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1 www.geschichte-erinnern.de/interessengemeinschaft/ [email protected] Interessengemeinschaft „Das Ende des Zweiten Weltkrieges zwischen Oder und Spree. Ereignisse, Folgen und Erinnern“ Newsletter 02/2017 vom 20.12.2017 Neue Erkenntnisse über die B-Stelle der 8. Gardearmee auf dem Reitweiner Sporn Uwe Klar Nachdem die Beobachtungsstelle (B-Stelle) der Roten Armee auf dem Reitweiner Sporn lange Zeit ein Schattendasein führte, rückt sie in den letzten Jahren wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Durch die Öffnung des Zentralarchivs des Ministeriums für Verteidigung der Russischen Föderation (ZAMO) für die breite Öffentlichkeit und die Veröffentlichung unterschiedlichster Dokumente im Internet hat sich auch für dieses Objekt die Quellenlage verbessert. Die Rolle der B-Stelle auf dem Reitweiner Sporn im System der Truppenführung der 1. Weißrussischen Front und der 8. Gardearmee. Die B-Stelle auf dem Reitweiner Sporn wurde im März 1945 zunächst nur als eine von drei zeitweiligen Führungsstellen für den Befehlshaber der 8. Gardearmee, Gene- raloberst Tschuikow geplant. Sie sollte aus zwei offenen Beobachtungspunkten mit mehreren Unterständen bestehen. Der Plan sah weiter hin vor, die anderen bei- den B-Stellen auf dem Dachboden des Reitweiner Schlosses und in einem Keller in Manschnow einzurichten. Schloss Reitwein (vor 1945) Zu diesem Zeitpunkt rechnete noch niemand damit, dass die Höhe 81,5 zum wich- tigsten vorgeschobenen Führungspunkt des Befehlshabers der 8. Gardearmee und sogar des Oberbefehlshabers der Front werden sollte. Denn erst nach der er- folgreichen Beendigung der Teiloperation der 8. Gardearmee zur Erweiterung und Vereinigung ihres Brückenkopfes an der Oder mit dem der 5. Stoßarmee, bestand die Notwendigkeit, die begonnene zeitweilige B-Stelle zu einem Führungspunkt für

Neue Erkenntnisse über die B-Stelle der 8. Gardearmee auf dem … · 2017. 12. 22. · Granaten und Fliegerbomben aller Kaliber, deshalb sollte er auch nur im Falle möglicher deutscher

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    Interessengemeinschaft

    „Das Ende des Zweiten Weltkrieges

    zwischen Oder und Spree.

    Ereignisse, Folgen und Erinnern“

    Newsletter 02/2017 vom 20.12.2017

    Neue Erkenntnisse über die B-Stelle

    der 8. Gardearmee auf dem Reitweiner Sporn

    Uwe Klar

    Nachdem die Beobachtungsstelle (B-Stelle) der Roten Armee auf dem Reitweiner

    Sporn lange Zeit ein Schattendasein führte, rückt sie in den letzten Jahren wieder in

    den Mittelpunkt des Interesses. Durch die Öffnung des Zentralarchivs des

    Ministeriums für Verteidigung der Russischen Föderation (ZAMO) für die breite

    Öffentlichkeit und die Veröffentlichung unterschiedlichster Dokumente im Internet

    hat sich auch für dieses Objekt die Quellenlage verbessert.

    Die Rolle der B-Stelle auf dem Reitweiner Sporn im System der Truppenführung der

    1. Weißrussischen Front und der 8. Gardearmee.

    Die B-Stelle auf dem Reitweiner Sporn wurde im März 1945 zunächst nur als eine von

    drei zeitweiligen Führungsstellen für den

    Befehlshaber der 8. Gardearmee, Gene-

    raloberst Tschuikow geplant. Sie sollte aus

    zwei offenen Beobachtungspunkten mit

    mehreren Unterständen bestehen. Der

    Plan sah weiter hin vor, die anderen bei-

    den B-Stellen auf dem Dachboden des

    Reitweiner Schlosses und in einem Keller in

    Manschnow einzurichten.

    Schloss Reitwein (vor 1945)

    Zu diesem Zeitpunkt rechnete noch niemand damit, dass die Höhe 81,5 zum wich-

    tigsten vorgeschobenen Führungspunkt des Befehlshabers der 8. Gardearmee und

    sogar des Oberbefehlshabers der Front werden sollte. Denn erst nach der er-

    folgreichen Beendigung der Teiloperation der 8. Gardearmee zur Erweiterung und

    Vereinigung ihres Brückenkopfes an der Oder mit dem der 5. Stoßarmee, bestand

    die Notwendigkeit, die begonnene zeitweilige B-Stelle zu einem Führungspunkt für

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    den Armeestab zu erweitern. Das heißt, es mussten zusätzliche Unterstände, Erdhüt-

    ten, Beobachtungspunkte und Gräben errichtet werden.

    Der Bau der B-Stelle durch die 64. Pionierbrigade.

    Seit Beginn der Weichsel-Oder-Operation war die 64. Pionierbrigade aus der Reserve

    der 1. Weißrussischen Front der 8. Gardearmee operativ unterstellt und erfüllte alle

    anstehenden Pionierarbeiten in deren Interesse. Zu ihrem Bestand gehörten neben

    einer Führungskompanie und einer selbstständigen Pionieraufklärungskompanie fünf

    Pionierbataillone (PiB) zu je drei Pionierkompanien. Die Pionierbataillone wurden in

    der Regel den Gardeschützenkorps zugeteilt, konnten aber auch Spezialaufgaben

    im Kompaniebestand erfüllen. Eine solche Spezialaufgabe war zum Beispiel die

    Sicherstellung der Pioniereinheiten im Brückenkopf mit Bauholz.

    Anfang März 1945 nahmen Pioniere der Kompanie von Oberleutnant Awakjan aus

    dem 270. Pionierbataillon das Sägewerk in Drossen wieder in Betrieb. Nach anfäng-

    lichen Schwierigkeiten im Umgang mit den ungewohnten dampfbetriebenen Sä-

    gegattern, gelang es innerhalb von zwei Tagen alle Gatter in Gang zu setzen. Dabei

    wurden zu Hilfsarbeiten auch 60 deutsche Kriegsgefangene eingesetzt.

    Ansichten des Sägewerks in Drossen nach

    der Wiederinbetriebnahme durch die

    Rote Armee (Quelle: ZAMO RF, f. 30392,

    op. 1, d. 45)

    Im Sägewerk wurden insgesamt zugeschnitten:

    - 133 019 lfd. Meter 5-cm-Bretter;

    - 25 450 lfd. Meter 2,5-cm-Bretter;

    - 2354 lfd. Meter 8-cm-Bretter;

    - 8842 lfd. Meter Balken 22 x 22 cm;

    - 1200 lfd. Meter Spundbretter;

    - 231 laufende Meter Bretter für Knüppeldämme;

    - Elemente für 6 Brücken mit einer Tragfähigkeit von 60 Tonnen;

    - 336 Stützrahmen für unterirdische Gänge.

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    Im gesamten Betriebszeitraum des Sä-

    gewerks vom 3.3. bis 13.4.45 wurden

    65 550 laufende Meter Holz vorbereitet,

    verarbeitet und den Pionierbataillonen

    für den zugeführt. Etwa 50 % der Bretter

    waren auf Maß geschnitten und ge-

    hobelt.

    Sowjetische Pioniere im Sägewerk Drossen

    (Quelle: ZAMO RF, f. 30392, op. 1, d. 45)

    Planung und teilnehmende Kräfte

    Aufgrund der Bodenbeschaffenheit des Reitweiner Sporns gestalteten sich die Ar-

    beiten sehr schwierig. Führten die ursprünglich geplanten Arbeiten zwei Pionier-

    kompanie des 270. Pionierbataillons der 64. Pionierbrigade durch, so wurden ab

    dem 27. März 1945 zudem zwei Kompanien des 261. Pionierbataillons und ab dem

    13. April 1945 noch zwei Kompanien des 262. Pionierbataillons eingesetzt. Zum glei-

    chen Zeitpunkt bauten das 19. Gardepionierbataillon zwei B-Stellen für den Kom-

    mandeur des 28. Gardeschützenkorps auf der namenlosen Höhe 1 km nordöstlich

    der Höhe 76,0 und auf der Höhe 81,5 sowie das 261. Pionierbataillon eine B-Stelle für

    den Kommandeur des 29. Gardeschützenkorps auf der Höhe 81,5.

