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32 | Die frühen Jahre (54–58) | 54 nach Christus Der 13. Oktober 54 und die unmittelbare Folgezeit 13. Die Kaisererhebung und die erste Senatssitzung Unbemerkt von der Öffentlichkeit war Claudius gestorben. Während man seinen Zustand verheimlichte, gab man peinlich darauf acht, daß von den Ereignissen im Palaste nichts unkontrolliert nach außen drang. 1 Aus der Sicht des Hofes mußte alles rasch vonstatten ge- hen. Agrippina hatte vor allem mit Hilfe von Burrus aber auch Seneca alle Vorbereitungen getroffen. Nero wurde plötzlich gegen Mittag des 13. Oktober 54, von Burrus begleitet, den Wachen des Palastes als neuer Kaiser vorgestellt. Auf den Stufen desselben begrüßte man ihn als Princeps. Seine Erscheinung war geeignet, Sympathien zu wecken. Britannicus, rechtlich nicht weniger zur Nachfolge berufen, vermißten dagegen nur wenige. Nero be- stieg sodann eine Sänſte. Sein erster Weg führte ihn zur Kaserne der Praetorianer, um sich dort der Garde zu versichern. Man wollte Szenen wie nach dem Tode Caligulas im Jahre 41 zuvor kommen. Da war es in Rom zur Vorstufe eines Bürgerkriegs gekommen. Nero wurde ins Praetorianerlager getragen, sagte einige dem Augenblick angemessene Worte, die Seneca ihm aufgesetzt hatte und versprach nach dem Beispiel seines Adoptivvaters eine Schenkung von 15.000 Sesterzen pro Mann. Darauin wurde er erstmals zum Imperator ausgerufen. Hierauf suchte er mit seiner Begleitung das Senatsgebäude auf. Den Herrscher formell einzusetzen war nach dem Staatsrecht dem Senat allein vorbehalten. Mit der Er- nennung hatten die Praetorianer, wie beim Regierungsantritt Caliguals im Jahre 37, eine Vorgabe für den Senat ausgesprochen. Der eorie nach war sie nicht bindend, aber hin- ter ihr stand die Macht der Waffen. Ohne Verzug sollte der Senat dem folgen und hatte durch diesen Akt der Überrumpelung keine Gelegenheit, zu eigenen Überlegungen zu kommen oder gar Widerstand zu leisten. 2 Indes, die Furcht war unbegründet, denn der Senat besaß nunmehr eine andere Zusammensetzung als zu Zeiten Caligulas. In aller Eile war die hohe Körperschaſt zur Versammlung gerufen worden. In dem hohen Hause hat man sich denn auch nicht gesträubt, sich den vollendeten Tatsachen zu fügen. Über diese erste, mehrere Stunden dauernde Sitzung vom 13. Oktober ist kaum etwas bekannt. Nero wurde den Senatoren als der durch einmütige Ernennung der Praetorianer bestimmte Prin- 1 Tac.ann.12.68; Suet.Claud.45; Nero 8; Aur.Vict.Caes.4.15; epit.4.13 2 Eine freie politische Willensbildung des Senats nach eigenem Ermessen war ausgeschlossen worden. Ob Nero jedoch gegen den Willen des Senats erhoben worden ist (so Timpe, Kontinuität, S. 101 und Grenzheuser, Kaiser und Senat, S. 24), erscheint angesichts der renommierten Leiter Burrus und Seneca, der übermäßigen Ehrenbeschlüsse und nach den Zumutungen der claudischen Herrschaſt zumindest fraglich. Aus den Quellen läßt sich das nicht herauslesen. Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library Authenticated Download Date | 10/7/14 4:07 PM

Nero (Der römische Kaiser und seine Zeit) || 54 nach Christus

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Page 1: Nero (Der römische Kaiser und seine Zeit) || 54 nach Christus

32 | Die frühen Jahre (54–58)

| 54 nach Christus

Der 13. Oktober 54 und die unmittelbare Folgezeit

13. Die Kaisererhebung und die erste Senatssitzung

Unbemerkt von der Öffentlichkeit war Claudius gestorben. Während man seinen Zustand verheimlichte, gab man peinlich darauf acht, daß von den Ereignissen im Palaste nichts unkontrolliert nach außen drang.1 Aus der Sicht des Hofes mußte alles rasch vonstatten ge-hen. Agrippina hatte vor allem mit Hilfe von Burrus aber auch Seneca alle Vorbereitungen getroffen. Nero wurde plötzlich gegen Mittag des 13. Oktober 54, von Burrus begleitet, den Wachen des Palastes als neuer Kaiser vorgestellt. Auf den Stufen desselben begrüßte man ihn als Princeps. Seine Erscheinung war geeignet, Sympathien zu wecken. Britannicus, rechtlich nicht weniger zur Nachfolge berufen, vermißten dagegen nur wenige. Nero be-stieg sodann eine Sänfte. Sein erster Weg führte ihn zur Kaserne der Praetorianer, um sich dort der Garde zu versichern. Man wollte Szenen wie nach dem Tode Caligulas im Jahre 41 zuvor kommen. Da war es in Rom zur Vorstufe eines Bürgerkriegs gekommen. Nero wurde ins Praetorianerlager getragen, sagte einige dem Augenblick angemessene Worte, die Seneca ihm aufgesetzt hatte und versprach nach dem Beispiel seines Adoptivvaters eine Schenkung von 15.000 Sesterzen pro Mann. Daraufhin wurde er erstmals zum Imperator ausgerufen. Hierauf suchte er mit seiner Begleitung das Senatsgebäude auf. Den Herrscher formell einzusetzen war nach dem Staatsrecht dem Senat allein vorbehalten. Mit der Er-nennung hatten die Praetorianer, wie beim Regierungsantritt Caliguals im Jahre 37, eine Vorgabe für den Senat ausgesprochen. Der Theorie nach war sie nicht bindend, aber hin-ter ihr stand die Macht der Waffen. Ohne Verzug sollte der Senat dem folgen und hatte durch diesen Akt der Überrumpelung keine Gelegenheit, zu eigenen Überlegungen zu kommen oder gar Widerstand zu leisten.2 Indes, die Furcht war unbegründet, denn der Senat besaß nunmehr eine andere Zusammensetzung als zu Zeiten Caligulas. In aller Eile war die hohe Körperschaft zur Versammlung gerufen worden. In dem hohen Hause hat man sich denn auch nicht gesträubt, sich den vollendeten Tatsachen zu fügen. Über diese erste, mehrere Stunden dauernde Sitzung vom 13. Oktober ist kaum etwas bekannt. Nero wurde den Senatoren als der durch einmütige Ernennung der Praetorianer bestimmte Prin-

1 Tac.ann.12.68; Suet.Claud.45; Nero 8; Aur.Vict.Caes.4.15; epit.4.132 Eine freie politische Willensbildung des Senats nach eigenem Ermessen war ausgeschlossen worden.

Ob Nero jedoch gegen den Willen des Senats erhoben worden ist (so Timpe, Kontinuität, S. 101 und Grenzheuser, Kaiser und Senat, S. 24), erscheint angesichts der renommierten Leiter Burrus und Seneca, der übermäßigen Ehrenbeschlüsse und nach den Zumutungen der claudischen Herrschaft zumindest fraglich. Aus den Quellen läßt sich das nicht herauslesen.

