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Physik I

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Physik I

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Vorwort

Die Vorlesung ”Physik I”, die ich im Wintersemester 03/04 fur die Studentendes Dept. Physik und Mathematik der ETH Zurich lese, dient der Einfuhrungin die Mechanik, betrachtet als Grundlage physikalischen Denkens. In dieserVorlesung wird als Schwerpunkt berucksichtigt, dass die Physikroutine sy-stematisch Konzepte aus der der Mathematik benutzt. Das geschieht nichtnur um physikalische Inhalte korrekt zu vermitteln, sondern tragt auch derTatsache Rechnung, dass die Natur selbst eine faszinierende ”mathematischeStruktur” besitzt, die in vielen alltaglichen Erscheinungen zum Vorscheinkommt. Die fur das Studium der Physik notwendigen Werkzeuge aus der Ma-thematik werden parallel zur eigentlichen Mechaniklehre eingefuhrt, damitihre Verbindung mit der physikalischen Fragestellung klar wird. Ich bedankemich bei meiner Frau Hedi, die mein Skript druck- und webreif bearbeitethat.

Zurich, im Oktober 2003

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort ii

1 Mathematische Hilfsmittel 11.1 Vektoralgebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Funktionen einer Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

1.2.1 Differenzialrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101.2.2 Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

1.3 Funktionen mehrerer Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2 Newtonsche Mechanik 222.1 Newtonsche Bewegungsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . 252.2 Gewohnliche Differenzialgleichungen (DGL) . . . . . . . . . . 26

3 Eindimensionale Probleme 293.1 Der harmonische Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

3.1.1 Freie Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293.1.2 Erzwungene Schwingung . . . . . . . . . . . . . . . . . 323.1.3 Gedampfte Schwingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353.1.4 Resonanzphanomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383.1.5 Kraftstoss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

3.2 Allgemeine Losung 1-dimensionaler Probleme . . . . . . . . . 463.3 Die schwingende 1-dim. Kette . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483.4 Die Wellengleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

3.4.1 Beispiele von Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

4 Das Zwei-Korper Problem 594.1 Die Relativbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

4.1.1 Integration der radialen DGL . . . . . . . . . . . . . . 62

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Kapitel 1

Mathematische Hilfsmittel

Eine der wichtigsten Erscheinungen der Natur ist die Bewegung. Bewegt sichein Objekt uber Abstande, die viel grosser als seine Ausdehnung sind, so kanndieses Objekt als Massenpunkt P betrachtet werden, d.h. ein geometrischerPunkt P , der eine Masse m hat, wobei m das einzige Merkmal ist, das Mas-senpunkte voneinander unterscheidet (Einheiten fur die Masse: kg). Im Falleines Massenpunktes kann dann seine endliche Ausdehnung fur die Beschrei-bung der Bewegung vernachlassigt werden. Beispielsweise kann man fur dieBeschreibung der Umlaufbahn der Erde um die Sonne die Ausdehnung derErde vernachlassigen – will man hingegen erklaren, warum es Tag und Nachtgibt, muss man berucksichtigen, dass sich die Erde als Konsequenz ihrer end-lichen Ausdehnung um ihre eigene Achse dreht. Die Lage des Massenpunktesin Bezug auf ein geeignetes Koordinatensystem beschreibt einen Ortsvektor�r, die Bahnkurve von P ist eine Vektorfunktion �r(t), wobei der reelle Para-meter t die Zeit ist. (Einheiten fur |�r|, t: m, sec)

1.1 Vektoralgebra

Verschiedene Grossen in der Physik, wie zum Beispiel die GrundgrossenLange, Masse und Zeit, konnen im Rahmen der Newtonschen Mechanikdurch eine einzige reelle Zahl spezifiziert werden. Diese Zahl kann dabei vondem Einheitensystem abhangen, in dem wir die Messung vornehmen. SolcheGrossen bezeichnen wir als Skalare. Ein Skalar wird durch einen Buchsta-ben angegeben, z.B. fur die Zeit t und fur die Masse m. Andere Grossen inder Physik, wie die Ortsangabe oder die Geschwindigkeit bedurfen zu ihrervollstandigen Spezifikation der Angabe eines Betrages und einer Richtung.Solche Grossen nennen wir Vektoren und kennzeichnen sie durch einen Pfeiluber den Buchstaben, um die Bedeutung der Richtungsangabe hervorzuhe-

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 2

ben. Den Betrag oder die Lange eines Vektors bezeichnen wir mit �a mit |�a|

Abbildung 1.1: Vektor �a (links). �a = �b (rechts)

oder a. Wir wollen nun die einfachen Gesetze der Vektoralgebra behandeln.Zwei Vektoren �a und �b sind gleich, wenn sie den gleichen Betrag und die glei-che Richtung aufweisen unabhangig von ihrem Anfangspunkt. Einen Vektor,der die gleiche Lange wie der Vektor �a aufweist, aber in die entgegengesetzteRichtung zeigt, bezeichnen wir mit −�a. Zwei Vektoren �a und �b werden ad-diert, indem man durch Parallelverschiebung den Fusspunkt des einen Vek-tors �b mit der Pfeilspitze des anderen Vektors �a zur Deckung bringt. Der

Abbildung 1.2: Addition von Vektoren (links) und Kommutativitat (rechts)

Summenvektor �a +�b beginnt am Fusspunkt von �a und reicht bis zur Spit-ze von �b. �a + �b entspricht der Diagonalen des von �a und �b aufgespanntenParallelogramms. Fur die Vektorsumme gilt die Kommutativitat

�a +�b = �b + �a

Entscheidend fur die Kommutativitat ist die freie Parallelverschiebbarkeitder Vektoren. Assoziativitat:

(�a +�b ) + �c = �a + (�b + �c )

Wiederum uberzeugt man sich aufgrund einer graphischen Veranschaulichungsofort von der Richtigkeit dieser Behauptung. Die Differenz zweier Vektoren�a und �b oder die Vektorsubtraktion ist definiert als

�a−�b = �a + (−�b) .

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 3

Abbildung 1.3: Assoziativitat

Subtrahiert man �a von sich selbst, so ergibt sich der Nullvektor

�a− �a = �0.

Der Nullvektor hat den Betrag 0; er ist richtungslos. Fur alle Vektoren gilt

�a +�0 = �a.

Unter dem Produkt p�a eines Vektors �a mit einem Skalar p, wobei p eine reelleZahl ist, versteht man einen Vektor, der die gleiche Richtung aufweist wie �aund den Betrag

|p�a| = |p| · |�a|

hat.Hierbei gilt das Distributivgesetz, d. h.

(p + q)�a = p�a + q�a ,

p(�a +�b) = p�a + p�b ,

sowie das Assoziativgesetz

q(p�a ) = p(q�a ) = qp�a .

Ein Einheitsvektor ist ein Vektor mit der Lange 1. Aus jedem Vektor �a lasstsich durch Multiplikation mit dem Kehrwert seines Betrages ein Einheitsvek-tor �ea in Richtung von �a konstruieren.

�ea =1

a�a

und damit auch

�a = a�ea

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 4

mit

|�ea| = a

a= 1 .

Einheitsvektoren werden in der Regel mit den Buchstaben �e oder �n bezeich-net. Die Gesamtheit der Vektoren bilden einen linearen Vektorraum V uberdem Korper der reellen Zahlen R. Vektorraume erfullen folgende Axiome:

I) Zwischen zwei Elementen �a, �b ∈ V ist eine Verknupfung (Addition)definiert

�a +�b = �s ∈ V

mit

1) (�a +�b ) + �c = �a + (�b + �c ) (Assoziativitat)

2) Nullelement: �a +�0 = �a fur alle �a

3) Inverses: Zu jedem �a ∈ V gibt es ein (−�a ) ∈ V, so daß gilt�a + (−�a) = �0,

4) �a +�b = �b + �a (Kommutativitat)

II) Multiplikation mit Elementen α, β, .. ∈ R :α ∈ R, �a ∈ V =⇒ α�a ∈ Vmit

1) (α + β)�a = α�a + β�a,

α(�a +�b ) = α�a + α�b, (Distributivitat)

2) α(β�a ) = (αβ)�a (Assoziativitat)

3) Es gibt ein Einselement 1, so dass gilt1 · �a = �a fur alle �a ∈ V.

Skalarprodukt und Basis

Als Skalarprodukt zweier Vektoren �a und �b bezeichnet man den folgendenSkalar:

�a ·�b = ab cos ϑ,

wobei ϑ den Winkel zwischen den Vektoren �a und �b kennzeichnet.

ϑ = <) (�a,�b )

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 5

Abbildung 1.4: Skalarprodukt

Es handelt sich um das Produkt aus der Lange des ersten Vektors mit derProjektion des zweiten Vektors auf die Richtung des ersten. Offensichtlichgilt

�a ·�b = 0,

falls 1) a = 0 oder (und) b = 0

oder 2) ϑ = π/2.

Basierend auf dieser Einsicht bezeichnen wir zwei Vektoren �a und �b als or-thogonal (�a ⊥ �b) zueinander, falls �a ·�b = 0Eine wichtige Eigenschaft des Skalarprodukts betrifft den Betrag eines Vek-tors. Wegen cos(0) = 1 gilt

�a · �a = a2 ≥ 0 .

Damit konnen wir schreiben

a =√

�a · �a .

Fur den Einheitsvektor haben wir

�e · �e = 1 .

Ein Vektorraum, in dem ein Skalarprodukt definiert ist, heisst Vektorraummit Skalarprodukt.

Mit dem Skalarprodukt kann die Darstellung von Vektoren durch Koor-dinaten eingefuhrt werden . Zwei Vektoren �a und �b mit der selben Richtung�e heissen kolinear. Fur sie lassen sich reelle Zahlen α �= 0, β �= 0 finden, diedie Gleichung

α�a + β�b = 0

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 6

erfullen. �a und �b sind linear abhangig. Damit konnen wir umgedreht folgendeDefinition vereinbaren:n Vektoren �a1, �a2, ... ,�an, heissen linear unabhangig, falls die Gleichung

n∑j=1

αj�aj = 0

nur durch

α1 = α2 = ... = αn = 0

erfullt werden kann. Andernfalls heissen sie linear abhangig. Ferner gilt dieDefinition: Die Dimension eines Vektorraumes ist gleich der maximalen An-zahl linear unabhangiger Vektoren. In einem d-dimensionalen Vektorraumbildet jede Menge von d linear unabhangigen Vektoren eine Basis, d.h. je-der beliebige Vektor dieses Raumes lasst sich als Linearkombination dieser dVektoren beschreiben. Besonders bedeutsam als Basisvektoren sind Einheits-vektoren, die paarweise orthogonal zueinander sind. Man spricht in diesemFall von einem Orthonormalsystem �ei , i = 1, 2, ..., d. Damit gilt

�ei · �ej = δij

mit dem Kronecker-Symbol

δij =

{1 fur i = j0 fur i �= j .

Fur einen beliebigen Vektor �a ∈ V gilt dann

�a =d∑

j=1

aj �ej .

Die aj sind die Komponenten des Vektors �a bezuglich der Basis �e1, ..., �ed. Bei-spielsweise bilden die kartesischen Basisvektoren �ex, �ey und �ez ein vollstandi-ges Orthonormalsystem des Euklidischen Raumes E3. Die Komponenten-schreibweise erlaubt eine gebrauchliche Darstellung des Vektors als Spalten-vektor:

�a =

a1

a2

.

.

.ad

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 7

oder als Zeilenvektor:

�a = (a1, a2, . . . , ad) .

Fur den dreidimensionalen euklidischen Raum konnen wir somit explizitschreiben

�a = ax�ex + ay�ey + az�ez = a1�e1 + a2�e2 + a3�e3

=3∑

j=1

aj �ej

oder auch

�a = (a1, a2, a3) .

Das Skalarprodukt lasst sich mit dem vollstandigen Orthonormalsystem leichtauswerten. Es ist

�a ·�b =∑

i

aibi

Somit ist der Betrag eines Vektors√∑

i a2i .

Einem Produkt von zwei Vektoren konnen wir auch einen Vektor zuord-nen. Das Vektorprodukt (ausseres Produkt, Kreuzprodukt) von zwei Vekto-

ren �a und �b fuhrt zu einem Vektor �c

�c = �a�b .

Der Vektor �c hat folgende Eigenschaften:

Abbildung 1.5: Vektorprodukt

1. c = ab sin ϑ,wobei ϑ wieder der von �a und �b eingeschlossene Winkel ist. Der Betragvon �c, also c, entspricht dem Flacheninhalt des von �a und �b aufgespann-ten Parallelogramms.

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 8

2. �c steht senkrecht auf der von �a und �b aufgespannten Ebene. �a, �b und �cbilden ein Rechtssystem.

Wir wollen nun einige wichtige Eigenschaften des Vektorproduktes diskutie-ren.

1. antikommutativ:

�a×�b = −�b× �a

2.

�a�b = 0 falls 1) a oder b = 0

2) �b = α�a; α ∈ R

Fur kolineare Vektoren gilt sin ϑ = 0, da ϑ = 0, und somit verschwindetdas Kreuzprodukt.

3. distributiv:

(�a +�b )× �c = �a× �c +�b× �c

4. nicht assoziativ

�a× (�b× �c ) �= (�a×�b )× �c

5. bilinear

(α�a )×�b = �a× (α�b ) = α(�a×�b )

Es ist

�e1 × �e2 = �e3 ,

�e2 × �e3 = �e1 ,

�e3 × �e1 = �e2 ,

aber zum Beispiel �e2 × �e1 = −�e3 und �e1 × �e1 = 0. Somit gilt:

�c = �a×�b =3∑

i,j=1

aibj(�ei × �ej) =3∑

k=1

ck �ek

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 9

mit

c1 = a2b3 − a3b2, c2 = a3b1 − a1b3, c3 = a1b2 − a2b1.

Das Kreuzprodukt lasst sich auch leicht mit Hilfe der Determinantenschreib-weise auswerten. Ein rechteckiges Schema von Zahlen wird Matrix genannt.

Spalten

a11 a12 ... a1q

a21 a22 ... a2q

.

.

.ap1 ap2 ... apq

←− Zeilen

Der erste Index des Koeffizienten gibt die Zeile an, der zweite die Spalte. Furden Fall, dass q = p ist, spricht man von einer quadratischen Matrix. Die-ser Matrix lasst sich ein Zahlenwert D zuordnen, der Determinante genanntwird. Fur die Dimensionen 1, 2 und 3 lasst sich dieser Wert folgendermassenauswerten

1.) det(a11) ≡ |a11| = a11 ,

2.) det

(a11 a12

a21 a22

)≡∣∣∣∣∣ a11 a12

a21 a22

∣∣∣∣∣ = a11a22 − a12a21 ,

3.) det

a11 a12 a13

a21 a22 a23

a31 a32 a33

=

∣∣∣∣∣∣∣a11 a12 a13

a21 a22 a23

a31 a32 a33

∣∣∣∣∣∣∣= a11

∣∣∣∣∣ a22 a23

a32 a33

∣∣∣∣∣− a12

∣∣∣∣∣ a21 a23

a31 a33

∣∣∣∣∣+ a13

∣∣∣∣∣ a21 a22

a31 a32

∣∣∣∣∣= a11(a22a33 − a23a32)− a12(a21a33 − a23a31) + a13(a21a32 − a22a31)

Mit Hilfe der Determinantenschreibweise konnen wir das Vektorprodukt auchformal auswerten durch

�a�b =

∣∣∣∣∣∣∣�e1 �e2 �e3

a1 a2 a3

b1 b2 b3

∣∣∣∣∣∣∣= (a2b3 − a3b2)�e1 − (a1b3 − a3b1)�e2 + (a1b2 − a2b1)�e3 .