    Auf der künftigen B-Stelle des Stabes der 8. Gardearmee waren vier der geplanten

    und gebauten Unterstände als Bestandteil der B-Stelle des Kommandeurs des 3. Ar-

    tilleriekorps und drei Unterstände als Gefechtsstand der 64. Pionierbrigade vorgese-

    hen.

    Art des Objekts Geplant Realisiert

    1.3. bis 26.3.1945 (zwei Kompanien des 270. PiB)

    offener Beobachtungspunkt 2 -

    Unterstand (2x6x2 Meter) mit einer 6-lagigen Balkendecke 2 -

    Unterstand (2x4x 2 Meter) mit einer 4-lagigen Balkendecke 4 -

    27.3. bis 15.4.1945 (zwei Kompanien des 270. PiB, drei Kompanien des 261. PiB, eine

    Kompanie des 19. GPiB, zwei Kompanien des 262. PiB – ab 13.4.1945)

    Unterstand mit zwei Räumen (4x2x2 Meter) und einer 8-lagigen

    Balkendecke 6 6

    Unterstand mit zwei Räumen (2x2x2 Meter) und einer 8-lagigen

    Balkendecke 6 6

    Unterstand mit einem Raum (2x2x2 Meter) und einer 4- bis 6-

    lagigen Balkendecke 6 6

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    Unterstand mit einem Raum (2x2x2 Meter)und einer 2-lagigen

    Balkendecke 7 6

    Küchenunterstand 1 1

    offener Speiseraum 1 1

    Toiletten 2 2

    Verbindungsgraben und Graben mit Verschalung 128 lfd. m 266 lfd. m

    Treppe am Hang der Höhe 42 lfd. m 42 lfd. m

    vertiefter Verbindungsgraben 71 lfd. m 71 lfd. m

    Unterstand für Kraftfahrzeuge 12 12

    Splittergraben 14 23

    Beobachtungspunkt 5 5

    Der Bau des unterirdischen Schutzraums

    Das wichtigste von den Angehörigen des 270. Pionierbataillons gebaute Bauwerk

    war der sogenannte „Shukow-Bunker“. In den russischen Archivunterlagen wird er

    als unterirdischer Schutzraum bezeichnet, da seine Hauptaufgabe nicht in der Un-

    terbringung von Stabsarbeitern bestand, sondern im Schutz gegen gegnerische

    Granaten und Fliegerbomben aller Kaliber, deshalb sollte er auch nur im Falle

    möglicher deutscher Luftangriffe aufgesucht werden.

    Der unterirdische Schutzraum

    wurde im Zeitraum vom 26.3. bis

    14.4.1945 durch eine Pionierkompa-

    nie gebaut. Der eigentliche Vor-

    trieb konnte jedoch erst nach lang-

    wierigen Vorbereitungen am

    1.4.1945 begonnen werden. Er war

    ein Schutzbauwerk schweren Typs

    mit einer 15 Meter starken Erd-

    schutzschicht und bestand aus ei-

    nem Hauptgang und zwei jeweils 24

    Meter langen Zugängen. Die sich

    dort befindlichen sechs Räume (je

    2x3x2 Meter), konnten als Wohn-

    räume genutzt werden. Alle Gänge

    (Stollen) waren durch Stützrahmen

    gesichert, die miteinander fest ver-

    bunden waren. Die innere Ausklei-

    dung der Gänge bestand aus Bret-

    tern und Furnierholz.

    Schema: Aufbau des Schutzraums

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    Zeichnung des unterirdischen Schutzraums im Gefechtsjournal der 64. Pionierbrigade

    (Quelle: ZAMO RF, f. 30392, op. 1, d. 45)

    Als Vortriebsmethode wurden kontrollierte

    Sprengungen gewählt. Die Hauptschwie-

    rigkeit bei diesen unterirdischen Sprengar-

    beiten stellte ausschließlich die durchgän-

    gige Lehmschicht dar, die stark mit Fels-

    brocken durchsetzt war. Angesichts der

    großen Tiefe der Gänge erforderten die

    Sprenggase eine starke Ventilation.

    Die Pioniere waren einer großen physi-

    schen Belastung beim Abtransport des

    Erdreichs ausgesetzt, das über 50 Meter

    getragen werden musste. Der allgemeine

    Umfang des abtransportierten Erdreichs

    betrug mehr als 250 Kubikmeter. Für den

    Bau waren 900 Arbeitsstunden erforder-

    lich.

    Tabelle: Übersicht über die Tagesergebnisse

    während des Vortriebs

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    Die Konservierungsarbeiten in den 1980-iger Jahren

    Nach Kriegsende geriet die B-Stelle auf dem Reitweiner Sporn nahezu in Vergessen-

    heit und hatte lediglich örtliche Bedeutung. Ein Zeitzeuge berichtete, dass eine FDJ-

    Initiative des Brückenbau-Regiments in Seelow in den 1970-er Jahren die B-Stelle in

    den ursprünglichen Zustand ver-

    setzt wollte. Dazu kam es jedoch

    nie, da der damalige 1. Sekretär

    der SED-Bezirksleitung Frankfurt

    (Oder), Jochen Hertwig das Projekt

    abgelehnt haben soll. Zu Beginn

    der 1980-iger Jahre war der Zu-

    stand des zum Teil verschütteten

    unterirdischen Schutzraums so

    schlecht, dass Maß-nahmen zu sei-

    ner Sicherung und Konservierung

    unternommen werden mussten.

    Ansicht des Reitweiner Sporns im Juni 1945

    Erstmalig wurde eine umfassende Vermessung vorgenommen. Über den Zeitpunkt

    dieser Vermessung gibt es unterschiedliche Daten. So schreibt zum Beispiel Tony Le

    Tissier in seinem Buch „Durchbruch an der Oder – Der Vormarsch der Roten Armee

    1945“ zu diesem Thema, dass die Vermessungsarbeiten im Jahre 1988 durch den

    NVA-Oberst Diebbert Lang und dessen Sohn erfolgt seien.

    Ansichten verfallener Laufgräben

    und des linken verschütteten Gangs

    des unterirdischen Schutzraums

    (von innen)

    Andere Archivquellen nennen dagegen den Oktober 1989, als Pioniere des Pionier-

    Regiments 2 aus Storkow das Gelände der B-Stelle säuberten, vermaßen und

    sicherten. Auf der Grundlage der erhaltenen Messergebnisse wurde auch ein maß-

    stabgerechtes Modell angefertigt, welches lange Jahre Bestandteil der ständigen

    Ausstellung der Gedenkstätte Seelower Höhen war und heute in Reitwein steht.

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    Legenden um die B-Stelle auf dem Reitweiner Sporn

    Im Laufe der Jahre entstanden immer wieder Legenden um die B-Stelle auf dem

    Reitweiner Sporn, die inzwischen durch aufgefundene Dokumente widerlegt oder

    bestätigt werden konnten. Oft jedoch beruhen diese Legenden nur auf Berichten

    von Zeitzeugen, die naturgemäß subjektiv gefärbt waren und durch Publizierung in

    den Medien eine gewisse Legitimität fanden.

    Beispielhaft dafür sollen im Weiteren vier Fragen stehen, die auf einer derartigen

    Legendenbildung beruhen.

    Hat sich Marschall Shukow einfach der B-Stelle von Generaloberst Tschuikow

    bemächtigt?

    Um diese Frage ranken sich verschiedene Mythen, die vorrangig auf Interpretatio-

    nen von Memoiren Shukows und Tschuikows beruhen. Jedoch muss man hierbei auf

    Erstlauflagen zurückgreifen, da mit jeder Neuauflage der Memoiren diese „ent-

    schärft“ wurden. Streitigkeiten zwischen den beiden Heerführern passten nicht ins

    offizielle Bild. Die gab es aber wirklich und sie beruhten auf verletzter Eitelkeit.