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ceps vorgestellt. Sodann wird der Jüngling auch hier eine kurze Ansprache gehalten haben.3 Daraufhin wurden ihm zunächst alle Befugnisse und Titel seines Vorgängers übertragen. Den Titel Vater des Vaterlandes (Pater Patriae) lehnte Nero seiner Jugend wegen ab, nahm ihn dann aber, wie Münzen belegen, etwa 55/56 an; oberster Priester (pontifex maximus) wurde er im März(?) 55.4 Die tribunizische Gewalt (tribunicia potestas) erhielt Nero aus unerfindlichen Gründen erst am 4. Dezember 54.5 Auch die Provinzen schlossen sich der Ernennung Neros durch die Praetorianer und den Senat an. In Oxyrhynchos in Oberägyp-ten, 400 Kilometer von Alexandria entfernt gelegen, wird die öffentliche Bekanntmachung der Thronerhebung 35 Tage später entworfen (17. November 54).6

Des weiteren wird im Senat auch das Testament des Claudius zur Sprache gekommen sein. Man kam aber darin überein, es zu unterdrücken. Es wurde nicht verlesen, weil die Befürchtung bestand, daß die Bevorzugung Neros vor Britannicus im Volk Unruhen her-vorrufen könnten. Daß es einen politisch brisanten Inhalt hatte, ist durch seine Unterdrük-kung erwiesen.7 Dagegen beschloß man für Claudius ein censorisches Leichenbegräbnis und später noch die göttliche Verehrung. Agrippina selbst wurde vom Senat zur Vorsitzen-den der Priesterschaft des Claudiuskults ernannt.8 Erst gegen Abend ist Nero in den Palast zurückgekehrt.9

14. Die Vergöttlichung des Claudius und ihre Gründe

Die Vergöttlichung des Claudius ist überhaupt einer der sonderbarsten Vorgänge der frü-hen Kaiserzeit. Ausgegangen war sie von Agrippina. Sie war seine Nichte, seine Ehefrau und mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Mörderin, und es fragt sich, was Claudius für die Rolle einer Gottheit qualifiziert hat.

Für viele Familien der Oberschicht hatte seine Regierung Schaden oder Untergang her-beigeführt: es gab eine große Zahl von Hinrichtungen, Verbannungen und Enteignungen. Da waren ferner die Prozesse intra cubiculum („Kabinettsprozesse“) und die starke Domi-nanz des Kaisertums und des Hofes gegenüber der Aristokratie und ihren Einrichtungen; die Ehrung und Begünstigung reicher Freigelassener, die als Diskriminierung aufgefaßt wurde. Hinzu kamen Claudius‘ unvorteilhaftes Äußeres und seine eigentümliche Persön-lichkeit, die in Erscheinung und Auftreten der Verkörperung von Autorität zumeist abträg-lich war.

Die Vergöttlichung des Augustus mochte nicht unumstritten gewesen sein, aber sie konnte bei objektiver und besonnener Betrachtung als gerechtfertigt erscheinen. Bei Clau-dius war dies trotz einiger Leistungen seiner Regierungszeit nicht möglich. Man wird nicht

3 Umstritten: Timpe, Kontinuität, S. 103, 105 und Grenzheuser, Kaiser und Senat, S. 164, Anm. 94 Smallwood, Documents, Nr. 109; Kienast, Kaisertabelle, S. 965 CIL VI; 2039,14ff.; 2041,19ff. = ILS 229: Feiern am 4. Dezember 57 und 58; Kierdorf, Claud./Nero,

S. 168; dazu Griffin; Nero, S. 33 mit Anm. 916 P.Oxy.10217 Griffin, Nero, S. 96; dazu auch Timpe, Kontinuität, S. 1048 Ein Claudiuspriester erwähnt CIL XI 1123 = ILS 10549 Suet.Nero 8; Tac.ann.12.69; 13.2.3; Cass.Dio 61.3.1; Eutr.7.13.

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bestreiten können, daß seine Aufnahme unter die Götter eine Farce war. Derselbe Verfas-ser der Totengedenkrede, nämlich Seneca, hat andererseits die zotige und bitterböse Satire (Apocolocyntosis) auf den Verstorbenen geschrieben, den er als einen mißratenen und ent-arteten Bittsteller um Aufnahme unter die Götter darstellt.10 Die Vergöttlichung des Clau-dius wirkte rein vordergründig und durchsichtig, weil damit allein eine Erleichterung des Herrschaftsübergangs beabsichtigt war.11 Großen Anteil konnte der junge Nero an dieser Maßnahme Agrippinas nicht nehmen. Er galt zwar fortan als Sohn eines Gottes (divi filius) und diese schwer greifbare Aura sollte nicht nur seine jugendliche Unerfahrenheit decken, sondern auch seine im Grunde ungefestigte Legitimation. Zudem konnte Nero sich an-fangs den Ruf der pietas gegen den göttlichen Vater erwerben.12 Andererseits aber paßte es zu all dem, daß Nero sich später über Claudius lustig gemacht und die Nachteile dieser Gestalt mit seiner Spottlust der Lächerlichkeit preisgegeben hat, indem er etwa äußerte, Claudius sei durch ein Pilzgericht zu einem Gott geworden, weil die Pilze doch Speise der Götter seien.13 Treffend hat dies auch ein antiker Redner formuliert: Nero habe Claudius zum Gott erhoben um ihn zu verspotten.14 Berichtet werden auch Neros Äußerungen über Claudius‘ angebliche Dummheit und über seine Grausamkeit.15

Hierdurch offenbarte sich die Substanzlosigkeit seiner vorgeblichen „Sohnesliebe“, denn Nero war – als erstem aller Kaiser überhaupt – die römische pietas im Hinblick auf die kaiserliche Familie fremd.16 Und dem allen hatte Seneca durch seine geschmacklose Satire auf den Verstorbenen vorgearbeitet.17

In der Vergöttlichung des Claudius und seinen Umständen und Bedingtheiten zeigt sich ein sonderbares Gewirr von politischen Absichten, Befangenheiten und Machtansprü-chen, und dazu trat noch das teils frivole, teils zynische Spiel mit diesen. Senecas Totenrede, Claudius‘ Vergöttlichung, ihr Abglanz für Nero, die Satire auf den Vergöttlichten – all dies sind Symptome für die frivole Haltung dieser Zeit. Niemand hat gegen die zotigen An-würfe gegenüber dem toten Kaiser Widerspruch erhoben. Im Gegenteil: Auch von Senecas Bruder Gallio wird eine geschmacklose Äußerung gegen den Toten zitiert.18 Das zeigt nur, wie verbreitet der Spott auf den Verstorbenen in der Oberschicht war. Mit Recht ist auf die „Unnatur und Unwahrheit der Verhältnisse“19 oder mit anderen Worten auf das zwie-

10 Cass.Dio 60.35.3; Tac.ann.13.3.1; Koestermann, Annalen, Bd. 3, S. 236 mit Hinweis auf Timpe. Grant, Nero, S. 68f. datiert unter Hinweis auf Senecas Stellung und Agrippinas Claudiuspriester-schaft die Entstehung der Schrift erst nach Agrippinas Tod, also 59.

11 Mottershead, Claudius, S. 143; nach Huss, Propaganda, S. 131f. sollte dadurch Kontinuität des Prin-cipats beworben werden.

12 Kierdorf, Claud./Nero, S. 15213 Cass.Dio 60.35.4 14 Plin.paneg.11.115 Dies und weiteres Suet.Nero 33.116 Abweichend dazu Huss, Propaganda, S. 136, der die offiziellen Verlautbarungen nicht zu Neros tat-

sächlichem Verhalten ins Verhältnis setzt. Suet.Nero 9 gibt Neros pietas als Hohn wieder. Das gilt aber nicht in bezug auf seinen leiblichen Vater Domitius, den er geehrt hat (s.u.).

