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Neue Kleine Bibliothek 150

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Neue

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Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik

MEMORANDUM 2010Sozial-ökologische Regulierung

statt Sparpolitik und Steuergeschenken

PapyRossa Verlag

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© 2010 by PapyRossa Verlags GmbH & Co. KG, KölnLuxemburger Str. 202, D–50937 Köln

Tel.: ++49 (0) 221 – 44 85 45Fax: ++49 (0) 221 – 44 43 05E-Mail: [email protected]: www.papyrossa.de

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Willi HölzelGrafiken: Safran WorkS Gaby Pfrüner, Frankfurt/MainDruck: Interpress

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

ISBN 978-3-89438-433-3

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Inhalt

Vorwort 9

I. Kurzfassung des MEMORANDUM 11

II. Langfassung des MEMORANDUM 51

1 Steiniger Weg aus der Krise 53 1.1 Fehlende Wachstumsimpulse 61 1.2 Drohende Kreditklemme? 68

2 Arbeitszeitpolitik in der Krise 71 2.1 Die Krise verschärft die Situation auf dem Arbeitsmarkt 71 2.2 Arbeitszeitverkürzung verhindert eine Katastrophe auf dem Arbeitsmarkt 77 2.3 Die Lehre aus der Krise: kürzere Arbeitszeiten verstetigen 87 2.4 Initiative für eine neue Arbeitsmarktpolitik 97

3 Finanzpolitik gegen die Krise 109 3.1 Nach dem ökonomischen Absturz: Finanzpolitik gegen die Krise 109 3.2 Die schwarz-gelbe Finanzpolitik: Kritik der Steuersenkungspolitik 113 3.3 Alternative Finanzpolitik: Wirtschaft, Arbeit, Umwelt nachhaltig gestalten 123 3.4 Gegen den Kollaps: Ein Sofortprogramm für die Kommunen 132

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4 Bewältigung der Banken- und Finanzmarktkrise 139 4.1 Ausgangspunkt 140 4.2 Krisenbewältigungsstrategien: Reformen zielen auf Systemerhalt 142 4.3 Rolle der Geld- und Finanzpolitik in der Krise 147 4.4 Forderungen an ein zukunftsfähiges Finanzsystem 150

5 Wirtschaftskrise in Europa 161 5.1 Finanzpanik und globale Rezession 161 5.2 Die makroökonomische Lage: Europäische Makropolitiken unter Druck 164 5.3 Vorschläge für Alternativen 170 5.4 Für ein demokratisches Finanzwesen in Europa 171 5.5 Schritte zu einer Verbesserung der makroökonomischen Entwicklungsfähigkeit 172

6 Ressourceneffizienz und Klimaschutz für nachhaltige Entwicklung 177 6.1 Paradigmenwechsel 179 6.2 Energie- und Klimaschutzpolitik neu denken 181 6.3 Klimaschutzpolitik als Teil einer umfassenden Ressourcenpolitik 187 6.4 Globalziel: Entkopplung durch Steigerung der Ressourceneffizienz 190 6.5 Neuer Wohlstand: Was wächst, um wie viel und warum? 191 6.6 Chancen einer integrierten Klimaschutz- und Ressourcenpolitik 197 6.7 Treiber einer ökologischen Industriepolitik 200 6.8 Lehren aus dem IEKP für eine Ressourcen- effizienzpolitik 204 6.9 Auf dem Weg zu einem Policy Mix für Ressourcenpolitik 204 6.10 Drei zentrale Bausteine einer Ressourcenpolitik 207 6.11 Fazit und Ausblick 208

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7 Zwanzig Jahre Deutsche Einheit – eine Bilanz 213 7.1 Grundverschiedene Ausgangsbedingungen 214 7.2 Wirtschaftliche Entwicklung: Kosten und Effekte der Wiedervereinigung 218 7.3 Deutschland 2010 – wiedervereinigt, aber trotzdem zweigeteilt. Erfolge, Defizite und ungelöste Probleme 224 7.4 Forderungen alternativer Wirtschaftspolitik für die Zeit bis 2019 232

8 Bildung in der Dauerkrise 239 8.1 Konservative Bildungsstaatlichkeit und ihre neoliberale Transformation 239 8.2 Welche Reformen wären nötig für ein modernes und sozial gerechtes Bildungssystem? 244 8.3 Bildungsfinanzierung, schwarz-gelber Koalitions- vertrag und die Merkelsche Bildungsrepublik 246

Tabellenanhang 257

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Vorwort

Das MEMORANDUM 2010, das Ende April auf einer Pressekonfe-renz in Berlin der Öffentlichkeit vorgelegt wurde, gliedert sich wie in den vergangenen Jahren in zwei Teile:

I. Die Kurzfassung wurde bis Ende März von über 1.000 Wirtschafts-wissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern durch ihre Unterschrift unterstützt.

II. Die Langfassung enthält ausführliche Erläuterungen und Begrün-dungen für die Kurzfassung. An der Vorbereitung und Ausarbeitung war ein großer Kreis von west- und ostdeutschen Wirtschaftswis-senschaftlerinnen und -wissenschaftlern aktiv beteiligt. Auf zwei Wochenendtagungen der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschafts-politik wurden die Grundpositionen erarbeitet und diskutiert und von einer Endredaktion Mitte Februar in die vorliegende Fassung gebracht.

Ein großer Verlust für die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspo-litik ist der viel zu frühe Tod von Jörg Huffschmid am 5. Dezember 2009.

Jörg Huffschmid hatte die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspo-litik 1975 mitbegründet. Seine Arbeit stand für eine kompromisslose, exzellent fundierte Analyse der ökonomisch, sozial und ökologisch selbstzerstörerischen Kräfte einer entfesselten Profitwirtschaft. Die-ser Einsatz als Forscher und Publizist hat ihn weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt gemacht. Er bleibt aber auch vielen Stu-dierenden als begnadeter Hochschullehrer in Erinnerung.

Von Jörg Huffschmid stammte das Credo: Es gibt Alternativen zu sozialer Spaltung der Gesellschaft und Umweltvernichtung. Ganz wichtig war ihm auch die Arbeitsgruppe European Economists for an Alternative Economic Policy in Europe (EuroMemo-Gruppe), die er 1995 ebenfalls mitbegründet hatte. In den letzten zehn Jahren hat

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vorwort

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sich Jörg Huffschmid intensiv mit Europa und den Finanzmärkten beschäftigt und 1999 das wegweisende Buch „Politische Ökonomie der Finanzmärkte“ veröffentlicht. Hier warnte er bereits früh vor der großen Gefahr „explodierender Finanzmärkte“, deren Folgen wir jetzt in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren erleben.

Bei der Arbeit am diesjährigen Memorandum haben alle Beteilig-ten immer wieder gespürt, wie ihnen Jörg Huffschmids scharfsinnige Analysen, aber auch das persönliche Gespräch mit ihm fehlen. Sein wissenschaftlicher und politischer Einsatz für gute Arbeit, soziale Ge-rechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit wird der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik auch künftig eine wichtige Orientierung sein.

* * *

Mehr Informationen über die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschafts-politik sind im Internet zu finden (http://www.memo.uni-bremen.de). Dort finden sich eine Liste aller Publikationen der Gruppe, Einla-dungen zu Tagungen, aktuelle Veröffentlichungen einzelner Mitglieder der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik sowie Termine und Einladungen.

Kontaktanschrift:Arbeitsgruppe Alternative WirtschaftspolitikPostfach 33 04 4728334 BremenE-Mail: [email protected]: www.memo.uni-bremen.de

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I. Kurzfassung des MEMORANDUM

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kurzfassung

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Sozial-ökologische Regulierung statt Sparpolitik und Steuergeschenken

Die größte Wirtschafts- und Finanzmarktkrise seit den 1930er Jahren hat das seit drei Jahrzehnten weltweit dominierende neoliberale Dog-ma der Überlegenheit freier Märkte widerlegt. Dennoch fällt es der herrschenden Politik und den neoliberalen Mainstream-Ökonomen schwer, die wahren Ursachen der Krise zu benennen: In vielen Volks-wirtschaften hat die zunehmende Umverteilung von unten nach oben zu einem enormen Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Lohnquote geführt. Dadurch wurde der Massenkonsum geschwächt. Der parallele Anstieg der Gewinnquote führte – anders als die Neoliberalen immer wieder behaupten – nicht zu vermehrten realwirtschaftlichen Investiti-onen und damit auch nicht zu einem Anstieg der Beschäftigung. Insbe-sondere in Deutschland lahmt die Binnenwirtschaft aufgrund der hier vollzogenen extremen Umverteilung seit Jahren. Auch eine boomende deutsche Exportwirtschaft konnte die schwache Binnennachfrage nicht ausreichend kompensieren. Deshalb kam es in Deutschland zu einer „gespaltenen Konjunktur“ mit einer Wachstums- und Beschäfti-gungsschwäche auf der einen Seite und zu enorm hohen Leistungsbi-lanzüberschüssen auf der anderen Seite, die bei den Handelspartnern zu Auslandsschulden und damit zu Finanzierungsproblemen führten.

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik weist seit Jahren darauf hin, dass die Umverteilungspolitik zugunsten der Unternehmens- und Vermögenseinkommen, die durch eine völlig verfehlte staatliche Steuer- und Abgabenpolitik noch verschärft wurde, die Finanzmärkte mit reichlich Ersparnissen versorgt hat. Das sich hierdurch in Relati-on zur produzierenden Wirtschaft aufbauende und disproportional verteilte Vermögen fand immer geringere reale Verwertungsmöglich-keiten. Weitere Krisenursachen waren die verstärkte Privatisierung der Alterssicherungssysteme (in Deutschland die Teilprivatisierung durch die Einführung der „Riester-Rente“) und eine entstaatlichte bzw. libe-ralisierte Finanzwelt, welche die Kreierung von unseriösen „Finanz-produkten“ ermöglichte.

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Die vor diesem Hintergrund entstandene Wirtschafts- und Finanz-krise hat tiefe Spuren hinterlassen. Im Jahr 2009 ging die weltwirt-schaftliche Produktion erstmalig in der Nachkriegszeit zurück. Im Winterhalbjahr 2008/09 schrumpfte der Welthandel um fast 20 Pro-zent. Aufgrund der über Jahre entstandenen und politisch geförderten hohen Exportlastigkeit sank das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland um fünf Prozent und damit im internationalen Vergleich besonders

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kurzfassung

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stark. Die Exporte brachen mit einem Minus von 14,7 Prozent ein, die Bruttoinvestitionen gingen um 12,5 Prozent zurück. Die private Kon-sumnachfrage (plus 0,4 Prozent) als größte Komponente der Gesamt-nachfrage konnte dies aufgrund sinkender Nettoreallöhne und -gehälter bei weitem nicht kompensieren. Ohne die so genannte Abwrackprämie wäre die Konsumnachfrage sogar ins Minus gerutscht.

Viele sahen in der dramatischen Krise bereits den Untergang eines finanzmarktgetriebenen Kapitalismus und auf dem Grabstein des Ne-oliberalismus das Jahr 2008 stehen. Tatsächlich hat sich das System durch die Gegenmaßnahmen jedoch als recht stabil erwiesen. Der Ab-sturz konnte im Frühjahr 2009 zumindest gestoppt werden. Für die weitere Entwicklung ist eine Waschbrettkonjunktur zu befürchten.

Doch diese Stabilisierung konnte nur mit einer fundamentalen Ab-kehr von allen bis dato gepredigten wirtschaftspolitischen Glaubenssät-zen erreicht werden. Die Dramatik der wirtschaftlichen Entwicklung hat die Politik gezwungen, sich von den herrschenden neoliberalen Dogmen zu distanzieren: Dazu gehören z.B. die Aussagen, Konjunk-turprogramme seien nutzlos und entfachten lediglich „Strohfeuer“, die Verstaatlichung von Banken sei ein ordnungspolitisch nicht zu vertre-tender Sündenfall, und Arbeitszeitverkürzung sei als Instrument zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit untauglich.

Auch wenn die Konjunkturpakete der Bundesregierung – gerade im Vergleich zu den amerikanischen, japanischen oder chinesischen Programmen – sowohl in quantitativer wie auch in qualitativer Hin-sicht deutliche Mängel aufweisen, zielten sie zumindest in die richtige Richtung. Anstatt den Abwärtskurs der Wirtschaft, wie in der Weltwirt-schaftskrise der 1930er Jahre geschehen, durch Einsparungen noch wei-ter zu befördern, wurde bewusst auf eine Expansion der Staatsausgaben gesetzt. Hierdurch und durch weitere Eingriffe in den Arbeitsmarkt konnten nicht nur Einbrüche der Wirtschaftsleistung, sondern auch die Folgen auf dem Arbeitsmarkt – zumindest temporär – begrenzt werden.

Die aus der Not geborene aktive Krisenbekämpfung stellt allerdings keineswegs einen Paradigmenwechsel der herrschenden Politik dar. Mit der Festschreibung der Schuldenbremse im Grundgesetz wollte

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bereits die Große Koalition sicherstellen, dass die relativ wirksame Antikrisenpolitik ein einmaliger Ausrutscher bleibt. Die neue schwarz-gelbe Bundesregierung knüpft in ihrem Koalitionsvertrag und in ihren ersten konkreten Taten („Wachstumsbeschleunigungsgesetz“) an alte politische Muster an.

Obwohl die gegenwärtige Lage durch geringes und unsicheres Wachstum bei abnehmender Beschäftigung gekennzeichnet ist, geht die Regierung wieder zur neoliberalen Tagesordnung über: Während die öffentlichen Haushalte, besonders die der Länder und Kommunen, vor dem Zusammenbruch stehen, ist bereits von einer Konsolidierung durch die Auflage von Sparprogrammen die Rede, und es werden wie-der einmal Steuern für Wohlhabende und Unternehmen gesenkt.

Wurde unter dem ersten Schock der Finanzmarktkrise und zur Le-gitimation der ungeheuren Summen zur Stützung der Banken noch vollmundig die Einführung von effektiven Kontroll- und Steuerungs-instrumenten angekündigt, speisen die Finanzmarktakteure mit neu-en Spekulationswellen bereits die nächste Blase. Das Umfeld hierzu haben sowohl rot-grüne als auch schwarz-rote deutsche Regierungen geschaffen. Das vierte Finanzmarktförderungsgesetz, das Investment-modernisierungsgesetz – das Hedge-Fonds in Deutschland zuließ –, der massiv geförderte Verbriefungsmarkt oder auch die Steuerbefreiung der den Verbriefungen zwischengeschalteten Zweckgesellschaften waren nationale Maßnahmen und müssen auch national korrigiert werden. Das ist bisher nicht geschehen.

So dringend notwendig die staatliche Kontrolle und Regulierung der Finanzmärkte ist, so wichtig ist es zu erkennen, dass die realwirt-schaftliche Krise nicht bloß eine Folge der Finanzmarktkrise ist. Sie ist auch nicht lediglich eine konjunkturelle Erscheinung, sondern Resultat langfristiger Ungleichgewichte zwischen hohen Gewinnen und hoher Ersparnis bei zugleich relativ knapper werdenden Möglichkeiten, die Ersparnisse in der Realwirtschaft rentabel anzulegen. Die Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung nimmt zu und kann das Nachfrageniveau, das bei gegebenen Produktivitätssteigerungen zur Absorption der Ersparnis und zur Nutzung der aufgebauten Kapa-zitäten notwendig wäre, nicht mehr sichern. Die Lohnquote stürzte

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von 71,0 Prozent im Jahr 1991 auf 64,2 Prozent im Jahr 2007 ab. (Aufgrund der einbrechenden Gewinne in den Krisenjahren 2008 und 2009 stieg die Quote wieder leicht, auf zuletzt 67,5 Prozent, an.) Die Lücke zwischen vorauseilenden Produktionsmöglichkeiten und zurück-bleibender Nachfrage vergrößerte sich, und Erweiterungsinvestitionen in die Realwirtschaft waren rückläufig. Das ist die Hauptursache von Unterbeschäftigung und Wachstumsschwäche.

1.  Steiniger Weg aus der Krise

1.1 Drohende Stagnation

Trotz Stabilisierung der Konjunktur und leichtem Wachstum ist die Krise bei weitem noch nicht überwunden. Ohne eine grundsätzliche Neuausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik ist nicht mit einem nachhaltigen Aufschwung zu rechnen. Die Analyse der Entwicklung der einzelnen Wachstumskomponenten – des Exports, des privaten Konsums, der Anlageinvestitionen und der staatlichen Ausgaben – lässt keinen größeren Optimismus zu.

ExportentwicklungBis zur Krise war das wirtschaftliche Wachstum in Deutschland pri-mär exportgetrieben. Der Exportüberschuss stieg zwischen 2000 und 2007 von sieben auf 170 Milliarden Euro steil an. 1,5 Prozentpunkte des Wachstums in Höhe von 2,5 Prozent – und damit fast zwei Drittel – entfielen im letzten Vorkrisenjahr auf den Außenbeitrag. Damit hat der Export auch eine immer größere Bedeutung für den Arbeitsmarkt bekommen. Vom fünfprozentigen Rückgang des Bruttoinlandspro-dukts im Jahr 2009 waren 3,4 Prozentpunkte dem Einbruch des Au-ßenbeitrages geschuldet.

Diese starke Exportabhängigkeit ist auch der Grund dafür, dass Deutschland von der Weltwirtschaftskrise besonders betroffen ist. Ins-besondere die USA werden ihre Vor-Krisen-Rolle als „Konjunkturlo-komotive“ der Welt vermutlich nicht mehr einnehmen können. Hinzu

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kommt, dass auch viele europäische Staaten aufgrund ihrer Verschul-dung ihre Importe verringern müssen werden. Insofern ist nicht damit zu rechnen, dass der Außenhandel wieder dauerhaft zum Wachstums-motor wird. Denn dazu müsste der Exportüberschuss Jahr für Jahr steigen – und das in einer Welt mit erheblich engeren Verschuldungs-grenzen. Angesichts dieser Situation sind die Wachstumsprognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute für das Jahr 2010, die zwischen 1,2 und 2,1 Prozent liegen und ausschließlich auf der Annahme der Erstarkung des Exports basieren, mit erheblichen Risiken behaftet.

Privater KonsumDer private Konsum stagnierte bereits im Aufschwung und war gerin-ger als der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts. In der Krise sind die privaten Konsumausgaben bisher recht stabil geblieben. Dass sie im Jahr 2009 nicht ins Minus gerutscht sind, ist erstens tariflichen Ein-kommenserhöhungen von im Schnitt drei Prozent aus der Spätphase des vorhergehenden Aufschwungs zu verdanken, zweitens der – wenn auch bescheidenen – Rentenerhöhung im Sommer 2009, drittens dem unter anderem dank Kurzarbeit und anderen Formen der Arbeitszeit-verkürzung bisher geringen Anstieg der Arbeitslosigkeit und last but not least der euphemistisch als „Umweltprämie“ bezeichneten „Ab-wrackprämie“ für Altautos.

Um einen Anstieg des privaten Konsums zu ermöglichen, müsste es den Gewerkschaften gelingen, unter den Bedingungen der Krise die Verteilungsrelationen zulasten der Gewinneinkommen zu verschieben. Das bedeutet, es müssten Abschlüsse oberhalb des verteilungsneutralen gesamtwirtschaftlichen Spielraums erzielt werden. Das ist jedoch nicht zu erwarten.

Zusätzlich wird der zu befürchtende Anstieg der Arbeitslosigkeit die Entwicklung der Arbeitnehmerentgelte negativ beeinflussen und damit den privaten Verbrauch erheblich dämpfen. Für eine solche Ent-wicklung sprechen auch tarifliche Öffnungsklauseln, die stetig sinkende Tarifbindung, drohende Nullrunden bei der Rente, die nach Auslaufen des „Konsumturbos“ Abwrackprämie wieder steigende Sparquote und die zu erwartenden massiven Einsparungen bei sozialen Transfers.

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Nettoentlastungen der Konsumenten durch vergangene und mögli-cherweise kommende Steuersenkungen werden durch massive Absen-kungen der staatlichen Ausgaben überkompensiert werden.

Insofern sind die Aussichten für das Jahr 2010 mit Blick auf den privaten Konsum eher schlecht. Unter diesen Bedingungen muss es schon als Erfolg gewertet werden, wenn er nicht sinkt.

AnlageinvestitionenAuch hinsichtlich der Anlageinvestitionen ist im Jahr 2010 nicht mit einem nennenswerten Wachstumsimpuls zu rechnen. Die Kapazitäten der Unternehmen sind immer noch sehr gering ausgelastet, für Erwei-terungsinvestitionen gibt es deshalb keinen Bedarf. Auch Ersatz- bzw. Rationalisierungsbedarfe halten sich in Grenzen, da der Kapitalstock im letzten Aufschwung erheblich modernisiert wurde.

Staatliche AusgabenAls letzte Möglichkeit für ein Wiederanspringen des Wachstumsmo-tors und einen sich selbst tragenden Aufschwung blieben noch die staatlichen Ausgaben. Die Stimulierungsmaßnahmen gingen bislang zwar in die richtige Richtung, waren aber viel zu schwach. Im Jahr 2010 werden selbst diese vergleichsweise eher bescheidenden Zusatz-ausgaben auslaufen. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung wird schon durch die Nichtverlängerung der Konjunkturprogramme er-heblich belastet.

Bereits erfolgte und noch beabsichtigte weitere umfassende Steuer-entlastungen werden die Lage der öffentlichen Haushalte weiter dra-matisch verschärfen. Ein künftiger Kahlschlag bei öffentlichen Investi-tionen und sozialen Leistungen ist vorprogrammiert. Die Kürzungen werden insbesondere in den Ländern und Gemeinden massiv zulasten von Wachstum und Beschäftigung gehen. Statt dem Wachstum Impulse zu verleihen, wird der staatliche Sektor es spätestens ab 2011 massiv bremsen.

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Drohende KreditklemmeDie expansive Geldpolitik hat zu einer drastischen Ausweitung der Liquidität geführt. Die Banken haben die günstigen Refinanzierungs-bedingungen jedoch nicht in eine wachsende Kreditversorgung umge-setzt. Deshalb hat die Bundesregierung im Rahmen des Deutschland-fonds über die Banken Hilfen für die Kreditvergabe in Höhe von 40 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Allerdings haben die „Haus-banken“ diese Impulse nur ungenügend weitergegeben. Die Gefahr ist groß, dass das Anziehen der Konjunktur mangels ausreichender Kreditversorgung erheblich gedämpft wird. Bis auf die Einrichtung des Deutschlandfonds und wohlfeile Kritik an den Banken mit der Aufforderung, sie sollten endlich die Staatshilfen zur Auslagerung der faulen Papiere in Bad Banks freiwillig in Anspruch nehmen, hat die Bundesregierung bislang kaum konkrete Maßnahmen zur Verbesse-rung der Kreditversorgung eingeleitet.

Insgesamt deutet die Analyse der einzelnen Wachstumsfaktoren da-rauf hin, dass ein nachhaltiger Aufschwung nicht in Sicht ist. Ganz im Gegenteil könnte es im Jahr 2011 sogar wieder zu einem Rückschlag kommen. Insofern sind Überlegungen zu einem schnellen „Exit“ aus staatlichen Konjunkturprogrammen völlig fehl am Platz.

Die Analyse der Krisenursachen gibt ausreichend Anlass, endlich die Weichen in Richtung eines weniger krisenanfälligen Wachstumstyps zu stellen. Bedingungen für einen solchen neuen Wachstumstyp sind zum einen die nachhaltige Stärkung der Binnennachfrage durch eine deutliche Steigerung der Arbeitnehmerentgelte und zum anderen eine dauerhafte Erhöhung staatlicher Ausgaben für Umwelt, Bildung und Infrastruktur. Auf diesem neuen Entwicklungspfad muss die öffent-liche Beschäftigung nach dem Vorbild der skandinavischen Länder eine zentrale Rolle spielen.

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1.2 Finanzmarktkrise durch Regulierung überwinden

Vor der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise ist das Volumen der An-lagen und Transaktionen auf den internationalen Finanzmärkten dra-matisch gestiegen – eine Entwicklung, die bereits Ende der 1980er Jahre begann. Befeuert wurde die internationale Finanzmarktintegra-tion durch lang anhaltende außenwirtschaftliche Ungleichgewichte. So bedingt das chronische Leistungsbilanzdefizit der USA eine Net-toschuldnerposition auf dem internationalen Kapitalmarkt; exporto-rientierte Volkswirtschaften wie Deutschland treten in einem solchen Gefüge als internationale Nettogläubiger auf. Erleichtert wurde die Expansion grenzüberschreitender Finanztransaktionen durch eine weltweite Liberalisierungs- und Privatisierungswelle. Vormals staat-liche Leistungen, wie z.B. die Alterssicherung, wurden zunehmend privatisiert und die internationalen Finanzmärkte so in erheblichem Ausmaß mit zusätzlicher Liquidität versorgt, die renditeträchtige An-lageformen suchte. In Deutschland stieg die Sparquote der privaten Haushalte. Verstärkt wurde dieser Effekt durch eine politisch gewollte Umverteilung von unten nach oben.

Mit dem Ziel, schnelle und spekulative hohe Renditen zu erzie-len, sind Finanzmarktprodukte ohne ernsthaften Bezug zur Produkti-onswirtschaft geschaffen und gehandelt worden. Zusammen mit der Offenlegung mangelnder Werthaltigkeit dieser Spekulationsprodukte gerieten die Finanzinstitutionen in eine schwere Krise. Die Banken mussten massive Abschreibungen vornehmen. Da das Ausmaß der je-weiligen Verluste nicht bekannt ist, haben sich die Banken bei den kurz-fristigen Kreditgeschäften untereinander misstraut. Der so genannte Interbankenmarkt kam zum Erliegen. Das Ende dieser Bankenkrise ist noch lange nicht in Sicht; vielmehr droht sich mangels strenger Regu-lierung zur Eindämmung dieser Geschäfte eine neue Spekulationsblase herauszubilden. Die „Verpackungsaktivitäten“ sowie die Spekulations-geschäfte mit der weltweit hohen Liquidität („hot money“) blühen aufs Neue. Bereits jetzt ist die Aktienmarktentwicklung wieder deutlich von der realwirtschaftlichen Entwicklung entkoppelt, aber auch von der Entwicklung im Bankensektor.

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Die Krise hat vor allem die Kreditinstitute in Deutschland getroffen, die sich zunehmend vom klassischen Bankgeschäft verabschiedet und dafür der Kombination von Kapitalmarktengagement und Kreditge-schäften zugewandt hatten. Dies sind vor allem die privaten Groß-banken, aber auch Landesbanken und Spezialkreditinstitute. Die vor-sichtig einzuschätzenden vierstelligen Milliardensummen, die als Bedarf an Wertberichtigungen im Zuge der Krise genannt wurden, sind nicht unrealistisch. Ziel der gegen die Krise bislang ergriffenen Maßnahmen ist es keinesfalls, diese Geschäftspraktiken durch Regulierungen zu-rückzudrängen. Vielmehr kehren die Banken zu Strategien zurück, die maßgeblich zur Krisenentstehung beigetragen haben. Augenscheinlich haben die privatwirtschaftlich agierenden Entscheidungsträger aus der aktuellen Krise kaum etwas gelernt. Es wird einfach nicht begriffen, dass die von Gier getriebenen Spekulationen auf den Finanzmärkten negative Effekte für die Wirtschaft und die Gesellschaft auslösen, ja, eine Systembedrohung darstellen. Die Rettungsmaßnahmen für die Banken vermitteln eher den Eindruck, dass sich die Übernahme unkal-kulierbarer Risiken umso mehr lohnt, je systemrelevanter eine Finan-zinstitution ist.

Tatsächlich hat die Bundesregierung zahlreiche Instrumente zur Rettung angeschlagener Kreditinstitute eingesetzt – bis hin zur Teil- und Vollverstaatlichung einzelner Banken. Dabei gilt es aber auch, eine Lehre aus der Krise einiger Landesbanken zu ziehen. Bei vielen von ihnen ist deutlich geworden, dass staatliches Eigentum an Banken keineswegs vor Missmanagement schützt und nur dann einen Sinn hat, wenn auch die staatlichen Eigentumsrechte dazu genutzt werden, verantwortbare Geschäftsmodelle zu entwickeln. Zu fordern ist, dass im Zuge der Erweiterung staatlichen Eigentums im Bankensystem die Mitbestimmung ausgebaut wird. Schließlich muss im Falle einer Ver-staatlichung auch das bisherige Management ausgewechselt werden. Es ist fatal, wenn staatliches Eigentum lediglich mit einem „Weiter so“ und gleichzeitig mit staatlicher Haftung einhergeht.

Seit Jahren unterbreitet die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschafts-politik Forderungen, die darauf zielen, den Finanzsektor auf seine Kernfunktionen zurückzuführen: die Einlagen- und Kreditgeschäfte.

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Dagegen muss das spekulative Investmentbanking im Sinne einer Ri-skoabkapselung von diesen „dienenden“ Funktionen abgetrennt und streng reguliert werden.

In Ergänzung zur Regulierung des Finanzmarktsektors fordert die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik die Einführung einer Steu-er auf alle Finanztransaktionen. Mit diesem Sand, der ins Getriebe der Finanzmärkte gestreut wird, lassen sich außerdem hohe Staatseinnah-men erzielen. Dabei sollte jedoch nicht die Einnahmeerzielung, sondern die Steuerung in Richtung einer Reduktion dieser Finanztransaktionen im Vordergrund stehen.

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik sieht vor allem sieben wirtschaftspolitisch relevante Ansatzpunkte zur Schaffung einer tragfähigen Finanzmarktarchitektur:

1. Der Finanzsektor ist als Teil der Infrastruktur zu begreifen, der durch die Gesellschaft kontrolliert wird.

2. Es muss eine Re-Regulierung des Finanzsektors stattfinden, die darauf zielt, den Bankensektor auf seine originäre Funktionen als In-termediär zwischen Kreditnehmer und Kreditgeber auszurichten.

3. Die systemische Relevanz und die Marktmacht einzelner Institute sind zu reduzieren und die persönliche Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten zu verstärken.

4. Eigenkapitalanforderungen sind zu erhöhen und gleichzeitig För-derbanken zur Vermeidung von Kreditklemmen zu stärken.

5. Um den gesamtwirtschaftlichen Anforderungen der Geldpolitik – derzeit durch eine expansive Liquiditätsversorgung – zu optimieren, muss durch Regulierungen verhindert werden, dass diese für Spekula-tionsgeschäfte (wie etwa die derzeitigen so genannten „Carry Trades“) missbraucht werden.

6. Die Finanztransaktionssteuer ist zügig zu implementieren. Zwar ist eine international abgestimmte Politik wichtig, jedoch sind wegen der Schwierigkeiten bei der Koordination vorlaufende, nationale Al-leingänge unvermeidbar.

7. Die Europäische Finanzaufsicht ist für die Mitgliedsländer wirk-sam zu etablieren.

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2.  Arbeitszeitverkürzung verhindert Katastrophe   auf dem Arbeitsmarkt

Die Krise verschärft die Situation auf dem ArbeitsmarktDie schwerste Wirtschaftskrise in der Geschichte der Bundsrepublik hat auch zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt. Die zu erwar-tende Katastrophe auf dem Arbeitsmarkt ist bisher allerdings ausge-blieben. Im Jahresdurchschnitt 2009 gab es 3,4 Millionen registrierte Arbeitslose, 155.000 mehr als im Jahr 2008. Allerdings erfasst diese Zahl nicht die gesamte Arbeitsplatzlücke. Diejenigen, die eine Arbeit

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suchen, sich aber gar nicht erst bei der Bundesagentur für Arbeit mel-den („Stille Reserve“), werden in der Statistik nicht berücksichtigt. Die gesamte Beschäftigungslücke umfasste im letzten Jahr etwas über fünf Millionen Stellen!

Für das Jahr 2010 ist von einem weiteren Anstieg der Arbeitslosig-keit auszugehen. Selbst bei einem relativ starken Wirtschaftswachstum wird es mehrere Jahre dauern, bis das Produktionsniveau vor der Krise wieder erreicht wird. Da in der Zwischenzeit weitere arbeitssparende Produktivitätsfortschritte erzielt werden können, ist eine steigende Ar-beitslosigkeit bzw. ein zurückgehendes Arbeitsvolumen eine zwangs-läufige Folge.

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Dass die Zahl der registrierten Arbeitslosen deutlich geringer ist als vor dem letzten Aufschwung 2006/2008 und auch deutlich geringer als in der letzten Krise, wird oft als Erfolg der zwischen 2003 und 2005 umgesetzten Arbeitsmarktreformen dargestellt. Doch durch die damit verbundene massive Prekarisierung vieler Arbeitsverhältnisse konnte nicht mehr Arbeit geschaffen werden, wie ein Blick auf das Arbeits-volumen zeigt, das sich im vergangenen Aufschwung 2006-2008 auf einem ähnlichen Niveau wie in der Boomphase im Jahr 2000 befand und im letzten Jahr kräftig gesunken ist.

Die relativ günstige Entwicklung der Beschäftigung bei gleichzeitig kräftig sinkendem Arbeitsvolumen konnte mit einem Instrument erzielt werden, das von vielen längst in die wirtschaftspolitische Mottenkiste verbannt worden war: die Arbeitszeitverkürzung. Mit verschiedenen Maßnahmen, wie z.B. Kurzarbeit, konnte das Arbeitsvolumen, also die insgesamt geleistete Stundenzahl, um 1,2 Millionen Vollzeitstellen reduziert werden.

In der Krise wurde ohne Debatten und sehr pragmatisch ein zeit-weiliger Kurswechsel in der Arbeitsmarktpolitik vollzogen: weg vom „Fördern und Fordern“ und hin zur Beschäftigungssicherung. Das wichtigste Instrument hierfür war es, die Konditionen der Kurzarbeit für Unternehmen zu verbessern.

Die Arbeitszeit je Beschäftigten wurde in der Krise kräftig reduziert. Neben der Ausweitung der Kurzarbeit wurden die Zahl der Überstun-den abgebaut, die Arbeitszeitkonten abgeschmolzen und häufig in den Minusbereich gebracht und die Arbeitszeit über Sonderregelungen (Be-schäftigungssicherungsvereinbarungen) in vielen Betrieben verringert. Insgesamt haben alle Beschäftigten im Jahr 2009 im gesamtwirtschaft-lichen Durchschnitt 43,5 Stunden (3,2 Prozent) weniger gearbeitet als noch im Jahr 2008.

Die in der Krise praktizierte Arbeitszeitverkürzung erklärt den größ-ten Teil des so genannten Jobwunders. Zu erwarten war, dass die Be-schäftigung ungefähr im gleichen Maße wie das Bruttoinlandsprodukt zurückgehen und die Arbeitslosigkeit entsprechend zunehmen würde. Die Zahl der Erwerbstätigen ist aber nur um 0,1 Prozent geschrumpft; bisher schlägt also lediglich ein sehr kleiner Teil der Krisenlasten auf

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den Arbeitsmarkt durch. Das Arbeitsvolumen ist um 2,9 Prozent zu-rückgegangen. Bei praktisch stagnierender Zahl der Beschäftigten geht dies ausschließlich auf die oben beschriebenen Formen der Arbeitszeit-verkürzung zurück.

Es bleibt ein erheblicher Rest, der nicht durch die Anpassung der Arbeitszeit aufgefangen wird und sich in einem Rückgang der Arbeits-produktivität je Beschäftigtenstunde um 2,2 Prozent niederschlägt. Das bedeutet, dass die in den Betrieben Beschäftigten während ihrer Arbeits-zeit nicht voll ausgelastet sind. Unternehmen versuchen offensichtlich, ihre Fachkräfte zu halten. Das ist ein in diesem Umfang völlig neues, in der Geschichte der Bundesrepublik bisher noch nicht da gewesenes Phänomen.

Arbeitszeitverkürzung verstetigenPerspektivisch gilt es, die positiven Erfahrungen mit der Arbeitszeit-verkürzung zu verstetigen und den einmal erreichten niedrigeren Be-stand der Arbeitszeiten beizubehalten („Einrasteffekte“).

Die Erfahrungen aus den letzten Jahren waren ganz andere: Erstens hat die Verbreitung von Arbeitszeiten im Bereich von 40 Wochen-stunden und auch darüber hinaus deutlich zugenommen, wodurch die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten länger geworden ist; zweitens ist die Teilzeitarbeit in ihren verschiedenen Aus-prägungen erheblich ausgeweitet worden.

Besonders ins Auge springt der starke Bedeutungsverlust der Ar-beitszeit im Bereich der 35 bis 39 Wochenstunden. Der Anteil der Be-schäftigten, deren übliche Wochenarbeitszeit in diesem Intervall liegt, hat sich seit Mitte der 1990er Jahre fast halbiert. Dies ist genau der Bereich der Wochenarbeitszeit, in dem sich die tarifvertraglichen Ar-beitszeitverkürzungen der 1980er und frühen 1990er Jahre niederge-schlagen hatten.

Zahlreiche Beschäftigte haben in der Krise Erfahrungen mit kürze-ren Arbeitszeiten gemacht. Zwar sind die mit Kurzarbeit verbundenen Lohnkürzungen für viele Betroffene schmerzhaft, aber die Erfahrung, den Arbeitsplatz nicht verloren zu haben, ist äußerst positiv. Ähnliches gilt für andere Formen der Arbeitszeitverkürzung in der Krise wie den

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Überstundenabbau, die Räumung von Arbeitszeitkonten und die in-dividuellen Arbeitszeitverkürzungen. Es ist durchaus vorstellbar, sie auch in Zukunft als arbeitszeitpolitische Normalität beizubehalten. Je stärker dies gelingt, desto geringer wird der Beschäftigungsabbau ausfallen, der in den kommenden Jahren sonst unweigerlich vor allem der deutschen Industrie droht.

Viele Beschäftigte mit durchschnittlichen, vor allem aber solche mit überdurchschnittlich hohen Einkommen werden bereit sein, für diese positive Erfahrung auch Einbußen beim individuellen Einkommen in Kauf zu nehmen. Aber nicht für alle Beschäftigten wäre dies eine trag-fähige Lösung – vor allem dann nicht, wenn man bedenkt, wie ungün-stig die Lohnentwicklung in den letzten zehn Jahren bereits gewesen ist. Reformierte Beschäftigungssicherungstarifverträge mit partiellem Lohnausgleich und öffentlicher Subventionierung haben das Potenzial, zu einem wichtigen Faktor der Arbeitszeitverkürung zu werden.

In Zukunft wird es immer mehr auf die Gewöhnung an kürzere Arbeitszeiten ankommen. Beschäftigungssicherungstarifverträge kön-nen dabei helfen und anschließend auch den Übergang in eine Phase erleichtern, in der eine öffentliche Subventionierung auslaufen würde. Dabei kommt es darauf an, zunächst ein Sinken der Löhne in den un-teren und mittleren Lohngruppen zu vermeiden. Perspektivisch werden durch solche Formen der Arbeitszeitverkürzung die Verteilungskämpfe schärfer. Denn es ist nicht zu akzeptieren, dass die Lohnquote dauerhaft auf einem niedrigen Tiefpunkt verharrt. Ein zukünftiges Wachstum und/oder eine steigende Lohnquote eröffnen aber auch Spielraum für einen vollen Lohnausgleich bei der Arbeitszeitverkürzung.

Initiative für eine neue ArbeitsmarktpolitikIn der Arbeitsmarktpolitik bedeutet die pragmatische Nutzung der Arbeitszeitverkürzung eine Abkehr von den Prinzipien der Individu-alisierung und des „Förderns und Forderns“ aus der Agenda-Politik. Diesen Weg gilt es auf alle Ebenen zu übertragen, um damit zu einem radikalen Neustart in der Arbeitmarktpolitik zu kommen. Die durch die Arbeitsmarktpolitik begünstigte Prekarisierung von Beschäftigung muss überwunden werden.

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In der Krise waren die Leiharbeitenden als erstes von Arbeitslo-sigkeit betroffen. Sie wurden dazu benutzt, um „atmende Betriebe“ zu ermöglichen. Um eine Umkehr dieser Entwicklung zu erreichen, ist es dringend erforderlich, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu verändern. Leiharbeit ist auf den Ansatz kurzfristiger Überbrückungen für Betriebe zurückzuführen.

Deshalb fordert die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik:• Die Einsatzdauer von Leiharbeitenden in einem Betrieb muss zeitlich

eng befristet und sachlich begrenzt werden (Leiharbeit als befristeter Flexibilitätspuffer und nicht als unbegrenzt einsetzbare Kostensen-kungsmethode).

• Mindestforderung ist die Gleichbehandlung und Gleichbezahlung der Leiharbeitskräfte im Betrieb. Noch besser ist entsprechend dem französischen Vorbild ein Flexibilitätszuschlag, der mit einer hö-heren Bezahlung die zusätzlichen Belastungen aus den häufigen Betriebswechseln für die Beschäftigten kompensiert.

• Tarifverträge der Leiharbeitsbranche sollen sich ausschließlich auf überlassungsfreie Zeiten bzw. den Einsatz in Unternehmen beziehen, die keine oder nur unzureichende tarifliche Regelungen haben.

• Leiharbeitende sollen der uneingeschränkten Mitbestimmung im Entleihbetrieb unterliegen und das aktive Wahlrecht bei der Wahl der Arbeitnehmervertretung haben.

• Der Anteil der Leiharbeitenden an der Gesamtbelegschaft im Ent-leihbetrieb soll mitbestimmungspflichtig werden.

• Das „Synchronisationsverbot“ (Verbot der Koppelung des Arbeits-vertrags an Verleiheinsätze) muss wieder eingeführt werden.

• Leiharbeitende sollen in verleihfreien Zeiten das Recht auf für sie kostenfreie Qualifizierung erhalten.

Die Auseinandersetzung mit atypischen Beschäftigungsverhältnissen auch über die Leiharbeit hinaus bleibt ein zentrales Thema. Werkver-träge, unbezahlte Praktikumsverhältnisse und ausschließlich befristete Arbeitsverträge müssen ihre gesellschaftliche Akzeptanz verlieren.

Angesichts der zu befürchtenden Zunahme der Zahl der Arbeits-losen ist es dringend notwendig, die Absicherung der materiellen Be-

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dingungen für die Betroffenen und die von Arbeitslosigkeit bedrohten Beschäftigten zu verbessern. Zentrales Ziel muss es sein, die Bezugs-dauer für das Arbeitslosengeld I auf mindestens 24 Monate zu erhöhen. Bei der Höhe des Arbeitslosengeldes II ist die vom Bundesverfassungs-gericht festgestellte Verfassungswidrigkeit der Regelsatzberechnung der Ansatzpunkt, die diskriminierende Praxis nicht existenzsichernder Leistungen zu beenden. Die Höhe des Arbeitslosengeldes II muss end-lich im Sinne der Armutsdefinition der Europäischen Union armutsfest werden. Dies wurde von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschafts-politik bereits im MEMORANDUM 2005 gefordert und ausführlich erläutert.

Einhergehen muss damit der Ausbau der Weiterbildungsmöglich-keiten. Die Weiterbildungs- und Qualifizierungsangebote sind quali-tativ neu zu justieren und mit dem Ziel zu verbinden, eine jeweilige Höherqualifizierung bis zum Erreichen von neuen Berufsabschlüssen zu ermöglichen.

Angesichts der zu befürchtenden – und mit der Steuerpolitik ver-schärften – Mittelknappheit wächst die Gefahr, die erforderlichen Pro-zesse zur Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik mit dem Argument der Nichtfinanzierbarkeit abzuschmettern.

Gefordert sind Initiativen, die zu einer Neugestaltung arbeitsschaf-fender Maßnahmen führen. Diese müssen eine tarifübliche Bezahlung, eine vollständige Sozialversicherungspflicht und flexible Laufzeiten bis zu fünf Jahren gewährleisten. Betreuungs- und Qualifikationsanteile stellen die Heranführung einer durch andauernde Arbeitslosigkeit de-qualifizierten und mittlerweile arbeitsmarktfernen Personengruppe an „richtige“ Stellen im ersten Arbeitsmarkt oder für längerfristige Beschäftigungsprojekte im neu zu schaffenden öffentlichen Beschäf-tigungssektor sicher.

Die Neuordnung des Arbeitsmarktes muss in Zusammenhang mit veränderten Arbeitszeitregimes angelegt werden und ist unumgänglich mit der Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns von zehn Euro pro Stunde sowie mit einer Veränderung der Reformaus-richtungen in den weiteren Bereichen der atypischen Beschäftigung zu verknüpfen.

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3.  Finanzpolitik in der Krise

Der ökonomische Absturz im letzten Jahr schlug sich in den öffent-lichen Haushalten in doppelter Weise nieder: Der krisenbedingte Ein-bruch vor allem der Steuereinnahmen ist durch steigende staatliche Krisenkosten verstärkt worden. Die Staatsschulden mussten steigen. Es stellt sich die Frage, wie die Finanzpolitik unter dem Regime kri-senbedingt wachsender Staatsschulden auszurichten ist. In ihr gibt es zwei einander ausschließende Strategien: Einer aktiven Finanzpolitik zur Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage vor allem mit Infrastrukturprojekten steht die angebotsorientierte, einzelwirtschaft-lich ausgerichtete Politik massiver Steuersenkungen gegenüber. Dabei ist der sehr schnell gestoppte Krisenabsturz im Jahr 2009 der beste Beleg für den Erfolg einer expansiven Finanzpolitik, die es deshalb fortzusetzen gilt.

Während die Weltwirtschaftskrise ab 1928 in Deutschland über vier Jahre anhielt und in den Jahren 1931 und 1932 zu einem Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion von jeweils mehr als sieben Prozent führte, blieb der Absturz der jüngsten Wirtschafts- und Finanz-marktkrise im Jahresdurchschnitt bisher auf fünf Prozent beschränkt. Dieses schnelle Ende ist in vielen Staaten – einschließlich China – maß-geblich auf staatliche Interventionen mittels Konjunkturprogrammen zurückzuführen. Unterstützt wurde diese aktive Finanzpolitik durch eine äußerst unkonventionelle expansive Geldpolitik. Was für die Bun-desregierung noch wenige Wochen zuvor ein Unwort war, wurde ab Oktober 2008 salonfähig: Zwei Konjunkturprogramme sind seitdem aufgelegt worden. Diese enthielten zwar auch untaugliche Maßnah-men, aber mit der Schwerpunktsetzung auf insgesamt 17 Milliarden Euro umfassende „Zukunftsinvestitionen“ ist zumindest kurzfristig erfolgreich gegengesteuert worden. In Politik und Wissenschaft nehmen jedoch bereits wieder die Kräfte an Gewicht zu, die den Rückzug des Staates aus der Gesamtwirtschaft propagieren. Diese Exitstrategie ist falsch, denn von einem sich selbst tragenden Aufschwung kann nicht die Rede sein. Vielmehr braucht das Wirtschaftswachstum die Stützen einer expansiven Finanz- und Geldpolitik. Die Bundesregierung muss

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mit der Erfahrung einer erfolgreichen, gegensteuernden Finanzpolitik im letzten Jahr jetzt auf ein mittelfristig angelegtes Zukunftsinvestiti-onsprogramm umschalten.

Doch selbst eine pragmatische Finanzpolitik droht am internen Streit der schwarz-gelben Bundesregierung zu scheitern. Einerseits wird in diesem Jahr durch die Akzeptanz einer Neuverschuldung des Bundes in Höhe von 86 Milliarden Euro eine solche eher pragmatische Finanzpolitik betrieben. Allerdings muss sie mit Infrastrukturinvesti-tionen unterfüttert und mittelfristig angelegt werden. Dagegen richtet sich jedoch andererseits die geradezu gebetsmühlenhaft wiederholte Forderung der FDP nach massiven Steuersenkungen.

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Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik lehnt Steuersen-kungen vor allem für Einkommens- und Vermögensstarke schlichtweg ab. Bereits jetzt ist gewiss, dass sich das „Wachstumsbeschleunigungs-gesetz“ am Ende als Schuldenbeschleunigungsgesetz entpuppen wird. Abgesehen von den steigenden Leistungen für Familien (Kindergeld und Kinderfreibetrag) wird hier eine Klientelpolitik betrieben: Unterneh-men und Erben werden bevorteilt. Bei der Hotellerie wurde der Mehr-wertsteuersatz von 19 Prozent auf sieben Prozent abgesenkt. Wird der Bruttopreis für Übernachtungen nicht entsprechend gesenkt, werden die dieses Angebot nutzenden Unternehmen wegen des verringerten Vorsteuerabzugs sogar belastet. Damit ist kein Wachstumsimpuls zu erzielen. Die öffentlichen Haushalte und damit auch die notleidenden Kommunen verlieren dringend benötigte Einnahmen. Die durch die Koalition ab 2011 geplante große Einkommensteuerreform darf nicht realisiert werden. Denn die beschworenen Selbstfinanzierungseffekte entstammen neoliberalen Propagandaschriften. Theoretisch fundierte empirische Untersuchungen zeigen demgegenüber, dass sich Steuersen-kungen nicht über steigende wirtschaftliche Aktivitäten refinanzieren lassen oder gar zusätzliche Steuereinnahmen generieren. Dies gilt üb-rigens auch für die mehrfache Reform der Unternehmenssteuern der rot-grünen Bundesregierung seit 2001. Am Ende sind über 40 Prozent des Schuldenanstiegs der Jahre 2001 bis 2005 auf diese Politik der Steuergeschenke zurückzuführen.

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik fordert deshalb eine aktive, gestaltende Finanzpolitik zusammen mit der Erhöhung der Steuereinnahmen auf der Basis einer gerechten Steuerlastverteilung. Im Mittelpunkt einer von den Steuereinnahmen gestärkten staatlichen Po-litik steht die Forderung nach einem „Zukunftsinvestitionsprogramm“. Neben den zu erwartenden Selbstfinanzierungseffekten wird auch ge-zielt die öffentliche Kreditaufnahme zur Finanzierung eingesetzt. Öf-fentliche Kredite, die heute zur Stärkung der Binnenwirtschaft beitragen und zugleich die Finanzierung von Maßnahmen in Bildung und Umwelt zugunsten künftiger Generationen ermöglichen, sind intergenerativ gut begründet. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik wendet sich deshalb gegen die mechanistische, gesamtwirtschaftlich schädliche

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Schuldenbremse, die den Ländern ab 2020 die Neuverschuldung ver-bietet und den Verschuldungsspielraum des Bundes ab 2016 im Prinzip auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts reduziert.

4.  Alternativer Entwicklungspfad aus der Krise

4.1 Alternativen zum neoliberalen „Weiter so“

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik stellt sich dem ne-oliberalen „Weiter so“ der herrschenden Politik und Mainstream-Ökonomen entgegen. Deshalb fordert sie einen grundsätzlichen Um-bau der Wirtschaft in Richtung demokratischer Strukturen, weg vom heute einseitig vorliegenden Machtdiktat des privaten Kapitals. Sie befürwortet diesen alternativen Entwicklungspfad zur Bekämpfung der in Deutschland bereits seit langem chronisch vorliegenden Mas-senarbeitslosigkeit seit über drei Jahrzehnten und unabhängig von der akuten Finanz- und Wirtschaftskrise. Allerdings unterstreicht die ge-genwärtige Krise noch einmal in besonderem Maße die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Wende in der Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Alternative Wirtschaftspolitik ist das Gegenstück zu den neoliberal gewollten Umverteilungen von unten nach oben, die in Verbindung mit Privatisierungen (auch der Alterssicherungssysteme), Entstaatli-chungen und Deregulierungen die Ursachen der schlimmsten Weltwirt-schaftskrise seit achtzig Jahren sind. Deshalb fordert die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik zur Vermeidung zukünftiger schwerer Wirtschaftskrisen nicht ein Herumdoktern an Symptomen, sondern eine Beseitigung der Krisenursachen.

4.2 Von Konjunkturprogrammen zu Zukunftsinvestitionen und höherer öffentlicher Beschäftigung

Nachdem der Tiefpunkt der Krise überwunden wurde, ein kräftiger, selbsttragender Aufschwung aber dennoch nicht abzusehen ist, gilt

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es, einen Übergang von kurzfristigen Konjunkturprogrammen hin zu einem mittel- bis langfristigen Zukunftsinvestitionsprogramm zu bewerkstelligen. Ein solches Programm war bereits vor der Krise not-wendig, weil auch in Boomzeiten Massenarbeitslosigkeit herrschte, die ökologische Umgestaltung vorangetrieben werden musste und wich-tige gesellschaftliche Bedarfe, wie etwa Bildung, sträflich vernachlässigt wurden. In der derzeitigen Situation ist ein solches Programm zudem der richtige Schritt zu einer längerfristigen Stützung der Nachfrage.

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik schlägt ein umfas-sendes öffentliches Investitions-, Beschäftigungs- und Umbauprogramm in Höhe von jährlich 110 Milliarden Euro (etwa vier Prozent des Brut-toinlandsprodukts) vor. Von diesem Betrag sollen 75 Milliarden Euro in öffentliche Investitionen fließen, 18 Milliarden Euro in öffentlich geförderte Beschäftigung, Arbeitszeitverkürzung im öffentlichen Sektor und die Unterstützung von Arbeitszeitverkürzungen in der Privatwirt-schaft sowie 17 Milliarden Euro in die Förderung des Konsums durch die Anhebung der Sätze für das Arbeitslosengeld II.

Das Programm soll zunächst vollständig und dann abnehmend über eine höhere öffentliche Neuverschuldung finanziert werden. Mit der Umsetzung dieses Konzeptes für Steuergerechtigkeit und mit der Gene-rierung von Wachstumseffekten in zukunftsträchtigen Feldern wird die Finanzierung perspektivisch vollständig aus den Steuereinnahmen des Staates ermöglicht. Die Ausgaben für öffentliche Investitionen verteilen sich auf die Bereiche Bildung, kommunale Infrastruktur und Bahn-infrastruktur sowie die Förderung der Kultur und des ökologischen Umbaus. Es handelt sich damit nicht um ein Investitionsprogramm im klassischen Sinne, denn es enthält auch Personalausgaben. Das Pro-gramm ist im MEMORANDUM 2009 ausführlich dargestellt.

4.3 Gegen den Finanzkollaps: Sofortprogramm für die Kommunen

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik fordert die unverzüg-liche Auflage eines Sofortprogramms gegen den finanziellen Kollaps

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der Kommunen. Dramatisch gestiegene Finanzierungsdefizite (im Jahr 2010 wird ein Minus von zwölf Milliarden Euro erwartet) zwingen zu Notprogrammen, die die im Grundgesetz in Art. 28, Abs. 2 garantierte fiskalische Souveränität als Basis der kommunalen Selbstverwaltung massiv gefährden. Dabei sind es einerseits die Folgen der Krise auf der Einnahmen- und Ausgabenseite sowie andererseits die vielen Steuer-senkungspakete zulasten der Kommunen, die diese Haushaltsnotlage erst erzeugt haben.