Dies ist identisch mit dem bereits abgeleiteten Resultat.

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 10

1.2 Funktionen einer Variablen

Wird jedem Wert einer skalaren Variablen t ein Vektor �r(t) = x(t)�ex+y(t)�ey+z(t)�ez zugeordnet, dann heisst �r(t) Vektorfunktion der skalaren Variablen t.Tragt man �r(t) in einem festen Punkt 0 an, dann liegen die Endpunkte von�r(t) auf einer Raumkurve, die Trajektorie oder die Bahnkurve des Massen-punktes P . Jede Komponente bildet seinerseits eine Funktion einer Variablen.Das Studium reeller Funktionen einer Veranderlichen (Variablen) ist deshalbein Bestandteil der Physik.Definition Eine reelle Funktion f einer Veranderlichen ist eine Abbildungeiner Teilmenge D von R (Definitionsbereich) nach R.

f : x ∈ D → y = f(x) ∈ R

Mit f(x) und g(x) sind auch das skalare Vielfach c · f(x), die Summe f(x) +g(x) und das Produkt f(x)·g(x) Funktionen. Mit diesen Operationen konnenwir aus f(x) = 1 und f(x) = x alle Polynome P (x) =

∑k akx

k konstruie-ren. Potenzreihen werden durch

∑∞k=0 akx

k generiert, falls ein Intervall furx existiert, innerhalb welchem die Potenzreihe gegen einen endlichenWertkonvergiert. Eine weitere wichtige Operation ist der Quotient zweier Funk-tionen f

g(x)

.= f(x)

g(x). Mit dieser Operation generiert man rationale Funktionen.

Der Quotient ist nicht fur Werte von x mit g(x) = 0 definiert. Die Zusam-mensetzung von Funtkionen, die auch zu einer Funktion fuhrt, ist durch dieGleichung f ◦ g(x)

.= f(g(x)) definiert. Dabei muss beachtet werden, dass

g(x) im Definitionsbereich von f liegt.

1.2.1 Differenzialrechnung

Eine wichtige Operation ist der Grenzwert von Funktionen. Im Definitions-bereich sei eine Zahl c vorgegeben, und eine Folge von Zahlen an konvergierenach c, d.h. limn→∞an = c (die Konvergenz einer Folge ist gegeben, fallsbei jeder vorgegebenen Umgebung ε von c alle Zahlen mit k > n inner-halb ε fallen). Wir sagen, fur x gegen c strebt f(x) gegen d und schreibenlimx→cf(x) = d (lies Limes x gegen c von f(x) gleich d), wenn fur jedengegen c konvergente Folge an aus D stets die Bildfolge f(an) gegen d konver-giert. d heisst Grenzwert von f(x) fur x → c. Ein fur die Physik wichtigerSpezialfall sind stetige Funktionen. Eine reelle Funktion ist stetig in x0, wennlimx→x0f(x) = f(x0). Fur stetige Funktionen ist es immer moglich, bei jedervorgegebenen ε ein δ zu finden, mit x − x0 < δ und f(x)− f(x0) < ε (ε − δStetigkeit Kriterium) (ohne Beweis). Wir erwarten, dass die Bahnkurven vonstetigen Funktionen beschrieben sind.

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 11

Theorem: Potenzreihen sind stetig (ohne Beweis).Die Funktionen, die eine physikalische Bahnkurve beschreiben, mussen eineweitere Eigenschaft besitzen: sie mussen differenzierbar sein.Definition f heisst im Punkt x0 differenzierbar oder ableitbar, wenn derGrenzwert

limx→x0

f(x)− f(x0)

x− x0

existiert. Dieser Grenzwert heisst dann Ableitung von f an der Stelle x0 undwird mit f ′(x) |x0 oder einfach f ′(x0) bezeichnet. Andere Bezeichnungen furdie Ableitung an einer beliebigen Stelle x sind f(x) und df

dx). Die Existenz

der Ableitung besagt, dass in der Umgebung von x0, die Werte einer diffe-renzierbaren Funktion durch den Ausdruck

f(x) = f(x0) + f ′(x0) · (x− x0)

sehr gut (exakt im Lim(x−x0→0) approximiert werden konnen. Diese letzteFormel kann man auch als

f(x)− f(x0).= �f ≈ f ′(x0) · �x

schreiben, oder df = f ′(x) · dx, mit df bekannt als totales Differenzial. Gra-phisch gesehen: Lokal kann die Funktion f(x) durch eine Gerade approximiertwerden. f ′(x0) ist dann die Steigung der Tangente am Graph von f(x). Durch

Abbildung 1.6: Graphische Darstellung zur Berechnung der Ableitung

diese Definition wird einer Funktion f eine neue Funktion zugeordnet, undzwar uberall dort, wo die Ableitung definiert ist. Die Differenzierbarkeit ei-ner Funktion an einer Stelle x impliziert die Stetigkeit der Funktion an dieserStelle.

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 12

Rechenregel:

d

dx[f(x) + g(x)] = f ′(x) + g′(x)

d

dx[λf(x)] = λf ′(x)

d

dx[f(x) · g(x)] = f ′(x) · g(x) + f(x) · g′(x)(LeibnizProduktregel)

d

dx

f(x)

g(x)=

f ′(x)g(x)− f(x)g′(x)

g2(x)

d

dxf [g(x)] = f ′(g(x))g′(x)(Kettenregel)

Wir beweisen die (Leibniz) Produktregel und die Kettenregel. Aus f(x) =f(x0) + f ′(x0)(x− x0) und g(x) = g(x0) + g′(x0)(x− x0) folgt

f(x) · g(x) = f(x0)g(x0) + [f ′(x0)g(x0) + f(x0)g′(x0)](x− x0)

(Terme in (x − x0)2 werden vernachlassigt, da sie klein sind) Daraus lasst

sich die Produktregel herauslesen. Es gilt weiter

f [g(x)] = f [(g(x0) + g′(x0)(x− x0)] = f(g(x0)) + f ′(g(x0)) · g′(x0)(x− x0)

woraus die Kettenregel abgelesen werden kann. Eine weitere Regel betrifftdie Umkehrfunktion f−1von f : f−1(f(x)) = x. Die Umkehrabbildung ist nurdann definiert, wenn f injektiv ist. Nach der Kettenregel gilt

d

dxf−1(f(x)) = 1 = (f−1)′(f(x)) · f ′(x)

Mit f(y) =x folgt

(f−1)′(x) =1

f ′(f−1(x))

Mit diesen Regeln kann man einige Ableitungen konstruieren. Fur die Funk-tionen, die als Potenzreihe aufgebaut wurden, gilt, aus f(x) =

∑n anxn

f ′(x) =∑n

nanxn−1

d.h. man erhalt die Ableitung durch ”gliedweise” Differenziation. Man kannauch hohere Ableitungen definieren, indem f ′ weiter differenziert wird. So-mit entsteht f (2) (oder f ′′), die zweite Ableitung von f , wenn man die ersteAbleitung f ′ einmal differenziert. Allgemein bezeichnet man auch f (n) alsdnfdxn die -n-te Ableitung. Die hoheren Ableitungen einer Funktion (falls sie

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 13

existieren) kann man benutzen um den Entwicklungssatz von Taylor zu for-mulieren. Dieser ist sehr wichtig in der Physik, da er erlaubt, physikalischeFunktionen mit Polynomen zu approximieren. Polynome sind ihreseits wich-tige Funktionen, die man relativ leicht manipulieren kann.Definition. Gegeben sei eine (n+1)-mal differenzierbare Funktion f(x). DerPolynom

Tn =n∑

k=0

f (k)(x0)

n!(x− x0)

n

heisst Taylorpolynom n-ten Grades um den Entwicklungspunkt x0. Das fol-gende Theorem ist als Entwicklungssatz von Taylor bekannt.Theorem: Zu jedem x gibt es eine Zwischenstelle y zwischen x und x0 sodass

f(x) = Tn(x) +f (n+1)(y)

(n + 1)!(x− x0)

n+1

Mn anderen Worten: Die (n+1)-differenzierbare Funktion f kann um einenPunkt x0 durch Tn(x) sehr gut approximiert werden, bis auf einen ResttermO[(x− x0)]

n+1.Der Beweis benutzt bekannte Theoreme der Differenzialrechnung, u.a.denSatz von Rolle. Dieser Satz besagt die intuitive Tatsache, dass falls f einestetige differenzierbare Funktion ist mit f(a) = f(b) = 0, dann existiert einc im Intervall [a, b] mit f ′(c) = 0. Dieses Resultat lasst sich verallgemeinernzu

f(b)− f(a)

b− a= f ′(c)

(durch entsprechende Rotation der Koordinaten). Daraus lasst sich ein Mit-telwertsatz der Differenzialrechnung beweisen.Seien f, g im Intervall [a, b] stetig und differenzierbar und g(a) �= g(b),g′(x) �= 0. Dann gibt es eine Zwischenstelle c mit

f(b)− f(a)

g(b)− g(a)=

f ′(c)g′(c)

Beweis: betrachte die Funktion

h(x).= f(x)− (f(a) +

f(b)− f(a)

g(b)− g(a)(g(x)− g(a)))

Da h(a) = h(b) = 0 gilt

0 = h′(c) = f ′(c)− f(b)− f(a)

g(b)− g(a)g′(c)

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 14

Daraus die Behauptung.Wir wollen jetzt den Entwicklungssatz von Taylor beweisen. Wir definierenals h(x) die Differenz zwischen f und den Taylorpolynom und die Funktiong(x) als (x − x0)

n+1. Fur alle k ≤ n ist h(k)(x0) = gk(x0) = 0. Anwendungdes vorigen Satz fuhrt zu

h(x)

g(x)=

h(x)− h(x0)

g(x)− g(x0)

=h′(x1)

g′(x1)

=h′(x1)− h′(x0)

g′(x1)− g′(x0)

=h′′(x2)

g′′(x2)

= ....hn(xn)− hn(x0)

gn(xn)− gn(x0)

=hn+1(xn+1)

(n + 1)!

wobei x1 zwischen x und x0 liegt, x2 zwischen x1 und x0 liegt, ....xn+1.= y

zwischen xn und x0 liegt. Multiplikation mit g(x) liefert die Behauptung.Es stellt sich unmittelbar die Frage, wie verhalt sich das Restglied (die Kor-rektur), wenn n wachst, d.h. wie genau kann man f(x) mit einem Polynomapproximieren. Wir betrachten die Folge | f(x)− Tn(x) | im Intervall [a, b].

| f(x)− Tn(x) | = | fn+1(y)(x− x0)

n+1

(n + 1)!|

≤ | fn+1(y)(b− a)n+1

(n + 1)!|

≤ | maxfn+1(b− a)n+1

(n + 1)!|

f ist beliebig oft differenzierbar und alle Ableitungen sind stetig. Damit exi-stiert ein endlicher Maximalwert von fn+1(x) fur jedes n. Der Ausdruck ander rechten Seite hangt nicht mehr von x ab. Da die von x unabhangige Folgenach 0 konvergiert fur n → ∞ ergibt sich das Resultat, dass die Approxi-mation von f(x) durch Polynome immer besser wird fur wachsendes n, undzwar fur alle x. Welchen n reicht, um ein spezifisches Problem korrekt zubeschreiben, mussen wir von Fall zu Fall entscheiden. Oft wird einfach n = 1benutzt, woraus die folgenden nutzlichen Naherungsformel entstehen:

1

1 + x≈ 1− x

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 15

1

1 + x2≈ 1− x2

ln(1 + x) ≈ x− x2/2

sin(x) ≈ x

cos(x) ≈ 1− x2/2√1 + x ≈ 1 + x/2

exp(x) ≈ 1 + x

mit x ∈ [≈ −0.1,≈ 0, 1].

1.2.2 Integralrechnung

Wir betrachten stetige Funktionen, die in einem Intervall J = [a, b] defi-niert sind und endlich bleiben. Wir definieren eine endliche Teilmenge Z =a0 = a, a1, ...., an = b des Intervalls [a, b] als Zerlegung von J. Zu dieser Zer-legung ordnen wir die Menge f(a0), f(a1), ....., f(an). Damit konnen wir eineTreppenfunktion T (f) generieren, die f stuckweise approximiert. Von dieserTreppenfunktion konnen wir die Summe

SZ(f).=

n−1∑k=0

f(ak)(ak+1 − ak)

konstruieren. SZ(f) ist, nach Konstruktion, die Flache, die zwischen T (f)und der x-Achse liegt. Dabei rechnen wir Flacheninhalte unter der x-Achsenegativ.Definition: falls der Limes der Riemannschen Summe

limn→∞n−1∑k=0

f(ak) · (ak+1 − ak)

existiert, dann heisst die Funktion f (Riemann)-integrierbar und dieser Li-mes, den wir mit

∫ ba f(x)dx bezeichen, nennen wir das Integral von f im

Intervall [a, b]. Das Integral ist dann die Flache, die unter dem Graphen vonf(x) im Intervall a, b liegt. Fur die explizite Berechnung des Limes mussenwir jeweils die Zerlegung feiner machen. Damit reduziert sich der Abstandzwischen einzelnen Punkten der Zerlegung, aber deren Zahl erhoht sich. Diedamit erzeugte Folge durfte tatsachlich gegen einen endlichen, berechenbarenWert konvergieren.Wir wollen uns uberzeugen, dass integrierbare Funktionen tatsachlich existie-ren. Wir zerlegen das Intervall [0, 1] mit der Foge a0 = 0, a1 = 1/n, ...ak =

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 16

X

Abbildung 1.7: Graphische Darstellung zur Berechnung des Integrals

k/n, ...n/n = 1 und versuchen, das ”Integral”∫ 10 x2dx als Limes der Summe

zu berechnen:n−1∑k=1

k2

n2· 1n

Hier hilft uns die elementare Mathematik, welche solche Summen von Qua-draten tatsachlich berechnen kann: diese Summe betragt

1

6n3(n− 1) · n · (2n− 1) =

1

3− 1

2n+

1

6n2

Der Limes dieser Folge ist 1/3, und das sollte der Flacheninhalt unterhalb desGraphs von x2 sein. Es lasst sich zeigen, dass jede stetige Funktion tatsachlichintegrierbar ist.

