord-nung des ganzen Kontinents inFrage zu stellen".

Dumas habe bemerkt, jedesVolk habe das Recht frei übersein Schicksal zu entscheiden.Doch dürfe das Schicksal des ei-nen Volkes nicht von anderenals Bedrohung empfunden wer-den. Interessanterweise äußertesich das sowjetische Politbüro-mitglied Jakowlew in Japan

ähnlich wie Dumas. Die Wie-dervereinigung sei Sache derDeutschen, und die Sowjetunionwerde sich nicht einmischen.Die Bemerkung fiel gestern ineinem Gespräch mit der soziali-stischen japanischen Opposi-tionsführerin Takako Doi.

US-Sprecher Fitzwater sagtein Washington, die „großenThemen" des Ost-West-Ver-hältnisses seien dringlicher alsder Gedanke einer Wiederver-einigung Deutschlands.

EG-KommissionspräsidentDelors wird beim Pariser Gipfelein Konzept für eine neue Ost-politik der Gemeinschaft vorle-gen. Die DDR habe dabei eineSonderstellung, erklärte derbelgische EG-Kommissar vanMiert am Mittwoch in Brüssel.Für sie gehe es „um mehr als einHandelsabkommen". „Wir müs-sen über die Lebensmittelhilfehinausgehen", sagte Miert. Wil-ly Brandt, Vorsitzender der So-zialistischen Internationalen,hat nach Gesprächen in Brüsseldie EG zu einer „deutlicherenOstpolitik" aufgefordert.

Besucheransturm hält unvermindert an

7,7 Mio. DDR-Bürgerbesitzen Reisevisum

Berlin (AP/dpa). Fast jederzweite der rund 16,6 MillionenDDR-Bürger hat sich bis zumMittwoch morgen ein Reisevi-sum für die Bundesrepublik be-sorgt. Die Ostberliner Nach-richtenagentur ADN meldete,für Privatreisen seien seit dem 9.November gut 7,77 MillionenVisa erteilt worden. Nach wei-teren Angaben des DDR-Innen-ministeriums hätten im selbenZeitraum 13 579 Menschen dieÜbersiedlung genehmigt be-kommen.

Mit Lastwagenladungen vonBananen, Apfelsinen und exoti-schen Südfrüchten rüsten sichinzwischen Geschäfte in Grenz-nähe auf den erwarteten Mas-senansturm am kommendenWochenende ein. Auch werk-tags hält der Besucherstrom an.Gestern sind in der Zeit zwi-schen 4 und 14 Uhr nach Anga-ben des Bundesinnenministe-

riums insgesamt 242 545 DDR-Bürger in: die Bundesrepublikeingereist. 654 von Ihnen woll-ten als Übersiedler bleiben. Vonden Besuchern kamen 241 455über die innerdeutsche Grenzeund 1090 über die Grenze zurTschechoslowakei. Von denÜbersiedlern kam nur noch ei-ner über die CSSR-Grenze. Anden Grenzübergängen stautensich die Wagen auf mehrere Ki-lometer. Insgesamt sind seit Öff-nung der Grenzen 3,5 MillionenDDR-Bürger in die Bundesrepu-blik eingereist.

Wie erwartet sind gestern dieersten DDR-Bürger in ihre ehe-malige Heimat zurückgekehrt.Der vermutete große Ansturmfand jedoch noch nicht statt. ImLaufe des Tages fuhren Busseaus Niedersachsen in den Be-zirk Magdeburg.Fortsetzung nächste SeiteSiehe „Themen des Tages"

Zum Tage

ErleichtertGeschafft! Ein kollektives Gefühlder Erleichterung erfaßte gesternabend die Fußball-Freunde von derNordseeküste bis zu den Alpen.Obgleich am Nachmittag durch ei-nen rumänischen Sieg über unse-ren nördlichen Nachbarn Däne-mark in Siegzwang versetzt, nah-men Beckenbauers Balltreter dieletzte und entscheidende Qualifi-kations-Hürde gegen Wales.

Abgewendet war die zwar vonniemandem so recht für möglichgehaltene, aber doch in Sichtweitegerückte Staatstrauer im Falle ei-ner Nichtteilnahme beim rauschen-den Fest im Sommer nächsten Jah-res. Nicht auszudenken der Frust,den die Abwesenheit des letztmali-gen Vize-Weltmeisters in Italienhierzulande ausgelöst hätte.

Nun kann die Weltmeisterschaft1990 im gelobten Fußball-Land ru-higen Herzens erwartet werden.Natürlich auch vom Veranstalterselbst, der den gestrigen Abendwohl mit bangem Herzen verfolgthat. Den Organisatoren der großenSport-Party steht jetzt zweifelloseine Invasion deutscher Fans unddamit große Kasse ins Haus. DieLira-Ströme werden sich in Milliar-den-Dimensionen bewegen.

Und auch die Leitfigür der Sze-ne, Teamchef Franz Beckenbauer,darf nun wieder freier atmen. Er,der sein Wohl und Wehe an die 90Kölner Minuten geknüpft hatte,bleibt von einem Arbeitsplatz-wechsel verschont. Jörg Allmeroth

UdSSR / Sowjet-Experte

Perestroikaoder Diktatur?

Osnabrück (lni). „In den kom-menden drei Monaten wird sichin der Sowjetunion das Schick-sal der Perestroika (Umgestal-tung) entscheiden. Zur Zeit gehtdas Land wegen direkter Sabo-tage und negativen Bilanzen aufallen Ebenen der eingeleitetenWirtschaftsreformen den Wegin die Katastrophe". Das erklär-te der sowjetische Wirtschafts-wissenschaftler Professor Mas-low vom Institut für Internatio-nale Arbeiterbewegung derAkademie der Wissenschaftender UdSSR (Moskau) auf einerVeranstaltung in der Osnabrük-ker Universität.

Der Wissenschaftler zitierteeine Umfrage der Akademie derWissenschaften, nach der indiesem Jahr 52 Prozent aller Ar-beiter in 1200 sowjetischen Be-trieben eine „härtere Hand" vonder politischen Führung forder-te. „Noch vor einem Jahr glaub-te die Mehrheit an Demokrati-sierung. Heute bewegen wir unszwischen Perestroika und einerMilitärdiktatur", so Maslow.Siehe auch Kommentar

Genfer Gericht

Fall Barsche!wird aufgerollt

Genf (dpa). Die Ermittlungenüber den Tod des früherenschleswig-holsteinischen Mini-sterpräsidenten Barschel am 11.Oktober 1987 in Genf müssenwieder aufgenommen werden.Ein Genfer Gericht nahm denEinspruch der Familie Barschelgegen den Abschlußbericht derRjchterin teilweise an.Siehe „Themen des Tages"

Lotto am MittwochZiehung A: 2, 25, 30, 34, 36, 44 Zu-satzzahl: 47.Ziehung B: 8, 10, 30, 31, 33, 42 Zu-satzzahl: 24.Spiel 77: 4 1 8 8 5 8 8.

(Ohne Gewähr)

Page 30: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 268 Politik Donnerstag, 16. November 1989

Namen undNachrichten

Papst zu Aids: Werte-KrisePapst Johannes Paul II.Maßnahmen •zur Aids-Vor-beugung scharfkritisiert, dieden „wahrenmenschlichenSinn der Sexua-lität verletzen".Dies erklärte erzum Abschlußdes internatio-nalen Aids-Kongresses imVatikan. SeineRede wurde als Bekräftigung derPosition der katholischen Kir-che verstanden, wonach der Ge-brauch von Kondomen abzuleh-nen sei. Die Ausbreitung vonAids mache, so der Papst, „einebesorgniserregende Krise derWerte" deutlich.

US-Marine legt Pause einWegen einer Unfallserie, bei derseit Oktober mindestens zehnSoldaten umgekommen sind, hatdie US-Marine am Mittwocheine 48stündige Übungspauseeingelegt, um ihre Sicherheits-maßnahmen zu überprüfen. DerStopp wurde auch mit Blick aufden Mittelmeer-Gipfel von US-Präsident Bush und dem sowje-tischen Staats- und ParteichefGorbatschow auf einem US-Kriegsschiff am 2./3. Dezembervor Malta angeordnet.

Gerling zahlt 280 000 DMDas Verfahren gegen den Chef

des Kölner Ger-ling-Versiche-rungskonzerns,

j Hans Gerlingi (74), wegen{Steuerhinter-" ziehung ist ein-gestellt wor-den. Das Köl-ner Amtsge-

r icht folgte da-Imit einer Anre-gung der Bon-*ner Staatsan-

waltschaft. Als Auflage mußGerling 280 000 DM an die Kin-der- und Jugendpsychiatrie derUni Köln .zahlen.

Nordkorea: NacheifernNordkorea hat dazu aufgerufen,dem deutschen Beispiel zu fol-gen und die Grenze zwischenden beiden koreanischen Staa-ten zu öffnen. Beim einem Tref-fen mit südkoreanischen Diplo-maten machte der nordkorean-ische Delegationsleiter Nam Junallerdings keine konkreten An-gebote für eine Grenzöffnung.

Bankgewerbe: 4,6 % mehrGehaltserhöhungen von 4,6Prozent für die rund 400 000 Be-schäftigten des Bankgewerbes -rückwirkend vom 1. Novemberan - haben die Tarifparteien amMittwoch in Düsseldorf verein-bart. Dabei würden die Einkom-men in den unteren Lohngrup-pen zusätzlich angehoben, sodie DGB-Gewerkschaft Handel,Banken und Versicherungen(HBV) und die Deutsche Ange-stellten-Gewerkschaft (DAG).

Erneut vor GerichtDer Bundesgerichtshof in Karls-ruhe hat dasUrteil desOberlandesge-richtes (OLG)Stuttgart gegendie 26 jährigeLuitgard Horn-stein wegenMitgliedschaftin der RotenArmee Frakti-on aufgehoben.Das OLG mußdas Verfahrenerneut aufrollen, weil es einemögliche Beteiligung Horn-steins am Anschlag auf das Dor-nier-Werk in Immenstaad imJuli 1986 nicht geprüft hatte.Die Beschuldigte war zu vierJahren Haft verurteilt worden.

Janka rehabilitiertDie Generalstaatsanwaltschaftder DDR hat den bisher verfem-ten und wegen „Staatsverbre-chens" verurteilten Walter. Jan-ka nun endgültig rehabilitiert.Der ehemalige Leiter des Auf-bau-Verlags war 1956 zu einermehrjährigen Freiheitsstrafeverurteilt worden, weil er „demUngan-Aufstand Vorschub ge-leistet habe".

Bundestag / SPD rügt Zeitdruck bei Beratungen

CDU: Gentechnikgesetz noch 1990Bonn (dpa). Das Gentechnik-

gesetz der Bundesregierung, dasgestern bei der ersten Lesung imBundestag von der Oppositionals unzureichend kritisiert wur-de, soll noch 1990 verabschie-det und in Kraft gesetzt werden.Dies kündigte der CDU-Abge-ordnete Seesing an, der zugleichvorschlug, an der ZentralenKommission für Biologische Si-cherheit auch Kritiker der Gen-technik zu beteiligen. Catenhu-sen (SPD) forderte einen parla-mentarischen Unterausschuß,um die Experten zu konzentrie-ren und sachgerechte Beratun-gen sicherzustellen.

Zur Entscheidung des Hessi-schen Verwaltungsgerichtshofs,die geplante Insulinproduktionbei der Firma Hoechst wegenfehlender bundesgesetzlicherRegelungen zu stoppen, kündig-te der Parlamentarische Staats-sekretär des Gesundheitsmini-steriums, Pfeifer (CDU), eine ge-sonderte Stellungnahme der Re-gierung an.

Catenhusen warf der Bundes-regierung vor, durch ein unnöti-ges Kompetenzgerangel der be-teiligten Ministerien mit demGesetz in erheblichen zeitlichenVerzug geraten zu sein. Jetzt seies unter Zeitdruck „mit der hei-ßen Nadel gestrickt" in den Bun-

Befristete Arbeitsverträge

Befristete Arbeitsverträge miteiner Dauer bis zu 18 Monatendürfen auch weiterhin ohne be-sonderen Grund abgeschlossenwerden. Der Bundestag verlän-gerte das seit 1985 geltende Be-schäftigungsförderungsgesetzbis Ende 1995.

destag gebracht worden. vor, das der Bundestag gesternDas Parlament befaßte sich mit der Mehrheit der Stimmenaußerdem mit diesen Themen: von Koalition und SPD verab-

schiedete.

Katastrophenschutz

Eine Hilfeleistungspflicht füralle Bundesbürger im Katastro-phen- und Kriegsfall sowie eineMeldepflicht für Angehörigemedizinischer Berufe sind Kern-punkte des Katastrophen-schutz-Ergänzungsgesetzes, dasder Bundestag gegen die Stim-men der Opposition beschloß.Die Fraktion der Grünen kün-digte wegen der von ihr als ver-fassungswidrig angesehenenDienstpflichten eine Normen-kontrollkjage beim Bundesver-fassungsgericht an.

Vereinsförderung

Rund 90 Prozent der gemein-nützigen Vereine in der Bundes-republik haben künftig mit demFinanzamt nichts mehr zu tun:Sie brauchen ihre Überschüsseaus wirtschaftlicher Tätigkeitnicht mehr zu versteuern, wennsie beispielsweise die Umsatz-grenze von 60 000 DM pro Jahrunterschreiten. Das sieht dasneue Vereinförderungsgesetz

Giftmüllverbrennung

In einer Aktuellen Stunde for-derten die Grünen einen soforti-gen Stopp der Verbrennung vongefährlichem Industriemüll aufder Nordsee. Die AbgeordneteCharlotte Garbe warf Umwelt-minister Töpfer (CDU) vor, dieVerbrennung noch bis Ende1994 zuzulassen. Töpfer will dasProblem in einer Konferenzerörtern: Länder-Amtskollegensowie Vertretern des Verbandesder Chemischen Industrie undder IndustriegewerkschaftenChemie und Metall sollen amkommenden Dienstag nachBonn kommen.

WARTEN MACHT MÜDE. Nach anstrengender Nachtwache vor dem Brandenburger Tor machtensich diese beiden Fotojournalisten am Morgen erst einmal lang. An der Westseite der Mauerhielten sich vergangene Nacht viele hundert Journalisten auf, um den historischen Zeitpunkt derWiedereröffnung nicht zu verpassen. (dpa-Funkbild)

Ost-Liberale wollen Gesetzesvorlage einbringen:

,SE&führungsanspruch streichen'Berlin (AP/dpa). Die Liberalen

in der DDR machen ernst: Miteinem Gesetzesantrag wollensie erreichen, daß der Führungs-anspruch der,SED aus der Ver-fassung gestrichen wird. DieVolkskammerfraktion der Libe-ral-Demokratischen ParteiDeutschlands (LDPD) will nacheinem Bericht der DDR-Nach-richtenagentur ADN auf dernächsten Sitzung der Volks-kammer am.Freitag eine Geset-zesvorlage zur Verfassungsän-derung einbringen. Anliegender Initiative sei die Beseitigungdes festgeschriebenen Füh-rungsanspruches einer Klasseoder Partei im Staat; erklärte diePressestelle der LDPD.

Zudem will die Fraktion einenzeitweiligen Ausschuß beantra-gen, der der Volkskammer soschnell wie möglich ein neuesWahlgesetz vorlegen soll. EinVolksentscheid zum Wahlge-setz solle freie und geheime

Libanon

Wahlen schon im Sommer 1990ermöglichen.

Nach freien Wahlen werde es„natürlich eine ganz andere Zu-sammensetzung der Volkskam-mer als jetzt geben", meinte derVorsitzende der Liberalen, Ger-lach, in einem Interview desARD-Hörfunks in Ostberlin.Die SED könnte dann die Mehr-heit in einer künftigen Regie-rung verlieren.

Die künftige DDR-Regierungunter Hasns Modrow wird Ger-lach zufolge wesentlich kleinersein als bisher. Sie werde statt45 Mitgliedern nur noch „etwa23" Minister haben. Die Libera-len, die in der alten Regierungnur das Justizministerium inne-hatten, beanspruchen Gerlachzufolge drei zusätzliche Res-sorts.

Veränderungen sind auch inder Justiz der DDR geplant. Siesoll von Staat und Partei unab-hängig werden zu Unrecht Ver-

urteilte sollen rehabilitiert wer-den. Das kündigte der Staatsse-kretär im Ostberliner Justizmi-nisterium, Wittenbeck im SED-Zentralorgan „Neues Deutsch-land" an. Er schlug vor, Richternicht mehr von den örtlichenVolksvertretungen wählen zulassen. Statt dessen solle das Ju-stizministerium sie für unbefri-stete Zeit ernennen.

CDU lädt Reformer ein

Die CDU will zu ihrem „Klei-nen Parteitag" am 11. Dezemberin Berlin, der „ganz im Zeichender Veränderungen in Deutsch-land" stehen soll, Reformer ausder DDR einladen. Dies kündig-te CDU-Generalsekretär Rühenach der Sitzung des' Bundes-vorstandes an. Dazu sollenauch, wie er auf Fragen erklärte,„unbelastete" Mitglieder derOst-CDU gehören.

Weiße Minderheit / Swapo:

Zwei Deutsche entführt? Aussöhnung in Namibia'Beirut (AP). In Beirut sind offenbar zwei Bun-

desbürger libanesischer Abstammung und eineamerikanische Journalistin von einer bislang un-bekannten Gruppe entführt worden. In einemgestern veröffentlichten Schreiben erklärte eine„Organisation der gerechten Rache", sie habe dieDrei verschleppt. Danach handelt es sich bei denDeutschen um den in Libanon geborenen 39 Jah-re alten Mounir Shamseddin Sami sowie seinenin Berlin geborenen siebenjährigen Sohn Daniel.

Windhuk (dpa). Die namibische Unabhängig-keitsbewegung Swapo will nach ihrem Wahlsiegan der „nationalen Aussöhnung" arbeiten undhat der weißen Minderheit die „Hand derFreundschaft" angeboten. Die Weißen sqllten„ohne Furcht" in ihrer Heimat bleiben, erklärteSwapo-Chef Nujoma. BundesaußenministerGenscher forderte alle UNO-Staaten auf, dasErgebnis der Wahlen in Namibia zu akzeptieren.Siehe auch Kommentar

Flugtage / Stoltenberg: Kriegsgräberpflege

Vorführungen VDK wird ineingeschränkt Polen tätig

Bonn (dpa). Verteidigungsmi-nister Gerhard Stoltenberg(CDU) hat ein neues Konzept für„Tage der offenen Tür" bei derBundeswehr und den alliiertenStreitkräften angekündigt. Inder Bundestagsdebatte über denAbschlußbericht des Parlamen-tarischen Untersuchungsaus-schusses über die Flugtagkata-strophe von Ramstein am 28.August vergangenen Jahres er-klärte gestern der Vorsitzendedieses Gremiums, Biehle (CSU),Stoltenberg habe ihm in einemBrief mitgeteilt, gegenüber derbisherigen Praxis der „Flugtage"würden in Zukunft Flugvorfüh-rungen deutlich eingeschränkt.Die Sicherheitsbestimmungenzum Schutz der Zuschauer wür-den erheblich verschärft.

Auch DDR drosselt Flüge

Unterdessen hat das DDR-Verteidigungsministerium erst-mals öffentlich auf Beschwerdenüber militärischen Fluglärm rea-giert und eine Einschränkungdes Flugbetriebs angekündigt.Die Nachrichtenagentur ADNveröffentlichte am Mittwocheine Mitteilung des Ministeri-ums, nach der unter anderemkünftig für Sonn- und Feiertageein generelles Flugverbot fest-gelegt wurde.

Kassel (m.s.). Erstmals nachdem Krieg wird der VolksbundDeutsche Kriegsgräberfürsorge(VDK) voraussichtlich schon1990 in Polen tätig werden kön-nen. „Die Tür in Polen ist für unsgeöffnet", freute sich VDK-Prä-sident Weber gestern in Kasselnach Gesprächen, die er in Be-gleitung Bundeskanzler Kohlsmit dem Präsidium des polni-schen Roten Kreuzes führte.Dessen Präsident Gura habesich für eine dauerhafte Zusam-menarbeit mit dem VDK ausge-sprochen. Die Rot-Kreuz-Ge-sellschaften beider Länder wer-den die Federführung in derKriegsgräberfürsorge überneh-men.

In Polen sind etwa eine halbeMillion deutscher Soldaten be-graben. Bereits Anfang 1990sollen konkrete Projekte erar-beitet werden. Fest steht bereits,daß gefallene deutsche Solda-ten, deren Gräber in der Nähevon Warschau dem Bau einerSchnellstraße weichen müssen,1990 in eine würdige Grabstätteumgebettet werden.

Weber wird Polen schnellst-möglich eine Zusammenstellungder Gräber aller polnischenKriegsopfer in der, Bundesrepu-blik überreichen. Der VDK wirddafür Unterlagen über Grabstät-ten deutscher Soldaten in Polenerhalten.

Berlin erwartet Besucheransturm

Auch Momper zahltBegrüßungsgeld ausFortsetzung

Wegen des erwarteten Besu-cheransturms aus Ost-Berlinwerden am kommenden Wo-chenende im Westteil der Stadtneben Banken, Postämtern undBezirksämtern auch Senatsbe-hörden öffnen, um die jeweils100 DM Begrüßungsgeld auszu-zahlen: Selbst in •; der Senats-kanzlei im Rathaus Schöhebergwerde eine Zahlstelle eingerich-tet, teilte Momper mit. Er undsein Senatssprecher WernerKolhoff wollen selbst mit aus-zahlen. Insgesamt werden esüber 300 Stellen sein.

Zur Entlastung der Straßen-verbindungen sollen in Berlinam Wochenende möglicherwei-se Schiffe auf der Spree einge-setzt werden. Die Bundesbahnhat in Zusammenarbeit mit derDDR-Reichsbahn für das Wo-chenende elf neue Zugpaare für

den Verkehr zwichen der Bun-desrepublik und der DDR vor-gesehen. Über Berlin fahrenauch mehrere Züge.

Eine Blitzumfrage, die amMittwoch in DDR-Medien ver-öffentlicht wurde, ergab, daß 87Prozent der üb'# 600 inter-viewten Ostberliner ihre Hei-mat nicht auf Dauer verlassenwöll^nT 48 Prozent der* Befragtengaben an, mit den Entwicklun-gen der vergangenen Wochenvor allem Hoffnungen zu ver-binden. Ein beinahe ebensogro-ßer Teil (47 Prozent) hegt ange-sichts der Umwälzungen aller-dings sowohl Hoffnungen alsauch Befürchtungen. 71 Prozentgaben an, sich über erste Rück-kehrer in die DDR zu freuen. Fürein wesentlich verändertesWahlgesetz sprachen sich nachAngaben des Blattes „Der Mor-gen" 93 Prozent aus.

Für Menschen in DDR / Biedenkopf und Leber

Vorschlag: Am 17. Juni arbeitenBonn (dpa). Der CDU-Bundes-

tagsabgeordnete Kurt Bieden-kopf und der SPD-PolitikerGeorg Leber haben gestern vor-geschlagen, den 17. Juni für diekommenden fünf Jahre zum Tagder aktiven Solidarität mit denMenschen in der DDR zu ma-chen. Der „Tag der deutschenEinheit" solle ein Arbeitstagwerden, die an ihm verdientenLöhne und Gehälter sollten aneine „Solidaritätsstiftung desdeutschen Volkes" zur Verbes-

serung der Lebensbedingungenin der DDR abgeführt werden.Auch die privaten und öffentli-chen Arbeitgeber sowie Selb-ständige sollten entsprechendeBeträge einzahlen. Auf dieseWeise könnte zehn MilliardenDM im Jahr zusammenkommen.SPD und CDU äußerten Sympa-thie für den Vorschlag. Die Grü-nen lehnten ihn ab und verlang-ten statt dessen eine drastischeKürzung des Verteidigungs-etats.