    Der britische Historiker Anthony Beevor bemerkt dazu in seinem Buch „Der Fall von

    Berlin 1945“:

    „… Tschuikow war nicht erfreut, als man ihm mitteilte, dass Shukow zu ihm

    kommen wolle, um gemeinsam die Artillerievorbereitung und den Beginn des

    Angriffs zu verfolgen … Seine Voreingenommenheit gegenüber Shukow rührte

    vermutlich noch aus dem Winter 1942/43 her. Ihm schien, dass seine 62. Armee,

    die heldenhaft Stalingrad verteidigt hatte, nicht die nötige Aufmerksamkeit

    erhielt, während die Rolle Shukows bei jenen Ereignissen überhöht dargestellt

    wurde … Aber auch Tschuikow selbst brachte Shukow in Rage. Dem

    Oberbefehlshaber der 1. Weißrussischen Armee gefielen dessen Kommentare

    nicht, dass man Berlin noch im Februar nehmen könne …“

    Es könnte also geschlussfolgert werden, dass Tschuikow durchaus von Shukows Plä-

    nen wusste, den Beginn der Berliner Operation vom Reitweiner Sporn aus zu verfol-

    gen.

    Recherchen in zugänglichen Dokumenten zeigen jedoch, dass es dafür keine Be-

    weise gibt. Allerdings sind zwei Aspekte zu beachten: Zum einen handelte Tschui-

    kows Gardearmee in der Hauptstoßrichtung, wo sich für gewöhnlich auch der

    Oberbefehlshaber der Front aufhielt.

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    Zum anderen ist fotografisch

    belegt, dass der Befehlshaber

    Artillerie der 1. Weißrussischen

    Front, Generaloberst Kasakow und

    der Chef der Politischen

    Verwaltung der Front, General-

    leutnant Telegin, schon mehrere

    Tage vor Operationsbeginn die B-

    Stelle der 8. Gardearmee auf-

    suchten, um sich vor Ort ein Bild

    vom künftigen Gefechtsfeld zu

    machen.

    Tschuikow, Telegin und Kasakow auf der B-Stelle

    auf dem Reitweiner Sporn

    Trafen Marschall Shukow und Generaloberst Tschuikow ohne gegenseitige Informa-

    tionen ihre Entscheidungen?

    Ein weiterer Mythos, der oftmals in Publikationen zu finden oder auf Führungen zu

    hören ist, beinhaltet die Behauptung, dass das durch die Einführung der Gar-

    depanzerarmeen hervorgerufene Chaos auf dem Gefechtsfeld auf eine man-

    gelnde Kommunikation zwischen Marschall Shukow und Generaloberst Tschuikow

    zurückzuführen sei. Es wird kolportiert, dass der eine den Entschluss zur Einführung der

    Panzer fasste, während zeitgleich der andere eine Einstellung der Handlungen seiner

    Schützenverbände vor den Seelower Höhen und ihre Umgruppierung für einen

    Angriff am nächsten Tag befahl.

    Die Realität sah jedoch anders aus. Shukow war total unzufrieden mit den Ergebnis-

    sen des ersten Angriffstags. Vermutlich stand er unter hohem Erwartungsdruck sei-

    tens des Oberkommandos der Roten Armee, denn seinem Entschluss ging ein län-

    geres Telefongespräch mit Stalin voraus.

    Der bereits zitierte britische Historiker Anthony Beevor schreibt dazu in seinem Buch:

    „… Gegen Mittag entschloss sich Shukow zu Änderungen im Operationsplan.

    Zweifellos geschah das nach einem erneuten Telefongespräch mit Stalin. Ur-

    sprünglich sollten die Panzerarmeen erst, nachdem die Infanterie die feindli-

    chen Stellungen durchbrochen und die Seelower Höhen erreicht hatte, in die

    Schlacht eingeführt werden. Doch Shukow konnte nicht weiter warten.

    Tschuikow versuchte, den Marschall von einer vorzeitigen Einführung der Pan-

    zerverbände abzuhalten, da er das entstehende Chaos in den Gefechtsord-

    nungen der Schützeneinheiten voraussah. Doch Shukow ließ sich nicht um-

    stimmen …“

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    Diese Aussage lässt den Schluss zu, dass Tschuikow sehr wohl vom Vorhaben Shukows

    informiert war, ihn sogar davon, wenn auch ohne Erfolg, abzubringen versuchte.

    Davon berichtet Tschuikow auch in seinem Redebeitrag auf der Babelsberger

    Konferenz zur Auswertung der Berliner Operation. Dennoch erwähnen weder der

    Marschall noch der Generaloberst diese Episode in ihren späteren Memoiren.

    Wurde die B-Stelle von sowjetischen Flugzeugen angegriffen?

    Die B-Stelle der 8. Gardearmee auf dem Reitweiner Sporn wurde nicht direkt

    angegriffen. Dennoch kam es am zweiten Operationstag, am 17. April 1945, zu

    einem Vorfall, den der Befehlshaber der 8. Gardearmee, Generaloberst Tschuikow,

    in einem Vortrag zur Auswertung der Berliner Operation nach dem Krieg wie folgt

    schildert:

    „… Das war im Oderbrückenkopf, neben meiner B-Stelle, wo sich Marschall

    Shukow befand. Da fliegt eine Staffel an, geordnet und mit Zielzuweisung, sie

    sollte Alt Tucheband bombardieren. Ohne das Ziel zu erreichen, dreht diese

    Staffel ab und führt einen Schlag auf Reitwein. Ich rufe selbst an, schreie, dass

    ihr Kommandeur sich geirrt hat und die Eigenen bombardiert. Man sagt mir

    ‚Hören Sie, er hat einen Fehler gemacht, wir machen ihm das gerade klar,

    lassen Sie ihn ein weiteres Mal aufsteigen, einen zweiten Fehler wird er nicht

    machen. ‘ Aber beim zweiten Mal, zu allem Übel, fliegt er erneut über Reitwein,

    dreht ab und bombardiert genau die Stelle, die Eigenen, zum zweiten Mal …“

    Marschall Shukow war darüber so erzürnt, dass

    er der Luftabwehr, welche die B-Stelle gegen

    deutsche Angriffe aus der Luft decken sollte,

    befahl, das Feuer auf die eigenen Flugzeuge zu

    eröffnen, falls sie sich ein weiteres Mal der B-

    Stelle näherten. Die Lage entspannte sich erst

    am Abend des 17. April 1945, nachdem es ge-

    lungen war, stabile Nachrichtenverbindungen

    zum Stab der 16. Luftarmee zu unterhalten.

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    Wurden beim Bau des unterirdischen Schutzraums Flammenwerfer eingesetzt?

    Eine besonders hartnäckige Legende rankt sich um den Einsatz von Flammenwer-

    fern beim Bau des unterirdischen Schutzraums. Die als glaubhaft dargestellten Zeit-

    zeugenberichte reichen vom Vortrieb im Hügel bis hin zur Trocknung der gegrabe-

    nen Gänge.

    So schreibt zum Beispiel Tony Le Tissier in seinem bereits erwähnten Buch „Durch-

    bruch an der Oder – Der Vormarsch der Roten Armee 1945“:

    „… Die Wände und Decken der aus dem Lehm gehauenen Gänge waren mit

    Flammenwerfern getrocknet, und nur ein kleiner Arbeitsbereich, vermutlich

    von Tschuikow, war mit Holz verkleidet worden …“

    Diese Behauptung widerlegen die bereits erwähnten Dokumente aus dem ZAMO,

    in dem konkrete Angaben zur Holzverkleidung der Gänge des unterirdischen Schutz-

    raums mit gehobelten Brettern gemacht werden. Aber auch die zu jenem Zeitpunkt

    vorherrschenden Witterungsbedingungen lassen Zweifel an dieser These

    aufkommen. Da es keine zivilen Wetterberichte für den Bauort- und Bauzeitraum

    gibt, musste ich bei meinen Recherchen auf Wettermeldungen von Truppenteilen

    der 16. Luftarmee zurückgreifen. Für jene Tage wird wechselhaftes Wetter mit

    Starkregen und Temperaturen über dem Gefrierpunkt gemeldet. Der sicher im Hügel

    noch vorhandene Frost dürfte aber nicht ausgereicht haben, um ohne Stützstreben

    derartige Gänge vorzutreiben. Vermutlich ist der große Brennstoffmangel in den

    strengen Nachkriegswintern dafür verantwortlich, dass bei den Vermessungs- und

    Konservierungsarbeiten im Sommer 1989 nur an einigen wenigen Stellen noch eine

    Holzverkleidung gefunden werden konnte.