Die Wiederherstellung der verfassungsrechtlich garantierten fiska-lischen Souveränität der Kommunen, die der Demokratie vor Ort und damit der Selbstverwaltung dienen, ist derzeit die vorrangige Aufgabe im föderalen Bundesstaat. Dazu gehören: die Stärkung der eigenständigen Steuerbasis, ein Verbot von Gesetzen des Bundes zulasten der Kom-munen sowie eine Rückverlagerung der den Kommunen aufgelasteten Krisenkosten. Das Sofortprogramm sieht folgende Maßnahmen vor:• Weitere Pläne für eine erneute Steuersenkung zulasten der Gemein-

den sind einzustellen. Die Einnahmenverluste bei der Gewerbesteuer zeigen, dass diese wichtigste städtische Steuer keine weiteren Ein-griffe verträgt, sondern einer Stabilisierung durch den Umbau zu einer Gemeindewirtschaftsteuer bedarf.

• Der Bund sollte nach den Konjunkturprogrammen I und II ein mittelfristiges Zukunftsinvestitionsprogramm realisieren. Das von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik geforderte Zukunftsinvestitionsprogramm sieht 20 Milliarden Euro für die kommunale Infrastruktur vor, um den schon vor der Krise bestehen-den Investitionsstau zu beseitigen. Mit der Krise hat sich die Lage noch einmal dramatisch verschärft. Von der Abwicklung her wäre es vorstellbar, wie beim Zukunftsinvestitionsprogramm von 1978 einen Fonds einzurichten, bei dem die Kommunen direkt Anträge für Infrastrukturprojekte stellen können.

• Die Gewerbesteuerumlage, die in diesem Jahr im Umfang von fünf Milliarden Euro den Kommunen zugunsten des Bundes (20 Prozent) und der Länder (80 Prozent) entzogen wird, sollte abgeschafft oder zumindest ersatzweise gekürzt werden. Damit würde diese wich-tigste städtische Steuer gestärkt.

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• Die Kommunen müssen von den auch mit der Krise wachsenden Sozialausgaben, die ihnen in den letzten Jahren zugerechnet wurden, schleunigst entlastet werden. Dies betrifft bei steigender Langzeit-arbeitslosigkeit die explodierenden Kosten für die Unterbringung von Arbeitslosen. Andere Leistungen wie die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung sowie die Grundsicherung im Alter sind vom Bund und den Ländern zu übernehmen. Ziel muss es sein, den Trend hin zur Kommunalisierung sozialer Kosten im Bundesstaat umzukehren.

4.4 Mehr Steuern für mehr Gerechtigkeit

Steuern und Abgaben wurden in der Vergangenheit zu einer Umver-teilung von unten nach oben eingesetzt. Dem stellt die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik ein „Konzept der Steuergerechtigkeit“ gegenüber, das bei kleinen Einkommen die Steuern senkt und bei groß-en Einkommen, Vermögen und Unternehmen die Belastung erhöht. Mit einem solchem Konzept wären jährlich rund 80 Milliarden Euro durch eine staatlich verstärkte Umverteilung von oben nach unten ge-nerierbar. Hierzu gehören im Einzelnen die folgenden Maßnahmen: • Bei der Einkommensteuer muss der Spitzensteuersatz von 42 Pro-

zent auf 48 Prozent (plus Solidaritätszuschlag) angehoben werden. Vom Eingangssteuersatz mit 14 Prozent steigt dabei der Grenzsteu-ersatz linear-progressiv bis zum Spitzensteuersatz an.

• Alle Einkunftsarten (auch Kapitaleinkommen und Dividenden) unterliegen einheitlich dem individuellen Einkommensteuertarif. Die Abgeltungsteuer von 25 Prozent wird wieder abgeschafft.

• Der Körperschaftsteuersatz ist von derzeit 15 Prozent auf 30 Pro-zent (plus Solidaritätszuschlag) zu erhöhen.

• Anstelle der Gewerbesteuer soll eine kommunale Gemeindewirt-schaftsteuer eingeführt werden. Diese ist als eine eigenständige Steuer der Kommunen zu erheben, mit dem Recht, den Hebesatz autonom festzulegen. Der Gemeindewirtschaftsteuer unterliegen im Gegensatz zur heutigen Gesetzgebung nicht nur alle Personen-

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gesellschaften, sondern auch alle selbstständigen Einzelunterneh-merinnen und Einzelunternehmer sowie Freiberuflerinnen und Freiberufler. Als Ertragsbasis werden neben dem Gewinn auch die Wertschöpfungsarten Zinsen, Miete/Pacht und Leasingraten sowie Lizenzgebühren in Ansatz gebracht. Durch Freibeträge in Höhe von 30.000 Euro wird sichergestellt, dass schlecht verdienende Frei-beruflerinnen und Freiberufler sowie Selbstständige nicht von der Steuer belastet werden.

• Die seit 1997 ruhende Vermögensteuer auf das Nettovermögen der privaten Haushalte ab einem Vermögenswert von 500.000 Euro ist umgehend wieder zu erheben. Auch der Unternehmenssektor ist in die Vermögensbesteuerung mit einzubeziehen.

• Die Erbschaft- und Schenkungsteuer muss grundlegend novelliert werden. 2007 lag das Aufkommen aus diesen Steuern lediglich bei rund vier Milliarden Euro. Große Erbschaften müssen daher wesentlich höher besteuert werden. Die durch die Bundesregierung betriebene steuerliche Sonderbehandlung der Vererbung bzw. Schen-kung eines Unternehmens bei Betriebsfortführung ist abzulehnen.

• Um exzessive Spekulationen an den internationalen Finanzmärkten zu verhindern, muss es zu einer Entschleunigung, d.h. zu einer Ver-ringerung des Umfangs und der Geschwindigkeit der Transaktionen auf den Kapitalmärkten kommen. Dazu schlägt die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik eine internationale Finanztransak-tionssteuer vor. Selbst bei einem nur geringen Steuersatz von 0,1 Prozent hätte sich auf Basis der Transaktionsdaten von 2007 für Deutschland ein Aufkommen von insgesamt 27 Milliarden Euro ergeben. Bei diesem geschätzten Aufkommen ist bereits ein deut-licher Rückgang des Transaktionsvolumens berücksichtigt. Darüber hinaus ist die Beteiligung der Banken und Versicherungen an den Kosten der Finanzkrise unabdingbar. Aufgrund der engen Verflech-tung der Finanzintermediäre ist eine allgemeine Abgabe von etwa 0,1 Prozent der Bilanzsumme sinnvoll, wie sie in den USA diskutiert wird.

• Steuerhinterziehung darf nicht weiter als ein „Kavaliersdelikt“ ge-sehen werden, dem man sich durch eine „Selbstanzeige“ entziehen

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kann. Außerdem sind umgehend Kontrollmitteilungen der Banken – auch grenzüberschreitend – einzuführen, und nicht zuletzt ist das Personal in den Finanzämtern wesentlich aufzustocken. Allein in der Betriebsprüfung fehlen in Deutschland über 3.000 Steuerbeamte. Darüber hinaus soll die Steuerverwaltung von Bund und Ländern zusammengeführt werden.

4.5 Alternative Ökonomie zur Ressourceneinsparung

Die stark schwankende Preisentwicklung für Energie und Rohstoffe so-wie der zunehmende Kampf um die Durchsetzung einer Klimaschutz-politik sind nur zwei Indikatoren dafür, dass alternative Wirtschafts- und Sozialpolitik auf nationaler und internationaler Ebene nicht mehr losgelöst von der Umweltschutz-, Klima- und Ressourceneinsparpoli-tik betrieben werden darf, sondern die Integration dieser Politikfelder in den Mittelpunkt stellen muss. Die aktuelle Weltwirtschaftskrise bietet hierfür auch die besondere Gelegenheit, durch einen vom öf-fentlichen Sektor und den Staatshaushalten angetriebenen neuen kli-ma- und ressourcenschonenden Entwicklungstyp zugleich sowohl die Beschäftigungskrise wie auch die Umweltkrise zu mindern. Mittel- bis langfristig orientierte öffentliche Investitionsprogramme konzentrie-ren sich neben der Bildung schwerpunktmäßig auf den energetischen und ökologischen Umbau.

Die gescheiterte Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 wirft ein Schlaglicht auf das „Ende der Welt, wie wir sie kannten“. Ob-wohl die Konferenz den notwendigen Richtungswechsel hin zu einem verbindlichen Klimaschutz im reichen Norden und zu einem ambitio-nierten Förderrahmen für den Süden nicht beschlossen hat, ist für die Weltöffentlichkeit deutlich geworden: Die Erhaltung oder Zerstörung der natürlichen weltweiten Lebensgrundlagen ist von den globalen Fragen der Sicherung des Lebensunterhalts im Norden wie auch von der Armutsbekämpfung im Süden nicht mehr zu trennen. Wer weiter glaubt, wegen einer kurzfristigen Wirtschafts- und Konjunkturpolitik Lösungsbeiträge für die Klima-, Ressourcen- und Armutsprobleme in

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die Zukunft verschieben zu müssen, lebt auf Kosten zukünftiger Ge-nerationen.

Die anstehenden Richtungsentscheidungen für die Energiewende, den Klima- und Ressourcenschutz und eine nachhaltige Entwicklung setzen voraus, dass die Politik ihre Handlungs- und Steuerungsfähigkeit gegenüber der Wirtschaft, insbesondere gegenüber den großen Energie-versorgungsunternehmen, durchsetzt und dass vor allem bei der Ener-gie-, Verkehrs-, Wirtschafts-, Finanz-, Forschungs- und Bildungspolitik die Nachhaltigkeit als Leitziel ressortübergreifend umgesetzt wird.

Heute kann kaum noch bestritten werden, dass ein durch aktiven Klimaschutz forcierter Strukturwandel wirtschaftlich weit mehr Chan-cen als Risiken impliziert. Das gilt mittel- und erst recht langfristig, wenn die vermiedenen exorbitanten zukünftigen Schäden schon heute berücksichtigt werden.

Der von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik vorge-schlagene alternative Entwicklungsweg treibt den ökologischen Umbau der Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen voran. In den zusätzlichen öffentlichen Investitionen liegt der Schwerpunkt auf Infrastrukturaus-gaben, die den Ressourcenverbrauch einschränken und die Ressource-neffizienz steigern. Dazu gehört die energetische Gebäudesanierung, der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, die verstärkte Nutzung regenerativer Energien und die Förderung der Ressourceneffizienz in Produktions-unternehmen. Mit der Ausweitung der öffentlichen Beschäftigung, vor allem für die Bildung und die Deckung sozialer und kultureller Bedarfe, wird ein Entwicklungsweg gefördert, der Wachstum und Wohlstand nicht vorwiegend „in Beton gegossen“ sehen möchte.

4.6 Demokratisierung als Grundlage eines neuen Entwicklungstyps

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik fordert die Einfüh-rung einer Wirtschaftsdemokratie in den Unternehmen. Dabei geht es auch um ethische Belange in der Ökonomie, um Freiheit der In-dividuen und um eine Zurückdrängung von entwürdigenden öko-

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nomischen Abhängigkeiten, die sich aus der Eigentumsfunktion an Produktionsmitteln ergeben. Deshalb muss es zu einer Abschaffung des „Investitionsmonopols des Kapitals“ (Erich Preiser) durch eine demokratische, partizipative Unternehmenskultur kommen. Bausteine sind hier insbesondere eine kodifizierte und institutionalisierte volle paritätische Mitbestimmung in den Unternehmen bis hin zu einer materiellen Teilhabe in Form von Gewinn- und Kapitalbeteiligungen oberhalb einer am Flächentarifvertrag orientierten Entgeltpolitik.

Nicht das Kapital ist zu schützen, sondern der originäre „Faktor“ Arbeit – der Mensch. Erst durch die Beschäftigten und ihre verrichte-te Arbeit ist ein Unternehmen in der Lage, das insgesamt eingesetzte Kapital in Bewegung zu setzen, um so eine Mehrwertproduktion und -realisierung überhaupt zu ermöglichen. Unternehmen nur in Gestalt von „totem“ Kapital, ohne Beschäftigte, sind allenfalls eine Ausstellung oder ein Museum.

Nicht zuletzt impliziert Wirtschaftsdemokratie eine größere De-mokratisierung des staatlichen Überbaus; hier sind vor allem mehr basisdemokratische Volksentscheide und eine größere Transparenz des gesamten öffentlichen Sektors in Form einer Haushalts-, Beschäfti-gungs- und Sozialberichterstattung vonnöten. Zur Verhinderung einer unternehmerischen Unterminierung des staatlichen Sektors durch Lob-bysysteme und Korruption muss es außerdem eine strikte Trennung von Staat und privater Wirtschaft geben. Der demokratisch legitimierte Staat hat der Wirtschaft uneingeschränkt den Handlungsrahmen zu setzen und die Wirtschaft zu kontrollieren. Er ist nicht der „Diener“ der Wirtschaft, sondern die Wirtschaft hat dem Nutzen der ganzen Gesellschaft zu dienen.

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Die Kurzfassung des MEMORANDUM 2010 wurde bis zum 29.03.2010 von folgenden Personen unterstützt:

Udo Achten, DüsseldorfProf. Dr. Eberhard Ackermann,

Lichtenhagen-DorfTom Ackermann, MünchenAndrea Adrian, BremenAnita Agbedor, AachenSusanne Agne, Bad OldesloeMichael Ahlmann, BremenJutta Ahrweiler, OberhausenDetlef Ahting, BraunschweigProf. Dr. Erwin Jan Gerd Albers,

MagdeburgLennard Aldag, LüneburgJan-C. Almoslino, BerlinAgnes Alpers, BerlinMatthias Altmann, Nohra-ObergrunstedtProf. Dr. Elmar Altvater, BerlinDr. Werner Anton, MerseburgLutz Apel, BremenHorst Arenz, BerlinNorbert Arndt, HerneDr. Helmut Arnold, WiesbadenSylvia Artzen, WehrheimDr. Jupp Asdonk, BielefeldHans Aust, Herzogenrath

Erich Bach, Frankfurt/M.Clarissa Bader, HattingenUrsula Bär, KallRoland Bärwald, HerneDr. Volker Bahl, PullachBernd Bajohr, CoesfeldBerthold Balzer, FuldaRobert Bange, OeldeHans Joachim Barth, WiesbadenKlaus Bartsch, Zernitz-LohmHagen Battran, HeuweilerPeter Baumeister, PeineHerbert Bayer, Frankfurt/M.Mechthild Bayer, BerlinWolfgang Bayer, BerlinDr. Johannes M. Becker, MarburgDr. Steffen Becker, Frankfurt/M.Friedrich-Karl Beckmann, PinnebergDr. Peter Behnen, BreitnauJan-Patrick Behrend, MarburgHerbert Behrens, Osterholz-ScharmbeckProf. Dr. Hermann Behrens, Klein VielenAngelika Beier, Frankfurt/M.Dr. Theodor W. Beine, IsselburgAnke Beins, OstermunzelRüdiger Beins, OstermunzelAndreas Beldowski, LübeckHartmut Belitz, FredenDr. Günter Bell, KölnRalf Beltermann, Hattingen

Christiane Benner, Frankfurt/M.Bernd Benscheidt, LüdenscheidProf. Dr. Benjamin Benz, Freiburg i.Brsg.Andreas Beran, HamburgJochen Berendsohn, HannoverNorbert Berentz, BerlinHeike Berger, RatekauRalf Berger, BocholtProf. Dr. Sabine Berghahn, BerlinBianka Berlin, GöttingenHeinrich Betz, BraunschweigSabine Beutert, KölnBrigitte Bey, BerlinWolfgang Bey, ChemnitzSven Beyersdorff, BremenOrtwin Bickhove-Swiderski,

Dülmen-RorupProf. Dr. Heinz Bierbaum, SaarbrückenIna Biethan, BraunschweigMonika Bietz, Nieder-OlmDr. Fritz Bilz, KölnDr. Detlef Bimboes, BerlinThomas Birg, HattingenMatthias W. Birkwald, KölnHeinrich Birner, MünchenDr. Joachim Bischoff, HamburgProf. Gudrun Bischoff-Kümmel, HamburgDr. Reinhard Bispinck, DüsseldorfProf. Dr. Arno Bitzer, DortmundAndreas Blechner, BurgdorfHeinrich Bleicher-Nagelsmann, BerlinDirk Blotevogel, TroisdorfHeidrun Bluhm, SchwerinJosef Böck, GroßenseebachDr. Hermann Bömer, DortmundMonika Börner, LeipzigKlaus-Peter Börtzler, BerlinManfred Böttcher, HannoverGerd-Uwe Boguslawski, NortheimNadine Boguslawski, BovendenManfred Bohle, DüsseldorfProf. Dr. Heinz-J. Bontrup, IsernhagenRudolf Borchert, WarenVolker Borghoff, OberhausenProf. Dr. Dieter Boris, MarburgProf. Dr. Gerd Bosbach, KölnNicole Bracht, HagenMaren Bracker, KasselGiesela Brandes-Steggewentz, OsnabrückKlaus Brands, DrolshagenEberhard Brandt, HamburgMonika Brandt, DortmundProf. Dr. Peter Brandt, HagenDr. Lutz Brangsch, BerlinDietrich Brauer, OberhausenPeter Braun, Rödinghausen

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Prof. Dr. Karl-Heinz Braun, MagdeburgLeo Braunleder, WuppertalCarsten Bremer, BraunschweigMarlis Bremisch, IlmenauDr. Hans-Peter Brenner, BonnUlrike Breth, KoblenzAntonie Brinkmann, BremenKarl-Heinz Brix, TüttendorfDr. Olaf Brockmann, BerlinFritz Brodrick, LünenTheresa Bruckmann, EssenDr. Oliver Brückert, Frankfurt/M.Sonja Brüggemeier, HannoverDr. Klaus Brülls, HerzogenrathKarin Brugger, Neu-UlmLars Buchholz, WollinMichael Buchholz, MindenProf. Dr. Günter Buchholz,

Bad SalzdetfurthDr. Wiebke Buchholz-Will, NordhornDr. Hans-Ulrich Bünger, BaiersbronnKlaus Bullan, HamburgEva Bulling-Schröter, IngolstadtTorsten Bultmann, BonnJürgen Burger, BremenDietrich Burggraf, CelleMartin Burkart, EsslingenDr. Sylvia Burkert, DüsseldorfKai Burmeister, OffenbachDr. Ulrich Busch, BerlinGünter Busch, MühlackerVeronika Buszewski, HerneCarolin Butterwegge, KölnProf. Dr. Christoph Butterwegge, Köln

Luis Caballero-Sousa, MainzElwis Capece, KarlsruheRobert Carls, Bad HomburgChristian Christen, BerlinRoland Claus, BerlinAstrid Clauss, MainzMartine Colonna, HamburgBritta Cordes, KoblenzLiesel Cords, AachenPeter-Martin Cox, Frankfurt/M.Dr. Gregor Czisch, Kassel

Dr. Eberhard Dähne, Frankfurt/M.Annette Dahms, NürnbergDr. Klaus Dammann, HamburgHolger Dankers, StadeGerhard Dehling, Sulzbach-RosenbergWolfgang Denecke, LeipzigProf. Dr. Frank Deppe, MarburgDr. Klaus Dera, CelleHerbert Derksen, FreibergWalter Deterding, HannoverRichard Detje, AhrensburgTheodor Dickmann, Bad HomburgRaoul Didier, BerlinNorbert Diebold, Münster

Hermann Dierkes, DuisburgDr. Andreas Diers, BremenReinhard Dietrich, BremerhavenKirsten Dinnebier, MarburgHelmut Dinter, WessobrunnMartina Ditzell, NortheimFlorian Dohmen, DuisburgHans-Peter Dohmen, RemscheidJochen Dohn, HanauWolfgang Dohn, HanauProf. Dr. Ulrich Dolata, StuttgartGünter Domke, DüsseldorfDr. Hans-Georg Draheim, LeipzigWerner Dreibus, HanauDominik Düber, KölnRolf Düber, ErfurtDr. Dietmar Düe, KasselHubert Dünnemeier, BerlinJochen Dürr, Schwäbisch HallUlrike Düwel, Wuppertal

Helga Ebbers, BremenJochen Ebel, BorkheideMichael Ebenau, JenaClaudia Eberhard, HannoverRoman Eberle, DortmundRaimund Echterhoff, WuppertalJürgen Egener, WillichJutta Ehlers, BerlinChristoph Ehlscheid, NeuwiedDr. Kai Eicker-Wolf, Frankfurt/M.Dr. Joachim Eisbach, Bad KreuznachBernd Eisenbach, DarmstadtProf. Dr. Dieter Eißel, GießenUschi Eiter, SprockhövelStephan Elkins, MarburgProf. Dr. Wolfram Elsner, BremenGerhard Endres, MünchenMichael Endres, RatingenDieter Engel, WiesbadenProf. Dr. Gottfried Erb, HungenWalter Erb, DarmstadtKurt Erdmann, KreuztalJoachim Ernst, BremenHarald Esker, OldenburgSteffen Etzel, Bad HomburgRolf Euler, Recklinghausen

Walter Fabian, HannoverKarlheinz Fahrenwaldt, LüneburgWolfgang Faissner, AachenAnnette Falkenberg, KielGregor Falkenhain, SolingenErika Falkenreck, BerlinReinhold Falta, MainzNico Faupel, WerderVeronika Faust, BochumHinrich Feddersen, HamburgJosef Fehlandt, MünchenDr. Peter Fehn, AnklamWolf-Rüdiger Felsch, Hamburg

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Dr. Kurt Fenske, BerlinJörg Ferrando, Frankfurt/M.Dr. Ulrich Fiedler, BerlinHarald Fiedler, FriedrichsdorfProf. Dr. Klaus Fiedler, Radeburg-GEBernd Fiegler, KölnDr. Fritz Fiehler, HusumAdrijana Filehr, NeckargemündJosef Filippek, LüdenscheidMeinolf Finke, Castrop-RauxelArno Fischer, PeineDr. Hans Ulrich Fischer, Frankfurt/M.Prof. Dr. Dietrich Fischer, Potsdam,

OT GolmProf. Dr. Irene Fischer, BerlinVolker Fischer, BerlinKreszentia Flauger, WildeshausenHermann Fleischer, SalzgitterBernd Flockemann, HemmingenWolfgang Förster, SpeyerUwe Foullong, BirkenwerderSusann Fräbel, BensheimReinhard Frankl, BessenbachOtfried Frenzel, ChemnitzDr. Joke Frerichs, KölnGünter Frey, BurgauDaniel Friedrich, BerlinHartmut Friedrich, BerlinKlaus Friedrich, WürzburgProf. Dr. Gerd Friedrich, BerlinDr. Folker Fröbel, SeestermüheEdith Fröse, DuisburgAndreas Frohberg, AachenKurt Fussangel, Bremen

Philipp Gabsch, RostockLudger Gaillard, GöttingenGabriela Galli, WertherDr. Irene Gallinge, BerlinProf. Dr. Berthold Gasch, LauenburgThomas Gauger, EssenClaire Gautier, BremenElmar Gayk, HannoverProf. Dr. Klaus Gebauer, BerlinJürgen Gebel, Nieder-OlmWerner Geest, SchmalenseeAndreas Gehrke, RonnenbergDr. Friedrich-Wilhelm Geiersbach, HagenRoman George, DiezDr. Cord-Albrecht Gercke, GeilenkirchenDr. Klaus-Uwe Gerhardt, ObertshausenRenate Gerkens, HamburgAxel Gerntke, Frankfurt/M.Dr. Sabine Gerold, LeipzigLisa Gesau, LiebenburgDr. Jürgen Glaubitz, DüsseldorfHeiko Glawe, BerlinDr. Sigmar Gleiser, Frankfurt/M.Maria-Luise Gleiser, Frankfurt/M.Christian Gloede-Noweck, BremenHorst Gobrecht, Ober-Flörsheim

Götz Godowski, LübeckUlrike Göking, NeumünsterDr. Jörg Goldberg, Frankfurt/M.Prof. Dr. Werner Goldschmidt, HamburgAndreas Gora, AhlenThomas Gorsboth, KronbergArno Gottschalk, BremenProf. Dr. Hanna Grabley, Bad SaarowIris Gramberg, OldenburgStefan Gran, BrüsselRegine Greb, SiegenGünther Griesel, QuickbornDr. Herbert Grimberg, HamburgHerbert Grimm, DortmundThomas Grobe, HannoverRudolf Grollmisch, GrimmelshausenChristoph Großmann, SalzgitterEdith Großpietsch, OffenbachProf. Dr. Rainer Grothusen, HamburgDietmar Günther, DresdenDr. Wolfgang Güttler, HalleProf. Dr. Karl-Diether Gussek, Halle

Gerold Haag, HannoverDr. Elsa Hackl, WienDr. Barbara Hähnchen, PanketalThomas Händel, FürthWolfgang Haferkamp, OberhausenDr. Thomas Hagelstange, DüsseldorfEberhard Hahn, BielefeldElke Hahn, MünchenReinhard Hahn, Frankfurt/M.Ulf Halbauer, DrübeckAndreas Hallbauer, BerlinAntje Hamann, GladenbachAndreas Hammer, ÖstringenThomas Hanke, BerlinDetlef Hansen, ClermontChristian Harde, TübingenJürgen Hartmann, WolfenbüttelMichael Hartwig, HamburgRosmarie Hasenkox, WuppertalRico Hassler, KölnWolfgang Haupt, RenningenRosi Haus, MünsterDr. Gert Hautsch, Frankfurt/M.Lothar Havemann, OttersbergHelga Hecht, BielefeldAngelika Hecker, MoersJörg Heiderich, HofgeismarAnny Heike, FürthGottfried Heil, FriedrichshafenStefan Heimlich, BerlinRainer Heinrich, BerlinDr. Cornelia Heintze, LeipzigProf. Dr. Arne Heise, HamburgDieter Heisig, GelsenkirchenDr. Michael Held, BerlinRonald Heller, NeuenhagenDr. Fritz Hellmer, GöttingenMalah Helman, Berlin

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Prof. Dr. Fritz Helmedag, ChemnitzJürgen Hennemann, EbernProf. Dr. Peter Hennicke, WuppertalPeter Henrich, FlemlingenDr. Ralf Henrichs, MünsterDr. Detlef Hensche, BerlinDr. Frank W. Hensley, DossenheimWolfgang Herbertz, UnnaHeinz Hercher, BrüggenMichael Hermund, BochumProf. Dr. Peter Herrmann, Cork/IrlandPhilipp Hersel, BerlinMarkus Herzberg, LeingartenDr. Horst Hesse, LeipzigKarl L. Hesse, BendorfAndreas Heun, DarmstadtLudwig Heuwinkel, BielefeldHermann Hibbeler, LageProf. Dr. Rudolf Hickel, BremenGünter Hieber, MarburgGeorg Hiermann, HerzogenaurachSabrina Hillebrand, NienburgKlemens Himpele, WienNicolaus Hintloglou, DüsseldorfLieselotte Hinz, DüsseldorfJörg Hobland, UnterschleißheimOlivier Höbel, BerlinInge Höger, HerfordDr. Barbara Höll, BerlinJürgen Hölterhoff, BielefeldHeinz-Rudolf Hönings, SolingenConny Höntzsch, BerlinJonas Christopher Höpken, OldenburgIris Höppner, BremenHans-Georg Hötger, MülheimProf. Dr. Klaus Hofemann, KölnBeate Hoffmann, HanauBernhard Hoffmann, EppelheimHeinz Hoffmann, NauwaldeDr. Heinz-Gerd Hofschen, BremenSepp Hofstetter, SprockhövelHelmut Holtmann, BremenChristine Holzing, KoblenzDr. Horst Hoppe, SilberbornKlaus Horn, SöhrewaldRoland Hornauer, ErlangenFrank Hornschu, KielJürgen Horstmann, BerlinBrigitte Horstmann-Sprenger, NauheimRoswitha Hoyer, HamburgUlrich Huber, HeidenheimFrank Hühner, Frankfurt/O.Gerd Huhn, DortmundMartin Huhn, MannheimProf. Dr. Ernst-Ulrich Huster, Pohlheim

Jayne-Ann Igel, DresdenHorst Ihssen, SeelzeTamer Ilbuga, HamburgBodo Irrek, BerlinMaike Irrek, Halle

Christian Iwanowski, DüsseldorfFrank Iwer, Stuttgart

Prof. Dr. Klaus Jacob, BerlinJens Peter Jacobsen, OtterndorfOtto Jäckel, WiesbadenProf. Dr. Johannes Jäger, WienMichael Jäkel, KölnBurkhard Janke, ErkerodeDr. Dieter Janke, LeipzigHarro Janouch, SalzgitterHelmut Janßen-Orth, HamburgChristoph Jetter, DarmstadtChristian de Jonge, BremerhavenBerith Jordan, LübeckJürgen Jürgens, MünchenRegina Jürgens, HamburgDr. Heiner Jüttner, AachenKarin Junge-Kühne, DetmoldJörg Jungmann, WiesbadenHerbert G. Just, Wiesbaden

Ingrid Kagermeier, ErlangenProf. Dr. Gisela Kahl, JenaStefan Kaiser, WiggensbachDr. Ute Kalbitzer, GöttingenDr. Hildegard Kaluza, MönchengladbachDr. Irmtraud Kannen, CloppenburgTobias Kaphegyi, TübingenAlmut Kapper-Leibe, Bad LauchstädtRalf Kapschack, WittenProf. Dr. Anastasios Karasavvoglou,

KavalaDr. Anne Karrass, BerlinBernd Kaßebaum, Frankfurt/M.Prof. Dr. Siegfried Katterle, BielefeldManfred Kays, BraunschweigDr. Andreas Keller, BerlinHermann-Josef Kemper, BrakeGisela Kessler, FürthDr. Klaus Keßler, DetmoldKarin Kettner, MünsterSilke Kettner, MelbeckDr. Gunnar Ketzler, HZ KerkradeThomas Keuer, DuisburgSabine Kiel, LaatzenWerner Kiepe, DüsseldorfWolfgang Killig, HamburgAnja Kirschner, HagenProf. Dr. Klaus Peter Kisker, BerlinBernd Klappenecker, JagsthausenManfred Klei, Bad SalzuflenDr. Angelika Klein, Röblingen am SeeProf. Dr. Alfred Kleinknecht, DelftAnsgar Klinger, KrefeldHelmut Klingl, AmstettenLars Klingsing, GarbsenPat Klinis, HeidelbergHans Klinker, MemmelsdorfJürgen Klippert, HagenAlfred Klose, Hannover

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Sebastian Klus, FreiburgJürgen Klute, HerneDr. Heidi Knake-Werner, BestenseeProf. Dr. Ulla Knapp, HamburgDieter Knauß, WaiblingenDetlev Knocke, BonnProf. Dr. Hans Knop, SchulzendorfProf. Dr. Helmut Knüppel, BielefeldDieter Knutz, ElsflethDr. Angelika Kober, LeipzigErich Koch, Schieder-SchwalenbergHajo Koch, DortmundKlaus Thomas Koch, Bad NenndorfHorst Koch-Panzner, BruchköbelDr. Klaus Kock, DortmundWolfgang Köcher, CanumThomas Köhler, HagenPaul Köhler-Schumann, DuisburgJörg Köhlinger, Frankfurt/M.Otto König, HattingenDr. Margit Köppen, KisserowProf. Dietrich-W. Köppen, BerlinKurt Körner, PanketalMarlis Körner, PanketalNorbert Koesling, EssenDr. Dietmar Köster, WetterRoland Kohsiek, HamburgHarald Kolbe, HannoverStefan Konrad, HerneProf. Christian Kopetzki, KasselNorbert W. Koprek, HamelnProf. Dr. Thomas Korenke, VettweißIna Korte, KaarstIngrid Koschmieder, BerlinMarion Koslowski-Kuzu, HattingenMichael Kotzian, BottropProf. Dr. Reinhold Kowalski, BerlinMartin Krämer, Frankfurt/M.Ralf Krämer, BerlinHorst Kraft, DüsseldorfDr. Jürgen Kranz, HalleDr. Ute Kratzmeier, BrettenAstrid Kraus, KölnDieter Krause, NeustadtProf. Dr. Günter Krause, BerlinProf. Dr. Jürgen Krause, ErfurtErika Krauth-Bromm, SprockhövelJutta Krellmann, CoppenbrüggePeter Kremer, DortmundDaniel Kreutz, KölnWalter Krippendorf, BerlinHans Jürgen Kröger, BremenTobias Kröll, TübingenUlrich Kröpke, BielefeldGünter Kronschnabl, WaldDr. Stephan Krüger, BerlinHeinrich Krüger, BerlinReinhard Krüger, NienburgPeter Krug, BremenGerrit Krull, OldenburgProf. Dr. Wolfgang Krumbein, Bühren

Werner Krusenbaum, MülheimDr. Sabine J. Kryszon, BerlinJürgen Kubig, LübeckWerner Kubitza, SalzgitterMichael Kuehn, MünsterDr. Hagen Kühn, StendalDr. Wolfgang Kühn, Bernau b. BerlinProf. Dr. Berthold Kühn, DresdenMichael Kugelmann, Neu-UlmMarianne Kugler-Wendt, HeilbronnLothar Kuhlmann, BielefeldRolf Kulas, OberhausenRoland Kulke, BrüsselAlfons Kunze, MünchenPeter Kurbjuweit, HamelnWilfried Kurtzke, Frankfurt/M.Prof. Ingrid Kurz, HamburgRolf Kutzmutz, Potsdam

Winfried Lätsch, BerlinKnut Langenbach, BerlinHorst Langmaak, FeldkirchenDetlev v. Larcher, WeyheMarkus Lauber, KölnPaul Laudenberg, KallBernd Lauenroth, HattingenJörg Lauenroth-Mago, RätzlingenRichard Lauenstein, LehrteDr. Steffen Lehndorff, KölnDr. Jürgen Leibiger, RadebeulAndrea Leiner, OberweserDr. André Leisewitz, WeilrodRolf Lemm, BerlinSteffen-Claudio Lemme, ErfurtManfred Lesch, Frankfurt/M.Dr. Wolfgang Lieb, KölnProf. Dr. Eberhard Liebau, HamburgUwe Liebe, OldenburgChristoph Lieber, HamburgKurt Lieberum, SprockhövelGeorg Liebl, LeidersbachHartmut Limbeck, WittmundUlla-Maj Lindberg, HerdeckeGodela Linde, MarburgBernd-Axel Lindenlaub, TeupitzJohannes Linn, MarburgAxel Lippek, BochumWolfgang Lippel, NienburgHauke Lippert, Bad OldesloeGerd Lobodda, MünchenJürgen Locher, Bad KreuznachJochem Loeber, Übach-PalenbergProf. Gerhard Löhlein, Frankfurt/M.Dr. Barbara Loer, BremenUlla Lötzer, BerlinWalter Lohne, AachenSabine Lorenz, LemgoHorst Ludewig, SalzgitterFritz Ludwig, Rheda-WiedenbrückUli Ludwig, HalstenbekRegine Lück, Rostock

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Prof. Dr. Christa Luft, BerlinJürgen Luschberger, DüsseldorfSibylle Lust, Offenbach

Henry van Maasakker, NijmegenWolf Mache, MeerbuschProf. Dr. Walter Machtemes, OberhausenDr. Jens Maeße, MainzProf. Dr. Birgit Mahnkopf, BerlinKarl Mai, HalleChristiane Makus, BochumAnnette Malottke, KoblenzHolger Malterer, SchwenfinentalFrank Mannheim, HannoverPeter Marquard, FreiburgJochen Marquardt, HagenProf. Dr. Ralf Marquardt, LüdinghausenWolfgang Marquardt, SolingenChrista Martens, DortmundHeinz Martens, OberhausenMarkus Marterbauer, WienDr. Tomas Martin, KarlsruheGerhard Marx, BraunschweigUta Matecki, Klein VielenMartin Mathes, BerlinProf. Dr. Harald Mattfeldt, HamburgRainer Matz, VelenHorst Maylandt, SprockhövelThomas Mehlin, NetphenKlaus Mehnert, RadolfzellChristine Meier, BerlinHartmut Meine, HannoverUwe Meinhardt, StuttgartDr. Heinz-Rudolf Meißner, BerlinGerhard Meiwald, NeuenkirchenJörg Melz, HannoverBeate Mensch, KölnHelmut Menzel, MünchenGerhard Mette, CurauThomas Meyer-Fries, MünchenAndreas Meyer-Lauber, EssenGerd Minnerop, SchleswigDjordjina Mitevska, EssenDr. Wolfgang Mix, BerlinMargret Mönig-Raane, BerlinThomas Mörker, HamburgPeter Mogga, StolbergAnnegret Mohr, BonnGerald Molder, BraunschweigManfred Moos, Frankfurt/M.Dieter Morisse, BergfeldeFlorian Moritz, BerlinKai Mosebach, OberurselBernhard Müller, HamburgDr. Stephan Müller, BerlinGregor Müller, KabelsketalPetra Müller, HamburgProf. Dr. Eva Müller, TauchaProf. Dr. Klaus Müller, UrsprungRudolf Müller, FreigerichtWerner Müller, Bremen

Siegfried Müller-Maige, Frankfurt/M.Klaus Müller-Wrasmann, HannoverCharles Mündler, BerlinMarc Mulia, DuisburgGisela von Mutins, BonnUwe Myler, Bonn

Jochen Nagel, Groß-GerauDr. Georg Nagele, HannoverMike Nagler, LeipzigMartin Nees, KölnHans-Georg Nelles, DüsseldorfJoachim Neu, BerlinBernd Neubacher, LübeckReinhard Neubauer, GöttingenRoland Neuhaus, KielDr. Gerd-Erich Neumann, StralsundHolger Neumann, BraunschweigProf. Dr. Harry Nick, BerlinDieter Nickel, OldenburgWolfgang Niclas, ErlangenGerd Nierenköther, KasselLars Niggemeyer, HannoverAndreas Nolte, BraunschweigProf. Dr. Jürgen Nowak, Berlin

Ralf Oberheide, SpringeDr. Paul Oehlke, KölnProf. Dieter Oelschlägel, DinslakenHans Oette, NeuenstadtJürgen Offermann, WuppertalHans-Joachim Olczyk, DelmenhorstBrigitte Ostmeyer, HolzgerlingenProf. Dr. Erich Ott, KünzellAndrea Ottmer, BraunschweigProf. Dr. Karl A. Otto, BielefeldWalter Otto-Holtey, Kelsterbach

Heinrich Paul, SchwabachDieter Pauly, DüsseldorfFritz Peckedrath, DetmoldKlaus Pedoth, RecklinghausenJosef Peitz, BerlinProf. Peter Peschel, EssenFinn Petersen, HamburgUlrich Petri, StuttgartRainer Petroll, LüneburgArno Peukes, HannoverHeinz Pfäfflin, NürnbergDr. Hermannus Pfeiffer, HamburgDr. Wolfram Pfeiffer, RaguhnDr. Helmut Pfister, ErlangenFrank Pharao, HannoverKlaus Pickshaus, Frankfurt/M.Henrik Piltz, HofheimMichael Pilz, HanauRainer Pink, BerlinMatthias Pippert, BerlinMarkus Plagmann, BerlinAchim Plener, Frankfurt/M.Oskar Pöhlke, Salzgitter

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Dr. Ralf Pohl, TheisenortGisa Prentkowski, Frankfurt/M.Janina Preuß, EssenProf. Dr. Rolf Prim, SchlierDieter Prottengeier-Wiedmann, RothDr. Ralf Ptak, KölnHans-Georg Pütz, EngerErhard Pusch, EsslingenFrank Puskarev, BerlinDieter Pyde, Herdecke

Gunter Quaißer, Frankfurt/M.Michael Quetting, St. Ingbert

Silke Raab, BerlinMark Rackles, BerlinLilo Rademacher, FriedrichshafenWolfgang Räschke, SalzgitterLuthfa Rahman, WiesbadenOliver Rath, HünstettenPeter Rath-Sangkhakorn, BergkamenAlexander Recht, KölnDr. Herbert Reckmann, SoestMatthias Regenbrecht, StuttgartDr. Ulla Regenhard, BerlinFrank Rehberg, MünchenJosef Reher, WuppertalProf. Dr. Eckart Reidegeld, HagenHans-Joachim Reimann, BremenJörg Reinbrecht, BerlinDr. Sabine Reiner, KleinmachnowChristian Reischl, MünchenCarmen Remus, St. WendelHerbert Rensing, BlombergThomas Ressel, KelkheimDr. Joachim Reus, DarmstadtDr. Norbert Reuter, BerlinChrista Revermann, EssenDr. Gerhard Richter, BerlinHarald Richter, AlsdorfUrsula Richter, BerlinAnne Rieger, GrazFrank Riegler, BubenreuthMonika Rietze, HannoverProf. Dr. Rainer Rilling, MarburgJuana Riquelme Ahumade, BielefeldMark Roach, HamburgFranz Rockinger, EichenauHermann Römer, Bad NauheimJochen Röver, MühlheimGünter Roggenkamp, MoersDr. Bärbel Rompeltien, SudwaldeSigrid Rose, BielefeldEckart Rosemann, KaarstProf. Dr. Rolf Rosenbrock, BerlinGerhard Rosenkranz, HamburgDieter Rosner, ErlangenBruno Rossmann, WienDr. Volker Roth, DüsseldorfPeter Rothbart, SeelzeHolger Rottmann, Rüthen

Albert Rozsai, DüsseldorfAnke Rudat, HagenHans-Peter Rudolph, VellmarHajo Rübsam, HombergWalter Rüth, DüsseldorfDr. Urs Peter Ruf, Bielefeld

Dr. Wolfgang Saggau, BielefeldDr. Marion Salot, BremenBernhard Sander, WuppertalAnne Sandner, HagenGünter Sanné, EschbornRuth Sauerwein, HagenGünther Sauter, StuttgartEnzo Savarino, FriedrichshafenGünther Schachner, PeitingDietmar Schäfers, GelsenkirchenManfred F.G. Schäffer, Bad OeynhausenHeidi Scharf, Schwäbisch HallKarl Scheerer, UlmAngela Scheffels, NeubergGerald Scheidler, BremenEllen Scherbaum, OberurselManfred Scherbaum, OberurselDr. Egbert Scheunemann, HamburgDr. Bettina Schewe, OldenburgHeiner Schilling, BremenDjango Schins, AachenDominik Schirmer, OberaudorfMichael Schlecht, StuttgartGudrun Schlett, NürnbergThorsten Schlitt, BerlinUwe Schlüper, AachenDr. Josef Schmee, WienKarl-Heinz Schmengler, DetmoldDr. Helmut Schmidt, MaintalGabi Schmidt, BochumGabriele Schmidt, GladbeckGudrun Schmidt, Frankfurt/M.Hans Schmidt, FriedrichshafenMarlis Schmidt, SalzgitterThomas Schmidt, DüsseldorfUwe Schmidt, BiebertalWerner Schmidt, StuttgartMartin Schmidt-Zimmermann,

BraunschweigDr. Ingo Schmidt, New WestminsterRichard Schmid, BremenHerbert Schmitt, HeusweilerHorst Schmitthenner, NiedernhausenDr. Rolf Schmucker, BielefeldDr. Olaf Schneider, StuttgartEberhard Schneider, BruchsalGerhard Schneider, EllwangenGottfried Schneider, HallerndorfGünter Schneider, UnnaMichael Schnitker, GroßkarolinenfeldDr. Wolfgang Schober, BremenDr. Wolfgang Schöll, DüsseldorfAndreas Schönfeld, HannoverConny Schönhardt, Hannover

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Wilfried Schollenberger, HeidelbergDieter Scholz, BerlinAlwine Schreiber-Martens, KölnBirgit Schröder, SprockhövelDr. Ursula Schröter, BerlinMechthild Schrooten, BerlinPeter Schrott, BerlinBernd Schüngel, BerlinDr. Bernd Schütt, FriedrichsdorfProf. Dr. Herbert Schui, BuchholzElke Schulte, WuppertalDr. Thorsten Schulten, DüsseldorfJana Schultheiss, WienHans-Peter Schulz, WuppertalHartmut Schulz, SeevetalThorsten Schumacher, HannoverProf. Dr. Ursula Schumm-Garling,

Frankfurt/M.Prof. Dr. Susanne Schunter-Kleemann,

BremenIngo Schwan, KasselHelmuth Schwarz, MünsterMichael Schwarz, TübingenHelga Schwitzer, HannoverReinhard Schwitzer, HannoverJo Seeberger, SchwabachProf. Dietmar Seeck, EmdenReinhard Seiler, LemgoKarin Sellin, Frankfurt/M.Heiko Sembdner, SachsenhagenGerd Siebecke, HamburgThorsten Sieber, LehrteFriedrich Siekmeier, HannoverGisela Siemann, CalwDr. Ralf Sitte, BerlinHarry Skiba, BraunschweigGert Söhnlein, KistAlexander Sohn, HannoverStephan Soldanski, OsnabrückDr. Jörg Sommer, BremenMathias Sommerfeld, NiederndorferbergProf. Dr. Richard Sorg, HamburgThomas Sorg, AltbachDr. Joachim Spangenberg, KölnGuido Speckmann, HamburgGeorg Sperber, Sulzbach-RosenbergPeter Spiekermann, MelleBernd Spitzbarth, MülsenSonja Staack, BerlinMartina Stackelbeck, DortmundAndreas Stahl, Driedorf-WaldaubachJürgen Stamm, StuttgartSybille Stamm, StuttgartEnrico Stange, BornaSiegfried Stapf, BrühlAlfred Staudt, SchmelzTheo Steegmann, DuisburgLars Stegenwaller, DuisburgStepan Steiger, Prag 8Detlef Steinbach, HagenEllen Steinbach, Hagen

Franz Steinberger, BurghausenThomas Steiner, HennefProf. Dr. Klaus Steinitz, BerlinKurt Stenger, BerlinKlaus Stenzel, HamelnProf. Dr. Brigitte Stepanek, GreifswaldProf. Dr. Peter Stier, BerlinHans-Dieter Stimpfig, KasselHartmut Stinton, BremenKlaus Störch, FlörsheimProf. Dr. Brigitte Stolz-Willig,

Frankfurt/M.Dr. Detlev Sträter, MünchenManfred Sträter, DortmundDr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, BerlinDr. Peter Strutynski, KasselPeter Stutz, OldenburgFerdinand Süwolto, LünenProf. Dr. György Széll, OsnabrückNorbert Szepan, Schwerte

Ingo Tebje, BremenClaudia Temps, BützowProf. Dr. Joachim Tesch, LeipzigIngo Thaidigsmann, LindenfelsElke Theisinger-Hinkel, KaiserslauternAnneliese Thie, AachenErika Thiel, StuhrUlrich Thöne, Frankfurt/M.Günther Thomale, WeimarAndreas Thomsen, OldenburgJan Matthes Threin, KölnWolfgang Thurner, BerlinChristiane Tieben-Westkamp, KölnMichael Tiemens, IdsteinDr. Lothar Tippach, LeipzigPeter Torchalla, NeustadtZayde Torun, StuttgartElke Touba, HamburgKlaus Trautwein, WetzlarDr. Gudrun Trautwein-Kalms, BerlinGünter Treudt, WiesbadenAlbrecht Triller, EberswaldeDr. Axel Troost, LeipzigAntje Trosien, HersbruckUwe Tschirner, Mülheim/RuhrManfred Tybussek, Mühlheim/Main

Hüseyin Ucar, BochumOlaf Ueberheide, HohenhamelnAlfred Uhing, MuggensturmManfred Ullrich, DortmundAlexander Ulrich, BerlinDetlef Umbach, HamburgBarbara Underberg, BochumMarco Unger, ChemnitzSabine Unger, DetmoldHermann Unterhinninghofen,

Frankfurt/M.Franz Uphoff, Frankfurt/M.Dr. Hans-Jürgen Urban, Frankfurt/M.

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Gerd Vatterot, OberhausenThomas Veit, Bad HomburgDr. Hermann Vetter, SchönbrunnProf. Dr. Fritz Vilmar, BerlinRené Vits, DresdenKurt Vittinghoff, Bad MünsterHarry Völler, KasselWolfgang Vogel, ErlangenDr. Heinrich Vokkert, GronauDr. Rainer Volkmann, HamburgKlaus-Peter Volkmann, SprockhövelProf. Dr. Edeltraud Vomberg, AachenBernd Vorlaeufer-Germer, Bad HomburgWerner Voßeler, HagenAndreas de Vries, HannoverJan de Vries, HannoverReinhard van Vugt, Siegbach

Georg Wäsler, TaufkirchenAlexander Wagner, Frankfurt/M.Dr. Alexandra Wagner, BerlinProf. Dr. Roderich Wahsner, BremenProf. Dr. Dieter Walter, StrausbergRolf Walther, Dessau-RoßlauHans-Dieter Warda, BochumDr. Bert Warich, BerlinWilhelm Warner, HannoverHugo Waschkeit, RonnenbergMike Wasner, BraunschweigDr. Hans Watzek, BerlinJürgen Wayand, BremenClaudia Weber, MünchenMarita Weber, GöttingenChristian Wechselbaum, BremenMarianne Weg, WiesbadenDoris Wege, Frankfurt/M.Dr. Diana Wehlau, BremenMartin Weick, WölpinghausenHarald Weinberg, NürnbergRolf Weitkamp, KölnH. Günter Weller, SiegenDr. Marianne Welteke-Erb, HungenRalf Welter, AachenMichael Wendl, MünchenKlaus Wendt, HeilbronnHeinz Georg von Wensiersky,

Bad BentheimDr. Dieter Werblow, DresdenAdrian Werk, Wedemark

Alban Werner, AachenDr. Harald Werner, BestenseeSebastian Wertmüller, HannoverMarkus Westermann, BremenUlrich Westermann, Frankfurt/M.Christian Wetekam, GuxhagenKarl-Peter Wettstein, PlankstadtGerhard Wick, GeislingenKarola Wieben, DetmoldJörg Wiedemuth, BerlinRoland Wiegmann, HamburgMargarete Wiemer, Frankfurt/M.Angelika Wiese, DüsseldorfMichael Wiese, HerneKlaus Wiesehügel, Frankfurt/M.Franziska Wiethold, BerlinMatthias Wilhelm, KissenbrückKlaus Willkomm-Wiemer, Frankfurt/M.Werner Windhorst, MarkloheDirk Windmüller, BraunschweigSven Wingerter, Wald-MichelbachGert Winkelmeier, NeuwiedBurkhard Winsemann, BremenDarijusch Wirth, NienburgCarsten Witkowski, GöttingenProf. Dr. Gerhard Wittich, BerlinViktor Wittke, PeineHerbert Wöhrl, AbensbergJürgen Wörner, BerlinHans-Otto Wolf, DortmundJürgen Wolf, BraunschweigProf. Dr. Frieder Otto Wolf, BerlinRüdiger Wolff, BerlinPetra Wolfram, HattingenSusanne Wrona, MarburgMarkus Wünschel, BochumMichael Wüst-Greim, WiesbadenHelga Wullweber, BerlinDr. Beatrix Wupperman, Bremen

Karl-Friedrich Zais, ChemnitzProf. Dr. Norbert Zdrowomyslaw, NisdorfLothar Zedler, PaderbornProf. Dr. Karl Georg Zinn, WiesbadenWerner Zipperer, CadolzburgKay Zobel, LalendorfJohannes Zöller, KölnDietmar Zoll, RostockThomas Zwiebler, Peine

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II. Langfassung des MEMORANDUM

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1   Steiniger Weg aus der Krise

Die Ursachen der aktuellen Weltwirtschaftskrise sind nicht nur im Geschehen auf den Finanzmärkten zu suchen. Tieferliegende Ursachen sind langfristige Fehlentwicklungen in den kapitalistischen Haupt-ländern, in deren Folge sich massive internationale Ungleichgewichte aufgebaut hatten. Die ausstehende umfassende Re-Regulierung der Finanzmärkte ist damit zwar eine notwendige, aber bei weitem keine hinreichende Bedingung für die dauerhafte Überwindung der gegen-wärtigen Krise. Mittelfristig müssen endlich die Weichen in Richtung eines neuen, nachhaltigen und weniger krisenanfälligen Wachstum-styps gestellt werden. Dazu gehören eine nachhaltige Stärkung der Bin-nennachfrage durch eine deutliche Steigerung der Arbeitnehmerentgel-te und eine dauerhafte Erhöhung staatlicher Ausgaben für Umwelt, Bildung und Infrastruktur. In diesem neuen Entwicklungspfad muss die öffentliche Beschäftigung nach dem Vorbild der skandinavischen Länder eine zentrale Rolle spielen. Eine stärkere Demokratisierung der Wirtschaft ist mit diesem neuen Wachstumstyp zwingend zu ver-binden.

Die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise hat in der Wirtschaft tiefe Spuren hinterlassen. Erstmals in der Nachkriegszeit ging 2009 die weltwirtschaftliche Produktion zurück. In Deutschland sank das Bruttoinlandsprodukt um 5,0 Prozent und damit im internationalen Vergleich besonders stark. Hauptsächlich verantwortlich für diesen Rückgang war der Einbruch der Exporte um über 17 Prozent. Der Außenhandelsüberschuss (Exporte minus Importe, d.h. der Außen-beitrag) sank sogar um fast 60 Prozent. Bereits in der Vergangenheit hatte die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik wiederholt auf die Gefahren hingewiesen, mittels Lohndumping und Umvertei-lung von unten nach oben Exportüberschüsse maximieren zu wollen. Die Kehrseite dieser Entwicklung war eine immer schwächere Bin-nennachfrage. Die negativen Folgen dieser zunehmenden Dominanz

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kapitel 1

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des Exportsektors hatten sich bereits in der Vergangenheit dadurch gezeigt, dass Wachstum und Beschäftigung deutlich unterhalb des internationalen Durchschnitts lagen.

Vor diesem Hintergrund sahen viele mit der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise bereits den Untergang eines finanzmarktgetriebenen Kapitalismus gekommen: Auf dem Grabstein des Neoliberalismus würde das Jahr 2008 stehen. Tatsächlich hat sich das System jedoch

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steiniger weg aus der krise

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nicht zuletzt durch die wirtschaftspolitischen Gegenmaßnahmen als stabiler erwiesen als von manchem erwartet. Der Absturz konnte im Frühjahr 2009 zumindest gestoppt werden. Ein sich selbst tragender Aufschwung ist jedoch nicht in Sicht.

Dass nicht alles noch schlimmer gekommen ist, konnte nur mit einer fundamentalen Abkehr von bis dato gepredigten wirtschaftspolitischen Glaubenssätzen erreicht werden. Die Dramatik der wirtschaftlichen Entwicklung hat die Politik gezwungen, sich zumindest kurzfristig von den herrschenden neoliberalen Dogmen zu distanzieren, die da beispielsweise lauteten, Konjunkturprogramme seien nutzlos und ent-fachten lediglich „Strohfeuer“, eine Verstaatlichung von Banken sei ein ordnungspolitisch nicht zu vertretender Sündenfall, und Arbeits-zeitverkürzung als Instrument zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit sei prinzipiell untauglich.