HESSISCHE/NIEDERSACHSISCHE

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Page 31: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 268 Themen des Tages Donnerstag, 16. November 1989

Gorbatschowin Gefahr

t i n Gespenst geht um in der So-wjetunion. Erst war es nur ein lee-res Wort, aber in ständiger undzunehmend drängender Wiederho-lung nimmt es Gestalt an. Daß demvom inneren Verfall und äußerenZerfall gezeichneten Riesenreicheine Militärdiktatur drohe, befandjetzt auch einer der Reformer umGorbatschow auf deutschem Bo-den. Dabei werden die Fristen im-mer kürzer. Maslow gibt dem Pre-diger der Perestroika nur noch dreiMonate der Bewährung.

Seine Warnung kommt aus dü-sterem Himmel. Ein harter Winterbricht heran, es fehlt an allen Ek-ken und Enden. Die Wirtschaftsre-form hat die Not vergrößert, dieVersorgung ist so schlecht wiekurz nach dem Krieg. Streiks läh-men die Betriebe, Sabotage greiftum sich, im Süden herrscht Bürger-krieg, ganze Völker wollen los vonMoskau. Die Stimmung nähert sichdem Gefrierpunkt. Was im Westennoch immer Aufmerksamkeit undBegeisterung weckt, läßt die So-wjetmenschen kalt. Nach fünf Jah-ren Perestroika starren sie auf lee-re Regale und ein vom Chaos re-giertes Land.

Der Ruf nach einer starken Handgreift um sich. Er könnte Gorba-tschow gefährlicher werden als dieKonservativen und Apparatschiks.Denn damit fallen einstige Verbün-dete von ihm ab. Auf die Massengestützt, hat er den Kampf mit No-menklatura und Bürokratie aufge-nommen. Doch sie verweigern ihmin dem Maße die Gefolgschaft, wieErfolge im Alltag ausbleiben. Alstotale Erschöpfung kennzeichnetein Kundiger die Situation. Darückt, wie die Geschichte lehrt, dieStunde der Diktatoren näher. Daßdie Perestroika unumkehrbar sei,klingt bereits wie eine Beschwö-rungsformel. Führt sie der Kata-strophe zu, wie Maslow befürchtet,ist ihr Schicksal besiegelt. WerGorbatschow zu raten und helfenweiß, sollte es rasch tun. Das giltauch für die Politiker im Westen.

Alfred Brugger

Namibias Wegzur Demokratie

Wereiche Bedeutung haben dieWahlen in Namibia für uns? Die seit1915 von Südafrika besetzte ehe-malige deutsche Kolonie Südwest-afrika soll endlich in die Unabhän-gigkeit entlassen werden. Da ist esnicht gleichgültig, welche Kräftedas Schicksal des Landes bestim-men und wie seine Verfassungaussehen wird. Wir wünschen Na-mibia demokratische Verhältnisse,die auf dem afrikanischen Konti-nent durchaus nicht selbstver-ständlich sind.

Die Vereinten Nationen, unter de-ren Kontrolle freie und faire Wahlenzustande kamen, hatten die soziali-stische Swapo als alleinige und au-thentische Vertretung des Volkesbezeichnet. Das war voreilig. Diepopuläre Organisation Nujomas be-kam zwar die absolute, nicht aberdie erhoffte Zweidrittelmehrheit. Sowird sie bei der Verabschiedungder künftigen Verfassung auf Koali-tionen angewiesen sein und Kom-promisse schließen müssen.

Aus vielen Gründen kann mandas nur begrüßen. Namibiabraucht demokratische Institutio-nen und regelmässige Wahlen.Diese setzen ein funktionierendesMehrparteiensystem voraus. DieVorherschaft einer einzigen Parteiwürde die Entwicklung dahin er-schweren, vielleicht sogar verhin-dern. Indem andere Parteien wiedie Demokratische Turnhallen-Alli-anz mitwirken, ist gewährleistet,daß bürgerliche Grundrechte undMinderheitenschutz in der Verfas-sung verankert werden.

Ab April nächsten Jahres sollNamibia ein freies Land sein. Bisdahin will die Swapo für nationaleAussöhnung wirken. Sam Nujoma,der sicher erster Staatspräsidentwerden wird, bietet der weißenMinderheit die Hand zur Freund-schaft an. Wenn es ihm gelingt,den friedlich verlaufenen Wahleneine freie und faire Verfassung folgen zu lassen, befindet sich Namibia auf einem guten Weg.

Achim v. Roos

Das Zitat„Wir stehen heute demonstrierendvor dem Haus des KGB, damit wirnie wieder drin stehen müssen.'

Der sowjetische DichterJewgenij Jewtuschenko

Schwierigkeiten mit der „Wende" /Argwohn gegen rasche Wahlen

Strudel bedroht DDR-OppositionsbewegungVon unserem Mitarbeiter Peter Gärtner, Berlin

Deer rasante Wandel in derDDR bringt die oppositionellenSammlungsbewegungen insSchleudern. Gehörten noch vorwenigen Wochen Bespitzelungdurch die Staatssicherheit zumAlltag der Gruppen, so wirdjetzt der Stasi-Chef selbst in derVolkskammer.verlacht. Die lan-ge Liste der Forderungen, überJahre erstellt, wird durch diebereits verwirklichten und an-stehenden Reformen Tag für Tagkürzer. „Der Schritt der Grenz-öffnung nimmt uns auch ein we-nig Wind aus den Segeln",räumt Bärbel Bohley, Mitbe-gründerin des „Neuen Forums",offen ein, „aber ein Besinnungs-und Schrumpfungsprozeß könn-te uns auch gut tun".

Die mit rund 150 000 poten-tiellen Mitgliedern größte Op-positionsbewegung sammelteam Wochenende in Ost-Berlinerste Erfahrungen mit der neuenSituation: Zum groß angekün-digten Treffen in die Gethsem-anekirche kamen nur knapptausend Interessierte, die Ver-

Presse-EchoEin neues Kapitel in den deutsch-polni-schen Beziehungen? Mit großen Wortensollte man vorsichtig sein, schreibt die

Aber die Behauptung ist nichtzu weit hergeholt, daß sich indiesen Tagen zwischen Bonnund Warschau so viel bewegtwie kaum je zuvor. Des KanzlersLieblingsvorstellung, jetzt voll-ziehe sich zwischen Deutschenund Polen jener historische Pro-zeß einer Versöhnung wie ehe-mals zwischen Deutschen undFranzosen, eilt jedoch der Wirk-lichkeit weit voraus.

Dazu die

Ein Mißerfolg war Kohls Be-such ganz bestimmt nicht, eineüberragende historische Bedeu-tung wird ihm jedoch auch nichtzukommen.

Dasselbe Thema beleuchtet die

fladienerDolfesseftungKohl überwand die Klippen

nicht mit großen Gesten oderrhetorischer Bravour, sondernmit politischer Klugheit. Er hatin der Schlußerklärung nichtnur den Frieden und die Ver-söhnung betont, er hat auchRechte für die totgeschwiegenendeutschen Minderheiten er-wirkt, hat der deutschen Spra-che und der deutschen Ge-schichte neues Ansehen vermit-telt - ohne dabei über geltendesRecht hinweg neue Grenzbe-kenntnisse ablegen zu müssenoder Milliarden ins Ungewissezu werfen.

Anderer Meinung ist die

Abendzeitung

Kohl hat es versäumt, überseinen Schatten zu springen undohne Wenn und Aber die West-Grenze zu garantieren, so wie esder Bundestag kürzlich getanhatte. Gerade dies hatten die Po-len sehnlichst erhofft, zumaljetzt, wo die beiden deutschenStaaten... zusammenzuwachsenscheinen und Polen im Westenein übermächtiger Nachbar insHaus stehen könnte.

Schließlich der

MncretaDt-3(mriötrHelmut Kohl hat die wohl

schwierigste Reise seiner Amts-zeit hinter sich. Und er hat denPolen-Besuch, den ersten einesBundeskanzlers seit zwölf Jah-ren, gemeistert. Zwar nicht mitBravour - dem standen die Bela-stungen der Vergangenheit, diewidrigen Umstände der Reiseund die Vielzahl der ungelöstenProbleme, entgegen. Doch mußes Kohl auf der Habenseite sei-ner Politik angerechnet werden,daß er in den deutsch-polni-schen Beziehungen endlich einKapitel aufgeschlagen hat, daserfolgversprechend in die Zu-kunft weist.

anstalter vom „Forum" hatten„mindestens" mit dem Fünffa-chen gerechnet. So paart sichdie Freude über die offene Stadtvor allem mit der Sorge, daß diepolitische Auseinandersetzungund Perspektivbestimmung in.den Hintergrund gedrängt wer-de. Auch der WittenbergerTheologe Friedrich Schorlem-mer, einer der Vordenker derOpposition und Sprecher derGruppe „Demokratischer Auf-bruch" mahnt: „Wir dürfen unsnicht in diesen Strudel hinein-reißen lassen, wir müssen jetztnachdenken."

Eine zentrale Frage

Immer stärker rückt jetzt einezentrale Frage in den Mittel-punkt der Diskussionen: Außer-parlamentarische Bewegungoder Partei? Für das „Neue Fo-rum" könnte dies zur Zerreiß-probe werden. „Wir wollen zu-mindest vorläufig", so einer derSprecher, „eine Vereinigung

bleiben, aber uns auch bei freienund geheimen.. Wahlen zurWahl stellen". Ähnlich äußertesich der Rechtsanwalt Rolf Hen-rich, Gründungsmitglied des„Forums", der zugleich skep-tisch bleibt: „Wir dürfen nichtden Fehler machen, Verantwor-tung für den Trümmerhaufen zuübernehmen." Die im Aufbaustehende SozialdemokratischePartei der DDR (SDP) hat sichhingegen längst festgelegt, auchdie Gruppe „DemokratischerAufbruch" steht vor ihremGründungsparteitag, der fürMitte Dezember anberaumt ist.

Dies sei eine „Mehrheitsent-scheidung", erklärte ChristianeZiller vom „DemokratischenAufbruch". Es gebe zwar eineallgemein beobachtete Partei-müdigkeit - nach vierzig JahrenSED-Herrschaft -, aber auch„einen sehr starken Basisdrucknach einer alternativen Partei",ist sich Frau Ziller während ei-ner Gesprächsrunde in Ost-Ber-lin sicher. Pfarrer Schprlemmersieht jedoch bereits die Gefahr

einer Zersplitterung: „Wenn dieBlockparteien Profil gewinnenund unsere Positionen aufgrei-fen, müssen wir nicht extra nochandere Gruppen bilden."

Nahezu alle oppositionellenSammlungsbewegungen habenin der letzten Zeit von den Libe-raldemokraten (LDPD) und auchder DDR-CDU Angebote zuMitarbeit, Mitgliedschaft undKandidaturen über deren Listenerhalten.

Einen Schritt voraus

„Ihnen geht es ähnlich wieuns", sagt der Sprecher des„Neuen Forums" in Magdeburg,„sie haben zu wenig kompetenteLeute, die Verantwortung über-nehmen könnten". Dennoch sindsie den Gruppierungen um einengroßen Schritt voraus: DieBlockparteien arbeiten in festenOrganisationsstrukturen undverfügen zumindest über einehalbwegs unabhängige Tages-presse. „Wir müssen hingegen

Die nächsten Schritte

DDR: Die Euphorie weicht der Nachdenklichkeit

(Karikatur: Wolf)

Furcht vor WährungsreformVon dpa-Klitarbeiterin Sabine Heimgärtner

.Euphorie ist in der KleinstadtBernau bei Ost-Berlin nicht aus-gebrochen. Obwohl sich zum hi-storischen Wiedersehens-Wo-chenende fast alle der rund20 000 Einwohner auf den Wegin den „goldenen" Westteil Ber-lins aufmachten, ist inzwischender Alltag wieder eingekehrt.Mit einem Unterschied: Dassonst verschlafene Bernau hatendlich ein Gesprächsthema -die Stippvisiten seiner Bürger inden Westen.

Wie ein Blitz

Die Nachricht von der Öff-nung der Grenzen hatte in Ber-nau wie ein Blitz eingeschlagen.Noch in derselben Nacht fuhrenJugendliche mit der letzten S-Bahn der Sensation entgegen.Für sie ist die Schule am Freitagausgefallen. Die Älteren -rea-gierten langsamer und plantenden ersten Westbesuch als Fa-milienausflug am Wochenende.

Erfahrungen ausgetauscht

Alle wieder vereint, nach we-nig Schlaf und ausgelaugt vomWest-Taumel sitzen sie nunbeim Bier für 50 Pfennig Ost undtauschen Preiserfahrungen undSonderangebote aus. Konser-ven-Ananas rangieren an derSpitze, weil es im Bernauer„Südfrüchte"-Laden nur Kohl-rüben und Weißkraut gibt. Großist aber auch die Zahl der DDR-Bürger, die ihren „Begrüßungs-Hunderter" erstmal nach Hausegeschafft haben und kommendeWestbesuche zum „Gucken"nutzen wollen. Gleich kaufen,

das wollen die wenigsten. Ehereinteilen, jedesmal nur eineKleinigkeit kaufen.

Nur die jungen Bernauer rea-gierten anders auf die überra-schende Möglichkeit zumWestkonsum: Kassettenrecor-der, Walkman und Autoradioswurden gekauft, „im Januargibts ja wieder 100 Westmark".Am wichtigsten allerdings: End-lich raus aus der öden Provinz,in der außer einem Jugendclubund einem Kino nichts gebotenwird. Auch die Kneipenszene istnicht mehr das, was sie einmalwar: Zwei von den sieben Gast-stätten mußten in den vergange-nen Wochen dicht machen,nachdem sich der überwiegendeTeil der Mitarbeiter in den We-sten abgesetzt hatte.

Schnell ist bei den Gesprä-chen klar geworden, daß dieDDR-Heimat so schlecht garnicht ist. Ein Taxifahrer erzähltentsetzt von seinen Beobach-tungen am Bahnhof Zoo, wo sichjunge DDR-Bürger zum Ab-schied noch eine Bockwurst„leisteten": -Zum offiziellen Um-tauschkurs, für 20 Mark Ost.„Dafür hätten die bei uns so vie-le Wiener bekommen, die hättensie gar nicht aufessen können".Fazit der Gesprächsrunde: Le-,bensmittel, Arbeit, Wohnung - 'alles ist da. Und jetzt sogar dieReisefreiheit!

Zu viele Türken...

Nur dies zählt in der kleinenProvinzstadt. Politische Kund-gebungen hat es nach Angabender „Stern"- Wirtin in Bernaunoch nie gegeben - „für Demossind unsere Leute zu faul". Die

Reise in den Westen, damit istdie Bernauer Wirtin zufrieden,und „drüben" leben will sieschon gar nicht. Als Kind be-reits kannte sie die BezirkeWedding und Neukölln, zumWiedersehen sagt sie: „Ich binenttäuscht". Zu viele Türken,Spray-Graffitis an den Häuser-wänden und Neonazi-Sprüche,nein danke.

Angst geht um

Durch die Öffnung der Gren-zen, so befürchtet nicht nur die48jährige, könnten sich bald„schlechte Einflüsse" aus demWesten in die DDR „einschlei-chen". Drogenprobleme, Aidsund Kriminalität - schon jetztgeht Angst um unter besonne-nen DDR-Bürgern. Noch größerist die Panik vor den wirtschaft-lichen Folgen der millionenfa-chen Grenzüberschreitungen.Viele fürchten die Entwertungihrer Sparkonten aufgrund einerWährungsreform, andere rüstensich auf den Run auf die West-mark. Groß ist die Angst, daßclevere DDR-Bürger die flotteMark im Westen machen könn-ten, Handwerker in Schwarzar-beit zum Beispiel, und dannwäre die Arbeit in der DDRnoch weniger wert.

Richtig glücklich weiß sichnur die Wirtin vom „GoldenenStern" zu schätzen, für die sichdie Lage ihrer Eckkneipe außer-halb des Zentrums zum erstenMal ausgezahlt hat: Im Nach-barhaus ist die Paßstelle unter-gebracht, wo die Bernauer seitvier Tagen für ein VisumSchlange stehen: Der Umsatzhat sich verdoppelt.

auf ein neues Medien-, Wahl-und ein bisher in der Verfassungnoch gar nicht vorhandenes Par-teiengesetz warten", meint ein„Forum"-Mitbegründer. Und:„Auch im veränderten Hörfunk-und Fernsehprogramm kommenwir fast nicht vor."

Von daher wächst in diesenTagen unter den Oppositions-gruppen die Unlust, sich einerschnellen Wahl zu stellen, vorallem einer vorgezogenenVolkskammer-Wahl. Zwar sindsich die Gruppen weitgehend ei-nig, daß der Führungsanspruchder SED fallen müsse - selbstSED-Genossen bezweifeln diedemokratische Legitimität derVolkskammer -, doch solle einneues Wahlgesetz zuerst imVolk diskutiert werden, so ar-gumentieren die SED-Gegner.„Als zweiter Schritt wären imSommer oder Herbst nächstenJahres Kommunalwahlen not-wendig und 1991 erst Volks-kammerwahlen", schlägt Hans-Jochen Tschiche vom „NeuenForum" vor.

Fall Barschel

Alte Fragenneu gestelltVon Ocke H.H. Peters

JLJer Fall Barschel ist wiederauf dem Tisch. Zwei Jahre nachdem Tod in der Badewanne, ineiner Zeit, in der die weltbewe-gende Affäre zu verblassen be-gann, ist entschieden worden,die Umstände dieses Todes nocheinmal zu untersuchen. Waskann von dieser Entscheidungerwartet werden, wenn die Un-tersuchungen dort wieder an-laufen, wo sie vor einigen Mona-ten' abgeschlossen worden sind?Was kann von einer Untersu-chungsrichterin erwartet wer-den,' wenn sie sich nach wie vorauf eine Polizei stützen muß, dieoffenbar elementare Regeln ver-letzt hat?

Es werden die alten Fragenneu gestellt - Wasser auf dieMühlen derer, deren Fragen nieverstummt sind, die aber nieeine Antwort bekommen haben.Hat Schleswig-Holsteins Mini-sterpräsident Uwe Barschel, dernach der Entdeckung seiner„schmutzigen Tricks" im Herbst1987 in der Sackgasse geratenwar, selbst Hand an sich gelegtoder ist er ermordet worden?Hat er vielleicht bei seinemSelbstmord einen Helfer gehabt?

Wer hat die Beaujolais-Fla-sche beseitigt, die ein Kellnerdes Beau Rivage aufs Zimmergebracht hatte? Wo hat sichBarschel in den letzten zehnStunden seines Lebens aufge-halten? Von wem stammen dieFingerabdrücke auf seinem Ter-minkalender und auf seinemBuch? Wie lassen sich die diffe-rierenden Temperaturangabendes Badewassers und seinesKörpers erklären?

Keine leichte Aufgabe

Die Genfer Untersuchungsbe-hörde wird es nicht leicht ha-ben, diese und andere offeneFragen zu beantworten. Es gibtweder einen Verdächtigen nochein Motiv. Es gibt nur wilde Spe-kulationen um Waffenschieberund andere Dunkelmänner, dieangeblich auch im Beau Rivagezu nächtigen pflegten, und esgab einen Uwe Barschel, der mitseinem Ehrenwort seine Ehreverpfändet hatte und entlarvtworden war.

Seine Witwe Freya hat trotz-dem unerschütterlich an derMordthese festgehalten. Siesteht unter dem Zwang, denKindern ein positives Bild ihresVaters zu malen. Verstummenallerdings will auch nicht dasGerücht, daß eine Versiche-rungssumme in MillionenhöheTriebfeder für den immer wiedergeäußerten Zweifel am Selbst-mord sei. Weil die berühmteDrei-Jahresfrist, innerhalb de-rer ein Versicherungsnehmerkeinen Selbstmord verübendarf, noch nicht abgelaufen ge-wesen sei, müsse unbedingt einMord ermittelt werden, damitdas Geld fließt.

Page 32: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

HESSISCHE/NIEDERSACHSISCHE

ALLGEMEINE

HESSIS KASSEL1 P 3713 A

ALLGEUNABHÄNGIG

Preis 1,10 DM

KASSELER ZEITUNG

Nr. 269 • Freitag, 17. 11. 1989

NICHT PARTEIGEBUNDEN

Ruf (05 61) 203-0 • Anzeigen 203-3

Bis zwei Liter

Neue Förderungvon Kat-Autos

Bonn (dpa). Der Bundestag hatgestern befristete Steuererleich-terungen für alle neuen, schad-stoffarmen Personenwagen biszwei Liter Hubraum und dieFörderung der Umrüstung vonGebrauchtwagen mit Katalysa-toren beschlossen. Von den Be-günstigungen sollen die Haltervon rund 2,2 Millionen Fahr-zeugen profitieren. Die Einnah-meausfälle für die Länder sindbis 1995 mit insgesamt 818 Mil-lionen DM eingeplant.

Der Schwerpunkt des neuenGesetzes liegt beim geregeltenDrei-Wege-Katalysator. Beimnachträglichen Einbau gibt esdafür 1100 DM direkte Zu-schüsse. Die Nachrüstkostensollen dadurch nahezu abge-deckt werden. Bei der Nachrü-stung mit ungeregelten Kataly-satoren bekommt der Autobesit-zer einen Barbetrag von 550DM. Mit dem Gesetz sollen ins-besondere bisherige Nachteilefür Pkw mit einem Hubraum un-ter 1,4 Liter beseitigt werden.

Aus- und Übersiedler

Bald nur nochGeldpauschale

Bonn (dpa). Aus- und Über-siedler sollen künftig nicht bes-ser und nicht schlechter gestelltsein als die einheimische Bevöl-kerung. Das ist Ziel der von Ko-alition und SPD im Bundestagbeschlossenen Eingliederungs-novelle. Kern ist die Zahlung ei-nes pauschalen Eingliederungs-geldes anstelle von Arbeitslo-sen- oder Krankengeld. Alleindavon erwartet Bonn Einspa-rungen von mindestens 430 Mil-lionen DM pro Jahr.

Das Eingliederungsgeld sollkünftig zwölf Monate lang unab-hängig von der beruflichen Qua-lifikation gewährt werden. EinVerheirateter bekommt stattbisher 1232 DM Arbeitslosen-geld nur noch 1011 DM Einglie-derungsgeld und einen Fami-lienzuschlag von 130 DM. EinLediger erhält statt bisher 1047DM nur noch 928 DM. Unteranderem sieht das Gesetz weitereine pauschale Entschädigungfür den Verlust des Hausrates inHöhe von 1400 DM vor. Bei derVergabe öffentlicher Aufträgewerden selbständige Aussied-ler, die länger als 15 Jahre hiersind, nicht mehr bevorzugt.

Demo / Im Oktober

NVA gabMunition aus

Berlin (dpa). Einheiten derNationalen Volksarmee(NVA) der DDR sollten of-fenbar im Oktober notfallsgegen die Montagsdemon-stranten in Leipzig eingesetztwerden. Wie die LeipzigerZeitung „Die Union" demWest-Berliner Informations-büro West zufolge berichte-te, wurde für die Soldaten inder Stadt „beginnend am 4.und 5. Oktober" der Ausnah-mezustand verkündet. Es seischarfe Munition ausgege-ben worden.

Die Soldaten seien zudemdarauf hingewiesen worden,„daß im Einzelfall und beientsprechendem Befehl aufdas Volk geschossen werdenmuß". Die Zeitung wertetedies als „Steigerungsform zuden Praktiken der Volkspoli-zei in diesen Tagen".

Kunstmarkt

DDR imWandel

Auch auf demKunstmarkt wan-delt sich das Ange-bot der DDR. Aufder „Art Cologne"ist der StaatlicheKunsthanel derDDR mit einer Aus-wahl an Kunstwer-ken vertreten, diewestlichen Maßstä-ben sehr nahekom-men. Siehe Kultur

Unfälle

Vorsicht:Rauhreif!

Autofahrer Vor-sicht! Durch Rauh-reif und Eisglättekam es gestern inden Morgenstundenzu zahlreichen Un-fällen in weiten Tei-len des Bundesge-biets. Bei Karlsruhewurden allein 38Unfälle gezählt, imRaum Gießen 39.„Blick in die Zeit".