17 Zum Beispiel Sen.Apocol.8.318 Cass.Dio 60.35.3f.19 Schiller, Nero, S. 91f.

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spältige Verhältnis zur claudischen Regierung20 hingewiesen worden, die schon den Anfang dieser neuen Regierungszeit kennzeichnen. Mit einer gewissen Berechtigung darf man von Symptomen des Verfalls des iulisch-claudischen Kaisertums sprechen.

Die göttliche Verehrung seines Adoptivvaters hat Nero noch selbst zurückgenommen. Der Bau des Heiligtums für den Kult des divus Claudius wurde im Auftrag Agrippinas auf dem Caelius-Hügel begonnen, von Nero später verzögert oder eingestellt und das Gebäude teilweise wieder zerstört und zweckentfremdet (als Wasserwerk oder Nymphäum). Erst Vespasian hat die Kultstätte vollenden lassen.21

Während Claudius‘ Verehrung am Kaiserhof vernachlässigt und später beendet wurde, bekannte sich jedoch die Priesterschaft der Arvalbrüder fortgesetzt zu ihm als Gott.22

15. Die Stimmung in Rom beim Tode des Claudius

Über die Aufnahme der Todesmeldung und die Stimmung in der Hauptstadt gibt es keine Nachrichten. Nachdem man vom Tode des Claudius erfahren hatte, war die Person des alten Kaisers mit seinem mindestens im Alter sonderbaren Auftreten in der breiten Öffent-lichkeit bald vergessen. Zu Lebzeiten war er wegen der Eroberung Britanniens (43) und der Vielzahl seiner Spiele und Versorgungsmaßnahmen lange populär gewesen. Das Stadtvolk hat seine zuweilen naive Volkstümlichkeit und ungelenke Ungekünsteltheit im öffentlichen Auftreten bei den Spielen und auch sonst gemocht, nun aber seinen Tod wohl gleichgültig hingenommen. In der Oberschicht waren die mächtigen Freigelassenen des claudischen Hofes unbeliebt. In Erinnerung an die vielen Opfer unter den Senatoren und römischen Rittern wird man das Ende der vergangenen Regierung mit Erleichterung aufgenommen haben. Claudius hat zunächst kaum bleibende Erinnerung zurückgelassen. Eine neue Herr-schaft, ein junger Herrscher mochte Anlaß zu neuen Hoffnungen geben. Das breite Volk liebte in Nero den Abkömmling des Germanicus, aber seine eigentliche Wesensart war noch nicht in Erscheinung getreten. Agrippinas Reichtum, Macht und Herrschsucht wa-ren bekannt und bisweilen auch gefürchtet. Man erwartete indes, daß sie sich der Berater am Hofe bedienen werde und hegte die Hoffnung, daß insbesondere Burrus und Seneca durch ihr Einwirken die schroffen Übersteigerungen dieser von unruhigem und maßlosem Ehrgeiz angetriebenen Frau würden abmäßigen können.

16. Claudius’ censorisches Begräbnis

Bald nach der ersten Senatssitzung folgte der Tag der Beisetzung (24. Oktober 54?) – ein Staatsbegräbnis mit höchster Pracht,23 denn Claudius war (47/48) Censor gewesen. Seine Leiche lag auf einer Bahre in Purpur gehüllt. Flötenspieler und Hornbläser führten den Zug an, dann folgten die Lictoren und weitere Personen. Auch die Senatoren schlossen sich dem letzten Weg des Verstorbenen auf der Heiligen Straße zum Römischen Forum an.

20 CAH 1st Ed., S. 703 (Momigliano)21 Suet.Claud.45; Vesp.9.1; Tac.ann.13.2 u.a22 Kierdorf, Claud./Nero, S. 152; Griffin, Nero, S. 9823 Dazu Blümner, Die römischen Privataltertümer, 3. Aufl. München 1911 (HdA 4,2,2), S. 491ff.

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Dort hielt Nero von der Rednertribüne die Leichenrede. Solange er vom hohen Alter des Geschlechts sprach und die Consulate und Triumphe der Vorfahren aufzählte, waren er und alle Übrigen aufmerksam bei der Sache. Auch die Würdigung der Gelehrtentätigkeit des Claudius24 und die Feststellung, daß das Reich keinerlei Verlust durch äußere Feinde er-litten hatte, wurde mit Beistimmung angehört. Als er dann aber auf die Umsicht und Weis-heit des Verstorbenen zu sprechen kam, konnte niemand ernst bleiben, obwohl die Rede von Seneca kunstvoll gestaltet war. Er besaß ein gefälliges und dem Geschmack seiner Zeit zusagendes Talent. Vielleicht erinnerte sich manch ein Zuhörer der bösen Totensatire, die Seneca über Claudius verfaßt hatte.25 Ob Claudius‘ Überreste nach der Veranstaltung auf dem Forum im Mausoleum Augusti beigesetzt wurden, ist nicht bekannt.26 Man bemerkte, daß Nero der erste Princeps sei, der fremde Beredsamkeit in Anspruch nehmen mußte,27 doch später hat Nero seine Reden auch selbst verfaßt.28

17. Die erste Senatssitzung nach der Thronerhebung – Neros Regierungsgrundlagen

Nachdem sozusagen die Trauerkomödie beendet war, suchte Nero am nächsten Tage die Cu-rie auf. Dort hielt er eine von Seneca aufgesetzte Grundsatzrede und sprach zunächst vom Beschluß der Senatoren und der Zustimmung der Soldaten zu seinem Herrschaftsantritt. Dann führte er aus, daß er über ausgezeichnete Ratgeber und Vorbilder einer trefflichen Staatsleitung verfüge. Auch seine Jugend sei nicht von Bürgerkriegen und inneren Zwistig-keiten befleckt. Keinen Haß, keine erlittenen Kränkungen und keine Rachegelüste trage er mit sich. Er war nicht vorbelastet,29 wenn auch ohne eigenes Verdienst. Indem er erklärte, er wolle sich die Grundsätze des Augustus zu eigen machen,30 entwarf er darauf ein Bild seiner künftigen Regierung und lehnte dabei vor allem die Maßnahmen ab, die in der claudischen Zeit soviel Erbitterung hervorgerufen hatten. Nero erklärte, er werde sich nicht zum Richter in allen möglichen Händeln machen, und daß, wenn sich Ankläger und Angeklagte in den Gemächern des Palastes befänden, wie ehedem geschehen, nur die Macht einiger weniger den Ausschlag gebe. In seinem Haus werde nichts käuflich oder einer Günstlingswirtschaft zu-gänglich sein. Getrennt seien bei ihm die Belange des Hofes von denen des Staatswesens. Der Senat solle seine angestammten Rechte behalten. Italien und die Senatsprovinzen hätten sich an den Gerichtshof der Consuln zu wenden, die die Fälle dann zur Verhandlung in den Senat einführen würden. Er selbst werde für die ihm anvertrauten Provinzen und Heere sorgen. In allem gab er das Bild einer republikanisch-konstitutionellen Staatordnung der augusteischen Zeit.31 Die Rede, eine geschickt verklausulierte recusatio imperii (formale Zurückweisung der

24 Dazu Suet.Claud.41f.25 Koestermann, Annalen, Bd. 3, S. 238 unter Hinweis auf Paratore26 Eine Grabinschrift hat sich dort nicht gefunden.27 Tac.ann.13.3; Sen.Apocol.12; Tac.ann.12.69.4; 13.2.3; 3; Suet.Claud.45; Nero 9; Cass.Dio 60.35.228 Totenrede auf Poppaea Sabina im Jahre 65, in Korinth 67 und im Jahre 68; s. auch Suet.Nero 10.229 Dessau, Röm. Kaiserzeit, Bd. 2,1, S. 17430 Suet.Nero 10.1. Dies hatten zuvor auch Tiberius, Caligula und Claudius getan.31 Im einzelnen Radicke, Neros Rede vor dem Senat (Tac.ann.13.4), S. 199–206