Die Definition von Integralen durch Treppenfunktionen ist anschaulichund streng, sowie es streng ist, den Limes durch explizite Berechnung vonkonvergierenden Folgen zu suchen. Die tatsachliche Berechnung von Integra-len erfolgt aber durch den Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung.Theorem. Gegeben sei eine stetige Funktion im Intervall [a, b] und x0, xseien beliebige Werte im Intervall. Dann ist

(i)∫ x

x0

f(x)dx = F (x)− F (x0)

(ii)F ′(x) = f(x)

Die Funktion F (x) welche (i) erfullt, heisst Stammfunktion von f(x). DieStammfunktion hat die wichtige Eigenschaft, dass ihre Ableitung am Punkt

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 17

x im Intervall [a, b] mit f(x) ubereinstimmt. Hat man eine Stammfunktionkonstruiert, so ergeben sich alle anderen durch Addition einer beliebigen Kon-stanten.Von diesem Theorem geben wir eine Plausibilitatsbetrachtung. Wir betrach-ten den Summand f(ak)(ak+1 − ak) fur sehr kleine Intervalle ak+1 − ak undschreiben, im Sinne der Taylor Approximation

f(ak)(ak+1 − ak).= F (ak+1)− F (ak)

Im Sinne des Taylor Entwicklungssatzes ist F (ak) leicht zu identifizieren alsdie Funktion, fur welche F ′(x) |ak

= f(x) |ak. Somit ergibt sich (ii). In der

Summe uber k von den Gliedern F (xk+1) − F (xk), startend von ak=0 = x0

bis ak=n = x, fallen alle Terme in der summe aus, ausser F (a0) und F (an),die nicht kompensiert werden. Somit ergibt sich die Behauptung (i). DieStammfunktion von f(x) wird formell als

∫f(x)dx bezeichnet. Integrale ohne

Integrationsgrenzen bezeichnen also Integrale oder Stammfunktionen. Ausdiesem Satz ergeben sich auch einige wichtige Rechenregeln.

1. ∫ c

af(x)dx =

∫ b

af(x)dx +

∫ c

bf(x)dx

2. ∫ b

af(x)dx = −

∫ a

bf(x)dx

3. ∫ b

a[f1(x) + f2(x)dx =

∫ b

af1(x)dx +

∫ b

af2(x)dx

4. ∫ b

aλ · f(x)dx = λ

∫ b

af(x)dx

5.

d

dx∈x

a f(t)dt = f(x)

6. ∫ c

af(x)dx =

∫ b

af(x)dx +

∫ c

bf(x)dx

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 18

Substitutionsregel. Die Umkehrung der Kettenregel ergibt die folgendeIntegrationsformel, die durch Ableiten der rechten Seiten bewiesen werdenkann. Gegeben f : [a, b]→ [c, d], stetig und differenzierbar und g :→ [c, d]→R stetig mit Stammfunktion G(x). Dann∫

g(f(x))f ′(x)dx = G(f(x))

Fur das bestimmte Integral bedeutet dies,

∫ b

ag(f(x)f ′(x)dx = G(f(b))−G(f(a)) =

∫ f(b)

f(a)g(t)dt

Die Integrationsgrenzen mussen mitransformiert werden.Partielle Integration. Fur stetig differenzierbare Funktionen f und g gilt∫

f(x) · g′(x)dx = f · g −∫

f ′(x)g(x)dx

Grund: Nach der Produktregel ist fg′ + g′f = (fg)′, und die Stammfunktionvon (fg)′ ist fg. Fur das bestimmte Integral bedeutet dies

∫ b

af(x)g′(x)dx = fg |ba −

∫ b

af(x)g′(x)dx

1.3 Funktionen mehrerer Variablen

Der Begriff des Feldes stellt ein fundamentales Konzept in der Physik dar.Man unterscheidet zwischen Skalarfeldern und Vektorfeldern, welche auf E3

definiert sind. Ein Skalarfeld Φ(�r) = Φ(x, y, z) ist eine skalarwertige Funk-tion dreier unabhangiger Variablen. Als Beispiel betrachten wir die Funkti-on Φ(�r) = α/(

√x2 + y2 + z2). Graphisch stellt man solche Felder durch 2-

dimensionale Schnitte dar, in denen die Flachen Φ(�r) = Konst (Aquipotentialflache)als Hohenlinien erscheinen. Der Abstand der Linien entspricht dabei gleichenWertunterschieden der Konstanten. Ein Vektorfeld ordnet jedem Punkt imRaum eine vektorwertige Funktion �K = �K(�r) zu. Als Beispiel betrachten

wir das Gravitationsfeld eines Massenpunktes: �K(�r) = −m �r(x2+y2+z2)3/2 . Gra-

phisch lassen sich Vektorfelder mittels Feldlinien darstellen, wobei das Feldtangential zur Feldlinie verlauft. Die Dichte der Feldlinien ist dann ein Massfur die Starke des Feldes.

Fur Skalarfelder kann man den Begriff der partiellen Ableitung einfuhren:

∂Φ

∂x.= lim

∆x→0

Φ(x + ∆x, y, z)− Φ(x, y, z)

∆x

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 19

Abbildung 1.8: Graphische Darstellung von Feldern

Abbildung 1.9: Konstruktion zur Berechnung von dΦ (links) und graphischeDeutung des Gradienten (rechts)

(und ahnlich fur y, z). Damit lasst sich die raumliche Anderung der Skalarfel-der beschreiben. Wir betrachten zwei Punkte �r1 und �r2, die durch eine kleineStrecke d�r voneinander getrennt sind.Die Anderung dΦ = Φ(�r2)− Φ(�r1) ist gegeben durch die folgende Summe:

dΦ =∂Φ

∂xdx +

∂Φ

∂ydy +

∂Φ

∂zdz

= (∂Φ

∂x,∂Φ

∂y,∂Φ

∂z) · (dx, dy, dz)

.= �∇Φ · d�r

wobei �∇Φ der Gradient von Φ und dΦ das totale Differenzial des Feldes Φsind. Der Gradient lasst sich deuten, indem man d�r in die Richtung wahlt,so dass dΦ = 0 in dieser Richtung ist. Aus der Gleichung �∇Φ · d�r0 = 0 folgt,dass �∇Φ senkrecht auf d�r0 steht. Andererseits definiert dΦ = 0 Flachen

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 20

Φ = Konst., so dass �∇Φ senkrecht auf den Aquipotenzialflachen steht. SeinBetrag ist ein Mass fur die Starke der Anderung von Φ, wenn man senkrechtzu den Aquipotenzialflachen fortschreitet.Fur ein Vektorfeld �K kann man den Begriff des Linienintegrals einfuhren (inder Physik spricht man von ”Arbeit” A oder W ). Die Arbeit, die eine Kraftausubt, um einen Gegenstand von Punkt P1 zu Punkt P2 entlang des WegsC zu bewegen, ist definiert als Wegintegral der Kraft

W =∫

C

�K · d�r

mit d�r = (dx, dy, dz). Das Inkrement d�r ist ein Vektor, die Arbeit hingegenist aufgrund des Skalarproduktes ein Skalar.C ist hierbei die Bezeichnung fur die Raumkurve �r (t) zwischen dem An-fangspunkt P1 = �r (t1) und dem Endpunkt P2 = �r (t2). Wir geben nun eineMoglichkeit an, das Linienintegral explizit zu berechnen. Dazu zerlegen wirdas Vektorfeld �K in seine kartesischen Komponenten und setzen dies in dasIntegral ein:

∫ �K · d�r =∫(Kx, Ky, Kz) · d�r. Die kartesischen Komponenten

Fi sind noch eine Funktion des Ortes, d.h. Ki = Ki(x, y, z) mit x = x(t),y = y(t) und z = z(t). Fur das Integral benotigen wir die Komponenten des

Vektorfeldes �K entlang der Raumkurve in Abhangigkeit des Parameters t.Wir erhalten dies, indem wir die entsprechenden Komponenten der Raum-kurve �r (t) in Kx, Ky und Kz einsetzen. Fur d�r schreiben wir d�r = d�r

dt· dt.

Fur das Arbeitsintegral ergibt sich durch Einsetzen

∫C

�K · d�r =∫C

[�K(x(t), y(t), z(t)) · d�r

dt

]dt

=∫ tE

tA

[Kx(t)

dx

dt+ Ky(t)

dy

dt+ Kz(t)

dz

dt

]dt .

Damit ubersetzen wir das Linienintegral in die Summe gewohnlicher eindi-mensionaler Integrale.Beispiel. Das Vektorfeld �K und die Raumkurve �r (t) seien gegeben durch�K = (0, 0,−mg) und (v0t, 0, z0−1/2gt2). Die von der Kraft geleistete Arbeitzwischen den Zeiten t1, t2 ist

t2∫t1

�K · d�r =

t2∫t1

[0, 0,−mg][v0, 0,−gt]dt

=1

2mg2(t22 − t21)

= mg · z1 −mg · z2

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KAPITEL 1. MATHEMATISCHE HILFSMITTEL 21

Falls �K = − �∇Φ, heisst das Vektorfeld konservativ. Fur solche Felder gilt− �K ·d�r = dΦ. Somit ist

∫ �K ·d�r = Φ(P1)−Φ(P2): Wegintegrale uber konser-vative Felder zwischen den Punkten P1 und P2 sind unabhangig vom explizitgewahlten Weg, und sind nur vom Wert des skalaren Feldes am AnfangspunktP1 und am Endpunkt P2 abhangig.

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Kapitel 2

Newtonsche Mechanik

Nach der mathematischen Einfuhrung sind wir jetzt im Stande, sowohl einestrenge Diskussion der Bahnkurve (Kinematik) als auch der Gesetze, die dieBahnkurven bestimmen, durchzufuhren. Wir diskutieren zuerst die Darstel-lung der Bahnkurve sowie die Berechnung der Geschwindigkeit und der Be-schleunigung, die in verschiedenen Koordinaten stattfinden kann. Setzt mankartesische Koordinaten voraus, dann bilden die Basisvektoren des Euklidi-schen Raums E3 ein orthonormiertes Basissystem, welches die Darstellungdes Ortvektors einer Bahnkurve als

�r(t) = x(t)�ex + y(t)�ey + z(t)�ez

erlaubt. Durch eine Abbildung von E3 in den Vektorraum der Zahlentrippelerreichen wir eine mogliche Darstellung von �r(t) als Zahlentrippel (x(t), y(t)z(t)).Ein Massenpunkt P in E3 hat dementsprechend 3 Freiheitsgrade, d.h. sei-ne Lage ist durch die Angabe von 3 Koordinaten eindeutig festgelegt. Einwichtiger Begriff ist die Geschwindigkeit eines Massenpunktes:

˙�r(t).=

d�r

dt= x(t)�ex + y(t)�ey + z(t)�ez

In kartesischenKoordinaten besitzt deshalb �r die Darstellung (x(t), y(t), z(t)).Fur die Ableitung einer Vektorfunktion gelten folgende Regeln:

d

dt[f(t)�a(t)] = f(t)�a(t) + f(t) �a(t) ,

d

dt[�a(t) ·�b(t)] = �a(t) ·�b(t) + �a(t) · �b(t) ,

d

dt[�a(t)×�b(t)] = �a(t)×�b(t) + �a(t)× �b(t) .

22

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KAPITEL 2. NEWTONSCHE MECHANIK 23

Hohere Ableitungen einer Vektorfunktion lassen sich entsprechend definieren.Fur analytische Vektorfunktionen gilt die Taylor Entwicklung um t = t0:

�r(t) = �r(t)|t0 +�r(t)|t0

1!· (t− t0) +

�r(t)|t02!· (t− t0)

2 + . . .

Die Integration von vektorwertigen Funktionen erfolgt auch komponenten-weise: ∫ t1

t0�r(t)dt =

(∫ t1

t0x(t)dt,

∫ t1

t0y(t)dt,

∫ t1

t0z(t)dt

)Die Beschleunigung eines Massenpunktes ist

�r(t).=

d2�r

dt2= x(t)�ex + y(t)�ey + z(t)�ez

Bei der Berechnung der Ableitung wird verwendet, dass die Basisvektoren�ei zeitunabhangig sind (raumfestes Dreibein). In der Physik ist es oft ratsam,bei der Losung eines konkreten Problems, solche Koordinaten zu benutzen,die der Geometrie der Aufgabenstellung entsprechen. Bei der Zylindersym-metrie der potentiellen Energie (Aquipotenzialflachen sind die Mantel einesZylinders) wahlt man demzufolge Zylinderkoordinaten, bei der Kugelsymme-trie (Aquipotenzialflachen sind Kugelflachen) Kugelkoordinaten, usw. SolcheKoordinaten sind durch (nichtlineare) Transformationen aus dem kartesi-schen Koordinatensystem zu gewinnen. Wir untersuchen als Beispiel denUbergang von ebenen kartesischen zu ebenen Polarkoordinaten. In diesemFall ist der Raum 2-dimensional und die Polarkoordinaten sind durch

x = x(ρ, ϕ) = ρ cos ϕ

y = y(ρ, ϕ) = ρ cos ϕ

definiert. Setzen wir ρ = Konst., dann wird durch variieren von ϕ eine Kurvebeschrieben, die ϕ-Koordinatenlinie. Setzen wir ϕ = Kost, dann erhalten wireine durch ρ parametrisierte Koordinatenlinie, siehe Abbildung. Die gleicheOperation zur Erzeugung von Koordinatenlinien in kartesische Koordinatenfuhrt zu Geraden, die parallel zur x-bzw. y-Achse laufen. Deswegen bezeich-net man Polarkoordinaten als ein Beispiel ”krummliniger” Koordinaten. Wirstellen nun die Frage nach den zu den krummlinigen Koordinaten zugehorigenBasisvektoren und wie man diese bestimmt. Zur Bestimmung der Basisvek-toren gehen wir von dem infinitesimalen Vektor

d�r = dx�ex + dy�ey + dz�ez

aus. Andererseits laßt sich d�r auch als totales Differenzial auffassen

d�r =∂�r

∂xdx +

∂�r

∂ydy +

∂�r

∂zdz

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KAPITEL 2. NEWTONSCHE MECHANIK 24

Abbildung 2.1:

Vergleichen wir die beiden Ausdrucke miteinander, dann erhalt man die Be-ziehung

�ej =∂�r

∂xj

wonach die Basisvektoren eindeutig mit den Koordinaten xj verknupft sind.Das verallgemeinern wir fur beliebige krummlinige Koordinaten qi zu

�eqi= b−1

qi

∂�r

∂qi

mit dem Skalenfaktor

bqi=

∣∣∣∣∣ ∂�r

∂qi

∣∣∣∣∣ , (2.1)

welcher die Normierung |�eqi| = 1 gewahrleistet. Wir berechnen nun die Ba-

sisvektoren fur die ebenen Polarkoordinaten. Ausgehend von

�r = ρ cos ϕ�ex + ρ sin ϕ�ey

erhalten wir

∂�r

∂ϕ=

( −ρ sin ϕρ cos ϕ

)und

∂�r

∂ρ=

(cos ϕsin ϕ

)(2.2)

und schließlich

�eϕ =

( − sin ϕcos ϕ

)und �eρ =

(cos ϕsin ϕ

). (2.3)