Auch wenn die Konjunkturpakete der Bundesregierung – gerade auch im Vergleich zu den amerikanischen, japanischen oder chine-sischen Programmen – sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht deutliche Mängel aufweisen, zielten diese zumindest in die richtige Richtung. Anstatt den Abwärtskurs der Wirtschaft durch Ein-sparungen noch weiter zu befördern, wie in der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre geschehen, wurde bewusst auf eine Expansion der Staatsausgaben gesetzt. Dadurch und mit Hilfe anderer Eingriffe in den Arbeitsmarkt konnte nicht nur der weitere Einbruch der Wirt-schaftsleistung gestoppt, sondern es konnten auch die Folgen auf dem Arbeitsmarkt – zumindest temporär – begrenzt werden.

Die aus der Not geborene aktive Krisenbekämpfung stellt aller-dings keineswegs einen Paradigmenwechsel der herrschenden Politik dar. Mit der Festschreibung der Schuldenbremse in das Grundgesetz wollte bereits die Große Koalition sicherstellen, dass die relativ wirk-same Antikrisenpolitik ein einmaliger „Sündenfall“ bleibt. Die neue schwarz-gelbe Bundesregierung knüpfte in ihrem Koalitionsvertrag und in ihren ersten konkreten Taten („Wachstumsbeschleunigungsgesetz“) dann erst recht an alte politische Muster an.

Obwohl die gegenwärtige Lage durch geringes und unsicheres Wachstum bei abnehmender Beschäftigung gekennzeichnet ist, geht

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die Regierung wieder zur neoliberalen Tagesordnung über: Auch wenn die öffentlichen Haushalte, besonders die der Länder und Kommunen, vor dem Absturz stehen, ist bereits von einer Konsolidierung durch die Auflage von Sparprogrammen die Rede, und es werden wieder einmal Steuern für Wohlhabende und Unternehmen gesenkt. Wurde unter dem ersten Schock der Finanzmarktkrise und zur Legitimation der ungeheuren Summen zur Stützung der Banken auch von der Bun-desregierung noch vollmundig die Einführung von effektiven Kon-troll- und Steuerungsinstrumenten angekündigt, so speisen die Finanz-marktakteure mit neuen Spekulationswellen bereits die nächste Blase. Das Umfeld hierfür haben sowohl rot-grüne als auch schwarz-rote deutsche Regierungen bereitet. Das vierte Finanzmarktförderungs-gesetz – das Investmentmodernisierungsgesetz, das Hedge-Fonds in Deutschland zuließ –, der massiv geförderte Verbriefungsmarkt oder auch die Steuerbefreiung der den Verbriefungen zwischengeschalteten Zweckgesellschaften waren nationale Maßnahmen. Sie können und müssen auch national korrigiert werden. Das ist bisher nicht gesche-hen. Im Gegenteil: Zwischenzeitlich wurde es den Spekulanten von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sogar wieder erlaubt, mit geliehenen Aktien über so genannte Leerverkäufe auf fal-lende Aktienkurse wetten zu können.

Aber selbst wenn das Instrumentarium und der politische Wille zur Verhinderung neuer Finanzblasen vorhanden wären, würde sich bald herausstellen, dass es damit nicht getan ist. Wer die gegenwärtige Krise der Weltwirtschaft in den Kontext der langfristigen weltwirtschaft-lichen Entwicklung stellt, dem muss auffallen, dass die Krise der Pro-duktionswirtschaft nicht lediglich eine Folge der Finanzkrise ist. Daher wäre es auch falsch zu hoffen, mit einer Überwindung der Finanzkrise wäre auch die Krise in den nicht-finanzwirtschaftlichen Sektoren der Güter- und Dienstleistungsproduktion beigelegt. Vielmehr geht die gegenwärtige Misere auf langfristige, seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts sich entwickelnde Disproportionen und Stagnationsten-denzen zurück. Hier liegen auch die gemeinsamen Voraussetzungen der sich seither immer wieder bildenden Finanzblasen und Finanzkrisen, die an Stärke zunehmen.

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Das überproportionale Wachstum der Finanzwirtschaft ist bereits ein struktureller Niederschlag fundamentaler realwirtschaftlicher Ver-wertungsprobleme des gegenwärtigen Kapitalismus und hat krisen-verstärkende Folgen. Seit etwa Mitte der 1970er Jahre gibt es in den westlichen Industrieländern ein tendenzielles Missverhältnis zwischen Gewinnen und hoher Ersparnis einerseits und relativ knapper wer-denden Möglichkeiten, diese in der Produktionswirtschaft rentabel an-zulegen, andererseits. Die Einkommens- und Vermögensstruktur wurde zunehmend ungleicher und konnte das Nachfrageniveau, das zur pro-duktiven Absorption der Ersparnis und zur Nutzung der aufgebauten Kapazitäten notwendig wäre, nicht mehr sichern. Die Lücke zwischen vorauseilenden Produktionsmöglichkeiten und zurückbleibender Nach-frage vergrößerte sich. Die in der Folge abnehmende Beschäftigung verschärfte zusammen mit umfassenden staatlichen Sparmaßnahmen den Druck auf die Lohn- und Sozialeinkommen und führte zu einer sich weiter öffnenden Nachfragelücke. Die Eigendynamik der allein auf Gewinn gerichteten kapitalistischen Akkumulation reichte immer weni-ger aus, um ein befriedigendes Beschäftigungs- und Wachstumsniveau sowohl im quantitativen als auch im qualitativen Sinne zu erreichen.

Wesentliche Merkmale der Wirtschaftsentwicklung seit Mitte der 1970er Jahre sind geprägt von einzelwirtschaftlichen Anpassungsstrate-gien der Unternehmen, vor allem der transnationalen Konzerne. Diese antworteten auf die chronische Unternachfrage nach Konsumgütern und Dienstleistungen und in der Folge auch nach Investitionsgütern mit einzelwirtschaftlich rationalen Strategien: Investitionen flossen immer weniger in neue Maschinen und Gebäude, sondern stattdessen vermehrt in spekulative Anlagen auf den Finanzmärkten. Die verbliebe-nen Investitionen in die Produktionswirtschaft dienten zunehmend der Rationalisierung und der Kostensenkung. Mit dem gleichen Ziel wurde auch in Sektoren investiert, die bislang staatlich oder gemeinnützig be-trieben wurden. Mit solchen einzelwirtschaftlichen Strategien wurden Entwicklungen und Strukturveränderungen vorangetrieben, die sich gesamtwirtschaftlich als höchst destabilisierend erweisen sollten und das überproportionale Wachstum der Finanzwirtschaft stark begün-stigt haben.

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Zwei Faktoren sind zu nennen, die diese längerfristigen fundamen-talen Fehlentwicklungen erheblich verstärkt haben: die neoliberale Ide-ologie und die daran orientierte Politik der Regierungen in den meisten Industrieländern.

Die neoliberale Glaubenslehre verdankt ihren raschen Aufstieg zur herrschenden Meinung und Ersatzreligion der Tatsache, dass sie genau die geschilderte einzelwirtschaftliche Interessenkonstellation widerspie-gelt. Sie identifiziert einzelwirtschaftliche Interessen mit wirtschaftlicher Vernunft schlechthin und negiert damit völlig die Widersprüche zwi-schen profitorientiertem einzelwirtschaftlichen Handeln und makro-ökonomischen Notwendigkeiten. Sie liefert Pseudobegründungen für eine voranschreitende gesellschaftliche Polarisierung und tabuisiert zu-gleich alle Debatten über Fragen von Gerechtigkeit und Verteilung.

In der Folge haben die Regierungen weltweit den Strategien des großen Kapitals den Weg frei geräumt. Deregulierung, Privatisierung, Steuersenkungen für die wohlhabenden Schichten und Unternehmen sowie die globale Liberalisierung nicht zuletzt der Finanzmärkte wur-den zum Credo und zur vorherrschenden Praxis der Wirtschaftspolitik. Sozialstaatliche Leistungen wurden oftmals – in Deutschland vor allem im Rahmen der vom damaligen Kanzler Schröder umgesetzten „Agenda 2010“ – drastisch reduziert und Institutionen wie die Arbeitslosenver-sicherung zum Herrschafts- und Disziplinierungsinstrument umgebaut. Die damit herbeigeführte soziale Unsicherheit erhöhte wiederum den Druck auf Löhne und Gehälter, wodurch die Inlandsnachfrage weiter unter das Produktionspotenzial gedrückt wurde. Stagnierende Kon-sumnachfrage selbst im Aufschwung und entsprechend stagnierende Einzelhandelsumsätze zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der abhängig Beschäftigten zunehmend nicht über, sondern unter ihren Verhältnissen lebt. Das verlieh der einseitigen, von Exportindustrie und Regierung vorangetriebenen Strategie der Exportüberschüsse wiederum neue Freiräume und Legitimation. Immer mehr wurde so die deutsche „Wettbewerbsfähigkeit“ forciert. Eine Kompensation für die reduzierte Binnennachfrage konnte auf diese Weise freilich nicht erreicht werden. Die Exportüberschüsse Deutschlands, Japans und Chinas und die hier-durch verursachte steigende Verschuldung der USA, aber auch vieler

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europäischer Länder wie Griechenland, Italien und Spanien haben wiederum zur Bildung der Finanzblase beigetragen.

Rückblickend hat die staatliche Wirtschafts-, Finanz- und Sozial-politik des zurückliegenden Jahrzehnts somit Fehlentwicklungen und strukturelle Verschiebungen aufgebaut und beschleunigt und dadurch die gegenwärtigen Krise geradezu systematisch vorbereitet: Die poli-tisch gewollte Verschiebung der Kräfteverhältnisse von der Arbeit zum Kapital hat zu gesamtwirtschaftlich dysfunktionalen Verteilungsver-hältnissen und einem weltweiten Anstieg des Sparvolumens geführt. Der internationale Währungsfonds (IWF) weist ein weltweites Spar-volumen aus, das sich zwischen 2001 und 2007, also in nur wenigen Jahren, von 6,8 auf 13,2 Billionen Dollar fast verdoppelt hat.

Neben der Verteilungsungleichheit haben noch weitere Quellen zu dieser enormen Zunahme vagabundierenden Kapitals beigetragen: Zu erwähnen ist vor allem die zunehmende Privatisierung der Alterssiche-rung, wie sie seit vielen Jahren mit einer fast an Gehirnwäsche erin-nernden Intensität sowohl von privater als auch von politischer Seite propagiert wird. In Deutschland war der Anreiz für die Beschäftigten zur privaten Absicherung lange Zeit sehr gering, da das bestehende öf-fentliche Umlagesystem („Generationenvertrag“) den Lebensstandard im Alter noch zu sichern versprach. Hier musste zunächst „Abhilfe“ geschaffen und eine deutliche Verschlechterung bei der gesetzlichen Rente auf den Weg gebracht werden, bevor die Teilprivatisierung der Alterssicherung durch die rot-grüne Regierung auf den Weg gebracht werden konnte. Weltweit ist das Volumen der Pensionskassen und Fonds enorm gewachsen und damit auch die Masse des anlagesu-chenden Kapitals, während zugleich der langfristige Wachstumstrend der Realwirtschaft abnimmt. Das ist nicht zuletzt eine ausgesprochen instabile Grundlage für die wirtschaftliche Sicherung des Lebensstan-dards im Alter: In den USA haben die Bezieher von Privatrenten durch-schnittlich 30 Prozent ihrer Rente verloren, in Einzelfällen sogar alles. OECD-Statistiken zeigen, dass die kapitalgedeckte Altersvorsorge in 25 untersuchten Ländern von Januar bis Dezember 2008 im gewichteten Durchschnitt mehr als 20 Prozent – das sind 5,4 Billionen Dollar – an Wert verloren haben.

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Eine weitere Quelle überaus großer Liquidität ergibt sich aus den erwähnten globalen außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten mit den Überschussländern China, Deutschland und Japan. So hat China die Einnahmen aus seinen hohen Exportüberschüssen in großem Umfang in den USA angelegt und damit sehr stark zum Fallen der amerikanischen Zinssätze beigetragen, was seinerseits wiederum die Bildung der Kre-ditblase stark begünstigt hat. Auch hier zeigen sich destabilisierende Effekte der Exportüberschussstrategien dieser Länder.

Hinzu kommt, dass die US-amerikanischen Bürgerinnen und Bür-ger die Begrenzung ihrer Konsumnachfrage durch den für sie ungün-stigen Verteilungstrend kompensiert haben, indem sie ihren Konsum in steigendem Maße über Kredit finanzierten. Es kam eine Spirale aus wechselseitig sich verstärkenden steigenden Immobilienpreisen und wachsenden Verschuldungsspielräumen für Privathaushalte in Gang. Zudem wurde das Mittel der Kreditkartenverschuldung exzessiv ge-nutzt. Der Großteil der amerikanischen Beschäftigten lebte somit tat-sächlich „über seine Verhältnisse“. Voraussetzung war aber, dass die Bevölkerung der Exportüberschussländer, allen voran Deutschlands, Chinas und Japans, „unter ihren Verhältnissen“ lebte.

Die amerikanische Inlandsverschuldung insgesamt hat sich allein zwischen 2000 und 2007 von 26,3 auf 47,7 Billionen Dollar nahezu verdoppelt, ebenso wie die Verschuldung der privaten Haushalte. Die Verschuldung der Finanzunternehmen ist in den letzten 30 Jahren von 0,6 auf 16,0 Billionen Dollar angestiegen und hat sich allein zwischen 2000 und 2007 ebenfalls verdoppelt.

Die Ursachen der aktuellen Weltwirtschaftskrise sind also nicht nur im Geschehen auf den Finanzmärkten zu suchen, sondern auch eine Folge der langfristigen Stagnations- und Verwertungskrise in den kapitalistischen Hauptländern. Staatliche Wirtschaftspolitik, die der einzelwirtschaftlich rationalen Reaktion vor allem der transnationalen Unternehmen auf die Verwertungsprobleme den Weg geebnet hat, hat nicht zur Lösung der Stagnation beigetragen, sondern wurde im Ge-genteil zunehmend zum Krisenverstärker. Die ausstehende Reform der Finanzmärkte, ihre Reduzierung, Regulierung und Kontrolle durch die Staaten und internationale Institutionen ist damit zwar eine notwen-

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dige, aber bei weitem keine hinreichende Bedingung für die Überwin-dung der gegenwärtigen Krise.

1.1   Fehlende Wachstumsimpulse

Selbst unter optimistischen Wachstumsannahmen werden die nega-tiven Auswirkungen der Krise noch viele Jahre zu spüren sein. Ob sich diese Annahmen allerdings bestätigen, ist fraglich und mit erheblichen Unsicherheiten verbunden.

Die ExportentwicklungBis zur Krise war das Wirtschaftswachstum in Deutschland immer stärker exportgetrieben. Der Exportüberschuss stieg zwischen 2000 und 2007 – seinem bisherigen Höhepunkt – von sieben auf 170 Mil-liarden Euro an. Die deutsche Exportquote hatte sich seit Anfang der 1990er Jahre verdoppelt: Lag der Anteil der Exporte am BIP 1993 noch bei unter 20 Prozent, waren es 2007 bereits über 40 Prozent. 1,5 von insgesamt 2,5 Prozentpunkten des Wachstums im Jahr 2007 – also 60 Prozent – gingen auf den Außenhandel zurück. Mit Einbruch der Krise zeigte sich dessen gewachsene Bedeutung in umgekehrter Richtung: Der Einbruch des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2009 um fünf Prozent ging in Höhe von 3,4 Prozentpunkten – und damit zu fast 70 Prozent – auf das Konto des Außenhandels. Statt monatlich Waren im Wert von deutlich über 80 Milliarden Euro wie noch vor der Krise wurden zeitweise Waren im Wert von nicht einmal 70 Milliarden Euro pro Monat exportiert.

Unterstützt durch die weltweiten Konjunkturprogramme konnte der Absturz der Exporte gestoppt werden. Zwischen April und Dezem-ber 2009 stiegen die monatlichen Exportwerte wieder an. Wie fragil diese Entwicklung jedoch war, zeigen zwischenzeitlich zu verzeichnende erneute Rückschläge, zuletzt im Januar 2010: In diesem Monat sanken die Warenexporte gegenüber dem Vormonat um 6,3 Prozent. Die Ende 2009 überschrittene Grenze an monatlichen Warenausfuhren in Höhe von 70 Milliarden Euro wurde damit wieder nach unten durchbrochen.

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Völlig unerwartet kam diese Entwicklung nicht. Zum einen laufen die weltweiten Konjunkturprogramme aus, zum anderen beruhte die herausragende Rolle des Exports in der Vorkrisenzeit auf außergewöhn-lichen, langfristig kaum tragfähigen Entwicklungen. Hierzu gehörte vor allem der enorme Anstieg der Verschuldung der USA, Japans und einiger südeuropäischer Länder. Ohne diese Verschuldungskaskaden, die sich im Vorfeld der Krise herausgebildet hatten, hätten sich der deutsche Exportboom und die enormen Leistungsbilanzüberschüsse nicht entwickeln können.

Die Schuldenländer der Zeit von vor der Krise – insbesondere die USA, aber auch südeuropäische Länder wie Griechenland, Portugal,

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Spanien und Italien – werden sich in Zukunft kaum weiter in dem Ausmaß wie vor der Krise verschulden können. So fordert die EU-Kom-mission bereits von Griechenland umfassende Sparprogramme, andere europäische Länder mit ähnlichen Verschuldungsquoten könnten fol-gen. Auch die USA werden aufgrund enger werdender Verschuldungs-spielräumen nicht mehr ihre Vorkrisenrolle als Konjunkturlokomotive der Welt einnehmen können.

Insofern ist es höchst zweifelhaft, ob der Außenhandel wieder zum entscheidenden Wachstumsmotor werden kann. Dies sollte aber auch in keiner Weise mehr wirtschaftspolitisches Ziel sein. Wenn die Bun-deskanzlerin es als ihr erstes Ziel ansieht, „dass das Land Exportwelt-meister bleibt“, dokumentiert sie lediglich, dass sie aus der Krise und

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der hohen Betroffenheit Deutschlands nichts gelernt hat. Denn dann müsste der Exportüberschuss wieder Jahr für Jahr steigen. Nur so würde sich jeweils ein positiver Wachstumsbeitrag ergeben – und das in einer Welt mit erheblich engeren Verschuldungsgrenzen. Weiteres Lohndumping und eine weitere Schwächung der Binnennachfrage mit erheblichen negativen Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung in Deutschland wären die Folgen einer solchen unbeirrt vorangetrie-benen Ausfuhrstrategie. Vor diesem Hintergrund sind auch die vorlie-genden Wachstumsprognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute für das Jahr 2010, die zwischen 1,2 und 2,1 Prozent liegen und in erster Linie auf der Annahme einer Exporterstarkung basieren, mit erheb-lichen Risiken behaftet.

Bleiben als Wachstumstriebkräfte der private Konsum, die Anlag-einvestitionen oder anhaltend expansive staatliche Ausgaben. Doch auch hier sind die Aussichten alles andere als gut – jedenfalls solange es nicht zu einer grundsätzlichen Neuausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik kommt.

Der private KonsumDie privaten Konsumausgaben sind trotz der Tiefe der Krise bis-her recht stabil geblieben. Tarifliche Einkommenserhöhungen von im Schnitt drei Prozent aus der Spätphase des vorhergehenden Auf-schwungs bei stagnierenden Preisen waren dafür eine wesentliche Stütze, ebenso die – wenn auch bescheidene – Rentenerhöhung vom Sommer 2009 und der dank Kurzarbeit und anderer Formen der Arbeitszeitverkürzung bisher geringe Anstieg der Arbeitslosigkeit. Tatsächlich ist es aber allein der euphemistisch als „Umweltprämie“ bezeichneten „Abwrackprämie“ für Altautos zu verdanken, dass der private Konsum nicht bereits 2009 ins Minus gerutscht ist. Insofern sind die Aussichten für 2010 mit Blick auf den privaten Konsum eher schlecht. Für einen Wachstumsimpuls müssten die Einkommen der Beschäftigten deutlich steigen.

Um einen Anstieg des privaten Konsums zu ermöglichen, müsste es den Gewerkschaften gelingen, unter den Bedingungen der Krise die Verteilungsrelationen zulasten der Gewinneinkommen zu verschieben.

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Das bedeutet, es müssten Lohnabschlüsse oberhalb des verteilungsneu-tralen gesamtwirtschaftlichen Spielraums erzielt werden. Das ist jedoch nicht zu erwarten. Zusätzlich wird der zu befürchtende Anstieg der Ar-beitslosigkeit die Entwicklung des Arbeitnehmerentgelts und damit den Konsum massiv dämpfen. Hierfür sprechen auch tarifliche Öffnungs-klauseln, die stetig sinkende Tarifbindung, drohende Nullrunden bei der Rente sowie die zu erwartenden massiven Einsparungen bei sozialen Transfers. Bereits 2009 gingen die Bruttolöhne und -gehälter um 0,5 Prozent zurück. Nach der Gemeinschaftsprognose der Wirtschaftsfor-schungsinstitute vom Herbst 2009 ist für 2010 mit einem nochmaligen Rückgang um 0,6 Prozent zu rechnen. Hinzu kommt, dass mit dem Auslaufen der Abwrackprämie dieser zeitweilige „Konsumturbo“ ab-geschaltet ist. Seit August 2009 befinden sich die Zulassungszahlen im freien Fall. Damit dürfte es zu einem Wiederanstieg der Sparquote kom-men, die als Folge der Inanspruchnahme der Abwrackprämie gesunken war. Das zieht aber automatisch einen zusätzlich sinkenden Konsum nach sich. Nach den Prognosen des Sachverständigenrats und der Ge-meinschaftsdiagnose steigt 2010 die Sparquote von 11,2 Prozent auf 11,4 Prozent bzw. sogar auf 11,6 Prozent, was einem Kaufkraftverlust von bis zu zehn Milliarden Euro entspricht.

Erfolgte und noch beabsichtigte Steuersenkungen werden derweil von der Bundesregierung als Wachstumsmotor propagiert. Im Zuge des so genannten Wachstumsbeschleunigungsgesetzes verzichtet der Staat auf Einnahmen in Höhe von 8,5 Milliarden Euro. Im Koalitionsver-trag ist eine weitere massive Entlastung bei der Einkommensteuer im Volumen von 20 Milliarden Euro festgeschrieben. Klar ist, dass hieraus kein expansiver Impuls für die Binnennachfrage entstehen wird – im Gegenteil: Da diese Beträge durch Einsparungen bei den staatlichen Ausgaben gegenfinanziert werden sollen, kommt es per Saldo zu einer Kontraktion der Binnennachfrage. Denn der Staat hätte dieses Geld vollständig ausgegeben, während die privaten Haushalte einen Teil der erlassenen Steuern sparen würden – je höher das Einkommensniveau, desto mehr.

Insofern sind vom Konsum her keine durchgreifenden Wachstum-simpulse zu erwarten. Diese Einschätzung entspricht auch den Erwar-

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tungen der Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrer Gemeinschaftsdi-agnose vom Herbst 2009: Vom privaten Konsum wird für 2010 ein leicht negativer Wachstumsbeitrag (-0,1 Prozent) erwartet.

Die AnlageinvestitionenDer Einbruch bei den Anlageinvestitionen ist neben dem Absturz des Exports der zweite zentrale Faktor, der maßgeblich für die Schrump-fung des Bruttoinlandsprodukts um fünf Prozent im Jahr 2009 ver-antwortlich ist. 1,6 Prozentpunkte davon gehen auf sein Konto. Auch für 2010 ist mit keinem nennenswerten Wachstumsbeitrag seitens der Anlageinvestitionen zu rechnen. Die Kapazitäten der Unternehmen sind immer noch sehr gering ausgelastet, für Erweiterungsinvestiti-onen gibt es deshalb keinen Bedarf. Auch Ersatz- bzw. Rationalisie-rungsbedarfe halten sich in Grenzen, da der Kapitalstock im letzten Aufschwung erheblich modernisiert wurde. Zudem hängen Investiti-onsentscheidungen maßgeblich von der Nachfrage ab, von der aber genauso wie von der Auslandsnachfrage keinerlei spürbare positive Impulse zu erwarten sind. Dämpfend dürfte zusätzlich wirken, dass der anhaltende Anstieg der Auftragseingänge der deutschen Industrie Ende 2009 abbrach und im Vormonatsvergleich wieder weniger Auf-träge eingingen. Entsprechend tragen die Anlageinvestitionen auch laut Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute nur 0,2 Prozentpunkte zum von ihnen erwarteten Wachstum des BIP von 1,2 Prozent im Jahr 2010 bei.

Die staatlichen AusgabenBlieben als letzte Möglichkeit für ein Wiederanspringen des Wachs-tumsmotors und einen sich selbst tragenden Aufschwung noch die staatlichen Ausgaben. Die Stimulierungsmaßnahmen der Großen Ko-alition waren schon völlig unangemessen – sie hatten laut OECD einen Wachstumseffekt von gerade einmal 0,5 Prozent. Das war zweifellos besser, als prozyklisch die Krise zu verschärfen – aber im Vergleich zu den USA, China und Japan war und ist es weltwirtschaftliches Trittbrettfahren. Für die Einschätzung der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung ist aber zu berücksichtigen, dass 2010 selbst diese ver-

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gleichsweise eher bescheidenen Zusatzausgaben auslaufen. Allein diese Nichtverlängerung stellt einen negativen Wachstumsimpuls dar und wird die Konjunktur belasten.

Hinzu kommen die bereits erfolgte Steuersenkung der schwarz-gelben Bundesregierung im Zuge des „Wachstumsbeschleunigungsge-setzes“ und die geplante Veränderung des linear-progressiven Tarifs in Richtung eines Stufentarifs mit drastischer Absenkung des Spitzensteu-ersatzes. Beides zusammen wird die Lage der öffentlichen Haushalte weiter dramatisch verschärfen.

Ausgehend von einer Neuverschuldung im Haushalt des Jahres 2010 von rund 100 Milliarden Euro ergibt sich nach Berechnungen des Finanzministeriums ein um konjunkturelle Einflüsse bereinigtes strukturelles Defizit in Höhe von 70 Milliarden Euro. Aufgrund der Schuldenbremse darf der Bund bis zum Jahr 2016 jedoch nur noch rund zehn Milliarden Euro an neuen Schulden aufnehmen. Vor diesem Hintergrund will der Bund mit Blick auf die ab 2016 einzuhaltende Schuldenbremse zwischen 2011 und 2016 Jahr für Jahr zehn Milliarden Euro einsparen.

Angesichts dieser katastrophalen, durch politisches Handeln zu-sätzlich verschärften Lage der öffentlichen Haushalte ist ein künftiger Kahlschlag bei öffentlichen Investitionen und sozialen Leistungen vor-programmiert. Besonders in Ländern und Gemeinden werden die Kür-zungen massiv zulasten von Wachstum und Beschäftigung gehen. Ohne eine radikale Wende in der Finanz- und Steuerpolitik wird der Staat spätestens ab 2011 zu einer massiven Wachstumsbremse werden.

1.2   Drohende Kreditklemme?

Um wieder mehr investieren und damit wieder wachsen zu können, sind ausreichende Kredite eine notwendige Bedingung. Durch die Ab-schreibungen von toxischen Papieren haben Banken jedoch erhebliche Summen an Eigenkapital verloren. Allein die Commerzbank hat für 2009 einen Verlust von 4,5 Milliarden Euro ausgewiesen. Mit diesem Schwund sinkt die Möglichkeit zur Kreditvergabe, da Banken Kredite

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nur in einer bestimmten Relation zum Eigenkapital vergeben dürfen. Zudem haben die deutschen Banken nach Einschätzung des Interna-tionalen Währungsfonds noch nicht einmal die Hälfte ihrer toxischen Papiere abgeschrieben.

Um einer „Kreditklemme“ entgegenzuwirken, hat die EZB den Leit-zins sukzessive auf ein historisches Tief von einem Prozent gesenkt. Die Banken haben die günstigen Refinanzierungsbedingungen jedoch nicht in eine wachsende Kreditversorgung umgesetzt. Deshalb hat die Bundesregierung im Rahmen des Deutschlandfonds über die Banken Hilfen für die Kreditvergabe im Umfang von 40 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Allerdings haben die „Hausbanken“ auch diese Impulse nur ungenügend weitergegeben. Daher besteht die Gefahr, dass die erwartete Konjunktur mangels einer ausreichenden Kreditversor-gung erheblich gedämpft wird.

Deshalb müssen die Banken endlich offen legen, in welchem Umfang sie noch toxische Papiere in den Bilanzen halten. Sollte sich dann das Eigenkapitalausstattung als zu gering für eine umfassende Kreditversor-gung erweisen, müssen Banken auch zwangsweise mit Staatshilfen aus-gestattet werden. Die bloße Aufforderung seitens der Bundesregierung, sie sollten endlich die Staatshilfen zur Auslagerung der faulen Papiere in Bad Banks in Anspruch nehmen, ist nicht ausreichend. Im Falle der Inanspruchnahme von Staatshilfen muss allerdings sichergestellt sein, dass der Staat Einfluss auf die Geschäftspolitik erhält und auch an zukünftigen Gewinnen beteiligt ist. Wenn er etliche Milliarden Euro aus Steuermitteln zuschießt, muss er Anteile und damit Eigentümer- und Mitspracherechte erhalten. Die Geschäftspolitik muss am Wohl der Allgemeinheit und nicht am Wohl der Manager und Aktionäre ausgerichtet sein. Und die Allgemeinheit darf nicht nur an Verlusten, sondern sie muss auch an künftigen Gewinnen beteiligt werden.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Analyse der einzelnen Wachstumsfaktoren darauf hindeutet, dass ein schneller und vor allem kräftiger Aufschwung nicht in Sicht ist. Vielmehr ist für die weitere Entwicklung eine Waschbrettkonjunktur zu befürchten: Mal wird das Bruttoinlandsprodukt ein paar Quartale wachsen, dann wie-der zeitweise schrumpfen. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass es im

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Jahr 2011 erneut zu einem stärkeren Rückschlag kommt. Insofern sind Überlegungen über einen schnellen „Exit“ aus staatlichen Konjunktur-programmen derzeit völlig fehl am Platz.

Mittelfristig sollte die Analyse der Ursachen der Krise Anlass ge-nug sein, endlich die Weichen in Richtung eines neuen, nachhaltigen und weniger krisenanfälligen Wachstumstyps zu stellen. Dazu gehören eine nachhaltige Stärkung der Binnennachfrage durch eine deutliche Steigerung der Arbeitnehmerentgelte und zum anderen eine dauerhafte Erhöhung staatlicher Ausgaben für Umwelt, Bildung und Infrastruktur. In diesem neuen Entwicklungspfad muss die hochwertige öffentliche Beschäftigung nach dem Vorbild der skandinavischen Länder eine zen-trale Rolle spielen. Eine stärkere Demokratisierung der Wirtschaft ist mit diesem neuen Wachstumstyp zwingend zu verbinden.

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2   Arbeitszeitpolitik in der Krise

Die schwerste Wirtschaftskrise in der Geschichte der Bundsrepublik hat zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt, die zu erwartende Katastrophe auf dem Arbeitsmarkt ist allerdings bisher ausgeblieben. Dieses vermeintliche „Job-Wunder“ konnte mit einem Instrument erzielt werden, das von vielen längst in der wirtschaftspolitischen Mot-tenkiste gesehen wurde: Arbeitszeitverkürzung. Mit verschiedenen In-strumenten, wie z.B. Kurzarbeit, konnte das Arbeitsvolumen in einem Umfang von 1,2 Millionen Vollzeitstellen reduziert werden.

Perspektivisch gilt es, diese positiven Erfahrungen mit Arbeitzeit-verkürzung zu verstetigen und zu Einrasteffekten zu kommen, d.h. idealerweise werden die krisenbedingten Arbeitszeitverkürzungen ver-stetigt. Aktuell geschieht dies zwar mit Lohneinbußen, die bei geringen Einkommen mit öffentlichen Subventionen zu stützen sind. Langfristig gilt es allerdings, den vollen Lohnausgleich zu erzielen.

In der Arbeitsmarktpolitik bedeutet die pragmatische Nutzung der Arbeitszeitverkürzung eine Abkehr von den Prinzipien der Individuali-sierung und des „Förderns und Forderns“ aus der Agenda-Politik. Es gilt, diese Abkehr auf alle Ebenen zu übertragen und damit zu einem radikalen Neustart in der Arbeitsmarktpolitik zu kommen. Die durch die Agenda-Politik begünstigte Prekarisierung von Beschäftigung muss überwunden werden.

2.1   Die Krise verschärft die Situation   auf dem Arbeitsmarkt

Die derzeitige Krise der Weltwirtschaft ist die heftigste und umfas-sendste nach 1929. Selbst in den vergangenen Boomjahren konnte das Problem der seit den 1970er Jahren anhaltenden Massenarbeitslosig-keit nicht eingedämmt werden. Chancenlosigkeit und Arbeiten unter prekären Bedingungen mit Armutslöhnen prägten für Millionen die

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Arbeitsmarktsituation der vergangenen Jahre. Auch wenn die volle Wucht der Krise den Arbeitsmarkt noch längst nicht erreicht hat, ver-schärft sie die Situation weiter.

Auf dem Arbeitsmarkt kommen die Folgen der Krise erst zeitver-zögert an. Das ist ein durchaus normaler Vorgang, denn der Beschäfti-gungsabbau in den Unternehmen erfolgt grundsätzlich nicht synchron zum Produktionseinbruch. In dieser Krise wurde durch den kräftigen Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente der Verzögerungseffekt außerdem noch verstärkt. Bis zum Februar 2009 waren die Arbeitslo-senzahlen sogar noch leicht gesunken, obwohl im ersten Quartal 2009 der stärkste Produktionseinbruch stattfand (real und kalenderbereinigt

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um 6,7 Prozent). Danach kam es zu einem deutlichen Anstieg der Ar-beitslosigkeit, obwohl seit Mai 2009 die privat vermittelten Arbeits-losen nicht mehr in der Statistik erfasst werden.

Im Jahresdurchschnitt gab es 3,4 Millionen registrierte Arbeitslose. Das waren 155.000 mehr als 2008. Die Arbeitslosenquote, bezogen auf die abhängigen zivilen Erwerbspersonen, lag bei 9,1 Prozent (2008: 8,7 Prozent). Eine neue, weitergehende Definition für Arbeitslosigkeit findet sich in den monatlichen Agenturberichten als „Unterbeschäfti-gung“ wieder und soll die Arbeitsmarktsituation umfassender darstel-len. In diese Zahlen gehen sowohl diejenigen Arbeitslosen ein, die über private Vermittler in Beschäftigung gebracht werden sollen, als auch Personen in beruflicher Weiterbildung, Arbeitsgelegenheiten, Arbeits-beschaffungsmaßnahmen und vorruhestandsähnlichen Regelungen sowie Empfängerinnen und Empfänger von Gründungszuschüssen für Selbstständigkeit. Ferner werden darunter Menschen geführt, die aufgrund von Krankheit dem Arbeitsmarkt zum Stichtag nicht zur Verfügung stehen. Damit wird die tatsächliche Arbeitslosigkeit deutlich besser erfasst als mit der Zahl der registrierten Arbeitslosen. Gemäß dieser Definition waren 2009 nach Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) (einschließlich der Kurzarbeiterinnen und Kurzarbei-ter) 4,9 Millionen Menschen „unterbeschäftigt“, das sind immerhin 500.000 mehr als noch 2008. Allerdings erfasst auch die so definierte Unterbeschäftigung die gesamte Arbeitsplatzlücke nur unvollständig. Diejenigen Personen, die eine Arbeit suchen, sich aber nicht bei der BA melden (Stille Reserve), werden von diesen Zahlen nicht berücksichtigt. Die gesamte Beschäftigungslücke machte im letzten Jahr 5,4 Millionen Stellen aus.

Stabile Beschäftigung bei sinkendem ArbeitsvolumenNoch ist die Beschäftigung – zumindest nach der Anzahl der Personen – stabil geblieben. Die Zahl der Erwerbstätigen lag 2009 unverändert bei 40,3 Millionen, auch die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer blieb unverändert. Neben der zeitlichen Verzögerung der Arbeitsmarkteffekte und den Entlastungen der Arbeitsmarktpolitik ist auch die Struktur dieser Krise ein Grund dafür. Die Krise hat vor allem

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die industriellen Kerne in Deutschland, die hochproduktiven, exporto-rientierten Industrien erfasst. Die übrigen Wirtschaftsbereiche wurden bisher weitgehend verschont. Im Bereich „Finanzierung, Vermietung, Unternehmensdienstleister“ ging die Zahl der Beschäftigten um 1,4 Prozent zurück, im „Produzierenden Gewerbe“ um 2,6 Prozent. In den anderen Wirtschaftsbereichen hat sich die Zahl der Beschäftigten zwar erhöht, aber das war mit einer weiteren Verschiebung zu Teil-zeitstellen verbunden.

Diese Struktur der Krise hat auch Rückwirkungen auf die Struk-tur der Arbeitslosigkeit. Da die betroffenen Branchen Domänen der

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Männerbeschäftigung sind, ist die zunehmende Arbeitslosigkeit aus-schließlich auf eine Zunahme der arbeitslosen Männer um 200.000 zurückzuführen. Bei den Frauen ging die Zahl der registrierten Ar-beitslosen um 44.000 zurück. Damit waren im letzten Jahr 55 Prozent aller Arbeitslosen männlich.

Die Krise als Krise der Exportindustrien zeigt sich auch bei der regi-onalen Verteilung der Arbeitslosigkeit: In Bundesländern mit starkem Industriebesatz hat sie überproportional zugenommen. So stieg die Zahl der Arbeitslosen in Westdeutschland um acht Prozent, während sie sich in Ostdeutschland sogar um zwei Prozent verringert hat. Al-lerdings ist die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland mit 14,5 Prozent weiterhin wesentlich höher als in Westdeutschland mit 7,8 Prozent. Neben einem Ost-West-Gefälle bei der Zunahme der Arbeitslosigkeit gab es auch ein Süd-Nord-Gefälle. Den stärksten Anstieg der Arbeits-losigkeit gab es in Baden-Württemberg (plus 24 Prozent) und Bayern (plus 16 Prozent).

Ein normales Entwicklungsmuster ist es auch, dass in der Krise der Anteil der Langzeitarbeitslosen wegen der Zunahme der Neu-Arbeits-losen erst einmal zurückgeht. Ihr Anteil an allen Arbeitslosen sank von 36,3 Prozent im Jahr 2008 auf 29,7 Prozent. Allerdings reduzierte sich auch die absolute Zahl der Langzeitarbeitslosen um 14 Prozent. Hierbei spielten Vermittlungen in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen eine große Rolle, die in der Krise – mit Ausnahme der Förderung der Selbstständigkeit – nicht zurückgefahren wurden.

Für das Jahr 2010 ist mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslosig-keit zu rechnen. Je stärker die Krise auf dem Arbeitsmarkt zu spüren ist, desto mehr werden durch die schwächere Einkommensentwick-lung auch stark binnenwirtschaftlich orientierte Branchen betrof-fen. Wie stark die Zahl der Arbeitslosen tatsächlich zunehmen wird, hängt einerseits von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung ab, andererseits vom weiteren Umfang der Arbeitsmarktpolitik und der staatlichen Wirtschaftspolitik insgesamt. Doch selbst bei einem relativ starken Wirtschaftswachstum wird es zwei bis drei Jahre dauern, bis das Produktionsniveau vor der Krise wieder erreicht sein wird. Da in der Zwischenzeit arbeitssparende Produktivitätsfortschritte erzielt

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werden, ist eine steigende Arbeitslosigkeit bzw. ein zurückgehendes Arbeitsvolumen eine zwangsläufige Folge.

Dass die Zahl der registrierten Arbeitslosen deutlich geringer ist als vor dem letzten Aufschwung und auch deutlich geringer als in der letz-ten Krise, wird oft als Erfolg der zwischenzeitlich umgesetzten Arbeits-marktreformen dargestellt. Bereits in den letzten MEMORANDEN wurden die Konsequenzen dieser Politik ausführlich dargelegt. Durch die Prekarisierung vieler Arbeitsverhältnisse konnte zwar die Zahl der Arbeitsplätze gesteigert und die Arbeitslosigkeit gesenkt werden – mehr Arbeit wurde damit aber nicht geschaffen. Das zeigt deutlich ein Blick

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auf das Arbeitsvolumen. Dies war im vergangenen Aufschwung auf einem ähnlichen Niveau wie in der Boomphase im Jahr 2000 und ist 2009 deutlich gesunken.

2.2   Arbeitszeitverkürzung verhindert eine Katastrophe    auf dem Arbeitsmarkt

Jahrelang wurde die aktive Arbeitsmarktpolitik zurückgedrängt und diskreditiert. Höhepunkt dieser Entwicklung waren die im Rahmen der AGENDA 2010 beschlossenen Gesetzespakete Hartz I-IV. In-dividuelles „Fördern und Fordern“ trat an die Stelle gesellschafts-politischer Problemlösungen. Dass dabei das Fördern zulasten des Forderns sogar noch weitgehend auf der Strecke blieb, widersprach zwar den selbst postulierten Ansprüchen, passte aber in die Logik einer harten Sanktionspolitik.

Nachdem diese Politik zunächst wegen Arbeitslosenzahlen in Rekordhöhe unter Legitimationsdruck stand, wurde im letzten Auf-schwung scheinbar das Beschäftigungswunder geschafft. Zwar war man weit vom selbst gesteckten Ziel – der Halbierung der Arbeitslosigkeit – entfernt, doch die Zahl der Arbeitslosen sank tatsächlich stark. Dass dahinter kein Beschäftigungswunder stand und das Arbeitsvolumen sogar unter dem Volumen des vorherigen Aufschwungs blieb, ficht die Vertreterinnen und Vertreter der Agenda-Politik nicht an.

Festzuhalten ist die Einschätzung, die in den letzten MEMO-RANDEN bereits ausführlich belegt wurde: Die Neuorientierung der Arbeitsmarktpolitik nach den Mustern Hartz und Agenda 2010 ist komplett gescheitert. Statt Verbesserungen zu erzielen und erfolgreiche Lösungswege zu beschreiten, hat das Ergebnis durchweg enttäuscht. Das viel zitierte „Wunder auf dem Arbeitsmarkt“ und die Rückkehr zur Vollbeschäftigung, die durch den Arbeitsminister der Großen Koa-lition noch im Jahr 2008 prognostiziert wurde, sind ausgeblieben. Die Zahl der Arbeitslosengeld-II-Empfängerinnen und -Empfänger war 2009 mit über 4,9 Millionen praktisch genauso hoch wie 2005, dem Jahr der Einführung von Hartz IV. Die vermeintlichen Rückgänge der

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Arbeitslosenzahlen spiegeln eine Realität wider, die durch prekäre und atypische Beschäftigungen gekennzeichnet ist.

Letztlich konnten nur mit der kräftigen Ausweitung prekärer Ar-beitsverhältnisse, die oftmals – wenn auch nicht immer – keine Vollzeit-stellen waren, zulasten der Beschäftigten die Arbeitslosenzahlen gesenkt werden. Das war durchaus im Sinne der Erfinder: Arbeitsmarktpolitik wird nicht als Maßnahme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit betrie-ben, sondern zur Entrechtung der Beschäftigten und zur Deckelung der Lohnentwicklung. Ein deutlich ausgeweiteter Niedriglohnbereich, eine auch im Aufschwung sinkende Lohnquote und traumhafte Renditen waren die Konsequenz. In diesen Zusammenhang passt auch die Tat-sache, dass mittlerweile 1,4 Millionen Beschäftigte aufstockend mit Arbeitslosengeld II subventioniert werden müssen, weil ihre Entloh-nung noch unterhalb des Existenzminimums liegt.

In der Krise zeigt sich die Richtigkeit des Postulats keynesianischer Ökonominnen und Ökonomen: Arbeitsmärkte sind abgeleitete Märkte, die von der Entwicklung auf den Gütermärkten bestimmt werden. Wenn die Güternachfrage einbricht, fragen die Unternehmen weniger Arbeit nach. Es ist dabei relativ unerheblich, wie der Arbeitsmarkt organisiert und reguliert ist. In der Krise steigt deshalb die Arbeitslosigkeit an. Das bringt die neoliberalen Arbeitsmarktreformerinnen und -reformer und Agenda-Jünger in Erklärungsnöte. Hatten sie den Abbau der Arbeits-losigkeit im letzten Aufschwung als Erfolg der Reformen verkauft und die konjunkturellen Effekte ignoriert, so müssten sie jetzt konsequen-terweise den Anstieg der Arbeitslosigkeit als Scheitern der Reformen ansehen. So sind in der öffentlichen Debatte die Stimmen der Arbeits-marktreformerinnen und -reformer vorerst weitgehend verstummt.

Doch gerade die Arbeitsmarktentwicklung in der Krise dokumen-tiert eindrucksvoll das Scheitern der Agenda-Politik – jedenfalls wenn man sie an ihren Zielen misst, die Situation auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und nicht als Restriktionsinstrument gegen Beschäftigte zu wirken. Die Instrumente der Hartz-Gesetze haben allesamt nichts dazu beigetragen, den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu begrenzen. Im Gegen-teil: Die Deregulierung der Leiharbeit und ihre danach folgende kräftige Ausweitung hat auch einen schnellen Abbau der Leiharbeitsverhält-

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nisse in der Krise ermöglicht. Stärkere Einbrüche bei den prekären Arbeitsverhältnissen sind vor allem deshalb ausgeblieben, weil diese Beschäftigungsverhältnisse primär im Dienstleistungsbereich etabliert wurden. Die Krise ist aber vor allem eine Krise im industriellen Bereich und hier vor allem bei den exportorientierten Unternehmen.

Zwei Maßnahmen, die lange Zeit als ineffektiv und wirkungslos verpönt waren, haben das „Beschäftigungswunder“ in der Krise ermög-licht – zum einen die Rückkehr zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik (bisher allerdings ausschließlich durch Beschäftigungssicherung) und zum anderen eine drastische Arbeitszeitverkürzung:• In der Krise wurde ohne Debatten und sehr pragmatisch ein parti-

eller Kurswechsel in der Arbeitsmarktpolitik vollzogen: weg vom verbal postulierten „fördern und fordern“ und hin zur Beschäfti-gungssicherung. Wichtigstes Instrument dazu war die Verbesserung der Konditionen der Kurzarbeit für Unternehmen (Laufzeitverlän-gerung, Übernahme der Remanenzkosten; siehe hierzu den Kasten zu den Kosten der Kurzarbeit). Als Folge haben Unternehmen das Instrument sehr ausgiebig genutzt. Die gleichzeitig eingeführte Op-tion einer zusätzlichen Förderung bei Durchführung von Qualifizie-rungsmaßnahmen während der Kurzarbeit wurde allerdings kaum angenommen. Zu einer Neuorientierung bei den Beschäftigung schaffenden Maßnahmen ist es dagegen bisher nicht gekommen. Nach wie vor werden hier vor allem mit Ein-Euro-Jobs extrem prekäre Beschäftigungsformen gefördert.

• Die Arbeitszeit je Beschäftigten wurde in der Krise auch jenseits staatlicher Förderung und Politik deutlich gesenkt. Dazu wurden die Zahl der Überstunden drastisch reduziert, die Arbeitszeitkon-ten abgeschmolzen und häufig in den Minusbereich gebracht und die Arbeitszeit über Sonderregelungen (tarifliche Beschäftigungssi-cherungsvereinbarungen) in vielen Betrieben reduziert. Insgesamt haben die Beschäftigten nach Schätzungen des IAB im letzten Jahr durchschnittlich 43,5 Stunden (3,2 Prozent) weniger gearbeitet als noch 2008. Im besonders von der Krise belasteten „Verarbeiten-den Gewerbe“ wurde die Arbeitszeit je Beschäftigten sogar um 7,5 Prozent reduziert.

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Viele Varianten der ArbeitszeitverkürzungDen größten Anteil an der Verkürzung der durchschnittlichen Arbeits-zeit im Jahr 2009 hatten mit über 18 Stunden je Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit über ta-rifliche Beschäftigungssicherungsvereinbarungen und der anhaltende Trend zu verstärkter Teilzeitarbeit. Ein Grund für diese Entwicklung ist die Verschiebung der Relationen zwischen Teilzeit- und Vollzeit-stellen. Danach ist letztes Jahr die „Zahl der Teilzeitbeschäftigten um rund 220.000 (plus 1,8 Prozent) gestiegen, während etwa 240.000 Vollzeitstellen verloren gingen (minus 1 Prozent)“ (IAB 2009).

In der öffentlichen Wahrnehmung hat die Kurzarbeit die entschei-dende Rolle bei der Verhinderung von Arbeitslosigkeit gespielt. Tat-sächlich liegt sie beim Volumen der durchschnittlichen Arbeitszeit-verkürzung mit knapp 15 Stunden jedoch nur auf dem zweiten Platz. Zum Höhepunkt im Frühjahr waren über 1,5 Millionen Menschen von Kurzarbeit betroffen. Nach Schätzung der BA hat die Kurzarbeit im Jahresdurchschnitt den Arbeitsmarkt um 360.000 Stellen (Umrechnung in Beschäftigtenäquivalente) entlastet. Das ist historisch betrachtet aber keine neue Situation: Auch in vergangenen Krisenzyklen war die Kurz-arbeit in ähnlichem Umfang eingesetzt worden; 1975 und 1991 war der Anteil der Kurzarbeiterinnen und Kurzarbeiter an den Erwerbstätigen sogar noch höher als heute. In der letzten Krise 2001-2003 wurde da-gegen auf den Einsatz dieses Instruments zur Beschäftigungssicherung weitgehend verzichtet: Die Konditionen waren für Unternehmen nicht attraktiv genug.

In ähnlichem Umfang wie die Kurzarbeit hat auch der Abbau von Überstunden zur Verringerung des Arbeitsvolumens beigetragen. Die durchschnittliche Arbeitszeit jedes Beschäftigten im letzten Jahr hat sich so um knapp 14 Stunden verringert. Einen Anteil daran von etwa acht Stunden hat die Reduzierung der Arbeitszeitkonten. Einen klei-nen Gegeneffekt – allerdings von unter einer Stunde – hat es mit der Verringerung des Krankenstandes gegeben, der das Arbeitsvolumen je Beschäftigten leicht erhöht hat.

Gerade in der Krise zeigt sich: Nicht die Agenda-Politik hat einen stärkeren Anstieg der Arbeitslosigkeit in Deutschland bisher verhin-

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dert, sondern die Abkehr von ihr. In dieser Situation wird es immer dringlicher, einen konsequenten Paradigmenwechsel in der Arbeits-marktpolitik zu organisieren. Die positiven und bislang immer noch vorsichtigen Weichenstellungen durch die Verlängerung der Kurzar-beit (zeitweise konnten Betriebe für einen Zeitraum von zwei Jahren Kurzarbeit beantragen) sind ein richtiges Signal und müssen verste-tigt werden. Sie sind dauerhaft zu installieren und ein entscheidender Ansatz, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden und die Fachkräfte in den Betrieben zu halten. Dieser richtige Ansatz muss vor allem durch zwei wichtige Elemente erweitert werden: Zum einen gilt es, Beiträge zur Einkommenssicherung zu leisten, und zum anderen sind die Zeitfenster

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durch die Kurzarbeit dringend durch eine Qualifizierungsoffensive zu begleiten und zu nutzen. Die bisherige Fokussierung auf „kurze und schnelle Qualifizierungen“ ist weitgehend gescheitert, weil weder Be-triebe noch Weiterbildungsträger sich extrem kurzfristig auf die Orga-nisation von kleinteiliger Weiterbildung einstellen konnten. Deshalb muss sie dringend von einer langfristigen Neuorientierung abgelöst werden, die Kurzarbeit mit Möglichkeiten zum Nachholen von Schul-abschlüssen, Berufsausbildungen und höher qualifizierenden Ausbil-dungen verknüpft. Unter dieser Voraussetzung wird es erforderlich, das Kurzarbeitergeld auf 36 Monate auszudehnen und Freistellungen mit Lohnersatz zu sichern.

Kosten der Kurzarbeit

Bei der Kurzarbeit wird die Arbeitszeit verringert, und die Ko-sten werden auf die Bundesagentur für Arbeit (BA), die Ar-beitnehmerin bzw. den Arbeitnehmer sowie das Unternehmen verteilt. Die Beschäftigten tragen ihren Anteil durch Einkom-mensverluste. Ein Teil der Lohnkosten für den Arbeitszeitaus-fall trägt die BA. Unternehmen haben keinen Anteil an den direkten Lohnkosten des Arbeitsausfalls. Diese verringern sich im gleichen Ausmaß wie die Arbeitszeit. Allerdings gibt es teil-weise tarifvertragliche Regelungen, die eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes vorsehen. In diesem Fall verringern sich die direkten Personalkosten der Unternehmen unterproportional zum Arbeitsausfall.

Anders als bei den direkten Lohnkosten laufen die indirekten Lohnkosten teilweise weiter. Diese so genannten Remanenzko-sten müssen die Unternehmen tragen. Dazu gehören• bezahlte Freistellungen (Urlaub, Feiertage),• Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung,• Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung und • tarifliche Sonderzahlungen.

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Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und zur gesetzlichen Unfallversicherung entfallen für die Ausfallzeiten der Kurzar-beit; die Kosten für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall trägt die BA.

Bis 1988 wurden im Falle der Kurzarbeit alle Sozialversiche-rungsbeiträge vom Arbeitsamt bezahlt. Diese Regelung wurde anschließend abgeschafft. Seit dem 01.02.2009 beteiligt sich die BA im Rahmen des Konjunkturpakets II wieder daran. Die Hälfte der Sozialbeiträge (pauschaliert und bezogen auf 80 Pro-zent des Bruttolohns) werden erstattet. Ab dem siebten Monat der Kurzarbeit oder bei gleichzeitiger Qualifizierung werden die Kosten voll erstattet.

Nach Berechnungen des IAB (IAB-Kurzbericht 17/2009) be-tragen die Personalkosten im Verarbeitenden Gewerbe 28,61 Euro je Stunde. Im Falle der Kurzarbeit verbleiben dem Unter-nehmen für die Arbeitsausfallzeit als Remanenzkosten bei 50-prozentiger Erstattung der SV-Beiträge 35 Prozent (9,93 Euro) und bei 100-prozentiger Erstattung der SV-Beiträge 24 Prozent (6,76 Euro) der Personalkosten.

Gesamtwirtschaftlich rechnet das IAB für 2009 mit Rema-nenzkosten der Unternehmen von 4,2 bis 6,2 Milliarden Euro, das entspricht 0,4 bis 0,6 Prozent der gesamten Personalkosten. Die Gewährung von Kurzarbeit hängt von der betrieblichen Auslastung ab, die finanzielle Situation des Unternehmens wird nicht berücksichtigt. Auch Unternehmen, die eine kräftige Divi-dende an die Aktionärinnen und Aktionäre ausschütten, können sich über die Kurzarbeit einen Teil der Krisenkosten von der Versicherungsgemeinschaft bezahlen lassen.