    Literatur und Quellen

    1. ZAMO RF, f. 30392, op. 1, d. 45 - Auszug aus dem Gefechtsjournal der 64. Pionier-

    brigade (operativ der 8. Gardearmee unterstellt) für den Zeitraum vom 01.03. bis

    14.04.1945 (Kopie des russischen Originals)

    2. ZAMO RF, f. 233, op. 2356, d. 805 – Auszug aus dem Redebeitrag des Befehlshabers

    der 8. Gardearmee auf der Konferenz zur Auswertung der Berliner Operation (Kopie

    des russischen Originals)

    3. Dokumentation der Bunkeranlage der Roten Armee auf dem Reitweiner Sporn –

    Überreste der Beobachtungsstelle der 8. Gardearmee auf der Reitweiner Höhe (jet-

    ziger Zustand) von 1989

    4. Antony Beevor. Berlin: The Downfall 1945 – Viking-Verlag 2002 (Englisches Original)

    5. Tony Le Tissier. Durchbruch an der Oder – Ullstein-Verlag. 2. Auflage 2001

    6. Privatarchiv Uwe Klar

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    Die 16. (sowjetische) Luftarmee beim Kampf um

    die Küstriner Neustadt

    Gerd-Ulrich Herrmann

    Am 28. März 2015 – 70 Jahre nach Ende der Kämpfe um die Festung Küstrin – fand

    eine gemeinsame Veranstaltung des Festungsmuseums Kostrzyn und der Gedenk-

    stätte Seelower Höhen statt. Nach der Einbettung von sterblichen Überresten ge-

    fallener deutscher Soldaten und einer Andacht in Kostrzyn präsentierten in Seelow

    beide Einrichtungen die in deutscher und polnischer Sprache erschienene

    Publikation „Festung Küstrin 1945 Anspruch und Wirklichkeit“. Seit dem Erscheinen

    veröffentlichte das Zentralarchiv der Streitkräfte der Russischen Föderation (ZAMO)

    eine Vielzahl von Gefechtsdokumenten und Berichten der 5. Stoß-, der 8. Garde-

    und der 16. Luftarmee, die über die damaligen Ereignisse neue Einblicke er-

    möglichen.

    In diesem Beitrag sollen die Gefechtseinsätze der sowjetischen Bomben-, Schlacht-

    und Jagdfliegerkräfte im Kampf um die zur Festung erklärten Stadt zusam-

    menfassend dargestellt werden. Die „Abteilung zur Nutzung der Kriegserfahrungen

    des Stabes der 16. Luftarmee“ ordnet diese Kampfhandlungen in die Endphase des

    Zweiten Weltkrieges ein:

    „Betrachteten die Deutschen den Durchbruch der Verteidigung an der

    Weichsel und die Einnahme von Warschau durch unsere Truppen als Öffnung

    des Tores nach Deutschland, so war der Verlust von Küstrin an der Oder für die

    deutsche Führung die Öffnung des Tores nach Berlin.“

    Erste Luftangriffe und die Vorbereitung der Fliegerkräfte zur Vernichtung der

    deutschen Kräfte in der „Küstriner Neustadt“

    Da die metrologischen Bedingungen und fehlende frontnahe Flugplätze

    ausreichende Starts verhinderten, konnten im Februar 1945 die sowjetischen Flieger-

    kräfte, ihre an der Oder handelnden Bodentruppen nur sporadisch decken und

    deutsche Stützpunkte angreifen. Im Streifen der 1. Weißrussische Front wurden in den

    ersten beiden Februarwochen 13 950 deutsche Flugbewegungen, bei nur 1 530

    eigenen Starts, beobachtet. Erst in der zweiten Monatshälfte, als genügend front-

    nahe Start- und Landebahnen zur Verfügung standen, errang die 16. Luftarmee mit

    7 272 Starts die Luftherrschaft gegenüber der deutschen Luftwaffe, die nur noch auf

    3 140 Einsätze kam. Im gesamten Monat Februar schossen die Piloten der 16. Luft-

    armee in 285 Luftkämpfen 229 deutsche Flugzeuge ab.

    Ende Februar 1945 erhielt die 16. Luftarmee den Auftrag, mit Luftschlägen den

    Angriff des 32. Schützenkorps (5. Stoßarmee) zur Vernichtung der Festungsbesatzung

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    zu unterstützen und den Luftraum gegen einfliegende Feindflugzeuge zuverlässig zu

    decken. Mit der Ausführung des Kampfauftrages betraute Generalleutnant

    Rudenko das 3. Bombenfliegerkorps, die 221. Bombenfliegerdivision, die 242. Nacht-

    bombenfliegerdivision, die 300. Schlachtfliegerdivision (9. Schlachtfliegerkorps), das

    13. Jagdfliegerkorps und die 1. Gardejagdfliegerdivision. Nach gründlicher Aus-

    wertung der Luftschläge auf die Festung Posen wurden den Truppenteilen präzise

    Weisungen bezüglich der Vorbereitung und Durchführung von Schlägen gegen

    einen sich in urbanem Gelände verteidigenden Gegner erteilt.

    Zehn ausgewählte Besatzungen des 3. Bombenfliegerkorps absolvierten eine

    intensive Tiefflugausbildung zur Bekämpfung von Punktzielen. Dem diente auch ein,

    auf die metrologischen und geografischen Bedingungen abgestimmtes Training der

    Steuerleute, die den Zeitpunkt für einen gezielten Bombenabwurf zu ermitteln

    hatten. Die Pe-2-Besatzungen sollten großkalibrige Bomben (FAB-500, FAB-250 und

    FAB-100) in Kombination mit Brandbomben abwerfen, um die Objekte durch

    Sprengwirkung und Brände zu zerstören.

    Ein besonderes Augenmerk legten die Kommandeure auf die Ausbildung der Stäbe

    und Besatzungen im Zusammenwirken mit den Schützenverbänden. Dabei kam den

    Fliegerleitoffizieren, die sich vor Angriffsbeginn mit tragbaren Funkmitteln in die vor-

    dere Linie der angreifenden Truppenteile begaben, eine Schlüsselposition zu. Durch

    die ständige Luftaufklärung durch die Aufklärungsfliegerregimenter, aber auch

    Schlacht- und Jagdflugzeuge der regulären Fliegertruppenteile konnten den Bo-

    dentruppen sowie eingesetzten Bomben- und Schlachtfliegerkräften wertvolle

    Lageinformationen zur Verfügung gestellt werden.

    Wenige Tage vor Einsatzbeginn überprüfte

    Generalleutnant Rudenko persönlich die

    Bereitschaft der Stäbe und Verbände zur

    Erfüllung der gestellten Aufgaben.

    Generalleutnant Rudenko (8. Mai 1945 in Berlin-

    Tegel)

    In Ermangelung einer ausreichenden Anzahl an Brandbomben erhielt die

    242. Nachtbombenfliegerdivision den Befehl, Flächenbrände durch Abwurf von

    Behältnissen mit erbeutetem Benzin auszulösen. Unter Leitung einer aus Generalen

    und Stabsoffizieren der 5. Stoßarmee und des Geschwaders bestehenden

    Kommission erprobten am 1. März 1945 ausgesuchte Besatzungen den Abwurf

    verschiedener mit Benzin gefüllter Behälter. Metallfässer, Milchkannen oder große

    Glasflaschen mit einem Fassungsvermögen von bis zu 40 Litern wurden, mit einem

    oder mehreren Zündmitteln des Typs BGS-12 versehen, wie Brandbomben an speziell

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    entwickelten Bombenhalterungen befestigt und abgeworfen. Daneben wurde

    auch mit zur Panzerbekämpfung entwickelten Container des Typs BAS-11

    experimentiert. Anstelle mit kleinen PTAB wurden sie jedoch mit Bier- und anderen

    kleinen Glasflaschen bestückt, um durch die Streuwirkung größere Flächen bzw.