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KAPITEL 2. NEWTONSCHE MECHANIK 25

Die Skalenfaktoren sind hier bρ = 1 und bϕ = ρ. Die Basisvektoren sind zu-einander orthogonal und tangential zu den Koordinatenlinien. Alle Vektorenin E2 lassen sich als Linearkombination dieser Basisvektoren schreiben. �r istρ�eρ. Aufgrund dieser Resultate konnen wir schreiben

d�r =∑ ∂�r

∂qidqi =

∑i

bidqi�eqi= dρ�eρ + ρdϕ�eϕ

Mir d�r erhalten wir die Geschwindigkeit

d�r

dt= ρ�eρ + ρϕ�eϕ

Die Beschleunigung betragt

d2�r

dt2=

d

dt[ρ�eρ + ρϕ�eϕ]

Mit �eρ = ϕ�eϕ und �eϕ = −ϕ�eρ erhalten wir

�r = (ρ− ρϕ2)�eρ + (ρϕ + 2ρϕ)�eϕ

2.1 Newtonsche Bewegungsgleichungen

Der direkteste Weg, die Bewegung von P zu erfassen, ist die Messung von �r(t)uber ein gewisses Zeitintervall. Dadurch lasst sich vielleicht ein Gesetz erken-nen, mit dessen Hilfe man den weiteren Verlauf der Bewegung voraussagenkann. So haben Naturwissenschaftler bis und mit Galileo Galilei gearbeitet.Durch unzahlige Beobachtungen hatte man ein sehr genaues Bild, z.B. derDynamik der Planeten und der Sterne (fast genau so wie unseres) erlangt,und konnte damit schon Begriffe wie die jahrliche Periodizitat der Erdbewe-gung um die Sonne formulieren. Das Experiment von Galileo auf dem Turmvon Pisa ist in diesem Sinne ein Merkmal in der Geschichte der Physik: Erlasst eine Kugel aus einer Hohe z0 fallen, misst ihre Lage z als Funktionder Zeit und schliesst auf ein t2-Gesetz: z(t) = z0 − 1

2gt2. Galileo war da-

nach im Stande, die Position der Kugel zu jeder Zeit anzugeben. Allerdingsmochte man die Bewegung durch Gesetze formulieren, die moglichst einfachsind und es gestatten, eine moglichst grosse Anzahl Phenomane zu beschrei-ben oder vorherzusagen. In dieser Richtung ist die Beobachtung wichtig,dass die Ortsangabe zu einer bestimmten Zeit nicht reicht, um die spatereLage des Massenpunktes zu lokalisieren. Seine Anfangsgeschwingdigkeit istebenso wichtig, da sie bei einem vorgegebenen Anfangsort zu einer vollig an-deren Bahn fuhren kann. Von Newton stammt der Versuch die Bahnkurve

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KAPITEL 2. NEWTONSCHE MECHANIK 26

als Losung einer Differenzialgleichung fur �r zu vorgegebenen Anfangsbedin-gungen �r(t = t0) = �r0, �r(t = t0) = �v0 zu suchen (2. Newtonsche Axiom):

m�r(t) = �K(�r(t), �r(t), t)

Der Vektor an der rechten Seite wird als Kraft definiert (Einheiten: 1N =1Newton = 1kg m

s2 ) und bestimmt, durch die DGL, die eigentliche Dynamikdes Massenpunktes. Die einfachste Kraft ist K ≡ 0: die obige Gleichungbesagt dann, dass die zweite Ableitung nach der Zeit der Bahnkurve 0 ist.Somit ist die allgemeinste Losung der Bewegungsgleichung

�r(t) = �r0 + �v0 · t

(verifizieren Sie das Resultat durch explizites zweimal Ableiten nach t vomobigen Ausdruck). �r0 und �v0 sind Integrationskonstanten, welche durch dieAnfangsbedingungen zu bestimmen sind. Ohne Kraft bewegt sich ein Mas-senpunkt entlang einer Geraden mit kostantem Geschwindigkeitsvektor (1.

Newtonche Axiom). Falls �K �= 0 erwarten wir eine nicht-gleichformige Be-wegung. Die zentrale Frage der Mechanik ist dann, die moglichen Kraftezu finden, die die Bewegung zu jeder Zeit t beeinflussen konnen. Falls dieseKrafte bekannt sind, dann lasst sich die Bahnkurve im Prinzip genau berech-nen, solange wir es schaffen, die BGL zu integrieren. Fur die Bestimmung derrelevanten Krafte gibt es leider kein fundamentales Prinzip oder Protokoll: esist die Aufgabe der Experimentalphysik genugend Fakten auszuarbeiten, diezu einer Krafthypothese fuhren konnen, welche anschliessend durch weitereBeobachtungen bestatigt oder wiederlegt wird.

2.2 Gewohnliche Differenzialgleichungen (DGL)

Sei �f(t, �y) : RxRm → Rm eine Funktion (evtl. definiert auf eine TeilmengeD von RxRm, dann heisst

�y′ = �f(t, �y)

gewohnliche Differenzialgleichung 1.Ordnung. Unter einer Losung verstehtman die vektorwertige Funtion �y : R → Rm, deren Graph im Definitionsbe-reich von f liegt, und die DGL �y′(t) = �f(t, �y(t)). Das sog. Anfangswertpro-blem besteht aus der DGL und der Vorgabe einer Anfangsbedingung (x0, �y0)aus D. Dabei hat eine Losung �y(t) sowohl die DGL als auch �y(x0) = x0 zuerfullen.Beispiel: y = −y/λ. λ sei eine charakteristische feste Zeit. Diese DGL be-sagt, dass die zeitliche Anderung der Funktion y proportional zu y ist. Je

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KAPITEL 2. NEWTONSCHE MECHANIK 27

mehr ”Atome” der radioaktiven Sorte y wir haben, desto grosser ist die Men-ge, welche radioaktiv zerfallt. Wir wollen die Losung zur Anfangsbedingungy(t0) = y0 finden. Diese DGL ist vom Typ ” DGL mit getrennten Variablen”,d.h. f(t, y) = g(t) · h(y). Diese DGL konnen wir folgenderweise integrieren:

y′(s)h(y(s))

= g(s)

Integrieren beider Seiten von t0 bis t ergibt

∫ t

t0

y′(s)h(y(s))

ds =∫ y(t)

y(t0

du

h(u)=∫ y

y0

1

h(u)du =

∫ t

t0g(s)ds

Dies ergibt eine implizite Bestimmungsgleichung fur y(t), die nur eine In-tegration und Anfangsbedingungen involviert. In unserem Spezialfall ergibtdieses Verfahren ∫ y

y0

1

udu =

∫ t

t0

−1

λdu

welche die Losung

y(t) = y0 · e−(t−t0)

λ

hat. Dies ist die Losung der ursprunglichen DGL, welche auch die Anfangs-bedingungen erfullt. Interessante Anwendungen hat diese DGL und derenLosung fur die Altersbestimmung organischer Objekte. Zur Zeit des Todes(t0) horen organische Substanzen auf, C12 – die stabile Version von Kohlen-stoff – und das radioktive Isotop C14 aufzunehmen. Bis t0 sind beide Formen

von C mit einer bekannten relativen KonzentrationNC14 (t0)

NC12 (t0)– die wir aus heu-

tige Messungen kennen – vorhanden. Misst man deren relative Konzentrationzu einer spateren Zeit t (etwa die Gegenwart), dann erwarten wir

NC14(t)

NC12(t)=

NC14(t0)

NC12(t0)· e− t−t0

λ

Bei bekannter Halbwertszeit λ des radiokativen Isotops C14 lasst sich ausder Messung der relativen Konzentration der beiden Arten Kohlenstoff t− t0sehr genau festlegen (die Genauigkeit hangt davon ab, wie genau wir dieKonzentrazion messen konnen).

Ein wichtiger Spezialfall sind lineare DGL der Form f(t, y) = −a(t)y+g(t)bzw. y′ + a(t)y = g(t). Bei g(t) = 0 spricht man von einer homogenen DGL,sonst von einer imhomogene DGL (g(t) ist dann die Inhomogenitat). DieLinearitat der DGL bedeutet, dass die Linearkombination von zwei Losun-gen auch eine Losung ist. Aufgrung dieser Superpositionsmoglichkeit, findetman die allgemeine Losung der inhomogenen DGL durch Superposition einer

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KAPITEL 2. NEWTONSCHE MECHANIK 28

speziellen Losung ysp(t) der inhomogenen DGL (i) mit der (im Allgemeineneinparametrig) allgemeinen Losung der homogenen DG (ii).zu (ii): Die allgemeine Losung ist eine einparametrige Schar von Kurvenyhom(t) = αe−A(t), wobei A(t) eine Stammfunktion von a(t) istzu i: Eine spezielle Losung der inhomonenen DGL findet man durch die Me-thode der Variation der Konstanten. Die Losung der hom. DGL wird zuα(t)e−A(t) modifiziert, und diese Funktion wird als Ansatz fur die inhomgo-gene DGL benutzt. Einsetzen ergibt

α′(t) = eA(t)g(t)

Diese letzte DGL wird durch eine beliebige Stammfunktion von eA(t)g(t)gelost.

Sei �f(t, �y1, �y2, ...., �yn) : RxRmxRm → Rm eine Funktion (evt. definiert aufeine Teilmenge D von RXRmx...Rm), dann heisst

�y(n) = �f(t, �y, �y′, ..., �y(n−1))

gewohnliche DGL n-ter Ordnung. Die Newtonsche BGL ist eine gewohnlicheDGL 2-ter Ordnung fur die Vektorfunktion x(t), y(t), z(t), mit

�f = �K(t, x, y, z, x′, y′, z′)

Eine wichtige Klasse ist die lineare DGL nter-Ordnung mit konstanten Ko-effizienten.

any(n) + an−1y(n−1) + ... + a1y

′ + a0y = g(x)

Die Losung der homogenen DGL suchen wir durch den Ansatz y(t) = eλt.Das fuhrt zu einer algebraischen Gleichung fur λ:

anλn + an−1λn−1 + ... + a1λ + a0 = 0

Die Nullstellen konnen komplex sein. Falls Nullstellen entartet sind, so mussder obige Ansatz zu y(t) = Polynom(t)eλt modifiziert werden. Die allgemeineLosung der DGL ist wieder die Superposition einer speziellen Losung mit derallgemeinen Losung der hom. DGL.

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Kapitel 3

Eindimensionale Probleme

3.1 Der harmonische Oszillator

3.1.1 Freie Schwingungen

Die Bewegung eines Massenpunktes mit einem Freiheitsgrad – den wir alskartesische Koordinate x annehmen – heisst eindimensionale Bewegung. Wirbetrachten zuert eindimensionale Krafte, mit K(x)

.= −dU(x)

dx. U(x) ist die

potentielle Energie der Bewegung. Somit ist die BGL

mx(t) = −dU(x)

dx

Abbildung 3.1: Graphische Darstellung von U(x)

Die Abbildung gibt den Verlauf der potentiellen Energie, welche zum Bei-spiel bei der chemischen Bindung zweier Atome aus der Quantenmechanik

29

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 30

erwartet wird (siehe Physik IV). Die Atome sind entlang einer Geraden ange-ordnet, die Koordinate x bezeichnet deren Abstand. Ein zur Abbildung ahn-licher Verlauf beobachtet man fur das Paarpotential bei der chemischen Bin-dung aller Arten. Die potentielle Energie ist durch ein Minimum x0 von U(x)charakterisiert, welches einen Gleichgewichtsabstand zwischen den Atomendarstellt. Die Bindungsenergie betragt U(x0). Das bedeutet, dass das An-gehen einer Bindung zu einer Energiesenkung gegenuber freien Bestandteilefuhrt. Warum bei x0 zwei Atome ”gebunden” sind, kann auch ”mechanisch”erklart werden: sollte ein Atom versuchen, die Gleichgewichtslage zu verlas-sen, spurt es eine rucktreibende Kraft −dU

dx, die es wieder zu x0 fuhrt. Bei x0

selbst ist die auf die Bestandteile wirkende Kraft genau Null: das Molekulist im Grundzustand und, mechanisch gesehen, sind die Atome in Ruhe.Angeregte Zustande kann man erreichen, indem man (zum Beispiel durchEinstrahlung von Licht oder Warmezufuhr) den Abstand der beiden Atomeleicht verkleinert oder vergrossert. Daraus entsteht eine Bewegung, welcheals Schwingung bekannt ist. Schwingungen sind wichtige angeregte Zustandevon Molekulen und Festkorpern. Schwingungen sind ein sehr verbreiteterBewegungstyp mechanischer Systeme. Atome in Molekulen und Festkorpernkonnen zum Schwingen gebracht werden, und die spektroskopische Unter-suchung solcher Schwingungzustande ist ausserordentlich nutzlich, sowohl inder Physik als auch in der Chemie und Biologie.

Wir wollen jetzt diese Bewegung vollstanding charakterisieren. In derNahe des Minimums lasst sich U(x) folgendermassen approximieren:

U(x) ≈ U(x0) + (x− x0) · U ′(x0) +(x− x0)

2

2!U ′′(x0)

Da U(x) bei x0 ein Minimum besitzt, ist U ′(x0) = 0. Das erste nicht ver-schwindende Glied ist das proportional zu (x− x0)

2. Damit ist

U(x) = U(x0) + (x− x0)2U ′′(x0)

2

Diese Naherung, die nur fur kleine Schwingungen gilt, heisst harmonischeApproximation. In der harmonischen Naherung, lasst sich die BGL als

mx = −U ′′(x0) · (x− x0)

schreiben. Ublicherweise setz man die Grosse U ′′(x0).= k und U ′′(x0)

m= ω2

0

(Einheit: 1s2 ). Die Bedeutung von ω0 als charakteristische Frequenz der Be-

wegung wird bald klar. Somit ist die BGL (fur die Variable u = x− x0), diedie Abweichung von der Gleichgewichtskoordinate x0 beschreibt

u + ω20u = 0

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 31

Die dazugehorige charakteristische (algebraische) Gleichung ist λ2 + ω20 = 0,

mit der allgemeinen Losung u(t) = C1 cos(ω0t)+C2 sin(ω0t) = A·cos(ω0t+ϕ),mit

1. ω0 : Eigen(kreis)frequenz

2. A: maximale Amplitude

3. ϕ: Phasenwinkel

4. ν = ω02π : Eigenfrequenz

5. T = 1ν

= 2πω0

: Schwingungsdauer (Periode)

Einige Spezialfalle verdienen besondere Beachtung.