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Herrschaft) und damit ein Zeugnis von Neros Willen zur Mäßigung (modestia), verschaffte dem jungen Mann die Sympathien der hohen Körperschaft. Nach dem schwierigen und nicht unfähigen, aber unberechenbaren Claudius vermochte der junge Mann durch sein Auftreten für sich einzunehmen. Man nahm dies alles mit Hoffnung auf ein gutes Regiment auf und beschloß, daß der Wortlaut der Rede auf einer silbernen Säule eingraviert und jeweils beim Amtsantritt der neuen Consuln am Jahresbeginn verlesen werden sollte – ein Zeichen, daß man dem Neuanfang dennoch nicht ganz traute.32

Wie geschwind man die claudische Zeit Vergangenheit sein ließ und vergessen hat, zeigt gerade auch das Lobgehudel der zeitgenössischen Literaten auf den jugendlichen Nachfol-ger. Nero war der erste Kaiser nach Augustus, dessen Regierung man mit den Vorschuß-lorbeeren auf künftigen Glanz hin bedachte. Verschiedene Dichter priesen mit dem Re-gierungsantritt Neros die Ankunft eines goldenen Zeitalters, rückten den Jüngling schon in göttliche Nähe (Apollo, Sol)33 und das hatte man nicht einmal bei Caligula getan. In der ersten Zeit hat der junge Kaiser, der für Schmeichelei empfänglich war, den Versuch gemacht, ermuntert durch Seneca und die redenden und dichtenden Zeitgenossen, einige vorteilhafte fürstliche Eigenschaften sehen zu lassen. Neros Freigebigkeit und Bürgerlich-keit wurde auf Münzlegenden öffentlich gemacht, und er zeigte sich leutselig.34 Seneca hat ihm im Jahre 56 eine Schrift über die Milde (De clementia) gewidmet, in der er ihn auf-munterte, diese fürstliche Tugend zu üben. Nero soll wiederholt an die Ausfertigung von Todesurteilen für zwei Räuber erinnert worden sein. Anläßlich seiner Unterschrift soll er damals sein Bedauern geäußert haben, daß er schreiben könne.35 Und als ihm einmal der Senat Dank abstatten wollte, antwortete er artig: „Wenn ich es verdient haben werde.“36

In verschiedenen Handlungen und auch in öffentlichen Bekenntnissen, die ihm Seneca verfaßte, gefiel sich Nero anfangs in der Rolle eines milden Herrschers und vielleicht lag dem gelegentlich ein ehrliches, wenn auch oberflächliches Gefühl zugrunde.37

Wie sehr die Zeit schon monarchisch geprägt war, zeigen gerade diese propagandisti-schen Lobeshymnen, die allein im Kaiser den Quell von Glanz und Heil sahen.38 An das vertrauensvolle Zusammenwirken der staatlichen Einrichtungen für das Wohl der Zukunft stellte man keine Erwartungen. Aber dies war alles, wie die spätere Zeit gezeigt hat, ober-flächlich, weil Nero eine vielschichtige und zerfahrene Wesensart mit unterschiedlichsten und zum Teil gegensätzlichen Eigenschaften besaß. Das war die Folge des Einflusses einer herrschsüchtigen Mutter, schlechter gleichaltriger Begleiter und der mehr oder weniger ge-bieterischen Zudringlichkeiten älterer Berater, die jeweils verschiedene Ansprüche an sein

32 Tac.ann.13.4; Cass.Dio 61.3.1; Grenzheuser, Kaiser und Senat, S. 2733 Cass.Dio 61.4.1; Sen.Apocol.4.1 v.20ff.; Calp.Ecl.1.33ff.; 4.5ff.; 82ff.; 158f.; 7.84; Anth.lat.726;

etwas später Lucan.Phars.1.33ff.; zur Änderung alexandrinischer Phylennamen beim Regierungsan-tritt Bergmann, Strahlen d. Herrscher, S. 147

34 Suet.Nero 10.1; Bürgerlichkeit im Münzbild (Kaiserbildnis im Eichenkranz): Grenzheuser, Kaiser und Senat, S. 28; senatsfreundliche Politik im Münzbild: Bergmann, Strahlen d. Herrscher, S. 150

35 Suet.Nero 10.2; ähnlich Sen.clem.2.1.1ff.36 Suet.Nero 10.237 Tac.ann.13.11. Dies alles fällt unter den Begriff der comitas (Gefälligkeit, Zuträglichkeit) und gehört

ganz sicher dem Anfang seiner Regierungszeit an.38 S. die Zusammenstellung bei Clauss, Kaiser und Gott, S. 98f.; ferner Huss, Propaganda, S. 139f.

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Verhalten stellten und ihn verwirrten, bis er, je länger desto mehr, dahin kam, nur noch seiner eigentlichen Natur zu folgen.

Die Herrschaft Agrippinas Oktober – Dezember 54

18. Tod des Marcus Iunius Silanus und des Narcissus

Die neue Regierung beginnt mit Mordtaten und zwar an Marcus Iunius Silanus (geb. 14, Consul 46) und Narcissus, dem mächtigen Freigelassenen des Claudius. Ohne Wissen Ne-ros, sondern durch Agrippinas Hinterlist tritt der jähe Tod an Silanus, den Proconsul der Provinz Asia, heran, aber nicht, weil er durch Provokationen seinen Sturz herausgefordert hätte. Er war ein untätiger, träger Mensch und galt bei den früheren Herrschern so wenig, daß ihn Caligula als „goldenes Schaf “ bezeichnete.39 Agrippina aber hatte den Tod seines Bruders Lucius Iunius Silanus im Jahre 49 herbeigeführt und fürchtete nun den Rächer. Zu-dem hörte man in der Öffentlichkeit des öfteren die Ansicht, dem kaum dem Knabenalter entwachsenen Nero, dem die Herrschaft durch ein Verbrechen zugefallen sei, sei doch ein äl-terer, hochadliger und unbescholtener Mann40 vorzuziehen, der auch noch, was ihm beson-deres Ansehen verschaffte, mit dem Kaiserhause in unmittelbarer Linie verwandt war und vom vergöttlichten Augustus abstammte.41 Er war wie Nero Ur-Urenkel des ersten Kaisers.42

Die Verbrecher waren der römische Ritter Publius Celer und der Freigelassene Helius. Celer war im Jahre 51 im Gefolge des kaiserlichen Legaten Helvidius Priscus nach Asien gekommen.43 Helius war privater Procurator des Claudius in Asien, machte unter Nero eine glänzende Laufbahn am Hofe und hatte später (seit 66) großen Einfluß. Beide waren Procuratoren des kaiserlichen Privatvermögens in Asia. Sie brachten dem Silanus während eines Mahls Gift in die Speisen, und zwar so offen, daß sie nicht unentdeckt bleiben konn-ten. Dennoch blieben sie unbehelligt.44

Ferner wird ebenso rasch Narcissus als ein gefährlicher Widersacher Agrippinas aus dem Wege geräumt. Zuvor hatte er alle Briefe, die für verschiedene Leute zu einer Gefahr

39 Irrtümlich bezog Cassius Dio 59.8.4f. den Ausspruch auf den gleichnamigen Schwiegervater des Ca-ligula, den Consul des Jahres 15.