    Gebäude in Brand setzen zu können. Große Behälter – wie Metallfässer – , mit einem

    oder mehreren Zündmitteln des Typs BGS-12 versehen, befestigten die Mechaniker

    an speziell entwickelten Bombenhalterungen. Über die Ergebnisse des Tests infor-

    miert der Abschlussbericht:

    „Die Erprobung der gefüllten Behälter erfolgte aus Höhen von 150 bis 200

    Metern auf eine Übungsortschaft, die den Ortschaften auf dem Kriegs-

    schauplatz ähnelte ... Während der Erprobung und im Verlaufe der

    Gefechtsarbeit konnten keine Probleme beim Abwurf beobachtet werden.

    Auch kam es zu keiner Auslösung in der Luft oder beim Anflug.“

    Die Gefechtshandlungen zur Einnahme des Verteidigungsbereiches Neustadt

    Die Bombardierung Küstrins begann bereits am 17. Februar 1945 durch die

    242. Nachtbombenfliegerdivision. Da die deutsche Luftwaffe und die Luftabwehr

    der Festung noch aktiv waren, handelten die Besatzungen ausschließlich während

    der Dunkelheit. Pausenlos, im Intervall von einer bis zwei Minuten, flogen die leichten

    Bomber des Typs Po-2 ins Zielgebiet ein und

    warfen Bomben von 2,5 bis 25 Kilogramm

    bzw. Brandbehälter auf deutsche Stellungen

    ab. Weiterhin hatten die Besatzungen durch

    ihre plötzlichen Angriffe aus dem nächtlichen

    Himmel zur „Terrorisierung der feindlichen

    Garnison“ beizutragen. Ihr charakteristisches

    „Surren“ brachte dem Flugzeug bei den

    deutschen Soldaten die Bezeichnung

    „Nähmaschine“ bzw. „Kaffeemühle“ ein.

    Leichter Bomber PO-2

    Der Bericht der 16. Luftarmee hebt hervor, dass die Zerstörung des Zentrums vor allem

    das Ergebnis der Nachtbomber gewesen war. „Im genannten Zeitraum flog die

    Division unmittelbar gegen die Stadt Küstrin und ihre Umgebung 2044 Ge-

    fechtseinsätze mit Bombenabwürfen. Dabei wurden 237 133 Kilogramm Bomben

    verschiedener Kaliber und 280 000 Flugblätter abgeworfen.“ Ein Regiment warf in

    fünf Nächten insgesamt 14 Tonnen Brandflüssigkeit ab und entfachte dabei 100

    Brände. Nach ihren eigenen Beobachtungen wurden 96 Explosionen herbeigeführt,

    231 Brände entfacht, 57 Gebäude zerstört und mehrere Artilleriefeuerstellungen

    niedergehalten. Der Verband wurde aufgrund der erfolgreichen Handlungen im

    Befehl Nr. 300 des Obersten Befehlshabers vom 12. März 1945 lobend erwähnt und

    dem gesamten Personalbestand der Dank ausgesprochen. Im März und April 1945

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    griffen die Nachtbomber 297 Mal Ziele in Küstrin, Golzow, Gorgast, Alt Tucheband

    und Sachsendorf mit Brandflüssigkeit an.

    In den frühen Morgenstunden des 5. März 1945 warfen 92 Pe-Bomber des 3. Bom-

    benfliegerkorps 253 Spreng-, 14 Splitter- und 19 Brandbomben verschiedener Kaliber

    Industrieanlagen und Lager im Raum des Hauptbahnhofes sowie im südöstlichen

    Stadtteil ab.

    Die Pe-2 bildete das Rückgrat der Front-

    fliegerkräfte.

    Die deutschen Flak-Batterien eröffneten auf die Bombenflugzeuge „starkes Flieger-

    abwehrfeuer mit bis zu 25 gleichzeitig detonierenden

    Flak-Granaten.“ Ein Flugzeug musste daraufhin

    notlanden und fünf weitere Maschinen „wiesen bis zu

    acht Löcher von Granatsplittern in der Außenhülle“ auf.

    Das Gefechtsjournal berichtet: „Nach bestätigten

    Luftbildern wurden durch die Bombenabwürfe bis zu 35

    verschiedene Gebäude, die Werkhalle eines Sägewerks

    und fünf Werkhallen des Gaswerks zerstört. Bis zu 25

    Kraftfahrzeuge wurden vernichtet sowie das Feuer einer

    Fliegerabwehrbatterie und einer Artilleriebatterie nieder-

    gehalten. Es wurden 5 Brandherde und eine starke Ex-

    plosion beobachtet.“

    Flak-Batterie an der Warthe

    (Sammlung Gerda Körner)

    Die 16. Luftarmee meldet:

    „Bis zum 7.3.45 flogen die Fliegerkräfte gegen Küstrin 676 Gefechtseinsätze,

    davon mit Nachtbombenflugzeugen PO-2 – 495, mit Tagbombenflugzeugen

    Pe-2 und „Boston“ – 107 sowie mit Schlachtflugzeugen IL-2 – 74.“

    Zur Unterstützung des Angriffs des 32. Schützenkorps starteten gegen Mittag des

    7. März 1945 insgesamt 69 Maschinen der 301. und 241. Bombenfliegerdivision. Den

    Jagdschutz der Neunerketten stellte die 1. Gardejagdfliegerdivision mit amerikani-

    schen P-39 „Airacobra“ sicher. Auf deutsche Verteidigungsanlagen, das Sägewerk

    im südöstlichen Stadtteil und das Neue Fort nördlich des Bahnhofs warfen die Be-

    satzungen im Sturz- und Horizontalflug 221 Spreng-, 27 Splitter- und drei Brandbom-

    ben ab. Nach Auswertung der Luftbilder waren bis zu 60 Gebäude zerstört und fünf

    Brände mit begleitenden starken Explosionen entfacht worden. An diesem Tag ver-

    lor das Korps drei ihrer Pe-2. Eine Maschine stürzte brennend am nordöstlichen

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    Stadtrand ab und explodierte. Eine weitere verlor nach einem Treffer die Manö-

    vrierfähigkeit und rammte die vor ihr fliegende Pe-2. Beide Flugzeuge gerieten in

    Brand und schlugen im Zielgebiet auf. Alle drei Besatzungen sind vermutlich gefallen.

    Einen Tag später starteten das 96. und 34. Bombenfliegerregiment vom Flugplatz

    Posen-Eisenmühle, dem heutigen Airport Poznań-Ławica, um das Neue Fort und die

    Fabriken nahe den Warthebrücken anzugreifen. Aufgrund „der sich rapide

    verschlechternden meteorologischen Bedingungen (Schneefall mit niedriger

    Wolkendecke) konnten die Gruppen keinen Wiederholungsschlag“ führen. Nur einer

    Besatzung gelang zwei Anflüge, wobei 16 Gebäude des Gas- und Sägewerkes

    zerstört wurden.

    Die Pe-2-Bomber und die Bomber A 20 „Boston“ (Lieferungen aus dem Leih- und

    Pachtgesetz/Lend-Lease-Act) griffen in zwei bis drei Neunergruppen an und warfen

    ihre Lasten aus einer Höhe von bis zu 1800 Metern ab, wobei auch fünf erbeutete

    deutsche Bomben des Typs SD-500 mit sowjetischem

    Zünder zum Einsatz kamen. Die geplanten Einsätze mit

    Sprengbomben größeren Kalibers konnten wetterbedingt

    und aufgrund der engen Verzahnung der sowjetischen

    und deutschen Truppen in den letzten Tagen der

    Straßenkämpfe nicht mehr erfolgen. Eine Kommission der

    16. Luftarmee stellte nach Ende der Kämpfe fest, dass die

    Effektivität der Bombenabwürfe „überwiegend gut, bei

    Angriffen im Sturzflug sogar ausgezeichnet“ war.