DFB großzügig

Geldregenauf Spieler

Nachdem sich dieBeckenbauer-Elf fürdie WM-Endrundequalifiziert hat,zeigt sich der Deut-sche Fußball-Bund(DFB) großzügig: Erschüttet 690 000Mark Prämie aus -36 000 Mark proSpieler, wenn^er alleTreffen mitgemachthat. Siehe Sport.

Tiefstand

Lohnquotegesunken

Bei der Lohnquo-te, die den Anteilder Einkommen ausunselbständiger Ar-beit am Volksein-kommen beziffert,erwartet das Mün-chener Ifo-Institutfür Wirtschaftsfor-schung 1989 einenneuen Tiefstand.Siehe Wirtschaftund Kommentar.

Daimler

KeineVerluste

Daimler-Benzwird 1989 einenKonzernjahresüber-schuß in der Grö-ßenordnung desVorjahres von etwa1,7 Milliarden DMausweisen. DiesePrognose stellte ge-stern der Vorstanddes Konzerns inStuttgart. SieheWirtschaft.

Telefone

Ruft DDRSiemens?

Siemens möchtedas Telefonnetz derDDR ausbauen.Kurzfristig könntendie notwendigenKomponenten gelie-fert werden. In derDDR kommen elfTelefone auf 100Einwohner (Bun-desrepublik: 46 Ap-parate). Siehe auchWirtschaft.

BEGEHRTE SOUVENIRS sind in diesen Tagen Teile der BerlinerMauer. Auf unserem Bild haben sich Mädchen und Jungen derJohn-F.-Kennedy-Schule (Bezirk Zehlendorf) am Potsdamer Platzeine Betonrolle „gesichert". Inzwischen warten Journalisten undSchaulustige weiter auf eine Öffnung der Grenze am Brandenbur-ger Tor. (dpa-Funkbild)

Ost-Berlin / Neue Kabinettsliste

Etwa 12 Ministernicht aus der SED

Ost-Berlin (dpa). Die Liste desneuen, deutlich verkleinertenDDR-Kabinetts ist offenbar un-ter Dach und Fach. Nach ge-meinsamen Verhandlungen ha-ben die Vertreter der fünf in derVolkskammer vertretenen Par-teien dem Vorschlag des neuenMinisterpräsidenten Modrow(SED) zugestimmt, teilte diePressestelle des Staatsrates ge-stern mit. Etwa ein Dutzend Mi-nister gehörten nicht der SEDan. Im zurückgetretenen Mini-sterrat (43 Minister) waren 40SED-Mitglieder.

Der Vorsitzende der Liberal-Demokratischen ParteiDeutschlands (LDPD), Gerlach,erklärte am Abend im ZDF, daßseine Partei vier statt bisher ei-nen Minister stellen werde. DieLiberalen sollten u.a. das Justiz-ministerium erhalten.

Er bestätigte westliche Zei-tungsberichte, daß der Ostberli-ner Konsistorialpräsident Stol-pe von der Ost-CDU für ein Mi-nisteramt vorgeschlagen wor-den sei. Stolpe hätte stellvertre-

tender Ministerpräsident undBeauftragter für Kirchenfragenwerden sollen, da aber kirchli-che Gremien dieser Amtsüber-nahme durch einen Geistlichenzustimmen müßten, werde ervorausichtlich nicht der neuenRegierung angehören.

Nach Angaben von ADN wa-ren bei den Verhandlungen fürdie neue Regierung SED-Gene-ralsekretär Krenz sowie dieVorsitzenden der vier anderenParteien vertreten. Dies sind ne-ben der LDPD die Demokrati-sche Bauernpartei (DBD), dieNational-Demokratische Partei(NDPD) sowie die DDR-CDU.

Die Parteichefs kamen .über-ein, eine Kommission zur Ände-rung der Verfassung einzuset-zen. Hier geht es vor allem umArtikel 1, der die Führungsrolleder SED festlegt. Der von derKommission erarbeitete Ent-wurf zur Verfassung soll zur öf-fentlichen Diskussion gestelltund in der Volkskammer behan-delt werden.Fortsetzung nächste Seite

Zweites „deutsches Wochenende'

Grenzgemeindenrüsten sich fürMassenansturm

Hamburg (dpa/AP/eg). Vor dem zweiten „deutsch-deutsehen Wochenende" bemühen sich Städte und Gemeindenfieberhaft, das vielerorts befürchtete Chaos zu vermeiden.Mit vielfältigen Angeboten für DDR-Besucher lädt die gesam-te Grenzregion zum großen Wiedersehensfest.

In der Bundesrepublik undWest-Berlin werden wiederweit mehr als eine Million Besu-cher erwartet. Bis gestern hattemit über 8,6 Millionen bereitsmehr als die Hälfte der DDR-Bürger ein Visum für einen Be-such im Westen bekommen.

Bus-Pendelverkehr

Viele Städte wie Kassel undGöttingen wollen die Trabis ausden Citys heraushalten undrichten von Großparkplätzenaus einen Buspendelverkehrein. Fast überall können DDR-Besucher kostenlos mit öffentli-chen Verkehrsmitteln fahren.

Entlang der gesamten Grenzedürfen Geschäfte am Samstag

Weitere Berichte zum Besucher-strom und aus der DDR finden Sieim Innern.

bis in die späten Nachmittag-stunden - zum Teil auch sonn-tags - öffnen. Viele halten Son-derangebote für DDR-Bürgerbereit, wollen Ost-Mark anneh-men oder Wechselstuben ein-richten. Vielerorts werden Bun-desbürger gebeten, Betten fürDDR-Besucher bereitzustellen.

Die Besucher können in zahl-reichen Gemeinden, z.B. in Kas-sel, Museen, Theater und ande-re Kulturveranstaltungen ko-stenlos besuchen. Stadtrund-fahrten werden angeboten, Mu-sikgruppen sollen in den Innen-städten aufspielen.

Inzwischen sind die Versor-gungsengpässe mit Südfrüchten,die es am vergangenen Wochen-ende zum Beispiel in Eschwege

gegeben hatte, behoben. DerNachschub rollt kontinuierlich,die Geschäftsleute haben sichauf einen heißes Verkaufswo-chenende vorbereitet.

Aus einigen Städten in Bayernwerden Versorgungsengpässebei Weihnachtsartikeln gemel-det. In anderen Gemeinden, soin Witzenhausen, werden hin-gegen nur die Lagerbestände beipreiswerten Radiorecordernund Uhren aus Japan knapp.

Einen besonderen Ansturmerwartet West-Berlin. Zusätz-lich werden hier 50 U- und S-Bahnen fahren, unterstützt von116 Bussen, die aus dem Bun-desgebiet herbeigeschafft wer-den. Händeringend suchen dieWohlfahrtsverbände noch Hel-fer, die unter anderem 300 000Becher Tee verteilen sollen.Knapp ist das Personal auch inKaufhäusern und Läden, die amSamstag bis um 18 Uhr geöffnetsein dürfen.

Gewarnt hat unterdessen dieBerliner Aids-Hilfe: Viele DDR-Besucher wüßten noch zu wenigüber die Immunschwäche-krankheit. Die Aids-Hilfe willdeshalb Kondome und ein spe-ziell für DDR-Besucher erstell-tes Flugblatt verteilen.

Neue Grenzübergänge

Um den Besucheransturm zubewältigen, werden immer neueGrenzübergänge angekündigtund eingerichtet. Dies sind un-ter anderem Rittmannshausen(Werra-Meißner-Kreis) - Ifta(DDR), Widdershausen (KreisHersfeld-Rotenburg) - Dank-marshausen, Günthers - Motz-lar und Rasdorf - Butlar.

Magdeburg / Aufnahmelager blieb leer

Nur sieben kehrten zurückMagdeburg (dpa). Ratlosigkeit

und Enttäuschung über den bis-her ausgebliebenen Strom rück-kehrender DDR-Bürger sind imanderen deutschen Staat zu be-obachten. Von den in Magde-burg erwarteten etwa 2000Rückkehrern sind am Donners-tag nur sieben eingetroffen. Dortwurden deshalb die Sondermaß-

nahmen zur Versorgung Rück-kehrwilliger wieder eingestellt.

Das Deutsche Rote Kreuz derDDR hatte im Bezirk Magdeburgund drei weiteren grenznahenBezirken - Gera, Schwerin undErfurt - zahlreiche Aufnahmela-ger eingerichtet, um eine vermu-tete Zahl von rund 10 000 Heim-kehrern unterzubringen.

Zum Tage

SolidarischUnsere Freude über die Öffnungder deutsch-deutschen Grenze be-flügelt unser Mitgefühl für die Men-schen in der DDR. Überall wird dar-über nachgedacht, wie wir ihnenhelfen und ihre Lage verbessernkönnen. Da muß der Vorschlag,künftig am „Tag der deutschen Ein-heit" zu arbeiten und den verdien-ten Lohn in eine „Solidaritätsstif-tung des deutschen Volkes" einzu-bringen, auf fruchtbaren Boden fal-len. Niemand möchte sich der pa-triotischen Pflicht entziehen, dieNot im anderen Deutschland durchOpfer zu lindern.

Es ehrt die Politiker Biedenkopf(CDU) und Leber (SPD), daß sieder Hilfsbereitschaft einen kräfti-gen Impuls geben wollen. Nur dür-fen sie ein freiwilliges Solidaritäts-opfer nicht mit einer Sondersteuerverwechseln. Wenn alle Arbeitneh-mer und Unternehmer bereit wä-ren, den Ertrag eines zusätzlichenArbeitstages für die Entwicklungder DDR zu stiften, wäre das einegroßartige Sache. Aber zwingenkönnte man sie nicht dazu.

Ob es notwendig und sinnvollist, staatliche Kredite und privateInvestitionen für die DDR durchsteuerliche Sonderabgaben zu er-gänzen, kann heute noch nicht ent-schieden werden. Das Volumenunserer Wirtschaftshilfe wird auchvon den Rahmenbedingungen ab-hängen, die Ost-Berlin anzubietenbereit ist.

Achim v. Roos

DDR/Am 17.6. arbeiten?

Arbeitgeber undDGB uneinig

Mainz (AP). Die stellvertre-tende Vorsitzende des Deut-schen Gewerkschaftsbundes,Brusis, hat den Vorschlag be-grüßt, am 17. Juni zu arbeitenund dieses Geld einer Solidar-itätsstiftung für die DDR zurVerfügung zu stellen. Gleichzei-tig schlug sie gestern vor, auf diedritte Stufe der Steuerreform zuverzichten, um auf diese Weise20 Milliarden DM zur Unter-stützung der DDR zu gewinnen.

Der Sprecher der Bundesver-einigung der Arbeitgeberver-bände, Thomas Groß, lehnte da-gegen „freiwillige Aufbaulei-stungen" nachdrücklich ab. So-lidarität sei nötig, doch werfeeine Solidaritätsstiftung bei derUmsetzung eine Reihe von Pro-blemen auf.Siehe „Zum Tage"

Im Oktober

Inflationsratestieg auf 3,2%

Wiesbaden (dpa). Auch nachder preisdämpfenden Umstel-lung des Warenkorbs erreichtedie Inflationsrate in der Bundes-republik im Oktober den höch-sten Anstieg seit sechs Jahren.Die Preise für die Lebenshaltungaller privaten Haushalte zogenallein im Oktober um 0,4 Pro-zent an und lagen damit um 3,2Prozent höher als vor einemJahr, teilte das Statistische Bun-desamt gestern in Wiesbadenmit. Preistreiber, waren Nah-rungsmittel und Ölprodukte.

Quoten vom MittwochslottoZiehung A: Gewinnklasse I unbe-setzt, Jackpot 1009 710,70 DM; II63 106,90 DM; III 5736,90 DM; IV78,60 DM; V 5,30 DM.Ziehung B: Gewinnklasse I3 997 141,60 DM; II 63 106,90 DM;III 5082,40 DM; IV 76,50 DM; V 4,90DM.

(Ohne Gewähr)

Page 33: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 269 Politik Freitag. 17. November 1989

Namen undNachrichten

„Mauerblümchen Krenz"Der Bekanntheitsgrad von DDR-

Staats- undParteichef EgonKrenz schlägtsich in Wienbereits in derWerbung nie-der. Mit „Egon,das Mauern-blümchen"wirbt eine Kettevon Blumen-märkten für ei-nen Strauß Blu-men zum Son-

derpreis. Dabei handelt es sichum bunte Herbstblumen.

Entführung war keineZwei Deutsch-Libanesen undeine Amerikanerin, die angeb-lich in Libanon entführt wordenwaren, haben sich gestern un-versehrt in der Bonner Botschaftin Beirut gemeldet. Wie es zuden Berichten über eine Entfüh-rung gekommen war, könntensie sich nicht erklären, sagtensie nach Angaben eines Spre-chers des Auswärtigen Amtes.

Kohlepfennig wird gesenktDer von den Stromverbrau-chern als Zuschlag zur Strom-rechnung bezahlte „Kohlen-pfennig" wird in den kommen-den vier Jahren schrittweise ge-senkt. Zur Zeit beträgt er 8,5Prozent im Bundesdurchschnitt,1993 sollen es nur noch 7,5 Pro-zent sein. Dies sieht eine Novel-le zum dritten Verstromungsge-setzes vor, die der Bundestaggestern in dritter Lesung an-nahm.

China auf Distanz zur DDRPeking ist zu der rasanten Ent-wicklung in derDDR deutlichauf Distanz ge-gangen. DerchinesischeMinisterpräsi-dent Li Peng be-tonte, sein Landwerde sich aufdem eigenensozialistischenWeg nicht be-einflussen las-sen. „Chinawird sein System nicht ändern,nur weil in Osteuropa Wand-lungen eintreten", wurde LiPeng von der amtlichen chinesi-schen Nachrichtenagentur Xin-hua zitiert.

Stoiber oder GuckDer bayerische Innenminister

Edmund Stoi-jber (Bild) wird| sich beim mor-| gen beginnen-I den CSU-Par-teitag in Mün-

i chen um denj durch den Ver-zicht von Bun-desverkehrsmi-nister FriedrichZimmermannfrei werdendenPosten des

stellvertretenden CSU-Vorsit-zenden bewerben. Damit stellter sich einer Kampfkandidaturgegen der Vorsitzenden derCSU-Landtagsfraktion, AloisGuck.

Ungarn will in EuroparatDie Republik Ungarn hat als er-stes Land Osteuropas die offi-zielle Mitgliedschaft im Kreisder 23 Europaratsländer bean-tragt.. Der ungarische Außenmi-nister Gyula Hörn überreichtegestern in Straßburg den Antragan die Generalsekretärin desEuroparates, Catherine Lalum-iere. Nach Angaben Hornskönnte sein Land noch im Jahr1990 als 24. Mitglied in den1949 gegründeten Europarateinziehen. Dies sei ein „mögli-che Hilfestellung für eine An-nährung an die EG".

CSSR: Keine ReisefreiheitDie'CSSR-Regierung ist Berich-ten entgegengetreten, wonachdie Bürger des Landes künftigohne besonderes Visum in denWesten reisen können. Auchkünftig benötigen sie für West-reisen die Genehmigung des Ar-beitgebers - Rentner die Erlaub-nis der lokalen Behörden - sowiedie Bestätigung einer Bank, daßsie über die vorgeschriebeneDevisenmenge (mindestens 30DM pro Tag) verfügen.

DDR-Bürger / Bundestag

Ruf nach SelbstbestimmungsrechtBonn (dpa). In einer strecken-

weise erregt geführten Debattehaben die Bundesregierung undalle vier Fraktionen des Bundes-tages an Donnerstag einmütigdas vollständige Selbstbestim-mungsrecht für die DDR-Bürgergefordert.

Deutliche Meinungsverschie-denheiten zwischen CDU/CSUund der Opposition gab es aberin der Frage, welche Bedingun-gen die Bundesrepublik für einewirksame Hilfe zur Unterstüt-zung des Reformprozesses in derDDR stellen sollte. WeitgehendeZustimmung - mit Ausnahmeder Grünen - erhielt Bundes-kanzler Kohl für die positive Bi-lanz seiner Polenreise.

In einer Regierungserklärungbot Kohl der DDR.schnelle di-rekte Hilfe bei der Überwindungvon Engpässen an. Bonn sei zuunverzüglichen^ Gesprächenüber den Einsatz von Ärzten undHilfskräften aus der Bundesre-publik in der DDR bereit. DerKanzler unterstrich noch einmaldie Bereitschaft zu umfassenderHilfe und Zusammenarbeit,wenn der Wandel in der DDRverbindlich und unumkehrbar inGang gesetzt werde.

Bei den Gesprächen von Kanz-leramtsminister Seiters (CDU)am kommenden Montag in Ost-Berlin gehe es vor allem darum,zu erfahren, wie sich die DDR-Führung „die Durchführung derangekündigten freien Wahlen imeinzelnen vorstellt". Als wichti-ges Ziel der Bundesregierung be-zeichnete es Kohl, die visafreieEinreise von Bundesbürgern indie DDR zu erreichen.

„Respektieren Entscheidung"

Der Kanzler unterstrich, daßdie Bundesregierung an ihremdeutschlandpolitischen Kurs un-beirrt festhalte. Dazu gehöre dasZiel der Einheit. Die Bundesre-gierung werde aber auch in die-ser Frage „jede Entscheidung,die die Menschen in der DDR infreier Selbstbestimmung treffen,selbstverständlich respektie-ren". Das heiße aber auch, ihnenjetzt nicht einzureden, „das Bestesei die staatlichen Teilung unse-res Vaterlandes".

Der frühere Bundeskanzlerund SPD-EhrenvorsitzendeBrandt wandte sich gegen denBegriff „Wiedervereinigung". Er

suggeriere, daß etwas wiederentstehen könnte, was es einmalgegeben habe. Man müsse so se-riös wie möglich prüfen, wasjetzt möglich sei. Brandt rief an-gesichts der Veränderungen inder DDR zum Zusammenwirkenaller politischen Kräfte auf. Ber-lins Regierender BürgermeisterMomper (SPD) warf dem Kabi-nett Kohl Passivität trotz dernicht mehr umkehrbaren Demo-kratieentwicklung in der DDRvor. Er wandte sich ebenso wiedie Grünen-Sprecherin Vollmergegen jede Bevormundung derDemokratiebewegung in derDDR und warnte davor, sie mitder Wirtschaftskraft der Bun-desrepublik zu erdrücken.

Auch BundesaußenministerGenscher warnte vor der Versu-chung, den DDR-Bürgern „hin-einzureden". Dagegen betonteCSU-Chef Waigel, in der DDRseien marktwirtschaftliche Rah-menbedingungen nötig. CDU-Generalsekretär Rühe äußertedie Überzeugung, daß die großeMehrheit der Menschen in derDDR sich für die Wiedervereini-gung entscheiden würde.Weiterer Bericht und Kommentarauf „Themen des Tages"

El Salvador: Menschen flüchten vor BürgerkriegAuch am sechsten Tag sind dieKämpfe zwischen Truppen derrechtsextremen Regierung in ElSalvador und linken Aufständi-schen gestern nicht abgeflaut.Nach Schätzungen sind bereitsmehr als 700 Menschen getötetund rund 1600 verletzt worden.Zahlreiche Menschen sind aufder Flucht vor den Kämpfen(unser Foto). In San Salvador

kam es in der Nacht zum Don-nerstag zu den schwersten Ge-fechten seit Beginn der Offensi-ve der Nationalen Befreiungsor-ganisation Farabundi Mart(FMLN). Nach eigenen Anga-ben haben die Rebellen ihreStellungen in der teilweise er-oberten Hauptstadt San Salva-dor gefestigt und wollen ihre Of-fensive verstärken. Das Militär

setzte die Luftangriffe gegendichtbevölkerte Stadtviertelfort, die in Händen der Rebellensind. FMLN ist zu Waffenstill-standsverhandlungen nur be-reit, wenn Präsident AlfredoChritiani und die Militärfüh-rung zurücktreten. US-Präsi-dent Bush dagegen sicherteChristiani weitere Unterstüt-zung zu. (dpa-Funkbild)

Volkskammerparteien / Wahlgesetz

Opposition gegen zu frühe NeuwahlFortsetzung

Eine weitere Empfehlung for-dert das Parlament auf, einen Be-schluß über die Ausarbeitung ei-nes neuen Wahlgesetzes zu fas-sen. Zunehmend umstritten istder bisherige Verteilungs-schlüssel, der die Stärke der Par-teien und Organisationen in derVolkskammer bestimmt. Da-nach hat die SED insgesamt 127Sitze, CDU, DBD, LDPD undNDBD je 52. Die Massenorgani-sationen wie FDJ und FDGBkommen auf 165 Sitze, darunterein beträchtlicher Teil von SED-Mitgliedern.

Frühzeitige freie Wahlen zurVolkskammer liegen nach denWorten von Vertretern der op-positionellen Sozialdemokrati-schen Partei (SDP) und derGruppe Demokratischer Auf-bruch (DA) nicht im Interesse

der Reformbewegung. Ihnen feh-le noch die nötige Organisations-truktur, sagte Thomas Krügervon der SDP in Hannover. SeinePartei wünsche Wahlen erst imFrüh jähr • 1991. Reinhold Wei-dauer vom DA befürwortetHerbst 1990.

„Kampfgruppen auflösen"

Inzwischen haben die Liberal-Demokraten in der DDR die Auf-lösung der sogenannten Kampf-gruppen der Arbeiterklasse ge-fordert. In Leitsätzen der Partei,die in der liberaldemokratischenZeitung „Der Morgen" veröf-fentlicht wurden, heißt es: „Mi-lizeinheiten, die einer Partei un-terstehen, sind aufzulösen." DieKampfgruppen sind nach demVerständnis der SED das „un-

mittelbare bewaffnete Organ derArbeiterklasse" in Betrieben,Produktionsgenossenschaften,staatlichen Verwaltungen undInstitutionen.

Die Veränderungen in derDDR haben jetzt auch vor derChefredaktion des SED-Zentral-organ „Neues Deutschland"nicht Halt gemacht. In ihrerDonnerstagausgabe informiertedie Zeitung ihre Leser über dieAblösung des bisherigen Chef-redakteurs Herbert Naumann.Redaktion und Verlag hättensich zuvor „intensiv mit ihrerArbeit in der Vergangenheitauseinandergesetzt, die Ursa-chen der ernsten Mängel zu ana-lysieren versucht und ein neuesKonzept erarbeitet, wie wir alsJournalisten... zur Erneuerungdes Sozialismus in der DDR...beitragen können", hieß es.

Bloch und Havemann posthum wieder in DDR-AkademieBerlin (dpa). Der als System-

kritiker von der DDR-Akademieder Wissenschaften ausge-schlossene Philosoph ErnstBloch sowie der politisch ver-folgte Chemiker und Schriftstel-

ler Robert Havemann sind post-hum wieder in die Mitgliederli-ste der Akademie aufgenommenworden.

Damit folgte das Gremium ei-ner Empfehlung der „Klasse Phi-

losophie, Ökonomie, Geschich-te, Staats- und Rechtswissen-schaften und der Klasse Che-mie", berichtete die DDR-Nach-richtenagentur ADN am Don-nerstagabend.

In Ballungsgebieten Südafrika

Mehr Geldfür Beamte

Apartheid sollteilweise fallen

Bonn (dpa). Beamte in Bal-lungsgebieten sollen mehr Geldbekommen. Das betonte dasBundesinnenministerium amDonnerstag in Bonn bei Gesprä-chen mit den Beamtenorganisa-tionen. Wie Bundesinnenmini-ster Schäuble (CDU) anschlie-ßend erklärte, soll mit den ge-planten Zulagen und Einmal-zahlungen „nachvollzogen wer-den, was für private Arbeitgeberin diesen Gebieten bereits seitlangem selbstverständlich ist".

