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Kostenloses Unterrichtsmaterial für die Sekundarstufe II www.zeit.de/schulangebote Inhalt: 2   Einleitung: Thema und Lernziele 3 Arbeitsblatt: Bleibt alles anders, wie es ist? 9 Aufgaben 12  Internetseiten zum Thema Thema im Oktober 2019: 30 Jahre Mauerfall: Sind wir ein Volk? »Wir sind ein Volk!«: Das war die politische Losung während der Wiedervereinigung Deutschlands. Heute, 30 Jahre danach, ziehen wir Bilanz: Sind Ostdeutsche und Westdeutsche wirklich so zusammen- gewachsen, wie man es sich erträumt hatte? Oder halten sich hartnäckig »Mauerreste« in Köpfen und Strukturen, die vielleicht sogar noch Jahrzehnte stehen bleiben könnten? Diese Unterrichtseinheit nimmt eine Bestandsaufnahme zur Ost-West-Integration vor. Ihre Schülerinnen und Schüler diskutieren Zuschreibungen und Vorurteile zu »Ossis« und »Wessis« und beschäftigen sich mit aktuellen Expertenanalysen und Statistiken zu den Unterschieden zwischen West- und Ostdeutsch- land. Die Arbeitsgruppen leiten dann aus ihren Ergebnissen weitere Fragestellungen ab, die sie als Grundlage für ein Zeitzeugenprojekt nutzen. Diese Arbeitsblätter sind ein kostenloser Service für Lehrkräfte der Oberstufe und erscheinen jeden ersten Donnerstag im Monat. Sie beleuchten ein Thema aus der ZEIT oder von ZEIT ONLINE, ergänzt durch pas- sende Arbeitsanregungen zur praktischen Umsetzung im Unterricht.

Thema im Oktober 2019: 30 Jahre Mauerfall: Sind wir ein Volk? · 2019. 10. 1. · »ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | 30 Jahre Mauerfall: Sind wir ein Volk? 3 Arbeitsblatt

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Kostenloses Unterrichtsmaterial für die Sekundarstufe II

www.zeit.de/schulangebote

Inhalt:

2   Einleitung: Thema und Lernziele

3 Arbeitsblatt: Bleibt alles anders, wie es ist?

9 Aufgaben

12  Internetseiten zum Thema

Thema im Oktober 2019: 30 Jahre Mauerfall: Sind wir ein Volk?»Wir sind ein Volk!«: Das war die politische Losung während der Wiedervereinigung Deutschlands. Heute, 30 Jahre danach, ziehen wir Bilanz: Sind Ostdeutsche und Westdeutsche wirklich so zusammen-gewachsen, wie man es sich erträumt hatte? Oder halten sich hartnäckig »Mauerreste« in Köpfen und Strukturen, die vielleicht sogar noch Jahrzehnte stehen bleiben könnten?

Diese Unterrichtseinheit nimmt eine Bestandsaufnahme zur Ost-West-Integration vor. Ihre Schülerinnen und Schüler diskutieren Zuschreibungen und Vorurteile zu »Ossis« und »Wessis« und beschäftigen sich mit aktuellen Expertenanalysen und Statistiken zu den Unterschieden zwischen West- und Ostdeutsch-land. Die Arbeitsgruppen leiten dann aus ihren Ergebnissen weitere Fragestellungen ab, die sie als Grundlage für ein Zeitzeugenprojekt nutzen.

Diese Arbeitsblätter sind ein kostenloser Service für Lehrkräfte der Oberstufe und erscheinen jeden ersten Donnerstag im Monat. Sie beleuchten ein Thema aus der ZEIT oder von ZEIT ONLINE, ergänzt durch pas-sende Arbeitsanregungen zur praktischen Umsetzung im Unterricht.

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»Die alte DDR-Grenze ist bis heute komplett abgebildet, und das ist auch nach 100 Jahren nicht glatt zu streichen«. Die Aussage stammt von dem CDU-Politiker Reiner Haseloff, dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt. Spricht er damit die hässliche Wahrheit aus, dass es uns nicht gelungen ist, die Mentalitäten und Lebensverhältnisse anzugleichen? Oder hat er die Differenzen zwischen Ost und West überzeichnet? Ist die Wiedervereinigung heute, nach 30 Jahren, wirklich gelungen, sodass man mit Über-zeugung sagen kann: »Wir sind ein Volk«? Expertinnen und Experten haben Bilanz gezogen und den Status zwischen Ost und West untersucht. Ihr Fazit: Trotz Fortschritten am Arbeitsmarkt und beim Lohn-niveau sind die Gehälter im Osten weiterhin niedriger, es gibt kaum internationale Konzerne in Ostdeutsch-land, die Wirtschaftskraft ist schwächer, und ostdeutsche Führungskräfte sind unterrepräsentiert. Die-se ungleichen Lebensverhältnisse und Erfahrungen haben insbesondere bei den Ostdeutschen Spuren hinterlassen: Entgegen vieler Vorstellungen haben die Ostdeutschen zwar durchaus ein ähnliches Demo-kratieverständnis wie die Westdeutschen, allerdings bewerten sie den Zustand der Demokratie und der EU kritischer, als dies im Westen der Fall ist. Das Sterotyp vom »Mecker-Ossi« sollte man dennoch korrigieren, denn Umfrage-ergebnisse zum Glückslevel hätten sich inzwischen an das Westniveau angepasst. Grob zusammengefasst lautet also das Fazit: Es gab einen massiven Aufholprozess, doch die Wirtschaftskraft im Osten wird wohl noch lange hinter der des Westens hinterherhinken. Der Jahresbericht der Bundes-regierung zum Stand der deutschen Einheit 2019 zieht daher ebenfalls eine gemischte Bilanz: Zwar seien 30 Jahre nach der friedlichen Revolution das Zusammenwachsen Deutschlands und die Angleichung der Lebensverhältnisse weit vorangekommen, den Zusammenhalt weiter zu stärken – trotz mancher Span-nungen – sei aber nach wie vor die Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten. Die Wiedervereinigung ist also noch nicht vollbracht, sondern wird offiziell weiterhin als Auftrag für die Zukunft verstanden.

