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ken, zur Fallzahlenerhöhung, zur Aus-weitung der Privatliquidation sowie zurVernachlässigung der nicht-medizini-schen Versorgungsaspekte und zur zu-wendungsorientierten Medizin hätteüberwinden können. Das ist im Kernnicht erstaunlich: jeder Versuch, ge-sundheitswissenschaftlich, medizinischoder ethisch erwünschtes Verhalten vonKassenärzten allein durch materielleAnreizsysteme zu evozieren bzw. zu sta-bilisieren, kann immer nur zu groben(und eben eher extrinsisch als intrin-sisch motivierten) Annäherungen andas gewünschte Ziel führen. Die Diffe-renz zwischen „ist“ und „soll“ dürftestets umso größer sein, je stärker dieAngst der Kassenärzte um ihre Vertei-lungsposition ausgeprägt ist, je leichterdie Anreizsysteme zu umgehen bzw. zupervertieren sind und je schwächer Ge-gengewichte wie zum Beispiel Quali-tätssicherung und Beratung ausgeprägtsind. Die unbestreitbaren Einkom-mensverluste der deutschen Kassenärz-te differieren zwar bekanntlich sehr er-heblich nach Arztgruppen, Praxisgrö-ßen und Behandlungsstilen. Im Durch-
der Kassenärzteschaft im Verbund mitder legitimerweise von den Kassen vor-angetriebenen Entwicklung von Ver-sorgungsnetzen zu Differenzierungenund Verschiebungen des Sicherstel-lungsauftrages – und damit zu einemEnde der heutigen KassenärztlichenVereinigungen – führen werden, kannvor diesem Hintergrund sicherlich langeund kontrovers spekuliert werden. ImHinblick auf die Rolle der Kassenärztezwischen Freiberuflichkeit und staatli-chem Auftrag ist die Frage, wie dermal-einst ihre fachliche und ökonomischeInteressenvertretung organisiert seinwird, im Vergleich mit den hier skiz-zierten Notwendigkeiten, die Struktu-ren und Leistungen der gesundheitli-chen Versorgung unter der Zielstellungvon equity und efficiency neu zu orga-nisieren, vielleicht auch nur von zweit-rangiger Bedeutung.
Prof. Dr. Rolf RosenbrockWissenschaftszentrum Berlin fürSozialforschung (WZB)AG Public HealthReichpietschufer 50D-10785 Berlin
schnitt – der hier nicht mehr sehr vielSinne macht – bedeutete dies – interna-tional gesehen – einen Abstieg der Ärz-teeinkommen ins Mittelfeld. Ausgelöstwurden damit Entwicklungen, welchedie Voraussetzungen für sinnvolle Ho-norarpolitik deutlich verschlechtert ha-ben. Zu nennen sind neben den inner-ärztlichen Verteilungskämpfen unbe-kannter Härte die gerade suizidale Be-reitschaft, das GKV-System politischund praktisch infrage zu stellen sowieeine in Tempo und Umfang vorher un-bekannte Pervertierung neuer Vergü-tungssysteme. Die damit aufgeworfe-nen Probleme sind nicht kurzfristig zulösen. Grundsätzlich erscheint mir zurWiedergewinnung eines konstruktivenKlimas in der Versorgung und in derpolitischen Aushandlung der Dreiklangvon Budgetierung, Vergütungsformenmit möglichst hohem Pauschalanteilsowie die Entwicklung von Instrumen-ten der Qualitätssicherung in Zusam-menarbeit mit den Kassen der aus-sichtsreichste Weg.
Über die Frage, ob die in den letz-ten Jahren aufgebrochenen Klüfte in
Der Internist 2·99 | M 47
Mit
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W. Brech · L. Lieschke
Neubestimmung von ambulantemund stationärem AufgabenbereichThesenpapier
1. Die Ausgangssituation der Verteilungder Aufgaben zwischen ambulanterund stationärer Versorgung ist be-kannt: der stationäre Bereich ver-sorgt mit ca. 15 Mio. Fällen ca. 10% al-ler Patienten pro Jahr, der ambulanteBereich versorgt mit ca. 420 Mio. Fäl-le ca. 90% aller Patienten pro Jahr inder Bundesrepublik Deutschland.Dem Patientenverhältnis steht umge-kehrt proportional das Ausgabenver-hältnis für den stationären zum am-bulanten Bereich von ca. 80 Mrd. DMzu ca. 40 Mrd. DM gegenüber.