Im Zeitraum von Januar bis November 2009 wurden von der BA für konjunkturelle Kurzarbeit insgesamt 4,1 Milliarden Euro aufgebracht. Im gleichen Zeitraum 2008 waren es noch 89,9 Millionen Euro.

Nach den unbefriedigenden Erfahrungen im Zusammen-

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hang mit der Nutzung der Qualifikationsangebote im Rahmen der Kurzarbeitsregelungen wird es darauf ankommen, aus der „Notlagenmotivation“ einen Prozess anzustoßen, der eine neue Kultur der Bildung in den Betrieben ermöglicht und sich als dauerhaftes und für die Beschäftigten perspektivisch sinnvolles Instrumentarium etabliert.

Im Kontext der aktuellen Situation sind ferner Rahmenbedingungen zu schaffen, die überbetriebliche und branchenspezifische Transfer-gesellschaften ermöglichen, die durch den Ausbau des Transferkurz-arbeitergeldes unterstützt werden und Weiterbildungsmöglichkeiten eröffnen, die Übergänge in neue Beschäftigungen schaffen. Eine beson-dere Herausforderung muss dabei die Öffnung dieser Möglichkeiten für die klein- und mittelständische Wirtschaft sein. Hier sind mehr als 80 Prozent der abhängig Beschäftigten tätig; für diese Betriebe und Beschäftigten müssen die gleichen Arbeitsplatzsicherungsmöglichkeiten geschaffen werden wie für die (lobbystarken) Konzerne und Großun-ternehmen.

Die in der Krise praktizierte Arbeitszeitverkürzung erklärt den größ-ten Teil des so genannten Jobwunders. Das BIP ist im Jahr 2009 um fünf Prozent zurückgegangen. Zu erwarten war, dass die Beschäftigung un-gefähr im gleichen Maße wie das Bruttoinlandsprodukt sinken und die Arbeitslosigkeit entsprechend zunehmen wird. Die Zahl der Erwerbs-tätigen ist aber überhaupt nicht geschrumpft. Nur ein sehr kleiner Teil der Krisenlasten schlägt damit bisher auf den Arbeitsmarkt durch. Das Arbeitsvolumen ist um 2,8 Prozent zurückgegangen, bei den abhängig Beschäftigten sogar um 3,2 Prozent. Bei praktisch stagnierender Zahl der Beschäftigten geht dies ausschließlich auf die oben beschriebenen Formen der Arbeitszeitverkürzung zurück. Insgesamt entspricht dies einem Vollzeitäquivalent von 1,2 Millionen Arbeitskräften. In diesem Umfang wird auch der Produktionsrückgang aufgefangen und Arbeits-losigkeit verhindert.

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Unternehmen halten BeschäftigungEs bleibt ein erheblicher Produktionsrückgang, der nicht durch die Anpassung der Arbeitszeit abgefedert wird. Er schlägt sich in einem Rückgang der Arbeitsproduktivität je Beschäftigtenstunde von 2,2 Prozent nieder. Das bedeutet, dass auch die in den Betrieben Beschäf-tigten während ihrer Arbeitzeit nicht voll ausgelastet waren. Das ist ein in diesem Umfang völlig neues Phänomen, das in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht vorgekommen ist. Bisher hat die Ar-beitsproduktivität je Beschäftigtenstunde auch in Krisenphasen zuge-nommen. Die Unternehmen haben also bisher weniger Beschäftigung abgebaut, als es die Auftragslage eigentlich erforderte. Sie versuchen, zumindest die besonders qualifizierten Kernbelegschaften in den Be-trieben zu halten. Dieses Herangehen unterscheidet sich deutlich von dem in der zurückliegenden Rezession der Jahre 2001 ff., als viele Betriebe in der Durchsetzung der gebetsmühlenartig geforderten grö-ßeren „Arbeitsmarktflexibilität“ in erheblichem Umfang Fachkräfte entließen, die ihnen im Wiederaufschwung 2005 ff. dringend fehlten.

Die Erfahrungen aus dieser Krise zeigen, welches Potenzial eine aktive Arbeitsmarktpolitik haben kann, die sich nicht individuell an der Vermittlungsfähigkeit, sondern gesellschaftlich an Beschäftigungs-sicherung und Beschäftigungsschaffung orientiert. Schon einmal, im Prozess der deutschen Vereinigung, hat die aktive Arbeitsmarktpoli-tik eine Katastrophe am Arbeitsmarkt wirkungsvoll abgefedert. Die Lehren daraus wurden nicht gezogen. Allerdings zeigt dieses Beispiel auch die Begrenztheit von aktiver Arbeitsmarktpolitik. Langfristig hat sie zu zahlreichen „Maßnahmekarrieren“ geführt und den An-stieg der Arbeitslosigkeit nicht verhindert. Aktive Arbeitsmarktpolitik ist kein Ersatz für Beschäftigungspolitik, sie kann nur temporär und im Zusammenspiel mit einer expansiven makroökonomischen Politik funktionieren.

Vor diesem Hintergrund ist es entscheidend, dass in den kommen-den Jahren nicht bei den ersten Anzeichen einer konjunkturellen Er-holung sofort wieder die Glaubenssätze aus der Zeit vor der jetzigen Krise hervorgezaubert werden, als wäre nichts geschehen. Kein „star-rer Arbeitsmarkt“ hat die Unternehmen veranlasst, auf Massenentlas-

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sungen in der Krise zu verzichten und sogar Produktivitätsrückgänge hinzunehmen, sondern eine Kombination von eigenen längerfristigen Interessen an stabilen qualifizierten Belegschaften mit wirkungsvollen Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik, deren Kosten von Unternehmen, Beschäftigten und Staat gemeinsam getragen wurden. Der Schock dieser Krise sitzt so tief, dass selbst die OECD, in ihren wirtschaftspolitischen Empfehlungen bislang eher ein Hort des Neoliberalismus, inzwischen einen Strategiewechsel fordert: mehr Geld für aktive Arbeitsmarktpo-litik, mehr Bildung und Qualifizierung sowie einen stärkeren Schutz vor Armut. Das wäre in der Tat eine radikale Abkehr von bisherigen Positionen.

Je länger die Krise dauert, desto weniger wollen und können Unter-nehmen sich Kurzarbeit leisten. Der Abbau von Überstunden und das Entleeren der Arbeitszeitkonten sind weitgehend ausgereizt. Da ein eher schwacher Aufschwung zu befürchten ist, wird ein kräftiger Anstieg der Arbeitslosigkeit im Selbstlauf nicht zu verhindern sein. Trotzdem ist die Lehre aus dieser Krise, dass neue und wirksame Programme der aktiven Arbeitsmarktpolitik gebraucht werden.

Ein Neustart in der aktiven Arbeitsmarktpolitik steht vor großen Herausforderungen:• Der Ausstieg aus der mit den Hartz-Reformen verbundenen Indi-

vidualisierung der Arbeitsmarktpolitik ist zu vollziehen. Beschäf-tigungssichernde und -schaffende Maßnahmen sind kräftig auszu-weiten, die Arbeitsbedingungen sind deutlich zu verbessern.

• Alle Förderungen von prekären Beschäftigungsverhältnissen, so-wohl durch die Gestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen als auch durch finanzielle Begünstigungen, müssen beendet werden.

• Ein neuer Instrumentenkasten mit konkreten Maßnahmen ist zu entwickeln. Dazu gehören wirksame Qualifizierungen, vor allem aber sollte die Arbeitsmarktpolitik die dauerhafte Verkürzung der Arbeitszeiten fördern.

Grundlage dafür, dass ein solcher Weg beschritten werden kann, ist neben dem politischen Willen ein handlungsfähiger Akteur. Mit der Absenkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung auf 2,8

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Prozent ist die Bundesagentur für Arbeit in diesem Sinne nicht hand-lungsfähig. Die massenweise Förderung der Kurzarbeit kann sie nur auf Kredit finanzieren. Hier muss ein anderer finanzieller Rahmen abgesteckt werden. Die Vorhaben der neuen Bundesregierung gehen allerdings eher in die Richtung, hier Einsparpotenziale zu heben. Die Erfahrungen mit der Krise werden so negiert.

Wie für andere Bereiche der Wirtschaftspolitik gilt auch für den Arbeitsmarkt: Der Weg der Entstaatlichung hat in die Sackgasse ge-führt.

Deshalb gehört neben den klassischen Maßnahmen aktiver Ar-beitsmarktpolitik auch die Schaffung eines öffentlich geförderten Be-schäftigungssektors zu den notwendigen Aufgaben der Politik. Diese Forderung wurde bereits in früheren MEMORANDEN ausführlich begründet und dargelegt. Für die Überwindung der Krise wird es immer wichtiger, auf eine qualitative und nachhaltige Perspektive zu orientie-ren und neue und gute Beschäftigung aufzubauen.

2.3   Die Lehre aus der Krise: kürzere Arbeitszeiten   verstetigen 

Die positiven Effekte für den Arbeitsmarkt, die mit der massiven Ar-beitszeitverkürzung in der Krise verbunden sind, wurden oben bereits ausführlich beschrieben. Doch klar ist, dass dies keine Dauerlösung sein wird. Aus Sicht der Unternehmen dominiert das Liquiditätspro-blem, das mit anhaltendem Auftragsmangel trotz Erster Hilfe durch Beschäftigte und die öffentliche Hand, die massiv zur Senkung der Lohnkosten beiträgt, immer größer wird. Aber auch aus Sicht vieler Beschäftigter kann der Lohnverzicht, der mit der Kurzarbeit einher-geht, nicht unbegrenzt bewältigt werden. Ähnliches wird vermehrt für die öffentlichen Zuschüsse geltend gemacht, auch wenn hier der Netto-Nutzen im Vergleich zu den Kosten der Arbeitslosigkeit einst-weilen überwiegen dürfte.

Welche mittelfristigen, über die Erste Hilfe hinausgehenden Op-tionen bietet die Arbeitszeitpolitik? Früher oder später wird sich eine

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einfache Frage stellen: Werden die nach der Krise noch Beschäftigten zum arbeitszeitpolitischen business as usual zurückkehren? Dazu muss es nicht kommen, wenn das durch die Krise geschärfte Bewusstsein über die positiven Beschäftigungspotenziale von Arbeitszeitverkürzungen genutzt wird, um eine nüchterne Bilanz der bisherigen Arbeitszeitpolitik vorzunehmen und über neue Weichenstellungen nachzudenken.

Worin aber bestand das arbeitszeitpolitische business as usual vor der Krise? Seit Mitte der 1990er Jahre haben sich vor allem zwei große Verschiebungen in den Arbeitszeitmustern vollzogen: Erstens hat – jen-seits des Tarifniveaus – die Verbreitung von Arbeitszeiten im Bereich

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von 40 Wochenstunden und auch darüber hinaus deutlich zugenom-men, wodurch die durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Vollzeitbe-schäftigten länger geworden ist; zweitens ist die Teilzeitarbeit in ihren verschiedenen Ausprägungen erheblich ausgeweitet worden. Hinter diesen gegenläufigen Tendenzen verbergen sich vor allem unterschied-liche Entwicklungen der Arbeitszeiten von Männern und Frauen.

Besonders ins Auge springt der starke Bedeutungsverlust der Ar-beitszeit im Bereich zwischen 35 und 39 Wochenstunden. Der Anteil der Beschäftigten, deren übliche Wochenarbeitszeit in diesem Intervall liegt, hat sich seit Mitte der 1990er Jahre fast halbiert. Genau dies ist der Bereich der Wochenarbeitszeit, in dem sich die tarifvertraglichen Arbeitszeitverkürzungen der 1980er und frühen 1990er Jahre nieder-geschlagen hatten. Demgegenüber hat die 40-Stunden-Woche wieder erheblich an Bedeutung zugenommen: 2008 waren es 45 Prozent der Männer und 25 Prozent der Frauen, die normalerweise 40 Stunden pro Woche arbeiteten. Dieses partielle Zurückdrängen der Effekte tarifver-traglicher Arbeitszeitverkürzungen aus den 1980er und 1990er Jahren, das sich weitgehend auf Westdeutschland beschränkt, hängt eng mit zwei Entwicklungen zusammen: erstens mit der Flexibilisierung der Arbeits-zeit, die für viele Beschäftigte mit hohen Guthaben auf Arbeitszeitkonten eine Grauzone zwischen Flexibilisierung und Verlängerung der wöchent-lichen Arbeitszeiten geschaffen hat; zweitens mit dem vor allem in den Jahren 2003 ff. enorm angewachsenen Druck zugunsten betrieblicher Abweichungen von Flächentarifverträgen sowie den tarifvertraglichen Arbeitszeitverlängerungen im öffentlichen Dienst (Quelle: Europäische Arbeitskräftestichprobe [ELFS]; Berechnungen des IAQ).

Hinzu kommt die überdurchschnittlich lange Arbeitszeit der wach-senden Gruppe hochqualifizierter Beschäftigter. So wies der Mikrozen-sus für Vollzeitbeschäftigte mit Hoch- oder Fachhochschulabschluss im Jahr 2006 eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 42 Stunden aus. Gerade in den größer werdenden Bereichen, in denen das Manage-ment die alltägliche Organisation der Arbeitszeiten in die Hände der Beschäftigten legt, ist die Beeinflussung oder Kontrolle der Arbeitszeiten durch diese Beschäftigten, ihre betriebliche Interessenvertretung und die Gewerkschaft unterentwickelt. Im Ergebnis erhöhte sich in den zu-

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rückliegenden eineinhalb Jahrzehnten der Anteil von Beschäftigten mit längeren Arbeitszeiten als 40 Wochenstunden von etwa acht auf rund zwölf Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, darunter auf 18 Prozent bei den Männern.

Das Kontrastprogramm zu diesen Arbeitszeitverlängerungen bei Vollzeitbeschäftigten ist die kontinuierlich ansteigende Teilzeitquote. Der Anteil der Teilzeitbeschäftigten an allen abhängig Beschäftigten erhöhte sich von 2001 bis 2006 laut Mikrozensus von 23 Prozent auf über 29 Prozent. Besonders ins Gewicht fällt hier auch der Minijob-Boom, der durch die „Arbeitsmarktreformen“ der Agenda 2010 aus-gelöst wurde (wobei der Mikrozensus die Minijobs nicht vollständig abbildet). Teilzeitarbeit ist weiblich, und die Kluft zwischen Vollzeit- und Teilzeitarbeit ist erheblich: Die effektiven Wochenarbeitszeiten von Vollzeitbeschäftigten betrugen 2006 40,7 Stunden bei den Männern und 39,5 Stunden bei den Frauen, die Teilzeitbeschäftigten dagegen arbeiteten im Schnitt nur 16,9 bzw. 18,2 Stunden.

Im Ergebnis dieser gegenläufigen Tendenzen erleben wir paradoxer-weise eine Verkürzung der durchschnittlichen Arbeitszeit aller Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer. 2006 betrug sie laut Mikrozensus 34 Wochenstunden, 2001 waren es noch 35 Stunden, weil die durch-schnittliche Arbeitszeitverlängerung bei den Vollzeitbeschäftigten durch die höhere Teilzeit- und Minijobquote rechnerisch überkompensiert wurde (diese „Feinheit“ wird in Zeitungsberichten über die vermeint-lich besonders kurzen Arbeitszeiten in Deutschland häufig unterschla-gen, was immer wieder für Verwirrung in der Öffentlichkeit sorgt). Deutschland bewegt sich also scheinbar ganz allmählich auf die 30-Stunden-Woche zu. Nur hat diese Arbeitszeitverkürzung, die ja durchaus auch mit einer steigenden Beschäftigungsquote einhergeht, einen entschei-denden Schönheitsfehler: Das Sinken der durchschnittlichen Arbeitszeit ist das Resultat eines Auseinanderdriftens der Arbeitszeiten verschiedener Beschäftigtengruppen, dem im Kern eine Verfestigung unterschiedlicher Beschäftigungsperspektiven und beruflicher Entwicklungschancen von Männern und Frauen zugrunde liegt.

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Alternative Entwicklungspfade in der ArbeitszeitZu den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen in den näch-sten Jahren Arbeitszeitpolitik stattfinden wird, gibt es sicherlich mehr offene Fragen als Gewissheiten. Nur eines dürfte vor allem für die deut-sche Industrie unstrittig sein: Bis das Produktionsniveau von 2007/08 wieder erreicht werden wird, werden auch bei günstiger Entwicklung Jahre vergehen, und in der Zwischenzeit wird die Arbeitsproduktivität weiter steigen. In diesem Prozess wird es zunächst weiterhin Kurzar-beit und tarifliche Beschäftigungssicherungsvereinbarungen geben. Aber immer spannender wird die Frage, mit welchen anderen arbeits-zeitpolitischen Maßnahmen diese Instrumente kombiniert werden und welche Maßnahmen mittelfristig folgen werden. Ein Rückfall in das arbeitszeitpolitische business as usual vor der Krise wäre verhängnis-voll für die Beschäftigung und die wirtschaftliche Entwicklung insge-samt, aber auch für den zukünftigen Einfluss der Gewerkschaften in den Betrieben. Welche Alternativen zu einem solchen Rückfall bieten sich an?

1. Einrast-Effekt oder die Verstetigung kürzerer ArbeitszeitenZahlreiche Beschäftigte haben in der Krise Erfahrungen mit kürzeren Arbeitszeiten gemacht. Zwar sind die mit Kurzarbeit verbundenen Lohnkürzungen für viele von ihnen schmerzhaft. Aber die Erfahrung, den Arbeitsplatz nicht verloren zu haben, ist äußerst positiv. Ähnliches gilt für andere Formen der Arbeitszeitverkürzung in der Krise wie den Überstundenabbau, die Räumung von Arbeitszeitkonten oder die indi-viduellen Arbeitszeitverkürzungen. Teilweise wirken hier Einmaleffekte, etwa wenn über Jahre „angesparte“ Arbeitzeitkonten innerhalb kur-zer Zeit geleert werden. Andere Instrumente wie die Beschäftigungssi-cherungsvereinbarungen betreffen die regelmäßige Arbeitszeit. Gerade dabei wäre es vorstellbar, sie auch in Zukunft als arbeitszeitpolitische Normalität beizubehalten, ohne dass gesetzliche Regelungen betroffen wären (wie bei der Kurzarbeit). Wer den Rückfall in die Prozesse stetiger Arbeitszeitverlängerung bei Vollzeitarbeitskräften aus der Zeit vor der Krise verhindern will, sollte zunächst hier ansetzen. Es gilt, einen Einrast-Effekt anzustreben: Arbeitszeiten, die einmal verkürzt wurden, sollten

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nach Möglichkeit auch dann auf dem niedrigeren Niveau fixiert werden, wenn die schlimmsten Anzeichen der Krise überwunden scheinen. Je stärker dies gelingt, desto geringer wird der Beschäftigungsabbau, der vor allem der deutschen Industrie in den kommenden Jahren droht.

Viele Beschäftigte mit durchschnittlichen, vor allem aber solche mit überdurchschnittlich hohen Einkommen werden vermutlich bereit sein, dafür auch Einbußen beim individuellen Einkommen in Kauf zu nehmen. Aber nicht für alle Beschäftigten wäre dies eine tragfähige Lösung – vor allem dann nicht, wenn man bedenkt, wie ungünstig die Lohnentwicklung bereits in den zehn Jahren vor der Krise war. Vor diesem Hintergrund sind die Bestrebungen in der Metallindustrie, in den Beschäftigungssicherung-starifverträgen Möglichkeiten weitergehender Arbeitszeitverkürzungen und Elemente des Teillohnausgleichs zu verankern, besonders wichtig. In ihrer Logik entsprechen sie der Kurzarbeit: flexible, auf die Erforder-nisse des einzelnen Betriebs zugeschnittene Arbeitszeitverkürzungen, ermöglicht durch Lohnkürzungen sowie öffentliche Zuschüsse. Doch im Unterschied zur Kurzarbeit sind sie auch für mittelfristige Arbeits-zeitreduzierungen analog zum ursprünglichen VW-Modell geeignet. Reformierte Beschäftigungssicherungstarifverträge haben das Potenzi-al, zu einem wichtigen Bestandteil der bevorstehenden Anpassung der deutschen Industrie an veränderte weltwirtschaftliche Bedingungen zu werden, um die negativen Beschäftigungseffekte dieser Umstrukturierung so gering wie möglich zu halten.

Der Blick auf das VW-Modell bestätigt, wie sinnvoll es ist, einen Einrast-Effekt anzustreben. Selbst wenn bei VW die tariflichen und effektiven Arbeitszeiten mittlerweile wieder länger geworden sind, so sind sie doch immer noch deutlich kürzer als im Durchschnitt der Metallindustrie. Im – aus gewerkschaftlicher Sicht – ungünstigsten Fall liegen die tariflichen Arbeitszeiten bei VW nach dem jüngsten Tarifvertrag auf dem Niveau der Flächentarifverträge, für die meisten Beschäftigten liegen sie darunter.

Schon lange belegt die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspo-litik, dass ohne massive Arbeitszeitverkürzung ein Weg aus der Ar-beitslosigkeit undenkbar ist. Der ökonomische Mainstream hat das in den letzten Jahren gleichwohl immer bestritten. Die einzelwirtschaft-

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lichen Erfahrungen aus den Betrieben schienen auch das Gegenteil zu belegen: Mit – unbezahlter – Arbeitszeitverlängerung hatten viele Unternehmen den Weg aus wirtschaftlichen Schwierigkeiten gesucht und häufig auch gefunden. Gesamtwirtschaftlich führt das aber nur zu einem Unterbietungswettlauf bei den Kosten; die Nachfrage und damit das Beschäftigungsniveau sinken. In dieser Krise gibt es nun die massenhafte Erfahrung, dass Arbeitszeitverkürzung Arbeitsplätze sichert. Die eigentlich banale Logik, das ein sinkendes Arbeitsvolumen auf mehr Köpfe verteilt werden muss, um die Zahl der Beschäftigten zu sichern, ist vielerorts wieder Alltagserfahrung geworden. Das gilt auch für die Belegschaften. In den Gewerkschaften hat eine – wenn auch noch zaghafte – Debatte um Arbeitszeitverkürzung begonnen. Diese Situation muss für eine neue Offensive zur Arbeitszeitverkürzung genutzt werden.

Reformierte Beschäftigungssicherungstarifverträge können dabei hel-fen und auch anschließend den Übergang in eine Phase erleichtern, in der eine öffentliche Subventionierung auslaufen würde. Dabei kommt es darauf an, zunächst ein Sinken der Löhne in den unteren und mittleren Lohngruppen zu vermeiden. Perspektivisch werden durch solche Formen der Arbeitszeitverkürzung die Verteilungskämpfe schärfer. Denn es ist nicht zu akzeptieren, dass die Lohnquote dauerhaft auf einem niedrigen Niveau verharrt. Der ausschließlich krisenbedingte Anstieg der Lohn-quote 2009 wird sich ohne Gegenwehr schnell wieder zurückentwickeln. Eine steigende Lohnquote bietet aber Spielraum auch für einen vollen Lohnausgleich bei der Arbeitszeitverkürzung.

2. Arbeitsumverteilung mit gesellschaftlichem Rückenwind Über den Einrast-Effekt hinaus bieten sich weitere Maßnahmen der Arbeitszeitverkürzung an. In der Regel handelt es sich dabei angesichts des in den nächsten Jahren drohenden Beschäftigungsabbaus um In-strumente der Arbeitsumverteilung. Alle Vorschläge haben eines ge-meinsam: Gewerkschaftliche Arbeitszeitpolitik kann – für die Gewerk-schaften oft ungewohnt – einen starken Rückhalt in der Gesellschaft nutzen, um im Betrieb voranzukommen. Das gilt für ganz verschie-dene Themen, die für die Arbeitszeitpolitik relevant sind. Beispiele

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sind die verbreitete Einsicht in die Bedeutung von Weiterbildung im Beruf (Qualifizierungszeiten), von besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf und von altersgerechten Arbeitszeiten.

Ein starker Rückenwind in der Öffentlichkeit herrscht beim viel-beschworenen Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf, bei dem es eigentlich um die Gleichstellung der Geschlechter im Berufsleben geht. Allerdings klaffen hier Anspruch und Wirklichkeit extrem weit auseinander. Die Schwierigkeiten, die – noch nicht einmal übermäßig ambitionierte – Betreuungsquote im Ausbau der Kinderkrippen bis 2013 tatsächlich zu erreichen, sprechen bereits Bände. Die Probleme dürften in den nächsten Jahren angesichts der Lage der öffentlichen Haushalte und des drohenden Finanzkollaps vieler Kommunen nicht geringer werden. Ähnliches gilt für den Ausbau von Ganztagsschulen, wenn sie mehr sein sollen als eine Nachmittagsbetreuung von Schü-lerinnen und Schülern durch Ein-Euro-Kräfte (vgl. zu diesen Themen u.a. MEMORANDUM 2009, S. 136ff.). Auch in den meisten Betrieben ist die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit nicht kleiner: Im Jahr 2008 hatten in der Privatwirtschaft lediglich zehn Prozent der Betriebe mit über zehn Beschäftigten, in denen 20 Prozent der Beschäf-tigten dieser Betriebsgrößenklasse arbeiten, betriebliche oder tarifliche Vereinbarungen zur Förderung der Geschlechter-Chancengleichheit (Kohaut/Möller 2009).

Dies hinterlässt deutliche Spuren nicht allein bei den Löhnen (im berühmten „gender wage gap“), sondern auch bei den Arbeitszeiten. Immer mehr Frauen mit Kindern sind erwerbstätig, doch zugleich gehen ihre durchschnittlichen Arbeitszeiten zurück. Am deutlichsten wird dieser Trend, wenn man die Arbeitszeiten von Frauen mit und ohne Kinder mit denen der entsprechenden Gruppen der Männer vergleicht (Tab. 1). Insgesamt gilt die Regel: Je mehr Kinder ein Mann hat, desto länger sind seine Arbeitszeiten, je mehr Kinder dagegen eine Frau hat, desto kürzer sind ihre Arbeitszeiten. Zwei weitere Merkmale springen ins Auge: Erstens gibt es innerhalb Deutschlands erhebliche Ost-West-Unterschiede, die hinter den üblichen gesamtdeutschen Durchschnitts-zahlen verschwinden; zweitens haben sich die Unterschiede zwischen 2001 und 2006 sogar noch vergrößert.

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Tab. 1: Arbeitszeiten von Männern und Frauen nach Anzahl der Kinder

(Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte)

Deutsch-land 2001

Deutsch-land 2006

West 2001

West 2006

Ost 2001

Ost 2006

Männer ohne Kinder

40,5 39,6 40,5 39,7 40,1 39,0

Frauen ohne Kinder

33,8 32,8 33,4 32,4 35,8 34,4

Männer mit 1 Kind

41,0 40,7 41,0 40,7 41,2 40,5

Frauen mit 1 Kind

29,8 27,6 27,8 25,9 35,6 33,6

Männer mit 2 Kindern

41,9 41,5 42,0 41,6 41,4 40,4

Frauen mit 2 Kindern

26,0 23,0 24,1 21,6 34,2 31,4

Männer mit 3 oder mehr Kindern

42,2 41,6 42,4 41,8 40,7 39,7

Frauen mit 3 oder mehr Kindern

24,5 22,2 23,5 21,4 31,1 29,2

Quelle: Mikrozensus Sonderauswertung IAQ, Basis: alle Erwerbstätigen

Angesichts dieser Zahlen wäre es ein erfolgversprechendes Ziel, kurze Vollzeit für junge Väter und Mütter zu einem Bestandteil betrieb-licher Arbeitszeitnormalität zu machen. Die kurze Vollzeit von etwa 30 Wochenstunden ist – anders als die klassische Teilzeit oder gar Mi-nijobs – ein Kompromiss zwischen den zeitlichen Anforderungen und

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Wünschen, die das Zusammenleben mit Kindern mit sich bringt, und der Kontinuität in der Erwerbstätigkeit, die für die weitere berufliche Entwicklung der betreffenden Frauen und Männer notwendig ist. Es geht hier um individuelle Arbeitszeitverkürzungen in einer bestimmten Lebensphase. Politisch könnte so ein Ansatz durch eine Weiterent-wicklung des Elterngeldes gestützt werden, die Anreize für eine zeitlich gestreckte und zwischen den Partnerinnen und Partnern gleich verteilte Arbeitszeitreduzierung auf ein Niveau oberhalb der klassischen Teilzeit beinhaltet.

Um Arbeitsumverteilung geht es auch beim Thema Altersübergang, und zwar um eine Umverteilung zwischen Alt und Jung. Die Rente mit 67 ist höchst unpopulär; 2010 soll sie laut Gesetz regierungsamtlich überprüft werden. Wer Druck für die Rücknahme der Rente mit 67 macht, wird zwar auf die Ablehnung nicht nur der Regierung, sondern auch der gut finanzierten (und bei Journalistinnen und Journalisten sehr beliebten) Kassandraruferinnen und -rufer stoßen, die einmal mehr den Untergang des gesetzlichen Rentensystems prophezeien. Aber er kann sich auf die Sympathien großer Teile der Bevölkerung stützen (und darüber hinaus auch auf wirtschaftlichen Sachverstand, der die Gefahren weiterer Schwächungen dieses Systems zugunsten kapitalge-deckter Altersvorsorge analysiert). Soweit die Rente mit 67 nicht aus-schließlich als Instrument zur Verringerung des Rentenniveaus wirkt, werden mit einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit die Forderungen zur Verkürzung der Wochenarbeitszeit konterkariert.

Die Realität in den Betrieben erfordert eine pragmatische Doppel-strategie. Einerseits ist der absehbaren Entwicklung auf dem Arbeits-markt Rechnung zu tragen: Jüngere Generationen müssen gut ausge-bildet und ins Erwerbsleben integriert werden, während älteren die Chance zum flexiblen Ausstieg gegeben werden muss. Zugleich sind die Arbeitsbedingungen so zu verbessern, dass mehr Menschen im Arbeits-leben älter werden können und nicht aus gesundheitlichen Gründen zum vorzeitigen Ausstieg gezwungen sind. Das gilt um so mehr, als durch permanente Prozesse der Arbeitsverdichtung die Belastungen am Arbeitsplatz in vielen Fällen enorm zugenommen haben.

Ein strategischer Ansatzpunkt, um den zuletzt genannten Weg zu

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beschreiten, sind Arbeitszeitverkürzungen für besonders stark bela-stete Beschäftigte. Hierbei handelt es sich um höchst unterschiedliche Gruppen – man denke nur an Angestellte in der IT-Branche mit ihren im Durchschnitt besonders langen Arbeitszeiten. Viele von ihnen arbei-ten in Projekten mit engen Zeitvorgaben und Personalressourcen. Mit zunehmendem Lebensalter wachsen die gesundheitlichen Belastungen, sodass es bereits in der Mitte des Berufslebens häufig zu erheblichen Gefährdungen der Gesundheit kommt (Gerlmaier 2009). Derartigen Gefährdungen entgegenzuwirken ist jedoch eine komplexe und län-gere Zeiträume beanspruchende Herausforderung. Einfacher und ver-gleichsweise kurzfristig realisierbar dagegen wäre die Verkürzung der Arbeitszeiten für Beschäftigte, die regelmäßig im Dreischichtbetrieb und nachts arbeiten. In diesen Schichtsystemen ist die gesundheitliche Belastung besonders hoch. Je nach Schichtsystem und Umfang der Ar-beitszeitverkürzung kann die Schaffung einer zusätzlichen Schichtgrup-pe oder zumindest die Erhöhung der vorzuhaltenden Personalreserve erforderlich sein, mit entsprechend großen Beschäftigungseffekten.

Erfahrungen mit derartigen zielgruppenspezifischen Arbeitszeitver-kürzungen gibt es v.a. in der Stahlindustrie. Wichtig ist, die Forderung nicht auf ältere Beschäftigte zu begrenzen. Alle Beschäftigten im Dau-erschichtbetrieb, auch die jüngeren, sollten in den Genuss deutlich kür-zerer Arbeitszeiten kommen. Schließlich geht es ja darum, ihre Chancen zu verbessern, im Arbeitsleben tatsächlich älter zu werden.

2.4   Initiative für eine neue Arbeitsmarktpolitik

Abwehr von Leiharbeit, atypischer und prekärer BeschäftigungIn der Krise waren die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter als Erste von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Zahl der Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter sank vom Jahr 2008 im ersten Halbjahr 2009 um 31 Prozent auf 520.000. Deutlich wurde damit, dass die Dimension der Leiharbeit in den meisten Betrieben weit über dem Niveau lag, das erforderlich gewesen wäre, um so genannte Auftragsspitzen aufzufan-gen. Sie wurden dazu benutzt, „atmende Betriebe“ zu ermöglichen,

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und werden bei Bedarf einfach „ausgeatmet“. Anstatt unternehme-rische Verantwortung für Beschäftigung zu übernehmen, wird bei Auftragsrückgängen das Arbeitsmarktrisiko in diesem Sektor auf die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter abgewälzt. Es mehren sich zudem die Zeichen, dass die Unternehmen nach der Krise wieder verstärkt auf das Instrument Leiharbeit setzen werden.

Dass Verleihbetriebe wenig zur Sicherung von Beschäftigung ge-tan haben, wird u.a. daran deutlich, dass die Leiharbeitsbranche die auch hier vorhandenen Möglichkeiten zum Einsatz der Kurzarbeit ungenutzt ließ. Nicht nur, dass die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter unter besonders hohen Flexibilisierungsansprüchen eingesetzt werden; ihre Bezahlung liegt außerdem bis zu 50 Prozent unter denen eines im gleichen Betrieb und in gleicher Stellung Beschäftigten. In den meisten Unternehmen ist die Einordnung von Leiharbeiterinnen und Leihar-beitern weit entfernt von den Forderungen nach Equal-Pay oder gar Equal-Treatment. Festzustellen ist, dass die Beschäftigten in der Leih-arbeit überwiegend kurzfristig beschäftigt werden und dass vor allem jüngere und wenig qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Bereich eingesetzt werden.

Um eine Umkehr dieser Entwicklung zu erreichen, ist es dringend erforderlich, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu verändern. Leih-arbeit ist zurückzuführen auf den Ansatz kurzfristiger Überbrückungen

Deregulierung: Politik begünstigt Leiharbeit

Regierung Kohl

1985 bis 1997

• Maximal erlaubte Überlassungsdauer wird schrittweise von drei auf zwölf Monate verlängert.

• Synchronisation wird erlaubt (Arbeitsvertrag darf nun auf Ersteinsatz begrenzt werden).

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• Wiederholte Zulassung von lückenlos aufeinander folgenden Befristungen mit demselben Leiharbeitenden wird möglich.

Regierung Schröder

2002

• Maximal erlaubte Überlassungsdauer wird erneut ausge-dehnt, diesmal von 12 auf 24 Monate.

2003: Zeitarbeits-Änderungen durch Hartz I

• Begrenzung der Überlassungshöchstdauer fällt weg, Folge: totale Entfristung der Leiharbeit.

• Synchronisationsverbot (Verbot der Koppelung von Arbeits-vertrag an Verleiheinsätze) wird aufgehoben.

• Wiedereinstellungssperre wird abgeschafft.• Lockerung des Entleihverbotes im Bauhauptgewerbe (von

1982).• Zwar wird der Gleichbehandlungsgrundsatz eingeführt

(„Zeitarbeitnehmer müssen wie Stammbelegschaft des Entleihers bezahlt und behandelt werden“). Allerdings gilt dies nicht, wenn ein anders lautender Tarifvertrag besteht (ANÜG §3, Abs. 1, Nr. 3).

• In dieser Situation schließen „christliche“ Gewerkschaften kapitalfreundliche Tarifverträge, die deutlich unter den Stan-dards der Tarifverträge der DGB-Gewerkschaften bleiben, und hebeln damit den Gleichbehandlungsgrundsatz aus.

Februar 2003

• Abschluss des ersten Flächentarifvertrages zwischen einer „christlichen“ Gewerkschaft mit nordbayerischen Zeitar-beitsunternehmen. Mit diesem Tarifvertrag wird das gesetz-liche Prinzip „gleiche Arbeitsbedingungen wie im Entleihbe-trieb“ gezielt unterlaufen.

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für Betriebe (Leiharbeitsverhältnisse in einem Betrieb sind auf höchstens sechs Monate zu begrenzen). In diesem Zusammenhang wird es wichtig sein, die verquere politische Debatte wieder auf die Grundüberlegungen der Leiharbeit zur Abdeckung von Bedarfsspitzen zurückzuführen und den Versuch, Leiharbeit als verlängerte Probezeit mit erhofftem Klebe-effekt zu erklären, als durchsichtiges und ablenkendes Täuschungsma-növer zu entlarven. Es geht vielmehr darum, die von den Leiharbeite-rinnen und Leiharbeitern zu erbringenden Leistungen im Rahmen der erhöhten Mobilität und Flexibilität besonders zu honorieren.

Deshalb fordert die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik:• Die Einsatzdauer von Leiharbeitenden in einem Betrieb muss zeitlich

eng befristet und sachlich begrenzt werden (Leiharbeit als befristeter Flexibilitätspuffer und nicht als unbegrenzt einsetzbare Kostensen-kungsmethode).

• Mindestforderung ist die Gleichbehandlung und Gleichbezahlung der Leiharbeitskräfte im Betrieb. Noch besser ist entsprechend dem französischen Vorbild ein Flexibilitätszuschlag, der mit einer hö-heren Bezahlung die zusätzlichen Belastungen aus den häufigen Betriebswechseln für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kompensiert und diese Beschäftigungsart für die Unternehmen nur als „letzte Option“ vor der Neueinstellung möglich macht.

• Tarifverträge der Leiharbeitsbranche sollen sich ausschließlich auf überlassungsfreie Zeiten bzw. den Einsatz in Unternehmen beziehen, die keine oder nur unzureichende tarifliche Regelungen haben.

• Leiharbeitende sollen der uneingeschränkten Mitbestimmung im Entleihbetrieb unterliegen und das aktive Wahlrecht bei der Wahl der Arbeitnehmervertretung haben.

• Der Anteil der Leiharbeitenden an der Gesamtbelegschaft im Ent-leihbetrieb soll mitbestimmungspflichtig werden.

• Das „Synchronisationsverbot“ (Verbot der Koppelung von Arbeits-vertrag an Verleiheinsätze) muss wieder eingeführt werden.

• Leiharbeitende sollen in verleihfreien Zeiten das Recht auf für sie kostenfreie Qualifizierung erhalten.

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Die Auseinandersetzung mit atypischen Beschäftigungsverhältnis-sen auch über die Leiharbeit hinaus bleibt ein zentrales Thema, das eine „Scharnierfunktion“ zwischen Erwerbslosigkeit und den An-forderungen an „gute Arbeit“ gewinnt. Werkverträge, unbezahlte Praktikumsverhältnisse und zunehmend ausschließlich befristete Ar-beitsverträge müssen ihre gesellschaftliche Akzeptanz verlieren. Ein besonderes Problem leitet sich bei diesen Beschäftigungsformen davon ab, dass viele der Betroffenen zum stetig wachsenden Heer der Nied-riglöhnerinnen und Niedriglöhner zählen. Sie können damit wegen fehlender materieller Möglichkeiten in der Erwerbsphase ihr Leben nicht ausreichend lebenswert gestalten und werden auch zu denjeni-gen zählen, die auf eine künftige Altersarmut zusteuern. Die Zurück-drängung dieser Arbeitsformen wird zu einem zentralen Thema der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik.

Schutzschirm und Perspektiven für ErwerbsloseDie aktuelle Arbeitsmarktpolitik bedarf einer grundlegenden Neuaus-richtung, die sich an qualitativen Anforderungen ausrichten, wieder sozialpolitische und volkswirtschaftliche Verantwortung übernehmen und Beiträge zu lebenslangem Lernen und sinnvoller beruflicher Wei-terbildung realisieren muss. Die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente zum 1. Januar 2009 hat zwar die Vielzahl der Maßnah-men gestrafft und damit zu einer Vereinfachung für die Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter der Arbeitsagenturen und der ARGEn geführt. An der grundsätzlichen Ausrichtung der Instrumente auf kurzfristige Maßnahmen und eine Kostensenkung bei gleichzeitig umfangreichen beschäftigungsbegleitenden Maßnahmen in der Privatwirtschaft (z.B. Eingliederungszuschüssen) wurde jedoch nichts geändert. Es erscheint überfällig, die vorherrschende Politik in den Agenturen für Arbeit und in den ARGEn umzukehren von fast ausschließlich an den Interessen der Arbeitgeber und der betriebswirtschaftlichen Effizienz der Bun-desanstalt ausgerichteten Zielen zu einer an den Interessen der Betrof-fenen orientierten Politik. Es geht darum, deren Beschäftigungsfähig-keit zu erhalten bzw. wieder aufzubauen, um den Herausforderungen künftiger Anforderungen des Arbeitsmarktes zu entsprechen.

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Dabei haben sich die finanziellen Möglichkeiten für eine aktive Arbeitsmarktpolitik in den vergangenen Jahren enorm verschlechtert. Durch die Serie der politisch motivierten Beitragssenkungen, die der Verringerung von „Lohnnebenkosten“ dienen sollten, und durch das stagnierende Lohnniveau der Beschäftigten sind die Einnahmen der Bundesagentur für Arbeit dramatisch geschrumpft. Im Jahr 2004, also vor Einführung von Hartz IV, lagen die Einnahmen aus Beiträ-gen der Versicherten (Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge) noch bei 47,2 Milliarden Euro; 2009 betrugen sie nur noch 22 Milliarden Euro, also nicht einmal mehr die Hälfte. Dass diese Mindereinnahmen nicht zu kräftigen Defiziten bei der Bundesagentur für Arbeit führten, war neben einem günstigen konjunkturellen Umfeld vor allem der Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I im Zuge der Hartz-Reformen und drastischen Einsparungen bei den Ermessenslei-stungen der aktiven Arbeitsmarktpolitik geschuldet. Zur Bewältigung der jetzt eingetretenen Krise ist dieser Rahmen völlig unzureichend. Die BA musste im Jahr 2009 bereits 13,8 Milliarden Euro aus der Rücklage entnehmen, die damit auf unter drei Milliarden Euro sank. Für das Jahr 2010 ist eine einmalige Deckung des erwarteten Defizits in Höhe von 16 Milliarden Euro durch den Bund zugesagt worden. Angesichts der zu befürchtenden Mittelknappheit wächst die Gefahr, die erforderlichen Prozesse zur Neuausrichtung der Arbeitsmarktpoli-tik mit dem Argument der Nichtfinanzierbarkeit abzuschmettern. Die erforderlichen Entscheidungen werden in den kommenden Monaten politisch zu treffen sein und machen es besonders wichtig, die Debatte um beschäftigungspolitische Perspektiven und arbeitsmarktpolitische Initiativen zu verknüpfen.

Aufgrund der zu erwartenden Zunahme der Zahl der Arbeitslosen ist es dringend notwendig, ein breites Spektrum an Aktivitäten und zusätzlicher Sicherungen zu organisieren und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen u.a. durch eine Erhöhung der Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung zu schaffen. Die materielle Absicherung der Betroffenen ist zu verbessern, die Arbeitslosenversicherung muss wieder vor dem sozialen Abstieg schützen. Zentral gilt es, die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld (ALG I) auf mindestens 24 Monate zu erhöhen.

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Bei der Höhe des Arbeitslosengeldes II, das aus Mitteln des Bundes finanziert wird, ist die vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Verfassungswidrigkeit der Regelsätze der Ansatzpunkt, die diskrimi-nierende Praxis nicht existenzsichernder Leistungen zu beenden. Das Arbeitslosengeld II muss endlich armutsfest gestaltet werden.

Neben der materiellen Absicherung muss die Qualifizierung der Arbeitslosen entsprechend den mittel- und langfristigen Erfordernissen des Arbeitsmarktes wieder einen höheren Stellenwert erhalten. Die Weiterbildungs- und Qualifizierungsangebote sind qualitativ neu zu justieren und mit dem Ziel zu verbinden, eine Höherqualifizierung bis hin zum Erreichen von neuen Berufsabschlüssen zu ermöglichen. Im MEMORANDUM 2007 wurde bereits ausführlich dargelegt, wie der Bestand an Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Maßnahmen der Förderung der beruflichen Weiterbildung (FbW), der zu Beginn des Jahrzehnts noch bei jahresdurchschnittlich über 330.000 gelegen hatte, systematisch abgesenkt wurde. Der Tiefpunkt wurde im August 2007 mit ca. 116.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern erreicht. Dabei fand eine Umstrukturierung hin zu Maßnahmen mit kurzer Dauer statt, die überwiegend als Anpassungsqualifizierungen auf die kurzfristige Nachfrage der Wirtschaft hin ausgerichtet wurden. Seit 2008 wurde die FbW wieder allmählich ausgeweitet, mit einem deutlichen Anstieg seit dem Herbst 2008 bis auf den Höchststand des Jahres 2009 mit 215.350 Teilnehmerinnen und Teilnehmern im November. Dies ist eine im Grunde richtige Reaktion auf die zu erwartenden Krisenfolgen am Arbeitsmarkt, die es zu verstetigen gilt. Insbesondere sind wieder ver-stärkt länger dauernde Maßnahmen zu fördern, die sich an mittel-fristigen Bedarfen des Arbeitsmarktes orientieren. Eine zielorientierte Qualifizierungsoffensive zur Sicherung des Fachkräftepotenzials in bestehenden und in neuen Berufsfeldern ist notwendig. Maßnahmen, die allein der Überprüfung der Arbeitsbereitschaft dienen, sind dagegen abzuschaffen. Erhalt und Erweiterung von Qualifikationen sind mit Hilfe integrierter Bildungsmaßnahmen auch bei öffentlich geförderter Beschäftigung fest als Maßnahmebestandteil zu verankern.

Erwerbslosigkeit ist keine selbst verschuldete Lebenssituation, son-dern Ausdruck mangelnder Nachfrage nach Arbeitskräften in Betrie-

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ben, Branchen und der Gesellschaft. Sie erfordert daher Antworten, die nicht den einzelnen Betroffenen die Verantwortung für ihre Situation zuschreiben. Die Politik des „Fordern statt Fördern“ bestimmt nach wie vor die Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik und entfernt sich immer stärker von den Möglichkeiten einer erforderlichen Beschäftigungs-politik. Sie wird immer noch stark von der Annahme geleitet, dass der Druck auf Erwerbslose nur hoch genug sein müsse, um sie in Arbeit zu bringen. Völlig ausgeblendet bleibt die Tatsache, dass unter den gegebenen Bedingungen nicht genügend Arbeitsplätze vorhanden sind. Parallel unterstützt sie dabei alle Vorurteile, die – aus der herrschenden Logik abgeleitet – diejenigen, die keine Arbeit haben, als individuelle Versager und gesellschaftliche Schmarotzer denunziert.

Für unterschiedliche Zielgruppen auf dem Arbeits- und Beschäf-tigungsmarkt sind differenzierte Lösungswege zu entwickeln. So sind aktuell vor allem jüngere männliche Erwerbslose und Arbeitssuchende von der Abdrängung in prekäre Leiharbeitsverhältnisse betroffen. Im Zusammenhang mit der Krise wird sich die Situation insbesondere für Langzeitarbeitslose in dramatischer Weise verschärfen. Nach wie vor sind fast zwei Drittel aller Bezieherinnen und Bezieher von Arbeits-losengeld dem Rechtskreis des SGB II (also Hartz IV) zugeordnet. Es ist davon auszugehen, dass im längerfristigen Trend der Anteil der ALG-II-Empfängerinnen und -Empfänger weiter zunehmen wird, auch wenn durch bevorstehende Entlassungswellen in Betrieben zunächst die Zahl der ALG-I-Empfängerinnen und -empfänger steigen wird. Die Wiedereingliederung in den so genannten ersten Arbeitsmarkt wird aber unter Krisenbedingungen immer schwieriger, wovon insbesondere Langzeitarbeitslose überproportional betroffen sind. Der Anteil an den gesamten Übergängen aus Arbeitslosigkeit in Erwerbstätigkeit hat sich für den Rechtskreis des SGB II bereits von 45 Prozent im Jahr 2008 auf 42 Prozent im Jahr 2009 verringert (Rechtskreis SGB III entsprechend 55 und 58 Prozent). Dieser Trend wird sich weiter fortsetzen, weshalb der Aufbau eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors, der sich qualitativ deutlich von den derzeit angebotenen Arbeitsgelegenheiten (Ein-Euro-Jobs) unterscheidet, immer dringlicher wird.

Im MEMORANDUM 2006 wurde dieser Ansatz bereits ausführ-

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licher dargelegt. Öffentlich geförderte Beschäftigung muss aus dem Dualismus von Unternehmenssubventionierung durch Einstellungs-zuschüsse, geförderte Praktika, Trainingsmaßnahmen etc. einerseits und unterwertigen Ein-Euro-Jobs andererseits befreit werden. Das „Fördern“, und zwar das der betroffenen Erwerbslosen, muss wieder ins Zentrum der Philosophie der Arbeitsagenturen rücken. Zu diesem Paradigmenwechsel muss auch eine Neugestaltung arbeitsschaffender Maßnahmen gehören.

Diese Maßnahmen müssen eine tarifübliche Bezahlung, vollständige Sozialversicherungspflicht und flexible Laufzeiten, die bis zu fünf Jah-ren gehen können, beinhalten. Damit ist zum einen wieder ein Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu ermöglichen, zum anderen aber auch der drohenden Altersarmut entgegen zu wirken, von der viele Langzeitar-beitslose betroffen sein werden.

Ausgangspunkt für die konkrete Maßnahmegestaltung muss die (selbstverständlich nicht in Konkurrenz zum so genannten ersten Ar-beitsmarkt stehende) Aufgabe sein, die in dem jeweiligen Beschäfti-gungsprojekt zu leisten ist. Ein halb- oder gar vierteljährliches Aus-wechseln der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, wie es bei Arbeits-gelegenheiten die Regel ist, ist für sinnvolle Projekte z.B. im Bereich des Naturschutzes oder der sozialen Betreuung kontraproduktiv. Vor allem aber brauchen die Beschäftigten selbst eine längerfristige Per-spektive, um Dequalifizierungsprozessen durch lange Arbeitslosigkeit tatsächlich entgegenwirken zu können und um neue Qualifikationen aufzubauen.

Integrierte Betreuungs- und Qualifikationsanteile können dann auch die Heranführung an „Stellen im „ersten Arbeitsmarkt“ leisten. Beschäftigungen á la „Schneeschippen“ und „Papieraufsammeln“ werden dieser Zielsetzung dagegen nicht gerecht; darüber hinaus ge-fährden sie direkt reguläre Stellen bei Kommunen und beauftragten Privatunternehmen. Dabei ist jedoch zu betonen, dass die Funktion eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors nicht primär in der direkten Integration der Beschäftigten in ungeförderte Beschäftigungs-verhältnisse liegen kann. Vielmehr soll die Verknüpfung von sozialer Integration der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit gesellschaftlich

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nützlichen Projekten im Zentrum stehen. Die Vermeidung einer Ver-drängung ungeförderter Beschäftigungsverhältnisse, im öffentlichen Dienst wie in der Privatwirtschaft, ist durch regional organisierte Bei-räte aus Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung sicher zu stellen.

Regionale Arbeits- und Wirtschaftspolitik entwickelnNeben der Weiterentwicklung arbeitsmarktpolitischer Prozesse für die Betroffenen wird zunehmend die Debatte über die Ausrichtung regio-nalpolitischer Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik wichtiger. In allen Bezirken der Agentur für Arbeit ist ein arbeitsmarktliches Monitoring installiert worden, aus dem arbeitsmarktliche und beschäftigungspo-litische Perspektiven abgeleitet werden sollen, die dazu beitragen, die Bandbreite von Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik auf die spezifische regionale Situation auszurichten. Dabei wird eine Abstim-mung mit regionalen Arbeitsmarktakteuren und Gremien angestrebt. Diesen Prozess sollten vor allem die beschäftigtenorientierten Akteure der regionalen Arbeitsmärkte aufgreifen und beeinflussen. Die zentra-len Forderungen sind immer davon abzuleiten, welche Strukturen der Sicherung und der Schaffung von guter Arbeit dienen und in welchen Formen sich regionale Arbeits-, Beschäftigungs- und Wirtschafts-politik im Interesse der regionalen Entwicklung verknüpfen lassen. Allerdings dürfen diese Aktivitäten nicht zu einer „Kirchtumspolitik“ führen, die zu einer neuen Ebene unbedachter regionaler Konkurrenz führt, statt eine insgesamt arbeitsplatzsichernde und beschäftigungs-wirksame Politik zu gestalten. Auch in diesem Kontext wird es immer dringlicher, die Möglichkeiten des öffentlichen Beschäftigungssektor zur Sicherung der jeweiligen Aufgaben der Daseinsvor- und -versor-gung als zentrale Aufgabe anzugehen.

Möglichkeiten und Verwerfungen regionalisierter EU-Arbeits-marktpolitikEine Veränderung nationaler Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik für Deutschland gewinnt auch angesichts der europäischen arbeits-marktpolitischen Ausrichtung zunehmend an Bedeutung. Mit der Beschlussfassung des europäischen Vertrages von Lissabon wachsen

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die Gefahren für einen weiteren Unterbietungswettbewerb bei den Löhnen und durch ungezügelte Freizügigkeit im europäischen Markt. Die Durchsetzung eines allgemein verbindlichen Mindestlohnes in Deutschland erhält vor diesem Hintergrund noch mehr Gewicht. Die deutsche Lohnpolitik hat sich in den vergangenen Jahren im europä-ischen Maßstab bereits in vielen Bereichen lohndrückend bemerkbar gemacht. Die aktuelle Bundesregierung bietet keinerlei Gewähr, aus dieser Logik auszubrechen. Ohne massive Gegenwehr ist sogar zu befürchten, dass die bisherigen und vorsichtigen ersten Schritte zu verschiedenen branchenbezogenen Mindestlöhnen stark gefährdet sind. Während die Beschlussfassung des „EU-Vertrags“ gebührend medial gefeiert wurde, blieben die Forderungen nach einer verant-wortungsvollen Sozialcharta weithin unerwähnt und laufen Gefahr, von der Tagesordnung der europäischen Arbeits-, Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik zu verschwinden.