1. Wir lenken den Oszillator anfangs um u0 aus, lassen ihn dann los undbetrachten seine Schwingung. Die Anfangsbedingungen lauten offenbaru(0) = u0, u(0) = 0. Die Losung zu diesen Anfangsbedingungen istdeshalb u(t) = u0 cos ω0t. Die Anfangselongation ist gleichzeitig diemaximale Amplitude der Schwingung.

2. Wir stossen den Korper in seiner Ruhelage an und verleihen ihm dieGeschwindigkeit v0, u(0) = 0, v(0) = v0. Dies fuhrt zu u(t) = v0

ω0sin ω0t.

Die maximale Amplitude der Schwingung ist somit A = v0

ω0.

Ein wichtiges Merkmal der Schwingung in der harmonischen Naherung ist dieUnabhangigkeit von T von der Amplitude A, wie die explizite Losung zeigt.Daruberhinaus erkennen wir eine weitere Grosse, die wahrend der ganzenBewegung den gleichen Wert annimt: es ist die totale Energie des Mas-senpunktes, die sich aus der kinetischen Energie 1

2mu2 und der potentiellen

Energie 12ku2 zusammensetzt (wir wahlen U(x0)=0). Es gilt namlich

Ekin + U(u) =1

2mA2ω2

0 sin2(ω0t + ϕ)

+1

2mω2

0A2 cos2(ω0t + ϕ) = m · ω2

0 · A2

Die totale Energie ist eine Erhaltungsgrosse der Bewegung.

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 32

3.1.2 Erzwungene Schwingung

Wir gehen nun zur Betrachtung von Schwingungen eines Systems uber, aufdas ein ausseres veranderliches Feld wirkt. Derartige Schwingungen heissenerzwungene Schwingungen im Gegensatz zu den im vorherigen Paragraphenuntersuchten freien Schwingungen. Bei der Anwesenheit eines ausseren Feldesbesitzt das System neben der eigenen potentiellen Energie 1/2k(x − x0)

2

ausserdem die potentielle Energie V (x, t), die von der Wirkung des ausserenFeldes herruhrt. Wenn wir dieses Zusatzglied in einer Potenzreihe von derkleinen Grosse x entwickeln, erhalten wir

V (x, t) = U(x0, t) + (x− x0)∂V

∂x

∣∣∣x=x0

Das erste Glied hangt nur von der Zeit ab und kommt bei der Aufstellungder BG nicht vor. Im zweiten Glied ist −∂U

∂x

∣∣∣x=x0

die aussere Kraft, die auf

das System in der Gleichgewichtslage wirkt und eine vorgegebene Funktionder Zeit ist. Wir bezeichnen sie mit F (t). Die BGL lautet

u + ω20 · u =

1

mF (t)

wo wir wiederum die Frequenz ω0 der freien Schwingung eingefuhrt haben.Wir betrachten nun einen Fall von besonderem Interesse, bei dem die aussereKraft ebenfalls eine einfache periodische Funktion der Zeit mit der Frequenzγ ist: F (t) = f · cos γt darstellt. Um eine spezielle Losung zu suchen, fuhrenwir den Ansatz usp = b cos γt durch, mit dem gleichen periodischen Faktor.Einsetzen in die DG ergibt die charakteristische Gleichung

bγ2 − bω20 +

f

m= 0

deren Losung b = fm(ω2

0−γ2)ist. Die allgemeine Losung der inhom. DG ist

A cos(ω0t + ϕ) +f

m(ω20 − γ2)

cos γt

Die freien Konstanten A und ϕ bestimmen sich aus den Anfangsbedingun-gen. Das bedeutet, dass das System unter der Wirkung ausserer periodischerKrafte eine Bewegung ausfuhrt, die sich aus zwei Schwingungen zusammen-setzt. Aus einer Schwingung mit der Eigenfrequenz ω0 des Systems und auseiner Schwingung mit der Frequenz γ der ausseren Kraft. Der Verlauf derAmplitude der speziellen Losung ist in der folgenden Skizze dargestellt: Die

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 33

0

00

negative Amplitude fur γ ≥ ω0 kann man auch als positive Amplitude einerum −π verschobenen cos γt darstellen, d.h. die Losung lasst sich als

A cos(ω0t + ϕ) + | f

m(ω20 − γ2)

| cos γt, γ < ω0

A cos(ω0t + ϕ) + | f

m(ω20 − γ2)

| cos(γt− π), γ > ω0

darstellen.Die gegebene Losung gilt nicht im Fall der sog. Resonanz, d.h. wenn

die Frequenz der ausseren Kraft mit der Eigenfrequenz des Systems zusam-menfallt. Um die allgemeine Losung der BG in diesem Falle zu finden, ver-suchen wir eine spezielle Losung mit dem Ansatz

usp = b(cos γt− cos ω0t)

zu finden. Die Motivation fur diesen Ansatz ist die Folgende: In der vorigenLosung strebte der Denominator fur γ → ω0 nach Null. Damit diese Diver-genz auf irgendeine Weise kompensiert wird und eine wohldefinierte Losungexistiert, mussen wir dafur sorgen, dass auch der Numerator fur γ → ω0 nach0 strebt. Einsetzen in der DG (zuerst nehmen wir formell γ �= ω0) ergibt

−bγ2 cos γt + bω20 cos ω0t + bω2

0(cos γt− cos ω0t)

= b(ω20 − γ2) cos γt

=f

mcos γt⇒

b =f

m(ω20 − γ2)

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 34

Die Funktion, die die Losung im Fall der Resonanz darstellt, finden wir alsResultat von

limγ→ω0

[f

m(ω20 − γ2)

(cos γt− cos ω0t)]γ=ω0+ε

=

= limε→0

[f

m(2ω0 + ε)(−ε)cos((ω0 + ε)t)− cos ω0t]

Durch Benutzung der triginometrischen Identitat cos(α + β) = cos α cos β −sin α sin β erhalten wir

cos((ω0 + ε)t)− cos ω0t = cos ω0t · cos εt− sin ω0t · sin εt− cos ω0tkleines ε

= cos ω0t · 1− sin(ω0t) · εt− cos ω0t

und

limε→0

[f

m(2ω0 + ε)(−ε)cos(ω0 + ε)t− cos ω0t]

=f

2mω0εεt · sin ω0t

= f2mω0

t · sin ω0t

Die allgemeine Losung lautet dann

u(t) = A · cos(ω0t + ϕ) +f

2mω0t · sin ω0t

Im Resonanzfall, steigt die Schwingungsamplitude linear mit der Zeit (solan-ge sie nicht so gross wird, dass die gesamte dargelegte Theorie nicht mehranwendbar ist!). Die Erscheinung der Resonanz hat viele Anwendungen in

Abbildung 3.2: Verlauf der Schwingung im Resonanzfall

der Physik und uberhaupt in den Naturwissenschaften. Auf einige davon

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 35

werden wir naher eingehen. Die Resonanz kann aber auch sehr gefahrlichwerden, z.B. fur Maschinenteile wie Turbinenwellen, wenn die Eigenfrequenzder Welle gleich ihrer Umlauffrequenz wird. Beim Anfahren von Gasturbi-nen, bei denen die Betriebsfrequenz oberhalb der Eigenfrequenz liegt, mussdeshalb moglichst schnell uber die Resonanzstelle hinweg gefahren werden.Neben der Amplitude ist auch die von der ausseren Kraft zugefuhrte Ener-gie eine Grosse, die oft den Resonanzprozess charakterisiert. Nach unserenDefinitionen ist die in einer Periode τ = 2π/ω0 zugefuhrten Arbeit

A↙ =∫ u(t)

u(0)F↙dx =

∫ τ

0F↙(t)

du

dtdt

Wir unterscheiden zwischen zwei Fallen: γ �= ω0 und γ = ω0. Im ersten Fall istdie zugefugte Energie (oder, anders ausgedruckt, die vom System absorbierteEnergie) null:

−∫ τ

0f · cosγt

f

m(ω20 − γ2)

γ · sinγt ∝∫ τ

0cosγt · sinγt =

= cosγt · sinγtt= 0 !

Nur im Resonanzfall ist das System imstande, Energie zu absorbieren, namlich

∫ τ

0

f 2

2mω0ω0 · cosω0t · t · cosω0t dt =

f 2

2m

∫ τ

0t · cos2ω0t dt =

=f 2

2m(τ 2

2− τ 2

4) =

f 2

8mτ 2

Diese Moglichkeit, nur bei der Resonanz einem System Energie zuzufuhren,ist die Grundlage fur die Absorption von Licht durch Materie, und findet zumBeispiel in der Spektroskopie eine wichtige Anwendung (die τ2-Abhangigkeitder absorbierten Energie wird in der Tat nicht beobachtet: Man beobachtet eher eine τ -Abhangigkeit, die dazu fuhrt, dass die absorbierte Energie pro Zeiteinheit konstant ist.Wir werden sehen, wie die Einfuhrung der Dampfung zur notigen Korrektur fuhrt.)

3.1.3 Gedampfte Schwingung

Bis jetzt haben wir angenommen, dass die Bewegung der Masse im leerenRaum stattfindet, oder dass der Einfluss des Mediums auf die Bewegungvernachlassigbar ist. In Wirklichkeit setzt das Medium der Bewegung desKorpers einen Widerstand entgegen, der sie zu verlangsamen sucht (Rei-bung). Die Reibung modifiziert den Ablauf der Bewegung, wie wir im kon-kreten Fall des harmonischen Oszillators berechnen wollen. Man simuliert

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 36

oft Reibung, indem man eine Reibungskraft in die BGL einfuhrt. Eine sol-che Reibungskraft nimmt fur den hier betrachteten Fall der eindimensio-nalen Schwingung die Form fD = −D · x, D > 0 an. Das Minuszeichenbedeutet, dass die Kraft der Bewegung entgegenwirkt. Wenn wir diese Kraftauf der rechten Seite der BG hinzufugen, erhalten wir (zuerst sei F = 0)mu = −ku−Du. Wir teilen durch m und fuhren die Bezeichnungen k

m= ω2

0,Dm

= 2λ ein. Dabei ist ω0 die Frequenz der freien Schwingungen des Systemsohne Reibung. Die Grosse 2λ heisst Dampfungskonstante. Auf diese Weiseerhalten wir die Gleichung

u + 2λu + ω20u = 0

Nach den allgemeinen Regeln fur die Losung linearer DG mit konstantenKoeffizienten setzen wir den Ansatz x = er·t und finden die charakteristischeGleichung r2 + 2λr + ω2

0 = 0 mit den Losungen r1,2 = −λ ±√

λ2 − ω20. Die

allgemeine Losung der Gleichung ist

u(t) = c1er1t + c2e

r2t

Hier mussen zwei Falle unterschieden werden: Fur λ < ω0 erhalten wir zweikomplex konjugierte Werte fur r1,2:

r1,2 = −λ± i√|λ2 − ω2

0|

Die allgemeine Losung der DG ist

u(t) = Ae−λt cos(ωD · t + ϕ)

ωD.=√|λ2 − ω2

0|. Die durch diese Formel dargestellte Bewegung ist einesog. gedampfte Schwingung. Man kann sie als harmonische Schwingung mitexponentiell abnehmender Amplitude ansehen. Die Schwingungsfrequenz istkleiner als die Frequenz der freien Schwingung ohne Reibung. Wir nehmenjetzt an, dass λ > ω0 ist. Dann sind beide Werte von r reell und negativ. Dieallgemeine Losung lautet hier

u(t) = c1e−(λ−√

λ2−ω20)t + c2e

−(λ+√

λ2−ω20)t

Die Bewegung besteht aus einer asymptotischen (bei t→∞) Annaherung andie Gleichgewichtslage ohne Schwingung. Diese Bewegung heisst aperiodisch.Im Automobilbau ist das die Aufgabe der Stossdampfer, die durch starkeBodenunebenheiten entstehenden unangenehmen und auch gefahrlichen Fe-derschwingungen der Karrosserie sofern als moglich aperiodisch zu dampfen.

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 37

In beiden Falle wird eine allfallige Anfangsabweichung aus der Ruhelage mitder Zeit abnehmen, bis die Masse wieder in die Ruhelage zuruck ist. Damp-fung spielt naturlich auch bei erzwungenen Schwingungen eine grosse Rolle.Sie modifiziert den Verlauf des Resonanzvorganges, indem sie auch entferntvon der Resonanz zur Arbeitsubertragung zwischen aussere Kraft und Sy-stem fuhrt. Dabei bremst sie das Wachstum der Amplitude im Resonanzfallzu einem endlichen, stationaren Wert. Die DG lautet

u + 2λu + ω20u =

f

mcos γt

Die allgemeine Losung ist dann (ohne Herleitung)

u(t) = A · e−λt cos(ωDt + ϕ) + b · cos(γt + δ)

mit b = f

m√

(ω20−γ2)+4λ2γ2

und tan δ = 2λγγ2−ω2

0. Der erste Summand nimmt mit

der Zeit exponentiell ab, sodass nach genugend langer Zeit nur noch der”erzwungene” Term b ·cos(γt+δ) ubrig bleibt (aus diesem Grund eignen sichExperimente zur Visualisierung der speziellen Losung!!) Die Phase wechselt

0

0

0

0

Abbildung 3.3: Die Phase δ und die Amplitude b als Funktion von γ fur zweiverschiedene Parameter λ

nicht sprunghaft von 0 zu −π wie beim Fall λ = 0. Der Wechsel findet ineinem engen Frequenzbereich der Breite 2λ in der Umgebung von ω0 statt.Am besten schatzen wir die Wirkung der dissipativen Kraft, indem wir dieubertragene Arbeit im Fall λ �= 0 betrachten. Die in einer Periode absorbierteEnergie ist

A↙λ�=0 = −f · b · γ

∫ τ

0cos γt · (sin γt · cos δ + cos γt · sin δ) =

= −f · b · γ∫ τ

0cos2 γt · sin δ = −f · b · γ cos2 γt

t︸ ︷︷ ︸12τ

sin δ

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 38

⇔ A↙λ�=0 =

f

2· b · γ · τ | sin δ| > 0 !

Die entsprechende absorbierte Leistung ist

A↙

τ=

f

2γb| sin δ|

Im eingeschwungenen Zustand bleibt die Energie eines Systems, das erzwun-

0

Abbildung 3.4: Absorbierte Leistung

gene Schwingungen ausfuhrt, unverandert. Das System absorbiert allerdingsununterbrochen Energie (aus der Quelle der ausseren Kraft), die infolge derReibung dissipiert. Bei der Resonanzfrequenz ist die aufgenommene Leistungmaximal, die scharfe Resonanzlinie bekommt eine endliche Breite. In derTechnik fuhrt man oft zur Charakterisierung der Scharfe einer Resonanzlinieden sog. Q-Faktor als Q = Resonanzfrequenz/Breite der Resonanzkurveein. Da Resonanzerscheinungen eine sehr wichtige Rolle in der Natur spielenund fast in allen Gebieten der Physik vorkommen, wollen wir einige davonbesprechen.