2. Bei dynamischer Betrachtung zeigensich zwei Trends, die die bestehendeVersorgungs-/Finanzierungsscherenoch weiter öffnen:a) Die Zahl der zu versorgenden Pati-enten steigt im ambulanten Bereichüberproportional zum stationärenBereich.b) Die Ausgaben steigen im stationä-ren Bereich überproportional zumambulanten Versorgungsbereich.
3. Diese asymmetrische Entwicklunghat verschiedene Gründe. Als Haupt-grund machen die gesundheitspoliti-
schen Experten die sektorale Gestal-tung des Gesundheitswesens mit ih-ren unabgestimmten sektoralen Steue-rungs- und Anreizmechanismen aus.Die Forderung des Paradigmenwech-sels von der vertikalen hin zur hori-zontalen Gestaltung des Gesund-heitswesens sucht ihre Begründungin der Optimierung der Prozeßsteue-rung der ärztlichen Behandlung, d.h.der Orientierung des Einsatzes derRessourcen an dem Versorgungsbe-darf auf der adäquaten Versorgungs-ebene.
4. Die gesundheitspolitische Ausrich-tung der neuen Bundesregierung willnach einem Moratorium durch sek-torale Ausgabenbudgetierung mit derEinführung eines sektorübergreifen-den Globalbudgets die Gesundheits-ausgaben insgesamt begrenzen unddie Krankenversicherungsbeiträgedauerhaft stabilisieren. Damit kommtder Frage, ob und wie jeweils ambu-lanter und stationärer Aufgabenbe-reich zukünftig neu zu bestimmenund abzugrenzen sind, eine besonde-re Bedeutung zu.Die interessenpolitischen Positionenwaren im Vorfeld zur Bundestags-wahl bestimmt:a) Die Deutsche Krankenhausgesell-schaft fordert für die Krankenhäuserdie institutionelle Öffnung zur Er-bringung ambulanter Leistungen. Siestrebt die Entwicklung der Kranken-häuser zu integrierten Dienstlei-stungszentren an und weist demKrankenhaus die zentrale Vermitt-lungs- und Koordinierungsfunktionvon der ambulanten Versorgung überdie stationäre Versorgung bis zur Re-habilitation und ambulanten Pflegezu.b) Die Spitzenverbände der Kranken-kassen wollen die vollstationären Lei-stungen im Krankenhaus mehr alsbisher auf die Maßnahmen derHöchstleistungsmedizin konzentrie-ren. Eine besser abgestufte ambulanteVersorgung muß einen Teil der heutenoch vollstationär erbrachten Lei-stungen übernehmen. Hierzu wirdinsbesondere im fachärztlichen Be-reich eine institutionelle Öffnung derKrankenhäuser zur ambulanten Ver-sorgung befürwortet.c) Kassenärztliche Bundesvereini-gung und Bundesärztekammer set-zen auf die persönliche Verzahnung(Integration) beider Versorgungsbe-reiche durch die Beteiligung vonKrankenhausspezialisten (hochqua-lifizierten Fachärzten) durch persönli-che Ermächtigung an der ambulan-ten Versorgung sowie die Beteiligungdes niedergelassenen Facharztes ander stationären Versorgung im soge-nannten Teamarztmodell. Insbeson-dere soll hierdurch auch gewährlei-stet werden, daß teure Infrastruktu-ren von Krankenhausärzten und nie-dergelassenen Ärzten gemeinsam ge-nutzt werden.
gerichtete Strukturen führen zwangs-läufig dauerhaft zu Fehlallokationenvorhandener Ressourcen im Gesund-heitssystem.
These 3
Das Angebot medizinischer Leistungenin der ambulanten und stationären Ver-sorgung hat sich quantitativ und quali-tativ an den bestehenden und sich ver-ändernden Bedarf nach Gesundheits-leistungen im Rahmen der prozeßori-entierten Versorgungssteuerung anzu-passen (Bedarfsorientierung). Dies er-fordert den Konsens beider Bereicheüber die Allokation der Ressourcen undder zu versorgenden Patienten und denstrukturellen Substitutionsprozeß inbeide Versorgungsrichtungen.
These 4
Obligatorische Voraussetzung für einerationale Arbeitsteilung zwischen am-bulanter und stationärer Versorgung istdie erfolgreich durchgeführte individu-elle (also persönliche) Kooperationzwischen den behandelnden Ärzten.