Im Zusammenhang mit den europäischen Initiativen zur Arbeits-markt- und Beschäftigungspolitik wird es immer dringlicher, den Blick auf die vorhandenen Förderstrukturen zu richten. Jährlich werden etli-che Milliarden Euro für europäische geförderte Projekte zur Verfügung gestellt. In der Regel sind Bund, Länder und Regionen gefordert, diese durch einen Eigenbeitrag zu unterstützen und somit in gemeinsamer Verantwortung zu handeln. Im Zusammenhang mit der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik sind die zwei zentralen Ausrichtungen die Unterstützung von Unternehmen einerseits und die Orientierung auf spezielle Zielgruppen des Arbeitsmarktes andererseits. Erforderlich erscheint es vor allem, die zur Verfügung stehenden Mittel und Instru-mente daraufhin zu prüfen, was sie zur Sicherung und Schaffung von „guter Arbeit“ und Beschäftigung leisten und wie verhindert werden kann, dass positive Arbeitsmarkteffekte durch die Generierung von atypischen und prekären Arbeitsbedingungen ins Gegenteil verkehrt werden. Zu berücksichtigen ist ferner, dass Projekte, die auf den Unter-nehmenssektor ausgerichtet sind, von den nutznießenden Unternehmen nicht auf kurzfristige Marketingstrategien reduziert werden, sondern einen langfristigen Beitrag zur Unternehmenssicherung und zur Unter-stützung bei erforderlichen Neuausrichtungen leisten.

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Literatur

Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (2006): MEMORAN-DUM 2006. Mehr Beschäftigung braucht eine andere Verteilung, Köln.

Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (2007): MEMORAN-DUM 2007. Mehr und bessere Beschäftigung, ökologischer Umbau und soziale Gerechtigkeit – Demokratische Wirtschaftspolitik statt Aufschwungstaumel, Köln.

Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (2009): MEMORAN-DUM 2009. Von der Krise in den Absturz? Stabilisierung, Umbau, Demokratisierung, Köln.

Gerlmaier, Anja (2009): Gesund bleiben bei Projektarbeit: ein Arbeits-leben lang!? In: Roth, Ines (Red.): Hochseilakt: Leben und Arbeiten in der IT-Branche. Ein Reader, Berlin, S. 43-51. http://www.verdi-gute-arbeit.de/upload/m4a3775bb92212_verweis1.pdf.

Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) (2010): Flexible Arbeitszeiten und Kurzarbeit sicherten im Jahr 2009 mehr als eine Million Jobs. Presseinformation des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vom 02.02.2010. http://www.iab.de/de/informationsservice/presse/presseinformatio nen/az09.aspx.

Kohaut, Susanne/Möller, Iris (2009): Vereinbarungen zur Chancen-gleichheit – Kaum Fortschritte bei der betrieblichen Förderung. IAB-Kurzbericht 26, Nürnberg.

Kümmerling, Angelika/Jansen, Andreas/Lehndorff, Steffen (2008): Im-mer mehr Frauen sind erwerbstätig – aber mit kürzeren Wochenar-beitszeiten. IAQ-Report, Nr. 2008-04, Gelsenkirchen.

Lehndorff, Steffen (2010): Normalität jenseits von Normen – Deutsche Sonderwege in der Arbeitszeitentwicklung. In: Groß, Hermann/Sei-fert, Hartmut (Hg.): Renaissance der Arbeitszeitpolitik, Berlin.

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3  Finanzpolitik gegen die Krise

3.1   Nach dem ökonomischen Absturz:   Finanzpolitik gegen die Krise 

Nachdem sich, ausgelöst durch die wachsende Exportschwäche, be-reits im Frühjahr 2008 die gesamtwirtschaftliche Entwicklung auf Tal-fahrt begeben hatte, kam es im letzten Jahr zu einem bisher einmaligen Absturz der Produktion. Das reale Bruttoinlandsprodukt ging gegenü-ber 2008 um fünf Prozent zurück. Auf die entwicklungsbestimmenden Makroaggregate bezogen heißt das: Die Exporte sind im Frühjahr 2009 real um mehr als 20 Prozent gesunken. Über das gesamte Jahr gerechnet sank die Auslandsnachfrage um knapp 15 Prozent. Da die Importe mit knapp neun Prozent geringer zurückgegangen sind, sank der aus der Differenz zwischen Exporten und Importen gebildete Au-ßenbeitrag um 3,0 Prozentpunkte. Der bereits im letzten Aufschwung stagnierende private Konsum nahm im vergangenen Jahr preisberei-nigt mit 0,2 Prozent kaum zu. Am Grundmuster des sich seit 2003 vom Wirtschaftwachstum entkoppelnden privaten Konsums hat sich grundsätzlich nichts geändert. Infolge der Wirkung von ersten finanz-politischen Maßnahmen im Rahmen der beiden „Konjunkturpro-gramme“ nahm der staatliche Konsum preisbereinigt um 3,0 Prozent zu. Den größten Absturz verzeichneten die für die gesamtwirtschaft-liche Entwicklung entscheidenden Ausrüstungsinvestitionen, die im letzten Jahr gegenüber dem Jahr 2008 um ein Fünftel sanken.

Den Absturz des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts um fünf Prozent hatte die vorherrschende Beratungsökonomik nicht auf ihrer Rechnung, im Gegenteil: Noch im November 2008, also knapp zwei Monate nach der Lehman-Brother-Pleite, hatte der Sachverständigenrat zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung für das Jahr 2009 eine leichte „Wachstumsdelle“ vorhergesagt, die allerdings schnell überwunden sein werde. Für dieses Prognosedebakel gibt es Gründe, doch der Blick auf die Ursachen dieser schwersten Wirtschaftskrise der Bundesrepu-

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blik Deutschland seit deren Bestehen ist durch den Glauben an eine sich optimal selbst steuernde Wirtschaft verbaut worden. Doch nicht nur die starke allgemeine Wirtschaftskrise, sondern auch die verstärkend wirkende Finanzmarktkrise wurde nicht erkannt. Die Prognosemodelle gingen vielmehr von effizienten, also krisenfreien Finanzmärkten aus. Nach dem Motto „Schade um die Realität, wenn sie mit dem ökono-mischen Modell nicht übereinstimmt“ kam die Bildung von Spekula-tionsblasen, die schließlich platzen mussten, nicht vor.

Ein Vergleich dieses ökonomischen Absturzes mit der Weltwirt-schaftkrise zeigt einen deutlichen Unterschied. Während sich der Rück-gang der gesamtwirtschaftlichen Produktion, auf das ganze Jahr 2009 gerechnet, auf fünf Prozent belief, blieb der Absturz um bis zu 6,7 Prozent auf das erste Quartal 2009 beschränkt. Dagegen hielten die Einbrüche bei der Produktion während der Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 1930er Jahre knapp vier Jahre lang in Deutschland an: Nach einem leichten Rückgang um 1,4 Prozent im Jahr 1930 stürzte die Pro-duktion 1931 und 1932 um jährlich 7,7 Prozent bzw. 7,5 Prozent und schließlich 1933 um 6,3 Prozent ab. Wie lässt sich das schnelle Ende des jüngsten Absturzes im Vergleich zur seinerzeitigen Weltwirtschaftskrise erklären? Maßgeblich dafür ist vor allem die Wiederentdeckung einer Antikrisenpolitik mit den Instrumenten der Geld- und Finanzpolitik. Dabei ist entscheidend, dass die weltweit vor allem in den Metropolen zu beklagende Krise auch international bekämpft worden ist:• Die Geldpolitik insbesondere der Notenbanken in den USA, Japan

und der Eurozone pumpte auf unkonventionelle Weise Liquidität in die Weltwirtschaft. Ein Ziel war es dabei, den mangels Vertrauen zwischen den Banken erfolgten Zusammenbruch des Interbanken-marktes für die kurzfristige Liquiditätsversorgung zu kompensie-ren. Mit der Politik der „quantitativen Lockerung“, die mit den normalerweise geltenden Regeln einer strengen Geldmengensteu-erung nichts zu tun hat, wurde Liquidität zur Verfügung gestellt. Bei einem Leitzins zwischen null und einem Prozent wurde durch den direkten Ankauf von Staats- und Unternehmensanleihen durch die Notenbanken dem Bankensystem praktisch kostenloses Geld zur Verfügung gestellt. Allerdings haben die Banken diese Impulse

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nicht vollständig per Kreditvergabe an die Unternehmenswirtschaft weitergegeben. Dies erklärt in mancher Hinsicht die „Kreditklem-me“, zu deren Überwindung der Bund mittlerweile Finanzmittel im Umfang von über 40 Milliarden Euro über die Kreditanstalt für Wiederaufbau zur Verfügung stellt.

• Diese unkonventionelle, expansive Geldversorgung wurde durch eine Nachfrage schaffende aktive Finanzpolitik in vielen Ländern ergänzt. Die unmittelbar von der Wirtschaftskrise am stärksten betroffenen Staaten haben umfangreiche, gegen die Krise gerichte-te Staatsprogramme aufgelegt. In hohem Maße aktiv wurden vor allem die USA, Japan und erstmals mit einem Volumen von ei-ner halben Billion Euro auch China. Diese Antikrisenprogramme dienten auch dort dem Ziel, die im Zuge der Konzentration auf die Exportdominanz vernachlässigte binnenwirtschaftliche Nachfrage zu stärken.

Während das Deutsche Reich in der Weltwirtschaftkrise zu Beginn der 1930er Jahre mit der durch Reichskanzler Brüning zu verantwor-tenden Notverordnungspolitik krisenverschärfend wirkte, hatte die Bundesregierung unter der Wucht der Krise gleichsam über Nacht einen makroökonomischen Positionswechsel vollzogen. Noch weni-ge Monate zuvor scharf diskriminiert, wurden die Konjunkturpro-gramme I und II aufgelegt. Wie noch zu zeigen sein wird, sind da-rin viele Maßnahmen enthalten, die einer nachhaltigen Stärkung der wirtschaftlichen Entwicklung kaum nützen. Der Wechsel zumindest zu einer antizyklischen Finanzpolitik ist jedoch bemerkenswert. Eine solche Politik wurde auch im „Stabilitäts- und Wachstumsgesetz“ von 1967 durch die damalige Große Koalition festgeschrieben; nun ist sie wiederentdeckt worden. Die Finanzpolitik hat dadurch zumindest ansatzweise ihre gesamtwirtschaftliche Verantwortung zur schnellen Beendigung des ökonomischen Absturzes wahrgenommen. Im Ver-gleich zur finanzpolitischen Doktrin staatlichen Einsparens unter dem Regime der Weltwirtschaftskrise in Deutschland eingangs der 1930er Jahre lässt sich der Erfolg dieser antizyklischen Finanzpolitik nicht übersehen.

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Die entscheidende Frage lautet nun, wie die Finanzpolitik nach dem ökonomischen Absturz in diesem Jahr auf der Basis der mittelfristigen Finanzplanung auszurichten ist. Die Antwort hängt maßgeblich von der Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ab. Nur wenn sich ein selbst tragender Aufschwung mit einer starken Expansionsdy-namik zusammen mit einer Ausweitung der Binnennachfrage durchset-zen sollte (V-Muster des Konjunkturverlaufs), wäre ein Ausstieg aus der expansiven Geld- und vor allem Finanzpolitik einzuleiten. Davon kann jedoch keine Rede sein. Deshalb ist die immer wieder auch in Kreisen der Deutschen Bundesbank sowie bei den Chefökonomen der Banken diskutierte Exitstrategie gesamtwirtschaftlich unverantwortlich. In die-sem Jahr ist eher von einem insgesamt niedrigen „Wirtschaftswachstum auf Stützen“ auszugehen. Die Gehhilfen sind eine fortzusetzende ex-pansive Geld- und Finanzpolitik. Die aktuellen Risiken – das Auslau-fen der Konjunkturprogramme, Verluste beim privaten Konsum durch starken Arbeitsplatzabbau und zunehmende atypische Arbeit sowie Schwierigkeiten bei der Fremdfinanzierung von Unternehmen infolge der Bankenkrise – lassen eher die Entwicklung nach dem Muster einer „Waschbrettkonjunktur“ erwarten. Bei Zuwachsraten auf niedrigem Niveau sind Rückschläge durchaus realistisch.

Die Finanzpolitik muss weiterhin ihrer gesamtwirtschaftlichen Rol-le in der Gesamtwirtschaft gerecht werden. Einerseits spiegelt sich die makroökonomische Entwicklung in den öffentlichen Budgets durch krisenbedingte Ausgabenzuwächse und Einnahmenausfälle wider. An-dererseits ist der Staat wegen seiner strategischen Rolle in der Lage, auf die Gesamtwirtschaft mit einer nachfolgenden Verbesserung der öffentlichen Haushalte positiven Einfluss zu nehmen. Deshalb ist der Mut nötig, den krisenbedingten Anstieg der Neuverschuldung nicht abzubauen, sondern zumindest hinzunehmen. Denn die Opportuni-tätskosten eines Verzichts auf eine gegensteuernde Finanzpolitik vor allem durch den Abbau krisenbedingter Neuverschuldung sind viel zu hoch. Auch künftige Generationen würden durch den Rückzug des Staates aus der gesamtwirtschaftlichen Führungsrolle doppelt betrof-fen: Zum einen würden künftige Generationen beim Verzicht auf schul-denfinanzierte Zukunftsinvestitionen etwa in die Umwelt und Bildung

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belastet; zum anderen würden heutige Produktionsmöglichkeiten für Zukunftsinvestitionen zugunsten künftig besserer Produktions- und Lebensbedingungen verschenkt. Schließlich leistet die aktive Finanzpo-litik mit einem Zukunftsinvestitionsprogramm einen Beitrag zur Bin-nennachfrage und senkt damit den Druck auf die Exportexpansion. Allerdings wäre der Staat mit der Aufgabe, die Binnenwirtschaft zu stärken, alleine überfordert. Hinzu kommen muss die Umverteilung zugunsten der Arbeitseinkommen gegenüber den Gewinneinkommen (Primärverteilung).

3.2   Die schwarz-gelbe Finanzpolitik:   Kritik der Steuersenkungspolitik

3.2.1 Widerspruch zwischen pragmatischer, krisenbedingter Schuldenpolitik und massiven Steuersenkungen

Die Große Koalition hat im Herbst 2008 wegen der bedrohlichen Gefahren für die Wirtschaft und die Arbeitsplätze einen respektablen Paradigmenwechsel vollzogen. Das Konjunkturprogramm I wurde mit einem geplanten Volumen von 11,8 Milliarden Euro für die Jahre 2009 und 2010 aufgelegt. Abgesehen von Infrastrukturmaßnahmen sowie der Aufstockung von Programmen der Kreditanstalt für Wie-deraufbau (energieeffizientes Bauen) sind nicht zuletzt die steuerlichen Entlastungen der Unternehmen (degressive Abschreibungen auf 25 Prozent) zu kritisieren. Vor allem aber hat das Bundesverfassungs-gericht durch die Wiedereinführung der alten Pendlerpauschale mit sieben Milliarden Euro Entlastung (wirksam im Jahr 2010) ein wich-tiges Konjunkturprogramm in Gang gesetzt. Mit dem nachgelegten Konjunkturprogramm II sind für die Jahre 2009 und 2010 nochmals mehr als 45 Milliarden Euro eingesetzt worden. Insgesamt überwiegen in diesem Programm die konjunkturstützenden Maßnahmen. Hier sind die „Zukunftsinvestitionen der öffentlichen Hand“ mit einem Gesamtvolumen von 17,3 Milliarden Euro hervorzuheben. Über die Länder fließen daraus den Kommunen Finanzmittel für kleinteilige

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Projekte zugunsten der lokalen Wirtschaft zu. Es war allerdings abzu-sehen, dass die Abwrackprämie nur kurzfristig konjunkturell wirksam werden würde und dadurch Nachfolgeprobleme geschaffen werden. Hinzu kam der so genannte Deutschland-Fonds, aus dem allein 40 Milliarden Euro über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zur Entlastung bei der Fremdfinanzierung der Unternehmenswirtschaft, allerdings unter Nutzung der Hausbanken, zur Verfügung gestellt wurden.

Zusammenfassend läst sich festhalten: Die Große Koalition hat, wenn auch ohne ein in sich schlüssiges Konzept, unter dem Druck der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise verschiedene, durchaus auch zukunftsorientierte Maßnahmen zur Stärkung der Binnenwirtschaft durchgesetzt. Gesamtwirtschaftlich hätte jedoch der Auflage eines mit-telfristig ausgerichteten Zukunftsinvestitionsprogramms der Vorzug eingeräumt werden müssen. Schließlich ist der Anteil des Ausgaben-volumens der beiden Konjunkturprogramme mit einem Prozent am Bruttoinlandsprodukt pro Jahr deutlich niedriger als die Quote von insgesamt 5,6 Prozent (verteilt über mehrere Jahre) in den USA. Die spannende Frage lautet, welches finanzpolitische Regime unter der neu gewählten schwarz-gelben Bundesregierung zu erwarten ist. Der Koalitionsvertrag lässt erkennen, dass sich zwei ziemlich gegensätzliche Konzepte gegenüberstehen.

Zum einen ist die Fortsetzung einer pragmatischen aktiven Finanz-politik zu erkennen. Dies zeigt sich vor allem in der Hinnahme krisen-bedingter Neuverschuldung. Wegen der massiven Belastungen für die Konjunktur wird auf einen Abbau der öffentlichen Nettokreditaufnah-me verzichtet. Dafür steht der für 2010 beschlossene Bundeshaushalt, dessen Zentrum die zugelassene Rekordverschuldung von 80,2 Milliar-den Euro bildet. Allein 43,5 Milliarden Euro gehen auf krisenbedingte Steuermindereinnahmen zurück; außerdem sind 17,4 Milliarden Euro – ebenfalls krisenbedingte – Mehrausgaben eingeplant. Davon entfallen 12,8 Milliarden Euro auf den krisenbedingten Zuschuss an die Bundes-agentur für Arbeit. Allerdings droht der Bundesfinanzminister damit, ab 2011 massive Einsparungen auch zur Schaffung eines Spielraums für Steuersenkungen vorzunehmen. Hier dominiert eine naive Mischung

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aus Einsparwille und Wachstumsoptimismus mit sprudelnden Steuer-einnahmen. Einfluss hat natürlich auch die Absicht, mit dieser Politik Wahlen zu gewinnen.

Zum anderen wird diese pragmatische Finanzpolitik, die die krisen-bedingte Neuverschuldung zulässt, durch eine Steuersenkungspolitik überlagert, die vor allem die FDP fordert. Im Vordergrund steht das neoliberale Dogma: Steuersenkungen vor allem im Unternehmensbe-reich stärken die Wirtschaftsaktivitäten, die am Ende netto zu höheren Steuereinnahmen führen. Die Doktrin von der Selbstfinanzierung steht im Mittelpunkt. Dabei ist – theoretisch fundiert und empirisch be-legt – festzustellen, dass derzeit Steuersenkungen kaum Selbstfinan-zierungseffekte auslösen und deshalb entgegen der erklärten Politik die Staatschulden zunehmen werden. Der Widerspruch zwischen der pragmatischen Finanzpolitik und einer umfassenden Politik der Steuer-senkungen führt am Ende zu schädlichen Kompromissen. Da wird zum einen um den Termin gefeilscht, wann die Steuersenkungen durchge-setzt werden sollen. Zum anderen kommt es zu Kompromissen, die nur als faul charakterisiert werden können. Ein eklatantes Beispiel für einen solchen opportunistischen Kompromiss ist die Senkung des Mehrwert-steuersatzes von 19 auf sieben Prozent in der Beherbergungswirtschaft. Hier scheitern die steuerpolitische Vernunft und die Steuersystematik schlichtweg an den Interessen einer Klientel, die sich politisch durch-zusetzen vermag.

3.2.2 Das „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ – Umverteilung und Schuldenbeschleunigung

In der Debatte um die Steuersenkungspläne ist innerhalb der Bundes-regierung und ihren Parteien eine Kakophonie nicht zu überhören. Dadurch drohen die Fakten verdrängt zu werden. Zu Beginn 2010 sind bereits Steuersenkungen von insgesamt über 22 Milliarden Euro in Kraft gesetzt worden. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus den steuerpolitischen Maßnahmen in den beiden Konjunkturprogrammen mit ca. 14 Milliarden Euro jährlichem Entlastungsvolumen sowie den über acht Milliarden Euro durch das „Wachstumsbeschleunigungsge-

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setz“. Hinzu kommt noch das „Bürgerentlastungsgesetz“ im Bereich der Krankenversicherung, das durch das Bundesverfassungsgericht erzwungen wurde und die verbesserte steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Bereich der Krankenversicherung vorsieht (2010: minus 9,6 Milliarden Euro). Schließlich sieht der Koa-litionsvertrag eine massive Steuerentlastung im Rahmen einer Reform der Einkommensbesteuerung vor, jedoch unter dem Vorbehalt der Fi-nanzierbarkeit. Geplant ist ein Volumen von über 20 Milliarden Euro. Derzeit ist allerdings nicht bekannt, ob der heute geltende Tarifverlauf der Einkommensbesteuerung durch einen Stufentarif mit einem deut-lich niedrigeren Spitzensteuersatz abgelöst werden soll.

Allein ein Blick auf die Einzelmaßnahmen im „Wachstumsbeschleu-nigungsgesetz“ macht deutlich, dass diese Steuersenkungspolitik bis auf wenige Ausnahmen die Unternehmenswirtschaft entlastet, die Ver-mögenden durch die Änderungen der Erbschaft- und Schenkungsteuer bevorteilt und einzelne, allerdings starke Klientelgruppen bedient. Eine intensive Stärkung der Binnenwirtschaft ist in der Gesamtwirkung nicht zu erwarten.

Die einzelnen Maßnahmen des „Wachstumsbeschleunigungsge-setzes“ im Überblick:• Die familienpolitischen Maßnahmen konzentrieren sich auf die

Erhöhung des Kindergeldes um monatlich jeweils 20 Euro (erstes und zweites Kind jeweils 184 Euro, drittes Kind 190 Euro). Der Kinderfreibetrag steigt auf 7.008 Euro. Das angehobene Kindergeld hat durchaus Einfluss auf die Massenkaufkraft. Beim Kinderfrei-betrag konzentriert sich dagegen der Vorteil auf Steuerzahlerinnen und Steuerzahler im Bereich des Spitzensteuersatzes, denn diese erhalten ca. 40 Prozent zusätzliches Kindergeld.

• Kleinere Maßnahmen zur Entschärfung der Eingangsbesteuerung für Lohnbezieherinnen und Lohnbezieher im Konjunkturprogramm II werden durch das „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ ergänzt. 2009 wurde der Eingangssteuersatz von 15 auf 14 Prozent gesenkt. Der steuerfreie Grundfreibetrag wurde 2010 auf 8.004 Euro/16.009 Euro (Ledige/Verheiratete) angehoben. Analog dazu wird durch die Anhebung der Tarifeckwerte um 400 Euro (2009) bzw. 330 Euro

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(2010) auch der normale Spitzensteuersatz (ohne die „Reichen-steuer“) erst ab 52.883 Euro/105.766 Euro (Ledige/Verheiratete) fällig. Insgesamt bewirkt dieser Einstieg in den Ausstieg aus der „heimlichen Progression“ eine leichte Erhöhung der Verdienste nach Abzug der Steuern für untere Lohnsteuerzahlerinnen und -zahler. Allerdings fällt diese Änderung in die richtige Richtung viel zu gering aus. Außerdem darf nicht übersehen werden, dass von diesen Entlastungsmaßnahmen im unteren Bereich der Einkom-mensteuer auch die Spitzenverdienerinnen und -verdiener über die „Grundentlastung“ profitieren. Durch die Verschiebung des gesam-ten Tarifverlaufs – alle Steuersätze werden erst bei einem höheren Einkommen fällig – profitieren höhere Einkommen absolut gesehen sogar stärker als geringe Einkommen.

• Bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer wurde der Steuersatz für Geschwister und Geschwisterkinder (Steuerklasse II) abhängig von der Höhe der Erbschaft von 30 bis 50 Prozent auf 15 bis 43 Pro-zent gesenkt und der lange umstrittene, ohnehin viel zu günstige Kompromiss der Großen Koalition für Firmenerben gelockert. Es kann nun zwischen zwei Optionen entschieden werden: Wird der Betrieb sieben Jahre lang fortgeführt, dann werden 85 Prozent des Betriebsvermögens von der Besteuerung verschont, vorausgesetzt, die Lohnsumme beträgt insgesamt – über sieben Jahre kumuliert – nicht weniger als 650 Prozent der Lohnsumme beim Erbzeitpunkt. Die Steuer wird komplett erlassen, wenn das Unternehmen zehn Jahre lang fortgeführt wird und 100 Prozent der Lohnsumme zum Erbzeitpunkt nicht unterschreitet. Für Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten entfällt die Steuerpflicht. Diese Zugeständnisse bei der Versteuerung der Vermögen im Rahmen von Erbschaften und Schenkungen belasten die Länderhaushalte.

• Für die Unternehmen sind die Maßnahmen zur Gegenfinanzierung für massive Steuersenkungen durch die Große Koalition im Rahmen der Unternehmenssteuerreform weiter ausgehöhlt worden. Das be-trifft vor allem die Körperschaftsteuer und die Einkommensteuer: verbesserte Verlustabzugsmöglichkeiten auch beim konzerninternen Mantelkauf; Befreiung der Konzerne bei Grundstücksverkäufen von

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der Grunderwerbsteuer; Wahlrecht bei Ertragsteuern (Sofortab-schreibung bis 410 Euro oder Poolabschreibung zwischen 150 und 1.000 Euro); Vorteile bei der Funktionsverlagerung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten; Abschwächung der Zinsschranke bei der Gewerbesteuer zur Einschränkung einer steuerbedingten Verla-gerung von Finanzierungsgeschäften ins Ausland. Belastet werden auch die Kommunen im Bereich der Gewerbesteuer: Die steuerlich hinzuzurechnenden Finanzierungsanteile für Mieten, Pachten und Leasingraten bei unbeweglichen Wirtschaftsgütern werden von 65 auf 50 Prozent reduziert.

• Ein steuersystematisch schwerer Fehler ist die Reduktion des Nor-malmehrwertsteuersatzes von 19 Prozent im Übernachtungsgewerbe auf den ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent. Es handelt es sich um ein Steuergeschenk, über dessen Verwendung einzig und allein die Hoteleigentümerinnen und -eigentümer entscheiden. Mit einer Weitergabe in Form von Preissenkungen ist kaum zu rechnen. Auch sind die Nutzung für Investitionskosten und eine bessere Bezahlung des Personals eher die Ausnahme. Wenn jedoch der heutige Brut-topreis pro Übernachtung nicht verändert wird, dann ergeben sich für die Unternehmen, die die Übernachtungskosten als abzugsfähige Vorleistung nutzen, deutliche Nachteile: Im Rahmen des Vorsteu-erabzugs können sie nur sieben Prozent auf den alten Bruttopreis geltend machen. Anstatt die derzeitige Sieben-Prozent-Regelung bei der Mehrwertsteuer von ungerechtfertigten Steuerprivilegien (z.B. beim Verkauf von Zuchtpferden und in der Schnittblumenindustrie) zu befreien, wird für eine Klientelgruppe ein neues Steuerprivileg ge-schaffen. Diese Vorteilsnahme sollte umgehend abgeschafft werden; ihre Rechtfertigung mit den vergleichsweise niedrigen ausländischen Steuersätzen für Beherbergungsdienstleistungen ist unangemessen, denn die Höhe der Mehrwertsteuer entscheidet in den meisten Fäl-len nicht über die Wahl des Hotels. Dieses Steuergeschenk führt zu Einnahmeverlusten von etwa einer Milliarde Euro beim Bund, den Ländern und den Kommunen. Insgesamt liegt derzeit der kommu-nale Anteil am gesamten Mehrwertsteueraufkommen bei rund zwei Prozent.

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Zusammenfassende ökonomische und steuersystematische Bewertung des „Wachstumsbeschleunigungsgesetzes“ 

1. Theoretisch fundiert und empirisch belegt zeigt sich, dass die große Mehrheit der Steuersenkungsmaßnahmen nicht zur Beschleuni-gung des Wirtschaftswachstums führen wird. Eine ausreichende Selbst-finanzierung ist nicht zu erwaren. Da also die Wachstumsimpulse nicht eintreten werden und auf die Einnahmeausfälle nicht unverzüglich mit Einsparungen reagiert werden kann, handelt es sich eher um ein „Schul-denbeschleunigungsgesetz“.

2. Es dominiert eine Bevorteilung der Unternehmenswirtschaft so-wie einiger spezieller Klientelgruppen. Hierfür steht vor allem das Steu-ergeschenk an das Hotelgewerbe. Auch die Vermögenden sind durch die Korrektur des Erbschafts- und Steuerrechts Nutznießer. Eine breite Stärkung der konsumtiven Nachfrage zur Stärkung der Binnenwirt-schaft ist nicht zu erwarten.

3. Über die durch den Bund gesenkten Gemeinschaftssteuern müs-sen die Länder und Gemeinden mit hohen Steuerausfällen rechnen. Allein durch dieses „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ gehen den Ländern pro Jahr 2,3 Milliarden Euro und den Kommunen 1,6 Milli-arden Euro an Steuereinnahmen verloren. Kompensatorische Maßnah-men beispielsweise zugunsten der Kommunen sind nicht vorgesehen. Damit wird deren finanzielle Krise verstärkt. Die Kommunen werden kurzfristig zur Aufnahme von Kassenkrediten gezwungen, und der Druck, Ausgaben im Bereich der Daseins- und Zukunftsvorsorge zu kürzen, nimmt zu.

3.2.3 Selbstfinanzierungseffekte umfangreicher Steuergeschenke – eine Fehlanzeige

Bei der Rechtfertigung der ab 2010 wirksamen Steuersenkungen mit weit über 20 Milliarden Euro sowie der geplanten Reduktion der Ein-kommensteuer durch eine Großreform werden immer wieder Selbst-finanzierungseffekte betont. Dabei geht es um folgende logisch zu un-terscheidende Elemente. Am Beispiel der Senkung des Steuersatzes auf Gewinne von körperschaftsteuerpflichtigen Unternehmen lässt sich die

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Konstruktion des damit verknüpften Selbstfinanzierungseffekts erläu-tern. In der ersten Runde führe die Senkung des Satzes beispielsweise der Körperschaftsteuer zu Steuerausfällen. In einer zweiten Runde, so wird behauptet, steigen deshalb die wirtschaftlichen Aktivitäten und mit diesen die zu versteuernden Gewinne der körperschaftsteu-erpflichtigen Kapitalgesellschaften. Dabei sei der Zugewinn an Steu-ereinnahmen aus dem Gewinnanstieg höher als der Verlust durch die Steuersatzsenkung in der ersten Runde. Dieser Zusammenhang ist auch an der Laffer-Kurve demonstriert worden (vgl. Grafik). Je nach Lage des Ausgangsteuersatzes kann dessen Senkung am Ende über den Einkommensimpuls zu Steuermehreinnahmen führen. For-mal lässt sich der Verlauf der Steuereinnahmen in Form eines auf den Kopf gestellten „U“ wie folgt erklären: Zwischen dem Steuersatz und der wirtschaftlichen Aktivität, die die Bemessungsgrundlage für die Gewinnsteuer bildet, gilt: Wenn der Steuersatz null Prozent ist, dann wird die höchste Wirtschaftsaktivität erreicht; bei einem Steuersatz

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von 100 Prozent schrumpfen die Produktion und damit der Gewinn auf null. Die Steuereinnahmen ergeben sich aus der Multiplikation von Steuersatz und Bemessungsgrundlage, während letztere wiederum von der wirtschaftlichen Aktivität abhängig ist. Nach dem idealtypischen Verlauf gibt es einen Betrag an Steuereinnahmen, der mit einem nied-rigen oder einem hohen Steuersatz zu erreichen ist. Damit ist auch klar, dass durch eine Reduktion der hohen Steuersätze (rechter Verlauf der Laffer-Kurve) höhere Steuereinnahmen zu erzielen sind. Diese Kurve, die Arthur B. Laffer dem damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan auf einer Serviette aufgezeichnet haben soll, wurde zur Grundlage für dessen Steuersenkungspolitik.

Wie empirische Untersuchungen zeigen, ist die Laffer-Kurve eine Modellfiktion. Zwischen den Steuersätzen und den Steuereinnahmen lässt sich dieser Verlauf auch im internationalen Vergleich nicht erken-nen. Dafür gibt es zwei einsichtige Gründe: (1) Nicht der formal-gesetz-liche Steuersatz ist entscheidend. Vielmehr geht es um den effektiven Steuersatz, bei dem die vielen Möglichkeiten der Verkleinerung des zu versteuernden Einkommens zu berücksichtigen sind. (2) Steuern dürfen nicht nur als Kostenfaktor der Unternehmen gesehen werden. Schließlich profitieren Unternehmen auch von steuerfinanzierten Aus-gaben. Zur Bewertung von Steuern müssen immer auch die positiven Rückwirkungen der damit finanzierten staatlichen Ausgaben für Un-ternehmen berücksichtigt werden.

Daher kann es nicht überraschen, dass die Selbstfinanzierungsef-fekte sich mit den meisten empirischen Untersuchungen nicht nach-weisen lassen. Als Ronald Reagan 1981 den Spitzensteuersatz auf die Einkommen von 70 auf 28 Prozent reduzierte („Reagonomics“), wuchs nachfolgend das Bruttoinlandsprodukt anstatt um 2,8 Prozent im Schnitt um 3,2 Prozent. Allerdings wurde die Steuersenkung mit expansiven Ausgabenprogrammen vor allem für die Rüstung beglei-tet. In Deutschland lässt sich folgender Zusammenhang beobachten: Die Senkung der Unternehmenssteuern seit 2001 – insbesondere die Körperschaftsteuer auf einheitliche 15 Prozent – hat sich nicht selbst finanziert, sondern zu Steuerausfällen geführt, die ihrerseits die Staats-verschuldung nach oben getrieben haben (vgl. Grafik).

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Eine OECD-Studie für Europa zeigt, dass die Steuersenkungen nach 1980 weniger Wachstum auslösten als in den Jahren davor. Die Ursache könnte in der Ausbreitung der offenen Volkswirtschaften so-wie in der Zunahme der Sparquote privater Haushalte im einkom-mens- und vermögensstarken Bereich liegen. Finanzwissenschaftliche Untersuchungen schätzen die Selbstfinanzierungseffekte auf 20 bis 50 Prozent, d.h. die öffentlichen Einnahmen sinken durch die Senkung der Steuersätze um 50 bis 80 Prozent. Mit Steuersenkungen sind also wachsende Staatsschulden und/oder Einschnitte bei den Staatsausga-ben vorprogrammiert. In Deutschland gilt es, die Aufteilung der Ver-

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luste auf die Ebenen der Gebietskörperschaften zu beachten. Wegen der föderalen Verteilung belastet deren Reduzierung immer auch die Handlungsfähigkeit der Länder und Kommunen. Letztere sind dabei stets doppelt betroffen: Erstens reduzieren sich die direkten Steuerein-nahmen, zweitens kürzen die Länder bei Mindereinnahmen häufig die Zuschüsse an die Kommunen.

3.3   Alternative Finanzpolitik: Wirtschaft, Arbeit, Umwelt   nachhaltig gestalten 

3.3.1 Das Alternativprogramm im Überblick

Nicht erst die jüngste Wirtschafts- und Finanzkrise lehrt: Politik muss eine Führungsrolle bei der wettbewerblichen, ökologischen und sozi-alen Bändigung der vermachteten Konkurrenzwirtschaft spielen. Dies erfordert immer wieder eine Begründung der Aufgaben staatlicher Politik. Wie die positiven Erfahrungen ansatzweise zeigen, muss der Staat seine gesamtwirtschaftliche Verantwortung vor allem durch die Auflage von Zukunftsinvestitionsprogrammen übernehmen. Zugleich gilt es, die durch die Märkte nicht oder nur unzureichend verfügbar gemachten öffentlichen Güter und Dienstleistungen zu organisieren und ohne soziale Diskriminierung anzubieten. Darüber hinaus muss der Staat die abhängig Beschäftigten gegenüber ökonomischen Risiken schützen, die sie nicht verschuldet haben und auch individuell nicht verarbeiten können. Alle Staatsfunktionen sind dem Ziel der ökolo-gischen Nachhaltigkeit unterzuordnen. Schließlich muss die Finanzie-rung der Staatsaufgaben gesichert werden.

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik legt in diesem ME-MORANDUM erneut ihr steuerpolitisches Konzept vor. Angesichts der neoliberal angehauchten Steuersenkungspolitik – verbunden mit der Verbreitung von Illusionen über die Selbstfinanzierungseffekte – ist es wünschenswert, dass diese Alternativen zu einer intensiven Diskussion führen. Schließlich wird ein Notprogramm zur Vermeidung des finan-ziellen Kollapses der Kommunen vorgelegt.

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Zuvor soll an dieser Stelle auf zwei finanzpolitisch wichtige Themen eingegangen werden:

1. Plädiert wird für die Auflage eines mittelfristig ausgerichteten Zukunftsinvestitionsprogramms. Dafür sprechen die folgenden Grün-de: Die konjunkturelle Entwicklung ist nach dem Absturz sehr labil. Weil die beiden Konjunkturprogramme auslaufen, erhöhen sich die Risiken der Binnenwirtschaft. Um jedoch die Maßnahmen zielorientiert zu bündeln und auf die Bedienung von Klientelinteressen zu verzichten, ist ein mittelfristiges Zukunftsinvestitionsprogramm mit einem jähr-lichen Volumen von 110 Milliarden Euro vorzulegen, dessen Finan-zierung seriös sein muss. Vom Gesamtvolumen sollten 75 Milliarden Euro in öffentliche Investitionen, 18 Milliarden Euro in die öffentliche geförderte Beschäftigung und die Unterstützung von Arbeitszeitver-kürzungen sowie 17 Milliarden Euro in die Förderung des Konsums durch die Anhebung der Sätze des Arbeitslosengeldes II fließen (vgl. Kurzfassung und ausführlich MEMORANDUM 2009).

Das Programm soll zunächst vollständig und dann abnehmend über eine höhere Neuverschuldung finanziert werden. Mit der Umsetzung dieses Konzepts für Steuergerechtigkeit – also auch durch die Nutzung neuer Steuern – und der Generierung von Wachstumseffekten in zu-kunftsträchtigen Produktionsfeldern wird die Finanzierung perspekti-visch vollständig aus den Steuereinnahmen des Staates ermöglicht.

Die Instrumente zur Finanzierung auf der Basis von Steuern werden im nachfolgenden Abschnitt erläutert. Jedoch sollte auch kontrolliert das Instrument der öffentlichen Neuverschuldung eingesetzt werden. Ein Zukunftsinvestitionsprogramm ist eine klare Alternative zur gefor-derten umfangreichen Steuersenkungen zur Entlastung der Wirtschaft sowie der Vermögenden und Einkommensstarken.

2. Die Große Koalition hatte mit der Schuldenbremse eine schwe-re Fehlentscheidung zu verantworten, die mit der grundsätzlichen Fehlentscheidung der schwarz-gelben Bundesregierung für Steuersen-kungen vergleichbar ist. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspo-litik wiederholt deshalb ihre Forderung nach einer Abschaffung dieser mechanistischen Schuldendeckelung (siehe MEMORANDUM 2008, Kapitel 4). Es muss darum gehen, die öffentliche Nettokreditaufnah-

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me institutionell streng kontrolliert und funktional begründet wieder nutzbar zu machen. Die Schuldenbremse war der kleinste gemeinsame Nenner beim Projekt „Föderalismus II“. Statt das Gesamtsystem des föderalen Finanzausgleichs zu reformieren, ist die mechanistische und populistische Begrenzung der Neuverschuldung übrig geblieben. Da-nach dürfen sich die Bundesländer ab 2019 nicht mehr neu verschulden. Fünf Länder, die gegenüber dem Durchschnitt als finanzkraftschwach eingeordnet werden, erhalten zum Erreichen der Nullverschuldungs-phase pro Jahr 800 Millionen Euro – also insgesamt 7,2 Milliarden Euro – als Konsolidierungshilfe. Mittlerweile haben alle Länder damit begonnen, im Rahmen der finanzpolitischen Planung einen Pfad in Richtung Abbau der Neuverschuldung zu konzipieren. Dadurch erhöht sich der Druck auf die Länderhaushalte, die Ausgaben mangels einträg-licher Maßnahmen zur Einnahmeerhöhung zu kürzen. Die Schwächung der Binnenwirtschaft ist die Folge. Der Bund muss dagegen bis 2016 seine strukturelle Neuverschuldung auf 0,35 Prozent des Bruttoinlands-produkts zurückführen. Von der heutigen Neuverschuldung mit über 80 Milliarden Euro ist eine Reduktion auf etwa acht Milliarden Euro bis 2016 zu erreichen. Wenn Steuererhöhungen ausgeschlossen werden, lässt sich dieses Ziel ab dem Jahr 2011 nur mit rigorosen Einsparungen im Ausgabenbereich erreichen. Konjunkturell verbleibt dem Bund ein allerdings viel zu kleines Fenster der Neuverschuldung. Im Abschwung aufgenommene Kredite müssen im Aufschwung wieder getilgt werden. Die Berechnung der Abweichung von der Normallage geschieht über eine Formel, die von der zu schätzenden Produktionslücke ausgeht.

Diese den Bundesländern verordnete Schuldenbremse ist verfas-sungsrechtlich bedenklich. Wegen des Verlustes der Haushaltsauto-nomie hat der Landtag Schleswig-Holsteins eine Verfassungsklage erhoben.

Auch gesamtwirtschaftlich verhindert die Schuldenbremse den allokativ, makroökonomisch und intergenerativ verantwortbaren Einsatz der öffentlichen Neuverschuldung. Allokativ ist es sinnvoll, Investitionen mit Ertragswirkungen in späteren Jahren nicht kom-plett über ordentliche Einnahmen zu finanzieren. Makroökonomisch ist eine antizyklische Finanzpolitik richtig, wie der Einsatz gegen die

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jüngste Krise zeigt; schließlich profitieren nachfolgende Generationen von Wohlstandswirkungen einer besseren Umwelt. Bei öffentlichen Investitionen ist den davon profitierenden kommenden Generationen eine Finanzierungsbeteilung über die Staatsverschuldung durchaus zu-zumuten. Künftig müssen allerdings die Zinsen auf die Staatsschulden finanziert werden, um diese an die Gläubiger weiterzugeben. Insoweit müssen die nächsten Generationen den Verteilungskonflikt zwischen denjenigen, die den Kapitaldienst über die öffentlichen Haushalte be-zahlen, und jenen, die als Eigentümer von Staatstiteln Einkommen erhalten, organisieren.

3.3.2 Grundzüge und Elemente des Steuersystems der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik hat über viele Jahre aus der Kritik an der vorherrschenden Steuerpolitik die Grundlagen und Elemente eines alternativen Steuersystems entwickelt, die den auf dieser Basis kritisierten Vorschlägen der schwarz-roten Bundesregie-rung gegenübergestellt werden.

Elemente alternativer SteuerpolitikDer Politik der allokativ, distributiv und gesamtwirtschaftlich schäd-lichen Steuersenkungen durch die Bundesregierung stellt die Arbeits-gruppe Alternative Wirtschaftspolitik eine nachhaltige Reform der Besteuerung gegenüber. Die grundlegenden Anforderungen an dieses alternative Steuersystem sind:• Die Finanzierbarkeit der Staatsaufgaben im Prinzip sichern.• Die Last der Steuern nach dem Prinzip der ökonomischen Leistungs-

fähigkeit, die durch laufende Einkommen sowie Vermögen definiert wird, gerecht verteilen.

• Den gesamtwirtschaftlichen und ökologischen Anforderungen Rechnung tragen.

• Eine einheitliche, von der Rechtsform unabhängige Besteuerung der Unternehmen realisieren.

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• Internationale Finanztransaktionen durch eine spezielle Steuer re-gulieren.

• Steuerbetrug konsequent verhindern – auch durch das Austrocknen der Steueroasen – und die Wirtschaftskriminalität bekämpfen.

Die Instrumente im Einzelnen • Beim Tarifverlauf der progressiven Einkommensteuer wird der Spit-

zensteuersatz auf 48 Prozent ab einem zu versteuernden Einkommen von 60.000 Euro angehoben. Der steuerfreie Grundfreibetrag wird mit 8.000 Euro fixiert. Vom Eingangssteuersatz mit 14 Prozent aus steigt der Grenzsteuersatz linear bis zum Spitzensteuersatz von 48 Prozent an. Statt die Kapitaleinkommen mit 25 Prozent abzugelten, unterliegen alle Einkunftsarten einheitlich dem Tarifverlauf. Bei Dividenden wird wieder eine Vollanrechnung bei der Ermittlung der Einkommensteuerschuld vorgesehen. Das derzeit immer noch gel-tende Ehegattensplitting, das Alleinverdienerinnen und -verdiener innerhalb der Familie im Bereich des Spitzensteuersatzes bevorteilt, ist – abgesehen von der Einrichtung von Übergangsregeln – abzu-schaffen.

• Der Körperschaftsteuersatz wird von derzeit 15 Prozent auf 30 Prozent angehoben. Zusammen mit der zu einer Gemeindewirt-schaftsteuer umgebauten Gewerbesteuer ergibt sich ein Steuersatz von durchschnittlich 40 Prozent. Einkommensteuerpflichtige Unter-nehmen können den größten Teil der Gemeindewirtschaftsteuer bei der Ermittlung der Steuer absetzen. Dadurch ergibt sich unabhängig von der Rechtsform eine angemessene steuerliche Gleichbehandlung der Unternehmen.

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik unterbreitet zur Stärkung der Steuereinnahmen der Kommunen erneut ihren Vor-schlag, die Gewerbesteuer durch eine Gemeindewirtschaftsteuer zu ersetzen. Diese Gemeindewirtschaftsteuer ist eine eigenständige Steuer der Kommunen mit dem Recht, den Hebesatz festzulegen. Alle Un-ternehmen, die von den Leistungen der Kommune profitieren, sind steuerpflichtig. Deshalb unterliegen auch die Selbstständigen sowie

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die Freiberuflerinnen und Freiberufler dieser Steuer. Um den Verzicht auf diese Steuer im Konkurrenzkampf der Kommunen zu vermeiden, bleibt es beim Mindesthebesatz von 200. Die Steuerbasis ist der Ge-winn aller Unternehmen, die von kommunalen Leistungen profitieren. Besteuert wird der gesamte Ertrag. Die Entgelte für betrieblich ge-nutztes Kapital – wie Dauerschuldzinsen und die Finanzierungsanteile für Mieten, Pachten, Lizenzen, Leasingraten – werden zum im Rah-

Einheitliche Unternehmensbesteuerung im Überblick

• Personengesellschaften und Einzelunternehmen unterliegen der Einkommensteuer mit einem Spitzensteuersatz von 48 Prozent (plus Solidaritätszuschlag in Höhe von 5,5 Pro-zent auf den Spitzensteuersatz, das sind plus 2,64 Prozent-punkte).

• Die proportionale Satz der Körperschaftsteuer auf die Ge-winne der Kapitalgesellschaften beträgt 30 Prozent (plus Solidaritätszuschlag in Höhe von 5,5 Prozent auf den Steu-ersatz von 30 Prozent, das sind plus 1,65 Prozentpunkte).

• Die Gemeindewirtschaftsteuer, die die Gewerbesteuer ersetzt, ist bei einkommensteuerpflichtigen Unternehmen von der Einkommensteuer abzugsfähig. Damit werden die Kapitalge-sellschaften der Besteuerung des einkommenssteuerpflichti-gen Unternehmens (beim Spitzensteuersatz) gleichgestellt.

• Bei der Bemessungsgrundlage für die Gemeindewirtschaft-steuer sind alle Zinsen sowie die Finanzierungsanteile aus Mieten, Pachten, Leasing und Lizenzgebühren voll zu be-rücksichtigen.

• Die periodennahe Besteuerung der Gewinne wird durch eine Mindestbesteuerung sichergestellt. Nur 40 Prozent (bisher 60 Prozent) der früheren Verluste dürfen mit laufenden Ge-winnen verrechnet werden.

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men der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer ermittelten Gewinn hinzugerechnet. Der Steuersatz auf den erweiterten Ertrag beträgt drei Prozent. Vorzusehen ist ein Freibetrag von 30.000 Euro, der bis zu einem Ertrag von 60.000 Euro wieder abgeschmolzen wird. Für Unternehmen, die der Einkommensteuer unterliegen, reduziert sich die Einkommensteuerlast durch den Abzug der Gemeindewirtschaftsteuer über die Anrechenbarkeit des Steuermessbetrags mit dem 3,8-Fachen bei der Ermittlung der Einkommensteuer. Damit werden die meisten einkommensteuerpflichtigen Unternehmen von der Gemeindewirt-schaftssteuer befreit. Dadurch wird die Angleichung des Steuersatzes zwischen Kapitalgesellschaften und einkommensteuerpflichtigen Un-ternehmen erreicht. Die derzeitige Gewerbesteuerumlage, die dazu führt, dass ca. 19 Prozent an den Bund (4,6 Prozent) und die Länder (14,4 Prozent) fließen, wird abgeschafft. • Der Anteil der Mehrwertsteuer am gesamten Steueraufkommen

liegt mittlerweile mit 33 Prozent vor dem Lohnsteueranteil an der Spitze. Der Trend zu einer Verschiebung von der direkten zur indi-rekten Besteuerung nimmt in den letzten Jahren kontinuierlich zu. Die von der Großen Koalition 2007 in Kraft gesetzte Erhöhung des Normalsteuersatzes von 16 Prozent auf 19 Prozent hat diesen Trend verschärft. Umso wichtiger ist es, diese an der Nettowertschöpfung über den Vorsteuerabzug ausgerichtete Besteuerung des privaten Konsums zu reformieren. Wie in anderen Ländern sollten wichtige Güter und Dienstleistungen zur Existenzsicherung – soweit das heu-te noch nicht der Fall ist – dem ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent unterzogen bzw. überhaupt nicht besteuert werden („un-echte“ Besteuerung durch steuerbefreite Umsätze). Damit kann der regressiven Belastungswirkung, also einer relativ hohen Belastung unterer Einkommensgruppen, entgegengewirkt werden. Denn nach den Daten aus der Einkommens- und Verbraucherstichprobe von 2003 werden – bezogen auf das verfügbare Einkommen – die un-teren fünf Prozent der Nettoeinkommensbezieher mit neun Prozent belastet, während die oberen fünf Prozent der Einkommenshierar-chie lediglich eine Belastung von 4,5 Prozent zu tragen haben.

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik schlägt eine

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rigorose Überprüfung der derzeit dem ermäßigten Steuersatz un-terzogenen Umsätze vor. Denn hier gibt es heute viele nicht mehr zu rechtfertigende Privilegierungen (etwa bei den Umsätzen für Schnittblumen und Tiernahrung). Der dem Beherbergungsgewerbe seit 2010 eingeräumte ermäßigte Steuersatz von sieben Prozent ist ersatzlos zu streichen. Dagegen sollten Arzneimittel, bei denen der Eigenanteil an der Finanzierung– über die Bagatellpräparate auch bei Einkommensschwachen – zunimmt, sollten nicht mit 19 Pro-zent, sondern mit sieben Prozent versteuert werden. Auch Dienst-leistungen des Handwerks zur Stärkung dieses Bereichs sollten nur noch mit sieben Prozent versteuert werden. Und schließlich müssen wirksame Maßnahmen gegen die Steuerhinterziehung im Rahmen des Vorsteuerabzugs von Unternehmen – etwa durch Karussellge-schäfte – vorgenommen werden. Denn das Potenzial an Missbrauch mit der Mehrwertsteuer durch grenzüberschreitende Umsätze von Unternehmen wird auf über 15 Milliarden Euro geschätzt.

• Die seit 1997 ruhende Vermögensteuer sollte für private Haushalte oberhalb eines Freibetrags sowie im Unternehmenssektor umgehend reaktiviert werden. Die ökonomische Leistungsfähigkeit ist nicht nur von den laufenden Einkommen, sondern auch von den Vermögens-beständen abhängig. Die Vermögenskonzentration verlangt, dass eine Besteuerung erfolgt. Die Einnahmen aus dieser Vermögensteuer dienen der Finanzierung wichtiger öffentlicher Aufgaben. Entspre-chend dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1995 wurde der größte Teil der Bevorteilung des Immobilienvermögens (einschließlich Grund und Boden) wegen der gegenüber den Markt-werten teils unter der Hälfte liegenden Einheitswerten im Vergleich zum Geldvermögen aufgehoben. Im Vordergrund steht statt der früher eingesetzten Einheitswerte jetzt eine marktnahe Bewertung der Immobilien sowie von Grund und Boden.

Bei der Wiedereinsetzung der Vermögensteuer sind folgende Eck-werte zu berücksichtigen: Der Steuersatz beträgt ein Prozent und ist fällig ab einem Vermögen von 500.000 Euro. Bei den Einnahmen aus der Vermögensteuer werden ca. 14 Milliarden Euro erwartet. Zur Ermittlung der marktnahen Werte für Immobilien, Grund und

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Boden lassen sich durchaus unbürokratische und kostenminimie-rende Verfahren auf elektronischer Basis anwenden.

• Die Erbschaft- und Schenkungsteuer muss dringend reformiert wer-den. Steuersystematisch begründet sich diese Besteuerung durch den Eigentumswechsel, der einen leistungslosen Zufluss von Ver-mögen darstellt. Mit der Besteuerung soll auch eine Umverteilung der Vermögen erreicht werden. Den Vorgaben des Bundesverfas-sungsgerichts, bei den Immobilien sowie beim Grund und Boden künftig nicht mehr die viel zu niedrigen Einheitswerte, sondern mindestens 80 Prozent des Verkehrswerts anzusetzen, ist mittler-weile entsprochen worden. Die derzeitigen persönlichen Freibe-träge sowie die nach Verwandtschaftsgrad und Vermögenshöhe vorgenommene Staffelung der Steuersätze fallen sehr günstig aus. Deshalb sind die viel zu hohen persönlichen Freibeträge, vor allem in der Steuerklasse I (unmittelbare Verwandte), zu senken sowie der Spitzensteuersatz von derzeit 30 Prozent (Steuerklasse I), der ab zu einem versteuernden Erbe von 25 Millionen Euro einsetzt, zu erhöhen.

Die durch die Bundesregierung betriebene steuerliche Sonder-behandlung der Vererbung bzw. Schenkung eines Unternehmens bei Betriebsfortführung wird von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik abgelehnt. Konkret geht um den Vorschlag, die auf das produktive Vermögen entfallende Erbschaftsteuer bei Be-trieben, die weitergeführt werden, für zehn Jahre zinslos zu stunden und um die Freigrenze für Betriebsvermögen in Höhe von 100.000 Euro. Eine solche Privilegierung der Erben bzw. Nutznießer von geschenktem Betriebsvermögen ist insbesondere bei erfolgreichen Unternehmen ungerechtfertigt. Dadurch würde die Ungleichbe-handlung der Vermögen erhöht, und es würden Gestaltungsanreize gesetzt, diese neue Steuervergünstigung auszunutzen.