Wie es hieß, sollen Beamtenbis zum Dienstgrad A 10 in denGroßstädten Düsseldorf, Frank-furt, Hamburg, München undStuttgart vorübergehend je nachRang und Familienstand gestaf-felte Zulagen zwischen 40 und140 DM gewährt werden.Außerdem sollten Beamte biszum Dienstgrad A 12 bei einemUmzug in diese Ballungsräumeeine Einmalzahlung in Höhe von5000 DM erhalten.

Eine Zulage auch,für die An-gestellten des ÖffentlichenDienstes in den Ballungsgebie-ten forderte die von der DAGangeführte Tarifgemeinschaft.

Johannesburg (dpa). Einer derGrundpfeiler der Apartheid inSüdafrika, die Rassentrennungin öffentlichen Einrichtungen,soll fallen. Staatspräsident deKlerk kündigte gestern vor demPräsidialrat an, daß seine Regie-rung „so bald wie möglich" dasseit 1953 geltende Gesetz aufhe-ben werde. Er appellierte an dieKüstengemeinden, schon jetztdie Strände für Menschen allerHautfarben zu öffnen.

Nur das im September neu ge-wählte Parlament kann das Ge-setz aufheben. Der Präsidialrat,eine Art Schlichtungsstelle zwi-schen den drei Parlamentskam-mern für Weiße, Mischlinge unddie aus Indien stammenden Süd-afrikaner, hat lediglich eine be-ratende Funktion.

Mit dem Gesetz erhielten dieGemeinden die Rechtsgrundla-ge, ihre Parks, Schwimmbäder,Strände, Sportanlagen, Ver-kehrsmittel, Kinos und Toilettennur für bestimmte Bevölke-rungsgruppen freizugeben. Vorallem die weiße Minderheit ge-noß das Exklusivrecht an ihrenluxuriöseren Anlagen und schö-neren Stränden.

Zu Lande, zu Wasser und in der Luft

Verkehrsverbindungen fürBesucherstrom ausgeweitet

Kassel (the/dpa). Der deutsch-deutsche Verkehr rüstet sichfür den erwarteten Besucher-strom aus der DDR: Ab heuterollen nach einer Vereinbarungzwischen Bundesbahn undDDR-Reichsbahn täglich 24neue Schnellzüge zwischen bei-den deutschen Staaten; 20 wei-tere Züge werden zusätzlich imgrenznahen Verkehr eingesetzt.In Niedersachsen sollen minde-stens 94 Sonderzüge fahren.

Im Fernverkehr führen unteranderem neue Verbindungenvon--Duisburg--bzw.- Düsseldorfüber Kassel und Bebra bis nachErfurt, ..Jena und Karl-Marx-Stadt. Über den neuen Grenz-übergang Walkenried-Ellrichverkehren sechs Züge vonNortheim nach Nordshausenund zurück.

Die ersten Fahrten in Rich-tung Osten werden wenig ge-fragt sein, prophezeit ein Bun-desbahnsprecher. Denn Reisenvon Bundesbürgern in die DDRbeschränkt weiterhin die Visa-pflicht. Fahrkarten gibt es fürWest- wie Ost-Mark. DDR-Bür-gern wird die Hafte des Fahr-

Für österreichische Lkw

Preises erlassen.Allein die Technik setzt der

Zusammenarbeit beider deut-schen Bahnunternehmen eineGrenze: An jedem Übergangmüssen die Lokomotiven ausge-tauscht werden. Denn währenddie Reichsbahn der DDR ihreKundschaft mit Dieselkraft be-fördert, dominieren im bundes-deutschen Schienennetz dieElektroloks.

Unterdessen beantragte dieDeutsche Lufthansa beim Bun-desverkehrsminfsterium die un-befristete Genehmigung der Flü-ge zwischen Frankfurt und Leip-zig: Das erklärte gestern einSprecher der Fluglinie. Die der-zeitige Genehmigung gilt ledig-lich bis zum 31. Januar. Außer-dem sind im Berlinverkehr 44Sonderflüge geplant.

Zur Bewältigung des Besu-cherstroms wird jetzt auch eineSchiffslinie zwischen den Ost-see-Städten Wismar in der DDRund Lübeck-Travemünde einge-richtet. Künftig soll hier an Wo-chenenden regelmäßig ein DDR-Fahrgastschiff mit 600 Plätzenverkehren.

Bonn ordnet Nachtfahrverbot anBonn (dpa/AP). Als Antwort

auf den Beschluß Österreichs,Lkw ab 1. Dezember mit einemsiebenstündigen Nachtfahrver-bot zu belegen, hat Verkehrsmi-nister Zimmermann gestern einNachtfahrverbot für öster-reichische Lkw in der Bundesre-publik angeordnet. Das Fahr-verbot für die Zeit von 22 bis 5Uhr gilt ab 1. Januar 1990 für212 000 österreichische Lkw.Das entspricht der deutschenZahl von Lkw, die von demWiener Schritt betroffen sind.

In einem vom Verkehrsmini-

sterium veröffentlichten Brief anseinen österreichischen Kolle-gen Rudolf Streicher bedauerteZimmermann, daß er sich wegender unnachgiebigen HaltungWiens zu diesem Schritt genö-tigt sehe.

Streicher beharrte in einer er-sten Reaktion auf seiner Ent-scheidung. Die von Bonn ange-kündigten Maßnahmen dientennicht, wie das österreichischeNachtfahrverbot, dem Schutzder Umwelt. Streicher kündigtedie Prüfung rechtlicher Schrittean.

HESSISCHE/NIEDERSÄCHSISCHE

ALLGEMEINEHerausgeber

Rainer Dierichs, Dr. Dietrich Batz,Achim von Roos

ChefredakteurLothar Orzechowski

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Page 34: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 269 Themen des Tages Freitag, 17. November 1989

Im Vorhofder GeschichteBe5evormunden will man die ebenmündig gewordenen Deutschen inder DDR nicht. Darüber waren sichalle Bundestagsparteien einig. Dasandere, daß nämlich eine freie Ent-scheidung respektiert werde, sollte selbstverständlich sein. Insofernweckt die ständige Hervorhebungeher Zweifel. Denn natürlich gibtes auch feine Formen der Einfluß-nahme. Vor allem bleibt zu beden-ken, was eines noch fernen Tagesgeschehen würde, wenn die Deut-schen drüben nicht so wollen, wiees unser Grundgesetz vorsieht.

Bei genauem Hinhören löste sichdie deutsche Frage in ein Bündelvon Fragen auf. Das freigewählteParlament ist auf manche von ih-nen verbindliche Antworten schul-dig geblieben. Es bewegt sich imVorhof der Geschichte, währenddie dramatischen Ereignisse unstäglich neu überrollen. Von einerhistorischen Stunde zu reden,heißt noch nicht ihr gerecht zu wer-den. Es verdichtet sich der Ver-dacht, daß die deutsche Politik we-nig auf die Situation vorbereitetwar, die sie als Vision beschwor.

Wenn Volker Rühe von der CDUden Willen der Menschen in derDDR vorwegnimmt, wenn der CSU-Vorsitzende Theo Waigel eineMarktwirtschaft zur Vorbedingungfür umfassende Hilfe macht, kön-nen solche Signale mehr verstörenals die Reformer ermuntern. Siemüssen ihren eigenen Weg gehenauf einer langen Strecke und beinoch Ungewissem Ziel. Anspruchan die Bonner Politiker ist es, imMoment das Notwendige zu tun,nichts zu versäumen, aber zu un-terlassen, was den Reifeprozeßbehindert. Die Tagesordnung istwichtig auch in der Geschichte.Konkret bedeutet das, auf denGrundrechten wie freien Wahlenund Selbstbestimmung zu beste-hen, ansonsten aber einen Vor-schuß zu gewähren. An Geld fehltes doch nicht. Bringen wir nochGeduld und Einsicht mit auf, wür-den wir den Zipfel vom Mantel derGeschichte fassen. Alfred Brugger

Es geht umProzente

D«iese Meldung paßt so richtigrein in die Vorgeplänkel zur Tarif-runde 1990. Die Fronten - vor al-lem in der Metallindustrie - sindklar abgesteckt. Es geht um Ar-beitszeitverkürzung und kräftigeLohn- und Gehaltsanhebungen aufder einen, um satte Prozente undAbeitszeit-Flexibilisierung auf deranderen Seite.

Die Untersuchung des Ifo-Institu-tes liefert eine interessante, weiltotal auf einen Punkt der Auseinan-dersetzung fixierte Argumenta-tionshilfe. Die Lohnquote beimVolkseinkommen hat sich in denletzten Jahren stetig verringert. EinGrund ist die zunehmende Mecha-nisierung der Fertigung - die wich-tigste Ursache ist aber in den Tarif-abschlüssen der vergangenenJahre zu suchen. Die Arbeitneh-mer kamen schlecht weg; erst mar-schierte die Konjunktur mit ent-sprechend satten Unternehmerge-winnen vorweg, dann überholte diePreisentwicklung plötzlich die ver-einbarten Lohnzuschläge. Esstimmt also etwas nicht im Tarifge-füge und die Gewerkschaften müß-ten eigentlich alles daransetzen,das Mißverhältnis zu bereinigen.

Fatal an der gegenwärtigen Si-tuation aber ist, daß sie genau dasnicht tun, was mit Blick auf dieSpannungen in der Tariflandschaftnotwendig wäre. Es geht nämlichum Umverteilung der Gewinne: DieArbeitnehmer haben ein Anrechtdarauf, für die Zurückhaltung ihrerVertreter in den Verhandlungsrun-den der Vergangenheit und für denErfolg der Unternehmen in den Auf-schwungjahren endlich mit Markund Pfennig entlohnt zu werden.Normalerweise wäre eine Einigungoberhalb der Fünf-Prozent-Markemöglich. Doch normal ist in dieserTarifrunde wenig. Denn es gehtden Gewerkschaften um Arbeits-zeitverkürzung. Ihren Mitgliedernaber dürfte es eher um volle Lohn-tüten gehen. Dumm ist nur, daß siekeine Fürsprecher haben.

Horst Seidenfaden

Das Zitat„Wann immer in Deutschland derZeitgeist weht, er bläst durch dasBrandenburger Tor."

Die „Süddeutsche Zeitung"gestern in ihrem „Streiflicht"

auf Seite 1

Debatte im Bundestag / Momper und Rühe im Clinch

Kohl und ein ihm wohlwollender BrandtVon Hans-Ludwig Laucht, Bonner Redaktion

Deer Kanzler zeigt sich demParlament im schicken Zweirei-her. Dunkel ist elegant undmacht schlank. Die Stimmungist gelöst. Die Union begrüßt denRegierungschef ostentativ mitBeifall. Den hat er, auch im Ur-teil Willy Brandts, verdient. DiePolen-Exkursion hat Substanzgekostet, die Verwerfungen inder DDR zehren an den Nerven.Innerhalb von einer Woche gibtHelmut Kohl seine zweite Re-gierungserklärung ab. Das er-lebt der Bundestag nicht alleTage. Da werden Gefühle frei.

Auf der Bank des Bundesratessitzt Walter Momper. Die SPDhat den Berliner Regierendeneinfliegen lassen. Er soll dieKeule schwingen, falls die Ko-alition zu selbstgefällig werdensollte.

Selbstwertgefühl

Doch zunächst ist der Kanzlerdran. Er spannt den Bogen vonBerlin bis Warschau, von Dres-den bis Auschwitz. Etwas vomSelbstwertgefühl eines Mannes,der sich sicher ist, mehr als sei-

ne Pflicht getan zu haben, istnicht zu überhören. In den Bei-fall schaltet sich da und dortauch die größte Oppositionspar-tei ein. Gedämpft zwar, aber im-merhin. Die Grünen rühren kei-ne Hand.

Ministerriege merkte auf

Die Genossen schicken nichtden Fraktionschef, sondern denEhrenvorsitzenden ins Gefecht.Kohls Minister-Riege merkt auf.Der Bundeskanzler nimmt einenSchluck Wasser und schiebt dieAkten beiseite. Wenn sich einerin der Ostpolitik zu Hause weißund das Innenleben der Berlineraus eigener Anschauung kennt,dann Brandt. „Ich gebe offen zu:Ich habe meiner Tränen kaumHerr werden können", bekenntder Ex-Kanzler, als er die Freu-denstürme in Berlin erwähnt.

Unerwartet Trost

Helmut Kohl wird unerwartetTrost zuteil. „Ich habe die Pfiffevor dem Rathaus nicht gerne ge-

hört", sagt Brandt. Aber Pöbel,belehrt er den Regierungschef,sei das nicht gewesen, der sei-nen Unmut über Kohl geäußerthabe. „Da waren auch Landsleu-te aus dem anderen Teil derStadt dabei." Und nachdenklichfragt der Große Mann der SPD,ob die politische Sprache mitder veränderten Lage der Na-tion Schritt gehalten habe.Brandts Einschätzung: „Über-heblichkeit ist ebenso wenig an-gebracht wie die Attitüde derbeleidigten Leberwurst." Kohlnickt. Der Rat ist angekommen.

„Es war ein Erfolg"

Die Anspannung des Kanzlerslöst sich. Was er zur Polenreisehört, färbt ihm die Ohren rot.„Die eine oder andere Panne hatnicht verhindert, hat nicht ver-hindern können, daß der Besuchein Erfolg wurde", verteilt dererste bundesdeutsche Regie-rungschef der SPD lobende Zen-suren an den „Enkel" Adenau-ers. Kohl vernimmt es mit demmühsam unterdrückten Stolzdes Primaners, dem in Ge-

schichte ein Einser gelungen ist. Kanzler an seiner empfindlichs-Die Union jubelt. Die SPD macht ten Stelle: „Wir in Berlin konn-süß-saure Mine zum Brandt- ten die Probleme nicht aussit-schen Spiel. Soll heißen, soviel zen."Komplimente hat er nun auchwieder nicht verdient.

Hinweis auf König Artus

Dem studierten HistorikerKohl, dem Gespräche mit deranderen Seite am runden Tischnach dem polnischen Beispielsuspekt sind, gibt Brandt - „ichbin ein bißchen älter" - den Tip:„Die Tradition des runden Ti-sches geht in das sechste Jahr-hundert zurück, nämlich aufKönig Artus." Und weil Pinge-ligkeit nicht Brandts Sache ist:„Die Form des Tisches ist wirk-lich schnuppe." Kohl und Gen-scher heben und senken dieKöpfe im Takt. Einen so wohl-wollenden Willy Brandt erlebtman selten.

Momper wird diese trauteZweisamkeit zu viel und ernimmt die Keule. „Wo bleibt dasKonzept, wo bleibt die Be-schleunigung der Gespräche?",fragt er barsch und trifft den

Mit schwerem Hammer

Aussitzen, das ist das Stich-wort. CDU und CSU machenmobil. „Aufhören, Unver-schämtheit" rauscht es durchden Plenarsaal." Musik in denOhren Volker Rühes, des Kanz-lers General und Ausputzer.„Sie haben sich nicht wie einRegierender Bürgermeister,sondern wie ein kleinkarierterParteipolitiker benommen",schwingt Rühe freudig denschweren Hammer.

Applaus für Genscher

Hans-Dietrich Genscherbleibt es vorbehalten, den Nagelauf den Kopf zu treffen. „Wirwerden uns im Respekt vor derfreien Entscheidung der Bürgerin der DDR nicht aufdrängen."In den Applaus stimmen alleFraktionen des Hauses ein.

Brandenburger Tor

Ein Symbolder HoffnungVon Paul F. Duwe, Berlin

W ie kein anderes Bauwerkhat das Brandenburger Tor inBerlin die dunklen wie die hel-len Tage der deutschen Ge-schichte gesehen. Zwischen1788 und 1791 von Carl Gott-hard Langhans im Stile despreußischen Klassizismus er-baut, setzte es Friedrich demGroßen ein Denkmal, der Preu-ßens Macht weit nach Ost aus-gedehnt hatte.

Die Quadriga, das vierspänni-ge Gefährt mit der Wagenlenke-rin Victoria, stammte aus derHand des Bildhauers GottfriedSchadow. Die als „Triumph desFriedens" gedachte, nach Ostenzur Stadtmitte blickende Sieges-göttin, entstand in den Jahren1789 bis 1794. Das ganze En-semble wog mehr als 100 Zent-ner.

Das 65,5 Meter breite Tor be-fand sich zwischen der Residenzder preußischen Könige unddem Berliner Tiergarten, dembeliebtesten Ausflugsziel derMonarchen-Familie. Die mittle-re Durchfahrt war ausschließ-lich seiner Exzellenz, dem Kö-nig, vorbehalten.

Vorbei mit der stolzen Prachtwar es im Jahre 1806, als Na-poleon siegreich durch dasBrandenburger Tor marschierte.Die Quadriga ließ er nach Parisbringen. Aber dort mußte sienicht einmal acht Jahre bleiben.Im Frühjahr kehrte das Gespannim Triumphzug nach Berlin zu-rück. Im Frühjahr 1919 er-stürmten aufständische Arbei-ter die Quadriga und plaziertenin luftiger Höhe ein Maschinen-gewehr. Am 30. Januar 1933

DAS WAHRZEICHEN BERLINS ANNO 1907 zeigt dieses Bild von der Ostseite des BrandenburgerTores. (Foto: Titzenthaler / nh)

mußte das Tor wohl seine dun-kelste Stunde erleben. Im Sie-gesrausch zogen kilometerlangeSA-Kolonnen mit brennendenFackeln hindurch. Nur sechs-einhalb Jahre später brannte esüberall in Europa. Hitler hatteseinen schrecklichen Krieg ent-fesselt.

Am Ende dieses Wahnsinnswar auch die Quadriga nur nochein Trümmerhaufen. Sie wurde1950 heruntergeholt. Am 17.

Juni 1953 zerrten OstberlinerArbeiter dann auch die roteFahne vom Tor. 1958 schließlichwurde in Berlin-Friedenau nachalten Gipsabdrücken ein neuesGespann mit der Siegesgöttingegossen. Adler und EisernesKreuz ließ die SED entfernen,weil diese Symbole zu sehr anden preußischen Militarismuserinnerten, wie die Partei mein-te.

Später flatterte die DDR-Fah-ne mit dem Arbeiter- und Bau-

ernsymbol Hammer, Zirkel undÄhrenkranz hoch über der Qua-driga, auch gestern noch. Beson-ders nach dem Mauerbau wurdedas Brandenburger Tor, das be-rühmteste Wahrzeichen Ber-lins, ein Symbol der Hoffnung.Seit Tagen zogen auf beiden Sei-ten des Tores Tausende vonMenschen vorbei. Für vielewürde sich ein Lebenstraum er-füllen, könnten sie wieder durchdas historische Bauwerk hin-durchgehen.

Presse-EchoZum Thema der deutschen Wiederver-einigung schreibt die spanische Zeitung

EL PAIS

Die Öffnung der Mauer hatvielleicht bei vielen den völligfalschen Eindruck erweckt, daßsich das Problem der deutschenEinheit sofort stellt... Es wärewirklich gefährlich, wenn sichdie Deutschen in einen Kampfum ihre Einheit inmitten einesfeindlich gesinnten Europasstürzen würden.

Wie es im Osten Europas nun weiterge-hen könnte, beleuöhtet der Wiener

KURIER

Hat der Sozialismus noch eineChance? Ist er ein „schrottreifesAuto" (Maggie Thatcher) oderist er „das System der Fehler",wie kürzlich in Wien der ehe-malige DDR-WirtschaftsexperteHermann von Berg sagte? Dieser„Sowjetsozialismus"... ist in derTat bankrott. Auch der demo-kratische Sozialismus in West-europa war ja nur dort halbwegserfolgreich, wo er mit möglichstwenig Staat und mit möglichstviel Markt operierte. Was bleibtdann also vom Sozialismus? DerHumanismus.

Vor der Auflösung der Nato warnt der

LE FIGARODas Ende der Mauer könnte

eine Schwächung der Militär-bündnisse mit sich bringen.Wenn Gorbatschow auf demMalta-Gipfel Bush vorschlagensollte, die auf dem alten Konti-nent stationierten sowjetischenund amerikanischen Truppengleichzeitig abzuziehen, hätteEuropa nichts zu gewinnen.... Die Rote Armee wird für im-mer vor seiner Tür bleiben.

•eistung muß sich wieder loh-nen - das ist der Tenor einerFlut von Vorschlägen, die seitder Ankündigung einer Wirt-schaftsreform in der DDR dieMedien überschwemmt. Es gehtum Transparenz, Eigenverant-wortung der Kombinate, Stimu-lierung des privaten Hand-werks, Gewerbes und Handels.

Wahrheit und Klarheit sindbei der Staatlichen Zentralver-waltung für Statistik (SZS) nachdem Sturz des SündenbocksGünter Mittag angesagt. Er habeeigemächtig Berichte verfälschtund davon erfuhr man erst ausder Presse, so ihr empörter Lei-ter Arno Dond.

Der Regierung wird vorge-schlagen, „die Geheimhaltungfür nahezu alle Kennziffern auf-zuheben". Die nicht bekannteZahl der mit Verlust arbeiten-den Betriebe soll veröffentlicht,die von Mittag 1979 „willkür-lich" eingestellte Zeitschrift„Statistische Praxis" neu her-ausgegeben werden.

Um international vergleichen

Erste Konturen der DDR-Wirtschaftsreform

Leistung muß sich lohnenVon dpa-Korrespondent Claus Höcker

zu können, wird künftig dasBruttosozialprodukt und dasBruttoinlandsprodukt berech-net. Ob das übliche ProduzierteNationaleinkommen, dasDienstleistungen nicht enthält,entfällt, ist unklar. Der Lebens-standard der Rentner wird 1990durch eine Befragung unter-sucht.

Prinzipieller Nachholbedarfwird bei Umweltdaten und Ein-zelhandelspreisen eingeräumt.Beides soll sich schon im näch-sten Jahr ändern. Auf „oktroy-ierte (aufgezwungene, Red.)Meldungen mit vorwiegend pro-pagandistischem Charakter wieBürger- und Jugendinitiativen"wird verzichtet.

Die Kompetenzen der Gene-

raldirektoren der Kombinate,werden ausgeweitet. In der fürdie Konsumgüter wichtigenLeichtindustrie sollen sie Pro-duktionsvolumen und Sorti-mente „in eigener Verantwor-tung" festlegen.

Zur Stärkung des Leistungs-prinzip wird die Autorität derMeister gesteigert. Ihr Grund-gehalt soll mindestens 150 DDR-Mark höher als der Nettolohnder Kollektivmitglieder liegenund ein weiterer Gehaltszu-schlag von bis zu 30 Prozentmöglich sein. Er soll vorrangigan die Verhinderung von Still-stands- und Ausfallzeiten sowieQualitätserfüllung und mengen-mäßige Planerfüllung gebundenwerden.

Die Eigenerwirtschaftung derMittel stößt in vielen Betriebenauf Grenzen durch die Grund-mittelausstattung und den Ver-schleißgrad. Diese Überalterungvon Maschinen und Werkzeu-gen ist auch bei der Absicht zubedenken, die Jahresendprä-mien ab 1990 zu erhöhen unddeutlicher vom Betriebsergebnisabhängig zu machen. Seit 1982beträgt die Prämie 800 DDR-Mark und wird wie ein 13. Mo-natsgehalt ausgezahlt.

Der vernachlässigte privateWirtschaftssektor hat in denvon der SED umworbenen Na-tional-Liberalen und Liberal-Demokraten neuerdings einfluß-reiche Fürsprecher. Sie verlan-gen ein übersichtliches Steuer-

recht, die Abflachung der Steu-erprogression und ein neuesZollgesetz, das die DDR vor„weiterer Ausplünderung"schützt.

Die Steuerprogression beträgtbei einem jährlichen Gewinnvon 20 000 DDR-Mark beiHandwerkern 48 Prozent, beiGewerbetreibenden sogar 80Prozent und steigt bis auf 90Prozent. Das Finanzministeriumdenkt an Freibeträge. Er könntedie Hälfte des Gewinnzuwach-ses gegenüber dem vorangegan-genen Jahr, höchstens jedoch5000 DDR-Mark, betragen.