Jenseits aller Statistiken stehen all die Menschen mit ihren ganz individuellen Erfahrungen und Schicksalenseit der Wiedervereinigung. Insbesondere Ostdeutsche können viel über ihre recht einschneidenden Um-bruchserfahrungen erzählen: wie der Mauerfall ihre Berufsbiografie zum Besseren oder Schlechteren ver-ändert hat, wie man sich heute noch als Bürger oder Bürgerin zweiter Klasse behandelt fühlt oder auch, welche Chancen man ergreifen konnte, die einem zur DDR-Zeit verwehrt blieben.

In dieser Unterrichtseinheit nähern sich die Schülerinnen und Schüler der Frage nach den Unterschieden zwischen West und Ost mithilfe einer gegenseitig kommentierenden Kartenabfrage mit persönlichen State-ments und Entgegnungen. Sie erstellen ein vorläufiges Meinungsbild zum Zusammenwachsen von Ost und West, diskutieren das Zitat von Reiner Haseloff und interpretieren Expertenbefunde zu unterschiedlichen Themen und Lebensfeldern der Ost-West-Integration. Als Abschlussprojekt interviewen sie betroffene Personen im Rahmen einer Zeitzeugenbefragung, um authentische Einblicke in den Zustand der Wieder-vereinigung heute, 30 Jahre nach dem Mauerfall, zu gewinnen.

Einleitung: Thema und Lernziele

Aufgepasst: Der im Arbeitsblatt besprochene ZEIT-Text ist auch ein Beitrag aus dem Buch »Guter Osten, böser Osten«. Anlässlich des Mauerfall-Jubiläums schenkt Ihnen DIE ZEIT gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung ein ganz persönliches Leseexemplar*. Hier kostenlos bestellen: www.zeit.de/gobo-lehrer

* Die Anzahl der kostenfreien Leseexemplare ist begrenzt. Wenn Sie mehr als ein Exemplar benötigen (z.B. für ein Klassen-Projekt), schreiben Sie uns mit Begründung an [email protected]. Wir prüfen Ihre Anfrage gerne.

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Arbeitsblatt Bleibt alles anders, wie es ist?

Sind Ost-West-Unterschiede eigentlich etwas, das vergeht? Ganz früher, gleich nach 1990, herrschte die Ansicht vor: Vielleicht dauert es fünf, vielleicht zehn Jahre, bis Deutschland ein Land ist. Bis man Ossis nicht mehr von Wessis unterscheiden kann. Irgendwann setzte sich die allgemeine Erkenntnis durch, dass es vermutlich länger dauern würde.

Und dann wurde schließlich klar: Wesentliche Ost-West-Unterschiede gründen gar nicht in der DDR-Zeit – viele erklären sich auch aus den in Ost und West vollkommen verschieden erlebten Neunziger- und Nuller-jahren. In gewisser Weise gibt es also sogar einige Ost-West-Unterschiede, an die zur Zeit des Mauerfalls gar nicht zu denken war: Der demografische Unterschied etwa ist in den 30 Jahren nach 1989 viel größer geworden, als er es vorher war – der Geburtenknick nach 1990 wird die Gesellschaft noch lange prägen.

Auch dass Ostdeutsche, anders als Westdeutsche, sich im Jahr 2018 in Führungsjobs in Verwaltung oder Wirtschaft so gut wie gar nicht wiederfinden würden, hätte 1990 wohl niemand für möglich gehalten. Nun sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU): Auch in 100 Jahren würden die Ost-West-Unterschiede noch spürbar sein. Es war die strittigste These auf der Veranstaltung »Zur Sache, Leipzig: Braucht Deutschland wirklich eine Ost-Quote?« von ZEIT, ZEIT-Stiftung und der Universität Leipzig; mode-riert von Patrik Schwarz, Herausgeber der ZEIT im Osten. Die alte DDR-Grenze, so Haseloff, sei bis heute »komplett abgebildet«. Und: »Das ist auch in den nächsten 100 Jahren nicht glatt zu streichen.«

Hat er recht? Und wenn ja – wäre das denn nur schlecht? Oder sind Ost-West-Unterschiede auch etwas, das durchaus befruchtend sein kann in einem Land der Pluralität? Wir haben diese Frage Experten ge-stellt, allen für ihren Bereich.