• Zur Eindämmung hoch spekulativer Finanztransaktionen, die maßgeblich die jüngste Finanzmarktkrise vorangetrieben haben, muss endlich eine Finanztransaktionsteuer durchgesetzt werden, die über die nur auf Devisentransaktionen bezogene Tobin-Steuer hinausgeht. Wie der G20-Gipfel in London und Pittsburgh in 2009

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gezeigt hat, sind die Chancen für die Realisierung günstig. Das WiFo-Institut in Wien hat die Einnahmen bei unterschiedlichen Steuersätzen geschätzt. Selbst bei einem geringen Steuersatz von 0,1 Prozent ließen sich für Deutschland auf der Basis der Transakti-onsdaten von 2007 Einnahmen im Umfang von 27 Milliarden Euro mobilisieren. Dabei ist der durch diese Steuer induzierte Rückgang der Finanztransaktionen geschätzt und berücksichtigt. Sicherlich ist es wichtig, diese Transaktionsteuer für die Mitgliedsstaaten der G20-Gruppe gleichermaßen zu erheben. Deshalb gilt es, diese Ak-tivitäten zu unterstützen. Allerdings ist ein deutscher Alleingang, der Nachahmer auslösen würde, durchaus machbar.

3.4   Gegen den Kollaps: Ein Sofortprogramm   für die Kommunen 

Anfang Februar 2010 schlug der Deutsche Städtetag zum wiederhol-ten Mal Alarm: Die Finanzprobleme spitzen sich dramatisch zu. Die Zahl der Städte, die vor dem Kollaps stehen, steigt. Die schrump-fenden Einnahmen einerseits und die auf die Kommunen abgewälzten sozialen Krisenkosten andererseits führen zu einer dramatischen Zu-spitzung der Haushaltsnotlage. Die meisten Kommunen werden zu weiteren Einsparungen vor allem im Bereich der Daseinsvorsorge und der zukunftsorientierten Infrastrukturinvestitionen gezwungen. Die durch das Grundgesetz in Art. 28, Abs. 2 garantierte fiskalische Souveränität, die die Basis der Selbstverwaltung bildet, ist in vielen Kommunen nicht mehr gesichert.

Die Fakten Die Entwicklung der Eckwerte der kommunalen Haushalte sind ein-deutig:• In diesem Jahr ist mit einem Rekorddefizit von zwölf Milliarden

Euro zu rechnen (nach einem Fehlbetrag in Höhe von 4,45 Milli-arden Euro im Jahr 2009). Weitere Defizite sind in den Folgejahren zu erwarten. Dieser höchste negative Finanzierungssaldo seit dem

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Bestehen der Bundesrepublik Deutschland lässt die Kassenkredite auf knapp 34 Milliarden Euro explodieren. Während Kassenkredite zur Überbrückung vorübergehender Liquiditätsengpässe haushalts-rechtlich vorgesehen sind, sehen sich notleidende Städte gezwungen, gegen das geltende Recht die Differenz zwischen Ausgaben und regelmäßigen Einnahmen zu finanzieren.

• Vor allem die Steuereinnahmen der Kommunen sind massiv ein-gebrochen. Seit 2008 sind zehn Milliarden Euro weniger an Ein-nahmen aus Steuern erzielt worden. Eine Kompensation über die Gebühren und sonstigen Einnahmen, die sich zwischen 2008 und 2010 kaum verändert haben, ist nicht möglich. Gegenüber dem Vorjahr schrumpften die laufenden Zuweisungen der Länder und des Bundes um 1,6 Milliarden Euro auf 51,8 Milliarden Euro im Jahr 2010.

Nach Schätzungen des Deutschen Städtetags sind die Einnah-meausfälle bei der Gewerbesteuer besonders hoch. Die netto nach Abzug der Gewerbesteuerumlage bei den Kommunen verbleibende Gewerbesteuer ist seit 2008 um 6,5 Milliarden Euro auf 24,65 Mil-liarden Euro im Jahr 2010 geschrumpft. Von den 29,7 Milliarden Euro an Bruttogewerbesteuereinnahmen im Jahr 2010 werden etwa fünf Milliarden Euro im Rahmen der Gewerbesteuerumlage an die Länder und den Bund fließen. Zwischen den Kommunen ergibt sich ein differenziertes Bild, das maßgeblich von der Betroffenheit durch die Wirtschafts- und Finanzkrise geprägt ist. Während in Nürnberg die Gewerbesteuer zwischen 2008 und 2010 um 13,2 Prozent schrumpfte, sind es in Wolfsburg 43 Prozent, in Frankfurt am Main 25,4 Prozent und in Hannover 22,1 Prozent.

Darüber hinaus ist die Entwicklung der kommunalen Einnah-men aus Gemeinschaftssteuern aufschlussreich. Im Rahmen der Beteiligung an der Umsatzsteuer mit rund zwei Prozent hat sich dieses kommunale Aufkommen kaum verändert. Allerdings wird das Steuergeschenk an die Beherbergungsbranche durch Verluste bei der Umsatzsteuer für die Kommunen spürbar werden. Dagegen sind die Verluste an Einnahmen aus der Beteiligung mit 15 Prozent an der Einkommensteuer erheblich. Zwischen 2008 und 2010 schrumpfte

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diese Finanzierungsquelle um mehr als vier Milliarden Euro. Hier schlagen sich die Maßnahmen zur Senkung der Einkommensteuer nieder.

• Gegenüber den schrumpfenden Einnahmen haben die Ausgaben zugenommen. Triebkraft sind die Ausgaben für soziale Leistungen, die zwischen 2008 und 2010 um über drei Milliarden Euro an-steigen werden. Hier schlagen sich die wachsenden Kosten für die Unterkunft bei ALG-II-Empfängerinnen und -empfängern, zuneh-mende Eingliederungsbeihilfen sowie die Anforderungen aus der Grundsicherung im Alter nieder. Dieser Belastungsanstieg belegt die These von der beschleunigten Kommunalisierung der sozialen Krisenkosten.

Die Ausgaben für Sachinvestitionen haben seit 2008 um knapp vier Milliarden Euro zugenommen. Ursache sind die Konjunkturpa-kete, die ein deutliches Plus von 14,2 Prozent im Jahr 2010 erwarten lassen. Allerdings nehmen die regulären Investitionen außerhalb des Konjunkturpakets infolge der kommunalen Haushaltskrise im Jahr 2010 erneut ab.

Die UrsachenDie kommunale Finanzkrise ist auf zwei Ursachenbündel zurückzu-führen: Ein Grund liegt in der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise. Mit sinkenden Gewinnen sowie der schwachen Entwicklung der Erwerbs-einkommen sind die darauf erhobenen Steuern – insbesondere die Ge-werbesteuer – geschrumpft. Überlagert wird dieser Einnahmeverlust durch politisch durchgesetzte Maßnahmen zur Steuerentlastung. Diese Politik auf der Ebene des Bundes, die mit Zustimmung der Länder betrieben wird, wird durch Rechtsänderungen bei der Gewerbesteuer sowie den Gemeinschaftssteuern, an denen die Kommunen beteiligt sind (Einkommen- und Umsatzsteuer), in die kommunalen Haushalte transportiert. Die steuerlichen Maßnahmen im Konjunkturpaket I und II, das Bürgerentlastungsgesetz für die Krankenversicherung sowie das „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ führen bei den Kommunen zu Steuerverlusten von insgesamt knapp fünf Milliarden Euro.

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Die FolgenDieser bundespolitisch stark beeinflusste Anstieg des Finanzierungs-defizits, der die rechtlich nicht zulässigen Kassenkredite ansteigen lässt, zwingt viele Kommunen zu einschneidenden Maßnahmen. In einigen Gemeinden werden die Hundesteuer, die Hebesätze auf die Gewerbesteuer und die Grundsteuer erhöht oder die Zweitwohnungs-steuer eingesetzt. Da sich bei der Anhebung von Gewerbesteuern und Grundsteuern die Kommunen oftmals zurückhalten, konzentrieren sie die Notpolitik auf die Ausgabenseite. In vielen Kommunen wird umfassend Personal abgebaut. Öffentliche Leitungsangebote werden gekürzt oder ganz gestrichen, und die Nutzungsentgelte werden ver-teuert. Dies trifft Bereiche der Daseinsvorsorge: Es gibt Einsparungen bei Schulen, Schwimmbädern und Theatern, höhere Straßengebühren sowie Kürzungen bei Zuschüssen für Tochterunternehmen. Betroffen ist auch das Angebot des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Bei Kindertagesstätten und dem Angebot an Hortplätzen wird Perso-nal eingespart; die Beiträge für die Eltern werden erhöht. Zu Recht klagen die Kommunalverbände, dass die Städte und Gemeinden die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung ab 2013 finan-ziell nicht werden einlösen können. Aber auch bei wichtigen Zukunft-sinvestitionen müssen viele Kommunen passen. Eine Erleichterung haben allerdings die Mittel für öffentliche Investitionen aus dem Kon-junkturprogramm II gebracht. Allerdings wird nach Auslaufen dieser Stützungsmaßnahmen die kommunale Investitionstätigkeit wieder einbrechen.

Das Sofortprogramm zur fiskalischen Rettung der Kommunen Die Wiederherstellung der verfassungsrechtlich garantierten fiska-lischen Souveränität der Kommunen, die der Demokratie vor Ort und damit der Selbstverwaltung dienen, ist derzeit die vorrangige Aufgabe im föderalen Bundesstaat. Dazu gehören die Stärkung der eigenstän-digen Steuerbasis, ein Verbot von Gesetzen des Bundes zulasten der Kommunen sowie eine Rückverlagerung der den Kommunen aufge-lasteten Krisenkosten. Der Bundesfinanzminister plant die Schaffung einer Kommission zu den Gemeindefinanzen. Leider sind in den letzten

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Jahren vergleichbare Versuche total gescheitert. Dennoch sollte ein neuer Versuch, zu einer aufgabenadäquaten fiskalischen Sicherung der Gemeinden zu kommen, unbedingt unternommen werden. Dabei muss am Ende jedoch eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen vereinbart werden. Das durch die Arbeitsgruppe Alternative Wirt-schaftspolitik hier erneut unterbreitete Konzept einer eigenständigen Gemeindewirtschaftsteuer sollte unbedingt in die Entscheidungen über eine große Reform der kommunalen Finanzen aufgenommen werden. Bis jedoch zeitaufwändige Entscheidungen getroffen werden, brauchen die Kommunen ein Sofortprogramm, um den auch politisch gefährlichen Kollaps zu verhindern. Folgende Eckpunkte eines Sofort-programms, das im politischen Entscheidungsprozess schnell umsetz-bar ist, werden von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik dazu vorgeschlagen:• Weitere Pläne zu erneuten Steuersenkungen zulasten der Gemeinden

sind bis zur nachhaltigen Sanierung der Gemeindefinanzen einzu-stellen. Die Einnahmenverluste bei der Gewerbesteuer zeigen, „dass diese wichtigste städtische Steuer keine weiteren Eingriffe verträgt, sondern eher einer Stabilisierung bedarf“ (Petra Roth, Oberbürger-meisterin von Frankfurt am Main und Präsidentin des Deutschen Städtetages).

• Der Bund sollte nach den Konjunkturprogrammen I und II das mit-telfristige Zukunftsinvestitionsprogramm realisieren. Dabei stehen Ausgaben für kommunale Infrastrukturinvestitionen im Vorder-grund. Implementierungsfähige, sinnvolle Projekte gibt es bei Kom-munen zuhauf. Zusätzlich sollte die Sanierung von Kanalsystemen, die bisher aus den Konjunkturprogrammen ausgeschlossen wurden, aufgenommen werden. Vorstellbar wäre ein dem Zukunftsinvesti-tionsprogramm (ZIP) von 1978 vergleichbarer Fonds, bei dem die Kommunen direkt Anträge für Infrastrukturprojekte stellen kön-nen.

• Die Gewerbesteuerumlage, die jährlich im Umfang von etwa fünf Milliarden Euro den Kommunen zugunsten des Bundes (20 Prozent) und der Länder (80 Prozent) entzogen wird, sollte abgeschafft, ersatzweise zumindest ausgesetzt werden.

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• Die Kommunen müssen von den auch mit der Krise wachsen-den Sozialausgaben, die ihnen in den letzten Jahren zugerechnet wurden, schleunigst entlastet werden. Dies betrifft bei steigender Langzeitarbeitslosigkeit die explodierenden Kosten der Unter-kunft für ALG-II-Bezieherinnen und -bezieher. Andere Leistungen wie die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung sowie die Grundsicherung im Alter sind vom Bund und den Ländern zu übernehmen. Ziel muss es sein, den Trend der Kommunalisierung sozialer Kosten im Bundesstaat umzukehren.

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4   Bewältigung der Banken- und   Finanzmarktkrise

Die Krise des deutschen Finanzsystems ist keineswegs überwunden. Zwar ist es durch wirtschaftspolitische Maßnahmen gelungen, den Kollaps zu verhindern. Die Ursachen der tief greifenden Krise wur-den jedoch nicht beseitigt. Vielmehr haben die Banken – aber auch einzelne Managerinnen und Manager – die Erfahrung gemacht, dass im Ernstfall der Staat die Haftung für ihre kostenträchtigen Fehl-entscheidungen übernimmt. Tatsächlich ist es im Zuge der Stabili-sierungsmaßnahmen zu (Teil-)Verstaatlichungen gekommen. Neue Geschäftsmodelle für Kreditinstitute wurden jedoch kaum entwickelt. Vielmehr zielen die bisherigen Politikmaßnahmen in erster Linie auf eine Wiederherstellung des Vorkrisensystems.

Die ungelösten Probleme der Vergangenheit verbauen die Möglich-keiten für die Etablierung eines nachhaltig stabilen Finanzsektors, der notwendige Finanzdienstleistungen anbietet, risikoreiche Spekulati-onen vermeidet und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht.

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik schlägt weit reichende Politikmaßnahmen vor, die die Grundfunktionen des Fi-nanzsektors dauerhaft absichern sollen. Dazu gehört eine verbesserte Regulierung, die auch darauf zielen muss, die Marktmacht einzelner Kreditinstitute zu begrenzen und die Eigenkapitalanforderungen an Banken deutlich zu erhöhen. In diesem Rahmen ist die Etablierung einer Europäischen Finanzaufsichtsbehörde dringend erforderlich – schon um die systemischen Risiken im Euroraum zu begrenzen. Schließlich und endlich muss die seit langem geforderte Finanztransaktionssteuer eingeführt werden, um reine Spekulationsgeschäfte weniger attraktiv erscheinen zu lassen.

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4.1   Ausgangspunkt

Das deutsche Bankensystem galt im internationalen Vergleich lange Zeit als renditeschwach, aber stabil. In dem historisch gewachsenen Drei-Säulen-System wurde vor allem privaten Geschäftsbanken die Gewinnerwirtschaftung zugesprochen. Öffentlich-rechtliche Sparkas-sen, Landesbanken und Genossenschaftsbanken hingegen sollten in erster Linie die flächendeckende Versorgung mit elementaren Finanz-dienstleistungen sichern, aber auch den Mittelstand fördern.1 Die be-sondere Stabilität des deutschen Bankensystems wurde vielfach auf die klassische Hausbankfunktion zurückgeführt, die insbesondere Spar-kassen und Genossenschaftsbanken, aber auch kleinere Privatbanken pflegten. In der Literatur wurde die systematische Renditeschwäche vielfach mit der großen Bedeutung staatlicher Banken in Deutschland erklärt; es wurde aber auch auf den geringen Konzentrationsgrad und damit auf den starken Wettbewerb zwischen den Finanzinstituten hin-gewiesen. Damit entstand über einen langen Zeitraum der Eindruck, dass die Stabilität des Systems durch die vergleichsweise geringe Ren-dite erkauft wurde.

Dieser Entwicklungspfad wurde im Vorfeld der aktuellen Finanz-krise verlassen. Insbesondere Kreditinstitute mit hohen Bilanzsummen hatten sich zu einem massiven Wandel ihrer Geschäftspolitik entschlos-sen. Vor allem private Großbanken, aber auch Landesbanken setzten auf die Realisation hoher Renditen durch risikoreiche Transaktionen. Das Engagement auf den internationalen Kapitalmärkten nahm zu. Dort wurden auch die später weitgehend entwerteten komplexen Fi-nanzinstrumente gehandelt. Diese waren im Zuge der weltweiten Fi-nanzmarktliberalisierung entwickelt worden; erst ihre Existenz machte es möglich, dass Kreditrisiken international handelbar wurden. Ban-ken konnten Kredite verbriefen und auf dem Kapitalmarkt auftreten; andere Investoren und Kreditinstitute konnten diese Papiere kaufen. Schon diese Möglichkeit des Weiterverkaufs lässt bei Banken Anreize

1 Darüber hinaus gibt es Spezialkreditinstitute, die sich auf spezielle Geschäfts-felder konzentrieren, wie z.B. Bausparkassen, aber auch die staatliche Kredit-anstalt für Wiederaufbau (KfW).

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entstehen, auch risikoreichere Kredite zu vergeben und das damit ver-bundene Ausfallrisiko auf dem Kapitalmarkt weiterzugeben. So wurde gerade bei der Konstruktion von „hybriden Papieren“ der elementare Zusammenhang zwischen Entscheidung und Haftung ausgeblendet.

Verschärfend trat hinzu, dass die zum Kauf und Verkauf angebo-tenen „Wertpapierpakete“ bei jeder Transaktion neu zusammenge-setzt wurden. Theoretisch und aus einzelwirtschaftlicher Sicht führt die Diversifizierung von Geldanlagen zwar zu einer Verringerung des Gesamtrisikos. Faktisch jedoch hatten die Marktteilnehmer die Über-sicht über die Risikostruktur verloren. Darüber hinaus wurden diese Derivate im weitgehend regulierungsfreien Raum angeboten. Und das, obwohl auch jenen neoliberalen Ökonominnen und Ökonomen, die die Liberalisierung des Kapitalmarktes mit theoretischen Argumenten unterstützten, bekannt ist, dass dem Finanzmarkt wie keinem anderen Markt ein massives Marktversagen innewohnt. Dies geht bereits auf die Tatsache zurück, dass Kreditnehmer und Kreditgeber über höchst unterschiedliche Informationen verfügen.

Dennoch sah für eine gewisse Zeit alles gut aus. Die im Zuge der komplexen Finanzinstrumente entwickelte Kombination aus Kapital-markt- und Kreditfinanzierung schien eine Basis für eine beachtliche Produktivitätsentwicklung im Finanzsektor zu sein. Die von Seiten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) dem Finanzsektor zugerechnete Produktivität stieg auch aufgrund einer Vermögensprei-sexplosion kräftig. Nur wenige hinterfragten, wie ein solcher Effekt entstehen konnte. Vielmehr wurde die dem Finanzsektor zugespro-chene Produktivitätsentwicklung zu einem zentralen Argument in der Diskussion um Bonizahlungen. Aus heutiger Sicht ist klar, dass die Banken in erheblichem Umfang ihren originären Funktionen, wie z.B. der angemessenen Bewertung und dem Management von wirtschaft-lichen Risken, nicht nachgekommen sind. Zwar gelang es ihnen teil-weise kurzfristig, ihre Renditen zu steigern. Diese Renditezuwächse basierten jedoch in erheblichem Ausmaß auf der Illusion, dass durch Marktpreissteigerungen für ausgewählte Finanzprodukte eine langfri-stige Wertsteigerung geschaffen werden kann.

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Im Zuge der internationalen Finanzkrise hat sich die Situation in allen drei Säulen des deutschen Bankensystems deutlich verschärft; im Jahr 2008 konnte keine von ihnen einen Gewinn ausweisen. Die Finanzkrise traf dabei gerade diejenigen Kreditinstitute in Deutschland, die sich immer mehr vom klassischen Bankgeschäft ab- und der Kom-bination von Kapitalmarktengagement und Kreditgeschäft zugewandt hatten. Dies waren vor allem die privaten Großbanken, aber auch Landesbanken und Spezialkreditinstitute.

4.2   Krisenbewältigungsstrategien: Reformen zielen   auf Systemerhalt 

Die Bankenkrise hat Politik und Wirtschaft erheblich verunsichert. Vierstellige Milliardensummen, die als Bedarf an Wertberichtigungen im Zuge der Krise genannt wurden, ließen den Atem stocken. Der-zeit zeichnet sich ab, dass bei der Krisenbewältigung auf eine Kom-bination aus wirtschaftspolitischen Interventionen und traditionellen Maßnahmen vertraut wird. Politik und Banken setzen darauf, das Vorkrisensystem weitgehend wiederherzustellen. Ziel der bislang er-griffenen Maßnahmen ist es keinesfalls, die Funktionen und Abläufe im Bankensystem fundamental zu verändern. Vielmehr wird gerade von Seiten der Banken auf Strategien gesetzt, die auch zur Krisenent-stehung beigetragen haben. Dazu gehören auch Fusionen.

Verstärkt wird dieser seit langem zu beobachtende Trend zur Steigerung des Marktanteils durch die Erfahrungen in der aktuellen Bankenkrise. Denn die Kreditinstitute haben die Erfahrung gemacht, dass systemisch relevante Kreditinstitute, also solche mit einer hohen Bilanzsumme, in selbstverschuldeten Notlagen mit staatlicher Hilfe rechnen können. Tatsächlich nimmt die Zahl der Kreditinstitute in Deutschland seit längerem ab. Lag diese Zahl im Jahr 2001 bei 2.521, so betrug sie im November 2009 nur noch 1.937. Dies ist ein Rückgang um etwa 25 Prozent. Die sinkende Anzahl von Kreditinstituten führt zu einer höheren Konzentration im Bankensektor und abnehmendem Wettbewerb. Die Marktmacht der einzelnen Bankengruppen gegenüber

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den Kreditnehmerinnen und Kreditnehmern steigt im Zuge der Krise weiter an.2

Aktuell sinkt auch die Bilanzsumme des deutschen Bankensektors. Im November 2009 lag diese bei 7.565 Milliarden Euro und damit etwa sechs Prozent unter dem Vorjahreswert. Die in öffentlichem Eigen-tum stehenden Sparkassen und Landesbanken haben weiterhin einen erheblichen Anteil von 33 Prozent an der Bilanzsumme des gesamten Bankensektors. Allein auf die Landesbanken entfällt ein Anteil von 19 Prozentpunkten. Sie spielen damit innerhalb der öffentlich-rechtlichen Säule des deutschen Bankensystems eine herausragende Rolle; ihre Bi-lanzsumme übersteigt die der privaten Großbanken. In der Bilanzstruk-tur der einzelnen Säulen des Bankensystems spiegeln sich auch die Un-terschiede in den Geschäftsmodellen wider. Demnach sehen vor allem die Sparkassen, regionale private Banken und Genossenschaftsbanken in der Kreditvergabe an Nichtbanken eine ihrer zentralen Aufgaben. Landesbanken, private Großbanken und Genossenschaftliche Zentral-banken widmen sich eher anderen Geschäftsfeldern wie beispielsweise Geschäften auf dem Interbankenmarkt.

Besonders stark eingebrochen sind die Forderungen gegenüber Ban-ken (minus 16 Prozent). Die Forderungen gegenüber Nichtbanken, hinter denen sich auch Kredite an private Haushalte und Unternehmen verbergen, nahmen ebenfalls ab, allerdings mit einer deutlich gerin-geren Rate (minus drei Prozent). Dieser Rückgang ist aber keineswegs mit einer flächendeckenden Kreditklemme gleichzusetzen. Denn einer-seits fällt er deutlich geringer aus als der Rückgang der gesamtwirt-schaftlichen Dynamik; andererseits kann diese Entwicklung auch auf eine rückläufige Nachfrage zurückgehen. Der Bestand der Kredite an Unternehmen, die einen erheblichen Teil der Kredite an Nichtbanken ausmachen, stieg gegenüber dem Vorjahr sogar (plus ein Prozent). Vor diesem Hintergrund lässt sich derzeit kaum eine flächendeckende Kre-

2 Deutlich weniger stark als die Anzahl der Kreditinstitute ist die Beschäftigung gesunken; diese ging im Zeitraum zwischen 1999 und 2008 um gut zehn Pro-zent zurück. Ende 2008 waren im deutschen Bankensektor insgesamt 657.800 Menschen beschäftigt, die Mehrzahl davon bei Sparkassen und Genossen-schaftsbanken.

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ditklemme ausmachen. Allerdings ergibt sich auf der Branchenebene ein anderes Bild: Während in einzelnen Branchen (Baugewerbe, Maschi-nenbau) der Kreditbestand auch in der Krise ausgebaut wurde, wurde beispielsweise der Kreditbestand im Dienstleistungsgewerbe deutlich zurückgefahren.

Derzeit ist davon auszugehen, dass sich die Situation angebotsseitig in der Zukunft verschärfen wird. Die Anhebung der Mindeststandards für die Eigenkapitalausstattung der Banken bedeutet zwar langfristig einen stabilisierenden Impuls für das Bankensystem, weil die Banken Kreditausfälle besser verkraften können. Aus Sicht der Banken jedoch „verteuert“ dies die Kreditvergabe – und damit geht von dieser Politik ein restriktiver Impuls aus. Das gesamte Eigenkapitalregime der Banken (Basel II) wirkt darüber hinaus prozyklisch. Dazu kommt, dass etliche Landesbanken von Seiten der EU-Kommission bereits klare Vorgaben zur Rückführung ihrer Bilanzsumme erhalten haben, um sie so auf den anstehenden Verkauf vorzubereiten. Dies sind Auflagen, die im Zuge der „Bankenrettung“ erteilt wurden. Die Kombination dieser Einzelmaßnahmen wird die Kreditvergabe in Zukunft erschweren. Die Unternehmensfinanzierung ist in Deutschland stark auf Fremdfinan-zierung angelegt – der Leverage-Effekt (siehe Kasten) wird auch von kleinen und mittleren Unternehmen genutzt. Auch steuerliche Anreize spielen dabei eine Rolle. Aus diesem Dilemma muss die Politik einen Weg finden, wenn sie eine Kreditklemme verhindern will.

Leverage-Effekt

Unter dem Leverage-Effekt (engl. leverage = Hebel) wird hier das Phänomen verstanden, dass durch eine simple Erhöhung des Fremdkapitalanteils die Eigenkapitalrendite steigen kann. Wie das funktioniert, soll an einem Beispiel verdeutlicht werden.

Angenommen, ein Unternehmen hat ein Gesamtkapital von 50.000 Euro, wobei jeweils 25.000 Euro auf das Eigen- und

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das Fremdkapital entfallen. Das Unternehmen ist erfolgreich, die jährliche Gesamtkapitalrendite liegt bei zehn Prozent, also bei 5.000 Euro. Weiterhin angenommen, für das Fremdkapital fallen jährliche Kosten (Zinsen etc.) in Höhe von fünf Prozent der Fremdkapitalsumme an. In diesem Beispiel liegen diese Kosten dann bei 1.250 Euro. Um die Eigenkapitalrendite zu berechnen, müssen diese Kosten von der Gesamtkapitalrendite abgezogen werden; es bleiben 3.750 Euro übrig. Diese werden nun ins Verhältnis zum Eigenkapital gesetzt; so lässt sich die Eigenkapitalrendite ausrechnen. Im vorliegenden Fall liegt diese bei stattlichen 15 Prozent – also deutlich über der Gesamtka-pitalrendite.

Angenommen nun, das Unternehmen ist – unter sonst glei-chen Umständen – mit einer Eigenkapitalrendite von 15 Prozent nicht zufrieden. Es sollen 30 Prozent werden, so wird es dem Management mitgeteilt. Das Unternehmen muss dazu allein seine Kapitalstruktur verändern: Weniger Eigenkapital und mehr Fremdkapital, lautet das Rezept. Bei einer Absenkung des Eigenkapitals auf nunmehr 10.000 Euro und einer Fremd-finanzierung von 40.000 Euro entstehen Kapitalkosten in Höhe von 2.000 Euro. Damit würden bei einer Gesamtkapitalrendite von weiterhin zehn Prozent nach Abzug der Fremdkapitalkosten noch 3.000 Euro zur Verfügung stehen. Die Eigenkapitalrendite wäre durch diesen Schachzug – Reduktion des Eigenkapitals – deutlich gestiegen.

Der Leverage-Effekt geht in diesem Beispiel darauf zurück, dass die Gesamtkapitalrendite (in Prozent) über den Fremdkapi-talkosten (ebenfalls in Prozent) liegt. Natürlich steigen mit einer immer schwächeren Eigenkapitaldecke auch die Abhängigkeit vom Fremdkapital und das Risiko von Finanzierungsschwie-rigkeiten.

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Die bisher von Seiten der Politik ergriffenen Maßnahmen setzen auf eine Stabilisierung des alten Systems. Die privatwirtschaftlich agie-renden Entscheidungsträger haben aus der aktuellen Krise keineswegs die Erkenntnis gezogen, dass Spekulation sich nicht lohnt. Ganz im Gegenteil haben sie die Erfahrung gemacht, das sich Spekulation und die Übernahme unkalkulierbarer Risiken umso mehr lohnen, je grö-ßer – und damit systemisch relevanter – das Ausmaß ist, in dem sie betrieben werden. Bereits jetzt ist die Aktienmarktentwicklung wieder deutlich von der realwirtschaftlichen Entwicklung entkoppelt. Derzeit ist nicht zu erkennen, dass die Finanzkrise einen fundamentalen Rich-tungswechsel auf der politischen Ebene nach sich zieht. Die Geschäfts-banken sind ohnehin zu ihrer alten Renditeorientierung zurückgekehrt. Ein „Lehman 2.0“ ist nicht auszuschließen.

4.3   Rolle der Geld- und Finanzpolitik in der Krise

Auch im Bankensektor ist zwischen einer Liquiditäts- und einer Sol-venzkrise von Banken zu unterschieden. Vielfach geht die Liquiditäts- einer Solvenzkrise voraus. So meldeten Geschäftsbanken im Zuge der gegenwärtigen Finanzkrise in den verschiedensten Volkswirtschaften einen hohen Liquiditätsbedarf gegenüber der jeweiligen Zentralbank an – der Geldmarkt, auf dem sich die Banken untereinander Kredite gewähren, war zusammengebrochen. Das Vertrauen der Banken un-tereinander war gegen null gesunken. In dieser Situation pumpten die EZB, aber auch andere wichtige Zentralbanken in erheblichem Ausmaß Liquidität in das System. Die Geschäftsbanken konnten sich dieses Geld für einen geringen Zins leihen. Die Geldpolitik versuchte, die Folgen der auf allen Ebenen massiven Managementfehler und Ren-ditegier durch die massive Bereitstellung von Liquidität zu entschärfen. Bis heute liegen die Zentralbankzinsen auf einem niedrigen Niveau. In Deutschland lässt sich allerdings daraus nicht zwangsläufig ableiten, dass auch die Kreditkosten für die Kreditnehmerinnen und Kreditneh-mer sinken. Vielmehr ist zu erkennen, dass die Geschäftsbanken die Zinsschritte nur teilweise weitergegeben haben. Eine solche Politik

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des „billigen Geldes“ kann das Bankgeschäft begünstigen. Sie stößt aber an ihre Grenzen, wenn die einfache Versorgung mit „billiger“ Li-quidität nicht mehr ausreicht, um die Funktionsfähigkeit des Systems aufrecht zu erhalten. Dies ist der Fall, wenn die Eigenkapitaldecke einzelner Banken stark angegriffen wird. Soll in einem solchem Fall ein Kreditinstitut gerettet werden, ist die Finanzpolitik gefragt.

Tatsächlich hat die Bundesregierung auf der finanzpolitischen Ebe-ne zahlreiche Instrumente zur Rettung angeschlagener Kreditinstitute eingesetzt – bis hin zur Verstaatlichung einzelner Banken. So wurde zur Stabilisierung des in Not geratenen Bankensektors im Oktober 2008 ein potenziell den gesamten Bankensektor umspannendes Ret-tungsprogramm mit dem Sonderfonds zur Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) aufgelegt. Dieser Fonds setzt grundsätzlich an drei Punkten an: Erstens liefert er Garantien und Bürgschaften zur Vermeidung von Liquiditätsengpässen. Zweites sind Eigenkapitalspritzen möglich; da-bei handelt es sich um Rekapitalisierungen „notleidender“ Banken. Drittens kann der Fonds risikobehaftete Wertpapiere gegen staatliche Schuldtitel tauschen; diese können – anders als die risikobehafteten Wertpapiere auf dem Interbankenmarkt – als Sicherheit zur Refinan-zierung der Geschäftsbanken verwendet werden.

Als ein Element der Stützung von Banken durch den Staat wurde der Commerzbank und der Hypo Real Estate eine Teil- bzw. Vollver-staatlichung gewählt. Auf den ersten Blick können von einer (Teil-)Ver-staatlichung angeschlagener Kreditinstituten kurzfristig stabilisierende Impulse für den Finanzsektor ausgehen. Damit es zu einer nachhaltigen Stabilisierung des Bankensystems kommt, müssen den gestützten Insti-tuten aber klare Vorgaben zur Änderung ihrer Geschäftspolitik gemacht werden. Leider ist genau das bislang seitens der Politik kaum geschehen. Vielmehr läuft die Verstaatlichung bzw. Teilverstaatlichung in erster Linie auf eine Haftungsübernahme der Risiken von Geschäftsbanken durch die Steuerzahlerin und den Steuerzahler hinaus. Eigentumsrechte sind aber keineswegs auf Haftungspflichten beschränkt, sondern haben zahlreiche Dimensionen. Dazu gehören das Verfügungs-, das Kontroll- und das Veräußerungsrecht. Bislang werden diese Facetten wenig disku-tiert. Wie soll und kann der Staat seine Eigentumsrechte wahrnehmen,

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und welche Institutionen bzw. gesellschaftlichen Gruppen sollen dabei mitwirken? Solange der Staat als Eigentümer „notleidender“ Banken keine Ideen zur Entwicklung eines tragfähigen Geschäftsmodells hat und auf den weiterhin bestehenden Managementstab setzt, ist die Verstaatlichung kein ausreichendes Projekt und löst die Probleme des Bankensektors nicht.

Das Beispiel vieler Landesbanken zeigt deutlich, dass staatliches Eigentum an Banken keineswegs vor Missmanagement schützt. Viel-mehr besteht die Gefahr, dass die das Finanzsystem in Deutschland stabilisierenden Sparkassen durch das hemmungslose Missmanagement in Landesbanken nachhaltig beschädigt werden. Dies gilt einerseits, weil die Sparkassen Teileigentümerinnen von Landesbanken sind und sich daraus Nachschusspflichten in Bezug auf das Eigenkapital ergeben können. Andererseits gilt es aber auch deshalb, weil durch das Missma-nagement der Landesbanken eine neuerliche Privatisierungsdiskussion angestoßen wurde, die mit Sicherheit in Zukunft das Thema Sparkassen nicht ausschließen wird. Dies gilt umso mehr, als die Sparkassen im Durchschnitt der letzten zehn Jahre erheblich höhere Renditen erwirt-schaftet haben als die Landesbanken – so auch in der aktuellen Krise, in der die Landesbanken erhebliche Verluste zu verkraften haben, die Sparkassen dagegen in der Summe einen Überschuss ausweisen, wenn-gleich dieser die Verluste der Landesbanken nicht ausgleichen kann. Das Beispiel der Sparkassen zeigt indes, dass öffentliches Eigentum keineswegs a priori zu einer schlechten Renditeperformance führen muss. Hier ist also eine differenzierte Betrachtung notwendig.

Offen ist derzeit auch, in welchem Umfang die Sparkassen infolge der Wirtschaftskrise Kreditausfälle verdauen müssen werden. Wesent-lich für die Zukunft der Landesbanken wird sein, ob sie in der Lage sein werden, ein tragfähiges Geschäftsmodell zu entwickeln. Es ist nicht nachvollziehbar, dass Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für das Miss-management haftbar sein sollen. Auch wenn die Rettungspakete der Bundesregierung im Kern zu einer Stabilisierung des Systems geführt haben, so ist es in keiner Weise angemessen, dass die Kosten der Ban-kenrettung langfristig auf den öffentlichen Haushalten lasten und sie blockieren. Vielmehr ist es geboten, den Bankensektor, aber auch einzel-

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ne Entscheidungsträgerinnen und -träger für den entstandenen Schaden und Vertrauensverlust haftbar zu machen und darüber hinaus an den Kosten der Krisenbewältigung zu beteiligen. Für den Finanzsektor gilt: Da die Akteure durch das „systemische Risiko“ miteinander verbun-den sind, profitierte der gesamte Sektor von der Rettung einzelner, notleidend gewordener Banken. Daher ist im Zuge der Krisenbewälti-gung auch eine Beteiligung aller Finanzinstitute an den Krisenkosten geboten. Darüber hinaus sind die Manager in die Pflicht zu nehmen. Hierfür sind klare Haftungsregelungen einzuführen. Nachgewiesenes Missmanagement muss auch für einzelne Entscheidungsträgerinnen und -träger Konsequenzen haben.

4.4   Forderungen an ein zukunftsfähiges Finanzsystem 

Die nun schon seit fast drei Jahre andauernde Finanzkrise hat eindeu-tig gezeigt, dass das deregulierte und schlecht beaufsichtigte globale Finanzsystem kein Modell für die Zukunft ist. Eine grundlegende Neuordnung des Finanzsystems ist überfällig. Seit langem stellt die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik Forderungen auf, die allesamt darauf zielen, den Finanzsektor auf seine Kernfunktionen zurückzuführen. Dazu gehört erstens die Sicherstellung eines zuverläs-sigen und kostengünstigen Zahlungsverkehrs inklusive einer entspre-chenden Bargeldversorgung. Zweitens müssen Banken auf die Rolle als Kapitalsammelstellen zurückgeführt werden, die für Sparerinnen und Sparer sichere, verständliche und nachhaltige Anlagemöglichkeiten bieten, statt mit deren und bankeigenem Geld riskante Geschäfte zu tätigen. Drittens müssen Banken ihre Finanzierungsfunktion erfüllen, indem sie die Investitionen der Unternehmen und des Staates zu an-nehmbaren Bedingungen über Kredite finanzieren.

Diese Forderungen kommen zunehmend auf der politischen Ebene an. International wird inzwischen die Ansicht geteilt, dass dem Finanz-sektor in erster Linie die Rolle eines gut regulierten Dienstleisters für die realwirtschaftliche Entwicklung zukommen muss. Auch wird die von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik seit langem gefor-

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derte Einführung einer Finanztransaktionssteuer öffentlich diskutiert. Auf der nationalen Ebene dagegen wird die Umsetzung entsprechender Maßnahmen vielfach gescheut. Die neoliberale Ära scheint keineswegs dem Ende entgegen zu gehen. Kopflose Maßnahmen verschieben die Problemlösung zeitlich nach hinten; die damit verbundenen Kosten steigen. Folglich drängt die Zeit. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirt-schaftspolitik sieht vor allem sieben wirtschaftspolitisch relevante An-satzpunkte zur Schaffung einer tragfähigen Finanzmarktarchitektur.

1. Der Finanzsektor ist als Teil der Infrastruktur zu begreifen, der durch die Gesellschaft kontrolliert wird.Erst in den kommenden Jahren wird klar werden, wie sehr die unaus-weichliche Stabilisierung des Bankensystems den staatlichen Hand-lungsspielraum einengen wird. Diese finanzpolitische Hypothek muss sozial gerecht geschultert werden. Insofern ist es die Aufgabe demo-kratischen Engagements, sich der schleichenden Wiederetablierung des Ancien (Finanzmarkt-)Regime zu widersetzen. Genauso wenig, wie staatliche Banken grundsätzlich alles richtig gemacht haben, stimmt der Umkehrschluss, öffentlich-rechtliche Institute seien auch nicht besser als die Privatbanken. Die Gründe für die relativ geringen Verstrickungen der Sparkassen und Genossenschaftsbanken in die Spekulationen im globalen Finanzkasino müssen genau analysiert und zur Erfahrung der großen Privatbanken und Landesbanken ins Verhältnis gesetzt werden. Dabei wird deutlich, dass nicht die Frage von öffentlichem oder privatem Eigentum den zentralen Unterschied ausmacht, sondern vielmehr das damit verbundene Geschäftsmodell.

Es zeigt sich, dass die von der aktuellen Krise weitgehend verschont gebliebenen Sparkassen und dezentralen Genossenschaftsbanken deut-lich kleinteiliger strukturiert sind als die betroffenen Landesbanken, Großbanken und Spezialkreditinstitute. Zudem sind die Sparkassen und Genossenschaftsbanken stärker in lokale Strukturen eingebettet. Anders ausgedrückt: Die Sparkassen und die Volks- und Raiffeisen-banken sind in einem höheren Umfang in ihre lokale Umgebungsge-sellschaft integriert. Dazu passt, dass sie bislang einem strikten Regio-nalprinzip folgen.

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Als Dienstleister für Realwirtschaft und Gesellschaft muss der Fi-nanzsektor als gesamtwirtschaftlich notwendige Infrastruktur begrif-fen werden. Er bedarf nicht nur einer externen staatlichen Kontrolle. Auch die Stärkung der gesellschaftlichen Kontrolle „von innen“ ist erforderlich. Sind Verstaatlichungen von Banken notwendig, so muss das staatliche Engagement im Finanzsektor langfristig angelegt sein. Diese Verstaatlichungen müssen von einer gesellschaftlichen Debatte darüber begleitet sein, welchem Zweck die einzelnen verstaatlichten Banken dienen sollen und welches Geschäftsmodell sich daraus ergibt. Dabei kann es keine Lösung sein, der Commerzbank oder der Hypo Real Estate ein Geschäftsmodell nach dem Vorbild der Sparkassen oder Bausparkassen aufzudrücken, denn dadurch würde es nur zu einem Verdrängungswettbewerb mit dem erfolgreichen Teil des öffentlich-rechtlichen Bankensektors kommen. Im Einzelfall muss daher auch die Überflüssigkeit und die entsprechende Abwicklung verstaatlichter Institute in Betracht gezogen werden. Natürlich muss der Staat auch bei systemrelevanten öffentlichen Banken bei Bedarf zusätzliches Eigenka-pital bereitstellen und die Geschäftmodelle gerade der Landesbanken umkrempeln.

Staatliche Eigentumsrechte an Kreditinstituten müssen aktiv wahr-genommen werden. Dazu kann die Einbindung kommunaler oder regi-onaler Eigentümer- bzw. Trägerschaften ebenso dienen wie eine Vernet-zung mit „Stakeholdern“ wie lokalen Industrie-, Handels- und Hand-werkskammern sowie mit Sport- und Wohltätigkeitsvereinen, vor Ort relevanten Autoritäten aus Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften, Zusammenhängen von Intellektuellen etc. Nicht zuletzt braucht eine Vergesellschaftungsperspektive eine Finanz-Bildungsoffensive. Wie in Fragen direkter Demokratie ist ein hinreichender Wissensstand in der Breite der Gesellschaft eine notwendige Voraussetzung dafür, dass diese Gesellschaft aufgeklärte Entscheidungen treffen kann.

Letztlich zielt ein solches Vorgehen auf eine stärkere gesellschaft-liche Partizipation an den unternehmerischen Entscheidungsprozessen. Eine Unterordnung des Finanzsektors unter die Steuerung und Kon-trolle seitens der Gesellschaft – und nichts anderes meint der Begriff „Vergesellschaftung“ – durch konkrete Schritte auf den Weg zu brin-

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gen, ist wohl die größte Herausforderung bei der Umgestaltung des Finanzsektors.

2. Die Kernfunktionen des Finanzsystems sind durch Re-Regulie-rung zu sichern.Da das Eigenkapital der meisten privaten Geschäftsbanken durch Verluste infolge der Finanzkrise stark in Anspruch genommen wurde, sind die Banken immer vorsichtiger geworden, ihr spärliches Eigenka-pital durch die Ausgabe mittel- und langfristiger Kredite zu binden. In der Folge droht eine Kreditklemme bei der Versorgung der Unter-nehmen mit längerfristigen Investitionsfinanzierungen. Damit ist die Strategie der alten und neuen Bundesregierung gescheitert, derzufolge die Banken ihre Verluste aus riskanten Wertpapiergeschäften einfach aussitzen sollen, bis die Krise vorbei ist. Zur Sicherstellung einer aus-reichenden Kreditversorgung, gerade unter Bedingungen einer zöger-lichen Wirtschaftserholung, müssen die Bilanzen der Banken offen ge-legt und bereinigt werden. Transparenz ist notwendig. Bislang können weder auf der Ebene einzelner Kreditinstitute noch auf der Ebene der Gesamtwirtschaft die Kosten der Finanzkrise benannt werden. Eine sinnvolle Regulierung, die auf eine Vermeidung von Zukunftsrisiken setzt, muss aber über entsprechende Informationen verfügen. Diese sind unabdingbar von den Banken bereit zu stellen.

Einen Ansatzpunkt zur Bereinigung der Bankbilanzen in der Nach-krisenzeit bietet die Auslagerung „notleidender Vermögenswerte“ zu Marktpreisen in eine separate Einheit (Bad Bank). In Fällen, in de-nen derzeit keine Marktpreise zu ermitteln sind, müssen die „Schrott-papiere“ zum Preis von null bewertet werden. Durch ein solches, unter anderem von Nobelpreisträger Paul Krugman (vgl. New York Times vom 18.01.2009) und vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW-Wochenbericht 13/2009) befürwortetes Verfahren werden die Verluste der Banken offen gelegt, die sie mit ihrem knappen Eigenka-pital nicht schultern können. Um bei systemrelevanten Banken den daraus folgenden Zusammenbruch zu verhindern, muss der Staat diese Banken mit neuem Eigenkapital ausstatten und im gleichen Umfang auch die Eigentümerfunktion übernehmen. Anders als bei den bisher

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durch den Bankenrettungsfonds SoFFin zur Verfügung gestellten Mit-teln muss sich die öffentliche Hand entschlossen in die Geschäftspolitik der Privatbanken einmischen. Sie muss dies kurzfristig tun, um einer Kreditklemme entgegenzuwirken. Mittelfristig muss sie ähnlich wie bei den Landesbanken dafür sorgen, dass tragfähige Geschäftsmodelle verfolgt werden, gegebenenfalls auch um den Preis erheblicher Verklei-nerungen einzelner Banken. Bis dieser Prozess zum Erfolg führt, muss die öffentliche Hand über öffentlich-rechtliche Banken die Kreditver-sorgung der Unternehmen sicherstellen.

Neben den Regeln für Krisenfälle müssen auch und gerade die Re-geln für den „Normalbetrieb“ des Bankensystems grundlegend über-arbeitet werden. Dazu gehört auch die verschärfte Regulierung von Finanzprodukten. Insbesondere der Handel mit abgeleiteten Finanzpro-dukten bedarf einer deutlichen Einschränkung und einer besseren Qua-litätskontrolle der Finanzprodukte selbst. Viele Produkte, insbesondere Derivate zweiten oder höheren Grades, haben mit der ursprünglichen Risikodiversifizierungs- und Absicherungsfunktion nichts mehr zu tun und dienen nur der Beflügelung von Spekulationsphantasien im globa-len Finanzkasino. Solche Produkte sind überflüssig und gehören ver-boten. Während Verbriefungen in der einfachen Form z.B. des Pfand-briefs eine sinnvolle Finanzierungs- und Vermögenssicherungsfunktion haben, sollten Verbriefungen mehrfachen Grades und die Aufteilung in Tranchen verboten werden. Auch bei Verbriefungen ersten Grades sollte ein Selbstbehalt für das emittierende Institut von mindestens 20 Prozent des verbrieften Volumens gelten, um das Risikobewusstsein der Banken bei der Kreditvergabe zu stärken. Banken sollten quotierte Vorgaben für den Eigenhandel erhalten; damit soll der Umfang der Wertpapiergeschäft auf „eigene“ begrenzt werden. Derivate sollten in Zukunft nur noch als standardisierte Futures und Swaps existieren, die ausschließlich über Börsen oder zentrale Gegenparteien (Central Counterparty, CCP) gehandelt werden dürfen. Optionen sollten verbo-ten werden. Im Ergebnis würde der intransparente und bisweilen sehr riskante außerbörsliche OTC- Handel (Over the Counter) beendet.

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3. Die systemische Relevanz und die Marktmacht einzelner Insti-tute sind zu reduzieren.Banken dürfen das Gemeinwesen in Zukunft nie wieder mit dem Argu-ment ihrer Systemrelevanz in Geiselhaft nehmen können. Das könnte einerseits dadurch sichergestellt werden, dass (private) Banken bei Überschreitung einer Systemrelevanzschwelle in Zukunft automatisch entflochten werden müssen. Die Marktmacht angeschlagener Institute darf in der Krise nicht weiter steigen.

Dazu gehört auch die Einführung eines speziellen Insolvenz- und Restrukturierungsverfahrens für systemisch relevante Institute, das in Krisenzeiten Anwendung findet. Dieses Verfahren soll im Krisenfall nach einer Aufzehrung des Eigenkapitals eine vollständige oder par-tielle Beteiligung der unbesicherten Bankgläubiger an den Verlusten vorsehen. Nur wenn die Verlustbeteiligung der Eigentümer und der unbesicherten Gläubiger nicht ausreicht, um ein systemrelevantes Ins-titut vor dem Zusammenbruch zu bewahren, sollte der Staat den ver-bleibenden Rest der Bank aus systemischen Gründen mit öffentlichem Geld auffangen.

Zwar könnte theoretisch auch ein belastungsfähiges privates Ein-lagensicherungssystem (z.B. nach dem Modell des Haftungsverbunds der öffentlich-rechtlichen und der genossenschaftlichen Banken) das Ausfallrisiko der unbesicherten Gläubiger der Privatbanken teilweise übernehmen. Die Erfahrung mit dem freiwilligen Einlagensicherungs-system des Bundesverbands deutscher Banken und die systembedingte Konkurrenz zwischen den Privatbanken lässt die Errichtung eines wirk-lich leistungsfähigen privaten Einlagensicherungssystems allerdings extrem unwahrscheinlich erscheinen.

4. Eigenkapitalanforderungen sind zu erhöhen, gleichzeitig sind Förderbanken zur Vermeidung von Kreditklemmen zu stärken.Zugleich müssen die Banken, um die Gefahr kreditfinanzierter Finanz-blasen in Zukunft zu verringern, eine stärkere Risikovorsorge betrei-ben und zur Zurückhaltung gedrängt werden. Ein sehr wirkungsvolles Mittel dafür sind die Eigenkapitalanforderungen an die Banken bei der Kreditvergabe. Der Referenzsatz für die Eigenkapitalunterlegung

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von Krediten, der derzeit im Basel-II-Regelwerk bei acht Prozent liegt, muss deutlich auf eine Größenordnung zwischen zwölf und 20 Prozent erhöht werden. Einer Stärkung des Kernkapitals muss dabei beson-dere Bedeutung zukommen. Erhöhte Eigenkapitalanforderungen an Banken führen im Gesamtgefüge auch zu einer systemimmanenten Entschleunigung der Finanztransaktionen. Dies kann von sich aus zu einer Stabilisierung des Bankensektors beitragen. Gleichzeitig müssen die Eigenkapitalanforderungen dem Konjunkturzyklus angepasst wer-den. Gerade in Boom-Zeiten kann die Euphorie leicht zu übertriebener Kreditvergabebereitschaft der Banken führen, während einer Rezessi-on dagegen zu einer eher zögerlichen Kreditgewährung. Sinnvoll wäre daher eine konjunkturbezogene Schwankungsbreite zwischen zwölf Prozent in der Rezession und 20 Prozent während des Booms. Dies würde auch zu einer Verringerung der Kreditschöpfungsmöglichkeiten der Banken beitragen. Geringere Kreditschöpfungsmöglichkeiten der Banken erhöhen die Steuerungsfähigkeit der Geldpolitik und tragen insgesamt zu einer Schrumpfung des Bankensektors bei.

Das Instrument der Eigenkapitalanforderungen könnte darüber hi-naus wirtschafts- und gesellschaftspolitisch als Steuerungsinstrument weiterentwickelt werden. Kredite für gesellschaftlich und ökonomisch umstrittene umstrittene Geschäftsmodelle oder Branchen wie z.B. Fi-nanzinvestoren oder die Atom- und die Rüstungsindustrie könnten hö-heren Eigenkapitalanforderungen unterworfen werden. Banken sollten auch nicht selbst Eigentümerinnen von Kapitalanlagegesellschaften wie Hedge- oder Private-Equity-Fonds sein dürfen.

Diese Maßnahmen können zu einer Verknappung des Kreditange-bots beitragen. Daher muss es auch zukünftig eine zentrale Aufgabe von Sparkassen und Genossenschaftsbanken sein, für kleine und mitt-lere Unternehmen gezielt die Kreditversorgung zu sichern. Für einzelne Großunternehmen muss in akuten Fällen eine direkte Kreditvergabe über die KfW oder regionale Förderbanken in Betracht gezogen wer-den. Bislang wird die Vergabe solcher Förderkredite indirekt über das jeweilige Kreditinstitut der Kreditnehmerin und des Kreditnehmers abgewickelt. Dadurch entsteht vielfach ein Kompetenz- und Informa-tionsdurcheinander, das aus Sicht der Kreditnehmerinnen und Kredit-

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nehmer nur zu hohen Informationskosten zu überwinden ist. Hier sind dringend Verbesserungen notwendig.

5. Es sind differenzierte geldpolitische Instrumente zur Vermei-dung von Finanzblasen auf Teilmärkten zu entwickeln.Das Platzen der Internet-Blase 2001 an den Aktienmärkten und beson-ders der Immobilien- und Verbriefungsblase ab 2007 hat vor Augen geführt, dass sich unverhältnismäßige Inflations-, d.h. Teuerungsraten keineswegs nur auf Verbrauchsgüter beziehen. In den genannten Fäl-len waren es vor allem die Preise von Vermögensgütern wie Aktien und Immobilien, die sehr schnell stiegen. So entstanden auf Teilmärkten Blasen. Mit ihrem früher oder später unumgänglichen Platzen bedro-hen sie das gesamte Finanzsystem.

Vor diesem Hintergrund müssen Zentralbanken im Sinne einer sy-stemischen Finanzstabilität in Zukunft viel stärker auf die Entwicklung von Vermögenspreisen in einzelnen Teilmärkten achten und diese in ihr Kalkül einbeziehen. Sie brauchen aber darüber hinaus auch neue Instrumente, mit denen sie Preisblasen auf einzelnen Vermögensmärk-ten gezielt entgegenwirken können, denn das derzeitige geldpolitische Instrumentarium eines einzigen Leitzinssatzes ist aufgrund der extrem unterschiedlichen Entwicklung von Preisen auf den verschiedenen Teil-märkten wenig angemessen. Ein tragfähiges Instrument zur Steuerung derart komplexer Prozesse ist die so genannte Aktivmindestreserve, die von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik schon in den 1970er Jahren, damals primär unter industriepolitischen Vorzeichen, vorgeschlagen wurde. Anders als bei der allgemeinen Mindestreserve, bei der die Banken einen bestimmte Prozentsatz (derzeit zwei Pro-zent bei der EZB) der Einlagen ihrer Kundinnen und Kunden selbst als Einlage bei der Zentralbank hinterlegen müssen, ist die Aktivmin-destreserve eine nach verschiedenen Vermögenswerten und Sektoren differenzierte Mindestreserve auf die Kreditvergabe, d.h. eine aktive steuernde Reserve. Wenn z.B. der Immobiliensektor boomt und sich erste Blasen auf dem Häusermarkt abzeichnen, könnte die Zentralbank zielgerichtet den Aktivmindestreservesatz für Bankkredite an den Im-mobiliensektor erhöhen und diese konkrete Immobilienblase damit

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gezielt begrenzen. Eine solche Aktivreserve hat nicht nur den Charme, dass sie die Unzulänglichkeiten eines einzelnen starren Leitzinses teil-weise ausgleichen kann. Sie hat auch den Vorteil, dass die aktuelle Verfassung der europäischen Währungsunion es durchaus zulässt, dass die nationalen Zentralbanken der Eurozone – wie bei der allgemeinen Mindestreserve auch – national spezifische Aktivmindestreservesätze festlegen. Auf diese Weise könnte bei gleich bleibendem EZB-Leitzins gegen spekulativ steigende Bodenpreise in Portugal und gegen einen Aktienboom in Slowenien vorgegangen werden.