Was kommt nicht? Die 40-Stunden-Woche. Sie bleibt„wichtiges Ziel". Die Ausstat-tung der Haushalte mit Telefo-nen ist „nicht heute, nicht 1990und nicht in ein paar Jahren zulösen". Die Autoproduktion läßtsich nicht im nötigen Umfangaufstocken. Privat importierteWestautos werden mit einer Lu-xussteuer belegt. Die Konverti-bilität der DDR-Mark bleibtnoch lange Zeit ein Traum,

Page 35: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 269 Hessen Freitag, 17. November 1989

,-v

Über Nacht verschwindensoll die DDR-Sperranlage auf der Bundesstraße 7zwischen Rittmannshausen und Ifta/DDR. Hierwird für den an diesem Wochenende erwartetenBesucherstrom aus Thüringen ein neuer Überganggeöffnet, der Verkehr auf diesem alten europäi-schen Handelsweg wieder fließen. Seit dem Mittel-alter zogen auf dieser Route zwischen den Nieder-landen und Mitteldeutschland Kaufleute und Rei-sende. Auch Luther und Goethe passierten hier die

Grenze zwischen Hessen und Thüringen. Gesternrückte der erste Trupp der DDR-Grenzeinheitenan. Heute muß hier fieberhaft gearbeitet werden,wenn, wie geplant, der Übergang am Samstag um6 Uhr geöffnet werden soll. Verschwinden müssenbis dahin der Sperrzaun, Graben und Erdwälle. DieB 7 ist ein ausgezeichnetes Entlastungsventil fürden aus Richtung Eisenach zum „alten Check-point" Wartha/Herleshausen drängenden Fahr-zeugstrom. Er kann dann ab AutobahnausfahrtEisenach gespalten werden. (h/Foto: Herzog)

„Unbürokratische Hilfe" Hartmut Boehmer endgültig abgewählt

Hessen arbeitenan DDR-Straßen

SPD stellt künftig den BadHersfelder Bürgermeister

Wiesbaden (EH). HessischeStraßenbauer arbeiten bereits aufdem Gebiet der DDR. Als erstesLand der Bundesrepublik unter-stützt Hessen mit seiner Straßen-bauverwaltung die Instandset-zung der neuen Grenzübergänge,die in den vergangenen Tagenvon Thüringen nach Nord- undOsthessen geöffnet wurden. Dasteilte gestern Wirtschaftsmini-ster Schmidt (FDP) mit. Unbüro-kratisch und schnell werde beider Wiederherstellung von Stra-ßendecken und auch Parkplätzenauf DDR-Seite geholfen.

Nach Angaben von Schmidtwerden von heute 15 Uhr an ineiner Gemeinschaftsaktion desWirtschaftsministeriums unddes ADAC Hessen an die Besu-cher aus der DDR die angekün-digten Karten verteilt, die Infor-mationen über die Grenzüber-gänge und die dazugehörigenWegweisungen enthalten.

„Thüringen einladen"

In der kommenden Woche willSchmidt Gespräche mit Behör-denvertretern von jenseits derGrenze führen, um zu erfahren,welche weiteren konkreten Hil-fen das Land Hessen für Thürin-gen leisten könnte. Der Wirt-schaftsminister regte bei seinenKollegen in Nordrhein-West-falen und Niedersachsen an, zuder nächsten RegionalkonferenzNordhessen, Südniedersachsenund Ostwestfalen im Frühjahrauch Vertreter Thüringens an„den berühmten runden Tisch"einzuladen.

Bad Hersfeld (hpn). HartmutH. Boehmer(Foto) ist mitAblauf des ge-strigen Tagesnicht mehr Bür-germeister derStadt Bad Hers-feld. In offenernamentlicherlAbstimmungvotierten 41Stadtverordne-te in einemzweiten Wahl-gang nach vier Wochen für seineAbberufung. Nur die drei Vertre-ter der NPD stimmten vor rund250 Zuhörern in der Stadthallegegen die Abwahl Boehmers, deram 28. September mit den Stim-men von CDU und NPD für einedritte Amtszeit gewählt wordenwar. Diese Wahl verursachtebundesweite Proteste.

Bereits im ersten Wahlgang am12. Oktober hatten die Stadtver-ordneten Boehmer das Vertrauenentzogen. Trotz einer inzwischengegründeten Bürgerinitiative„pro Boehmer", die rund 5000Stimmen für den 48jährigen frü-heren CDU-Politiker gesammelthatte, blieb die überwältigendeMehrheit des Stadtparlamentsbei ihrer Entscheidung.

In einer gemeinsamen Pres-seerklärung von CDU und SPDsprachen sich die Fraktionen füreinen „unbelasteten Neuanfang"aus. Beide wollen wichtige Sach-und Personalentscheidungen ge-meinsam tragen. Dies bedeutet,daß die SPD den neuen Bürger-meister stellt, die CDU die neuzu-

schaffende Position eines haupt-amtlichen Ersten Stadtrats.Außerdem erhalten die Christ-demokraten wieder den Postendes Stadtverordnetenvorstehers.

Die CDU-Fraktionsvorsitzen-de Ursula Gesser beschuldigteBoehmer, er habe die CDU zumWählerbetrug aufgefordert. Siewarf ihm weiter Unverständnis inseinen politischen Entscheidun-gen vor.

Die SPD-FraktionsvorsitzendeChrista Bittner hielt dem schei-denden Bürgermeister vor, erhabe seine Wiederwahl nieernsthaft betrieben. Boehmerhabe sich maßlos selbst über-schätzt, und ihm seien die Spiel-regeln der Demokratie immernoch unbekannt.

Der Fraktionsvorsitzende derGrünen, Hans-Jürgen Schülbe,bescheinigte den beiden großenFraktionen die erschreckendeUnfähigkeit, Fehler einzugeste-hen und zu korrigieren. „DieKoalition der Verlierer istgeboren".

Unter großem Gelächter setztesich der Fraktionsvorsitzendeder NPD, Franz Knoll, für Boeh-mer ein. „Der CDU paßt die Heb-amme (NPD) nicht, und sie willjetzt das Kind aussetzen." Mini-sterpräsident Wallmann undStaatssekretär Stanitzek (beideCDU) seien „die falschen Souf-fleure" gewesen.

Nach seiner engültigen Ab-wahl erhält der nach Besoldungs-gruppe B 3 (rund 9000 DM brutto)bezahlte Jurist Boehmer fünfJahre lang 75 Prozent seiner Be-züge, danach etwa 65 Prozent.

CDU und FDP stimmten für, SPD und Grüne gegen den Entwurf

Hessischer Doppeletat 1990/91in zweiter Lesung angenommen

Wiesbaden (Ihe). Der hessische Landtag hat den von der CDU/FDP-Landesregierungvorglegten und von den Koalitionsfraktionen zum Teil geänderten Doppelhaushalt für dieJahre 1990/91 in zweiter Lesung angenommen.

Für das Etatgesetz stimmtenwährend der Plenarsitzung amDonnerstag die Abgeordnetender Union und der Liberalen.Die Oppositionsparteien SPDund Grüne lehnten das Budget

turen" geben. Größter Einzel-posten unter den Änderungenist die Anhebung der Mittel zurBekämpfung von Drogenproble-men um 2,5 Millionen Mark.

Die Steigerungen dienen vor

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ab. Ihre Änderungsvorschläge allem dem Schutz der Umwelt,fanden keine Mehrheit. DerHaushalt soll im Dezember indritter Lesung endgültig be-schlossen werden.

Nach dem ursprünglichen Ka-binettsentwurf sollten die Ein-nahmen und Ausgaben des Lan-des während der nächsten zweiJahre im Durchschnitt um je-

der Wissenschaft, den Schulenund Kindergärten, der innerenSicherheit, dem Wohnungsbauund dem ländlichen Raum. Dazukommen erhöhte Ausgaben fürUmsiedler und Flüchtlinge so-wie stärkere Zahlungen desLandes an die Kommunen. Dievon der dritten Stufe der Steuer-

weils 3,8 Prozent auf insgesamt reform verursachte Zunahmerund 56,7 Milliarden Mark stei- der Neuverschuldung soll im

nächsten Jahr auf etwa1,65 Milliarden Mark und 1991auf 1,55 Milliarden Mark be-grenzt werden.

SPD und Grüne begründetenihre Ablehnung des Doppeletatsdamit, das Zahlenwerk sei ein

gen.Die Landtagsfraktionen der

Christ- und Freidemokratenhatten nach der ersten Lesungdie Ausweitung des Budgets um28,5 Millionen Mark sowie Um-schichtungen in Höhe von zu-sammen rund zwölf MillionenMark vereinbart. Damit will dieKoalition dem Haushalt vor al-lem in der Sozial-, Umwelt- undKulturpolitik „noch mehr Kon-

„reiner Wahlhaushalt" und„bloßer Wählerkauf". Es reicheweder im Umweltschutz noch inder Sozialpolitik oder beimWohnungsbau aus.

R A D I O

W I R K O M M E N R Ü B E R

UKW 103.7, 100.0, 100.3, 104.8

5.00-9.00Guten Morgen, Hessen!9.00-12.00RADIO FFH - Radiomarkt12.00-14.00RADIO FFH -14.00-16.00RADIO FFH -16.00-18.00RADIO FFH -18.00-19.00RADIO FFH -19.00-1.00RADIO FFH -1.00-5.00RADIO FFH -

Halbzeit

Treffpunkt

Feierabend

Wunschhits

Radioshow

Nachtschicht

Abgeordnete und Minister kommen bei Etatdebatte in Zeitnot

,Halten zu Gnaden, Herr Präsident'V o n u n s e r e m R e d a k t i o n s m i t g l i e d Ro l f E f f e n b e r g e r

Wiesbaden. Der „Fahrplan"für die zweite Lesung des56,7-Milliarden-Mark-Doppel-haushalts für die Jahre 1990/91geriet durch die unvorhergese-hene zweistündige Schluß-debatte zu den Zitaten von Mi-nisterpräsident Wallmann(CDU) am Mittwochmorgen völ-lig durcheinander, und Land-tagsabgeordnete wie auch Mini-ster kamen in Zeitnot, Kritik,Gegenkritik und Argumentevorzutragen.

„720-Sekunden-Ritual"

Zwei Tage waren vorgesehen,gestern und vorgestern. Mitfreundlicher Strenge wachte derjeweils amtierende Präsidentdarüber, daß die von Fraktions-geschäftsführern und Ältesten-rat vereinbarten Zeiten einge-halten wurde. Das glückte nichtimmer. „Halten zu Gnaden,Herr Präsident", entschuldigtesich Wirtschaftsminister

Schmidt (FDP), als er gemahntwurde, er habe seine Redezeilmit 20 Minuten schon um fast100 Prozent überschritten. „Ichhabe versucht, auf alle Fragenzu antworten." Seine Rede gabder Minister dann zu Protokoll.

„Schweren Herzens" werde ersich an das „720-Sekunden-Ri-tual" halten, kündigte der Grü-nen-Abgeordnete Hertle an, be-_vor er massive Kritik ah Kultus-minister Wagners (CDU) Schul-politik übte. Dafür hätte er vielmehr Zeit gebraucht.

„Über Reform reden"

„Ich halte den Sozialetat fürausgewogen, zukunftsweisendund einleuchtend und empfehledie Annahme", erklärte dieFDP-Abgeordnete Babel kurzund bündig und gab ihre Redeebenfalls zu Protokoll. Zuvorhatte sie darauf hingewiesen,daß der Themenbereich Ge-sundheit, Pflege alter Men-

schen, Jugend, Kindergärten,Drogen und Tierschutzbeauf-tragter nicht in zwölf Minutenabzuhandeln sei. Man hättevielmehr jetzt über den Sinn ei-ner Haushaltsdebatte und eineParlamentsreform zu reden,meinte sie.

Monologe gehalten,.,,., „,.,«.,,

Gelegentlich entspann sicheine kurze Sachdebatte, häufigaber wurden Monologe gehal-ten. Gemeinhin wird behauptet,die Haushaltsdebatte sei dieStunde des Parlaments. Wenndas so sein sollte, müßten sichdie Abgeordneten Gedankendarüber machen, wie das zu ver-wirklichen wäre.

Gestern zeigte sich abermals,daß die Verabschiedung desEtats mit ihren rhetorischen Zu-gaben lediglich ein Ritual ist -diesmal von 720 Sekunden proFraktion und Einzelplan.

Frankfurt (Ihe). Unter demMotto „Begegnung in Hessen"veranstaltet der HessischeRundfunk (hr) Hilfsaktionen fürDDR-Bürger. In den dritten undvierten Hörfunk-Programmenkönnen die Hörer für eine Spen-de von 50 Mark ihren Wunsch-titel spielen lassen. Das Geldwird auf einem Konto des Pari-tätischen Wohlfahrtsverbandsgesammelt und soll für Trans-port, Übernachtungen und Ver-pflegung von Kurzbesuchern

Hessischer Rundfunk

Wunschtitel für50-DM-Spendeaus der DDR benutzt werden.An Übersiedler aus der DDRwendet sich die Aktion „Start-hilfe", zu der in der Fernseh-sendung „Hessenschau" aufge-

rufen wird. Nach Darstellungdes hr sollen dabei Gutscheinein Höhe von mindestens 50Mark bei Einzelhandelsgeschäf-ten gekauft und über das Deut-sche Rote Kreuz an die Über-siedler weitergeleitet werden.

Für dieses Wochenende hatder Sender zu Begegnungen beieiner hr3-Disco-Party (Samstag,19 Uhr) und einem hr4-Tanztee(Sonntag, 16 Uhr) in Eichenberg(Werra-Meißner-Kreis) eingela-den.

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Page 36: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 269 Stadt Kassel Freitag, 17. November 1989

Kassel (m.s.). Der frischenMeeresluft von Nordwestenfolgte ein Hoch. Doch meistblauer Himmel und strahlenderSonnenschein trügen. Die „gol-dene" Novemberluft enthältSchadstoffe. Die ArbeitsgruppeLuft der GesamthochschuleKassel sprach gestern von einerInversionslage, also einer luft-austauscharmen Wetterlage.Die hatten wir schon zum Be-ginn der Woche, allerdings mitetwas höheren Belastungen alsgestern.

Die Winde in Bodennähewehten gestern aus östlichenRichtungen. Trotzdem gab esnach Angaben der Universi-täts-Arbeitsgruppe „eine rela-tiv hohe Luftbelastung". Am

Schadstoffe in der Luft

Neues Hoch läßt Belastung steigenHolländischen Platz wurde ge-stern Spitzenwerte von 8 Milli-gramm Kohlenmonoxid pro Ku-bikmeter Luft gemessen. DerGrenzwert nach der Smog-Ver-ordnung beträgt bei Kohlen-monoxid 30 Milligramm.

Die Kohlenmonoxid-Halb-stunden-Mittelwerte schwank-ten gestern an den KasselerMeßstationen Bettenhausenund Nord (die Station in derSüdstadt ist derzeit außer Be-

trieb) zwischen 2,2 und 10,8Milligramm. Dagegen hätten, soUmweltdezernent LudolfWurbs gestern abend, die Drei-Stunden-Mittelwerte am Mitt-woch und Donnerstag zwischen1,2 und 2,2 Milligramm gele-gen.

Laut Wurbs sind es auch dievielen Fahrzeuge aus der DDR,die diese Werte beeinflussen.Dem Halbstunden-Mittelwertdürfe man aber nicht die Bedeu-

tung beimessen, die er auf demersten Blick habe: Durch dieAnhäufung von Trabis bei-spielsweise rund ums Rathauswerde dieser Halbstunden-Mit-telwert „plötzlich total verän-dert". Dies sei derzeit der Fall.

Beim Schwefeldioxid lagendie Werte gestern bei durch-schnittlich 0,09 Milligramm proKubikmeter, während es amMittwoch nur zwischen 0,02und 0,03 mg gewesen waren.

Bei 0,6 mg liegt der Grenzwertnach der Smog-Verordnung.All die Meßwerte, so stuft esUmweltdezernent Wurbs ein,„bereiten uns im Moment kei-nerlei Sorgen". Um diese Jah-reszeit habe es früher schonwesentlich höhere Belastungs-werte gegeben.

Überwiegend sonnig undtrocken bleibt das Wetter - sogestern abend die Vorhersage.Die Tageshöchsttemperaturenwerden danach bei etwa sechsGrad liegen, nachts muß weitermit Frost bis zu minus vier Gradgerechnet werden. Ein kräftigesHoch mit Schwerpunkt überDänemark bestimmt derzeit un-ser Wetter. Und daran soll sicham Wochenende wenig ändern.

Altmarkt

Raub auf derKreuzung

Kassel (ach). Mitten auf derAltmarkt-Kreuzung wurde inder Nacht zum Donnerstag ge-gen 1.45 Uhr ein 21 jähriger Au-tofahrer aus Kassel von dreiMännern gestoppt, aus demWagen gezerrt, verprügelt undseiner Jacke sowie 500 MarkBargeld beraubt.

Einen der Tatverdächtigen,einen 25jährigen Mann ausFrankfurt, nahm die Polizei we-nige Minuten später fest. Nachden beiden weiteren Täternwird noch gefahndet.

Laut Darstellung des 25jähri-gen, der sich heute vor einemHaftrichter verantworten muß,hätten sich die drei Autoinsas-sen des Frankfurter Wagensüber den Fahrstil des 21jährigengeärgert. Bei der Prügelei aufder Kreuzung soll nach Anga-ben der Pohzei auch die 19jähri-ge Beifahrerin des 21jährigenKasselers Schläge abbekommenhaben.

Fahndung erfolgreich

Nach zehnminütiger Fahnrdüng entdeckte eine Funkstreifedes 1. Reviers den gesuchtenFrankfurter Pkw am Steinweg.Im Auto saß freilich nur nochder 25jährige, der Aussagenüber die Identität seiner Mitfah-rer verweigert. Auch die Jackeund die 500 Mark des Opferssind noch nicht wieder aufge-taucht.

Die Polizei will den 25jährigenin Haft nehmen lassen, weil derMann bereits mehrfach wegenKörperverletzung vorbestraftsei, so ein Polizeisprecher. DerAutofahrer aus Frankfurt mußtesich wegen Alkoholverdachtsauch einer Blutentnahme unter-ziehen, sein Führerschein wur-de sichergestellt.

Zeugen gesucht

Die Polizei hofft, daß sich Zeu-gen melden, die das nächtlicheGeschehen im Bereich der Alt-markt-Kreuzung und den rotenOpel-Kadett des Tatverdächti-gen beobachtet haben. Hinweiseauf Täter oder Tathergang wer-den unter der Kasseler Telefon-nummer 78 11 erbeten.

Gastronomen aus Arnstadt leiten Hotel in Pforzheim

Im Westen wuchs das HeimwehKassel / Pforzheim (b). Chri-

stel und Gerhard Schmidt ausKassels DDR-Partnerstadt Arn-stadt haben es scheint's ge-schafft. Wenige Wochen nachihrer Flucht über Ungarn in denGoldenen Westen -.und einerZwischenstation in Kassel - hatdas Ehepaar in der GoldstadtPforzheim einen neuen Lebens-weg eingeschlagen. Die Über-siedler, die in der DDR den no-blen Hotel- und Gaststättenbe-trieb „Veste Wachsenburg" lei-teten, stehen seit dem 1. Okto-ber an der Spitze des First-class-Hotels „Goldene Pforte", das„erste Haus am Platze", wie Di-rektor Schmidt nicht ohne Stolzbelehrt.

Der wesentliche Grund, war-um es Christel und GerhardSchmidt leichter als viele ihrerLandsleute hatten, im Westensofort Fuß zu fassen, liegt in ih-rem Beruf. „Gastronomen wer-den gesucht, wir hatten sogardie Qual der Auswahl", ziehtGerhard Schmidt eine positiveBilanz der vergangenen Wo-chen.

..Freundschaft geschlossen

Und dann sind da noch Rose-marie und Herbert Rosenthal,die die Übersiedler nicht nursechs Wochen in ihrer Hotel-pension „Kö 78" aufnahmen,sondern ihrem beruflichenGlück auch erheblich auf dieSprünge halfen. „Wir habenFreundschaft geschlossen", sagtdie 34jährige über ihr Verhält-nis zu den Rosenthals, die siebereits in Pforzheim bewirtenkonnten.

Obwohl die Schmidt's vomFach sind, waren sie anfangsdoch beeindruckt über denStand der Gastronomie in derBundesrepublik, vor allem derEinsatz der EDV-Technik warihnen fremd. Doch inzwischenhaben sie die technologischenund betriebswirtschaftlichenDefizite ausgeglichen. „Wir ha-ben uns freigeschwommen undfühlen uns der Aufgabe gewach-sen", versichert GerhardSchmidt nach „sechs Wochenohne einen freien Tag".

Mit der Goldstadt Pforzheimhaben sie dagegen noch Proble-

CHRISTEL UND GERHARD SCHMIDT aus Kassels Partnerstadt Arnstadt haben im Westen schnell Fußgefaßt. Vor sechs Wochen haben sie die Geschäftsführung des 230-Betten-Hotels „Goldene Pforte"im baden-württembergischen Pforzheim übernommen. (Fotos: Holz)

me. Erfurt und Kassel seien sichvom Dialekt her ähnlicher, undes sei nun mal ein bißchen ko-misch, wenn er seine Gäste -wie sich das in Baden-Württem-berg gehört - mit „Grüß Gott"empfange und mit „Adele" ver-abschiedete.

Auch hätten ihnen die Mitar-beiter und Gäste anfangs eher„gemischte Gefühle" entgegen-gebracht. Andererseits glaubensie aber, daß sie „vom Prinzipher" im Schwabenland nicht fehlam Platze sind, weil es ein „em-siges Völkchen" sei.

Dennoch: Ins Schwärmen ge-rät das Ehepaar Schmidt nurdann, wenn es von Kassel er-zählt. „Kassel ist eine bemer-

kenswerte und liebenswerteStadt, mit seiner Wilhelmshöhe,man kann da sehr schnell zuHause sein, Kassel fehlt uns",resümiert der 44jährige underntet zustimmendes Nickenseiner Frau. Auch sind beide im-mer noch gerührt von der Herz-lichkeit, die ihnen als Arnstäd-tern in Kassel entgegengebrachtwurde: „Es besteht eine echtePartnerschaft."

Und so hoffen sie, daß dasPflänzchen Partnerschaft zwi-schen Kassel und Arnstadt zurvollen Blüte kommt, daß vor al-lem auch die Menschen davonprofitieren können und nichtnur Funktionäre.

Trotz des Glücks, das sie in

den vergangenen drei Monatenim Westen hatten, kommt ausdem Munde der Übersiedlereine erstaunliche Bemerkung:„Wenn wir mit Bestimmtheit ge-wußt hätten, wie sich die Dingein der DDR entwickeln, wärenwir dort geblieben...Wir habenvoreilig gehandelt." Auchmacht Gerhard Schmidt keinenHehl aus seinen Tränen, die eram Abend des 9. November „austiefster Überzeugung" vor demFernseher vergossen hat.

Und noch etwas ist bemer-kenswert. Vor einem Viertel-jahr war es Christel Schmidtsgrößter Wunsch, endlich einmalnach Paris zu reisen. Jetzt heißtihr erstes Reiseziel: Arnstadt.

Kurzgefragt

WolframBremeier

morgens und abends wird inder Kasseler Luft derzeit eineerhöhte Schadstoffbelastung ge-messen. Deshalb gilt weiter derAppell, beim Weg zur Arbeitmöglichst aufs Auto zu verzich-ten und mit Bussen und Bahnenzu fahren. Nehmen sich KasselsUmwelt- und Verkehrsdezer-nent Ludolf Wurbs und KVG-Chef und Stadtkämmerer Wolf-ram Bremeier selbst beim Wort?

Wie sind Sie heute früh ins Bürogekommen?

Wurbs: Ich bin heute mit demAuto gekommen, weil ich je-weils nach meinem Terminka-lender entscheiden muß, ob ichmit der Straßenbahn oder mitdem Auto fahre. Und so bin ichdiese Woche nur einmal mit derStraßenbahn gefahren.