    Sowjetischer Mechaniker bereitet eine deutsche Bombe mit dem

    Zünder AW-1 für den Einsatz vor.

    Die 300. Schlachtfliegerdivision des 9. Schlachtfliegerkorps erhielt am 6. März 1945

    die Aufgabe, die angreifenden Verbände des 32. Schützenkorps beim Durchbruch

    des äußeren deutschen Verteidigungsrings zu unterstützen und dabei die in den

    Häusern eingerichteten Feuerpunkte und wichtige Objekte der Infrastruktur zu ver-

    nichten. Zur Wirksamkeit der Luftunterstützung berichtet ein Offizier der 5. Stoßarmee,

    dass die Handlungen der Schlachtflugzeuge während des Durchbruchs des äußeren

    Verteidigungsrings einen geordneten Rückzug der deutschen Truppen verhindert

    hätten. Der bereits genannte Bericht schildert die Gefechtseinsätze der Schlacht-

    flieger, in denen auch über die erreichten Zerstörungen informiert wurde. Auf

    Anforderung der Schützendivisionen flogen die IL-2 in Gruppen von bis zu sechs

    Maschinen und griffen, nach Zielzuweisung durch die Fliegerleitoffiziere, aus einer

    Höhe von bis zu 600 Metern gleichzeitig mehrere Ziele an.

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    Die Il-2 zeichnete sich besonders durch die

    Flugstabilität, dem gepanzerten Schutz und

    einer vorzüglichen Bewaffnung aus.

    Während eines Einsatzes erfolgten bis zu acht Anflüge. „In großem Umfang wurden

    auch nach den Bombenabwürfen Bordkanonen und Bordmaschinengewehre

    gegen ... Ziele eingesetzt. Eingesetzte Munition: FAB-100, FAB-50, AO-25 , alle Arten

    von Brandbomben und ungelenkte Raketen RS.“

    Nach einem Einsatz in den Nachmittagsstunden des 6. März 1945 meldeten die IL-2-

    Besatzungen, dass „bis zu 30 Häuser und ein Bunker zerstört, 60 Brände entfacht

    wurden und sieben Munitionslager in die Luft“ „flogen“. Außerdem wurden eine

    Fabrik am westlichen Stadtrand, der Wasserturm am Bahnhof und eine Lagerhalle

    der Reichsbahn getroffen sowie bis zu 30 laufende Meter Bahndamm zerstört und

    bis zu 90 Güterwagen in Brand gesetzt. Das Niederhalten der deutschen Flak-Bat-

    terien übernahmen die Schlachtfliegerbesatzungen, die über eine 37-mm-Bord-

    kanone verfügten.

    Schema der Zielgebiete für die Bomben- und Schlachtflieger

    (Quelle: ZAMO RF, f. 233, op. 2356, d. 457, Dokument 3)

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    Am 9. März 1945 erhielt die Schlachtfliegerdivision vom Stab der 16. Luftarmee eine

    Gefechtsanordnung, in der es heißt: „Die 5. Stoßarmee überwindet am 9.3.45 um

    17:00 Uhr die Warthe. Die Artillerievorbereitung beginnt um 17:00 Uhr. Der Befehls-

    haber hat befohlen, bis 17:00 Uhr einen Schlag auf das Ziel Nr. 4 (Küstrin) zu führen“.

    Für diese Aufgabe standen die Bombenflugzeuge Pe-2 aufgrund der metrologi-

    schen Bedingungen nicht zur Verfügung. Somit mussten die tieffliegenden

    Schlachtflugzeuge allein die deutschen Kräfte zwischen Warthe und der Altstadt

    bekämpfen und niederhalten. Während des Anfluges wurden 10 IL-2 von acht FW-

    180 angegriffen. Dabei ging eine IL-2 des 106. Schlachtfliegerregiments verloren.

    Gegen Küstrin führten die Fliegerkräfte der 16. Luftarmee insgesamt 1743 Ge-

    fechtseinsätze (ohne Jagdschutz) durch, davon 180 mit Bombenflugzeugen Pe-2, 83

    mit Bombenflugzeugen „Boston“, 299 mit Schlachtflugzeugen IL-2 und 1181 mit

    Nachtbombenflugzeugen PO-2. Sie warfen 568 Tonnen Fliegerbomben verschiede-

    ner Kaliber, darunter 46 FAB-500, ab. Die vielen Brände entstanden vor allem durch

    Volltreffer der Brandbomben ZAB-50 und ZAB-10.

    Die Deckung des Einsatzraumes des 3. Bombenfliegerkorps übernahm die 1. Gar-

    dejagdfliegerdivision, die des 9. Schlachtfliegerkorps das 13. Jagdfliegerkorps. Das

    Gefechtsjournal des 13. Jagdfliegerkorps schildert tageweise die Einsätze, die un-

    terschiedlichen Aufgaben, die Abschüsse und die eigenen Verluste. Wobei das

    Korps bis in den Raum Stargard – Stettin – Schwedt – Greifenhagen handelte. Im

    Verteidigungsstreifen der 9. (deutschen) Armee klärte das Korps im Raum Küstrin –

    Wriezen – Strausberg – Werneuchen – Erkner – Beeskow – Lieberrose und Neuzelle –

    Frankfurt (Oder) auf. Weitere Jagdmaschinen flogen „freie Jagd“ gegen deutsche

    Flugzeuge und Bodenziele. Maschinen im „Diensthabenden System“ patrouillierten

    zur Deckung des eigenen Luftraums. So starteten am 5. März 1945 insgesamt 89

    Jagdmaschinen (6 Jak-1, 32 Jak-3 und 51 Jak-9) zu 133 Gefechtseinsätzen. Davon

    dienten: 74 dem Jagdschutz, 10 der Deckung der eigenen Truppen, 32 der Luftauf-

    klärung, 12 der „freien Jagd“ und fünf der Sicherung des eigenen Luftraumes.

    Die Jak-9 war das am meisten

    verwendete Jagdflugzeug der

    sowjetischen Luftstreitkräfte im

    Zweiten Weltkrieg. Sie wurde als

    Begleit-, Abfang- und Lang-

    streckenjäger, Jagdbomber und

    Schlachtflugzeug zur Panzer-

    bekämpfung eingesetzt.

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    Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die Anzahl der Flüge und deren

    Ergebnisse.

    Anzahl

    Flugzeuge

    Einsätze Tiefflug-

    angriffe

    Luft-

    kämpfe

    Abschüsse Eigene

    Verluste

    1.3. 89 133 30 3 3

    2.3. 56 81 9 - - -

    3.3. 153 162 30 7 4 1

    4.3. 84 99 19 - - -

    5.3. 103 168 15 3 3 2

    6.3. 105 151 24 4 1 -

    7.3. 97 139 16 4 4 2

    8.3. 121 192 29 15 11 2

    9.3. 62 88 8 3 4 1

    10.3. - - - - - -

    11.3. 155 283 22 17 13 2

    12.3. - - - - - -

    13.3. 58 69 3 8 12 2

    An den Luftkämpfen nahmen auf beiden Seiten stets mehrere Maschinen teil. So

    heißt es im Gefechtsjournal für den 11. März 1945: „An 17 Luftkämpfen waren von

    unserer Seite 56 Flugzeuge (22 Jak-3, 34 Jak-9) und seitens des Gegners 81 FW-190

    und eine Hs-129 beteiligt. Dabei wurden 13 FW-190 und die Hs-129

    abgeschossen“. Zu den Einsätzen der 1. Gardejagdfliegerdivision können, da bisher

    keine Gefechtsjournale erschienen sind, keine detaillierten Angaben gemacht

    werden.

    Die Stäbe der 16. Luftarmee werteten die Einsätze durch eine spezielle Kommission

    aus. Davon zeugen die zahlreichen Berichte der an den Luftangriffen beteiligten

    fliegenden Verbände, die objektbezogenen Kontrollen und Dokumentationen über

    die Wirksamkeit der Bomben und Raketen in den Zielgebieten. Die sowjetischen

    Fliegerkräfte sammelten dabei Erfahrungen bei der Bekämpfung und dem

    Niederhalten von gegnerischen Truppen und Objekten auf einem urbanen Territo-

    rium. Sie fanden Berücksichtigung bei den bevorstehenden Schlägen gegen den

    Berliner Verteidigungsbereich, aber auch bei der endgültigen Vernichtung der Ver-

    teidiger der Altstadt von Küstrin.