3.1.4 Resonanzphanomene

Beispiel 1: Elektrische Resonanzkreise Ein einfacher elektrischer Resonanz-kreis (oder Schwingungskreis) besteht aus einer Serienschaltung einer Kapa-zitat C, einer Induktivitat L und eines Widerstandes R, hier abgebildet. Dieveranderliche Grosse im elektrischen Schwingkreis ist die transportierte La-dung q in Analogie zu x bei der mechanischen harmonischen Schwingung.Die Schwingungsgleichung fur obigen elektrischen Kreis lautet

q +R

L· q · 1

C · L · q −1

L· V0 · cos ω0t = 0

Die Halbwertsbreite der Resonanzkurve betragt in diesem Fall R/L. Verglei-chen wir die beiden Differenzialgleichungen fur u und q, so konnen wir eine

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 39

rein formale Beziehung entsprechender Grossen finden, die in dieser Tabelleaufgezahlt sind.

Charakteristika Mech. System Elektr. System

Unabhangige Veranderliche t tAbhangige Variable x qTragheit m LDampfung 2λ R

L

Resonanzfrequenz (Eigenfreq.) ω0 =√

km

ω0 =√

1L·C

Schwingungsdauer (Periode) τ = 2π√

mk

τ = 2π√

L · CQ-Faktor ω0

2λω0·L

R

Beispiel 2: Spektroskopien Man kann die Wechselwirkung zwischeneinem System mit atomarer Ausdehnung und elektromagnetischer Strahlungdurch eine klassische erzwungene Schwingung simulieren, indem man die vonaussen angelegte Storkraft mit dem elektrischen Feld der Strahlung identifi-ziert. Systeme mit atomarer Ausdehnung sind durch diskrete Energiewer-te charakterisiert, d.h. durfen nur bestimmte Energiewerte annehmen. Die”Eigenfrequenz” ω0 stellt eine charakteristische Frequenz des Systems dar,und zwar ist sie ein Mass fur den Abstand zwischen zwei Energieniveaus,ω0

.= (E1 − E0)/h, wobei h = h

2π= 1.054 · 10−34kg ·m2/s das Plank’sche

Wirkungsquantum ist. Nur bei der Resonanzfrequenz kann das SystemEnergie absorbieren. Diese Absorption erfolgt durch den Ubergang des Sy-stems vom niedrigen Energieniveau E0 zum angeregten Zustand E1. Durchdiese Resonanzerscheinung entsteht die Moglichkeit, die Energieniveaus ei-nes Systems zu bestimmen: das ist die Grundlage der Spektroskopie, da esermoglicht, verschiedene Systeme anhand deren Absorpsionsspektren zu er-kennen. Mogliche angeregte Zustande eines Molekuls sind Schwingungen, furwelche ω0 mit der klassischen Schwingungsfrequenz ubereinstimmt. Schwin-gungen fuhren zur Absorption im Infrarotbereich: man sprich von Infrarot-spektroskopie. Ein typisches Absorptionsspektrum verursacht durch Schwin-

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 40

gungen, ist in der Figur aufgezeichnet. Die transmittierte Lichtintensitat als

Funktion der Wellenlange des einfallendes Lichts zeigt ein deutliches Trans-missionsminimum, entsprechend einer Energieaufnahme der Molekule, alsoeiner Anregung von Schwingungen. Solche Minima sind charakteristisch furdie betreffende Substanz, und der Chemiker kann daraus die Natur undArt der zu untersuchenden Probe bestimmen. Absorption im Ultraviolettendeutet auf elektronische Anregungen hin, wie der Ubergang zwischen zweiEnergieniveaus im Wasserstoffatom. Die ”Natriumflamme” ist ein typischesBeispiel einer elektronischen Anregung. Das Na-Atom besitzt in seiner elek-tonischen Struktur zwei benachbarte Niveaus, deren Abstand gelbem Lichtentspricht. Auf ein Drahtnetz, das in der Flamme eines Bunsenbrenners steht,wird Kochsalz gestreut, und die Flamme leuchtet gelb, entsprechend der Wel-lenlange des gelben Na-Lichtes 5890 A. Durch das Erhitzen werden einigeAtome in einen angeregten Zustand versetzt. Die angeregten Atome bleibenjedoch nur sehr kurze Zeit τ ≈ 10−8sec in diesem angeregten Zustand undfallen wieder auf ihr Ausgangsniveau zuruck. Dabei emittieren sie Licht mitder charakteristischen Na-Wellenlange. Beleuchten wir die Flamme mit einerNatrium-Spektrallampe, die genau diese Wellenlange emittiert, so beobach-ten wir an der bestrahlten Stelle der Flamme auf einem dahinter aufgestell-

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 41

ten Schirm schwarze Zonen. Durch das Einstrahlen der Resonanzfrequenz ω0

werden die Atome energetisch in den angeregten Zustand versetzt. Ein Teildes einfallenden Lichts wird fur diesen Prozess benutzt, und verschwindet.Das durch spontane Emission reemittierte Licht geht in jeden Raumwinkelund fehlt daher zu einem hohen Prozentsatz in der Durchstrahlrichtung: einSchatten entsteht. Aufgrund der endlichen Lebensdauer, besitzen die Nive-aus eine gewisse Breite ∆E = h/τ : auch benachbarte Frequenzen konnen amResonanzprozess teilnehmen. In der Tabelle sind die charakteristischen Ab-sorptionsbereiche, mit den entsprechenden Anregungen, zusammengefasst.

Spektralgebiet Art der Anregung

Ultra-violett (UV) Schwingungen der ValenzelektronenInfrarot (IR) MolekulvibrationenMikrowellen Molekulrotationen

Die Absorptionsmaxima im UV einiger typischer organischer Substanzen mit

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 42

Mehrfachbindungen sind im Folgenden aufgezahlt.

Verbindung Wellenlange des Absorptionsmaximums

H2C = CH2 1625AHC ≡ CH 1775AHC ≡ N 1750A(CH3)2C = O 1870A

Resonanzphanomene beobachtet man auch in der Kernspektroskopie. Da-bei tritt eine besondere Schwierigkeit auf: bei der Emission eines γ-Quantserfahrt der Kern aus Impulserhaltungsgrunden einen Ruckstoss. Einen Ruck-stoss erfahren auch Atome, dieser ist allerdings vernachlassigbar klein. Durchdiesen Ruckstoss besitzt das emittierte Quant eine um die Ruckstossenergieverringerte Energie. Da der Impuls eines Quants hω0: p = hω0/c ist, muss dergleiche Impuls vom Kern als Ruckstoss aufgenommen werden. Die Ruckstossenergieeines Kerns der Masse M betragt deshalb:

ER =p2

2M=

h2ω20

2Mc2=

E2γ

2Mc2

Betrachten wir zwei benachbarte Kernzustande, deren Energiedifferenz E

Abbildung 3.5: Energieschema beim Mossbauereffekt (rechts)

gegeben sei. Bei der Emission eines γ-Quants geht der Kern vom Zustand IIin den Zustand I uber. Die Energie des γ-Quants ist gleich der Energiediffe-renz der beiden Zustande E, vermindert um die Ruckstossenergie ER, alsohω0 = E−ER. Da die Kernniveaus ausserordentlich scharf sind, viel scharferals atomare Niveaus, reicht diese γ-Energie hω0 nicht mehr aus, um einenanderen Kern vom Niveau I auf das Niveau II anzuregen; oder mit anderenWorten: man kann einen Kern nicht als Photonenquelle fur die Spektroskopieanderer ahnlicher Kerne benutzen.

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 43

Dieses Bild ist nicht ganz korrekt: der Munchner Physiker Rudolf Mossbauerfand einen betrachtlichen Teil an resonanter Absorption bei Kernen (fur die-se Entdeckung erhielt er 1961 den Nobelpreis). Dieser Effekt wurde vonMossbauer folgendermassen erklart. Betrachten wir die Gleichung fur ER,so erkennen wir die Abhangigkeit der Ruckstossenergie ER von der Massedes Kerns M , der den Ruckstoss aufnimmt. Sind die γ-emittierenden Ker-ne sowie die absorbierenden Kerne in ein Kristallgitter eingebaut, so wirdder Ruckstoss bei Emission nicht von einem einzelnen Kern der Masse M ,sondern mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit von dem umgebenden Kri-stallgitter als Ganzes aufgenommen. In der Gleichung fur ER mussen wirdaher in bestimmten Fallen die Masse M durch eine sehr grosse Masse er-setzen, dabei wird die Ruckstossenergie ER beliebig klein, d.h. die Ener-gie des γ-Quants wird wieder gleich der Differenz der Kenergiezustande.Diese γ-Strahlung kann von einem anderen Kern resonant absorbiert wer-den. Eines der Isotope, das heutzutage am haufigsten fur Mossbauereffekt-

messungen verwendet wird, ist Fe57 mit der 14,4 keV γ-Linie. Die Linienbrei-te ist von der Grossenordnung 5 · 10−9 eV. Damit wird der Q-Faktor von derGrossenordnung 1012. Darin liegt die grosse Bedeutung des Mossbauereffektes.Man hat ein ausserst empfindliches Werkzeug zur Hand, um z.B. relativisti-sche Effekte, Magnetfelder, Verschiebungen im Kristallgitter usw. zu messen.

Mossbauer selbst hat diesen Effekt der ruckstossfreien Kern-Resonanzabsorptionzuerst an Iridium 191 gefunden (Z. f. Physik 151, 124, 1958). Es sind heutzu-tage mehr als 80 Isotope bekannt, die fur den Mossbauereffekt geeignet sind.Die wohl grosste Bedeutung hat der Mossbauereffekt fur die Aufklarung derStrukturen fester Korper.

Wir schliessen mit der Illustration von Resonanzen in der Teilchenphysik.Schiesst man z.B. Neutronen auf Iridiumkerne oder π-Mesonen auf Protonen,

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 44

so konnen fur sehr kurze Zeiten sog. Resonanzen entstehen, kurzlebige Kom-binationsteilchen, die kurz nach ihrer Bildung zerfallen. Das Auftreten einerResonanz aussert sich in der Abhangigkeit der Wahrscheinlichkeit σ fur einebestimmte Reaktion von der Energie: Aus der Breite der Resonanzabsorpti-on, welche gleich h/τ ist, liest man die Lebensdauer τ des Kombinationsteil-chens ab. Das zeigt, dass Resonanzen auch in der Kern-und Teilchenphysikvon Bedeutung sind: neue Teilchen zeigen sich oft nur als Resonanz in einemStreuexperiment.

3.1.5 Kraftstoss

Im Gegensatz zum obigen Fall einer dauernd wirkenden Kraft wollen wir eineKraft betrachten, die nur zum Zeitpunkt t = 0 wirkt:

Fa(t) =mv0

2a; t ∈ [−a, a]

Fa(t) = 0; t �∈ [−a, a]

wobei wir an dem limes a −→ 0 interessiert sind. Die so angegebene Krafthat die wichtige Eigenschaft, dass∫

∆f(t)dt = mv0

∀a, solange das Intervall ∆ [−a, a] enthalt. Dieses Integral wird Kraftstosswahrend des Intervalls � genannt. Diese Eigenschaft benutzen wir, um dieRandbedingungen zur DGL zu etablieren. Fur t ≤ 0− und t = 0+ fordern wir

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 45

x = 0: dies ist gleichbedeutend mit der Stetigkeit von x. Die Bedingung fur dieGeschwindigkeit erhalten wir aus der Gleichung (wir betrachten erzwungeneSchwingungen ohne Dampfung)

lima→0[∫ a

−∞xdt + ω2

0

∫ a

−∞x(t)dt] = v0

Setzen wir die Geschwindikeit fur t ≤ 0− = 0, dann besagt obige Gleichung,dass

x(0+) = v0

Das Resultat des Kraftstosses ist die Ubertragung der Geschwindigkeit v0 ander Masse m. Die DGL ist nun vollig spezifiziert. Wir suchen eine Losung,welche die gestellten Randbedingungen erfullt, und fur welche

x(t) = 0; t < 0

x(t) = A cos ω0t + B sin ω0t, t > 0

Mit der Wahl der Konstanten A und B mussen wir die Stetigkeit von x undden Sprung von x bei 0 erzwingen:

0 = A

v0 = ω0B

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 46

Somit ist die gesuchte Losung (Verallgemeinerung: der Kraftstoss erfolgt zurZeit τ)

G−(t) = 0, t < τ

G+(t) =v0 sin ω0(t− τ)

ω0

, t > τ

Eine mogliche Anwendung dieses Resultates ist die spezielle Losung der in-homogenen DGL fur beliebige Krafte F (t). Da

F (t) =1

m · v0

∫ ∞

−∞Fa(t− τ)F (τ)dτ

durfen wir, wegen der Linearitat der Gleichung,

x(t) =1

m

∫ ∞

−∞F (τ)

sin ω0(t− τ)

ω0dτ

schreiben.

3.2 Allgemeine Losung 1-dimensionaler Pro-

bleme

In einer Dimension ist die Newtonsche BGL exakt integrierbar, solange K(x) =−dU

dx. Wir wollen die Integrierbarkeit beweisen. Aus mx = −dU

dxfolgt

x ·mx = x · (−dU

dx)

d[12mx2]

dt= −dU

dtd[1

2mx2 + U(x)]

dt= 0

1

2mx2 + U(x)

.= E

Die so gewonnene Integrationskonstante E ist ein Integral der Bewegung, dasie mit der Zeit unverandert bleibt. Diese Konstante heisst totale Energie derBewegung. Sie kann dazu benutzt werden, um die Bewegungen zu klassifizie-ren. Die resultierende DGL erster Ordnung lasst sich durch Trennung derVeranderlichen integrieren:

1

2mx2 + U(x) = E

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 47

dx

dt=

√2

m[E − U(x)]

t =

√m

2

∫ dx√E − U(x)

+ Konst.