Bremeier: Heute morgen binich mit dem Auto gekommen.

Können Sie denn bei den Termi-nen nicht mal aufs Auto verzich-ten, Herr Wurbs?

Wurbs: In dem einen oder an-deren Fall geht das zu Fuß, mitöffentlichen Verkehrsmitteln.Manchmal geht das nicht, wennes Entfernungen sind, wo ohnelängere Fußwege oder umständ-liches Umsteigen die Zeiten ein-fach .nicht einzuhalten sind.

, Sfe "meinerualso, da müßte sieh' was ändern bei der KVG, weil siegerade länge?Zeiten undumständ-liches Umsteigen ansprachen?

Wurbs: Das ist das eine. Dasandere: Es gibt auch Bereicheinnerhalb der Stadt, die vomNetz nicht erschlossen sind.

Bei Terminen sieht man Sie meistmit der Dienstlimousine, Herr Bre-meier. Warum?

Bremeier: Das kommt daraufan. Die meisten Termine liegenim Königstor oder im Rathaus,und da pendle ich immer zu Fußhin und her. Wenn es Terminesind, die sehr knapp sind, dannkommt es schon vor, daß ichauch mit dem Auto fahre.

Meinen Sie nicht auch, daß Sieals Vorbild sozusagen mit Bussenund Bahnen voranfahren müßten,gerade jetzt zur Smog-Zeit?

Wurbs. Dies ist richtig, des-halb habe ich ja gesagt, ich bindiese Woche auch schon Stra-ßenbahn gefahren.

Bremeier. Selbstverständlichist das nötig. Und für jeden vonuns kommt es darauf an, daß wirumdenken. Das gilt für den Vor-standsvorsitzenden der KVGwie für jeden Arbeitnehmer.

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Page 37: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

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DDR-Übersiedler

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Bonn (AP). Seit Öffnung derDDR-Grenzen vor einer Wochesind bis gestern morgen rund37 200 Übersiedler in die Bun-desrepublik gekommen. Ge-stern waren es laut Bundesin-nenministerium etwa 700 Men-schen. Rund 2,4 Millionen rei-sten diese Woche als Besucheraus der DDR ein - die Besucherin Berlin nicht eingerechnet.

Das Deutsche Rote Kreuz inBonn dementiert derweil DDR-Schätzungen von über 10 000Rückkehrwilligen.

St. Pauli 1:0

GolkesSiegtor

Nach fünf sieglo-sen Spielen in derFußball-Bundesligasorgte der FC St.Pauli durch ein Torvon Golke mit 1:0gegen Fortuna Düs-seldorf wieder fürein Erfolgserlebnis.Nürnberg und Kai-serslautern trenntensich 0:0. SieheSport.

Ehrenpreis

„Bambi"für Teddy

Der „engagierteund unermüdlicheKämpfer für ein le-bendiges Jerusa-lem", Teddy Kollek(78, Bild), Bürger-meister der Stadtseit 1965, ist vomVerlagshaus Burdamit dem Ehren-Bambi ausgezeich-net worden. Siehe„Blick in die Zeit".

Jugoslawien

90 Tote inBergwerk

Bei einem Feuer inden Kohlenberg-werken von Aleksi-nac im Süden der ju-goslawischen Teil-republik Serbiensind am Freitag etwa90 Kumpel ums Le-ben gekommen. Dasmeldete am spätenAbend Tanjug.

Siehe Blick in dieZeit.

HNA-Serie

Wohin mitdem Müll?

Die Müllbergewachsen, auch inKassel. Wie dieVerantwortlichender Stadt daraufreagieren und obihre Konzepte er-folgversprechendsind, beleuchtet dieHNA in einer drei-teiligen Serie. Dieerste Folge stehtheute im Lokalteil.

Nordhessen:

EuropasTreffpunkt

Nordhessens Me-tropole Kassel, mit-ten in Deutschland,entwickelt sich zumEuropa-Treffpunktim Ost-West-Ver-kehr. Die Politik derEntspannung alseine Chance der Re-gion! - Berichtder in

Sonntagszeit

Für „Vertragsgemeinschaft" mit Bonn

Modrow willDDR-Wirtschaftradikal umbauen

Berlin (dpa). Der neue DDR-Regierungschef Hans Mo-drow plant radikale Reformen zur Bewältigung der Wirt-schaftskrise und einen demokratischen Neubeginn. In seinerRegierungserklärung erteilte Modrow am Freitag in Ost-Berlin einer Wiedervereinigung eine klare Absage, schlugBonn jedoch eine „umfassende Vertragsgemeinschaft" vor.

Nach einer rund fünfstündi-gen Aussprache nahm dieVolkskammer die Regierungs-erklärung einstimmig an. Überdas Kabinett, das Modrow zuBeginn der zweitägigen Sitzungder Volkskammer präsentierthatte, wird heute abgestimmt.Die neue Regierung soll mit 28Mitgliedern deutlich kleiner-werden als die alte mit 44. Künf-tig soll die SED außer dem Re-gierungschef nur noch 16 Mini-ster stellen. Die anderen vier

Der Kern der neuen Regierungs-mannschaft wird aul „ Themen desTages" vorgestellt. - Über eineKundgebung des Neuen Forums inLeipzig berichtet das ARD-Fernse-hen heute ab 10 Uhr.

in der DDR zugelassenen Partei-en sind nunmehr auf elf Postenvertreten.

Modrow betonte, die Wirt-schaftsreform in der DDR be-deute nicht die Abschaffung derPlanung. Seine Regierung wolleaber „den Markt mit seinerWare-Geld-Beziehung zum or-ganischen Bestandteil sozialisti-scher Planwirtschaft" machen.

„Zusammenarbeit ausbauen"

Eine „Überlebensfrage" seiaußenwirtschaftliche Stabilität.Mit Unternehmen kapitalisti-scher Länder sollte die Zusam-menarbeit ausgebaut werden.Die DDR sei offen für Vorschlä-ge wie Gemeinschaftsunterneh-

men (Joint Ventures), Investi-tionsbeteiligung und Projekte imUmweltschutz. Seine Regierungbekenne sich zu einem „soziali-stischen Unternehmergeist".

Modrow gestand ein, daß sichdie DDR in großen finanziellenSchwierigkeiten befinde. EinVolkswirtschaftsplan und derStaatsetat 1990 könnten gegen-wärtig nicht aufgestellt werden.Bei den Staatseinnahmen gebees ein Defizit von 15 MilliardenDDR-Mark. Alle kurzfristigmöglichen Maßnahmen für einehöhere Produktion und zur Er-höhung der Stabilität der Wirt-schaft sollten verfolgt werden.Wegen der neuen Reisefreizü-gigkeit müßten Maßnahmen„zum Schutz unserer Währung"ergriffen werden.

„Entwicklung unumkehrbar"

Modrow kündigte Änderun-gen des Medien-, Reise- undPaßgesetzes sowie des Straf-rechts an. Das gefürchtete Mini-sterium für Staatssicherheitwird durch ein deutlich verklei-nertes Amt für Nationale Si-cherheit ersetzt. Zudem soll einVerfassungsgericht geschaffenwerden. Die demokratische Ent-wicklung sei unumkehrbar, be-tonte Modrow: „Das Volk wür-de jeden beiseite fegen, der eineWiederherstellung alter Ver-hältnisse zu versuchen wagt."Die Bevölkerung bat er um einenVertrauensvorschuß.Fortsetzung nächste SeiteSiehe „Zum Tage"

Von nun an täglich:

Eine Seite mit dem Titel ,DDR'Über Jahrzehnte gab es inder DDR kein öffentliches Le-ben in unserem Sinne. Ent-sprechend karg oder einförmigwaren die Nachrichten ausdem anderen Teil Deutsch-lands. Das hat sich radikal ge-ändert. Die DDR ist eine pau-senlos sprudelnde Nachrich-tenquelle. Wir als Zeitungwollen dem entsprechen, in-

dem wir unser Redaktionspro-gramm erweitern und ab soforteine Seite mit dem Titel „DDR"einrichten. Aus technischenGründen können wir ihr in-nerhalb der üblichen Seiten-folge leider keinen festen Platzzuweisen. Aber erscheinensoll sie jeden Tag.

Die Redaktion

DDR-Bürger / Bereits gestern Millionengrenze erreicht

Größte Reisewelle rollt

m tmmiparken < —

AUF DIE EISWIESE am Kiessee wurden die DDR-Besucher in Göttingen gelotst. In den Innenstädtenvon Göttingen (Foto) und Duderstadt gab es gestern den ersten Riesenansturm des Wochenendes.

(Fotos: Otto)

Hamburg/Kassel (dpa/Eig.Ber.). Die größte Reisewelle inder deutsch-deutschen Ge-schichte rollt: Noch vor Feier-abend kamen gestern nach Mit-teilung des Innenministeriumsknapp 480 000 Menschen ausder DDR in die Bundesrepublik.Am Abend war die Millionen-grenze erreicht, davon allein dieHälfte in West-Berlin. Der Mas-senaufbruch hat auf beiden Sei-ten der Grenze zu einer chaoti-schen Verkehrslage geführt. DieZentren der grenznahen Städtewaren überfüllt.

Vor den Grenzübergängenreichten die Autoschlangen biszu 80 Kilometer tief in DDR-Ge-biet hinein. Völlig überfüllteSonderzüge trafen mit mehr-stündiger Verspätung ein. Zug-türen hatten wegen Überfüllungnicht geschlossen werden kön-nen. Wie die DDR-Nachrichten-agentur ADN berichtete, wardie Lage zwischen Dresden,Halle, Leipzig, Rostock und Ber-lin sowie auf der Strecke Plauenin die Bundesrepublik beson-ders kritisch.

Die bundesdeutsche Polizeibezeichnete die Situation anvielen Grenzübergängen als„verheerend" oder „totales Cha-os". Über den südniedersächsi-schen Grenzübergang Duder-stadt sind gestern rund30 000 Menschen eingereist.

An den AutobahnübergängenHerleshausen (Werra-Meißner-Kreis) und Rudolphstein (Bay-ern) bildeten die Trabis und

Wartburgs gegen Mittag jeweils70 Kilometer lange Schlangen.Viele DDR-Bürger mußten biszu sechs Stunden trotz aufgege-bener Kontrollen auf die Passa-ge warten. Auch auf Bundesge-biet ging es oft nur im Schrittem-po vorwärts, so auch zwischenHess. Lichtenau und Kassel.Kassels Innenstadt war „zu".Geschätzt wurde die Zahl derDDR-Bürger auf rund 30 000.Am Grenzübergang Witzenhau-sen/Hohengandern setzte derAnsturm am Nachmittag mitdem Ende der Arbeitszeit ein.Schwarz vor Menschen warendie Einkaufsstraßen in Witzen-hausen.

„Alles brechend voll"

Die Züge aus der DDR warennach Darstellung der Bundes-bahn „brechend voll". Reisende,die keinen Platz mehr fanden,hatten in Reichenbach/Sachsendie Gleise blockiert, bis neueWaggons angehängt wurden.

In West-Berlin setzte am Mit-tag der Ansturm von DDR-Be-suchern ein. Die Stadt rechnetmit mehr als den zwei Millionenvom letzten Wochenende. Umeinen immer länger werdendenStau von DDR-Fahrzeugen amÜbergang Invalidenstraße auf-zulösen, vergrößerten DDR-Bauarbeiter das Loch in derMauer. Laut ADN will Ost-Ber-lin weitere U-Bahnhöfe öffnen.

Entlang der innerdeutschen

Grenze wollte die DDR nachAngaben von ADN am Freitagursprünglich 18 neue Grenz-übergänge für Straße oderSchiene öffnen. Damit würdenüber 50 Grenzübergangsstellenbestehen. Die Öffnung einigerder neuen Übergänge verzöger-te sich jedoch. Nach Angabendes Bundesgrenzschutzes inKassel ist für heute um 6 Uhr dieÖffnung des Übergangs Ritz-mannshausen/Ifta für Fußgängerund Fahrzeuge geplant. Außer-dem gibt es Hinweise, daß imLaufe des Tages neue Durchgän-ge für Fußgänger bei Bad Soo-den-Allendorf, Frieda, Heldra,Widdershausen und Rittmanns-hausen geschaffen werden sol-len. In Südniedersachsen wartetman ebenfalls gespannt auf6 Uhr: Weitere Grenzübergängefür Fußgänger zwischen Duder-stadt und Ecklingerode sowieBesenhausen und Kirchgandernsollen eröffnet werden.

Die bundesdeutschen Behör-den in den grenznahen Ortenhaben für das zweite deutscheWiedersehens-WochenendeVorbereitungen für einen nochgrößeren Besucheransturm alsam vergangenen Wochenendegetroffen, als über vier Millio-nen Menschen kamen. NachAngaben des Ost-Berliner In-nenministeriums stellten dieDDR-Behörden seit Grenzöff-nung am 9. November fast 9,6Millionen Visa für Privatreisenund 16 151 Genehmigungen zurständigen Ausreise aus.

Zum Tage

HoffnungenMans Modrow, der Hoffnungsträ-ger der Reformkräfte in der DDR,hat den Menschen neue Hoffnun-gen gemacht, aber noch keineHoffnungen erfüllt. Der Regie-rungschef scheint bereit, in dierichtige Richtung zu marschieren,vom gesteckten Ziel ist er nochweit entfernt. Mit seinem neuenKabinett aus Reformern und aner-kannten Fachleuten wirbt er umVertrauen, doch er muß wissen,daß es sich nur um eine Über-gangsregierung handeln kann.

Vom Machtmonopol der SEDwird die DDR erst befreit sein,wenn neben den bisherigen Block-partnern neue, unabhängige Par-teien in der Regierung vertretensind. Die jetzige Koalition bleibteine Scheinkoalition, solange siesich allgemeinen, freien und gehei-men Wahlen verweigert. Erst amWahlgesetz wird sich erweisen, obdem Volk nur neuer Wein in altenSchläuchen kredenzt wird oder obdie versprochene Demokratisie-rung ernstgemeint ist.

Mit Halbheiten wird die Wendeauch auf dem Feld der Wirtschaftnicht gelingen. Modrow hat recht,wenn er mehr betriebliche Eigen-verantwortung und mehr Markt ver-langt, um das Interesse der Men-schen zu mobilisieren und die Pro-duktion zu steigern. Nur mit einerReform an Haupt und Gliedern wirdes ihm jedoch gelingen, die Versor-gungskrise zu beheben und denStaatsbankrott abzuwenden.

Die Bundesrepublik ist zur Hilfebereit. Vernünftige Regeln der Ko-operation sind dabei wichtiger alsneue Vertragsformen. Ein ersterPrüfstein wird die Umwandlungdes Begrüßungsgeldes sein. DieDDR-Regierung muß dazu beitra-gen, daß den Besuchern ein mög-lichst hoher DM-Betrag zu einemmöglichst günstigen Kurs angebo-ten werden kann.

Achim v. Roos

Verwirrunghatte gestern der erwarteteMillionenansturm von DDR-Besuchern bei den bundes-deutschen Behörden ausge-löst. Der Strom Hunderttau-sender, der schon am Freitageinsetzte, überforderte dasbundesweite Meldesystem.Gestern nachmittag teilte dasInnenministerium mit, daßallein zwischen 4.00 und14.00 Uhr 3 014 424 DDR-Bürger eingereist seien. We-nige Stunden später mußtediese Zahl korrigiert werden.Es waren bis 14 Uhr genau479 630, räumte ein Spre-cher ein. Als Grund für dieFalschmeldung gab er Fehlerim Meldesystem zu.

DDR-Mark

Kurs starkgefallen

Hamburg (dpa/vwd). Der zu-nehmende Reisestrom aus derDDR in die Bundesrepublik hatKonsequenzen für das bisherigeUmtauschverhältnis DDR-Markgegen D-Mark. Lag anfänglichdas Verhältnis in etwa bei zehnDDR-Mark für eine DM, so istder Kurs der Ost-Mark zum Wo-chenschluß auf 20 zu eins gefal-len, das heißt für zehn DDR-Mark gibt es nur noch 50 Pfen-nig. Hintergrund ist eine starkeVerunsicherung des Marktes, dabei den Banken Abnehmer fürdas Ost-Geld zur Zeit nicht zusehen sind. Außerdem - so heißts - wollten Kaufhäuser und

Tankstellen von den Banken Ab-nahmegarantien zu festen Prei-sen für die DDR-Mark. Dies istoffenbar nicht erreicht worden.

Page 38: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 270 Politik Samstag, 18. November 1989

Namen undNachrichten

Rakowski enttäuschtDer polnische KP-Chef Mieczy-slaw Rakowskihat bedauert,daß Bundes-kanzler Kohlbei seinem Be-such in War-schau nicht imNamen derBundesrepu-blik „den Polen,Europa und derWelt feierlichzugesicherthat, daß einvereinigtes Deutschland höch-stens bis an Oder und Neißegrenzt". Das Fehlen einer sol-chen Erklärung habe bewirkt,daß der Besuch nicht zu einemDurchbruch geworden sei.

Vom Sockel gestürztUnter dem Beifall tausenderMenschen wurde gestern vordem Warschauer Rathaus dasDenkmal des polnischen Lenin-Mitkämpfers und Begründersder bolschewistischen Geheim-polizei „Tscheka", Fliks Dzier-zynski, vom Sockel gestürzt.Die Figur brach auseinander, alssie von einem Kran hochgeho-ben wurde.

Lehr fordert TeilzeitarbeitBundesfamilienministerin Ursu-

lla Lehr hat an(die WirtschaftI appelliert,Imehr Teizeitar-Ibeitsplätze zuIschaffen. Jähr-lich wollten(etwa 320 000jFrauen nachider Fami-jhenphase wie-der in ihren Be-ruf zurückkeh-

•ren. DieserSchritt werde jedoch durch dasnoch geringe Angebot an Teil-zeitarbeit erschwert.

Bahn: Keine AltersgrenzenFür Begleitpersonen, dieSchwerstbehinderte kostenlosin öffentlichen Verkehrsmittelnbegleiten können, gelten keineAltersgrenzen. Die bestätigtedie Bundesbahn am Freitag, bataber gleichzeitig darum, sichnur von Personen betreuen zulassen, die in gefährlichen Situa-tionen umsichtig handeln könn-ten. Anlaß der Nachfrage desDeutschen Blindenverbandeswar ein Fall, bei dem ein Zug-schaffner den achtjährigen En-kel eines blinden Mannes alsBegleitperson als zu jung ab-wies.

Nicht mehr StaatschefNach seiner Ablösung als Chef

• der Kommuni-Istischen ParteiI Bulgariens istITodorI SchiwkowJ(Bild) nun auchjaus dem Amt[des bulgari-I sehen Staats-präsidenten ab-I berufen wor-iden. Mit einerJumfassendenRegierungsum-

bildung ist gestern auch die Ab-lösung der als Dogmatiker gel-tenden Politiker in Staat undPartei abgeschlossen worden.Gestern abend demonstriertenfast 10 000 Menschen in Sofiafür Reformen.

Umweltschutz mit DDRDie Umweltminister des Bundesund der Länder wollen die poli-tischen Veränderungen in derDDR zu verstärkter Zusammen-arbeit beim Umweltschutz nut-zen. Diese Absicht bekräftigtensie am Freitag auf einer Konfe-renz in Wiesbaden. Dazu wollensie eine gemeinsame Arbeits-gruppe einrichten, die alle Be-mühungen um die Wiederher-stellung und Erhaltung des öko-logischen Gleichgewichts ab-stimmen soll.

Presseball vorab gefeiertDas Fest war aus, noch ehe esbegonnen hatte: Eine KoblenzerZeitung meldete bereits am Frei-tag morgen, daß sich die gut2800 Gäste auf dem Bundes-presseball am Vorabend gutamüsiert hätten. Das gessell-schaftliche Ereignis fand aller-dings erst gestern abend statt.

Thema bei Seiters' Gesprächen in Ost-Berlin

Änderung beim Begrüßungsgeld?Bonn (dpa). Zu den Themen,

die Kanzleramtschef Seiters(CDU) am Montag nachmittagmit DDR-Staats- und ParteichefKrenz in Ost-Berlin besprechenwird, gehört auch eine Neurege-lung für das bisher einmalige Be-grüßungsgeld von 100 DM, dasDDR-Bürger bei einer Reise indie Bundesrepublik erhalten.

Die Überlegungen in der Bon-ner Regierungskoalition gehendahin, daß DDR-Reisende vom1. Januar 1990 an in den Bankender Bundesrepublik in einem be-stimmten Umfang zu einem gün-stigeren Kurs DDR-Mark inWest-Währung umtauschenkönnen. Der Wechselkurs wer-

de „irgendwo zwischen 1:1 und1:10 Ost-Mark" liegen, hieß esdazu. Der künftige Geldum-tausch soll auf jeden Fall in derBundesrepublik und nicht in derDDR erfolgen, wird betont: „Esmuß klar bleiben, woher dasGeld kommt." Im Bundesetat1990 stehen für das Begrü-ßungsgeld 700 Millionen DMzur Verfügung, der Betrag kannauf eine Milliarde DM aufge-stockt werden.

Die Gespräche Seiters' in Ost-berlin - auch mit Regierungs-chef Modrow - sollen der Er-kundung der weiteren Reform-schritte der DDR-Führung undder Vorbereitung der Begeg-

nung von Bundeskanzler Kohlmit Krenz in der DDR noch indiesem Jahr dienen. Dabei wer-den Zeitpunkt und Bedingungenfreier Wahlen eine wesentlicheRolle spielen.

Seiters versicherte am Freitagnach der Sitzung der DDR-Volkskammer, es bleibe bei demAngebot des Kanzlers, „daß wirzu einer völlig neuen Dimensionder Hilfe und Zusammenarbeitbereit sind, wenn ein grundle-gender Wandel des politischenund wirtschaftlichen Systems inder DDR entsprechend demWillen der Bevölkerung unum-kehrbar in Gang gesetzt wird".

Prag / Festnahmen

Zehntausendedemonstrierten

Prag (AP). Aus einer offiziel-len Gedenkveranstaltung hatsich am Freitag in Prag eineGroßdemonstration für Freiheitund einen Wechsel in der Füh-rung der Tschechoslowakei ent-wickelt. Im Anschluß daran kames zu Zusammenstößen mit derPolizei, die mit Tränengas vor-ging. Es handelt sich um dengrößten Protest gegen das kom-imunistische Regime seit 1969,dem Jahr nach dem Einmarschsowjetischer und anderer Trup-pen. Die Zahl der Teilnehmerwurde auf mehrere zehntausendgeschätzt. Eine weitere Demon-stration fand in der slowaki-schen Hauptstadt Preßburgstatt.

Die meist aus Studenten be-stehende Menge in Prag ver-langte in Sprechchören das Ab-treten des KP-Chefs Milos Ja-kes und der anderen „Dinorau-rier", wie die Führung in An-spielung auf ihr hohes Durch-schnittsalter genannt wurde.Weiter riefen die Demonstran-ten: „Wir wollen Freiheit undfreie Wahlen. Kommunistenraus! Schluß mit der Einpartei-enherrschaft!" Sie forderten dieEinleitung eines echten Dialogsmit der Opposition.

Zu der Kundgebung hattendie offiziellen Studentenorgani-sationen aufgerufen. Sie dientedem Gedenken an den Studen-ten Jan Opletal, der vor 50 Jah-ren während der ersten tsche-chischen Rebellion gegen diedeutsche Besatzung ums Lebenkam.

DDR / Studenten-Initiative

Bald unabhängiger HochschulbundBerlin (AP/dpa). In der DDR

soll in der kommenden Wocheein landesweiter unabhängigerStudentenbund gegründet wer-den. Das kündigte nach einemBericht der amtlichen Nachrich-tenagentur ADN gestern abendSprecher einer Studenten-In-itiative während einer Demon-stration in Ost-Berlin an.