6. Eine Finanztransaktionsteuer ist umzusetzen.Auf Finanztransaktionen mit Aktien, Anleihen, Devisen und einfachen Derivaten muss so schnell wie möglich eine Finanztransaktionsteuer eingeführt werden. Wenngleich als globale Steuer wünschenswert, würde auch die lediglich EU-weite Einführung einer Finanztransak-tionsteuer bereits eine erhebliche Lenkungs- und Einnahmewirkung haben. Der international gültige Steuersatz sollte mindestens 0,05 bis 0,1 Prozent betragen. Solange die internationalen Verhandlungen über eine solche Steuer andauern, sollten ihren eigenen Verlautbarungen zufolge bisweilen sehr aufgeschlossene Staaten wie zuletzt Frankreich und Großbritannien sowie, wenn auch eingeschränkt, die Bundesre-gierung eine „Koalition der Willigen“ bilden und vorbereitend auf nationaler Ebene eine Finanztransaktionsteuer mit einem Bagatell-steuersatz von mindestens 0,01 Prozent einführen. In diesem Zusam-menhang hält die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik es für notwendig, eine Meldepflicht dieser Geschäfte an die zuständigen Finanz- und Aufsichtsbehörden einzuführen.

7. Eine europäische Finanzaufsicht ist zu etablieren.Eines der sehr wenigen konkreten Vorhaben zu Finanzmarktfragen im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung lautet, die Bankenaufsicht bei der Deutschen Bundesbank zusammenzufassen und damit das Konzept der Allfinanzaufsichtsbehörde BaFin zu be-graben. Damit allein wird sicherlich keine verbesserte Finanzaufsicht geschaffen. Vielmehr ist die von der Bundesregierung geplante Bün-

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bewältigung der banken- und finanzmarktkrise

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delung der Bankenaufsicht bei der Bundesbank bestenfalls ein Ab-lenkungsmanöver vom eigentlichen Aufsichtsdesaster und -dilemma. Die Aufsichtsbehörden müssen erstens weitergehende Eingriffsrechte gegenüber den Banken bekommen (z.B. die Prüfung von Geschäfts-modellen), zweitens diese Eingriffsrechte auch effektiv wahrnehmen, dazu drittens die ausreichende Menge und Qualität an Personal erhal-ten und viertens dazu verpflichtet werden, im Fall sich abzeichnender gesetzlicher Aufsichtslücken die Regierung, das Parlament und die Öffentlichkeit frühzeitig auf diese Lücken hinzuweisen und Abhilfe zu fordern. Dazu ist dringend die Einführung eines leistungsfähigen Frühwarnsystems notwendig.

Parallel zu einer deutlichen Stärkung und Erweiterung der natio-nalen Aufsichtsstrukturen ist die Europäisierung der Bankenaufsicht nötig. Um zu einer wirklich wirkungsvollen europäischen Finanzauf-sicht zu kommen, müssen noch viele nationale Eigeninteressen über-wunden bzw. zurückgestellt werden. Insbesondere die Staaten mit großen Finanzplätzen wie denen in London und Frankfurt dürfen die anderen Staaten in der gemeinsamen europäischen Aufsichtspraxis nicht dominieren. Ebenso wenig darf die Stärkung europäischer Auf-sichtsstrukturen als Vorwand für eine Harmonisierung der Aufsichts-standards nach unten dienen. Die bisher erörterten Reformschritte reichen nicht aus. Ein besonders wichtiger Aspekt des europäischen Aufsichtsreformprozesses ist die geplante Stärkung der so genannten makroprudentiellen Aufsicht, d.h. der Überwachung der Systemstabili-tät des Finanzsektors. Ein deutlicher Ausbau dieses Aufsichtsbereichs ist überfällig. Beim geplanten Europäischen Finanzaufsichtssystem (ESFS) und beim Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) ist eine hinreichende Transparenz der Entscheidungsprozesse und Maßnahmen der Aufsichtsbehörden nicht sichergestellt.

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5   Wirtschaftskrise in Europa

5.1   Finanzpanik und globale Rezession

Die Entwicklung des Finanzsystems in Europa wurde während der letzten beiden Jahre von den Ereignissen in den USA vorangetrieben. Die Finanzkrise – die sich im August 2007 entfaltete, als auf dem Geld-markt der kurzfristige Interbankenmarkt austrocknete – verschärfte sich im September 2008 infolge der Zusammenbruchs der New Yor-ker Investmentbank Lehman Brothers auf dramatische Weise: Dieser Crash löste eine Kette weiterer Zusammenbrüche von Finanzunter-nehmen in den USA und in Europa aus, die direkt oder indirekt mit Lehman Brothers verbunden waren. Die Krise auf dem Geldmarkt erreichte neue Höhen, und Banken stoppten ihr Kreditangebot selbst für gut situierte Unternehmen abrupt. Inmitten einer sich ausbreiten-den Panik schwappte die Krise Anfang Oktober auf die Aktienmärkte über, und am 10. Oktober 2008 stellte der Präsident des Internatio-nalen Währungsfonds (IWF) fest, das globale Finanzsystem stehe am Rande des Zusammenbruchs.

Eine Panik wurde nach dem G7-Gipfel der Finanzminister nur da-durch eingedämmt, dass man in Washington auf dem Jahrestreffen des IWF und der Weltbank übereinkam, dass keine weiteren großen Finanzhäuser zusammenbrechen dürfen. In den folgenden Tagen hatten das US-Finanzministerium und die Regierungen der großen westeuro-päischen Staaten massive Kapitalhilfen für das Bankensystem angekün-digt, zusammen mit Staatsgarantien für den Interbankenmarkt (Maß-nahmen, die in der Woche zuvor von der britischen Regierung initiiert worden waren). Dies konnte zwar die Kette von Zusammenbrüchen stoppen, allerdings löste der Schock des Finanzsystems den stärksten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts seit den 1930er Jahren aus.

Der letzte US-Aufschwung begann 2002 und beruhte weitgehend auf dem Anstieg der Konsumausgaben, die in großem Umfang durch Schuldenaufnahmen bei steigenden Hauspreisen finanziert wurden.

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Dies konnte nicht von Dauer sein, da die Immobilienblase im Jahr 2006 platzte. Ende 2007 geriet die US-Wirtschaft in eine Rezession, und als die Bankenkredite infolge des Lehman-Bankrotts austrockneten, verschärfte sich der Abschwung dramatisch: Im letzten Quartal 2008 sowie im ersten Quartal 2009 sank das Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit einer Jahresrate von sechs Prozent. Im Januar 2009 folgte das von der neuen Regierung initiierte 787 Milliarden US-Dollar umfassende Ausgabenprogramm (drei Prozent des BIP jeweils für die Jahre 2009 und 2010). Im Frühjahr 2009 änderte sich die Stimmung in der US-Wirtschaft, und die Zahlen für das zweite Quartal 2009 zeigten, dass das BIP nur noch mit einer Jahresrate von einem Prozent sank. Im September 2009 erklärte der Chef der Federal Reserve, Ben Bernanke, die Rezession sei wahrscheinlich vorüber.

Die US-Krise ist im Wesentlichen über zwei Kanäle nach Euro-pa geschwappt. Einmal durch Verluste der Banken: Die europäischen Banken hatten – ermutigt durch die EU-Politik, den Wettbewerb im Finanzsektor zu forcieren – massiv in dubiose US-Papiere investiert und exzessiv Papiere von Lehman und anderen US-Finanzunterneh-men gehalten. Folgt man den IWF-Schätzungen, haben die Banken in Europa 685 Milliarden US-Dollar abgeschrieben und trotzdem noch 934 Milliarden US-Dollar Verluste festzustellen – eine Zahl, die höher ist als die in den USA (vgl. IMF 2009). Nach dem Lehman-Kollaps registrierten die europäischen Geldmärkte eine akute Vertiefung der Finanzkrise, und als der Interbankenmarkt massiv schrumpfte, brach die Produktion in ganz Europa ein. Offiziell begann die Rezession in der EU im zweiten Quartal 2008. Aber wie in den USA verschärfte sie sich im letzten Quartal 2008 und im ersten Quartal des Jahres 2009 drastisch.

Der zweite wichtige Treiber, der die Krise nach Europa transferierte, war der Außenhandel. Den WTO-Zahlen aus dem zweiten Quartal 2009 zufolge ging der Welthandel im Vergleich zum Vorjahr um 33 Prozent zurück. Die wichtigsten Gründe dafür waren der Kollaps von Handelskrediten nach dem Lehman-Debakel sowie die tiefe Rezession in den USA, die zuvor das Wachstum der Weltnachfrage vorangetrieben hatten. Hinzu kam, dass sich die Rezessionen in den USA und Europa

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vertieften und somit die nachfrageempfindlichen Preise für Rohstoffe einschließlich Öl fielen. Folglich haben rohstoffexportierende Länder ihre Importe von Industriewaren gekürzt. (Zwischen der ersten Hälfte von 2008 und der gleichen von 2009 verringerten sich die Exporte in die USA um 20 Prozent, während die nach Russland – das zweitgrößte Zielland – um 39 Prozent fielen [Eurostat 2009].) Dies hatte einen spezi-ellen Markteffekt auf Deutschland, dessen exportabhängige Wirtschaft für 2009 um fünf Prozent einbrach.

Es gibt zwei weitere wichtige Probleme, von denen bestimmte Grup-pen von Ländern in Europa erfasst worden sind: einmal das Platzen der Immobilienblasen in Großbritannien, Irland und Spanien. In allen drei Ländern war das starke Wachstum vor 2007 eng mit den steigenden Hauspreisen verbunden. Wie in den USA hat dies den steigenden Kon-sum finanziert und die Haushalte mit hohen Schulden belastet. Die andere Gruppe, die besonders hart von der Krise getroffen wurde, sind Länder Mitteleuropas und des Baltikums. Staaten wie Ungarn und Lettland haben ihre hohen Leistungsbilanzdefizite durch Verschul-dungen auf den internationalen Kapitalmärkten finanziert. Durch die Finanzkrise war diese Finanzierungsquelle allerdings blockiert und ließ diese Länder in einer Situation hoher Verwundbarkeit. Die dortige Lage wird noch dadurch verschärft, dass sich ihr Bankensystem weitgehend im Eigentum westeuropäischer Banken befindet, insbesondere solchen aus Österreich (Zentraleuropa) und Schweden (Baltikum), und diese haben seit der Krise ihr Kapital abgezogen. Im Unterschied zu Staaten mit Leistungsbilanzdefiziten in Westeuropa haben diese Länder nicht vom Schutz profitiert, Mitglied der Eurozone zu sein. Nach Angaben der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) haben die zentraleuropäischen und baltischen Staaten die stärksten Verluste in der globalen Krise erlitten, wobei letztere im Jahr 2009 einen BIP-Rückgang von 14 bis 18 Prozent verkraften mussten.

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5.2   Die makroökonomische Lage:   Europäische Makropolitiken unter Druck

Die unmittelbar drohende Gefahr eines Zusammenbruchs des Banken- und Finanzsektors ist in allen größeren Volkswirtschaften durch bisher nicht da gewesene Maßnahmen abgewendet worden: durch eine dra-stische Absenkung der Zinssätze der Zentralbanken, die noch durch eine sehr aktive Praxis der Liquiditätsversorgung in einer ganz enor-men Größenordnung und über ein sehr breites Spektrum der Finanz-märkte hinweg in ihrer Wirkung verstärkt wurde; durch eine massive Rekapitalisierung von Banken durch Regierungen, ergänzt um Regie-rungsankäufe oder -garantien von risikobehafteten Vermögenswerten in den Händen des Finanzsektors, und durch sehr groß angelegte öf-fentliche Ausgabenprogramme zur Stimulierung der Wirtschaft.

Aber selbst dieser Übergang zu sehr viel expansiveren Geld- und Finanzpolitiken hat bisher die Gefahr einer schwerwiegenden Rezes-sion nur mildern und keineswegs abwehren können. Der Rückgang der Wirtschaftsleistung ist in einigen der größeren Volkswirtschaften gestoppt worden, aber die Arbeitslosigkeit steigt weiterhin an. Auch wenn die Regulierung des Finanzsektors reformiert und verstärkt wird, ist bisher kaum etwas unternommen worden, um die zugrunde liegenden Ungleichgewichte in den Handelsbeziehungen und in der Einkommensverteilung anzugehen, obgleich diese ebenfalls wichtige Faktoren der Krise waren.

Unter den europäischen Volkswirtschaften gibt es große Ungleich-gewichte. Am wichtigsten sind die übermäßige Abhängigkeit der deut-schen Volkswirtschaft von Exporten und ihr riesiger Leistungsbilanz-überschuss. Dieser Leistungsbilanzüberschuss – dem entsprechende Leistungsbilanzdefizite in einigen anderen Volkswirtschaften der Eu-rozone gegenüberstehen – hat sich zu einer Bedrohung für das effektive Funktionieren der Währungsunion entwickelt und erschwert auch ganz beträchtlich die Festlegung einer wirksamen europäischen Antwort auf die Krise. Die Rezession hat als solche bereits die Leistungsbilanzdefi-zite vieler Länder zurückgehen lassen, aber für das Jahr 2010 werden immer noch für eine ganze Reihe von Ländern Defizite prognostiziert,

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die über fünf Prozent liegen, namentlich für Bulgarien, Griechenland, Portugal, Rumänien und die Slowakei.

Erneut beziehen sich die Ungleichgewichte auch auf Verteilungsfra-gen – nämlich auf den anhaltenden Lohnsenkungsdruck in Deutsch-land, unter dem ganz besonders die Löhne der ohnehin bereits gering verdienenden Erwerbstätigen stehen. Seitdem 1999 der Euro einge-führt worden ist, war die Lohnentwicklung im Euroraum insgesamt sehr bescheiden, mit einer jährlichen Steigerung der Nominallöhne um zwischen zwei und drei Prozent. Allerdings lag der Lohnanstieg in Deutschland über den gesamten Zeitraum gesehen anhaltend auf einem niedrigeren Niveau, sodass einige von Deutschlands Partnern in der Eurozone jetzt unter erheblichen Problemen im Hinblick auf ihre Konkurrenzfähigkeit zu leiden haben und sehr große Leistungs-bilanzdefizite aufweisen (vgl. Artus 2010). Dies gilt insbesondere für Griechenland, Zypern, Spanien und Portugal, während Irland sein Lei-stungsbilanzdefizit nur reduzieren konnte, indem ein ganz massiver Einkommensabbau betrieben wurde, weshalb ein Rückgang des BIP von 2008 bis 2010 um zwölf Prozent erwartet wird. Dies gilt aber auch außerhalb der Eurozone: Die britische Volkswirtschaft beispielsweise steht vor akuten Problemen – der sehr große Finanzsektor Großbritan-niens sieht gegenwärtig einer ungewissen Zukunft entgegen, während die Wirtschaftsleistung über die gesamte Breite der Volkswirtschaft zurück geht. Auch in den meisten der neuen Mitgliedstaaten der EU in Mittel- und Osteuropa gibt es akute Probleme: Ihre Volkswirtschaften waren besonders stark sowohl den Finanzmarktturbulenzen als auch dem Rückgang des internationalen Handels und dem Versiegen der Investitionsströme ausgesetzt. Die globale Krise hat bei ihnen allen die Grundlagen für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung ernsthaft geschwächt. Sie bilden allerdings keinen einheitlichen Block, sondern ihre wirtschaftliche Lage stellt sich noch polarisierter dar, als dies unter den anderen EU-Mitgliedstaaten der Fall ist.

Am schwersten betroffen sind jedoch die baltischen Republiken: Sie leiden unter einem massiven Rückgang des BIP, der sich im Jahr 2009 zwischen 14 Prozent und 18 Prozent bewegte – im Vergleich zu Wachstumsraten von acht bis zehn Prozent in den Jahren 2004 bis

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2007. Der schwerwiegendste Rückgang war in Lettland zu verzeich-nen, wo das BIP im zweiten Quartal des Jahres 2009 um 20,4 Prozent zurückging. Seit der Jahresmitte 2008 kam es in allen drei Republiken zu einem beschleunigten Rückgang des gesamten Kapitalstocks. Eine zweite Gruppe von Ländern, die aus Ungarn, Rumänien und Slowenien besteht, erfuhr einen relativ gemäßigten Rückgang des BIP, der sich al-lerdings in der ersten Jahreshälfte beschleunigte und im zweiten Quartal bereits 7,3 bis 9,0 Prozent erreichte. Eine dritte Ländergruppe, beste-hend aus Bulgarien, der Tschechischen Republik und der Slowakei, war nur von einer relativ schwachen Rezession betroffen (Rückgang des BIP um etwa fünf Prozent).

Einen Sonderfall stellt Polen dar, da es das einzige EU-Mitglied ist, dem es bisher gelungen ist, eine Rezession abzuwehren, auch wenn das für das Jahr 2009 verzeichnete BIP-Wachstum von 1,7 Prozent das niedrigste seit dem Beginn dieses Jahrzehnts sein wird. In der Tat erlebte auch das osteuropäische Land eine Spekulationsblase in seinen Vermö-genswerten, aber weil die polnischen Banken bei der Kreditvergabe an relativ stringenten Kriterien folgten, halten sie nur begrenzte Bestände an faulen Krediten in ihren Portfolios. Für 2010 wird ein Wachstum von 1,8 Prozent erwartet.

In einigen Ländern wird ein Ausweg aus der Rezession durch riesige Auslandsschulden behindert. Dies gilt besonders für die baltischen Re-publiken sowie Ungarn, Bulgarien und Slowenien, da sich der gesamte Schuldenbestand hier in der Größenordnung des BIP bewegt oder sogar bereits darüber hinausgeht (in Lettland sogar um 40 Prozent).

Die unterschiedlichen Auswirkungen der Krise auf einzelne Volks-wirtschaften lassen sich durchaus auf Fehler in der Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre zurückführen. Hierzu zählen insbesondere die folgenden Irrtümer: • das Festhalten an einem System fester Wechselkurse (in den bal-

tischen Republiken und in Bulgarien); • das Zulassen eines Heißlaufens der Volkswirtschaft (in den bal-

tischen Republiken) – die durchschnittlichen jährlichen Wachstums-raten des BIP lagen von 2001 bis 2007 in Estland und Litauen bei 8,1 Prozent und in Lettland bei 9,0 Prozent;

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• übermäßige Zuwächse der öffentlichen Ausgaben und des Konsums der Privathaushalte, die durch Fremdwährungsanleihen finanziert wurden (Ungarn);

• eine Politik, die sich gegenüber ausländischen Direktinvestitionen ganz passiv verhielt, sodass interne Verknüpfungen zwischen Un-ternehmen abgeschwächt und externe Verbindungen wurden und sich eine duale Wirtschaftsstruktur entwickelte (Ungarn).

Die Erfahrung der baltischen Staaten steht im Widerspruch zu der gemeinsamen Überzeugung neoliberaler Ökonominnen und Öko-nomen, dass Systeme fester Wechselkurse in Kombination mit einer restriktiven Haushaltspolitik eine wichtige Rolle bei der wirtschaft-lichen Stabilitätsentwicklung übernehmen können. In Wirklichkeit hat gerade das System fester Wechselkurse die Auswirkungen der Krise noch verstärkt, indem es die schockabfedernden Wirkungen freier Wechselkurse beseitigte und die Zentralbanken zu Interventionen auf dem Währungsmarkt zwang, um eine weitgehende Abwertung der nationalen Währung zu vermeiden, sowie die Regierungen auf eine Reduzierung der öffentlichen Ausgaben verpflichtete.

Diese großen Ungleichheiten in der Wirtschaftslage der Mitglied-staaten gehen mit einer allgemeinen Verschlechterung der Wirtschafts-leistung einher, insbesondere mit einer in allen Mitgliedstaaten an-wachsenden Arbeitslosigkeit. Bereits die Lissabon-Strategie, die der Wirtschaftspolitik der EU im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts zugrunde lag, kann mitnichten als wirklich erfolgreich bezeichnet werden: Zwischen 2001 und 2008 ging die Arbeitslosenquote in den heutigen 27 EU-Mitgliedstaaten nur von 8,5 Prozent auf 7,0 Prozent zurück. Im Kontext einer sich rasch entwickelnden Weltwirtschaft war das ein enttäuschendes Ergebnis. Das zentrale Ziel der Lissabon-Stra-tegie war es, eine Beschäftigungsquote von 70 Prozent zu erreichen. Dieses Ziel haben alle Mitgliedstaaten vollständig verfehlt – mit Aus-nahme der skandinavischen Staaten und der Niederlande, in denen weiterhin eine stärker auf Solidarität orientierte und staatsinterven-tionistische Politik betrieben worden ist, in Verbindung mit höheren Niveaus der öffentlichen Ausgaben. Die Intensivierung der Finanzkrise

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im Jahr 2008 machte dann den sehr begrenzten Fortschritt im Abbau von Arbeitslosigkeit wieder zunichte – mit einer für 2009 auf 9,1 Pro-zent geschätzten Arbeitslosenquote und der Prognose der Kommission, dass für 2010 mit einer Erhöhung auf 10,3 Prozent zu rechnen ist. Das Ergebnis stellt sich für die 15 Länder, die bereits zur Jahrhundert-wende Mitglieder der EU waren, keineswegs besser dar: Hier war die Arbeitslosenquote fast statisch und sank von 7,7 Prozent im Jahr 2000 auf 7,0 Prozent im Jahr 2007. 2009 lag diese Quote bei 9,0 Prozent, und laut Prognose soll sie im Jahr 2010 auf 11,1 Prozent ansteigen. Besonders besorgniserregend ist die Lage in Spanien und in Irland, wo die Arbeitslosenquote bereits den Wert von 18,0 Prozent bzw. 11,8 Prozent erreicht hat. Eine zweistellige Arbeitslosenquote gibt es aber auch in weiteren EU-Mitgliedstaaten: In Lettland ist sie ähnlich hoch wie in Spanien; in Estland, Litauen und in der Slowakei hat sie eine der irischen vergleichbare Höhe.

Da es die Zielsetzung der Lissabon-Strategie war, die Wirtschafts-leistung als solche zu verbessern, kann die gegenwärtige Krise und Rezession als eine weitere Bestätigung dafür betrachtet werden, dass diese Strategie vorher bereits umfassend gescheitert war. Sowohl auf der globalen Ebene als auch innerhalb der EU lässt sich festhalten, dass ein noch rascherer Anstieg der Arbeitslosigkeit allein durch eine stärker auf die Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung ausgerichteten Haushalts- und Geldpolitik verhindert werden kann. In der Tat ist der wirtschaftliche Anreiz durch bewusste Haushaltsentscheidungen bisher keineswegs so bedeutend gewesen, wie dies oft behauptet wird – er lag bei etwa zwei Prozent des BIP –, während der bedeutendere Anreiz für die Wirtschaftsentwicklung von den automatischen Stabilisatoren ausgegangen ist, insbesondere von der Verringerung der Steuereinnah-men und von höheren Ausgaben, wie sie sich aus der Finanzkrise und der Rezession als solchen ergeben haben. Einige Länder wie Lettland und Irland haben ihre Haushaltspolitik nicht etwa gelockert, sondern weiter gestrafft.

Die Ausgaben der Privathaushalte und der Unternehmen stagnie-ren bestenfalls, während die Banken und andere Finanzunternehmen vorrangig an der Verbesserung ihrer Bilanzsituation interessiert sind

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Tab. 3: Bruttoinlandsprodukt und Beschäftigung in der EU

Bruttoinlandsprodukt Beschäftigung

Veränderung in Prozent gegenüber dem Vorjahr

2002-

20062007 2008 2009

2010

(P)

2002-

20062007 2008

2009

(P)

2010

(P)

Belgien 2,0 2,9 1,0 -3,1 0,6 0,7 1,6 1,9 -0,8 -1,4

Deutschland 1,0 2,5 1,3 -5,0 1,2 -0,7 1,5 1,4 -0,5 -1,9

Irland 5,4 6,0 -3,0 P -7,5 -1,4 3,2 3,6 -0,8 -7,8 -3,9

Griechenland 4,1 4,5 2,0 P -1,1 -0,3 1,7 1,4 0,1 -0,9 -0,8

Spanien 3,3 3,6 0,9 -3,6 -0,8 2,8 2,8 -0,6 -6,6 -2,3

Frankreich 1,7 2,3 0,4 P -2,2 1,2 0,5 1,5 0,6 -1,8 -0,9

Italien 0,9 1,6 -1,0 -5,0 0,7 0,8 1,0 -0,1 -2,6 -0,4

Zypern 3,3 4,4 3,7 P -0,7 0,1 3,0 3,2 2,6 -0,4 -0,1

Luxemburg 4,2 6,5 0,0 P -3,6 1,1 2,8 4,4 4,7 1,1 -1,3

Malta 2,1 3,7 2,1 P -2,2 0,7 0,7 3,2 2,4 -0,6 -0,3

Niederlande 1,6 3,6 2,0 -4,0 0,3 -0,2 2,3 1,2 -0,1 -2,1

Österreich 2,2 3,5 2,0 -3,6 1,1 0,5 1,6 1,8 -1,5 -0,7

Portugal 0,7 1,9 0,0 P -2,9 0,3 0,0 0,0 0,4 -2,3 -0,4

Slowenien 4,3 6,8 3,5 P -7,4 1,3 0,6 3,0 2,9 -2,6 -2,0

Slowakei 5,9 10,4 6,4 P -5,8 1,9 0,9 2,1 2,9 -2,0 0,0

Finnland 2,9 4,2 1,0 -7,8 0,9 0,9 2,2 1,6 -2,9 -2,5

Eurozone 1,7 2,8 0,6 -4,1 0,7 0,6 1,7 0,6 -2,3 -1,3

Bulgarien 6,0 6,2 6,0 P -5,9 -1,1 2,4 2,8 3,3 -2,0 -1,3

Tschechien 4,6 6,1 2,5 P -4,8 0,8 0,5 2,7 1,5 -2,0 -1,4

Dänemark 1,8 1,6 -1,2 -5,1 1,5 0,3 2,7 0,8 -2,6 -2,1

Estland 8,4 7,2 -3,6 P -13,7 -0,1 1,9 0,8 0,2 -9,0 -2,5

Lettland 9,0 10,0 -4,6 P -18,0 -4,0 2,2 3,6 0,7 -11,9 -5,6

Litauen 8,0 9,8 2,8 -15,0 -3,9 2,0 2,8 -0,5 -8,3 -2,4

Ungarn 4,2 1,0 0,6 -6,3 -0,5 0,3 -0,1 -1,2 -3,0 -0,8

Polen 4,1 6,8 5,0 1,7 1,8 0,5 4,4 3,8 -0,7 -1,1

Rumänien 6,2 6,3 6,2 -7,1 0,5 -1,1 0,4 0,3 -3,3 0,8

Schweden 3,2 2,6 -0,2 -4,9 1,4 0,1 2,2 0,9 -2,2 -1,8

Großbritannien 2,6 2,6 0,6 -5,0 0,9 0,9 0,7 0,7 -2,0 -0,9

EU 2,0 2,9 0,8 -4,2 0,7 0,6 1,7 0,9 -2,3 -1,2

USA 2,7 2,1 0,4 -2,4 2,2 0,6 1,1 -0,5 -3,5 -0,5

Japan 1,7 2,3 -0,7 -5,0 1,1 -0,2 0,4 -0,4 -3 -1,2

P=Prognose. Quelle: Eurostat 2010; Europäische Kommission, Economic forecasts,

November 2009.

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und ihre Schulden zurückzahlen. Unter diesen Umständen besteht eine deutliche Gefahr, dass es zu einer Abkehr von den Politiken zur Förde-rung der Wirtschaftsentwicklung kommt, bevor eine wirtschaftliche Erholung eingesetzt hat. Weitere Gefahren, die mit der Art und Weise zusammenhängen, wie in der jüngeren Vergangenheit das Wirtschafts-wachstum erzielt worden ist, zeichnen sich langfristig ab. Es ist fraglich, ob das Wachstumsmuster der letzten Jahrzehnte, in dessen Zentrum eine riesiges Defizit der USA stand und das auf der Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte beruhte, als solches länger fortgesetzt werden kann. Es gibt aber noch kein klar umrissenes Entwicklungs-modell, das an seine Stelle treten könnte. Das könnte durchaus zu dem Ergebnis einer lähmenden Ungewissheit führen – es sei denn, die politischen Akteure legen klare Prioritäten fest, denen die Entwicklung und die Nachhaltigkeit im kommenden Jahrzehnt gehorchen müssten. Daher kann allein ein entscheidender politischer Wandel, der dazu führt, dass derartige Prioritäten festgelegt werden, den Unternehmen-sentscheidungen die erforderliche Orientierung vorgeben.

5.3   Vorschläge für Alternativen

Die neoliberale, auf Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zielende Lissabon-Strategie der EU hat ihr Versprechen einer Vollbeschäftigung – verbunden mit einer hohen Qualität der Arbeitsplätze, Gleichheit, Wohlstand und von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit – nicht halten können. Die sozialpolitische Strategie der EU („Europäische Soziale Agenda“) und ihre außenwirtschaftliche Strategie („Global Europe“) haben diese Ziele ebenfalls nicht befördert. Deshalb ist eine neue Strategie notwendig, die eine wirtschaftlich, sozial und öko-logisch nachhaltige Entwicklung innerhalb der EU vorantreibt und gleichgerichtet auch den Beitrag der EU zur Bewältigung der globalen Probleme anleitet. Dafür wird eine integrierte Strategie benötigt, die auf sich gegenseitig unterstützenden wirtschafts-, sozial- und um-weltpolitischen Pfeilern beruht und durch einen demokratischen und partizipativen Prozess gesellschaftlicher und ökonomischer Steuerung

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vorangetrieben wird. Eine wirklich integrierte Strategie muss das ge-genwärtige Durcheinander von getrennten und untereinander nicht koordinierten EU-Strategien beenden. Sie muss die Widersprüche zwischen den Zielen und Instrumenten der bisherigen EU-Nachhaltig-keitsstrategie (EU-SDS), der sozialpolitischen Strategie (Sozialschutz und soziale Integration) und der Strategie für „Wachstum und Be-schäftigung“ (Lissabon II) vermeiden. Eine integrierte EU-Strategie für soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Solidarität muss sich auf die Wechselwirkungen zwischen ihren wirtschafts-, sozial- und umwelt-politischen Komponenten konzentrieren, auf dass alle drei Pfeiler dazu beitragen, die sozialen und ökologischen Ziele zu erreichen.

Als ihr Kernstück benötigt sie ein sozial-ökologisches Umbaupro-gramm, das die Konjunkturprogramme der EU-Mitgliedstaaten stärkt und umgestaltet und sie untereinander und mit einem systemischen EU-Zukunftsinvestitionsprogramm koordiniert. Dieses zielt auf Gleichheit, Vollbeschäftigung mit „guter Arbeit“, den ökologischen Umbau der Wirtschaft, den Ausbau des Sozial- und Wohlfahrtsstaats, die Über-windung von Armut und sozialer Ausgrenzung und die Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts in der ganzen EU. Um die Krise zu überwinden, bedarf es eines starken, alternativen makro-ökonomischen Fundaments.

Die integrierte Strategie benötigt nicht nur eine interne Dimension (die EU und ihre Mitgliedstaaten), sondern auch eine externe (z.B. Außenpolitik, Handelspolitik, EU-Nachbarschaftspolitik), die nach den gleichen Kriterien wie die interne Dimension zu gestalten ist. Die neoliberale „Global Europe“-Agenda muss aufgegeben werden.

5.4   Für ein demokratisches Finanzwesen in Europa

Die Expansion des Finanzsektors in Zeiten „innovativer Finanzpro-dukte“ und die Deregulierung hat es einer kleinen Elite ermöglicht, sich einen immer größeren Anteil des Volkseinkommens anzueignen, sowohl in den USA als auch in Europa. Zur gleichen Zeit hat das Fi-nanzsystem Instrumente bereitgestellt, die es der Elite erlaubt haben,

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einen immer größeren Profit aus ihrem Vermögen zu erzielen. Resul-tate waren ein hochmobiles Kapital – das sich von einem Investment zu einem anderen verlagerte, um die höchsten kurzfristigen Erlöse zu erzielen –, die Entwicklung immer durchgreifenderer Instrumente (oftmals so konzipiert, dass die inhärenten Risiken nicht erkennbar waren), und ein wachsendes Maß an Unsicherheit, die die Regierungen in Zugzwang brachten, mit großen Summen zu intervenieren, um den vollständigen Finanzkollaps zu verhindern.

Obwohl der Staat nun direkt an vielen Finanzunternehmen beteiligt ist, hat die Kreditknappheit zum tiefen Einbruch der Produktion und zum Anstieg der Arbeitslosigkeit in Europa beigetragen. Als ein sofort nutzbares Instrument sollten die Regierungen ihren Einfluss nutzen – besonders dort, wo der Staat teilweise oder ganz Eigentümer ist –, mit dem Ziel, die Finanzierung von sozial und ökologisch sinnvollen Projekten zu garantieren.

5.5   Schritte zu einer Verbesserung der   makroökonomischen Entwicklungsfähigkeit

Eine Grundbedingung für eine verbesserte makroökonomische Lei-stungsfähigkeit liegt mittelfristig in der Erhöhung der Anzahl der nutz-baren politischen Instrumente und der Überprüfung der Zielzuweisung dieser Instrumente. Die Geldpolitik sollte nicht inflationsfixiert sein, sondern auch auf Vollbeschäftigung ausgerichtet werden.

Die Haushaltspolitik kann dafür eingesetzt werden, sowohl das Gesamtniveau als auch die Struktur der Beschäftigung zu beeinflus-sen. Finanzielle Stabilität sollte nicht durch hohe Zinssätze, sondern durch eine verbesserte Regulation des Finanzsektors erreicht werden, einschließlich einer Ausweitung der Rolle des öffentlichen Sektors in den Bereichen des Sparens, der Alterssicherung und der Wohnungs-versorgung.

Innerhalb der Eurozone liegt eine notwendige Bedingung für die Möglichkeit derartiger Entwicklungen in einer umfassenden Reform der Europäischen Währungsunion. Die erforderlichen Grundlinien dieser

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Reform sind inzwischen bekannt: Es geht darum, eine demokratischen Kontrolle der EZB zu gewährleisten und ihre Aufgaben auf eine Weise neu zu formulieren, dass die Sicherung der finanziellen Stabilität, der Vollbeschäftigung, der internationalen Zusammenarbeit und der In-vestitionen in nachhaltige Entwicklung gefördert wird. Der unlogische und schädliche Stabilitätspakt muss aufgehoben werden; stattdessen muss eine kohärente Haushaltspolitik eingeführt werden, deren Grund-lagen sowohl in einer wirklichen Koordination der Haushaltspolitiken der Mitgliedstaaten als auch in einer bedeutenden Ausweitung des zentralen Haushaltes der EU bestehen, wobei der EU-Haushalt auch ein Moment der Umverteilung zwischen den Mitgliedstaaten enthalten müsste, um deren Solidarität untereinander zu stärken.

Ein entscheidendes Ziel der EU-Politik sollte es darüber hinaus sein, zur Stabilisierung der Weltwirtschaft beizutragen. Dazu ist es erforderlich, dass zwischen den wichtigsten Staatengruppen darüber Übereinstimmung erzielt wird, Veränderungen der Wechselkurse zu beschränken und zugleich die eigene makroökonomische Politik im Sinne der Verfolgung gemeinsamer Interessen zu verändern. Auf der Grundlage einer Verringerung der Spannungen innerhalb der Eurozone wäre die EU hervorragend dazu in der Lage, einen Abbau der zentralen Ungleichgewichte innerhalb der Weltwirtschaft zu fördern, indem sie eine expansive Makropolitik betriebe, wie sie auch zum Abbau der Arbeitslosigkeit innerhalb Europas erforderlich wäre.

Die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise hat zu einer Rezession ge-führt, die in den meisten Volkswirtschaften ganz verheerende Ausmaße erreicht hätte, wenn nicht in relevantem Umfang eine Politik der Wirt-schaftsbelebung durch Staatsausgaben betrieben worden wäre. Jetzt aber benutzen einige Unternehmensgruppen und Fundamentalisten der „freien Marktwirtschaft“ die Haushaltsdefizite, die aus dieser Inter-vention resultieren, als Vorwand für einen Angriff auf die öffentlichen Dienste und auf die Systeme der sozialen Sicherung. Das ist jedoch absurd, denn die Krise rührt doch gerade daher, dass die gesellschaft-liche Kontrolle über das Wirtschaftsleben im Allgemeinen und über die Finanzmarktprozesse im Besonderen verloren gegangen ist, und der einzige Weg zum Aufbau einer stabilen, nachhaltigen und gerechteren

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Wirtschaft verläuft über die Stärkung des öffentlichen Sektors und eine sehr viel größere Bedeutung, die den öffentlichen Gütern und der Solidarität eingeräumt wird.

Eine Vorbedingung für die Verbesserung der fiskalischen Gesundheit der europäischen Staaten liegt schlichtweg darin, durch makroregionale und weltweite Vereinbarungen klare Prinzipien für eine faire Besteue-rung festzulegen. Derartige Vereinbarungen müssten sich auf die Ab-schaffung der so genannten Steueroasen beziehen, auf die Verhinderung eines ruinösen Steuerwettbewerbs durch die Festlegung eines minimalen Niveaus der Besteuerung des Einkommens von Personen und Unterneh-men innerhalb der EU27, auf die Wiedereinführung eines wirksamen Systems der Steuerprogression, auf eine Standardisierung der Besteu-erungsgrundlagen für Unternehmen unterschiedlicher Rechtsformen und auf den Informationsaustausch zwischen den Steuerbehörden der einzelnen Staaten. Ein derartige Vereinbarung würde einen Beitrag dazu leisten, die dramatische Einkommensumverteilung zulasten der Löhne und zugunsten der Profite, wie sie im letzten Vierteljahrhundert stattgefunden hat, wieder rückgängig zu machen – zumal diese Ein-kommensumverteilung nicht unwesentlich zu den Spekulationsblasen beigetragen hatte, die in der Misere von 2008 ihr Ende fanden. Dies wäre auch ein Beitrag dazu, dass die staatlichen Instanzen in ganz Europa, vor allem aber in den neuen Mitgliedstaaten, wieder über die erforderlichen Mittel verfügen, um sowohl die lebensnotwendige Ver-sorgung mit öffentlichen Gütern und Sozialleistungen zu gewährleisten als auch erneuten Konjunkturkrisen wirksam begegnen zu können.

Diese Maßnahmen könnten auch sicherstellen, dass eine Reduzie-rung der Haushaltsdefizite, wenn sie denn erfolgt, auf eine faire und wirksame Weise vorgenommen wird, die zugleich auch die Solidarität innerhalb der EU stärkt. Tatsächlich werden die Haushaltsdefizite heute in vielen Mitgliedstaten der EU zu relativ günstigen Bedingungen finan-ziert, weil die Investoren nach der Krise eine Präferenz für Anlagen mit geringem Risiko haben. Dies gilt allerdings nicht für die am stärksten von der Krise betroffenen Länder wie Lettland, Litauen oder Ungarn. Die EU und deren reichsten Mitgliedstaaten müssen daher die Anleihen für den öffentlichen Sektor dieser Staaten garantieren.

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Es wird von entscheidender Bedeutung sein, dass die Defizite nicht zu schnell und auch nicht zu weit reduziert werden, denn dies könnte dazu führen, die Rezession wieder zu verlängern oder auch zu vertiefen. Falls es künftig einen problematischen Überschuss der öffentlichen Verschuldung geben sollte, dann sollten entsprechende Schuldenstrei-chungen auf Kosten privater Vermögenswerte praktiziert werden – ins-besondere im Hinblick auf die unermesslichen Vermögen, die durch die dysfunktionalen, destabilisierenden und parasitären Aktivitäten von Banken und Finanzunternehmen verdient worden sind. Dies ließe sich am wirksamsten durch eine spezielle Reichtumsbesteuerung erreichen. Die letzten beiden Jahre haben eine gigantische Vergesellschaftung der Verluste erlebt, die aufgrund des Missmanagements der Finanz- und Unternehmenseliten entstanden waren. Für die Mehrheit der Bürge-rinnen und Bürger wäre ein gewisses Maß der Vergesellschaftung der zu Unrecht erzielten Gewinne dieser Eliten zumindest eine Form der Kompensation für die riesigen Summen, die zur Banken- und Unter-nehmensrettung aufgewendet worden sind.

Literatur

Artus, Patrick (2010): Die deutsche Wirtschaftspolitik: ein Problem für Europa?, WISO direkt, Januar 2010

Eurostat (2009): News Release 133/2009, 17. September 2009.IMF (2009): Global Financial Stability Report. Oktober 2009, Fig.

1.9.

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6   Ressourceneffizienz und Klimaschutz   für nachhaltige Entwicklung

Die heftigen Preisausschläge für Energie und Rohstoffe sowie der zunehmende Kampf um die Durchsetzung einer Klimaschutzpolitik sind nur zwei Indikatoren dafür, dass alternative Wirtschafts- und Sozialpolitik auf nationaler und internationaler Ebene nicht mehr los-gelöst von der Umweltschutz-, Klima- und Ressourceneinsparpolitik betrieben werden kann und darf und dass sie diese Politikfelder inte-grieren muss. Die aktuelle Weltwirtschaftskrise bietet eine besondere Gelegenheit, durch einen vom öffentlichen Sektor und den Staats-haushalten angetriebenen neuen klima- und ressourcenschonenden Entwicklungstyp zugleich sowohl die Beschäftigungskrise als auch die Umweltkrise zu mindern.

Analytische Vorarbeiten sind hierfür vielfältig geleistet worden, vom Ökoinstitut, vom Wuppertal Institut, von verschiedenen Enquetekom-missionen (z.B. zum Schutz der Erdatmosphäre), vom Wissenschaft-lichen Beirat Globale Umweltprobleme (WBGU) und auch von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik.

In den 1980er Jahren standen Themen wie eine neue Energie- und Verkehrspolitik zur Diskussion (MEMORANDUM 1989). Im Jahr der Einheit wurden Grundsätze und Instrumente eines ökologisch-sozialen Umbaus entwickelt (MEMORANDUM 1990, Kapitel 5: Für ein sozi-ales, ökologisches und demokratisches Wirtschaftssystem, Kapitel 6: Ansätze und Instrumente eines ökologisch-sozialen Umbaus). In den 1990er Jahren gab es eine Debatte vor allem im Lichte der Rio-Konfe-renz (1992) und der auf ihr beschlossenen Agenda 21, in Deutschland zusätzlich unter der speziellen Fragestellung, wie man bei der Entwick-lung der Neuen Länder die alten Fehler vermeiden und eine stärker auf Nachhaltigkeit orientierte Strukturpolitik betreiben könnte. Im MEMORANDUM 1999 folgte ein umfassendes Umweltkapitel, das den Ausstieg aus der Atomstromerzeugung begründete, Kriterien für die Einführung einer Ökosteuer entwickelte und die Grundlinien eines

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sozial-ökologischen öffentlichen Investitionsprogramms skizzierte. Das Platzen der New-Economy-Blase 2000/01 lenkte zunächst einmal von den ökologischen Fragen ab. 2003 erinnerte die Arbeitsgruppe Al-ternative Wirtschaftspolitik daher in einem ausführlichen Kapitel an die Notwendigkeit einer Renaissance der Klimaschutzpolitik. Im Jahr 2005 schlug sie ein Investitionsprogramm für mehr Beschäftigung vor, das jährlich 75 Milliarden Euro vorsah, davon 40 Milliarden für die ökologischen Umbau.

2009 erschien, herausgegeben von Brot für die Welt, dem EED und dem BUND, das Gutachten „Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt. Eine Studie des Wuppertal Instituts“. Dieses ist nun ein Maßstab, an dem sich umweltpolitische Studien und politische Forderungen messen lassen müssen.

Das folgende Kapitel bewegt sich im Forschungsfeld Energieeffi-zienz, Materialeffizienz und Suffizienz, also der energie- und mate-rialsparenden Veränderung der Lebensweise und ihrer betriebs- und volkswirtschaftlichen Implementierung. Alternative Wirtschaftspolitik kann sich heute nicht mehr nur auf sozioökonomische Analysen und Programme für einen kurz- und mittelfristigen Politikhorizont be-schränken. Spätestens seit der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise ist die Verschränkung konjunktureller, ökonomischer Krisen mit säkularen, ökologischen Krisentrends offensichtlich.

Zwei Hauptströmungen lassen sich dabei ausmachen: Während der politische und ökonomische Mainstream trotz sich zuspitzender Kli-ma- und Ressourcenprobleme eine traditionelle ökonomische Krisen-eindämmung („Konjunkturprogramme“) praktiziert, fordern andere einen auf lange Sicht angelegten „New Green Deal“. Damit verbinden sich unterschiedliche kurz- und langfristige Konzepte einer integrierten Politik gegen die Weltwirtschaftskrise und für den Klima- und Res-sourcenschutz. Die verbindende Denkfigur dabei ist, dass Klima- und Ressourcenschutz nicht nur einen ökologischen Imperativ bedeuten, sondern dass die damit verbundenen Innovationen und Investitionen einen ökonomischen Megatrend („GreenTech“) und ein neues „grünes“ Wachstums- und Wohlstandmodell induzieren könnten – pointiert for-muliert: „Mit der Ökologie aus der Krise“ (Müller/Hennicke 1995).

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Nach aktuellen Schätzungen verbleibt der Weltgemeinschaft für die Umkehr des Trends steigender CO2-Emisisonen nur noch ein Zeitfen-ster von zehn bis 15 Jahren (vgl. Meinshausen u.a. 2009; WBGU 2009). Deshalb steht nachfolgend das Klimaproblem (das Problem der Auf-nahmefähigkeit der Atmosphäre als „Senke“) zunächst im Mittelpunkt. In einem zweiten Schritt wird darüber hinaus der Ressourcenschutz (das Problem der Verfügbarkeit von Ressourcen) angesprochen. Ein „New Green Deal“ muss beide Problemlösungen zum Ziel haben, wenn er nachhaltig wirksam sein soll.

6.1   Paradigmenwechsel

Die gescheiterte Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 warf ein Schlaglicht auf das „Ende der Welt, wie wir sie kannten“ (Welzer/Leggewie 2009). Das lag nicht nur am Scheitern, sondern hätte auch für einen Erfolg gegolten. Die Vertreterinnen und Vertreter von 192 Staaten haben in Kopenhagen erstmalig die gesamte Weltge-sellschaft (mehr oder weniger demokratisch) repräsentiert, um ihre „gemeinsame, aber differenzierte Verantwortung“ (so die Kompro-missformel der Klimadiplomatie für den Norden wie den Süden) für die zukünftige Bewohnbarkeit der Welt wahrzunehmen – Ausdruck eines epochalen Paradigmenwechsels der Geopolitik und nationaler Politiken. Obwohl die Konferenz in Kopenhagen den notwendigen Richtungswechsel zu verbindlichem Klimaschutz im reichen Norden und zu einem ambitionierten Förderrahmen für den Süden nicht be-schlossen hat, ist für die Weltöffentlichkeit deutlich geworden: Die Erhaltung oder Zerstörung der natürlichen weltweiten Lebensgrund-lagen ist von den globalen Fragen der Sicherung des Lebensunterhalts im Norden wie auch der Armutsbekämpfung im Süden nicht mehr zu trennen. Wer weiter glaubt, wegen kurzfristiger Wirtschafts- und Konjunkturpolitik Lösungsbeiträge für die Klima- und Ressourcen-probleme in die Zukunft verschieben zu müssen, ist noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen.

Auch weltweit hat der Paradigmenwechsel die Machtzentralen

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von Ökonomie und Politik zwar erreicht, aber bisher nur ansatzweise Kurskorrekturen in Gang gesetzt. Das zeigt sich beispielsweise an den dominierenden Denkfiguren der Klimadiplomatie, da in Kopenhagen im Kern weiter über Lastenteilung des Klimaschutzes und nur in Ne-benzimmern über Chancenverteilung gesprochen wurde. Erst wenn die Chancen der Entwicklung der Klimaschutztechnik (Effizienz und Erneuerbare Energien) weltweit erkannt und auch im Süden verfügbar gemacht werden, wird ausreichender Klimaschutz Realität werden. Der weltweite Know-how- und Technologietransfer von Klimaschutztech-nik, so die Kernaussage einer rasch anschwellenden Zahl von Analysen und Szenarien, könnte Motor eines neuen nachhaltigen Entwicklungs-modells werden.

International zeigt sich immer noch eine vorherrschende Vorlie-be für traditionelle „Konjunkturprogramme“ und die, wenn auch unterschiedlich ausgeprägte, Skepsis gegen integrierte „GreenTech“-Politiken. Bundeskanzlerin Merkel und die Große Koalition hatten sich noch im Herbst 2008 gegen die staatliche Kriseneindämmung durch „Konjunkturprogramme“ ausgesprochen. Nachdem solche „Konjunkturprogramme“ im Jahr 2009 weltweit zur Eindämmung der Wirtschaftskrise unabweisbar und insofern – entgegen neoliberaler Vorurteile – wieder politisch salonfähig waren, haben die „Klimakanz-lerin“ und die Große Koalition gleichwohl den „grünen Anteil“ im „GreenTech-Musterland“ Deutschland klein gehalten. Dies ist einer-seits symptomatisch für das in Deutschland weiter vorherrschende neoliberale Grundverständnis von Wirtschafts- und Fiskalpolitik, das unter dem Eindruck der Finanzmarktkrise nur vorübergehend quasi in den Stand-by-Modus versetzt wurde. Andererseits kontrastiert es auffallend mit den international durchaus beispielhaften Klimaschutz-aktivitäten durch das Integrierte Energie- und Klimaschutzprogramm der Bundesregierung (IEKP; siehe auch weiter unten), das aber von der Wirtschafts- und Fiskalpolitik immer noch ausschließlich als ein Umweltprogramm missverstanden und wegen seiner angeblichen Un-verträglichkeit mit der Wirtschaft an wesentlichen Punkten zurückge-stutzt wurde.

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6.2   Energie- und Klimaschutzpolitik neu denken

„Business as usual“ in der Energiepolitik führt, das sagt heute auch die Internationale Energieagentur, in eine Welt des katastrophalen Kli-mawandels und massiver Ressourcenkonflikte, wie sie sich eigentlich nie entwickeln dürften. Diese nicht nachhaltige Perspektive wurde schon früher – heute klingt das eher beschönigend – als „harter Pfad“ bezeichnet. Demgegenüber steht die Vision eines dezentralen „sanften Pfades“, in dem das Energiesystem natur- und sozialverträglich um-gebaut wird. Dezentral bedeutet dabei: ökologisch und sozial verträg-lich, risikominimierend, unabhängiger von Konzernmacht, förderlich für Innovationen, Wettbewerb und Demokratie sowie für den Zugang zu Energie im Süden – ein Beitrag zur Armutsbekämpfung.

Allerdings muss die Alternative dezentral versus zentral zukünftig neu gedacht werden. Zutreffender sollte es heißen: effizient und erneu-erbar versus ineffizient und fossil-nuklear. Denn großtechnische Stro-merzeugungstechnologien mit Solar- und Geothermie oder Offshore-Windparks basieren zwar auf erneuerbaren Energiequellen, können aber schwerlich als dezentral bezeichnet werden. Dennoch sind ihre Risiken so unvergleichlich geringer und ihre langfristigen Erfolgsaus-sichten so viel größer als bei fossil-nuklearer Energieerzeugung, dass ihre Zuordnung zum „sanften Pfad“ gut begründet werden kann.

Die anstehenden Richtungsentscheidungen für die Energiewende, Klima- und Ressourcenschutz sowie nachhaltige Entwicklung setzen voraus, dass die Politik ihre Handlungs- und Steuerungsfähigkeit gegen-über der Wirtschaft wiedergewinnt und die Nachhaltigkeit insbeson-dere in der Energie-, Verkehrs-, Wirtschafts-, Finanz-, Forschungs- und Bildungspolitik als Leitziel ressortübergreifend umgesetzt wird, statt wie bisher die Grundsatzfragen langfristiger Politik an einen honorigen Nachhaltigkeitsrat zu delegieren.

Heute kann kaum noch bestritten werden, dass ein durch aktiven Klimaschutz forcierter Strukturwandel wirtschaftlich weit mehr Chan-cen als Risiken impliziert (vgl. Stern 2008, 2009 und Hennicke 2007). Das gilt mittelfristig und erst recht langfristig, wenn die vermiedenen exorbitanten zukünftigen Schäden schon heute berücksichtigt werden.

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Insbesondere der Stern-Report (2006) hat bis hinein in die Wall Street eine Kehrtwendung der herrschenden Kosten-Nutzen-Analysen des Klimaschutzes eingeleitet. Nicholas Stern hat in seinem 2009 erschienen Buch „Der Global Deal“ seine Kernthese im Untertitel zusammenge-fasst: „Wie wir dem Klimawandel begegnen und ein neues Zeitalter von Wachstum und Wohlstand schaffen“. Er geht davon aus, dass ein „Global Deal“ mit Techniken und Maßnahmen für den Klimaschutz ein „neues Zeitalter von Wachstum und Wohlstand“ einleiten wird. Diese These trägt insoweit, als die bereits eingetretene und weiter sich verschärfende „absolute Verknappung von Natur“ – bei natürlichen Ressourcen und Senken (wie z.B. der Atmosphäre) zur Aufnahme von Schadstoffen – quasi einen Investitionspfad in Richtung Klima- und Ressourcenschutz einleiten könnte.

Der Unterschied zur Wirtschaftsentwicklung ist eindeutig: Bildeten früher durch Kapital beliebig reproduzierbare und von der Natur scheinbar unabhängige technische Basisinnovationen den Hintergrund für einen Paradigmenwechsel und den Ausgangspunkt für neue Investi-tionspfade, so zwingt die absolute Naturverknappung im 21. Jahrhun-dert Wirtschaft und Gesellschaft erstmals in der Geschichte dazu, den Basisinnovationen eine nachhaltige Richtung zu geben: Sie müssen in der Summe natursparend und – soweit möglich – auch arbeitsschaffend sein sowie zur Entkopplung von Lebensqualität und Naturverbrauch beitragen, weil die Fortsetzung nicht nachhaltiger Produktions- und Konsummuster sonst die natürlichen Voraussetzungen von Wirtschaft und Gesellschaft zerstört. Eine notwendige, wenn auch nicht hinrei-chende Bedingung dafür ist, dass die Ressourcenproduktivität massiv gesteigert wird.