Bei der Diskussionsveranstaltung »Zur Sache, Leipzig« am 24. Mai 2018 im Leipziger Paulinum sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff: Ost-West-Unterschiede werde es auch in 100 Jahren noch geben. Von der ZEIT dazu befragte Experten ordnen ein, ob das stimmen könnte.

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1. Gehälter: Gewiss noch 30 Jahre verschieden Mit den ostdeutschen Gehältern verhält es sich ähnlich wie mit einem Hundert-Meter-Sprinter, der sich an einem Marathon versucht: Am Anfang schießt er allen davon. Dann aber wird er langsamer und langsamer, und irgendwann fällt er zurück. Auch die Ostlöhne näherten sich erst in rasantem Tempo denen des Westens an. Im Jahr 1991 bekam ein Arbeitnehmer in den neuen Ländern gerade einmal die Hälfte dessen, was ein Westdeutscher erhielt. Nur ein Jahr später hatten Ostgehälter schon 61,1 Prozent des Westniveaus erreicht. 1996 dann stolze 74 Prozent. Doch seitdem geht es nur in Tippelschrittchen voran.

Stand heute, mehr als 20 Jahre später: 81,4 Prozent. Ein Vollbeschäftigter im Osten hat monatlich im Schnitt 1000 Euro brutto weniger als einer aus dem Westen, verkündete im März das Statistische Bundesamt. »Um ehrlich zu sein«, sagt Joachim Ragnitz, Vizechef des Ifo-Instituts in Dresden, »ich denke nicht, dass sich daran in den nächsten Jahren noch spürbar etwas ändern wird.« Das liegt nicht an bösem Willen, sondern zum Beispiel daran, dass Unternehmen im Osten kleiner sind. Kleinere Betriebe zahlen niedrigere Löhne. Zwar wurden die Tarifverträge in Ost und West angepasst, doch halten sich in den neuen Ländern weniger Firmen daran. In 100-Jahres-Zeiträumen denke er als Wissenschaftler nicht, sagt Joachim Ragnitz. Auf so lange Sicht ließen sich keine Prognosen abgeben. »Aber in 30 Jahren werden die Löhne zwischen Ost und West wahrscheinlich immer noch nicht angeglichen sein.« Etwas ändern könne eventuell der Fachkräftemangel, glaubt Ragnitz: »Das könnte die Löhne treiben.« Es könne aber genauso gut sein, dass Unternehmen wegen des Kampfs um Arbeitskräfte pleitegehen. Denn um Westgehälter zu übertrumpfen, müssten sie schon mächtig investieren. Eine Fachkraft verdient in den neuen Ländern bis-lang durchschnittlich 34.308 Euro im Jahr, hat das Internetportal gehalt.de kürzlich ermittelt. Im Westen sind es 42.968 Euro. Ein Fünftel mehr.

2. Demokratieverständnis: Es gleicht sich an Vor einem Jahr machte eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung Schlagzeilen: »Nur jeder zweite Ostdeutsche ist mit der Demokratie zufrieden.« Der Eindruck, der entstand: Diese Ex-DDR-Bürger hätten es noch immer nicht verstanden. Aber das stimmt nicht, sagt Everhard Holtmann, Politikwissenschaftler an der Uni Halle-Wittenberg. Holtmann fragt für den Sachsen-Anhalt-Monitor regelmäßig die Haltung der Bürger ab. Er sagt: »Die Idee der Demokratie befürworten schon jetzt fast alle Ostdeutschen.«

Was sie von den Westdeutschen unterscheidet: Sie sehen den aktuellen Zustand der Demokratie kritischer. 54 Prozent der Ostdeutschen sind damit zufrieden, gegenüber 67 Prozent der Westdeutschen. Aber das wird nicht so bleiben, sagt Holtmann: »Die Daten stehen auf Angleichung.« Einen Unterschied, der noch Jahrzehnte bleiben wird, sieht er trotzdem. »Die Ostdeutschen haben eine größere Sorge vor einem Kontrollverlust seitens der Politik und des Staates«, sagt er. Dies gehe auf den »doppelten Transformationsschock« zurück: zuerst die Wendezeit, dann die Globalisierungskrise. »Solche Erfahrungs-lagen verfestigen sich über Jahrzehnte und manchmal sogar über mehr als ein Jahrhundert«, so Holtmann. Das sei ein Grund dafür, dass Ostdeutsche anfälliger für Populismus seien. Aber: Wenn die Populisten nicht lieferten, wählten die Ostdeutschen auch schnell wieder jemand anderen. Holtmanns Sachsen-Anhalt-Monitor belegt das gerade: Darin wurde gefragt, was die Leute wählen würden. Und der Wert der AfD hat sich in dem Bundesland fast halbiert.

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3. Demografie: Das lässt sich nicht reparieren Weil es immer wichtig ist, mit der guten Nachricht anzufangen: Der Osten holt auf, sogar in diesem Bereich, der immer besonders problematisch war. Die demografische Entwicklung, von Rostock bis Anna-berg-Buchholz, sei inzwischen eine Erfolgsgeschichte, sagt Reiner Klingholz, Chef des Berlin-Instituts für Bevölkerungsentwicklung. Seit 2013 ist keine größere Abwanderung aus dem Osten mehr zu beobachten, das Wanderungssaldo ist seit mehreren Jahren weitgehend ausgeglichen. Und davon profitieren gerade die Metropolen im Osten: Berlin, Leipzig, auch Potsdam und Jena – sie gehören zu den am schnellsten wachsenden Städten Deutschlands. »Manche Stadt im Ruhrgebiet wäre froh, wenn es bei denen so zugin-ge wie in Leipzig«, sagt Klingholz. Eine gewisse Ost-West-Angleichung gibt es inzwischen also.