40 Cass.Dio 61.6.5 41 Mit seiner zweiten Ehefrau, Scribonia, hatte Augustus sein einziges Kind, die Tochter Iulia. Iulia

hatte mit Marcus Vipsanius Agrippa fünf Kinder. Die eine Tochter mit Namen Iulia heiratete Lucius Aemilius Paullus, mit dem sie zwei Kinder hatte. Die Tochter Aemilia Lepida ehelichte Marcus Iunius Silanus Torquatus aus der vornehmen Familie der Iunii Silani, den Consul 19. Der Sohn des Ermor-deten, Lucius, erzogen im Haushalt des Gaius Cassius und seiner Tante Iunia Lepida, starb 65 (Tac.ann.16.7ff.). Schwester der Iunia Lepida, war Iunia Calvina (Tac.ann.12.4).

42 Plin.nat.hist.7.58; Tac.ann.13.1.143 Tac.ann.12.49.2; AE 1924, 79. Es muß sich hierbei um einen unbekannten Helvidius handeln, der

mit dem späterhin berühmten Politiker und Stoiker Helvidius Priscus nicht identisch ist. Dieser letzt-genannte war unter Nero anfangs Quaestor von Achaia (Iuv.schol.5.36).

44 Tac.ann.13.1.2. Nach Cass.Dio 61.6.4 soll Agrippina dasselbe Gift gesandt haben, das Claudius getö-tet hat – wahrscheinlich eine Falschmeldung.

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hätten werden können, verbrannt.45 Durch strenge Haft und furchtbare Hungerqualen treibt man ihn in den Tod. Das geschieht indes gegen den Willen Neros, den schon damals der großzügige Lebensstil des Narcissus beeindruckte.46

19. Nero, Burrus, Seneca und Pallas

Man hätte mit dem Morden fortgefahren, wenn nicht Afranius Burrus und Annaeus Seneca diesem blutigen Treiben Einhalt geboten hätten. Beide waren die Leiter des jungen Kaisers und außerdem, was bei einer gemeinsamen Machtstellung selten ist, untereinan-der einträchtig. Durch entgegengesetzte Mittel vermochten sie gleich viel: Burrus durch wirkungsvolles Auftreten, seine militärische Tüchtigkeit und Sittenstrenge, Seneca durch seinen Unterricht in der Beredsamkeit und durch seine ehrenhafte Umgänglichkeit.47 Eine andere Überlieferung – etwa bei Cassius Dio – hat Seneca sehr nachteilig und räuberisch dargestellt, doch ist dies einseitig. Seinen Handlungen wird man nur gerecht, wenn man sich jeweils die Umstände vor Augen führt, Alternativen abwägt und sich klar macht, wel-chen Gang die Geschichte genommen hat, nachdem er der Regierung nicht mehr vor stand. Seneca und Burrus also unterstützten sich gegenseitig und ihr Handeln erhielt von ver-schiedener Seite Zustimmung.48 Was aber ihr Einwirken auf den jungen Nero anging, so sind ihre Absichten im einzelnen ungewiß. Abgesehen von seiner Jugend zeigte Nero seiner ganzen Wesensart nach wenig Neigung, sich dauerhaft persönlich und mit dem notwen-digen Ernst den Pflichten eines Herrschers zu unterziehen. Nur im Jahre 58 hat er einmal versucht, sich eines großen Regelungsbedarfs ernsthaft anzunehmen (s.u.). Ansonsten aber bot ihm seine Stellung die Möglichkeit, seine Lüste und Begierden in großem Stile auszu-leben. Eine glaubwürdige Mitteilung geht dahin, daß Burrus und Seneca den Princeps auf der schlüpfrigen Bahn seiner Jugend durch einige Zugeständnisse bei sinnlichen Genüssen zu zügeln suchten, wenn er schon von Sittlichkeit und ethischem Handeln wenig wissen wollte. Andere, nicht weniger wahrscheinliche Berichte besagen, daß Seneca und Burrus es zuließen, daß Nero seine Begierden auslebte in der Hoffnung, umso ungestörter eine ver-ständige Staatsleitung durchzuführen und währenddessen abzuwarten, bis ihn Überdruß an seinen Begierden erfaßt habe. Letzteres aber war reiner Trug, weil sich bei Nero, in seiner jugendlichen Eigenwilligkeit und zunehmend gewohnt, seine Freiheit nahezu ungehemmt auszuleben, seine schlechten Wesenseigenschaften zum Verderben des Ganzen nur steiger-ten.49 Vorerst aber hatten Burrus und Seneca sich vor allem mit Agrippina und ihrer neuen Stellung am Hofe auseinanderzusetzen.

45 Cass.Dio 60.34.546 Tac.ann.13.1.3. Fälschlich nennt Cass.Dio 64.2.41 ihn unter den durch Galba Bestraften.47 Cass.Dio 61.4.148 Nur bei Sueton erscheinen Seneca und Burrus lediglich als Opfer Neros. Von ihrer wichtigen Ver-

mittlerrolle am Hof und zum Senat berichtet Sueton nichts.49 Tac.ann.13.2; ähnlich Cass.Dio 61.4.2

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40 | Die frühen Jahre (54–58)

20. Die kurze Herrschaft Agrippinas und ihr Sturz

Nachdem Nero noch am Abend des Regierungsantritts in den Palast zurückgekehrt war, fragte der Tribun der wachhabenden Cohorte nach der Losung und Nero antwortete: „Die beste Mutter“ (optima mater). Damit war auch das Herrschaftsverhältnis der ersten Regie-rungswochen bezeichnet. Nero hatte Agrippina die Oberaufsicht über alle privaten und öffentlichen Angelegenheiten übertragen. Nachdem sie die Vergöttlichung des Claudius durchgesetzt, dessen erste Priesterin geworden war und ihr durch Senatsbeschluß wie einem Staatsbeamten sogar zwei Lictoren zuerkannt worden waren, war sie am Ziel ihrer Wün-sche. Ihr Selbstgefühl hatte infolgedessen eine solche Höhe erreicht, daß sie für kurze Zeit in der Lage war, die Regierungsgeschäfte in Neros Namen alleine zu führen. Sie erschien häufig mit ihrem Sohne in der Öffentlichkeit, und ließ sich beispielsweise mit ihm gemein-sam in einer Sänfte durch die Menschenmenge der Hauptstadt tragen. Inzestuöse intime Beziehungen zu ihrem Sohn sind unbewiesen, werden aber auch heute nicht durchweg für Verleumdung gehalten.50 Sie empfing Gesandtschaften und faßte Schreiben an Provinz-statthalter und Clientelkönige ab. Agrippina war die erste Frau, die wirklich – wenn auch kurze Zeit – über das römische Reich herrschte.51 Im Osten wurde sie auf den Münzen als Göttin gefeiert. Die Münzprägung aus dem Dezember 54 zeigte im Westen auf den Gold- und Silbermünzen ihr Bild und das Neros auf der Vorderseite in Gegenüberstellung. Durch die Inschrift auf der Vorderseite aber wurde klar gestellt, daß es Münzen Agrippinas und nicht Neros waren.52 Ein Relief aus dem Sebasteion in Aphrodisias zeigt Agrippina, wie sie ihren Sohn Nero bekrönt und in die Herrschaft einsetzt.53