Etwas Allgemeines lernen wir aus dieser Losung: eine reelle (und somitphysikalische) Losung existiert nur im Gebiet, wo E > U(x) ist. Diese Ge-biete kann man direkt ablesen, wenn man die potentielle Energie graphischdarstellt. Die Punkte, bei denen E = U(x) ist, sind Umkehrpunkte der Bahn,

Abbildung 3.6: Graphische Darstellung von U(x)

da in ihnen die Geschwindigkeit 0 wird, und sich somit das Vorzeichen andernkann. Man unterscheidet zwischen endlichen Bahnen, die in einem endlichenRaumgebiet verlaufen konnen, und unendlichen Bahnen, wenn die Masseins Unendliche laufen kann. Die eindimensionalen endlichen Bahnen sindSchwingungen: die Masse bewegt sich zwischen den Umkehrpunkten x1(E)und x2(E) periodisch, d.h. sie kehrt nach einer gewissen Zeit wieder an einenbestimmten Punkt zuruck. Die Periode der Schwingung ist durch den Aus-druck

T (E) = 2 ·√

m

2

∫ x2(E)

x1(E)

dx√E − U(x)

gegeben. Wir diskutieren, als beispiel, den Fall von kleinen Schwingungen.Dann

U(x) = U(x0) + (x− x0)2U ′′(x0)

2

und aus U(x0) + (xi− x0)2 U ′′(x0)

2= E folgt xi(E) = x0 ±

√2(E−U(x0))

U ′′(x0). Einge-

setzt in den Ausdruck fur T (E) ergibt dies

T (E) = 2 ·√

m

2

∫ x2(E)

x1(E)

dx√E − U(x0)− (x− x0)2 U ′′(x0)

2

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 48

= 2 ·√

m

U ′′(x0)

∫ √ 2(E−U(x0))

U′′(x0)

−√

−2(E−U(x0))

U′′(x0)

dy√2(E − U(x0)/U ′′ − y2

= 2 ·√

m

U ′′(x0)· [arcsin(1)− arcsin(−1)]

= 2π

√m

U ′′(x0)

Wie fruher schon bewiesen, ist T von E unabangig. Dies ist aber nur inder harmonischen Naherung gultig. Fur die Schwingung definiert man ei-ne Schwingungsfrequenz als ω

.= 2π

T. In der harmonischen Naherung ist

ω =√

U ′′m

. Die Frequenz ist das fundamentale Charakteristikum von Schwin-gungen; sie hangt nicht von den Anfangsbedingungen der Bewegung ab,sondern ist vollstandig durch die mechanische Eigenschaft des Systems be-stimmt. Im Wesentlichen gibt sie Auskunft uber die Krummung (zweite Ab-leitung!) der potentiellen Energie in der Nahe der Ruhelage. Dieses Resultatist von entscheidender Bedeutung fur die Spektroskopie von Molekulen undFestkorpern: durch die spektroskopische Bestimmung der Schwingungsfre-quenz lasst sich etwas uber die potentielle Energie der Molekule aussagen!!

3.3 Die schwingende 1-dim. Kette

Mit unserem mechanischen Modell konnen wir die Schwingungen von einfa-chen zweiatomigen Molekulen erfassen, die entlang einer Koordinate stattfin-den. In diesem Modell werden die Bestandteile der Molekule durch eine Federgekoppelt, mit der Federkonstanten k = U ′′(x0). Wir wollen jetzt mit demgleichen Federmodell versuchen, Kristallschwingungen zu beschreiben. Dazubetrachten wir entlang der x-Koordinate eine lineare Kette von N Atomender Masse m, die paarweise mit der Federkonstanten k gekoppelt sind. Wirbezeichnen als u(n)

.= xn − n · a die Abweichung der n− ten Masse aus der

Ruhelage n · a, wobei a die Gitterkonstante ist. Die BG fur die n− te Masselesen wir aus der Figur ab:

mu(n) = k[u(n− 1) + u(n + 1)]− 2ku(n)

Da die Auslenkungen u(n±1) in der BGL fur das n− te Atom auftreten, bil-den alle BGL ein System von N gekoppelten DGL. Die Losung hangt davonab, welche Randbedingungen der Kette auferlegt werden. Man kann z.B. dieRandatome festhalten oder frei geben. Wenn n eine kleine Zahl ist, hangendie Losungen stark von diesen Randbedingungen ab (siehe Ubungen). Bei ei-ner makroskopischen Anzahl N muss der Einfluss der Randbedingungen auf

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 49

Abbildung 3.7:

die Schwingungsfrequenzen klein sein. Physikalisch kann man sich vorstellen,dass die Kette zu einem Kreis gebogen wird, wobei am N -te Atom noch ei-ne Feder angebracht ist, die es mit dem ersten Atom verbindet. Damit hatman den Rand eliminiert. Mathematisch bedeutet diese Biegung der Kette zueinem Kreis die Annahme periodischer (in der Fachliteratur auch Born-vonKarman) Randbedingungen: u(n) = u(n+N). Die Losungen des DG Systemsmit diesen Randbedingungen sind solche, die der Realitat naher kommen soll-ten, weil sie Oberflacheneffekte auf die Festkorpereigenschaften eliminieren.Zur Losung des DG Systems macht man den Ansatz u(n) = Aei(qna−ω0t),wobei der Faktor eiqna die n-Abhangigkeit der Auslenkung berucksichtigt.Durch Einsetzen des Ansatzes finden wir die charakteristische Gleichung

−mω20 = k[e−iqa + eiqa − 2] = 2k[cos(qa)− 1]

deren Losung die moglichen Eigenfrequenzen der schwingenden Kette ergibt:

ω0(q) = 2√

k/m · sin(qa/2). Die Randbedingung bestimmt die moglichen

Werte vom Parameter q: eiq(n+N)a = eiqna, d.h. eiqNa = 1 oder qNa = p · 2π,p = 0, 1, 2, ....., N . Die moglichen Schwingungszustande sind durch dicht ne-beneinanderliegende q-Werte klassifiziert, jeder q Wert tragt eine bestimmteEigenfrequenz. Die gesuchten N linear unabhangigen Losungen konnen durchdie q Werte im Intervall 0, 2π/a dargestellt werden. (gelegentlich benutzt man

Abbildung 3.8:

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 50

den Intervall [−π/a, π/a], um die Eigenfrequenzen darzustellen). Die Kopp-

lung bewirkt, dass sich die Frequenz√

k/m des ungekoppelten Oszillatorszu einem Frequenzband verbreitet. Jeder Frequenz kann ein q Wert zuge-ordnet werden. Die q Abhangigkeit von ω nennt man Dispersionsrelation.Die Losungen der BGL nennt man Eigenmode, die zu den Eigenfrequenzenω(q) gehoren. In der Quantenmechanik nennt man diese Eigenmode Pho-nonen. Besteht die Kette aus Atomen mit unterschiedlichen alternierendenMassen, erwartet man mindestens zwei-Phononenbander, die evtl. durch eineLucke getrennt sind. Verbindungen wie NaCl haben zum Beispiel zwei Pho-nonenbander: Das untere Band nennt man akustisches Phonon, das oberesind die optischen Phononen. Einen optischen und akustischen Zweig be-kommt man auch, wenn die Kraftkonstanten alternierend sind. Diese Resul-tate lassen sich auf dreidimensionale Kristalle erweitern. In drei Dimensio-nen, wird q zu einem Vektor, der innerhalb eines Polyeders verteilt ist. DiePhononendispersionsrelationen konnen richtungsabhangig werden und einenkomplizierteren Verlauf zeigen.

Abbildung 3.9:

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 51

3.4 Die Wellengleichung

Wir betrachten Phononen mit q ≈ 0. Fur solche Phononen ist die charakte-ristische Lange 2π/q uber welche u(n) variiert viel grosser als die Gitterkon-stante. Wir konnen daher n als kontinuierliche Variable x bezeichnen und dieBG fur das skalare Feld u(x, t) folgendermassen aufstellen:

m∂2u

∂t2= k[u(n− 1, t) + u(n + 1, t)]− 2ku(n, t)

≈ k[u(n, t)− au′(n) +a2

2u′′(n) + u(n, t)

+ au′(n) +a2

2u′′(n)]− 2ku(n, t)

= ka2∂2u

∂x2

∂2u

∂t2=

ka2

m

∂2u

∂x2

Die Materialkonstante ka2

mwird als c2 bezeichnet. Ihre Bedeutung wird

bald klar. Diese Gleichung ist die eindimensionale Wellengleichung: sie istdie Bewegungsgleichung fur die Auslenkung u an der Stelle x zur Zeit t. Esist eine partielle lineare DGL 2-ter Ordnungn: sie enthalt sowohl die 2.teAbleitung nach der Zeit als auch die zweite Ableitung nach x. Um eine ein-deutige Losung zu definieren mussen soche DGL durch Angabe zweier Rand-bedingungen, wie u(xi, t) = ui(t) (i = 1, 2), und durch Angabe zweier An-fangsbedingungen, etwa u(x, t1) = u1(x) und u(x, t1) = u1(x) vervollstandigtwerden.Theorem (D’ Alembert): die allgemeine Losung der 1-dim. Wellenglei-chung ist

u(x, t) = f(x− ct) + g(x + ct)

Um diese Losung darszustellen, stelle man sich eine lokale Storung f(x, t = 0)vor, die zum Beispiel ein Maximum bei x0 besitzt. Eine solche Storung kannzum Beispiel eine Verschiebung der Teilchen eines Mediums aus ihrer Ru-helage (Phononen, Seilwellen, Wasseroberflachenwellen) oder einer Dichte-schwankung bei elastischen Wellen, Schallwellen und Erdbebenwellen bedeu-ten. Es kann aber ein elekromagnetisches Felde (Licht) bedeuten, das sichdurch ein plotzliches Ein- und Ausschalten eines Stromes gebildet hat. Wenndiese Storung nach der Wellengleichung evolviert, dann ist die funktionelleAbhangigkeit zur Zeit t f(x − ct), siehe Figur, d.h. die Storung sieht ge-nau gleich aus wie zur Zeit t = 0 aber ist am Ort xt = ct + x0 zentriert:

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 52

Abbildung 3.10:

die Wellengleichung hat die Storung fortgepflanzt, und zwar mit Beibehal-tung der Form. Die Materialkonstante c ist die Fortpflanzungsgeschwindig-keit. Die Losung f(x + ct) beschreibt eine Welle, die sich nach linkx entlangder x-Achse fortpflanzt. Die Materialkonstanten, die c bestimmen, hangenvon der Wellenart ab. Bei Phononen ist die zweite Ableitung der potenti-ellen Energie massgebend (zusammen mit Masse und Gitterkonstante). Beider schwingenden Seite (Seilwellen) erfolgt die Auslenkung u(x, t) senkrechtzur Koordinaten x und die Materialkonstante vor der 2. Ableitung nach xnimmt die Form ka2

m= ka

m/a3

.= D/ρ an, mit (ρ: Dichte) und D: Zugkraft.

Daraus ergibt sich die Geschwindigkeit von Seilwellen. Bei Schallwellen und

Erdbebenwellen ist c =√

E/ρ, E: Elastizitatsmodul. Auch Licht – d.h. elek-tromagnetische Felder – pflanzen sich nach der Wellengleichung fort, undzwar mit Lichtgeschwindigkeit.Beweis: Wir schreiben

∂2u

∂t2− c2∂2u

∂x2= 0

(∂

∂t− c

∂x)(

∂t+ c

∂xu) = 0

Wir definieren die Variablen

ξ.= t− x/c; η = t + x/c⇐⇒

t = 1/2(η + ξ); x + c/2(η − ξ)

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 53

Somit

∂u

∂ξ= 1/2(

∂t− c

∂x)u

∂u

∂η= 1/2(

∂t+ c

∂x)u⇐⇒

∂2u

∂ξ∂η= 0⇐⇒

u = f(ξ) + g(η)

QED.

3.4.1 Beispiele von Wellen

Beispiel 1: Harmonische Welle

Die harmonische Welle f(x, t) = A · cos(q · x− ωt) erfullt die WG, wennω = c · q. Diese ist die Dispersionsrelation, die wir fur langwellige Phononenaus der exakten Losung erwartet haben. Eine instantane Aufnahme einer har-monischen Welle erlaubt, die verschiedenen Parameter zu veranschaulichen:λ

.= 2π/q ist der Abstand zweier Wellentaler (oder analoge Punkte der Wel-

Abbildung 3.11: Harmonische Welle zu einer festen Zeit (links) und an einembestimmten Ort (rechts)

le) und heisst Wellenlange. q ist die Wellenzahl und gibt gerade die Zahl derWellentaler pro Langeneinheit an. Man betrachte jetzt den zeitlichen Ablaufan einem festen Ort, nach der Zeit T wiederholt sich in x die selbe Phaseder Welle, z.B. ein Wellental: T ist die Periode der Welle. ω = 2π/T ist danndie Frequenz, mit welcher sich die selbe Phase pro Zeiteinheit wiederholt. Esgilt: λ = cT .

Beispiel 2: Stehende Welle.Eine von links einfallende harmonische Seilwelle trifft auf eine feste Halte-rung (aber es kann sich auch um eine ebene Lichtwelle handeln, die an einem

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 54

Spiegel reflektiert ist) bei x = 0. Die Gesamtwelle setzt sich aus der ein-fallenden und der reflektierten Welle zusammen, wobei die Randbedingungu(x = 0, t) = 0 ∀t erfullt werden muss. Die gesuchte Losung ist

u(x, t) = A[cos(ωt− qx)− cos(ωt + qx)]

= 2A sin qx sin ωt

Wie die Figur zeigt, ist das keine normale laufende Welle mehr: Es gibtnamlich Schwingungsknoten, an denen die Welle immer verschwindet, undes gibt Schwingungszeiten an denen die Auslenkung uberall verschwindet.Da die Schwingungsknoten eine feste Lage im Raum haben, spricht man voneiner stehenden Welle. Die Schwingungsknoten sind durch die Gleichungsin qxn = 0 bestimmt, d.h. |xn| = nλ/2, n = 0, 1, 2, 3....

Abbildung 3.12: Stehende Welle (links) und Resonator (rechts)

Beipiel 3: Eigenfrequenzen eines schwingenden Seils.Halt man das Seil auch noch im Abstand L fest, so tritt die zusatzlicheRandbedingung sin qL = 0 auf, die nur fur bestimmte q- Zahlen (d.h. fur be-stimmte Wellenlangen) erfullbar ist: λn = 2L/n, n = 0, 1, 2, ... Dies bedeutet,dass die stehende Welle im Gebiet L nur bestimmte Frequenzen ωn = nπc

L

annehmen darf: die Eigenfrequenzen eines Seils. Stehende Wellen liegen fastallen Musikinstrumenten zugrunde: es ist damit moglich, bestimmte Noten zuselektieren. Wenn wir an Licht denken, das zwischen zwei Spiegeln reflektiertwird, so konnen wir uns genauso vorstellen, dass nur bestimmte Frequenzenund Wellenlangen zwischen den zwei Spiegeln existieren konnen. In diesemFall spricht man von einem optischen Resonator. Ein solcher optischer Reso-nator ist eine fundamentale Komponente fur die Erzeugung von Laserlicht,die sehr genau monokromatisch ist.

Beipiel 4: Polarisation einer Welle.In der Phononenwelle, die wir zur Herleitung der Wellengleichung benutzt

haben, schwingen die Atome entlang der Ausbreitungsrichtung. Eine solche

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 55

Welle ist eine longitudinale Welle, d.h. sie ist longitudinal polarisiert. Esist aber auch moglich, dass die Storung senkrecht zur Ausbreitungsrichtungstattfindet (Seilwelle und transversale Phononen): man spricht daher bei derSeilwelle von einer transversalen Polarisation. Dieselbe Polarisation habenEM Wellen, bei welchen E und B ebenso senkrecht zur Fortpflanzungsrich-tung schwingen. Ein weiteres Beispiel einer longitudinal polarisierten Wellesind Schallwellen. Schall oder elastische Wellen in einem Stab, entstehen in-dem eine mikroskopische Menge von Atomen - etwa auf einer Ebene liegend -komprimiert wird. Es bildet sich in einem Volumenelement ein Uberdruck, derdie darausfolgende Menge von Atomen nach vorn befordert. Wie ein Dominobreitet sich die ursprungliche Kompression aus. Diese Kompression bestehtaus einer Auslenkung der Atome aus ihrer Ruhelage, und zwar parallel zurAusbreitungsrichtung. Schallwellen sind daher longitudinal polarisiert.