Und trotzdem, sagt Klingholz, habe Reiner Haseloff auch recht: »Der Ost-West-Unterschied wird bei der Bevölkerungsentwicklung noch ziemlich lange zu spüren sein.« Wieso? Weil man die massive Ab- wanderung in den Neunzigerjahren, bis in die Nullerjahre hinein, nicht einfach so wettmachen könne. Der starke Geburteneinbruch – nach dem Mauerfall um 50 Prozent – wurde noch verstärkt durch einen anhaltenden Wegzug junger Frauen. Dass nach 1990 so wenige Kinder geboren wurden, werde sich nun mindestens 40, 50, 60 Jahre bemerkbar machen, sagt Klingholz. Generationen mit weniger Kindern haben auch weniger Enkel und weniger Urenkel. Selbst steigende Geburten oder Zuwanderungszahlen könnten das in einem menschlichen Leben nicht ausgleichen, glaubt Klingholz. Allenfalls abschwächen. Die Flücht-lingswelle der vergangenen Jahre habe dabei den Ost-West-Unterschied sogar eher noch verstärkt als abgeschwächt: »Der Osten hat weniger als der Westen von der Zuwanderung profitiert«, sagt Klingholz, »denn viele Zuwanderer sind, sobald sie sich frei bewegen konnten, dorthin gegangen, wo schon viele andere Zuwanderer leben: in die westdeutschen Städte.«

4. Gute Ernährung: Da isst der Osten eigen Die Frage, ob sich der Osten dem Westen angleicht, stellt sich dann nicht mehr, wenn der Osten einfach die Maßstäbe hinterfragt. Genau das tut Maria Groß, Köchin des Restaurants Bachstelze in Erfurt. Man kann sich mit ihr wunderbar darüber unterhalten, warum eine kulinarische Mauer zwischen Ost und West verläuft. Von 300 Sterne-Lokalen stehen nur 19 in Ostdeutschland. Macht eine Quote von 6,3 Prozent, seit Jahren stagnierend.

»Das heißt aber nicht, dass Ostdeutsche die weniger kultivierten Esser wären«, sagt Maria Groß. Sie hat im Jahr 2013 für das Thüringer Restaurant Clara einen Stern geholt, verließ das Haus aber, um freier zu sein. Es gebe viele kulinarische Oasen im Osten, sagt sie. Doch legten diese wenig Wert auf einen Stern. Denn der locke nicht unbedingt mehr Publikum. Beziehungsweise locke er eines, das man gar nicht unbedingt begehre: »Man will für den selbst ernannten Gourmettester nicht irgendeinen Affentanz veranstalten«, sagt sie. »Nun«, erwidert auf solcherlei Thesen Ralf Flinkenflügel, Deutschland-Chef des Guide Michelin, der die Sterne immerhin vergibt: Ihm sei noch kein Sterne-Koch untergekommen, der negativ auf die Auszeichnung reagiert habe. Ob die Ost-West-Angleichung aber in 100 Jahren geschafft sein wird, will er nicht so genau beantworten. Immerhin: Sterne-Restaurants fänden sich auch im Osten zunehmend in den Metropolen und in Ferienregionen. Der Trend sei positiv. Aber: Die gehobene Küche, etwa im badischen Raum, habe sich über Jahrhunderte hinweg entwickelt. Soll heißen: Es dauert.

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5. Allgemeine Zufriedenheit: Westniveau! Im Jahr 1990 begannen Sozialforscher damit, Ostdeutsche zu befragen, wie zufrieden sie sind. Zehntau-sende Menschen wurden interviewt. Im Westen wurden dieselben Daten schon seit Jahrzehnten erhoben. Was die Forscher aber im Osten herausfanden, hat sie nicht nur irritiert, sondern regelrecht sprachlos gemacht. Eigentlich waren sie davon ausgegangen, dass die Glückseligkeit in den neuen Ländern nach der gelungenen Revolution mit Händen zu greifen sei. Stattdessen stellte sich heraus: Ausgerechnet nach dem Mauerfall sank das Glückslevel, und zwar heftig. Es betrug, auf einer Skala von eins bis zehn, gerade einmal 6,3. Im Westen lag es deutlich höher: bei 7,3. Grund dafür sei, so erklärten es sich die Wissenschaftler, zum Beispiel die siechende Wirtschaftskraft von Sachsen bis Meck-Pomm. Oder auch das Zerbrechen sozialer Beziehungen. Eine innerdeutsche Grenze jedenfalls war fortan in jeder Glücksstatistik Deutschlands zu sehen.