Mehrere Tausend Studenten

waren für politische Umgestal-tung sowie mehr Mitbestim-mung und Reformen an denHochschulen auf die Straße ge-gangen. Sprecher erklärten, dieJugendorganisation FDJ sei fürdie Studenten aufgehoben. DieHochschüler waren einem Auf-ruf von Kommilitonen der Ost-berliner Kunsthochschule ge-folgt.

MIT NACHDENKLICHEN MIENEN verfolgten der Vorsitzende derDDR-Liberalen, Gerlach, und SED-Chef Krenz die Aussprache inder Volkskammer über die Regierungserklärung Modrows.

(dpa-Funkbild)

Regierungserklärung / Wirtschaftliche Misere in DDR

Modrow: Mittag verantwortlichFortsetzung

Der neue Regierungschef gingnicht auf Einzelheiten des ge-planten Wahlgesetzes und dieFrage nach dem in der Verfas-sung verankerten Führungsan-spruch der SED ein. EinenWahltermin - den oppositionel-le Gruppen Ende 1990 oderauch erst 1991 wünschen -nannte Modrow auch nicht. Da-für forderte der Vorsitzende derLiberaldemokraten LDPD, Man-fred Gerlach, in der Ausspracheder Volkskammer über die Re-gierungserklärung freie Wahlenim nächsten Jahr. Es dürfe keineEinheitsliste mehr geben. Dieneuen Bürgerbewegungen müß-ten einbezogen werden, sagteGerlach. Seine Partei soll vierMinister stellen.

In einer Abrechnung mit deralten Ostberliner Führungmachte Modrow das frühere Po-litbüromitglied Günter Mittag

für die wirtschaftliche Misereder DDR verantwortlich. An diein den Westen übergesiedeltenDDR-Bürger appellierte er, sichnicht aus Trotz von einer Heim-reise abhalten zu lassen. Wereinen neuen Anfang wünsche,sei als Mitbürger willkommen,betonte Modrow. Wer mitarbei-ten wolle, möge die Ärmel hoch-krempeln, „jetzt lohnt es sich".

In der Aussprache versicher-te ZK-Sekretär Wolfgang Her-ger für die SED, weder das Polit-büro noch das Zentralkomiteewerde sich in die Regierungsar-beit einmischen.

Der Vorsitzende der CDU inder DDR, Lothar Maiziere, des-sen Partei drei Mitglieder derkünftigen Regierung stellen soll,schlug in der Aussprache die„Wiedereinführung der Länder"vor, ohne jedoch auf Einzelhei-ten einzugehen. In der DDR sol-le ein pluralistischer Sozialis-

mus geschaffen werden, in demAndersdenkende respektiertwürden, sagte der künftige stell-vertretende Ministerratsvorsit-zende, der für Kirchenfragen zu-ständig sein soll. Auch der Frak-tionschef der Nationaldemokra-tischen Partei NDPD, GünterHartmann, sprach sich dafüraus, den „Konföderationsgedan-ken" wieder ins Spiel zu brin-gen. Die NDPD stellt wie dieBauernpartei je zwei Minister.

Vertreter von DDR-Opposi-tionsbewegungen, die das Kabi-nett Modrow als „Übergangsre-gierung" ansehen, sagten eineintensive Prüfung der Regie-rungserklärung zu. Als „halb-herzig" lehnte der DDR-Wirt-schaftsexperte Gernot Schnei-der die Ankündigungen für eineModernisierung der DDR-Wirt-schaft ab. Die DDR müsse denWeg in die Marktwirtschaft wa-gen.

Positives Echo bei Bundesregierung und ParteienDie Bundesregierung begrüß-

te die Regierungserklärung.Modrow habe klar ausgespro-chen, daß die Veränderungen inder DDR vom Volk erzwungenund unumkehrbar seien, sagteRegierungssprecher Dieter Vo-gel. Die Bundesministerin für in-nerdeutsche Beziehungen,Wilms (CDU), sagte zu den an-gekündigten Reformschrittenallerdings, entscheidend sei diepraktische Durchführung.

SPD-Parteichef Vogel beton-te, die Regierungserklärung ent-

spreche in wichtigen PunktenForderungen der demokrati-schen Volksbewegung in derDDR.

Berlins Regierender Bürger-meisters Momper (SPD) meinte,Modrow habe viele längst über-fällige Reformvorhaben verkün-det, auf die die Bevölkerungsehnsüchtig warte. Trotz alle-dem werde die neue Regierung„nur eine Übergangsregierungbis zur Abhaltung freier Wahlensein", .

FDP-Fraktionschef Misch-

nick sprach von einem entschei-denden Schritt vorwärts, wobeier nicht erwartet habe, daß Mo-drow „ein Bekenntnis zurMarktwirtschaft nach liberalenVorstellungen" ablege.

Modrow erklärte am Abendvor Journalisten, nach den per-sonellen Veränderungen in Ost-Berlin und den angekündigtenReformen sei jetzt die Bundesre-gierung am Zuge. Ost-Berlinhabe genug gesagt; jetzt erwartedie DDR, daß sich die andereSeite äußere.

Wiedervereinigung

Kohl: KeinAlleingang

Bonn (dpa). BundeskanzlerKohl hat die Bonner Bereitschaftbekräftigt, die reformorientier-ten Länder Osteuropas und dieDDR zu unterstützen. Zugleichversicherte er gestern beim Jah-resempfang des DiplomatischenKorps im Palais Schaumburg,daß es in der „existentiellen Fra-,ge" der Wiederherstellung derEinheit Deutschlands keinennationalen Alleingang gebenwerde: „Wir brauchen hierfürden Schulterschluß mit unserenVerbündeten, wir brauchenauch das Vertrauen aller unse-rer Nachbarn in West und Ost."Vor den Diplomaten aus mehrals 100 Ländern würdigte Kohldie Reformpolitik des sowjeti-schen Staats- und ParteichefsGorbatschow.

Unterdessen warnte Gorba-tschow vor westlicher „Bevor-mundung und Besserwisserei"beim Reformprozeß in derUdSSR. In einem 90minütigenGespräch mit Bundestagspräsi-dentin Süssmuth und dem Präsi-denten der französischen Natio-nalversammlung, Fabius, er-klärte der Kremlchef gestern inMoskau: „Wer unseren Mißer-folg will, bekundet dies, indemer sagt, der Sozialismus sei ge-scheitert und das wir westlicheModelle übernehmen sollen."

Heftige Kämpfe

CSU-Parteitag / Waigel:

„DDR-Reformenungenügend"

München (AP/dpa). Die CSUhält die von der neuen DDR-Staats- und Parteiführung ein-geleiteten Reformen für ungenü-gend. Zum Auftakt ihres 53.Parteitages in München fordertesie gestern die vollständige Be-seitigung der Berliner Mauerund die Freilasung aller politi-schen Gefangenen in der DDR.

Zwar wertete der Parteivor-sitzende Waigel die bisherigenErneuerungen als Schritt in dierichtige Richtung, doch müssedie DDR klarstellen, daß dieVerfassung tatsächlich geändertund das Machtmonopol der SEDabgeschafft werden. Waigel for-derte weiter freie Wahlen unddie Zulassung eigenständigerParteien in der DDR.

Am Abend verabschiedetendie rund 1000 Delegierten ein-stimmig die CSU-Grundsätzezur Deutschlandpolitik. Darinfordert die Partei die Wieder-vereinigung beider deutschenStaaten. Die endgültigen Gren-zen Deutschlands könnten erstin einem Friedensvertrag festge-legt werden.

Weiter verabschiedeten dieDelegierten ihr Programm zurKommunalwahl 1990, worin siesich gegen ein kommunalesAusländerwahlrecht wenden.Siehe auch Kommentar

Fusion perfekt

1000 Tote in Daimler-BenzEl Salvador übernimmt MBB

San Salvador (dpa). Bei denheftigen Kämpfen zwischen Mi-litär und linken Rebellen in ElSalvador sind nach Angabenvon Beobachtern in der Haupt-stadt des mittelamerikanischenLandes bis Freitag rund 1000Menschen umgekommen. DieBefreiungsfront FarabundoMarti (FMLN) beschuldigte dieUSA, sich an der Abwehr ihrerseit Samstag laufenden Offensi-ve zu beteiligen. Die USA wie-sen dies zurück.

Die Ermordung von sechsTheologieprofessoren und zweiMitarbeiterinnen der Universi-tät von San Salvador durch eineparamilitärische Todesschwa-dron hat weltweit Empörungausgelöst.

Sechs Bundesbürger, unterihnen ein Pfarrer aus Hessen-Nassau, wurden in El Salvadorverhaftet. Bonn geht jedoch da-von aus, daß die Deutschen baldfrei kommen.

Ottobrunn (dpa/vwd). Diegrößte Fusion in der deutschenUnternehmensgeschichte ist amFreitag perfekt gemacht worden.Der Stuttgarter Automobilkon-zern Daimler-Benz übernimmtzum 1. Januar 1990 das Luft-und RaumfahrtunternehmenMesserschmitt-Bölkow-Blohm(MBB). Die MBB-Anteilseignerhaben dazu am Sifz der Gesell-schaft in Ottobrunn ihre Zu-stimmung gegeben. Mit demMehrheitseinstieg baut Daim-ler-Benz, das künftig auf über 80Milliarden DM Umsatz kommt,seine Spitzenstellung unter dendeutschen Industriekonzernenweiter aus und wird gleichzeitigsiebtgrößter Luft- und Raum-fahrtkonzern der Welt.

Daimler-Chef Reuter und derMBB-Geschäftsführungsvorsit-zende Schäffler zeigten sich er-leichtert. Bis zuletzt hatte esProbleme gegeben.Siehe auch Wirtschaft

Morgen Volkstrauertag / Volksbund

„Weg zum Frieden finden"Kassel (m.s.). Der Volkstrau-

ertag am Sonntag solle die Be-völkerung auf die immerwäh-rende Verpflichtung gegenüberden Kriegstoten und deren An-gehörigen hinweisen, betont derPräsident des VolksbundesDeutsche Kriegsgräberfürsorge,Weber, in seinem Aufruf zumVolkstrauertag. Alles Unrecht,alle Intoleranz, Gleichgültigkeitund Unmenschlichkeit, die zumillionenfacher Unterdrük-kung, Verfolgung und Vernich-tung geführt hätten, dürftennicht vergessen werden, „damitwir gemeinsam den Weg zum

Frieden finden und gehen".1989 sollte, so Weber, zu ei-

nem Jahr der Erinnerung anZerstörung und unsagbaresmenschliches Leid sein. Es gelte,der 65 Millionen Toten sowieder 55 Millionen Versehrten derbeiden Weltkriege zu gedenken.

Mit der Formulierung Bundes-präsident Weizsäckers „OhneErinnerung gibt es keine versöh-nende Zukunft" beschreibt derVolksbund-Präsident „unsereAufgabe, aus Solidarität mit denBetroffenen und aus Verantwor-tung für die Lebenden unaufhör-lich zu erinnern".

HESSISCHE/NIEDERSACHSISCHE

ALLGEMEINEHerausgeber

Rainer Dierichs, Dr Dietrich Batz,Achim von Roos

ChefredakteurLothar Orzechowski

Stellv. ChefredakteureWolfgang Rossbach, Peter M. Zitzmann

Verantwortliche Redakteure

3hef vom Dienst: Rainer Merforth. Politik:Jochen Prater. Blick in die Zeit: WalterSchütz. Wirtschaft und Sozialpolitik: HorstSeidenfaden. Kultur: Dirk Schwarze. Frauu. Reise: Ilse Methe-Huber. Sport: Rolf Wie-semann. Sonntagszeit: Frank Thonicke.Kassel Stadt und Land: Wolfgang Ross-bach. Bezirksredaktionen: Peter M. Zitz-mann. Koordination: Helmut Lehnart. Hes-sen/Niedersachsen: Eberhard Heinemann,

hefreporter. Karl-Hermann Huhn. Son-derthemen: Peter Ochs.Redaktion Wiesbaden: Rolf EffenbergerRedaktion Hannover- Harald Birkenbeul.Redaktion Bonn: Hans Ludwig Laucht

VerlagsleitungDr Dietrich Batz, Rainer Dierichs, WigbertH. Schacht. Anzeigenleiter.- Horst Prehm.Vertriebsleiter.- Gerd Lühring.

Verlag Dierichs GmbH & Co KG, Frankfur-ter Str 168, Postfach 10 10 09, 3500 Kas-sel, Ruf 05 61/20 3-0 Tel. Anzeigenan-nahme 05 61/20 3-3. Fernschreib-Nr99 635. Telekopierer 05 61 /20 36. Teletex5 618110. Postgirokonto 155132-608Frankfurt/M. Anzeigenpreisliste Nr. 29. Mo-natlicher Abonnementspreis DM 25,60 inkl.Zustellung und 7% MwSt. (Postbezugspreis 28,50 DM).

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Page 39: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 270 Themen des Tages Samstag, 18. November 1989

ZulagegerechtfertigtBeJeamte haben es nach Ansichtnicht weniger Mitbürger besser alsder Rest der Bevölkerung. Erstens- so das bekannte Urteil - arbeitensie, bedingt durch das System,langsamer. Zweitens sind sie un-kündbar und drittens ist ihre Lauf-bahn, sprich Karriere, auch ohnebesondere Leistung gewährleistet.Und so kocht denn auch regelmä-ßig die Volksseele über, wennneue Vorteile ins Gespräch ge-bracht werden. Die Rede ist vonPlänen der Bundesregierung, Be-amten in Ballungsgebieten Zula-gen zukommen zu lassen.

Die Vergangenheit hat gezeigt,daß die Kritik an „Beamten-Ge-schenken" häufig berechtigt war.Dieses Mal aber wäre schroffe Ab-lehnung fehl am Platz. Denn dieje-nigen, die davon profitieren (kleineund mittlere Beamte), haben es ob-jektiv auch bitter nötig.

Alle Beamten erhalten neben ih-rem Gehalt noch sogenannte Orts-zuschläge. Diese Zulagen sindaber überall gleich. Das heißt, derStaatsdiener in Frankfurt erhält hierdas gleiche Geld wie sein rangglei-cher Kollege in Frankenberg, ob-wohl die Lebenshaltungskostennicht zuletzt aufgrund der unter-schiedlichen Miethöhen giganti-sche Differenzen aufweisen.

Natürlich gilt dies auch für alleübrigen Arbeitnehmer. Doch dieseentscheiden - anders als Beamte,die jederzeit versetzt werden kön-nen - selbst, ob sie in Ballungszen-tren arbeiten wollen oder nicht. Da-bei haben es „freie" Arbeitnehmerselbst in der Hand, die Frage derhohen Lebenshaltungskosten überhöhere Löhne und Gehälter selbstzu lösen.

Von daher gibt es eigentlich kei-nen vernünftigen Grund, den klei-neren und mittleren Polizei- undPostbeamten in Großstädten denzusätzlichen Betrag nicht zu gön-nen. Abgesehen davon, daß sieobjektiv auch mehr zu tun als ihrerangmäßig gleichgestellten Kolle-gen auf dem flachen Land.

Ulrich Brehme

Im Jahre 1nach StraußLJie CSU befindet sich im Jahre 1nach Strauß. Eigentlich sollte esein Parteitag der ersten Bilanzsein, mit scharfem Blick auf dreiWahlen im nächsten Jahr und einerMusterung ihrer Führungsriege.Doch die Bayern gerieten in denSog der deutschen Frage und denStrudel der Geschichte. Ihre Ta-gesordnung wurde umgestoßendurch höhere Gewalt.

Daß auch die CSU erst wie be-täubt reagierte, will sie nun wett-machen durch doppelten Eifer.Schon ist das Wort gefallen, siemüsse Motor sein bei einem Pro-zeß ständiger Bewegung. Das zieltin zwei Richtungen. Sie sind mar-kiert durch die Themen Wiederver-einigung und soziale Marktwirt-schaft. Die Vorgaben kommen inbeiden Fällen vom VorsitzendenTheo Waigel, der Abweichungendes Miterben und bayerischen Mi-nisterpräsidenten Max Streibl sobehutsam wie entschlossen korri-gierte.

Das stärkt seine Position. Dennin der CSU verbreitet sich die Stim-mung, den westdeutschen Partvoll auszuspielen. Die Präambeldes Grundgesetzes soll ebenso insGewicht fallen wie die wirtschaftli-che Macht. Besorgnisse von drü-ben, ein Riese könne den Zwergvereinnahmen, geraten da leichtan den Rand. Wenn es so seinsollte, daß eine Mehrheit über diedeutsche Einheit befindet und Ka-pitalismus den Sozialismus be-gräbt, wird sich in die Turbulenzbald Irritation mischen.

Dieser Gefahr zu begegnen, isteine heikle Aufgabe für die führen-den Politiker der CSU. Denn siesehen sich nicht nur plötzlich wie-der im Schatten eines Franz JosefStrauß. Ebenso müssen sie einernationalistischen Versuchung wi-derstehen, die von rechts kommt.Balanceakte sind schwierig in stür-mischer Zeit. Die CSU wird genau-er als bisher sagen müssen, wassie will - aber auch, was nicht.

Alfred Brugger

Das Zitat„Nun gehen die Leute nach West-Berlin und nicht mehr auf die Stra-ße "

• Der Ostberliner Generalsuperin-tendent Werner Krusche

Der neue DDR-Regierungschef und seine Mannschaft

Modrow ganz klar: „Meine Regierung"Von dpa-Korrespondent Heinz Joachim Schottes

Ls ie neue DDR-Regierung stehtvor schier unlösbaren Aufga-ben. Grundlegende Reformen inWirtschaft und Gesellschaftsind notwendig, um das fast leckgeschlagene Schiff DDR wiederauf richtigen Kurs zu bringen.Der neue Regierungschef HansModrow (SED) hat sich dafüreine Mannschaft ausgesucht,die aus ausgewiesenen Refor-mern für den innenpolitschenBereich besteht und in der routi-nierte Fachleute für Kontinuitätin der Außenpolitik sorgen sol-len.

Harte Abrechnung

Der Reformer Modrow wurdein seiner etwa 90minütigen Redeseiner ihm zugedachten Rollegerecht. Hart ging er mit denalten Zuständen ins Gericht,schob dem alten Politbüromit-glied Günter Mittag die Schuldfür die wirtschaftliche Miserezu. Als seine Stellvertreterin fürdas von 44 auf 28 Regierungs-mitglieder deutlich verkleinerteKabinett hat sich Modrow dieausgewiesene Wirtschaftsex-pertin Christa Luft (SED) ausge-sucht. Die Wissenschaftlerin

Presse-EchoDie Bundestagsdebatte über die Lageder Nation wird von vielen Blättern kom-mentiert

Fkmnkftuttr

Neue PresseSelbstverständlich hat Kohl

auch recht, wenn er die BonnerHilfe an die DDR von einemgrundlegenden Wandel des po-litischen und wirtschaftlichenSystems abhängig macht. Wasdenn sonst. Die Menschen drü-ben wollen Freiheit und Wohl-stand. Das führen sie uns seitdem 9. November vor. Momperund andere warnen vor „Bevor-mundung". Wichtiger als derWunsch der DDR-Bürger nacheinem auch materiell besserenLeben ist ihnen nämlich, daß esauch künftig einen sozialisti-schen deutschen Staat gibt. Dasist der Egoismus der Ideologen.

OFFENBACH POST

Kleinkariertes Parteienge-zänk, öffentliche Profilierungs-anstrengungen und politischeAlleingänge sind angesichts derBedeutung der Ereignisse völligfehl am Platz. Darum war eswohltuend zu sehen und zu hö-ren, wie... Willy Brandt über dievorhandenen Auffassungsun-terschiede zwischen Regierungund Opposition hinweg eineBrücke schlug und für die Er-gebnisse der Kohl-Reise nachPolen lobende Worte fand.

STUTTGARTERNACHRICHTEN

Vielleicht war die Annahmeja naiv, die Eruptionen in derDDR könnten die Parteien desBundestages zu einer neuenForm der Gemeinsamkeit erm-untern, die nichts zukleistert,aber von allen ein Stück Selbst-bescheidung verlangt. Von derKoalition das Zugeständnis, daßdie Weichenstellung dieserTage nicht ausschließlich derBundesregierung obliegen soll-te, von der SPD die Einsicht, daßnicht allein die Ostpolitik der70er Jahre die Umwälzungenausgelöst hat. Mag sein, daßman auch erst so alt werden mußwie Willy Brandt, um eineKanzler-Reise erfolgreich nen-nen zu können, während die ei-genen Freunde noch dabei sind,die Pannen... aufzulisten.

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Von einem guten Tag des Par-laments zu reden, würde keinAnlaß sein, wären nicht zweiRedner hervorgetreten - zu-nächst Brandt und später Gen-scher. Ohne anderen Patriotis-mus und Verständnis für dieUmwelt der Deutschen abspre-chen zu wollen, erwiesen sichdiese beiden als unüberhörbareWortführer einer in die Zukunftweisenden nationalen Politik.

gilt nicht als „Apparatschik",sondern als wirtschafliche Spit-zenexpertin. Das unterstreichtauch die klare Akzentuierungder vordringlichsten Aufgabeder neuen Regierung: Die Stabi-lisierung und Gesundung dermaroden DDR-Wirtschaft.

Den auffälligen Verfall derDDR-Städte und Kommunensoll der Architekt GerhardBaumgärtel (CDU) stoppen, dersich als Oberbürgermeister vonWeimar einen Namen gemachthatte. Auch er gilt als Experte,der sein „Ohr am Volke" hat.

Spontanen Applaus bei derVorstellung der Ministerriegebekam der bisherige Außenmi-nister Oskar Fischer (SED), derdas Amt schon seit 1975 innehat. Auch Außenhandelsmini-ster Gerhard Beil (SED) stehtdem neuen Kabinett mit seinemseit Jahren bewiesenen Fach-wissen zur Verfügung. Er solldie DDR-Wirtschaft auch weiternach außen öffnen. In der Innen-wirtschaft soll wie bisher Ger-hard Schürer (SED) die Staatli-che Plankommission leiten. Erweiß bestens über die unerfüll-ten Wirtschaftspläne, die be-gangenen Schludrigkeiten, un-saubere Bilanzierungen und

willkürliche Investitionen Be-scheid. In der letzten Volks-kammersitzung legte er scho-nungslos Bericht ab.

Die einstmals hohe Stellungder Staatssicherheit wurde zu-recht gestutzt. Es gibt kein „Sta-si"-Ministerium mehr, sondernnur noch ein Amt für NationaleSicherheit. Der 59jährige„Amtsleiter" Wolfgang Schwa-nitz, promovierter Jurist, kenntdie gefürchtete Stasi, gegen diesich der Volkszorn besondersrichtete, aus eigener Erfahrung.Seit 1951 gehört er dem Mini-sterium an.

Für klare Abgrenzung

Dem bisherigen DresdenerSED-Chef Modrow, der als um-gänglich, aber hart in der Sachegilt, scheint es sehr ernst mitden angekündigten Reformen zusein. Seine Regierung werdenichts versprechen, was sienicht halten könne, kündigte eran. Daß er den Ton im Kabinettangeben und die Richtlinienfestsetzen will, machte sichauch daran deutlich, daß ermehrfach von „meiner Regie-rung" sprach. Der bisherigen

Praxis der Vermengung vonStaats- und Parteiführung er-teilte er eine eindeutige Absage.Fast verächtlich sprach der un-ter dem alten SED-Chef ErichHonecker in seinem Reformwil-len gebremste Modrow von deralten Garde. Offenheit, Ehrlich-keit, Fachkompetenz statt Lo-sungen, Qualitätsarbeit und Be-scheidenheit soll die neue Re-gierung leisten.

Die abgesetzten „Betonköpfe"mußten sich die ReformredeModrows nicht anhören. Umneun Uhr nahm Modrow imblauen Anzug allein auf der Re-gierungsbank in der Volkskam-mer Platz. Bevor er endlich um09.17 Uhr seine Regierungser-klärung verlesen konnte und beider Bevölkerung um Vertrau-ensvorschuß für seine Arbeitbat, wurde er sichtlich nervöser,aber nicht unkonzentrierter. Erschlug die grüne Mappe auf, inder seine Rede lag, schlug siewieder zu, dann wieder auf, lasnoch einmal einige Passagennach.. Bei jeder der Abstimmun-gen, die seiner Rede vorausgin-gen, schien er aber genau zuwissen, worum es ging. Nichteinmal verpaßte er, die Handzur Zustimmung zu geben.