Während dem äußeren Anschein nach Agrippina die Herrscherin des Reiches war, be-reitete sich, genährt durch Unmut oder anderes, ihr Sturz vor, doch sind darüber keine genauen Nachrichten auf uns gekommen. Über die Hintergründe sind nur Vermutungen möglich.54 Seneca und Burrus empfanden Agrippinas Herrschaft als illegitim, weil sie ei-gentlich Nero gebührte und Agrippina keineswegs als rechtmäßige Regentin angesehen werden konnte. Zudem sahen beide sich zurückgesetzt. Für die Herrschaft dieser Frau woll-ten sie nicht auf unabsehbare Zeit als Staffage dienen. Ihr herrschsüchtiger Charakter hatte einen unerträglichen Regierungsstil im Gefolge, dem Burrus und Seneca nicht dauerhaft tatenlos beiwohnen wollten. Beide befanden sich beständig im Widerstand gegen Agrip-pinas Übermut. Allzu deutlich kam ihr eitles Rollenspiel als Herrscherin zum Ausdruck, was mehr die Folge eines Gelüsts55 und deswegen aufgesetzt und ohne wirkliche Verkörpe-

50 Grant, Nero, S. 2951 Suet.Nero 9; Cass.Dio 61.3.2; ferner auch Tac.ann.14.11. Nero und Agrippina hatten beispielsweise

gemeinsamen Besitz in Griechenland, verwaltet durch einen Procurator (z.B. Korinth VIII,2, Nr. 68 = AE 1927, Nr. 2); zur Tendenz der Quellen für diese Zeit Griffin, Nero, S. 38–40

52 Grant, Nero, S. 28; Griffin, Nero, S. 57–59; M. Meier, Qualis artifex pereo – Neros letzt Reise, HZ 286 (2008), S. 582 mit Anm. 74, der dort von Gleichberechtigung spricht; ferner Taeger, Charisma, Bd. 2, S. 308 drücken die Münzbildnisse das „Bekenntnis zum orthodoxen Prinzipatsgedanken“ aus.

53 S. Elbern, Nero, Kaiser – Künstler – Antichrist, Mainz 2010, S. 3954 Auch Tacitus ist hier nicht so genau, vielleicht, weil er darüber nur wenig in Erfahrung bringen

konnte. Der Sturz Agrippinas ist kaum ohne merkliche Aufregung erfolgt.55 Ähnlich Grant, Nero, S. 34f.

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rung von Autorität war – und diese Gewohnheit hatte sie mehrmals bereits zu Lebzeiten des Claudius geübt und leitete daraus nun Berechtigung ab.56 Zudem stand ihr die stolze und intrigante Gestalt des Pallas zur Seite. Auch Nero wollte sich diesem Freigelassenen nicht unterordnen, der durch sein eitles und anmaßendes Auftreten bei dem neuen Kaiser bereits Abneigung und Mißfallen erregt hatte.57 Hier deutete sich auch bereits der schwä-cher werdende Einfluß Agrippinas an. Auch bedachten Burrus und Seneca den nachteili-gen Eindruck, den es erwecken mußte, wenn eine Frau fortgesetzt in ungewohnter Weise Befehlshabern der Truppen und Provinzstatthaltern Anweisungen zukommen ließ sowie Königen und ausländischen Gesandtschaften Audienzen gewährte. Inwieweit Nero in die Vorbereitungen einbezogen war, die im Dezember 54 (?) zur Kaltstellung Agrippinas führ-ten, ist nicht bekannt.58

Anfangs fehlte es in den Staatsangelegenheiten nicht an vertrauensvoller Zusammenar-beit und vieles wurde nach den Entscheidungen des Senats geordnet. Einige Vorschriften aus der claudischen Zeit wurden aufgehoben, von denen indes nur wenige bekannt gewor-den sind.59 So durfte sich fortan niemand durch Bezahlung oder Geschenke zur Führung von Prozessen kaufen lassen, sondern die Mandanten sollten ihren Anwälten festgesetzte Honorare zahlen.60 Die ernannten Quaestoren sollten nicht verpflichtet sein, Gladiatoren-spiele zu veranstalten, obwohl dies vielleicht aus Gewohnheit weiterhin geschah.61 Dagegen war Agrippina aufgetreten, die darin eine Aufhebung der claudischen Beschlüsse sah, aber der Senat setzte sich in einer weiteren Verhandlung durch. Bei dieser Sitzung im Dezem-ber (?) war der Senat ausnahmsweise im Kaiserpalast zusammen getreten. Dies hatte den Zweck, daß Agrippina ihr im Verborgenen beiwohnen konnte. Man hatte hinter den Sitzen der Senatoren eine Wand eingerissen und stattdessen zur Abteilung den dahinter liegenden Raum, in dem Agrippina lauernd saß, mit Tüchern verkleidet. So konnte sie den Verhand-lungen zuhören. Als aber die Gesandten der Armenier vor den anwesenden Nero hintreten wollten, um ihre Anliegen vor den Kaiser zu bringen, da trat Agrippina in den Saal, und dies hatte doch immerhin nicht einmal Livia zur Zeit des Augustus gewagt.62 Schon war Agrippina im Begriff, zum Thron hinauf zu steigen, wo sie mit ihrem Sohn gemeinsam den Vorsitz übernehmen wollte. Während alles vor Schreck erstarrte, bat Seneca63 den Nero,

56 Tac.ann.12.37; 56; Cass.Dio 60.33.757 Tac.ann.13.258 Hinweise auf die Entwicklung Cass.Dio 61.3.359 Anders, aber ohne Belege Suet.Nero 33.1, der von vielen Vorschriften Claudius‘ spricht, die nun auf-

gehoben wurden.60 Tac.ann.13.5.1; Suet.Nero 17. Ob diese Regelung auf die claudische Vorschrift aus dem Jahre 47 (Tac.

ann.11.7.4) Bezug nimmt, auf Vorauszahlung oder nachträgliche Zahlung des Anwaltshonorars, ist nicht zu entscheiden. Dennoch sind die Mißstände weiterhin vorgekommen wie Plin.ep.5.9.3–5; 13.6 zeigt. Siehe ferner Quint.inst.12.7.8–12; Dig.50.13.1.10; 12 (Auf die angemessene Honorar-höhe soll auch der Richter hinwirken.).

61 Aus einer sehr späten Mitteilung aus dem 6. Jahrhundert geht hervor, daß der Dichter Lucan als Quaestor Spiele gab. Vielleicht war die gesetzliche Verpflichtung der claudischen Zeit zur Gewohn-heit geworden (Griffin, Nero, S. 60f.).

62 Koestermann, Annalen, Bd. 3, S. 24363 Bei Cassius Dio Burrus und Seneca

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seiner Mutter wie zur Begrüßung entgegenzutreten, um sie hierdurch von ihrer Absicht abzubringen. So wurde unter dem Schein kindlicher Ehrerbietung ein öffentlicher Skandal verhindert.64 Dies war Agrippinas letztes offizielles Auftreten. Die geschichtlichen Berichte schweigen über die weiteren Umstände, unter denen in heftigen Auseinandersetzungen im Palast damals die Entmachtung der Herrscherin erfolgt ist.65

Fortan wurde die Regierung von Seneca und Burrus in einem unter Männern glei-cher Machtstellung seltenen Einvernehmen im Namen Neros geführt. Agrippinas Einfluß schwand nach und nach dahin. Es wurde zunächst auf ein verträgliches Verhältnis zum Senat acht gegeben. Die öffentlich sichtbare Machtstellung und der Einfluß der freigelas-senen Leiter der Verwaltungsabteilungen des Hofes der claudischen Zeit wurde deutlich zurückgedrängt. Wieviel im einzelnen geändert worden ist, das entzieht sich der Kenntnis. Auf vielen Gebieten der Politik wurden zunächst die überkommene Routine und die Ziele der augusteischen Regierungsform beibehalten, die auch durch die claudische Zeit keine bedeutende Änderung erfahren hatten.66