Und heute? Viele Unterschiede blieben. Aber das Glück hat sich angepasst! Heute sagen die Glücksfor-scher: Ostdeutsche sind so zufrieden wie nie zuvor seit Beginn der Befragungen. Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg, der den Glücksatlas der Deutschen Post verantwortet, sagt zum Beispiel: »Eine klare Grenze zwischen Ost und West wird in unserer Statistik wahrscheinlich schon in wenigen Jahren nicht mehr sichtbar sein«, im Gegenteil. »Manche Regionen Ostdeutschlands werden manche Regionen Westdeutschlands sogar überholen.« Besonders zufrieden seien die Thüringer. »Das Leben der Menschen ist heute oft besser als früher«, sagt Raffelhüschen. Sicher sei manche Angleichung an den Westen noch nicht gelungen. Das heiße aber nicht, dass keine Verbesserung spürbar sei. So habe etwa die Kaufkraft im Osten noch nicht die des Westens erreicht. Trotzdem habe sie sich binnen 20 Jahren um 21 Prozent gesteigert. Was das Glückslevel anbelangt, so liegt der Westen heute bei 7,11. Der Osten folgt dicht darauf: mit 6,89 Punkten. Da haben wir, so insgesamt, also noch mal Glück gehabt.

6. Popmusik: Weitere 100 Jahre – hoffentlich Es gibt Ost-West-Unterschiede, die sind so produktiv, dass man sich fast nur wünschen kann: Mögen sie noch lange bestehen! Das popkulturelle Zusammenwachsen zweier deutscher Staaten fand zum Beispiel Edward Larkey, Deutsch-Professor an der University of Maryland, Baltimore County, so interessant, dass er es zu seinem langjährigen Forschungsfeld machte. Und deshalb kommt er gar nicht aus dem Schwär-men heraus, wenn man ihn fragt, welche Ost-Band die erste war, die gesamtdeutsch berühmt wurde: Rammstein! Rammstein ging 1994 aus Feeling B hervor, der einzigen Punkband, die in der DDR jemals die Erlaubnis bekommen hatte, eine Amiga-Platte aufzunehmen. Rammstein habe nichts Östliches mehr gehabt, sagt Larkey, jedenfalls nicht in der Wahrnehmung der Fans. Aber vielleicht konnte so eine düstere, schaurig-romantische Band trotzdem nur im Osten der frühen Neunziger entstehen. Seither hat ostdeut-sche Popmusik mindestens zwei weitere Stufen erklommen: Nach Rammstein, die den Osten abstreiften, kamen Bands wie Silbermond, die ihn zumindest verschämt thematisierten. Und schließlich, Stufe drei, Gruppen wie Kraftklub, für die der Osten so normal ist, dass sie auch kein Problem damit haben, stolz über ihn zu singen. Vom Aussterben bedroht sind all die Musiker und Gruppen, die mal in der DDR erfolgreich waren, aber nie im Westen. Bands aus dem Osten kommen heute im ganzen Land an – oder gar nicht. Wenn Kraftklub über Karl-Marx-Stadt singen, hört also auch Hamburg zu. Vielleicht gerade weil der Osten immer noch anders ist – und die Musik von hier umso aufregender.

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7. Führungskräfte: Die Ossis haben es in der Hand Zu den frustrierendsten Phänomenen der Nachwendezeit für viele Ostdeutsche gehört das Gefühl, irgendwie fremdregiert zu sein. Was in den Jahren unmittelbar nach der Einheit noch Normalität war – weil damals ostdeutsche Experten in vielen Berufen fehlten –, sei heute ein veritabler Missstand, sagte der Soziologe Raj Kollmorgen kürzlich in der ZEIT. »Je höher es geht, desto dünner wird die Luft für Ost- deutsche. Finden Sie mal einen Bundesrichter oder General aus dem Osten. Wir reden da von einer grund-sätzlichen sozialen Ungleichheit – und von vergebenen Chancen.«

In Rechtsprechung, Wissenschaft, Verwaltung, Militär oder Polizei seien Ostdeutsche in entscheidenden Positionen bis heute kaum anzutreffen, in den Chefetagen großer Unternehmen erst recht nicht. Man spreche da, sagt Kollmorgen, »von Anteilen zwischen ein bis drei Prozent« – bei 17 Prozent Bevölkerungs-anteil. Für Thomas Krüger, Chef der Bundeszentrale für politische Bildung (und Ossi), ist die Dominanz Westdeutscher in ostdeutschen Führungsgremien nichts anderes als »kultureller Kolonialismus«.

Nun könnte man meinen, das Problem erledige sich von selbst. Zumindest in der jüngeren Vergangen-heit passierte aber das Gegenteil. Das belegen unter anderem Untersuchungen des Leipziger Soziologen Lars Vogel: Ostdeutsche sind in Führungspositionen eher noch stärker unterrepräsentiert als vor einigen Jahren. Offenbar rekrutieren diejenigen, die derzeit die Führungspositionen besetzen, am liebsten Leute als ihre Nachfolger, die ihnen kulturell ähnlich sind. Westdeutsche casten Westdeutsche. Und Ostdeutsche drängen sich womöglich auch nicht hinreichend auf.

Aber wird sich dieses Problem wirklich noch die nächsten 100 Jahre bemerkbar machen? Die meisten Wissenschaftler sagen dann doch Nein – oder wenigstens: hoffentlich bloß nicht! Die Ostdeutschen selbst haben es in der Hand: Sie müssen stärker auf sich aufmerksam machen, stärker ihre Mitwirkung einfordern. Zumindest auf jenen Ostdeutschen, die heute 25, 30, 35 Jahre alt sind, liegt viel Hoffnung. Allein: Dass es noch 30, 40 Jahre dauern dürfte, bis die Unterschiede nicht mehr dramatisch sind – daran zweifelt kaum ein Experte.