Deutschstunde mit Modrow (Karikatur: Wolf)

Mehr Geld für Beamte in Ballungsgebieten

Das letzte Wort nicht gesprochenVon unserem Redaktionsmitglied Andreas Günther

Reecht verlockend klang derVorschlag aus dem Innenmini-sterium: Beamte in Großstädtenin der unteren und mittleren Be-soldungsgruppe sollen mehrGeld bekommen. Wer bis zurBesoldungsgruppe A10 imStaatsdienst das teure Leben inden Ballungsgebieten tragenmuß, darf mit einer Zulage von130 DM rechnen, pro Kind kom-men noch 40 DM dazu. Beamte,die in Ballungsgebiete ziehen,erhalten einen einmaligen Zu-schuß in Höhe von 5000 DM. Sosieht es der Entwurf des Struk-turgesetzes 1990 vor, der nachMeinung von Minister Schäuble„maßvolle, aber deutliche Ver-besserungen" enthält, um den„extrem hohen Belastungen derunteren und mittleren Einkom-mensgruppen" abzuhelfen.

Keine rechte Freude

Die Gewerkschaften hörendas zwar nicht ungern, wagenaber keine rechte Freude auszu-drücken. Im Gegenteil: DieOTV-Vorsitzende MonikaWulf-Mathies sieht den Innen-minister die „lange gefordertenStrukturverbesserungen im Ein-kommensgefüge" hintertreiben.Schäuble versuche gar, die Ar-beitnehmer im öffentlichenDienst zu spalten.

Der Deutsche Beamtenbund

(DBB) hadert nicht so heftig mitdem Plan des Innenministers fürein neues Strukturgesetz. Sogarein wenig Zufriedenheit zeigtder DBB über den „ersten, abernoch nicht ausreichendenSchritt".

Überhaupt sei das Ganze nochnicht spruchreif, versichertDBB-Sprecher Eckart Kempf.„Formulierungshilfe" wäre wohldie beste Definition, „denn dasletzte Wort ist noch nicht gefal-len". So sind weitere Gesprächezwischen den Gewerkschaftenund dem Innenministerium ge-plant, in denen etliche Knack-punkte noch geklärt werden sol-len. Beispielsweise müsse derKreis derer erweitert werden,die Vergünstigungen erhaltensollen: „Warum nur Verheirate-te, und warum nur in Städtenüber 500 000 Einwohnern",fragt Kempf. Und wo endet zumBeispiel das BallungsgebietFrankfurt? Auch die Form derFinanzunterstützung sei nochoffen. So „wäre auch denkbar",daß für Beamte speziell Woh-nungen in den Ballungsgebietengebaut werden.

Der Beamtenbund pocht wei-terhin auf ein Gesamtkonzept.Anzustreben seien keinepunktuellen Verbesserungen,sondern ein neues Gesamtkon-zept, das den Beschäftigten desöffentlichen Dienstes „einefunküonsbezogene und lei-

stungsgerechte Bezahlung si-chert". Der Entwurf des Innen-ministeriums sei bisher, soKempf, „nicht das Gelbe vomEi."

Die Idee für das Zulagenmo-dell entstand in der BayrischenLandeshauptstadt, wo Mün-chens Bürgermeister und dieLandesregierung hunderte Stel-len nicht besetzen können; diePrivatwirtschaft lockt eher diequalifizierten Arbeitskräfte an,und Nachwuchs ist rar.

„Der Dienst am Staat ist unat-traktiv geworden", gesteht derSprecher des Bundesinnenmini-steriums, Roland Bachmeier. InStuttgart sei die Situation ähn-lich angespannt.

Finanzmittel sollen helfen

Finanzmittel sollen nun ausder Not helfen: 95 MillionenDM sind in dem Entwurf des In-nenministerium allein für Mün-chen und Stuttgart veran-schlagt. Schäuble: „Hiermit sollnachvollzogen werden, was fürprivate Arbeitgeber in diesenGebieten bereits seit langemselbstverständlich ist." DerÖTV-Sprecher Rainer Hillgärt-ner sagt es deutlicher: „Die Ta-rifpolitik gibt den Ton an, nichtder Gesetzgeber."Siehe auch Kommentar

DDR-Rückkehrer

Alle warten -aber bisherkommt keinerVon S. Heimgärtner (dpa)

V orbereitet war alles - ge-kommen ist keiner. Für 500rückkehrwillige DDR-Bürgerstanden im Berufsschulzen-trum Magdeburg am Lorenz-weg schon am Donnerstagvormittag dampfende Teek-annen und Batterien von Pla-stikbechern bereit. Stundenspäter kam kleinlaut das Kü-chenpersonal und räumtewieder ab. Ähnlich erging esvielen anderen freiwilligenHelfern im Bezirk, wo insge-samt mit 2000 Rückkehrerngerechnet wurde.

Die nach dem Massenexo-dus von den DDR-Behördenund vielen Gebliebenen sosehnlichst erwarteten Mit-bürger, die angeblich zu Tau-senden nach einer längerenStippvisite im Westen wie-der nach Hause kommenwollten, sind bisher in kei-nem der vom Deutschen Ro-ten Kreuz der DDR einge-richteten Aüfnahmelagereingetroffen. Warum, weißeigentlich keiner. Und amschlimmsten wäre es für denVerantwortlichen im Rat desBezirkes Magdeburg, KlausBurgmann, wenn sich her-ausstellen würde, „daß essich viele doch noch andersüberlegt hätten".

„Ziemlich enttäuscht"

„Wir sind ziemlich ent-täuscht", so sein Kommentar.Ganz besonders, weil dieDDR im Moment „jeden ein-zelnen Bürger" brauche. Ammeisten aber sicherlich, weiles die ganze Stadt in einerBlitzaktion innerhalb weni-ger Tage geschafft habe, „füralle Fälle vorbereitet zusein". Das hieß für Magde-burg: Fünf öffentliche Ein-richtungen, darunter zweiSchulen, wurden zu Wohn-quartieren umfunktioniert.

Die Schüler der Berufs-schule beispielsweise muß-ten ihre Zimmer im Lehr-lingsheim frei machen undwieder zu den Eltern ziehen.Statt Unterricht standen fürmindestens zwei WochenPraktika auf dem Stunden-plan. Rund um die Uhraußerdem ein Versorgungs-service in der Schulmensaund provisorisch eingerich-tete Büros der Verwaltungs-behörden, die bei der Wie-dereingliederung helfen soll-ten. Im Bezirk Schwerin ha-ben die Rückkehr-Planer so-gar an „Extras" gedacht:Vom neu installierten Münz-fernsprecher über Bügelbret-ter bis zur Kindernahrung.

Rückzug angeordnet

Nun haben die Behördenzunächst zum Rückzug ge-blasen: In Magdeburg wur-den die Sondermaßnahmeneingestellt, weil man davonausgeht, daß sich die bishernur vereinzelt aufgetretenenRückkehrer dann auch di-rekt in ihrem Heimatort mel-den können. Dort sollen diegleichen Spielregeln geltenwie bei den in den Über-gangsunterkünften zuständi-gen Behörden: Keine Bevor-zugung der Heimkehrer undder Versuch, sie am ur-sprünglichen Wohn- undArbeitsplatz wieder unterzu-bringen. Nur dann aller-dings, wenn die Heimgekom-menen damit einverstandensind.

Andere Orte besser

Nach Angaben desMagdeburger RatsmitgliedesLutz Bartel ist zu erwarten,daß etliche Rückkehrer denHeimatort wechseln wollen,weil sie sich vor möglicherKritik von Nachbarn undArbeitskollegen fürchten.„Wer bei Nacht und Nebelüber die Grenze gegangenist, kann nicht unbedingt da-mit rechnen, daß er gleichwieder begeistert empfangenwird", meint Bartel.

Page 40: Nach dem Mauerfall: Zeitungsberichte von damals

Nr. 270 Stadt Kassel Samstag, 18. November 1989

Deutsch-deutsches Fest in Kassel Dreiste Angebote an Besucher aus der DDR

Welle der Hilfsangebote Zweifelhafte GeschäfteKassel (f). Die Welle der Ak-

tionen und Hilfsangebote für dieBesucher aus der DDR reißtnicht ab. Genauso unüberseh-bar wie die Besucherströme sindinzwischen die Initiativen vonPrivatleuten, Firmen, Vereinenund Verbänden, die sich zusätz-liche zu den öffentlichen Stellenund Hilfsdiensten für Empfang,Versorgung und Unterbringungder Gäste von drüben engagie-ren.

Da macht die Lutherkirchen-Gemeinde ihr Gemeindehauszum Besuchertreff, die Schüler-vertretung des Friedrichsgym-nasiums verwandelt den Schul-pavillon in einen Kontaktpavil-

lon, Vereine verteilen Obst undErbseneintopf auf dem Rathaus-platz, eine Firma stellt ihre Räu-me als Wärme- und Wickelräu-me zur Verfügung, eine Taxi-zentrale teilt am HauptbahnhofSuppe aus, die vom Studenten-werk gekocht wird, Autofirmenbieten Pannenhilfe, Stadteilver-eine bewirten Ankommende mitKuchen und heißen Getränken,die Liste ließe sich noch verlän-gern.

Was vergangenes Wochenen-de noch völlig unvorbereitet anHilfe geleistet wurde, wird andiesem Wochenende organisiert- Beiträge zum zweiten deutsch-deutschen Fest in Kassel.

Kassel (f). Mit der Zahl derHilfsangebote für DDR-Bürgerwächst auch die Grauzone derzweifelhaften Geschäfte, die mitden Besuchern gemacht werden.Schon finden die oft ahnungslo-sen Westreisenden Handzettelunter die Scheibenwischer ihrerTrabis geklemmt, die sie auffor-dern, beim nächsten Besuch Sil-berbestecke, Meißener Porzel-lan, Antiquitäten und sogar Mi-litaria mitzubringen und zu ver-kaufen - gegen West-Mark ver-steht sich, Telefon-Nummer undein dreistes „Herzlich Willkom-men in der BRD" inklusive.

Da wird von Wechselangebo-ten berichtet, mit denen DDR-

Bürgern zu Kursen bis 1:20 dieOst-Mark aus der Tasche gezo-gen werden soll.

Während viele Geschäfte be-liebte Einkaufsartikel wie Obst,speziell Südfrüchte, in Sonder-angeboten feilbieten, sind gele-gentlich auch Berichte vonüberhöhten Preisen zu hören -manchmal allerdings auch Ge-rüchte, die sich nicht bestätigen.

Inzwischen ist es notwendig,Besucher vor Geschäftema-chern zu warnen, die, um einenSatz des Spiegel abzuwandeln,bei denen von drüben, „im Drü-ben fischen."

Letzte Meldung

Pkw erfaßt Radlerin: TotKassel (jds). Eine 20jährige

Radfahrerin aus Kassel starbgestern gegen 20.30 Uhr aufder Loßbergstraße, nachdemsie von einem Pkw erfaßt und25 Meter durch die Luft ge-schleudert worden war. Beidem Unfall wurden zwei Per-sonen schwer und eine leichtverletzt.

Eine 28jährige Kasselerinbefuhr, so die Polizei, mit ih-rem Wagen die Loßbergstraßestadteinwärts, als sie vermut-lich infolge überhöhter Ge-schwindigkeit kurz vor derZentgrafenstraße auf die Ge-

genfahrbahn geriet. Dort prall-te ihr Pkw mit dem entgegen-kommenden Auto eines 26jäh-rigen aus Kassel zusammen.

Danach schleuderte der Wa-gen der 28jährigen quer überdie Straße und erfaßte auf derGegenseite die junge Radfahre-rin. Dann durchbrach das Autoeine Hecke und eine Mauer,um schließlich an einer Haus-wand zum Stehen zu kommen.Die Fahrerin und ihre 21 jähri-ge Beifahrerin erlitten dabeischwere Verletzungen, wäh-rend der 26jährige mit leichtenBlessuren davonkam.

Gäste aus der DDR

Die Citywar voll

Kassel (ach). Der erwarte-te Wochenend-Ansturm vonBesuchern aus der DDR setz-te schon gestern ein.

Früh um 7 Uhr rollten zahllo-se Trabis auf der Leipziger Stra-ße Richtung Innenstadt. Mit ge-höriger Verspätung traf kurznach 9 Uhr im Hauptbahnhofder erste Sonderzug aus Erfurtmit fast 1000 Menschen ein - inden zehn Wagen war kein Platzfreigeblieben.

Im Rathaus und den Postäm-tern mußten besonders am Vor-mittag die Besucher um ihr Be-grüßungsgeld Schlange stehen,die Geschäfte in der City warenproppenvoll, auf der Königs-straße kam die Straßenbahn imdichten Gewühl zeitweise kaummehr voran....;-.'ix.,. .-.--...•

Drei Sonderzüge

Mit rund zehn Zügen aus derDDR - davon drei Sonderzüge -kamen gestern tausende Besu-cher auf dem Hauptbahnhof an.Bei der Bahnhofsmission, in derWechselstube, vor dem Bahnhofam Feuerwehr-Infobus wurdenMitarbeiter und Helfer fastüberrannt.

Die Bundesbahn hatte das

Appell der Polizei:

Lieber per Busoder Bahn

Kassel (f). Einen erneuten Ap-pell, den Wagen am Wochenen-de stehen zu lassen und auf öf-fentliche Verkehrsmittel umzu-steigen, richtet die Polizei analle Autofahrer in Kassel undden umliegenden Gemeinden.Vor allem die Besucher aus demLandkreis sollten überlegen, obsie ihre Weihnachtseinkäufenicht auf andere Tage verlegenkönnten.

Angesichts des erneuten Be-sucherstroms rechnet die Poli-zei damit, daß es sowohl heuteals auch am morgigen am Sonn-tag zu Verkehrsengpässen inden Hauptverkehrsstraßen desStadtgebiets kommen wird.

Mehr Straßenbahnen

Die Kasseler Verkehrsgesell-schaft (KVG) verstärkt ab8.30 Uhr den Straßenbahnver-kehr zwischen Leipziger Platzund Ottostraße (Hauptbahnhof)sowie Auestadion und Ottostra-ße, um die Besucher der Innen-stadt zum Stadtrand-Parken zuermuntern.

Bei Bedarf wird die KVGaußerdem einen Bus-Pendelver-kehr zwischen den Messehallenund dem Staatstheater einrich-ten.

Zu Zeiten, in denen die ObereKönigsstraße wegen des erwar-teten Masenandrangs „zu" seinwird, verkehren auf AnsagePendelwagen der Straßenbahn-linien 1, 3, 5, 6 und 8 zwischenKirchweg und Rathaus.

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WARTEN AUF DIE HEIMREISE: Dicht gedrängt standen gestern abend Kassel-Besucher aus der DDR am Bahnsteig im Hauptbahnhof,um mit einem Sonderzug wieder zurück nach Eisenach, Gotha oder Erfurt zu fahren. " (Foto: Koch)

Personal verstärkt, auf denBahnsteigen gab's zusätzlicheSpeisen- und Getränkeangebo-te. Bei der Kontrolle der Fahr-karten - für DDR-Bürger zumhalben Preis - gab's oft Proble-me. Dienstanweisung an dieBundesbahner in Zweifelsfällen:Großzügig sein, „es wird keineraus dem Zug geworfen".

Bei den Postämtern traf derAnsturm besonders das Amt 31in Bettenhausen. Eigentlich soll-te erst ab 7 Uhr Begrüßungsgeldgezahlt werden, doch wegen desgroßen Andrangs in der Früheöffneten die Mitarbeiter freiwil-lig schon um 6 Uhr die Schalter.Bis zum Abend bekamen dortüber 1000 DDR-Bürger ihren

Hundertmarkschein. Im Rat-haus mußten für die Auszahlungzeitweise bis zu 20 Mitarbeitereingesetzt werden. Rund 6500DDR-Bürger wurden bis gesternabend gezählt.

Verärgerung herrschte ge-stern in Auszahlungsstellenüber die steigende Zahl von Be-trugsversuchen. Immer wieder

hätten DDR-Bürger versucht,den Stempel im Ausweis überdas bereits erhaltene Begrü-ßungsgeld auszuradieren oderzu überkleben. Auch mit demTrick, auf Personalausweis undReisepaß jeweils 100 Mark inEmpfang zu nehmen, sollen sichnicht wenige doppeltes Begrü-ßungsgeld erschlichen haben.

Kassel (b). In diesen Tagen istnichts unmöglich, auch in Kas-sel nicht. Professor RainerMeyfahrt, seit 16 Jahren Stadt-und Landschaftsplaner an derGesamthochschule Kassel(GhK) und in der Vergangen-heit nicht selten ein vehemen-ter Kritiker der Kasseler Ver-kehrsgesellschaft (KVG), wagtsich in die Höhle des Löwen.Der 46jährige gebürtige Berli-ner wird Chef der AbteilungUnternehmensplanung bei derKVG und will sich für drei Jah-re von der Universität beurlau-ben lassen.

Der Wechsel kam eher zufäl-lig zustande. KVG-Vorstands-vorsitzender Wolfram Bremei-

KVG-Kritiker Meyfahrt geht zur KVG

Ein Professor inder Höhle des Löwen

RAINER MEYFAHRT wechseltvon der Uni in die Chefetage derKVG. (Foto: Koch)

er, hatte den anerkanntenFachmann um Vorschläge fürdie Besetzung der Stelle gebe-ten. Meyfahrt fiel auf Anhiebniemand ein; als er eher beiläu-fig erwähnte, „ich könnte es jaselber machen", nahm ihn Bre-meier beim Wort. Meyfahrtsagte zu, obwohl er nächstesJahr eigentlich Dekan werdensollte. Dennoch: Vom Fachbe-reichsrat bekam er „einstim-mig" grünes Licht, auf Zustim-mung aus Wiesbaden wartet ernoch.

Bremeier freut sich

„Ich freue mich, daß ein soprofilierter Vertreter der Inter-essen des ÖPNV (ÖffentlichenPersonennahverkehr) zur KVGkommt. Im übrigen ist es eingutes Beispiel für ein funktio-nierendes Miteinander vonTheorie und Praxis. Dies sollteSchule machen", betonte Bre-meier gestern. Ähnlich sieht esauch Meyfahrt: „Vielleicht sindberufspraktische Studien - diefür Studierende ein Muß sind -auch gut für Hochschullehrer."

Dennoch hat die KVG mitihm nicht nur einen qualifizier-ten Theoretiker gewonnen,sondern auch einen ausgewie-senen Praktiker. Nicht wenigeverkehrspolitischen Verbesse-

rungen in Kassel tragen dieHandschrift von Meyfahrt,etwa die Anbindung der KVGam Bahnhof Wilhelmshöheoder der neue Gleiskörper aufder oberen Wilhelmshöher Al-lee.

Optimismus

So hat der engagierte Hoch-schullehrer denn auch ganzkonkrete Vorstellungen, wie erseine Zuständigkeiten für dieVerkehrsplanung, Verkehrs-wirtschaft, Fahr- und Dienst-plangestaltung sowie Marke-tingplanung zur Verbesserungdes ÖPNV nutzen will. Und dadurch den vor einem Jahr vor-gelegten General verkehrsplan„etwas Bewegung in die Ver-kehrsplanung gekommen ist",verfügt er auch über eine gehö-rige Portion Optimismus.

Ein Schwerpunkt seiner Ar-beit ist durch das vorliegendeKommunale Nahverkehrspro-gramm gegeben, im wesentli-chen der Bau der Helleböhn-Trasse und deren Weiterfüh-rung nach Baunatal. Meyfahrt:„Jetzt geht es konkret daran,die vielen Maßnahmen auchwirklich umzusetzen, Druck zumachen, daß sie realisiert wer-den."

Auch will Meyfahrt den

Blick über die Stadtgrenze hin-aus richten. Es sei an der Zeit,verstärkt die Anbindung derLeipziger Straße, Kaufungensund Niestetals in Angriff zunehmen. Dabei denkt er unteranderem an eine Kooperationähnlich der der Gemeinschafts-linie 17 nach Lohfelden undSöhrewald sowie an eine mögli-che Nutzung der ehemaligenWaldkappeler Bahntrasse bisKaufungen. Und natürlich setzter auch auf den Ausbau desPark-and-Ride-Systems. „Esstehen Vorentscheidungen an",steckt Meyfahrt den Rahmenfür sein dreijähriges Gastspiel.

Darüber hinaus hat sich der46jährige vorgenommen, „re-gelmäßig ein kleines Problemzu lösen, ohne große Investitio-nen die Qualität des ÖPNV zuverbessern". Zum Beispiel eineBusspur auf der KölnischenStraße zwischen Königsplatzund Rudolf-Schwander-Straße,Beschleunigung von Bussenund Bahnen durch bessere Ver-kehrssteuerung und den Abbauder Behinderungen durchLinksabbieger.

„KVG muß zur Stelle sein"

Und dann will er vor seinerderzeitigen Haustür aktiv wer-den, am Holländischen Platz.Wenn der Bau des Technik IIIKomplexes beginnt und Hun-derte von Parkplätzen wegfal-len, „muß die KVG mit einemattraktiven Angebot zur Stellesein". Das wird er übrigensauch selber nutzen können.Denn Jahreskarteninhaber Rai-ner Meyfahrt wird auch wäh-rend seiner KVG-Tätigkeit eineLehrveranstaltung an der Unianbieten.

Smog oder nicht?

VerschiedeneSichtweisen

Kassel (f). Smog oder nichtSmog - bei der Diskussion überdie Schadstoffbelastung derKasseler Luft scheinen sich dieAppelle, angesichts erhöhterSchadstoffwerte auf das Auto zuverzichten, und die Tatsache,daß die gemessenen Werte un-terhalb der kritischen Grenzenliegen, zu widersprechen.

Der scheinbare Widersprucherklärt sich aus einer unge-wöhnlichen Wetterlage und ausverschiedenen Betrachtungs-weisen. Momentan und auch inden nächsten Tagen herrscht inden Morgenstunden und

Anzeige

DieKVGerschließtKassel

mit derSesamkarte.

Abendstunden eine austausch-arme Wetterlage (Inversion),das heißt, zu diesen Zeiten wer-den Schadstoffe in Bodennähenicht weggeweht, erklärt LutzKatzschner von der AG Luft derGhK. Die Werte steigen dannjeweils an, „nicht drastisch, aberüber normal" (Katzschner).Tagsüber sorgen Winde dannwieder für eine vorübergehendeEntlastung.

Diese Situation könnte sichlaut Katzschner von Tag zu Tagverschärfen. Es sei die Frage, obimmer gewartet werden müsse,bis Smogwerte erreicht werden,bevor Maßnahmen zur Reduzie-rung von Schadstoffen ergriffenwerden. Die Aussage von Bür-germeister Ludolf Wurbs, dieMeßwerte bereiteten im Momentkeine Sorgen (HNA berichtete),sei an den offiziellen Grenzwer-ten orientiert. Die AG Luft derGhK plädiere dagegen für einensensibleren Umgang mit Emis-sionen (Schadstoffausstoß).

Katzschner schloß sich ge-stern den Appellen an, das Autostehen zu lassen. Darüber hin-aus regte er an, bei Wetterlagenwie dergegenwärtigen auchüber Drosselungen bei der Müll-verbrennungsanlage und demKraftwerk nachzudenken.

Magistrat:

Ja zum Marktin der Nordstadt

Kassel (esx). Nach langenDiskussionen um die Einrich-tung eines Wochenmarktes inder Nordstadt hat der Magistratetzt zugestimmt: Ab Freitag, 1.Dezember, bieten Händler Bür-ger an 30 Ständen Obst, Gemü-se, Wurst, Eier, Blumen, Honigund anderes an. Künfitg findetder Markt jeden Freitag vor demPhilipp-Scheidemann-Haus von13.30 bis 18 Uhr statt.