Beipiel 5: Die Ausbreitung von Wellen in drei Dimensionen.Die Grundlage fur die Ausbreitung von Wellen im dreidimensionalen Koor-dinatenraum ist die dreidimensionale Wellengleichung

∂2u(x, y, z, t)

∂t2= c2[

∂2u(x, y, z, t)

∂x2+

∂2u(x, y, z, t)

∂y2+

∂2u(x, y, z, t)

∂z2]

Eine sehr wichtige Losung dieser Gleichung ist die ebene harmonische Wel-le u(x, y, z, t) = A cos(�q�x − ω0t), mit ω0 = c|�q|. �q ist der Wellenvektor. AllePunkte �x mit gleicher Auslenkung oder Phase liegen auf Ebenen mit der Glei-chung �q�x = Konst. Das sind Ebenen senkrecht zur Ausbreitungsrichtung, dievon �q festgelegt ist. Neben den ebenen Wellen treten in der Physik zuweilenauch Wellen mit gekrummten Flachen gleicher Phase auf, wie zum BeispielZylinder- oder Kugelwellen. Eine Kugelwelle, zum Beispiel, ist eine Welle, dieeine kugelformige Wellenfront besitzt. Kugelwellen breiten sich typischerwei-se aus einer Punktquelle aus. Die allgemeine Form einer Kugelwelle, die sichvom Ursprung des Koordinatensystems mit Fortpflanzungsgeschwindigkeit

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 56

c ausbreitet, finden wir als die Losung der radialsymmetrischen Wellenglei-chung

∂2u(r, t)

∂t2= c2 1

r2

∂r[r2∂u(r, t)

∂r]

Das ergibt: u(r, t) = f(r±ct)r

, wie durch direktes Einsetzen sichtbar wird. Ver-

gessen wir fur einen Augenblick den Faktor r im Nenner. Die Amplitude derWelle zu einer bestimmten Zeit hat dann als Funktion des Abstands vom Ur-sprung eine bestimmte Gestalt, die mit der Geschwindigkeit c vom Ursprungauslauft (oder zum Ursprung hinlauft). Der Faktor r im Nenner sagt unsaber, dass die Amplitude der Welle im Lauf der Ausbreitung proportionalzu 1/r abnimmt. Mit anderen Worten: Wahrend bei einer ebenen Welle dieAmplitude wahrend des Ausbreitungsvorgangs konstant bleibt, nimmt dieAmplitude einer Kugelwelle stetig ab, wie es in der Figur dargestellt ist.

Beipiel 6: Akustische Wellen in der Geologie. Die Erde kann zu Ei-genschwingungen angeregt werden, insbesondere bei Erdbeben. Die Grund-schwingungsperiode betragt rund 50 Minuten, was etwa der Zeit eines aku-stischen Hin- und Rucklaufs durch die Erde entspricht. Das Bild zeigt dieDeformation der Erde (nicht massstabgetreu) bei einer solchen Schwingungzur Zeit t = 0 und 25 min spater. Akustische Wellen sind aber auch ein lei-stungsfahiges Hilfsmittel zur Untersuchung des Erdinnern. Unsere Kenntnisvom Erdinnern stammt hauptsachlich von seismologischen Beobachtungen.Aus der Reisezeit und Reiseroute von Erdbebenwellen kann man den radialenVerlauf der Schallgeschwindigkeit im Erdinnern bestimmen: Das Bild zeigtz.B. die longitudinalen und transversalen Schallgeschwindigkeiten im Erdin-nern. Deutlich sichtbar ist das Nullwerden der transversalen Geschwindigkeitund damit der Schersteifigkeit im Erdinnern, welches auf den flussigen Zu-stand des Erdkerns hinweist. Die akustische Information zeigt aber nicht nurdie Existenz und Abmessung des flussigen Erdkerns, sondern daruber hinaus

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 57

weitere Unstetigkeiten, auf die wir hier nur hinweisen wollen. (Zum Beispieldie mit F bezeichnete Unstetigkeit in 5 200 km Tiefe, welche eine weiterePhasenanderung flussig - fest innerhalb des Erdkerns andeutet.)

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KAPITEL 3. EINDIMENSIONALE PROBLEME 58

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Kapitel 4

Das Zwei-Korper Problem

Das Problem von zwei wechselwirkenden Massenpunkten m1, m2 spielt ei-ne zentrale Rolle in der Physik, weil es – unter gewissen Voraussetzun-gen fur die Wechselwirkung – exakt losbar ist, ganz im Gegensatz zumMehrkorperproblem. Exakt losbare Probleme der Physik sind deshalb sehrwichtig, weil sie ”vernunftige” Ansatze fur die Losung komplizierter Pro-bleme liefern, die physikalisch relevanter sind, aber nicht exakt losbar sind.Deswegen wollen wir dieses Problem ausfuhrlich behandeln.

Die Eweiterung der BGL zu zwei Massen liegt auf der Hand:

m1�r1 = �K1(�r1, �r2)

m2�r2 = �K2(�r1, �r2)

Eine wichtige Vereinfachung liefert das dritte Axiom von Newton (Actio=Reatio).Daraus folgt

�K2(�r1, �r2) = − �K1(�r1, �r2).= �K(�r1, �r2)

Die auf den Massen wirkende Kraft ist gleich und entgegengesetzt. Zusatz-lich zu dem 3. Axiom brauchen wir eine weitere Annahme, um das Problemphysikalisch sinnvoll zu machen: Krafte, die zwei Massenpunkte aufeinanderausuben, wirken in Richtung der Verbindungslinie: K(�r1, �r2) = �K(�r2 − �r1),oder (aquivalent)

(�r2 − �r1)× �K = 0

Durch diese Annahmen vereinfachen sich die BGL. Wir definieren zwei neueVariablen

m1�r1 + m2�r2

m1 + m2

.= �R

und�r2 − �r1

.= �r

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KAPITEL 4. DAS ZWEI-KORPER PROBLEM 60

Aufgrund der voher getroffenen Annahmen ist

(m1 + m2) · �R = 0

undµ · �r = �K(�r)

Der Ortsvektor �R bezeichnet den Schwerpunkt (oder Massenmittelpunkt)der Massen m1, m2. �r ist der Ortsvektor der Relativbewegung. Der Faktorm1m2

m1+m2

.= µ ist die reduzierte Masse. Die BG fur �R und �r sind entkoppelt.

Die BG fur �R hat die Losung �R = V0t + R0, d.h. der Schwerpunkt bewegtsich auf einer Geraden mit konstanter Geschwindigkeit und beeinflusst dieRelativbewegung nicht. Dies ist ein Beispiel fur das Prinzip, das in der Physikals das Galilei’sche Relativitatsprinzip bekannt ist: Die physikalischen Beob-achtungen innerhalb eines Systems sind unabhangig davon, ob das Systemruht oder sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt. Beschreibt die Erdeeine elliptische Bahn um die Sonne, so tut sie das, egal ob die Sonne fest amHimmel steht oder sich monoton bewegt. Die Relativbewegung ist zur drei-dimensionalen Bewegung eines Einteilchensystems mit Masse µ geworden,das in einem Kraftfeld K(�r) eingebettet ist.

4.1 Die Relativbewegung

Die Tatsache, dass die Kraft entlang �r ist, liefert eine wichtige Vereinfachungdes drei-dimensionalen Problems eines Teilchens im ausseren Kraftfeld. Wirbilden die Grosse

µ · �r × �r

Diese Grosse hat auf dem ersten Blick keine unmittelbare Bedeutung, aberbesitzt die wichtige Eigenschaft, dass sie eine Konstante (oder Integral)der Bewegung ist. Mit anderen Worten: dieses Vektorprodukt bleibt kon-stant, obwohl seine Bestandteile durchaus zeitabhangig sind. Der Beweis zeigtdie Quelle dieser Erhaltungsrosse – genannt Drehimpuls �L – direkt.Beweis:

d

dt�L = m�r × �r + m · �r × �r = 0 + m�r × �K ≡ 0

da, nach unser Voraussetzung, die Kraft zentralgerichtet ist. �L zeigt wahrendder ganzen Bewegung in eine feste Raumrichtung. Da �L als Vektorproduktvon �r und �r konstruiert wurde, steht er senkrecht zu diesen beiden Vektoren.Daraus folgt: Die Bahn eines Teilchens in einem zentralgerichteten Kraftfeld

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KAPITEL 4. DAS ZWEI-KORPER PROBLEM 61

liegt vollstandig in einer Ebene, die auf �L senkrecht steht. Den Vektor �rdurfen wir als zwei-komponentigen Vektor annehmen, die dazugehorige BGLsind zwei-dimensional. Wir schreiben die BGL fur den Vektor �r in Polarko-ordinaten:

µ�r = (r − rϕ2)�er + (rϕ + 2rϕ)�eϕ

= Kr(r, ϕ)�er

Daraus ergeben sich die zwei BGL

µr = K(r, ϕ) + rϕ2

(rϕ + 2rϕ) = 0

Die zweite ist equivalent zu

d

dt(µr2ϕ) = 0

d.h. µr2ϕ.= L ist ein Integral der Bewegung. L ist der Betrag des Dre-

himpulses. Diese Losung fur die zweite BGL hat eine einfache geometrischeDeutung. Der Ausdruck 1/2r2dϕ stellt die Flache des Sektors dar, der vonzwei unendlich dicht benachbarten Radiusvektoren und dem dazwischen-liegenden Bahnelement gebildet wird. Wir bezeichnen diese Flache mit df

und schreiben den Drehimpuls der Masse als 2µf . Die Ableitung von f–die Flachengeschwindigkeit– ist eine Konstante: In gleichen Zeitintervallenuberstreicht der Ortsvektor die gleiche Flache (Flachensatz, 2. Satz von Kep-ler. Aus dieser Gleichung konnen wir daruberhinaus ϕ2 berechnen: somit istes moglich, diese Variable in der Radialgleichung mit einem Parameter L zuersetzen (”zu eliminieren”). Somit

µr =L2

µr3+ Kr(r, ϕ)

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KAPITEL 4. DAS ZWEI-KORPER PROBLEM 62

Durch die zusatzliche Annahme, dass Kr nur vom Betrag von �r abhangt,erreichen wir eine DGL, welche nur die Variable r enthalt. Somit ist daszwei-Korperproblem zu einem 1-dimensionalen Problem reduziert worden (1-dimensionale Probleme sind exakt losbar). Bemerkenswert ist, dass die radia-le BGL nicht nur die zentralgerichtete Kraft enthalt, sondern eine zusatzlicheradialgerichtete Kraft, die durch die Transformation zu Polarkoordinaten ent-standen ist. Diese zusatzliche radial gerichtete Kraft heisst Zentrifugalkraft.Sie beeinflusst die radiale Bewegung.Die BGL fur ϕ konnen wir auch µϕ = −2µrϕ schreiben. Diese Form do-kumentiert die Existenz einer weiteren effektiven Kraft, welche durch dieTransformation zu Polarkoordinaten enstanden ist, und welche fur die Ande-rung der Drehgeschwindigkeit ϕ verantwortlich ist: die Coriolis-Kraft.

4.1.1 Integration der radialen DGL

Wir nehmen weiter an, dass Kr = − ddr

U(r) ist, d.h. eine nur von r abhangigepotentielle Energie existiert. Somit ist

µr =L2

µr3− U ′(r) = −d[L2/2µr2 + U(r)]

dr.= −dUeff

dr

d.h. die radiale Bewegung entwickelt sich als wurde sich die Masse µ in einemeffektiven radialen Kraftfeld befinden. Dieses Kraftfeld besteht aus der Zen-trifugalkraft und der Gravitationskraft und lasst sich schreiben als die radialeAbleitung einer effektiven potentiellen Energie, die sich aus der Summe derZentrigfugalenergie und der potentiellen Energie der Gravitation zusammen-setzt. Daraus folgt

Abbildung 4.1: Ueff als Funktion von r

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KAPITEL 4. DAS ZWEI-KORPER PROBLEM 63

1

2µr2 + Ueff (r)

.= E

ein weiteres Integral der Bewegung, die totale Energie und die DGL

r =2

µ

√E − Ueff(r)

Von besonderer Bedeutung sind solche Werte r, fur welche E = Ueff (r)gilt.

Abbildung 4.2: Zur Definition der Wendepunkte

An diesen Punkten ist die radiale Geschwindigkeit genau 0. Das bedeutetnicht, dass die Masse µ anhalt, da die Drehgeschwindigkeit, gegeben durchL/(µr2), endlich bleibt. Diese Punkte sind Wendepunkte der Bahn, wo raufhort zu wachsen und beginnt kleiner zu werden. Man kann, je nach Wertvon E, mindestens zwei Klassen von Bahnen unterscheiden. Wenn E = E>

ist, dann existiert nur eine Losung der Gleichung. r> ist dann ein minimalerRadius, den die Bahn annehmen kann. Es existiert kein maximaler Radius– die Masse kommt aus weiter Entfernung, kehrt bei r> um und verschwin-det wieder ins Nichts: die Bewegung des Teilchens ist infinit. Diesen Bahnenfolgen zum Beispiel die Kometen. Ist E = E< dann existiert ein minima-ler (rmin) und ein maximaler (rmax) Radius: Die Bahn ist finit und verlauftvollstandig in einem ringformigen Gebiet. Das bedeutet aber nicht, dass dieBahn geschlossen ist (geschlossen bedeutet, dass die Bahn nach bestimm-ten Zeiten immer wieder an denselben Ort zuruckkehrt). In der Tat werdengeschlossene Bahnen dann und nur dann beobachtet, wenn U(r) = 1/r (Kep-ler Problem!) oder r2 ist. Bei beliebigen r-Abhangigkeiten sind geschlosseneBahnen ausserst selten; stattdessen hat man sog. Rosettenbahnen. Die Zen-trifugalbarriere (L �= 0) sorgt im Allgemeinen dafur, dass die Masse niemalszum Mittelpunkt des Feldes gelangt, auch dann nicht, wenn das Feld an-ziehend ist. Man kann zeigen, dass die geschlossenen Bahnen beim Kepler

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KAPITEL 4. DAS ZWEI-KORPER PROBLEM 64

Abbildung 4.3: Mogliche Bahnen im Gravitationsfeld

Abbildung 4.4: Rosettenbahn

Problem Ellipsen sind. Dies steht in Einklang mit den Beobachtungen (1.Satz von Kepler). Die Sonne befindet sich auf einem Fokus der Ellipse. Dienicht geschlossenen Bahnen (E > 0) sind Hyperbeln.