Die einzige Möglichkeit, schnellere, radikalere Veränderungen herbeizuführen, wäre eine Quote für Ost-deutsche in Führungspositionen, analog zur Frauenquote. Politisch ist das schwer durchzusetzen, juris-tisch gibt es viele Bedenken. Auf derselben ZEIT-Veranstaltung aber, auf der Reiner Haseloff seine These aufstellte, dass es Ost-West-Unterschiede auch in 100 Jahren noch geben werde, durfte das Publikum abstimmen, was es von so einer Ostquote halten würde. Und die Mehrheit war tatsächlich dafür.

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8. Wirtschaft: Das kann dauern. Das wird dauern Wer die Zukunft der Wirtschaft prognostizieren will, muss erst einmal die Gegenwart betrachten. Und die sieht so aus: Die ostdeutsche Wirtschaftskraft liegt – in Relation zur Einwohnerzahl – noch immer um mehr als 30 Prozent hinter der westdeutschen zurück. Über die Gründe dafür kann man mit Anselm Mattes sprechen. Er arbeitet für das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und sagt: »Für einen wirtschaft-lichen Aufschwung braucht es Großunternehmen – und davon hat Ostdeutschland zu wenige.« In West-deutschland gibt es ein Vielfaches mehr an Großunternehmen als im Osten, und alle systemrelevanten sitzen dort, wie BMW oder Siemens. Kein einziges Dax-30-Unternehmen hat seinen Stammsitz im Osten. Diese Firmen besitzen hier lediglich ihre verlängerten Werkbänke, also Werke und Produktionsstätten. Geld und Know-how sind in den Konzernzentralen gebündelt, in München, Frankfurt oder Leverkusen. Dabei sind Großunternehmen für eine Region wichtig, weil sie wie ein wirtschaftlicher Düsenantrieb funk-tionieren. Je mehr es davon gibt, desto mehr kleine Betriebe im Dienstleistungs- und Zulieferungssektor können davon leben.

Das sorgt für noch mehr Arbeitsplätze, Fachkräfte – und letztlich für mehr Geld und Perspektiven in einer Region. Von der Gewerbesteuer ganz zu schweigen: Eine Stadt wie Düsseldorf nimmt pro Kopf immer noch das Vierfache einer Stadt wie Potsdam ein. Wirtschaftswissenschaftler Mattes hat an einer Stu-die mitgearbeitet, die im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums die Unternehmensstruktur in Ost-deutschland untersuchte und zu dem Ergebnis kam: Ost-Unternehmen sind weniger international, weniger innovativ, weniger produktiv als jene im Westen. Das alles hemmt das Wachstum. Und deshalb wird die Ost-Wirtschaft auch in den nächsten 100 Jahren ein Problemfall sein.

Weil es für Firmen wie Siemens oder BMW keine Anreize gibt, aus dem Westen wegzugehen, gibt es nur eine einzige Chance für den Osten. Aus kleinen ostdeutschen Unternehmen müssen große werden. Das werde vermutlich passieren, sagt Mattes. Aber es könne dauern: »In absehbarer Zeit werden sich Ost- und Westdeutschland in dieser Hinsicht nicht angleichen.« Zumindest hat die Politik erkannt, dass sich die Rah-menbedingungen verbessern müssen, wenn überhaupt mal ein Start-up des Ostens die Chance haben soll, durch die Decke zu gehen. Dass also jeder wirtschaftliche Aufschwung eine funktionierende Infrastruktur braucht. Deshalb sollen in diesem Bereich die letzten Ost-West-Unterschiede bald Geschichte sein – etwa beim Breitbandausbau: Der wird gerade in allen ländlichen Regionen angegangen, in ganz Deutschland. Bis aber auch Straßen, Ortskerne und Stromleitungen in Ost und West auf einem Niveau sind, wird noch viel Zeit vergehen. Doch wird sich dafür ausnahmsweise mal nicht der Osten, sondern der Westen an-strengen müssen: Dank des Aufbaus Ost haben hier nicht die neuen Bundesländer den Nachholbedarf, sondern die alten.

Martin Machowecz, Valerie Schönian, Anne Hähnig, DIE ZEIT Nr. 25/2018, https://www.zeit.de/2018/25/ost-west-unterschiede-gehaelter-demografie-ernaehrung-wirtschaft

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Aufgaben

Einstieg

1. »Ossis« und »Wessis«: Thesen und Kommentare erörtern und einordnena) Nehmen Sie ein Blatt Papier, und falten Sie es in der Mitte. Notieren Sie auf der rechten Seite

spontan eine kurze These zu Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschen bzw. den alten und neuen Bundesländer. Sammeln Sie dann die Blätter ein, mischen Sie sie, und teilen sie wieder aus. Jeder erhält somit ein Statement von einem anderen Klassenkameraden oder einer anderen Klassenkameradin zugeteilt. Kommentieren Sie diese Aussage nun frei auf der linken Blatthälfte: Stimmen Sie zu oder nicht – und warum?

b) Lesen Sie die Zettel mit den Thesen und Kommentaren im Plenum vor, und besprechen Sie die geäußerten Meinungen.