    Nach der Einnahme der Neustadt stellte die Kommission fest, dass die Fliegerkräfte

    diese zu 85 % zerstört oder beschädigt hatten. Ob diese Zahl den Tatsachen ent-

    spricht, ist schwer einzuschätzen.

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    [email protected]

    Beispiele aus dem Bericht: „Kurze operativ-taktische Übersicht Nr. 3 des Stabes der

    16. Luftarmee zum Thema: „Die Rolle der Fliegerkräfte beim Kampf um Küstrin“ vom

    21.03.1945, ZAMO RF, f. 233, op. 2356, d. 457, Dokument

    http://www.geschichte-erinnern.de/interessengemeinschaft/mailto:[email protected]

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    Quellen:

    Kurze operativ-taktische Übersicht Nr. 3 des Stabes der 16. Luftarmee zum Thema:

    „Die Rolle der Fliegerkräfte beim Kampf um Küstrin“ vom 21.03.1945, ZAMO RF, f. 233,

    op. 2356, d. 457, Dokument 3. Veröffentlicht im Internet auf der offiziellen Archivseite

    des Archivs unter: https://pamyat-naroda.ru/, Suchmaske: 16 ВА, geöffnet am:

    16.02.2017. Kopie auf 15 Schreibmaschinenseiten mit einem Schema, einer Karte

    und Anhang mit 22 Fotografien.

    Autorenkollektiv: Militärhistorischer Abriss des Kampfweges der 16. Luftarmee (1942-

    1945), Kapitel 4: Von der Weichsel zur Oder. Unterkapitel: In den Kämpfen um den

    Küstriner Brückenkopf, Moskau, Militärverlag des Verteidigungsministeriums der

    UdSSR, 1973.

    Material über die Erprobung und den Gefechtseinsatz von erbeutetem Benzin zur

    Inbrandsetzung von Gebäuden in der Stadt Küstrin durch die 242.

    Nachtbombenfliegerdivision der 16. Luftarmee. ZAMO RF, f. 233, op. 2356, d. 457,

    Dokument 3. Veröffentlicht der offiziellen Archivseite des Archivs unter:

    https://pamyat-naroda.ru/. Suchmaske: 16 ВА, geöffnet am: 16.02.2017. Kopie auf 5

    Schreibmaschinenseiten und einem Anschreiben.

    Gefechtsjournal des 3. Bombenfliegerkorps der 16. Luftarmee für den Zeitraum vom

    01.03. bis 31.03.1945. ZAMO RF, f. 20513, op. 1, d. 49. Veröffentlicht der offiziellen

    Archivseite des Archivs unter: https://pamyat-naroda.ru/, Suchmaske: 3 бак,

    geöffnet am: 22.02.2017. Kopie auf 36 Schreibmaschinenseiten.

    Gefechtsjournal des 9. Schlachtfliegerkorps der 16. Luftarmee für den Zeitraum vom

    01.03. bis 31.03.1945 (80 Schreibmaschinenseiten). ZAMO RF, f. 20540, op. 1, d. 113.

    Veröffentlicht im Internet auf https://pamyat-naroda.ru/, Suchmaske: 9 шак,

    geöffnet am: 12.01.2017.

    Gefechtsjournal des 13. Jagdfliegerkorps für den Zeitraum vom 01.03. bis 31.03.1945.

    ZAMO RF, f. 20548, op. 1, d. 14. Veröffentlicht im Internet auf der offiziellen Archivseite

    des Archivs unter: https://pamyat-naroda.ru/, Suchmaske: 13 иак, geöffnet am:

    02.12.2017. Kopie auf 47 Schreibmaschinenseiten.

    Herrmann, G.-U., Die Festung Küstrin 1945. Anspruch und Wirklichkeit, Helios-Verlag,

    Aachen 2015.

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    [email protected]

    Erinnerungen wachhalten!

    „Soldatengräber sind die besten Prediger des Friedens.“

    Gerd-Ulrich Herrmann

    Diese oft zitierten Worte des Friedensnobelpreisträgers Albert Schweitzer haben in

    Bezug auf heutige Kriege und weltweite Spannungen nicht an Bedeutung verloren.

    Mit ihrem Engagement am Volkstrauertag bestätigten viele Menschen, dass die Bot-

    schaft dieses Gedenktages angesichts täglicher Meldungen immer noch aktuell ist

    und gedachten der Opfer zweier Weltkriege.

    Im Landkreis Märkisch Oderland erinnern heute 174 gepflegte Kriegsgräberstätten mit

    fast Grabstellen für 30 000 Tote der letzten Kriegsmonate. Jedes Jahr werden die

    sterblichen Überreste von Gefallenen vieler Nationen auf dem ehemaligen Schlacht-

    feld Oderbruch und der Höhenstufe geborgen. Rotarmisten finden ihre letzte Ruhe auf

    dem Zubettungsfriedhof Lebus bzw. auf den Kriegsgräberstätten Reitwein und

    Manschnow. Für die Gefallenen der Wehrmacht wurden die Kriegsgräberstätten Liet-

    zen und Wuhden durch den Volksbund und die zuständigen Kommunen umfangreich

    saniert.

    Neu gestaltete Fläche für die

    Zubettung, Kriegsgräberstätte

    Lietzen (2017)

    Am 23. Oktober 2017 fand in Lietzen die Zubettung der sterblichen Überreste von 50

    deutschen Gefallenen statt. Leider wird nicht jeder seinen Namen zurückerhalten. An

    der würdevollen Veranstaltung nahmen zahlreiche Bürger unterschiedlichen Alters teil.

    Unter ihnen befand sich ein ehemaliger Angehöriger der 9. Fallschirmjägerdivision, der

    nach der Kranzniederlegung tief bewegt von seinen Erlebnissen in den Apriltagen des

    Jahres 1945 berichtete.

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    Die Worte des Gedenkens sprach an diesem sonnigen Sonn-

    abend Gebhard Graf von Hardenberg. Er dankte allen, die in

    den Jahren bis 1989 diesen Friedhof gepflegt haben.

    „Sehr persönliche Worte fand auch Neuhardenbergs Pfarrer

    Thomas Krüger in der Andacht. Er nahm eine Jugendfahrt vor

    fünf Jahren in die Ukraine zum Gegenstand der Reflektion [sic]

    über die heutigen Kriegsschauplätze in aller Welt. Dort habe

    man auch die Schlachtfelder von vor mehr als 70 Jahren be-

    sucht und konnte sich nicht vorstellen, dass so etwas wieder

    passieren sollte. Nun seien Teile der damals so schwer zerstörten

    Ukraine wieder Kriegsschauplätze ... Angesichts von wiederer-

    starkendem Nationalismus und erneuter Grenzziehung vor al-

    lem in den Köpfen sei das Anliegen des Volksbundes Kriegsgrä-

    berfürsorge um so wichtiger: Versöhnung über Gräbern".

    (Märkische Oderzeitung 23.10.2017).

    Auf den ehemaligen Schlachtfeldern ruhen noch Tausende Gefallene in unbekannten

    Grablagen. Auch sie sind in unserem Gedenken

    einge-schlossen. Erwin Kowalke, langjähriger Umbetter

    und nun im „Unruhestand“, verwendet in diesem

    Zusammenhang gern die Worte von Emanuel Kant:

    „Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot,

    der ist nur fern; tot ist nur, wer vergessen wird.“

    Männer und Frauen, die beruflich oder ehrenamtlich

    sterbliche Überreste von Gefallenen bergen, den

    Toten ein würdevolles Grab und den Angehörigen

    Gewissheit geben, gebührt Respekt und Dank. Sie

    leisten damit eine aktive Friedensarbeit. Nachfolgend

    sollen einige von Ihnen, die auch auf

    brandenburgischem Gebiet seit vielen Jahren

    Hunderte Tote geborgen haben, vorgestellt werden.