21. Armenien und die Parther (54/55)

Am Ende des Jahres trafen aufregende Gerüchte ein, die Parther seien neuerlich vorge-drungen und hätten nach Vertreibung des Hiberers Radamistus Armenien wieder an sich gerissen, um es dem Tiridates, Bruder des Partherkönigs Vologaeses (51–80), zu über-geben. Radamistus hatte sich schon wiederholt der Königsherrschaft bemächtigt, war dann wieder flüchtig geworden und hatte auch jetzt den Krieg wieder aufgegeben. Bald darauf kamen auch die genannten armenischen Gesandten, die der parthischen Herr-schaft feindlich gegenüberstanden und baten in Rom um militärische Hilfe. Nun warf man in der römischen Öffentlichkeit die Frage auf, wie denn der siebzehnjährige Prin-ceps eine solche Gefahr auf sich nehmen oder abwehren könne, was für eine Stütze man von einem jungen Mann zu erwarten habe, der von einer Frau geleitet werde, ob etwa auch Schlachten, Belagerungen und sonstiges kriegerisches Vorgehen durch Lehrmeister könnten besorgt werden. Andere dagegen meinten, es sei doch so besser gekommen, als wenn sich der altersschwache und unfähige Claudius, der doch nur den Befehlen sei-ner Freigelassenen gehorcht habe, zu diesen Kriegen habe entschließen müssen. Burrus und Seneca seien doch immerhin Männer mit vielseitiger Erfahrung und was fehle denn dem Kaiser an seiner vollen Reife. Man verwies auf Gnaeus Pompeius Magnus und Oc-tavianus, die mit noch nicht zwanzig Jahren Bürgerkriege hatten führen können. An der höchsten Stelle werde doch das meiste ohnehin mehr durch göttliche Zeichen und kluge Beschlüsse erreicht als durch Waffen und persönliches Eingreifen. Es werde sich ja zei-gen, ob dem jungen Herrscher rechtschaffene und würdige Freunde zur Seite stünden

64 Tac.ann.13.5; Cass.Dio 61.3.3f.65 Cass.Dio 61.4.166 Inwieweit es den Tatsachen entsprach, daß nach Angabe Cass.Dios 61.4.2 die neue Regierung viele

Änderungen und zahlreiche Gesetze herbeigeführt haben soll, bleibt zweifelhaft. Dazu Griffin, Nero, S. 50. In den Auszügen aus Dio fehlt es dafür an Belegen. Beispielsweise wird zum Senatus consultum Trebellianum Senecas Name nicht genannt, obwohl er in diesem Jahr (55 oder 56) Consul war.

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oder nicht, wenn er abseits von Gunst und Mißgunst lieber einen tüchtigen Heerführer ernenne, als einen, der durch Beziehungen und Intrigen mit seinem Vermögen und seiner Gunst erfolgreich um diese Stellung buhle.67

Diese Ereignisse gaben dem jungen Herrscher Gelegenheit, sich vor der römischen und insbesondere der senatorischen Öffentlichkeit auch durch Taten zu legitimieren, so-zusagen seine virtus zu zeigen.68 Bereitwillig griff man das Ersuchen am Hof auf und Nero befiehlt, die in den Nachbarprovinzen angeworbene Jungmannschaft zur Ergänzung der Legionen des Ostens zu verwenden und die Legionen selbst näher an Armenien heran-zuführen. Auch sollten die Könige, Marcus Iulius Agrippa II. (53–93/101),69 der die Tetrarchien des Philippos und des Lysanias, sowie Teile Galilaeas und Peraeas erhalten hatte, und Antiochos IV. von Kommagene (38-? und 41–72) ihre Truppen marschbereit machen, um mit ihnen sogar in das Gebiet der Parther einzudringen. Zugleich sollten Brücken über den Euphrat geschlagen werden. Das Land Kleinarmenien übergibt Nero dem Aristobulos (54-Vespasian. Zeit), die Landschaft Sophene und wohl auch Emesa nach dem Tod seines Bruders Azizus70 dem Sohaimos (54-Vespasian. Zeit), beiden unter Verleihung des Königstitels. Aber während es den Anschein hatte, als sollte ein großer Krieg ausbrechen, entstand dem Partherkönig Vologaeses im (Früh-)Jahr 5571 ein Neben-buhler in seinem Sohn Vardanes.72 Infolgedessen räumten die Parther Armenien und der Krieg wurde aufgeschoben.73

Im Senat wurde all dies dem Herrscher zugerechnet und gepriesen. Einige Senatoren beantragten, daß Dankfeste abgehalten werden sollten und der Princeps dabei im Trium-phalgewand erscheine. Ferner solle er im kleinen Triumph (ovatio) in die Stadt einziehen und sein Bild im Tempel des Mars Ultor (Rächer) in gleicher Größe wie das des Gottes aufgestellt werden – bereits eine weitgehende Angleichung des jungen Kaisers an eine Got-tesgestalt.74

Abgesehen von dieser gewohnten Schmeichelei war man wirklich froh, daß Nero, bezie-hungsweise Burrus und Seneca, die Aufgabe, Armenien zukünftig zu behaupten, nunmehr dem fähigen Befehlshaber, Gnaeus Domitius Corbulo, übertrug. Er hatte einst unter Clau-dius am Rhein erfolgreich befehligt, war aber zurück gerufen worden.75 Unter den Auspi-cien des jungen Kaisers wurden die Kriegshandlungen durchgeführt. Die Truppen des Os-tens waren so verteilt, daß ein Teil der Bundestruppen mit zwei Legionen (IV Scythica, XII Fulminata) in Syrien und bei dem Statthalter Ummidius Quadratus zurückbleiben sollte, während an Corbulo die gleiche Zahl von Bürger- und Bundestruppen (III Galica, IV Fer-

67 Tac.ann.13.668 Heil, Orientpolitik, S. 76; Huss, Propaganda, S. 135, der auch auf „Virtus-Münzen“ anläßlich des

britannischen Aufstands 61 verweist69 Sohn des Herodes Agrippa (gest. 44) geb. 28, 49 von Claudius zum Nachfolger des König Herodes

von Chalkis ernannt, seit 53 Herrscher der oben genannten Gebiete.70 Zu den Gebietszuteilungen an iudaeische Fürsten Ios.ant.Iud.20.158f.; bell.Iud.2.25271 Datiert nach den Münzen, Koestermann, Annalen, Bd. 3, S. 24772 Zur Person CAH 1st Ed., S. 879; zur unsicheren Tacitusstelle Heil, Orientpolitik, S. 77, Anm. 8573 Tac.ann.13.774 Clauss, Kaiser und Gott, S. 100, 30875 Tac.ann.11.18–20

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rata) übergeben wurde, dazu die Cohorten und Reiterabteilungen, die in Kappadokien im Winterquartier lagen. Galatien wurde einem eigenen, dem Corbulo untergeordneten Legaten namens Gaius Rutilius Gallicus übertragen.76 Die verbündeten Könige erhielten den Befehl, den beiden Führern, Quadratus und Corbulo, wie es jeweils die Kriegslage er-forderte, zur Verfügung zu stehen.77 Doch diese hatten mehr Vorliebe für Corbulo. Dieser brach sofort mit seinen Begleitern auf, legte die Reise eilig zurück und wurde in Aigai, einer Stadt Kilikiens, von Quadratus empfangen, der ihm bis hierher entgegengekommen war. Corbulo sollte bei seinem Einzug in Syrien und der Übernahme der Truppen nicht die Au-gen aller allein auf sich ziehen. Er war nämlich ein Mann von hohem Wuchs78 und großar-tiger Beredsamkeit. Abgesehen von seiner Erfahrung und Umsicht in Angelegenheiten der Kriegführung, machte er schon durch seine Erscheinung einen gewinnenden Eindruck. Er besaß Mut, einen scharfen Verstand und war außerdem noch rechtschaffen und verläßlich, was ihm schon bald bei Freund und Feind großes Ansehen und einen ausgezeichneten Ruf sicherte. Corbulo galt als loyal und es bestand nicht die Befürchtung, er könne sich einmal gegen die Herrschaft des Kaisers erheben.79