c) Ordnen Sie die unterschiedlichen Themenbereiche, die in den Zetteln angesprochen wurden, in Kategorien ein: 1. Einkommensunterschiede, finanzielle Lage der Haushalte2. Demokratieverständnis, politische Ansichten3. Demografie, Ost-West-Migration, Kinderzahl, Bevölkerungszusammensetzung4. Ernährung, Esskultur, Gesundheit5. Allgemeine Lebenszufriedenheit, »Glückslevel«6. Musikgeschmack, Kultur und Kunst7. Führungskräfte, Repräsentation von Ost- bzw. Westdeutschen in Führungspositionen (Politik,

Wirtschaft, Medien etc.)8. Wirtschaftskraft, wirtschaftliche Entwicklung

d) Halten Sie in Stichpunkten das Ost-West-Bild in Ihrer Klasse schriftlich fest. Diskutieren Sie, in welchen Bereichen Deutschland bereits zusammengewachsen ist, in welchen Sie noch Unter-schiede sehen und auch, wo Sie Vorurteile vermuten.

Basis-Aufgabe

2. Ein Zitat zur Teilung Deutschlands diskutierena) Erörtern Sie im Plenum, ohne weitere Vorkenntnisse und bevor Sie den gesamten Text gelesen

haben, folgende Aussage des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff: Die alte DDR-Grenze sei bis heute »komplett abgebildet«, und das sei »auch in den nächsten 100 Jahren nicht glatt zu streichen«. Denken Sie, Haselhoff hat damit im Großen und Ganzen recht? Ist es überhaupt wünschenswert, die Unterschiede zwischen Ost und West vollkommen zu »glätten«? (Siehe hierzu Seite 3.)

b) Halten Sie zu diesen Fragen ein vorläufiges Meinungsbild fest: »Ist die Ost-West-Grenze noch fest in unseren Köpfen und Strukturen verankert?«

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Weiterführende Aufgaben

3. Expertenanalysen zu Ost-West-Unterschieden auswerten und zusammenfassena) Bilden Sie acht Arbeitsgruppen. Lesen Sie in Ihrer Gruppe eines der acht Kapitel zu einzelnen

Themengebieten: 1. Gehälter, 2. Demokratieverständnis, 3. Demografie, 4. Gute Ernährung, 5. Allgemeine Zufriedenheit, 6. Popmusik, 7. Führungskräfte, 8. Wirtschaft.

b) Notieren Sie weitere Fragenstellungen und Anmerkungen zu Ihrem Kapitel: • Was ist noch offen, welche Nebenaspekte sollte man noch einbeziehen?• Was könnten betroffene Menschen zur Klärung beitragen? • Was würden Sie selbst dazu gerne noch wissen?

c) Stellen Sie die Ergebnisse der Expertenanalyse und Ihre Überlegungen im Plenum vor. Entwerfen Sie hierfür einen Tafelanschrieb, der in Stichworten über die Kernthesen der Expertinnen und Experten informiert: Errungenschaften/Fortschritte, Rückschritte/Stagnation bei der Ost-West- Integration sowie Gründe für die Unterschiede zwischen West und Ost.

Projekt

4. Interviews zur Ost-West-Problematik durchführen30 Jahre Mauerfall: »Sind wir ein Volk – oder ist die Mauer noch da?« Befragen Sie Zeitzeugen über ihre Erfahrungen und Meinungen zur Ost-West-Integration. Es bietet sich an, dafür in den gleichen Gruppen zu arbeiten wie bei Aufgabe 3 und die Arbeitsergebnisse zu diesem Teilaspekt zu nutzen, um einen konkreten Fragekatalog und einen Themenschwerpunkt für ein Gespräch auszuarbeiten.

Tipps für die UmsetzungProjektplan: Bestimmen Sie zusammen mit Ihrer Lehrkraft den Arbeits- und Zeitrahmen, und legen Sie in Ihrer Gruppe die einzelnen Arbeitsschritte und –aufgaben fest. Organisieren Sie auch im Vorfeld Ort und Materialien für die Präsentation der Zeitzeugenbefragung: Raum reservieren, Beamer und anderes technisches Material besorgen, ggf. Einladung der Zeitzeugen etc.

Geeignete Interviewpartner finden: Dies ist der wichtigste Arbeitsschritt für Ihr Projekt. Möglicherweise finden sich im persönlichen Umfeld oder über soziale Medien geeignete Kandidatinnen und Kandidaten. Falls nicht, können Sie über Zeitzeugenportale suchen. In Betracht kommen ehemalige DDR-Bürgerinnen und -Bürger, also Zeitzeugen, die über ihre Lebensbedingungen vor und nach dem Mauerfall bis heute berichten können. Denkbar sind auch Personen, die von Ost nach West oder umgekehrt umgezogen sind und dort mit einer neuen Mentalität konfrontiert wurden. Auch jüngere Menschen können zu bestimm-ten Themen Aufschluss geben, wenn sie zum Beispiel über Ost-West-Traditionen in ihren Familien oder in der Politik reden können. Die Gesprächspartnerinnen und -partner sollten Wissen über die Zeit und das Thema haben, das Sie bearbeiten. Das können für Gruppe 6 beispielsweise Personen aus der Musik-branche sein oder auch Menschen, die von der Musik der DDR-Zeit geprägt wurden. Für die Gruppen 1 und 8 bieten sich Arbeitskräfte oder auch Unternehmer oder Unternehmerinnen an, die über Wirtschaft und Arbeitsleben in der DDR und nach der Wiedervereinigung berichten können.