Diese erfordert Kooperationsbe-reitschaft, gegenseitige Anerkennung(persönlich, fachlich) und die Bereit-schaft, Kompetenz zu teilen. Die Über-windung von Kommunikationsdefizi-ten und Kooperationshemmnissen zwi-schen ambulant und stationär tätigenÄrzten ist der Schlüssel für die bedarf-gerechte Steuerung des Leistungsge-schehens.
These 5
Die vorhandenen Instrumente der Ver-zahnung zwischen ambulanter und sta-tionärer Versorgung, wie z.B.
● das kooperative Belegarztsystem● Praxiskliniken● die Ermächtigung von Krankenhaus-
ärzten● die gemeinsame Anschaffung und/
oder Nutzung von Großgeräten● die gemeinsame Nutzung und Betrei-
bung von Einrichtungen● die Einrichtung einer Praxis eines
niedergelassenen Arztes im Kranken-haus
● die Errichtung einer Notfallpraxis imKrankenhaus bzw. die Nutzung vongemeinsamen Notfalleinrichtungen
Die neue Bundesregierung nennt inihrer Koalitionsvereinbarung zurStrukturreform des Gesundheitssys-tems als Regelungsbedarf die bessereZusammenarbeit von Hausärzten,Fachärzten und Krankenhäusern,z.B. durch gemeinsame Nutzung teu-rer Medizintechnik.
5. Die medizinisch-wissenschaftlicheEntwicklung, der medizinisch-tech-nische Fortschritt und die Verände-rungen im Krankheitsspektrum beisich veränderter demographischerEntwicklung führen darüber hinauszu Veränderungen des Versorgungs-auftrages und der Versorgungsaufga-ben für die ambulante und die statio-näre ärztliche Versorgung. Dabeiwerden immer mehr Patienten mitchronischen Erkrankungen mehrererOrgansysteme im Sinne eines Dis-ease-Management Konzeptes auf bei-den Ebenen zu behandeln sein. Eineweitere Verlagerung zukünftig ambu-lant erbringbarer Aufgaben aus demstationären Bereich ist wahrschein-lich. Dies hat zwangsläufig Konse-quenzen für die Versorgungsstruk-tur. Lösungen werden gesehen in derintegrierten Versorgung, in Versor-gungsketten, im Disease-Manage-ment, im Fallmanagement unter derzentralen Steuerungsfunktion derKassenärzte.
These 1
Die Aufgabenbereiche bedarfsgerechterstationärer Versorgung und bedarfsge-rechter ambulanter Versorgung definie-ren sich primär aus dem Gesamtzu-stand und dem Umfeld des Patienten(Versorgungsbedarf des Patienten) so-wie auch durch die jeweils vorhandeneregionale Infrastruktur. Das Versor-gungsproblem eines Patienten ist prin-zipiell auf der jeweils unter qualitativenmedizinischen und ökonomischen Ge-sichtspunkten adäquaten Ebene zu lö-sen.
These 2
Die Neubestimmung von ambulantenund stationären Versorgungsaufgabenhat sich nach den Erfordernissen desVersorgungsprozesses auszurichten un-ter Berücksichtigung der jeweils mögli-chen Adaption des Patienten. Sektorale(leistungserbringungsorientierte) aus-
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● die Durchführung von ambulantenOperationen durch das Krankenhaus
● die vor- und nachstationäre Behand-lung durch das Krankenhaus
● der Ausbau von Konsiliardienstendurch niedergelassene Ärzte oder dasFühren einer Spezialabteilung imKrankenhaus durch einen niederge-lassenen Arzt
● teilzeitige Anstellungsverträge zwi-schen Krankenhaus und niedergelas-senen Spezialisten
● Überführen einer Ganztages- in eineTeilzeitbeschäftigung bei einem Kran-kenhausarzt, der dann freiberuflichan der ambulanten Versorgung teil-nehmen kann
sind die bisherigen Grundlagen für dieSicherstellung einer am Versorgungs-bedarf orientierten rationalen Arbeits-teilung. Daher sind institutionelle In-strumente zur Stärkung von Kommuni-kation, Koordination und Kooperationzwischen ambulanter und stationärerVersorgung weiterzuentwickeln. Dasich diese Versorgung vorwiegend inden Bereichen der Grund- und Regel-versorgung abspielt, sollte zur Gewähr-leistung einer sektorübergreifendenSteuerung und zur Intensivierung derkooperativen Modelle der Sicherstel-lungsauftrag für diesen gesamten Be-reich auf die Kassenärztlichen Vereini-gungen übertragen, alternativ von einergemeinsamen Kommission von nieder-gelassenen und Krankenhausärztenübernommen werden.