    Lietzen (Oktober 2017)

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    Umbetter Joachim Kozlowski

    Der einzige Umbetter des Volksbundes deutscher Kriegsgräberfürsorge in Deutschland,

    Joachim Kozlowski, betonte in einem Interview: „Sich der Vergangenheit auf diese

    Weise zu nähern, ist eine besondere Arbeit mit hohen moralischen Ansprüchen".

    Joachim Kozlowski bei der Gebeinaufnahme (Volksbund / Brandenburg 2017)

    Seine erste Exhumierung führte der gelernte Industrie-Elektroniker unter Anleitung von

    Erwin Kowalke im Jahr 2008 noch in seiner Freizeit durch. Er musste einiges lernen, zum

    Beispiel das Protokollieren von Funden und medizinische Fakten zur Bestimmung von

    Alter und Größe, Todesursache sowie des Gräbernachweises auf den Zubettungs-

    friedhöfen. 2010 übernahm er den Staffelstab von Erwin Kowalke, der sich bereits seit

    1980 im Auftrag der evangelischen Landeskirche um den Lietzener Soldatenfriedhof

    gekümmert hatte.

    Seitdem ist Joachim Kozlowski häufig auch im östlichen Territorium des Landkreises

    Märkisch Oderland unterwegs, um Tote aus bisher unbekannten Grablagen zu ber-

    gen. So Anfang Mai 2017, als bei Bauarbeiten für den künftigen Radweg entlang der

    Bundesstraße 1 in der Nähe von Alt Tucheband, die Gebeine von 24 gefallenen Rot-

    armisten aufgefunden wurden. In einem DPA-Bericht heißt es: „... das Bergen der To-

    ten, das Erfassen der historischen Grabanlagen und das Festhalten der Auffindesitua-

    tion ist nur eine Aufgabe. Danach beginnt das zeitaufwendige Recherchieren, Unter-

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    suchen, Dokumentieren. [Kozlowskis] ... Erkenntnisse und auch Funde wie Erkennungs-

    marken und persönliche Gegenstände, beispielsweise Ehering oder Uhr mit Gravur

    meldet er der Deutschen Dienststelle, der früheren Wehrmachtsauskunftsstelle, die der

    Familie des Toten dann mitteilt, was mit dem seit Jahrzehnten Gesuchten passiert ist.

    ‚Die Toten zu ehren, ist mir wichtig. Ich will aber auch den Angehörigen zeigen, dass

    der Volksbund sich 73 Jahre nach Kriegsende noch um die Gefallenen und ihre

    Schicksale kümmert‘, erklärt Kozlowski.“

    Joachim Kozlowski während der Ausbettung (Volksbund / Brandenburg 2017)

    Beim Auffinden von Toten der 1. Weißrussischen Front sind die Recherchen oftmals

    komplizierter: „Auch bei den Russen gab es Erkennungsröllchen mit den wichtigsten

    persönlichen Angaben. Bei den Toten rund um die Seelower Höhen habe ich so etwas

    allerdings nur selten gefunden‘, erzählt der Umbetter, der in diesem Jahr bereits etwa

    500 Kriegstote geborgen und noch ‚etliche Feldgräber‘ vor sich hat. Anhaltspunkte für

    die Identität des Gefallenen gäben auch bei den gefallenen Sowjetsoldaten

    entdeckte Orden, die eingestanzte Nummern hätten. Diese Erkenntnisse leitet der 45-

    Jährige an die russische Botschaft weiter.“

    (siehe: http://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/1618438/).

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    Der Verein zur Bergung Gefallener in Osteuropa e.V.

    Seit der Gründung des „Vereins zur Bergung Gefallener in Osteuropa e. V.“ im Jahr

    1992 führten die ehrenamtlichen Mitglieder ca. 180 Sucheinsätze auf vielen ehemali-

    gen Schlachtfeldern durch, bei denen über 7700 Gefallene gefunden wurden. Der

    Vereinsvorsitzende Albrecht Laue und der Militärhistoriker Wolfgang Ockert haben seit

    Jahren eine enge Verbindung zur Gedenkstätte Seelower Höhen. So fand die

    Ausstellung „Vermisst in Klessin“ (2012) und die Buchpräsentation „Die Panther-Abtei-

    lung ‚Brandenburg‘ 1945 und ihre Vorgeschichte als I. Abt. Pz.Rgt. 26“ (Wolfgang

    Ockert/Axel Urbanke, 2015) ein sehr großes Interesse. In der ständigen Ausstellung der

    Gedenkstätte informieren Tafeln auch über die Arbeit des Vereins.

    Gedenken an den Gräbern deutscher Soldaten in Friedersdorf

    Seit 2005 suchen Männer und Frauen aus Deutschland, Frankreich, Holland, Russland,

    Italien, Polen und der Schweiz sowie der Ukraine Tote, die während der Kämpfe um

    die Brückenköpfe und der „Schlacht um die Seelower Höhen“ unter anderem in

    Klessin, Alt Tucheband, Reitwein und Grunow gefallen waren und in einer

    unbekannten Grablage ruhen.

    Im Zeitraum vom 30. September bis 07. Oktober 2017 fand der 15. Sucheinsatz des

    VBGO e.V. in dem ehemaligen Kampfgebiet um die Ortschaft Klessin statt. Dank der

    akribischen Vorbereitung und den Bemühungen aller Grabungsteilnehmer konnten

    neun sowjetische und fünf deutsche gefallene Soldaten geborgen werden. Eine ge-

    fundene Erkennungsmarke wird ein weiteres Soldatenschicksal klären.

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    Ob weitere Funde zu Namen der

    Gefallenen führen, wird die Zusam-

    menarbeit mit der Botschaft der

    Russischen Föderation und der Deut-

    schen Dienststelle (WAST) zeigen.

    Damit erhöht sich die Zahl der in

    diesem Gebiet Gefundenen auf 95

    deutsche und 110 sowjetische Ge-

    fallene.

    Klessin Oktober 2015

    Neben der eigentlichen Aufgabe, der Gefallenenbergung, sicherten drei mit Baggern

    und Drohnentechnik ausgerüstete Teams im Oktober 2017 zusätzliche Informationen

    von militärhistorischer Bedeutung. Sie legten nach Auswertung von Luftbildern,

    Gefechtsberichten und anderen Dokumenten ein im Februar 1945 angelegtes weit-

    verzweigtes Grabensystem mit Unterständen und Feuerstellungen frei.

    Luftaufnahme nach dem Freilegen des Grabensystems bei Podelzig,

    Oktober 2017 (Foto VBGO e. V.)

    Auch bei vorangegangenen Suchaktionen brachten das Freilegen der Kellerräume

    des ehemaligen Gutshauses, der Landarbeiterhäuser und zahlreicher Stellungen neue

    Erkenntnisse, mit denen Militärhistoriker und historisch Interessierte das Geschehen um

    die wochenlangen und äußerst hart geführten Kampfhandlungen im Kessel von Klessin

    besser rekonstruieren können.

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    Vorschau:

    Unsere nächste Veranstaltung wird im Frühjahr 2018 in Berlin stattfinden.

    Folgende Themen sind vorgesehen:

    Die Strafeinheiten der Roten Armee

    Struktur und Aufgaben der Einheiten des NKWD während der Berliner Operation

    und in den ersten Friedensmonaten

    Berlin in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges auf europäischem Territorium

    Ort, Datum und Themen geben wir rechtzeitig auf unserer Internetseite und per E-Mail

    bekannt.

    Für Anregungen sind wir Ihnen dankbar. Bitte teilen Sie uns Ihre Hinweise mit:

    https://www.geschichte-erinnern.de/interessengemeinschaft/kontakt/

    Wir würden uns freuen, wenn Sie den Newsletter an Interessierte weiterleiten oder auf

    unsere Internetseite aufmerksam machen.

    Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie eine harmonische Weihnachtszeit mit

    vielen kleinen und großen Freuden, erholsame Stunden der Gemütlichkeit

    sowie einen erfolgreichen Start in das Jahr 2018!

    Uwe Klar und Gerd-Ulrich Herrmann

    http://www.geschichte-erinnern.de/interessengemeinschaft/mailto:[email protected]