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»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | 30 Jahre Mauerfall: Sind wir ein Volk? 11

Linktipps:• http://www.zeitzeugenbuero.de

Zeitzeugenportal der Bundesstiftung Aufarbeitung: Hilfestellung für die Kontaktaufnahme, Hinweise zur Durchführung von Zeitzeugenprojekten und -interviews im Unterricht und Links zu den Koordi-nierungsstellen der Bundesländer.

• www.ddr-zeitzeuge.de

Zeitzeugensuche und Vermittlung der Bundesstiftung Aufarbeitung.• www.zeitzeugen-portal.de

Beispielhafte Zeitzeugenaussagen auf der Plattform der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesre-publik Deutschland.

Das Interviewthema eingrenzen: Es ist möglicherweise nicht leicht, jemanden zu finden, der passgenau zu den im Text behandelten Aspekten Auskunft geben kann. Hier können Sie ganz offen und flexibel sein und den Schwerpunkt der Befragung auf Ihren Gesprächspartner oder Ihre Gesprächspartnerin abstim-men: zum Beispiel Kunst und Literatur anstelle von Popmusik thematisieren, Erfahrungen mit Arbeits-losigkeit anstelle der Höhe der Gehälter, Gesundheitsaspekte als übergeordnetes Thema zum Punkt Ernährung oder Aspekte des Familienlebens für das Thema Demografie etc.

Interview-Vorbereitung: Legen Sie einige Leitfragen für das Interview schriftlich fest, die Sie auf Ihren Gesprächspartner oder Ihre Gesprächspartnerin zuschneiden. Achten Sie aber später darauf, nicht stur an Ihren Fragen kleben zu bleiben, falls sich im Gesprächsverlauf neue Wendungen ergeben. Bleiben Sie also offen, und gehen Sie auf Ihr Gegenüber ein. In der Regel reicht ein Smartphone als digitales Auf-nahmegerät aus; Lautstärke, Soundoptimierung oder Lichteinstellungen etc. sollten rechtzeitig getestet werden.

Präsentation des Zeitzeugenprojekts: Zunächst sollte das mündlich geführte Interview verschriftlicht werden. Zur Präsentation sind dann vielfältige Varianten möglich: eine Vorführung als Video/Podcast in der Klasse, die Veröffentlichung auf der Website der Schule als Text oder in digitaler Form, gegebenen-falls mit Begleitdokumenten wie Fotos, ein Beitrag in der Schülerzeitung oder eine Schulausstellung. Die Aufbereitung richtet sich nach der Präsentationsform. Hiebei können noch Arbeiten für den Schnitt oder die Bildbearbeitung anfallen. Auch ein Making-of als Dokumentationsform könnte spannend werden, ebenso die Frage, ob Ihre Erwartungen/Vorurteile mit den Ergebnissen der Interviews übereinstimmen. 5. Evaluation und Abschlussdiskussion

a) Vergleichen Sie zum Abschluss der Unterrichtssequenz Ihre Einschätzungen und Meinungsbilder zur Ost-West-Integration aus vorherigen Aufgaben mit den Expertenanalysen und den Interview-aussagen: Gibt es Übereinstimmungen, typische Erfahrungen oder auch Widersprüche?

b) Ziehen Sie anhand Ihrer Arbeitsergebnisse ein Fazit zu 30 Jahren Mauerfall. Fragestellungen:• Werden die Unterschiede zwischen Ost und West noch in 100 Jahren weiterbestehen?• Wie würden Sie jetzt die Aussage von Reiner Haseloff beurteilen? • Sind wir ein Volk?

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»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | 30 Jahre Mauerfall: Sind wir ein Volk? 12

IMPRESSUMProjektleitung: Franziska Sachs, Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Projektassistenz: Jannike Möller, Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, didaktisches Konzept und Arbeitsaufträge: Susanne Patzelt, Wissen beflügelt

ZEIT ONLINE: Thema Mauerfallhttps://www.zeit.de/thema/mauerfall

ZEIT ONLINE: Wir sind das Volk? Ach was!https://www.zeit.de/2019/36/ddr-diktatur-ostdeutschland-identitaet-revolution

ZEIT ONLINE: Mauerrestehttps://www.zeit.de/2019/35/wiedervereinigung-ostdeutschland-westdeutschland-mauerfall-unter-schiede

Bundeszentrale für politische Bildung: Themenseite 30 Jahre Mauerfallhttps://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/mauerfall

Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktaturhttps://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de

Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2019https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Neue-Laender/jahresbericht-zum-stand-der-deut-schen-einheit-2019.html

Internetseiten zum Thema: 30 Jahre Mauerfall: Sind wir ein Volk?

DIE ZEIT-Buch: Guter Osten, böser OstenIn »Guter Osten, böser Osten« versammelt die bpb (Bundeszentrale für politische Bildung) die relevanten Texte aus der ZEIT im Osten und zeigt Ostdeutschland in seiner ganzen Ambivalenz. Die Texte erzählen von einem Osten mit Selbstbewusstsein und gereifter Identität, von einem Landesteil mit Vorreiterrolle: im »Guten« wie im »Bösen«.

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