These 6
Rationale Arbeitsteilung in einem pro-zeßorientiert organisierten Gesund-heitswesen muß für den ambulantenund stationären Versorgungsbereich ei-ne klare Aufgabenabgrenzung vorse-hen. Diese definiert sich durch den Pa-tienten
Ambulant ist der Patient zu versor-gen, wenn er
● die Praxis selbst aufsuchen kann● in die Arztpraxis gebracht werden
kann● zu Hause besucht, versorgt und be-
treut werden kann● und die Invasivität des Eingriffs die
ambulante Versorgung möglich macht.Dies gilt auch für die ambulante Er-bringung hochspezialisierter Medi-
und -inanspruchnahme induzieren.Dabei müssen folgende Grundsätze be-achtet werden:
● Gleiche Honorierung für gleiche Lei-stungen bei gleicher Qualität (unterBerücksichtigung des Investitionsko-stenanteils)
● Transparenz und Durchlässigkeit derVergütungssysteme
● leistungsorientierte Komplexvergü-tungen
These 9
Die Festlegung eines Globalbudgetssteht in unmittelbarem Widerspruchzur Lösung zukünftiger Aufgaben desGesundheitswesens, die sich aus derBevölkerungsentwicklung und aus demmedizinisch-technischen und techno-logischen Fortschritt der Volkswirt-schaft zwangsläufig ergeben. Eine Dros-selung des Wachstumsmotors Gesund-heitswesen wird nachhaltig negativeWachstums- und Beschäftigungswir-kungen haben.
Grundsätzlich hat ein Globalbud-get für eine prozeßorientierte Versor-gungssteuerung gegenüber sektoralenBudgets den Vorteil der größerenDurchlässigkeit zwischen den Sekto-ren. Es wird nur dann Allokationswir-kungen nach sich ziehen können, wenn
● es Regelungen gibt, die dafür sorgen,daß der Verlagerung des realen Lei-stungsgeschehens die entsprechen-den Finanzströme folgen
● das Globalbudget durch geeigneteMechanismen nicht zur Hemmnisdes medizinischen Fortschritts wird.
Unter diesen Bedingungen ließe sicherwarten, daß die der GKV verfügbarenMittel zu einer neuen Aufgaben- undRessourcenverteilung mit
● mehr Hochleistungsmedizin imKrankenhaus
● weniger Regelversorgung durch dasKrankenhaus und mehr
● ambulanter Versorgung
zur Verfügung stehen.
Prof. Dr. Wolfgang BrechDr. Lothar Lieschkefür die KBV
zin unter Nutzung gemeinsamer In-frastruktur soweit dies die patienten-definierte Allokation erlaubt und dieambulante Betreuung durch Präsenzund häusliche Pflege sichergestelltist.
Stationär ist der Patient zu versorgen,wenn er
● bettlägerig ist und/oder● einer intensiven Überwachung be-
darf● sich einem invasiven komplikations-
trächtigen Eingriff unterziehen muß● wegen seiner körperlichen und seeli-
schen Verfassung nicht zu Hause be-treut werden kann.
These 7
Die erforderliche Strukturanpassungdes bestehenden Gesundheitssystemskann nur durch die Setzung von Anrei-zen für alle Beteiligten gelingen. Siezieht auf der Versorgungsebene folgendeKonsequenzen nach sich:
a) Patient– Mehrbelastung, auch für die Familie– Stärkung individueller Bedürfnisse
b) niedergelassener Arzt– umfassendere Verantwortung für Dis-
ease-Management– zusätzliche Arbeit– integrieteres Versorgungsangebot durch
vernetzte Praxenc) Krankenhausarzt
– Abgabe allgemeiner Versorgungsauf-gaben
– Konzentration auf schwierige Versor-gungsaufgaben
d) Krankenhausträger– Schließung unrentabler Abteilungen– Abbau von Betten– Verstärkung der Kooperation zum am-
bulanten Bereiche) Krankenkassen
– Mittelbereitstellung für den ambulan-ten Bereich
– Akzeptanz der Steuerungsfunktion desniedergelassenen Bereichs
– Anpassung der Versorgungsaufträge inKrankenhäusern
f) Politik– Anpassung der Krankenhausplanung
These 8
Die Strukturanpassung muß durch dieSetzung finanzieller Anreize begleitetwerden. Diese sind so zu setzen, daß sieeine effiziente Leistungserbringung
Der Internist 2·99 | M 49
Mit
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