Corbulo und Quadratus sandten nun eine gemeinsame Botschaft an den Partherkö-nig Vologaeses und ermahnten ihn darin, lieber den Frieden als den Krieg zu wählen, Geiseln zu stellen und an der bei seinen Vorgängern gewohnten Ehrerbietung gegen den römischen Namen festzuhalten. Vologaeses wurde, wie erwähnt, gerade durch eine Fami-lienfehde vom Krieg abgehalten. Um sich aber in aller Ruhe für später zu rüsten oder ver-dächtige Nebenbuhler als Geiseln loszuwerden, lieferte Vologaeses die vornehmsten Mit-glieder seines Herrscherhauses der Arsakiden aus. Der Centurio Insteius Capito80 nahm sie in Empfang. Er war von Quadratus abgesandt worden, weil er schon in einer früheren Angelegenheit zum König geschickt worden war. Sowie Corbulo davon erfahren hatte, befahl er dem Cohortenpraefecten Arrius Varus,81 sich aufzumachen und dem Insteius

76 ILS 949977 Cass.Dio 62.19.3. Zum Umfang seiner Befugnisse Koestermann, Annalen, Bd. 3, S. 249. Ohne Er-

gebnis zur rechtlichen Befugnis des Sonderkommandos nach Analyse der Titulaturen und Laufbah-nen der gleichzeitigen Amtsinhaber in Kappadokien und Galatien Heil, Orientpolitik, S. 201-07.

78 Iuv.3.25179 Tac.ann.13.8; Cass.Dio 62.19.1. Corbulo hatte zwei Töchter: Domitia Longina wurde nach Ent-

führung von ihrem Ehemann Lucius Aelius Lamia Aelianus die Ehefrau des späteren Kaisers Do-mitian (81–96) (Suet.Dom.13; 3.1; Cass.Dio 66.3.4; CIL X 1422); die andere heiratete den Sohn des Annius Vinicianus (zu ihm s. Darstellung zum Jahres 66), eines Beteiligten der Scribonianischen Verschwörung des Jahres 42 gegen Claudius (Tac.ann.15.28.3; Cass.Dio 62.23.6).

Zur Quellenkritik der armenischen Kriege Heil, Orientpolitik, S. 28–57. Er weist nach, daß es – besonders seit flavischer Zeit – eine stark umstrittene Überlieferung mit gegensätzlicher Tendenz gab. Cassius Dio gibt einen (weil als Gegenpol zu Nero gemeint) durchgehend Corbulofreundlichen Bericht, während Tacitus die (kaum erkennbaren Vorlagen) kritisch benutzt und weitgehend objektiv verarbeitet hat. Nach Neros Tod waren die Erfolge aber vor allem die Person des durch Nero umge-kommenen Corbulo stark umstritten. Neben Anhängern besaß der Feldherr auch Feinde, wie etwa Caesennius Paetus und Arrius Varus.

80 Wird auch während des armenischen Krieges im Jahre 58 erwähnt.81 Nahm aktiv im späteren Bürgerkrieg am Kampf gegen die Vitellianer teil; 69 Praetorianerpraefect

(Tac.hist.4.2.1); 70 Praefectus annonae (Tac.hist.4.68.2).

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die Geiseln abzunehmen. Daraus entstand ein Streit zwischen dem Praefecten und dem Centurio. Man bemerkte die Peinlichkeit dieses Schauspiels, an dem sich die Ausländer je länger desto mehr belustigten und überließ die Entscheidung den Geiseln und ihren parthischen Begleitern. Diese gaben Corbulo den Vorzug. Entweder ging ihm ein ge-wisser Kriegsruhm voraus oder sein Auftreten hatte ihm selbst bei den Feinden bereits Zuneigung eingebracht. Aber auch daraus entstand wieder Streit zwischen beiden Feld-herren, wobei sich Quadratus beschwerte, daß ihm entzogen worden sei, was er durch seinen Einsatz erreicht habe. Corbulo hingegen behauptete, der König habe sich doch überhaupt erst zur Stellung von Geiseln verstanden, nachdem er selbst die Leitung des Krieges übernommen und dadurch des Königs Hoffnungen in Befürchtungen gewandelt habe. Der Streit war jedenfalls die Folge der mangelnden Abgrenzung von Befugnissen oder ihrer Auslegung zwischen Quadratus und Corbulo.82 Um die beiden Gegner zu ver-söhnen, ließ Nero bekannt machen, daß die zwölf kaiserlichen Fasces anläßlich der von Quadratus und Corbulo gemeinsam errungenen Erfolge, welche unter seinen Auspicien erreicht worden seien, mit dem Lorbeer geschmückt würden. Die letztgenannten Ereig-nisse fielen aber schon in das Jahr 55. Diese erste Imperator-Akklamation Neros war der Sache nach nicht gerechtfertigt, weil die Übergabe von Geiseln keinen römischen Sieg bedeutete und Vologaeses auch nicht Verzicht auf Armenien erklärt hatte.83

22. Verschiedenes

Noch im gleichen Jahr (54) ließ der Kaiser vom Senat die Errichtung eines Standbildes für seinen Vater Gnaeus Domitius beschließen. In den Akten der Arvalpriesterschaft wird seines Geburtstages (11. Dezember) seit 55 gedacht.84 Dazu kam die höchst ehrenvolle Verleihung der Consularabzeichen für seinen ehemaligen Vormund Asconius Labeo. Die Errichtung seiner eigenen Standbilder aus reinem Silber oder Gold, die man ihm anbot, schlug Nero jedoch aus. Auch als ihm aus Ägypten göttliche Ehren angetragen wurden, lehnte er sie mit der Begründung ab, diese kämen alleine den Göttern zu und sandte auch das aus dem Arsinoë-Gau an ihn gespendete Kranzgold (Aurum coronarium) zurück.85 Und obwohl die Senatoren beantragt hatten, das Jahr solle Nero zu Ehren mit dem Monat Dezember beginnen, in dem Nero geboren worden war, wurde nichts geändert und der Jahresbeginn am 1. Januar beibehalten. Von einem Sklaven wurde der Senator Carrinas Celer86 wahrscheinlich wegen irgendwelcher Äußerungen gegen Nero beschuldigt und dem römischen Ritter Iunius Densus87 warf man vor, sich für die Thronfolge des Britan-nicus eingesetzt zu haben. Beide wurden jedoch nicht gerichtlich belangt, weil man die

82 So auch Koestermann, Annalen, Bd. 3, S. 25283 Tac.ann.13.984 Suet.Nero 9; CIL VI 203785 P.Med.inv.70.01v. = SB 11012 (O. Montevecchi, G. Geraci, Akten des XII. Internationalen Papyro-

logenkongresses, München 1974, S. 293)86 Sonst unbekannt87 Sonst unbekannt

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junge Regierung nicht durch die Greuel der Maiestasprozesse beflecken wollte.88 Als es zum Streit zwischen Veranstaltungsunternehmern für die Circusspiele und den Consuln und Praetoren als Auftraggeber über erhöhte finanzielle Forderungen kam, übernahm Nero die Kosten für die Preise.89

88 Tac.ann.13.1089 Cass.Dio 61.6.2f.; Suet.Nero 22.2. Das Ereignis fiel vermutlich in den Anfang von Neros Regierungs-

zeit und ist im Zusammenhang in der Darstellung zum Jahre 59 eingehend interpretiert.

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