Es sind allerdings vier Punkte, die Stern und ähnlich argumentieren-de Autorinnen und Autoren nicht genügend berücksichtigen:• Erstens können autonome Marktprozesse und Preissignale für na-

tursparenden technischen Fortschritt nicht allein die erforderliche grundlegende Richtungsänderung vermitteln und als Leitplanken fungieren. Eine ökologische Industrie- und Dienstleistungspolitik und damit eine neue Richtung und Qualität einer integrierten F&E- und Markteinführungspolitik sind notwendig.

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• Zweitens verursacht ein staatlich forcierter und ambitionierter weltweiter Klimaschutz einen beschleunigten wirtschaftlichen Strukturwandel mit Verliererinnen, Verlierern, Gewinnerinnen und Gewinnern. Auch wenn der gesamtwirtschaftliche Nettoef-fekt von Klima- und Ressourcenschutz positiv ist: Die Verlierer des fossilen Zeitalters (z.B. Eigentümerinnen und Eigentümer sowie Nutzerinnen und Nutzer von Kohle, Öl und Erdgas) melden sich lautstark und mächtig zu Wort, die Gewinner (d.h. die Befürwor-terinnen und Befürworter von Erneuerbaren Energien und Ener-gieeffizienz) kämpfen noch – bei den Regenerativen Energien mit erheblicher staatlicher Anschubfinanzierung – um eine gefestigte nationale Marktstellung und um die weltweite Marktdurchdrin-gung. Klimaschutz verlangt daher ein mit langem Atem prakti-ziertes Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft: einerseits als „helfende Hand“ für die forcierte Entwicklung von „GreenTech“ und andererseits durch regulierende Interventionen zur Eindäm-mung riskanter „BrownTech“ (Technologien, die von fossilen oder anderen riskanten Energieträgern abhängig sind) bzw. zu deren Diversifizierung in naturverträglichere Geschäftsfelder.

• Drittens sind die kapitalistischen Systeme der reichen Länder (wie die USA, die EU und Japan) ebenso wie die postsozialistischen Länder (wie Russland und China) derzeit unfähig, überzeugende Konzepte zur Lösung der sich zuspitzenden Probleme mangelnder nationaler, internationaler und intergenerativer Gerechtigkeit vor-zulegen. Kopenhagen hat auf der internationalen Ebene gezeigt, dass die notwendige Hilfe der Verursacher (die reichen Länder) für die Anpassungsfähigkeit der Opfer (z.B. die kleinen Inselstaaten sowie große Teile von Afrika und von Asien) an den Klimawandel immer noch nicht als Wiedergutmachung, sondern als mildtätige Spende eingeschätzt wird.

• Viertens wird bei Stern nicht hinreichend thematisiert, welche Rolle der Staat und die Zivilgesellschaft beim Übergang ins postfossile und postnukleare Zeitalter spielen werden. Denn das ist nicht nur, wie Stern argumentiert, eine Frage der Ausklammerung von Ethik in der herrschenden (formal mathematisch argumentierenden)

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Ökonomie, obwohl sich nicht leugnen lässt, „dass die Planung von Maßnahmen gegen der Klimawandel unvermeidlich fordert, einen Standpunkt zu ethischen Fragen einzunehmen“ (Stern 2009, S. 101). Vielmehr lässt auch Sterns Versuch, Ethik und die Ökono-mie des Klimaschutzes zu verbinden, durch seinen traditionellen ökonomischen Bezugsrahmen zu viele Fragen offen. Deutlich wird das an dem oft zitierten Statement: „Treibhausgasemissionen stel-len das größte Marktversagen in der Weltgeschichte dar.“ (Stern 2009, S. 23) Dieser Satz ist für Stern und viele Ökonominnen und Ökonomen weder ein Aphorismus noch ein zwingendes Argument, über die traditionelle Ökonomie hinaus die grundlegendere Frage nach einer nachhaltigen Ökonomik und nach weltweit verallge-meinerungsfähigen, neuen Produktions- und Konsumweisen zu stellen. Vielmehr impliziert er eine vorwiegend auf Preissteuerung eingeengte wirtschaftspolitische Programmatik und Klimaschutz-politik: „Im Zentrum der Wirtschaftspolitik muss die Erkenntnis stehen, dass Emissionen von Treibhausgasen ein Marktversagen bedeuten. Wenn wir Treibhausgase ausstoßen, fügen wir den Zu-kunftsaussichten anderer Schaden zu, und solange es keine richtige Klimapolitik gibt, tragen wir nicht die Kosten des Schadens. Märkte versagen dann in dem Sinne, dass ihre wichtigste Koordinierungs-mechanismus, die Preise, das falsche Signal gibt.“ (Stern 2009, S. 22) Im Umkehrschluss folgt hieraus die Doktrin, dass Klima- und Ressourcenschutz vorwiegend dadurch erreichbar sein sollen, dass die Preise (z.B. durch Emissionszertifikate oder Steuern) die „öko-logische Wahrheit“ (Ernst Ulrich von Weizsäcker) sagen. So richtig es ist, externe Kosten soweit wie pragmatisch operationalisierbar und politisch durchsetzbar in den Preisen aufgehen zu lassen, so illusionär ist es, damit allein die Klima- und Ressourcenprobleme lösen zu wollen.

In den Preisen wird nie die „ökologische Wahrheit“ über den Verlust an Artenvielfalt, Überflutung verwundbarer Regionen und mensch-lichen Opfer zum Ausdruck kommen können. Von daher dürfen auch die neueren, durchaus überzeugend für aktiven Klimaschutz argumen-

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tierenden Kosten-Nutzen-Schätzungen des Klimawandels (einschließ-lich Vermeidung und Anpassung) nicht falsch interpretiert werden. Im Vorfeld von Kopenhagen hat nämlich eine förmliche Explosion von Studien und Analysen zu einer prinzipiell positiven Verbindung von Klimaschutz und wirtschaftlicher Entwicklung eingesetzt. Das neoliberale Credo „Ambitionierter Klimaschutz ist zu teuer, senkt den Lebensstandard und bedroht die Wettbewerbsfähigkeit“ wurde dabei so schnell über Bord geworfen, dass heute eine andere Warnung angebracht scheint: Aus vielen Studien wird nicht klar, ob Staat, Wirt-schaft und Gesellschaft als zögernde Klimaschutzakteure entschuldigt oder zur mehr Aktivitäten ermutigt werden sollen. Vor allem aber wird nicht ausreichend analysiert, wie die technisch-ökonomische Modellierung und die couragierten Annahmen über Technik- und Marktentwicklung in Einklang mit dem realen Investitions- und Kon-sumverhalten gebracht werden können.

Die weltweite Einigung auf wirksame Politiken ist deshalb so schwie-rig und langwierig, weil Klimaschutzpolitik wegen der drastischen sek-toralen, internationalen und intergenerativen Verteilungseffekte keines-wegs allein durch „einfache“ technische Optionen umgesetzt werden kann. Es handelt sich vielmehr um revolutionäre Veränderungen im Denken und Handeln sowie um eine neue Prioritätensetzung – vor allem von Politik und Wirtschaft, aber auch bei Konsummustern und Lebensstilen. Denn es sind grundlegende Fragen politischer, ökono-mischer und sozialer Natur, die gelöst werden müssen. Die Finanz- und Weltwirtschaftskrise hätte hier Chancen bieten können, weil sie nicht nur eine „Pause“ des Anstiegs der CO2-Emissionen liefert, sondern auch eine Pause zum Nachdenken hätte ermöglichen können. Das wird wie unter einem Brennglas deutlich, nachdem die Finanzblase endlich geplatzt ist und wirkliche produktive Wertschöpfung sowie die Rea-lisierung gesellschaftlicher Ziele wieder auf die weltpolitische Tages-ordnung gesetzt werden können. Die systemimmanent geförderte Gier von Finanzjongleuren ist dabei nicht das bedrohlichste Problem, weil sie durch straffe Regulierung begrenzt werden könnte. Das setzte aber einen grundlegenden Paradigmenwechsel im Verhältnis von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft voraus, der offensichtlich noch nicht Allge-

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meingut geworden ist, geschweige denn zu einer neuen machtvollen gesellschaftlichen Bewegung geführt hat.

Dieser Paradigmenwechsel betrifft sowohl ein neues Selbstverständ-nis von praktizierter Demokratie wie auch eine neue Rolle und Ethik von Politik. Welzers und Leggewies eloquentes Plädoyer für eine „Apo 2.0“ als zivilgesellschaftlichem Motor der Klimapolitik hat nach dem Scheitern der Mammutkonferenz von Kopenhagen an Überzeugungs-kraft gewonnen. „Und es muss noch viel unruhiger werden, die Klima-Helden und -genossen dürfen politischer und radikaler werden. Sie müssen deutlicher aussprechen, dass sie die Dinge nicht nur für sich selbst machen, sondern damit die Gesellschaft besser wird. Die lokalen Initiativen müssen vormachen, wie sich Bürger und Bürgerinnen die Demokratiekompetenz zurückholen.“ (Welzer/Leggewie 2009, S. 216) Welzer und Leggewie erwähnen die „Stromrebellen von Schönau“ (vgl. EWS 2009) und die Staudinger-Schule in Freiburg (EcoWatt/Seifried 2009) als Beispiele lokaler Initiativen, von denen es heute buchstäblich unzählige „Good Practice“-Projekte in Deutschland gibt. Zweifellos ist es schwer vorstellbar, dass eine machtvolle gesellschaftliche Bewegung „von unten“ aus der antizipierten und ethisch motivierten Betroffenheit durch den Klimawandel in einer solchen Stärke entsteht, dass Wahlen nicht mehr gegen sie gewonnen und Wirtschaftslobbyisten des fossilen Zeitalters in die Schranken verwiesen werden können. Dennoch hat sich gestützt auf lokale Initiativen in der Energiewirtschaft eine zunehmend einflussreichere Bewegung für „Re-Kommunalisierung“, für regionale (grüne) „Energieautonomie“, für „Bioenergiedörfer“ und für die „Re-Vergesellschaftung“ (z.B. durch Mini-Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, Plus-Energiehäuser oder den Kauf des „Großstadtwerks“ Thüga durch 50 kommunale Unternehmen) entwickelt, die die marktbeherrschende Stellung der Stromkonzerne ernsthaft in Frage zu stellen beginnt. Ent-scheidend wird sein, ob es sich dabei nur um eine Bewegung für die „Re-Kommunalisierung des Profits“ handelt oder ob es ihr auch um die Umsetzung eines globalen öffentlichen Guts geht.

Denn die paranoide Selbstentmachtung der Politik durch die Ideo-logie des Neoliberalismus, die fahrlässige Auslieferung von öffentlichen Gütern („Global commons“) an die scheinbar überlegene Allmacht

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entfesselter Märkte und die schleichende Aushöhlung von Grund-werten wie Solidarität und Gerechtigkeit sind die Kernprobleme. Wer die „Schlachtordnung“ zwischen Arm und Reich, zwischen Groß und Klein oder zwischen Tätern und Opfern der internationalen Klimadi-plomatie analysiert, wird zu dem nüchternen Urteil kommen: Das Kli-maproblem wird letztlich erst lösbar, wenn sich die Weltgesellschaft auf praktizierte Gerechtigkeit gegenüber der Weltbevölkerungsmehrheit in den Entwicklungs- und Schwellenländer verständigt. In diesem Sinne muss auch lokal gehandelt werden, damit sich global etwas ändert.

6.3   Klimaschutzpolitik als Teil einer umfassenden   Ressourcenpolitik 

Das Klimaproblem hat sicherlich eine besonders bedrohliche Dimensi-on, aber es verdeutlicht nur exemplarisch, dass die herrschenden, nicht nachhaltigen Produktions- und Konsumweisen auf unveränderbare Naturschranken treffen bzw. diese teilweise bereits irreversibel über-schritten haben. Ressourcenkrisen wie z.B. der Verlust an Artenviel-falt, akute Wasserarmut, Verknappung nicht erneuerbarer Ressourcen (z.B. Öl, Metalle), Überfischung der Meere, Wüstenbildung und die Zerstörung von Böden sind bei wachsender Weltbevölkerung nur noch beherrschbar, wenn die entfesselte expansive Logik der vorherr-schenden Produktions- und Reproduktionsweisen weltweit grundle-gend in Frage gestellt und geändert wird. Derzeit werden pro Tag etwa 75 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt, die Meere mit etwa 350.000 Tonnen Fisch weit überfischt, etwa 100 Arten ausgerottet, 50.000 Hektar Wald abgeholzt und 20.000 Hektar Ackerland zerstört. Au-ßerdem leiden 30 Prozent der Weltbevölkerung unter Wasserknapp-heit (OECD 2001, Meadows/Meadows/Randers 2004, IEA 2007).

Während der Energie- und Klimapolitik auf nationaler und inter-nationale Ebene inzwischen immerhin globale Aufmerksamkeit (wenn auch noch nicht das notwendige Maß an Umsetzungsintensität) ge-widmet wird, bestehen hinsichtlich der Notwendigkeiten, Ziele und Maßnahmen einer umfassenden Ressourcenpolitik noch erhebliche

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Diskussionsdefizite. Dies gilt sowohl in Hinblick auf sich zuspitzende Probleme bei biotischen (z.B. Artenvielfalt, Böden, Wasser) als auch insbesondere bei abiotischen Ressourcen (z.B. Verknappungstendenzen bei seltenen Metallen). Über Mengen und Preise beim Öl und Erdgas diskutieren Expertinnen und Experten wie auch die Boulevardpresse, und über den „Peak of Oil“ und die zukünftigen Ölpreise brüten Ex-pertinnen und Experten in Wissenschaft, Konzernen, Verbänden und Ministerien. Biotische und nicht energierelevante Rohstoffe finden je-doch bisher keine annährend so öffentlichkeitswirksame Resonanz.

Dabei steht die umfassende Ressourcenproblematik nicht nur in vielfältigen Wechselverhältnissen zur Klimafrage, sondern ihre Dra-matik und die damit verbundene epochale Herausforderung für die Weltgesellschaft sind durchaus miteinander vergleichbar. Während die Wechselwirkungen bei biotischen Rohstoffen (z.B. Nutzung knapper Biomasse für Nahrung oder für Brenn- und Treibstoffe) und beim Was-ser (regionale Verschärfung der Wasserknappheit bei Klimaänderungen) auf der Hand liegen, sind sie bei abiotischen Rohstoffen (z.B. Metallen) nicht so offensichtlich. Weiter unten wird gezeigt werden, dass sich auch durch die notwendige Wachstumsdynamik von „GreenTech“ (z.B. Erneuerbare Energien) eine neue Problemdimension durch Verknap-pung seltener Metalle auftut. Insofern ist eine integriertere Analyse und Politik hinsichtlich der Wechselwirkungen verschiedener Formen von Naturverknappung überfällig. Evans/Steven (2009) fordern daher zu-recht die regelmäßige Publikation eines „World Resources Outlook“.

Die Gründe für den oben konstatierten „Timelag“ liegen in den unterschiedlichen Dimensionen und Zeitskalen von Wahrnehmung und Betroffenheit. Auch der Klimawandel findet zwar schleichend und mit sehr langfristigen Änderungsraten statt, aber er ist inzwischen heute schon für viele (besonderes arme) Länder, Zivilgesellschaften und Unternehmen sicht-, fühl- und messbar. Das gilt erst recht für Energiepreisschübe, die bis zu den Endverbraucherinnen und Endver-brauchern – gerade auch in OECD-Ländern beim Tanken und Heizen – durchschlagen und damit den Zusammenhang von einer (weitgehen-den) fossilen Energiebasis und dem Klimawandel unmittelbar deutlich machen.

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Diese unmittelbare und globale Betroffenheit gilt dagegen weniger beim durchaus dramatischen Verlust von Artenvielfalt und dem regi-onalen Raubbau an Ökosystemen (z.B. bei tropischen Wäldern, beim Wasser und bei den Böden). Auch der Zusammenhang von Gewinnung abiotischer Rohstoffe (z.B. durch Tagebau), regionaler Naturzerstörung und massiven sozialen Konflikten ist für die Nutzerinnen und Nutzer von Rohstoffen in der Regel nicht mehr sichtbar.

Ebenfalls von großer Bedeutung ist die Frage, mit welchem Fokus abiotische nicht erneuerbare Ressourcen jedweder Art (z.B. fossile Energieträger und Metalle) in eine neue Agenda der Ressourcenpo-litik eingebunden werden können. So werden strategisch bedeutsame Ressourcen wie Öl, Erdgas oder seltene Metalle häufig nur unter dem isolierten Blickwinkel der Ressourcenverfügbarkeit und Rohstoffsi-cherheit diskutiert. Der exorbitante Preisschub bei nahezu allen Roh-stoffen in den Jahren 2007 und 2008 hat der Grundsatzfrage nach den „Grenzen des Wachstums“ (Meadows 1972) jedoch wieder neuen Auftrieb gegeben. Kreislaufführung, Recycling, Materialsubstitution und neue Werkstoffe sind Optionen, um – anders als bei fossilen En-ergieträgern – eine physische Verknappung von nicht energetischen Rohstoffen hinauszuschieben. Dennoch kann heute festgestellt werden, das auch ein hoch ambitioniertes Recyclingsystem von Metallen und anderen Rohstoffen zwar notwendig, aber nicht hinreichend für eine nachhaltige Entwicklung sein wird.

Dass dabei auch Konsumgewohnheiten und Verhaltensweisen von Verbraucherinnen und Verbrauchern eine zentrale Rolle spielen, zeigt das Beispiel der „Schatzkiste Handy“. In einem Mobiltelefon befinden sich durchschnittlich 250 Milligramm Silber, 24 Milligramm Gold, neun Milligramm Palladium und neun Gramm Kupfer. Bei einer jähr-lichen Weltproduktion von derzeit etwa eine Milliarde Handys werden also etwa 250 Tonnen Silber, 24 Tonnen Gold, neun Tonnen Palladium und 9.000 Tonnen Kupfer verbraucht – kostbare Rohstoffe, die heute noch in der Regel auf der Müllkippe landen.

Generell gehen die einschlägigen Untersuchungen zur Verfügbarkeit von Metallen durch absehbare technologische Innovations- und Zu-kunftstechnologiefelder davon aus, dass sich hier Verknappungs- und

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Verfügbarkeitsprobleme in einer ähnlich bedeutsamen Dimension wie beim Klimaproblem abzeichnen.

6.4   Globalziel: Entkopplung durch Steigerung   der Ressourceneffizienz

Das langfristige ökologische Globalziel der Ressourcenpolitik ist die absolute Entkopplung von Lebensqualität (Wirtschaftswachstum) und Ressourcenverbrauch. Aber um welche quantitativen Größen-ordnungen geht es dabei? Bezogen auf den gesamten abiotischen Res-sourcenverbrauch (Total Material Requirement; TMCabiot) kann eine absolute Reduktion um 50 Prozent bis Mitte des Jahrhunderts als Ziel einer nachhaltigen Entwicklung definiert werden (bezogen auf 2000 also auf etwa 100 bis 110 Milliarden Tonnen). Bei einer Weltbevölkerung von neun Milliarden Menschen würde sich dann ein „noch tolerierbares Pro-Kopf-Niveau“ von durchschnittlich 5,6 bis 6,1 TMCabiot ergeben, d.h. für Europa eine Pro-Kopf Reduktion von heute 33,4 TMCabiot auf etwa ein Fünftel. Globale Treiber wie das Weltbevölkerungs- und Weltwirtschaftswachstum sowie die absolute Reduktion der Pro-Kopf-Material- und Energieverbräuche in Indus-trieländern und die Konvergenz notwendig ansteigender Pro-Kopf-Verbräuche in Entwicklungs- und Schwellenländern bilden daher den ökologischen Handlungsrahmen für eine nachhaltige Ressourcenpo-litik (Hennicke/Sewerin 2009). Dieser langfristige Weltprozess der Reduktion (reiche Länder) und Konvergenz (arme Länder) hin zu einem naturverträglichen Durchschnittsniveau (pro Kopf) ist ohne eine geradezu revolutionäre Steigerung der Ressourceneffizienz (mit dem Ziel absoluter Entkopplung) nicht vorstellbar. Dies ist daher eine notwendige Bedingung, um die Tragfähigkeit von Ökosystemen und der Atmosphäre nicht weiter zu überfordern und um die Erschöpfung nicht erneuerbarer Ressourcen so weit wie möglich in die Zukunft zu verlagern oder durch Substitute abzumildern.

Ein zentraler Ausgangspunkt für die neue Ressourcenpolitik ist des-halb die Frage, ob und gegebenenfalls wie die beschriebene ökologische

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Notwendigkeit einer drastischen Steigerung der Ressourceneffizienz und die Senkung der Pro-Kopf-Ressourcenverbräuche in den OECD-Ländern bzw. die Begrenzung des Anstiegs in Entwicklungs- und Schwellenländern mit der weltweiten Steigerung von Lebensqualität und mit „grünem“ Wirtschaftswachstum verbunden werden können.

6.5   Neuer Wohlstand: Was wächst, um wie viel   und warum?

Es ist eine Binsenweisheit, dass exponentielles Wirtschaftswachstum auf einem begrenzten Planeten nicht auf Dauer stattfinden kann. Nur wenigen jedoch ist bisher bewusst, dass diese Unverträglichkeit nicht ein in ferner Zukunft eintretender Zustand ist, sondern bereits die mit-telfristige Entwicklung betrifft. Je mehr Wirtschaftswachstum heutiger Struktur und Qualität stattfindet, desto schneller verschärfen sich die Klima- und Ressourcenprobleme. Zu einer radikalen Energie- und Ressourcenwende und zur Abkehr vom Bruttoinlandsprodukt als scheinbarem Erfolgsindikator für „gute“ Politik gibt es daher keine nachhaltige Alternative.

Zum Verständnis einer neuen Klimaschutz- und Ressourcenpolitik ist daher ein kurzer Exkurs zum Zusammenhang von Wirtschafts-wachstum mit den ökologischen sowie sozialen Dimensionen von Nachhaltigkeit angebracht. Es kommt hier nur darauf an, einige rele-vante Aspekte zum Zusammenhang von Klima- und Ressourcenschutz mit Wirtschaftswachstum zu problematisieren.

Eine Antwort auf die „Systemfrage“ nach der Vereinbarkeit von Nachhaltigkeit (Natur) und Kapitalismus steht noch aus und ist auch hier nicht beabsichtigt. Denn die Grundfragen nachhaltigen Wirtschaf-tens – was wächst (Welche Branchen müssen wachsen und welche schrumpfen?), um wie viel (Reicht lineares oder sogar Nullwachstum statt exponentiellem Wachstum in reifen Gesellschaften?) und warum (Ist Kapitalismus ohne Wachstum denkbar, und wenn nicht, in welcher Wirtschaftsordnung dann?) sind in Wissenschaft und Gesellschaft um-stritten. Das wäre ein weniger brisantes Problem, wenn die herrschende

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Politik und Wirtschaft sich den kontroversen Fragen stellen und einen gesellschaftlichen Diskurs hierüber initiieren würde. Stattdessen wird jedoch der Fetisch Wachstum wie der heilige Gral gehütet und unge-brochen als universeller Problemlöser angepriesen. Es lassen sich zwei Mindestbedingungen für soziale und ökologische Nachhaltigkeit in Relation zum Wirtschaftswachstum definieren: Wirtschaftswachstum wirkt nur dann a) arbeitsschaffend, wenn es – bei unveränderter Arbeitszeit – höher

ist als das Wachstum der Arbeitproduktivität je Erwerbstätigen;b) natursparend, wenn – im Sinne einer absoluten Entkopplung von

Wachstum und Naturverbrauch – die Ressourcenproduktivität schneller wächst als das Bruttoinlandsprodukt.

Ein Vergleich mit den empirischen Größen zeigt für entwickelte In-dustrieländer, dass beide Bedingungen, wenn überhaupt, nur unter unwahrscheinlichen Bedingungen erfüllbar sind. Allein dies sollte An-lass genug sein, sich mit einigen Aspekten von Wirtschaftswachstum genauer zu beschäftigen.

Ökologische DimensionDie ökologische Dimension des Wirtschaftswachstums wird insbeson-dere durch den Mengendurchsatz an Energien und Stoffen geprägt, der mit Wirtschaftswachstum verbunden ist. Ein international dafür gebräuchliches, aggregiertes Mengenmaß ist der „Globale Materi-alverbrauch“ (Total Material Requirement, TMR), der mittels der so genannten Materialflussanalyse ermittelt wird. Die Relation der Wirtschaftsleistung (d.h. des BIP) zu diesem näherungsweisen Indi-kator für Naturnutzung kann als quantifizierbarer Maßstab für das oben angesprochen Konzept der Ressourcenproduktivität (BIP/TMR) verstanden werden.

Wachstum und EntkopplungEntkopplung ist, wie gezeigt, durch eine veritable Ressourceneffi-zienzrevolution ein Schlüsselbegriff, wenn die Möglichkeiten und die Qualität weiteren Wirtschaftswachstums zur Diskussion stehen. Relative Entkopplung bedeutet, dass der Ressourcenverbrauch weni-

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ger zunimmt, als die Wirtschaft wächst. Absolute Entkopplung liegt vor, wenn der Umweltverbrauch auch bei wachsender Wirtschaft zurückgeht. Der Unterschied ist von zentraler Bedeutung, denn re-lative Entkopplung kann, wenn die Wirtschaft weiter wächst, trotz Einsparungen im Einzelnen mit einem Wachstum des Material- und Energiedurchsatzes im Ganzen einhergehen. In Europa ist inzwischen eine beeindruckende Tendenz zur relativen Entkopplung zu erkennen. In Europa (EU 15) ist der Ressourcenverbrauch zwischen 1970 und 2002 fast konstant geblieben, während sich das Bruttoinlandsprodukt mehr als verdoppelt hat. Die Industrieländer – und mit ihnen Deutsch-land – müssen rascher als bisher Kurs auf eine absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum (Lebensqualität) und Naturverbrauch neh-men.

Dabei sind zwei Entkopplungsprozesse zu unterscheiden: Entkopp-lung ist möglich, wenn innerhalb eines Sektors Produkt- und Prozessin-novationen stattfinden, die weniger Material und Energie verbrauchen; wenn technischer, organisatorischer und sozialer Fortschritt Güter und Verfahren in dieser Hinsicht verändert, spricht man vom intrasekto-ralen Strukturwandel. Beispiele sind verbrauchsärmere Autos, Energie sparende Gebäude, sparsamere Methoden zur Herstellung von Com-putern, aber auch neue Nutzungskonzepte (wie z.B. Carsharing). Auch Verschiebungen im Wirtschaftsgefüge (intersektoraler Strukturwandel) können die gesamtwirtschaftliche Entkopplung voranbringen. Dienst-leistungen sind in der Regel umweltfreundlicher als schwerindustrielle Produktionsprozesse; postindustrielle Wirtschaften – also Ökonomien, die wesentlich auf dem Produktionsfaktor Wissen und auf der Herstel-lung von Dienstleistungen basieren – sind tendenziell weniger ressour-cenintensiv als industrielle. Deshalb liegt in der Dematerialisierung von Bedürfnissen ein großes Potenzial.

Konsum und LebensqualitätIn Industrieländern wächst seit Jahren die Lebensqualität nicht mehr, obwohl Wirtschaft und Konsum nominell expandieren. Zieht man Erhebungen zur subjektiven Zufriedenheit heran, dann zeigt sich, dass sich in Deutschland in den letzten 30 Jahren zwar das Bruttoinlands-

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produkt verdreifacht hat, doch das Niveau der Lebenszufriedenheit unverändert gleich geblieben ist. Dieser Befund ist kein Zufall, son-dern entspricht Erhebungen in Dutzenden von entwickelten Ländern weltweit, die demonstrieren, dass jenseits einer Schwelle des Brutto-inlandsprodukts pro Kopf von etwa 7.000 bis 10.000 Dollar kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Geldreichtum und Glücksemp-finden der Einwohnerinnen und Einwohner existiert (Layard 2005). Auch in Japan verharrte die Lebenszufriedenheit zwischen 1958 und 1991 durchgehend auf dem gleichen Niveau, während sich das Brut-toinlandsprodukt versechsfacht hatte. Ebenso in den USA: Dort hat die Lebenszufriedenheit seit dem Ende der 1950er Jahre sogar leicht abgenommen, obwohl sich das BIP mehr als verdoppelt hat.

Drang und Zwang zu Wachstum„Unwirtschaftliches“ Wachstum ist also offenbar in verschiedenen Ge-sellschaftsordnungen möglich; im Kapitalismus geschieht es aus zwei systemimmanenten Gründen: Zum einen profitieren dominierende Wirtschaftsinteressen auch von unwirtschaftlichem Wachstum, solan-ge Staat und Zivilgesellschaft ihnen erlauben, die Vorteile zu privati-sieren und die Verluste zu sozialisieren. Ohne strikte staatliche Rah-mensetzung funktionieren viele Unternehmen als perfekte „Externali-sierungsmaschinen“. Die gesellschaftlichen Verluste durch Zerstörung von Human- und Naturkapital werden in keiner volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung bilanziert, nicht in die private Kostenrechnung ein-bezogen und nicht zur Grundlage von Alternativstrategien gemacht. Zum anderen erwarten gewinnmaximierende Investoren von Real- und Finanzkapital eine hohe Verzinsung als Risikoprämie. Dieses Verwer-tungsinteresse treibt Wachstumsprozesse voran. Das Zusammenspiel von Finanz- und Realkapital schafft beständige Wachstumsanreize. Und das kapitalistische System wird nur als stabil eingeschätzt, wenn es wächst. Auch in zentralwirtschaftlichen Schwellenländern wie Chi-na sind inzwischen staatskapitalistische und herrschaftslegitimierende Wachstums- und Entwicklungszwänge nicht minder mächtige Treiber einer – teilweise – „unwirtschaftlichen“ Wachstumspolitik.

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Mengen- und Reboundeffekte Eine nur auf Steigerung der Energieproduktivität setzende „Ent-kopplungsstrategie“ für den Klimaschutz würde ein unrealistisches Wachstum der Energieproduktivität erfordern: Angenommen, das reale Bruttoinlandsprodukt über die nächsten 50 Jahre würde nur fortgeschrieben, dann müsste jedes Jahr eine Steigerung der gesamt-wirtschaftlichen Energieproduktivität von rund 4,5 Prozent zustande gebracht werden, um eine Reduktion der fossilen Ressourcen um 80 Prozent zu erreichen. Daher ist eine alleinige Effizienzsteigerung für den Klimaschutz nicht hinreichend und die selektive forcierte Wachs-tumsförderung der Erneuerbaren Energien in allen Sektoren zwingend notwendig.

Vor diesem Hintergrund muss zudem bedacht werden, dass spezi-fische Effizienzverbesserungen nicht ohne Weiteres zu substanziellen generellen Verbrauchsreduktionen führen. Zum Beispiel können die verringerten Energiekosten zu einem erhöhten Konsum der Effizienz-technik (man leistet sich einen zusätzlichen Laptop, Fernseher oder ein Zweitauto) oder anderer materieller Güter führen, für die man eingesparte Energiekosten nun ausgeben kann. Dies geschieht auch, wenn durch verbesserte Dämmung Heizkosten reduziert werden und das gesparte Geld für einen zusätzlichen Wochenendausflug mit einem Billigflieger oder für ein Plasmafernsehgerät ausgegeben wird. Das Internet kann durch vielfältige Nutzung spezifische Energie- und Prozesskosten senken, aber durch seine materielle Infrastruktur (z.B. Server, Rechner) verursacht es einen schnell wachsenden Strombedarf. Neue Gebäude und energetisch sanierte Gebäude haben heute ein weit geringeren spezifischen Energieverbrauch pro Quadratmeter und Jahr, aber die steigende Wohnfläche pro Kopf hat diesen Effizienzgewinn teilweise wieder aufgezehrt. Die spezifische Effizienz pro PS beim Pkw ist z.B. dramatisch verbessert worden, der dadurch mögliche Energie-spareffekt ist jedoch durch stärkere Motoren, mehr Fahrzeuge und mehr Fahrleistung weit überkompensiert worden. 1973 reichte für die Automobilität eine Pkw-Flotte mit durchschnittlich 60 PS, heute sind es im Durchschnitt 103 PS; moderne Effizienztechnik wurde durch Prestige und (unnötigen) Luxus zunichte gemacht – bei eher reduzierter

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Automobilität. All diese Reaktionsweisen von Konsum und Produkti-on können unter Rebound- und Mengeneffekten subsumiert werden, die spezifische Effizienzgewinne konterkarieren (vgl. Schettkat 2009, Herring/Sorrell 2009).

Vor der Gefahr, von Rebound- und Wachstumseffekten überholt zu werden, ist auch das Konzept einer „Ökologischen Industriepolitik“ (BMU 2008) nicht gefeit. Es setzt darauf, durch politische Zielvorga-ben neue Industrien zu fördern, in der Erwartung, dass über massive Investitionen in Effizienzmärkte und eine erneuerbare Energie- und Stoffwirtschaft auch neue Wachstumschancen winken. Das ergibt ein-zelwirtschaftlich zweifellos einen Sinn, wie heute schon an erfolgreichen Windkraft- und Solarunternehmen ablesbar ist, und wird noch zutref-fender, wenn die ökologisch motivierte Nachfrage auch auf andere Märkte übergreift. Aber es muss von Anfang an auch darauf geachtet werden, dass die verschiedenen Formen von Reboundeffekten und auch die Problemverlagerung auf andere Medien oder andere Länder (öko-logische Rucksäcke) die positiven Effekte nicht konterkarieren.

Der Reboundeffekt – eine Definition

Der Reboundeffekt besagt, dass Einsparungen, die z.B. durch effizientere Technologien und Organisationsformen entstehen, durch vermehrte Nutzung und Konsum überkompensiert wer-den. So ist durch effizientere Ressourcennutzung noch selten eine Umweltentlastung entstanden. Einen wirklichen Ausstieg aus diesem Bumerangeffekt scheint also nicht das Effizienz-, sondern nur das Suffizienzprinzip zu gewährleisten. Dies besagt, dass die Menschen weniger konsumieren und/oder auf eine ressourcen- und energiesparsamere Lebensweise einschwenken, also z.B. Vegetarier werden, statt Fleisch zu essen.

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Dreiklang: Effizienz, Konsistenz und SuffizienzAll dies macht deutlich, dass eine Politik der Zukunftsfähigkeit nicht auf Entkopplung durch forcierte Steigerung der Ressourcenprodukti-vität allein setzen kann. Auch die Strategie, Produktion und Konsum gleichsam in die Natur und natürliche Kreisläufe einzuschmiegen und auf diese Weise Produktion und Umweltbelastung zu entkoppeln, setzt häufig auf weiteres Wachstum. Dieses Konzept der Konsistenz versucht, industrielle Stoffwechselprozesse möglichst wenig störend in Naturkreisläufe einzubinden. Damit ist Konsistenz ein unverzicht-bares Prinzip einer zukunftsfähigen Entwicklung. Aber auch konsi-stente Prozesse haben in aller Regel eine materielle Basis. Denn auch bei ihnen wird Materie aufgebraucht, werden Schadstoffe emittiert, entstehen Mengenprobleme. Darum müssen beide, Effizienz und Kon-sistenz, durch eine Politik der Suffizienz (Selbstgenügsamkeit) ergänzt werden. Das ist der schwierigste und bisher am wenigsten politisch anschlussfähige Strategieteil von Nachhaltigkeit. Denn er führt zu einer Frage, der sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in reichen Ländern immer weniger entziehen können: Wie viel ist für wen genug? Zukunftsfähigkeit ist nicht allein durch die Optimierung der Mittel erreichbar; es kommt ebenso auf die Angemessenheit der Ziele und auf die gerechte Verteilung der gesellschaftlich wünschenswerten Steige-rung der Lebensqualität für alle Bürgerinnen und Bürger an.

6.6   Chancen einer integrierten Klimaschutz-   und Ressourcenpolitik 

Deutschland ist als rohstoffarmes und stark exportorientiertes Land in besonderem Maße durch die Veränderungen auf den Rohstoffmärkten betroffen, positiv wie negativ:• Als Ressourcennachfrager und -importeur: Der Blickwinkel sollte

dabei nicht allein auf Verfügbarkeitsrisiken verengt werden, die z.B. durch eine Diversifizierung von Bezugsquellen, Kooperationen mit Lieferländern und Joint Ventures zu entschärfen sind, da die grund-legenden Abhängigkeiten damit nicht behoben werden können.

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• Als Technologieanwender: Die Erkenntnis, dass Ressourceneffizienz zu einem entscheidenden wettbewerbsrelevanten Faktor geworden ist (z.B. hoher Materialkostenanteil im produzierenden Gewerbe, Risiken durch Preisschwankungen und Importabhängigkeiten), sollte Allgemeingut werden.

• Als Technologieanbieter: Es gilt, Lösungen zu entwickeln, wie die deutsche Wirtschaft am weltweiten Megatrend für „GreenTech“ dauerhaft partizipieren kann, indem sie ihre bisher gute Wettbe-werbsposition („first mover advantages“) auch gegen eine absehbar schwunghaft wachsende Weltmarktkonkurrenz behaupten kann.

Das Weltmarktpotenzial für die „GreenTech“-Leitbranchen Ener-gieerzeugung/Energieeffizienz, Mobilität, Kreislaufwirtschaft, Was-serwirtschaft, Rohstoff-/Materialwirtschaft wurde 2007 auf 1.400 Milliarden Euro geschätzt; bis 2020 wird ein Anstieg auf mehr als das Doppelte (3.100 Milliarden Euro) prognostiziert (BMU 2009, UBA 2007). Detaillierte Untersuchungen zu den konkreten Ressour-ceneffizienzpotenzialen von einzelnen Technologien, Produkten und zu innovativen Ressourceneffizienzlösungen werden im Rahmen des MaRess-Projekts bis 2010 vorgelegt werden (Rohn u.a. 2008). Es ist methodisch zweifelhaft und realitätsfern, diese zweifellos gigantischen Potenziale schon als sich selbsttragende autonome Marktentwick-lung einzuschätzen.1 Ohne offensive politische Flankierung werden diese Potenziale wenig oder für das Klima und die Umwelt viel zu spät erschlossen. Darin besteht die entscheidende Legitimation für die Notwendigkeit und die ökonomischen Chancen einer interventionis-tischen Industrie- und Dienstleistungspolitik.

Markt- und Staatsversagen sowie eine Vielzahl realer Umsetzungs- und Diffusionshemmnisse führen dazu, dass die vielversprechenden globalen Marktabschätzungen nicht mit autonom funktionsfähigen

1 Roland Berger, BMU und UBA sprechen von „GreenTech-„Märkten“; versteht man darunter, dass nachgewiesene Potenziale sich zu Märkten dieser Größen-ordnung entwickeln lassen, wäre dies akzeptabel. Skeptisch stimmt allerdings, dass Roland Bergers „GreenTech-Märkte“ innerhalb von zwei Jahren (BMU 2007 und 2009) für das Jahr 2020 um 40 Prozent (von 2.200 Milliarden Euro auf 3.100 Milliarden Euro) „hochskaliert“ wurden.

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„Leitmärkten“, leicht erschließbaren Geschäftsfeldern und unange-fochtenen Wettbewerbsvorteilen gleichgesetzt werden dürfen. Da es sich um einen notwendigen – unter innovativ gesetzten Randbedin-gungen gesamtwirtschaftlich jedoch chancenreichen – staatlich for-cierten Strukturwandel handelt, wird es wie bei jedem ökonomischen Strukturwandel Gewinner und Verlierer geben. Anpassungs- und Di-versifizierungskonzepte sind deshalb für das unvermeidliche Zurück-schrumpfen von Risikomärkten zu entwickeln.

Im komplexen Handlungsfeld Ressourceneffizienz muss zunächst ein Mindestmaß an Markttransparenz als grundlegende Voraussetzung für einen funktionsfähigen Wettbewerb hergestellt werden. Aber die Steigerung der Markttransparenz z.B. durch Internetportale, Informati-onsvermittlung, Kommunikation oder Netzwerke sind bei weitem noch keine ausreichenden Problemlöser und Impulsgeber für „gehemmte“ Marktprozesse.

Die in zahlreichen Studien identifizierten Hemmnisse bei der Um-setzung „eigentlich wirtschaftlicher“ (Eberhard Jochem) Potenziale der Energieeffizienz2 gelten für das noch weit komplexere Handlungsfeld Materialeffizienz in verstärktem Maße. Ohne die „helfende Hand“ staatlicher Aktivitäten sind hier Marktversagen und Hemmnisse nicht etwa die Ausnahme, sondern die Regel. Das spricht nicht gegen Marktallokation als Mittel, sondern für innovative Interventions- und Anreizformen sowie Rahmensetzungen des Staates, damit sich funkti-onsfähige Märkte und Wettbewerb in der Realität entwickeln können. Auf diesem hochkomplexen Handlungsfeld gilt es aber auch, „Staats-versagen“ (z.B. durch Überregulierung oder Bürokratieausbau) zu ver-meiden. Zielgerichtete Marktentwicklung, verstärkter Wettbewerb und mehr Selbststeuerung ermöglichende Aktivitäten der „helfenden Hand“ staatlicher Ebenen sind daher von Bedeutung.

2 Vgl. die Berichte der Enquete-Kommissionen „Vorsorge zum Schutz der Erd-atmosphäre“ sowie „Schutz der Erdatmosphäre“.

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6.7   Treiber einer ökologischen Industriepolitik

Das Angebot von und die Nachfrage nach ressourceneffizienten Pro-dukten und Verfahren betrifft mit hoher Kostenrelevanz (s.u.) das ver-arbeitende Gewerbe, aber auch die indirekte Endnachfrage von Staat und privaten Verbraucherinnen und Verbrauchern (ebenso: Exporte). Der hohe und wachsende Materialkostenanteil im verarbeitenden Gewerbe (s.u.), die Erschließung eigentlich (betriebs)wirtschaftlich profitabler, aber „gehemmter“ Potenziale der Ressourceneffizienz3 und die enormen Wachstumsperspektiven von „GreenTech“ auf „Leit-märkten“ der Zukunft sind das Bindeglied zwischen der ökologischen Notwendigkeit und den ökonomischen Chancen der neuen Ressour-cenpolitik. Selbst wenn eine zwingende ökologische Notwendigkeit zum Klima- und Ressourcenschutz nicht bestünde, ließe sich eine neue Ressourcenpolitik in vielen Zielbereichen allein mit den makro- und mikroökonomischen Vorteilen einer forcierten Steigerung der Res-sourceneffizienz begründen. Diese Schnittstelle zwischen Umwelt- und Wirtschaftspolitik ist eine tragfähige Grundlage für eine „Ökologische Industriepolitik“ (BMU 2008) und für eine wirksame Politikintegrati-on über verschiedene Ressorts hinweg.

Auf der Grundlage der Kostenstruktur im verarbeitenden Gewerbe lässt sich nämlich gut darlegen, warum eine wirksame Ressourceneffi-zienzpolitik die durchschnittliche Wettbewerbsfähigkeit durch Kosten-senkung erhöht, ohne den Druck auf die Reallöhne zu verstärken, der für die soziale Kohärenz wie auch für die Stabilisierung der Binnenkauf-kraft kontraproduktiv ist. Insofern ist ein „Impulsprogramm Ressour-ceneffizienz“ (s.u.) auch eine monetäre Staatsintervention neuen Typs: Sie ist sowohl angebots- als auch nachfrageorientiert und sie zielt per se auf qualitatives Wachstum, neue Beschäftigungschancen und naturver-träglichere Geschäftsfelder. Sie schafft außerdem Verteilungsspielraum durch Senkung der Produktionskosten. Insofern können und sollten auch Gewerkschaften in besonderem Maße zur Treibern eines natur-sparenden und arbeitsschaffenden technischen Fortschritts werden.

3 Vgl. ADL/Wuppertal Institut/FhG-ISI (2005).

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Für den privaten und staatlichen Verbrauch ressourceneffizienterer Produkte gilt diese Kostenentlastung/-belastung nur indirekt und nur insoweit, wie die Hersteller ihre rohstoffbedingte Kostenentlastung/-belastung in den Endverbraucherpreisen weitergeben. Im Vergleich mit Benzin-, Heizöl- oder Strompreisen ist also die Betroffenheit und Wahr-nehmung von Verbraucherinnen und Verbrauchern selbst bei exorbi-tant steigenden Metallpreisen (wie z.B. in den Jahren 2007 und 2008) sehr unterschiedlich. Allein diese Tatsache bedeutet, dass mit über den Preis steuernden Instrumenten (wie z.B. einer erweiterten Ökosteuer) in der Endnachfrage nur eine begrenzte Steuerungswirkung erreicht werden kann und dass das Instrumentarium auf ein Motivationsbündel (z.B. auch auf soziale und ökologische Verantwortung) setzen sollte.

Welche rohstoffrelevanten ökonomischen Treiber sind potenzielle Impulsgeber für eine ökologische Industriepolitik, und inwieweit wer-den sie den ökologischen Notwendigkeiten (absolute Entkopplung) gerecht? Eine umfassende Beantwortung dieser Frage verlangt eine Analyse (vgl. Hennicke/Kristof/Dorner 2009)• der Determinanten von globalem Rohstoffangebot und globaler

Rohstoffnachfrage,• der mittel- und langfristigen Preisentwicklung bei Rohstoffen,• der Verfügbarkeit, Substituierbarkeit und „Kritikalität“ seltener

Rohstoffe,• der geostrategischen Bewertung internationaler Konfliktlagen um

Rohstoffe und• der Bedeutung der Materialkosten für Industrie und Volkswirt-

schaft.

Dieser Abschnitt konzentriert sich auf den letzten Punkt, weil an ihm die ökonomische Relevanz einer nationalen ökologischen Industrie-politik durch forcierte Steigerung der Ressourceneffizienz am deut-lichsten demonstriert werden kann.

Zwischen 2002 und 2006 sind die gesamten jährlichen Materi-alkosten im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland von rund 577 auf 754 Milliarden Euro gestiegen (Statistisches Bundesamt 2008). Welcher Anteil davon wirtschaftlich durch Ressourceneffizienzsteige-

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rungen einzusparen ist, ist die zentrale Frage. ADL, Wuppertal Institut und FhG-ISI (2005) haben erste Schätzungen einfach realisierbarer Ressourceneffizienzsteigerungspotenziale für ausgewählte Branchen ermittelt, Die Studie zeigt als Ergebnis für fünf ausgewählte Branchen ein innerhalb von sieben Jahren wirtschaftlich erschließbares Einspar-potenzial zwischen insgesamt fünf und elf Milliarden Euro pro Jahr. Die Deutsche Materialeffizienzagentur (demea) schätzt, dass insgesamt in der deutschen Volkswirtschaft mindestens 100 Milliarden Euro Ma-terialkosten eingespart werden können (demea 2009). Diese Potenziale können zusätzlich zum Trend realisiert werden.

Der in der amtlichen Statistik ausgewiesene durchschnittliche Ko-stenanteil für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe (im Jahr 2006 knapp 45 Prozent) ist im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland traditionell nicht nur etwa doppelt so hoch wie der Kostenanteil für Löhne (2006 bei knapp 19 Prozent), sondern er ist sogar tendenziell angestiegen. Im Vergleich dazu lagen die durchschnittlichen Energiekostenanteile mit etwa zwei Prozent deutlich darunter. Es ist daher erstaunlich, dass in der betrieblichen Realität vor allem über die Höhe und Entwicklung der Lohnkosten gestritten wird, obwohl eine Senkung der Materialkosten in ressourcenimportabhängigen Ländern wie Deutschland konfliktfrei-er und sozialverträglicher wäre, um Innovationen zu unterstützen, die Vulnerabilität gegenüber externen Rohstoffpreisschüben zu verringern und generell die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht müsste es also – vor allem in Pha-sen stark steigender Rohstoffpreise wie zwischen 2000 und 2008 – ei-nen massiven marktinduzierten Anreiz geben, um ressourcensparenden Technologien und ökoeffizienten Innovationen Priorität einzuräumen. Dass dies nicht in dem Umfang Realität ist, wie es die ökonomische Theorie nahe legt, hängt mit Marktversagen und einer Vielzahl von Umsetzungshemmnissen (z.B. mit Wahrnehmungsproblemen, Informa-tions- und Qualifikationsmängeln, einer Risikoaversion, einem Kapi-talmangel, einer fehlenden Lebenszykluskostenanalyse bzw. fehlenden Ressourcenkostenrechnungen; vgl. Jochem 2004) und mit den relativen Preisen für Arbeit und Rohstoffen zusammen. In der Relation zum Faktor Arbeit sind die Preise vieler Rohstoffe in der Vergangenheit

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im langfristigen Trend erheblich gesunken (RWI 2005, S. 29). Diese relative Verbilligung von Rohstoffen (inkl. Energie) und Verteuerung von Arbeit erklärt zum Teil auch, warum die Arbeitsproduktivität seit vielen Jahrzehnten schneller gestiegen ist als die Energie- und Materi-alproduktivität (Vgl. Grafik). Populär formuliert bedeutet dies, dass für die Wirtschaft bisher höhere autonome Marktanreize für einen Strukturwandel und eine Form des technischen Fortschritts (Rationa-lisierungsinvestitionen) bestanden haben, um vorwiegend „Menschen statt Tonnen und Kilowattstunden freizusetzen“.

Es stellt sich daher aus sozialen, aber auch aus ökologischen und ökonomischen Gründen die Frage, wie ein Policy Mix der Ressourcen-

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politik aussehen und wie dadurch der technische Fortschritt zukünftig verstärkt arbeitsschaffend und ressourcenschonend gestaltet werden kann.

6.8   Lehren aus dem IEKP für eine   Ressourceneffizienzpolitik 

Das Grundsatzpapier des BMU zur „Ökologischen Industriepolitik“ (BMU 2008) nimmt in zehn Punkten beispielhaft Bezug auf die En-ergie- und Klimaschutzpolitik. Dies ist vor dem Hintergrund des be-reits von der Bundesregierung verabschiedeten „Integrierten Energie- und Klimaschutzprogramms“ (IEKP) zur Veranschaulichung und als quantifizierbares Referenzsystem sinnvoll, zumal der Strukturwandel zu einem nachhaltigen Energiesystem einen Kernbereich des ökolo-gischen Umbaus und der Modernisierung der deutschen Wirtschaft darstellt. Der Stofffluss einer Volkswirtschaft ist aber im Vergleich zum Energiefluss quantitativ wesentlich umfangreicher, ungleich vielfäl-tiger sowie in komplexer Weise verflochten (z.B. über die Vernetzung von Werkschöpfungsketten, Substitutionsoptionen, Wieder-/Weiter-nutzung oder Recycling). Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwun-derlich, dass eine mit dem IEKP vergleichbare zukunftsweisende Glo-balstrategie und Konzeptualisierung einer umfassenden ökologischen Industrie- und Dienstleistungspolitik noch nicht vorliegt.

6.9   Auf dem Weg zu einem Policy Mix   für Ressourcenpolitik

Die erfolgreichen pilothaften Umsetzungserfahrungen schon laufender Aktivitäten z.B. der Deutschen Materialeffizienzagentur (demea; vgl. Schneider 2008) sowie der Effizienz-Agentur NRW (EfA) (Effizienz-Agentur NRW 2007, Kristof u.a. 2008) geben erste Anhaltspunkte da-für, dass ein bundesweites „Impulsprogramm Ressourceneffizienz“ er-folgreich implementiert werden kann. Um hierfür einen umfassenden

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Policy Mix zu entwickeln, empfiehlt es sich erneut, auf die jahrzehn-telangen Erfahrungen bei der Energie- und Klimaschutzpolitik sowie auf das IEKP zurückzugreifen.

Analysiert man die implizite klima-, energie- und wirtschaftspo-litische „Logik“ des IEKP, dann baut sie – unbeschadet einiger noch offener Flankierungen4 sowie unter Berücksichtigung unvermeidlicher Kompromisse in der politischen und gesellschaftlichen Praxis – auf den Erkenntnissen der energie- und klimapolitischen Umsetzungsforschung von zwei Jahrzehnten auf. Nachfolgend werden diese Politik-„Logik“ und die damit verbundene energiepolitische Konsensbildung zusam-menfassend skizziert.

Quantifizierte kurz und mittelfristige Leitziele und ein darauf aus-gerichtetes, weitgehend kohärentes, sich wechselseitig ergänzendes Bündel unterschiedlicher Instrumente (Policy Mix) in einem poli-tischen Mehrebenensystem (EU, national, Länder, Kommunen) sind notwendig und hinreichend für eine ambitionierte Klimaschutz- und Energieeffizienzpolitik. Es gibt damit keinen auf nur ein Instrument (oder wenige Instrumente) begrenzten „Königsweg“ zum Klima- oder Ressourcenschutz.

Globale steuernde Instrumente (z.B. über Preise etwa via Steuern und/oder über Mengen etwa via Zertifikate) müssen zum spezifischen Abbau von Hemmnissen durch sektor-, technologie- und zielgruppen-spezifische Instrumente ergänzt werden. Das erhöht zwar die Anfor-derung an die Handlungs- und Steuerungsfähigkeit von Politik, sichert aber erst deren Umsetzungseffektivität und eine erfolgreiche Zieler-reichung.

Notwendig sind eine Mischung aus ökonomischen Anreizen und

4 Beispielsweise fehlen erstens durchgreifende Maßnahmen, um einen angemes-senen höheren Zielbeitrag des Verkehrs zum nationalen Klimaschutzziel zu sichern; zweitens wird die mit langfristigen Klimaschutzzielen (z.B. 40 bzw. 80 Prozent CO2-Reduktion bis 2020 bzw. 2050) noch kompatible Kohleverstro-mungskapazität offen gelassen; drittens wird die immer noch vorherrschende Angebotsorientierung (um damit auch die Kernenergie- und Laufzeitdebatte) nicht durch eine strategische Stromeinsparoffensive ersetzt, die die Vorausset-zung für den sozial- und wirtschaftsverträglichen Vollzug des beschlossenen Kernenergieausstiegs darstellt.

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marktwirtschaftlichen Instrumenten, der Abbau ökologisch kontrapro-duktiver Subventionen, das Ordnungsrecht, eine Anschubfinanzierung bzw. Förderung von Innovation, Markteinführung und breiter Diffusi-on ressourceneffizienterer Technologien und Produkt-Dienstleistungs-Systeme sowie Institutionalisierung, Netzwerkbildung, Information, Kommunikation und Qualifizierung.

Erst eine ressort-, wahlperioden- und marktphasenübergreifende Integration schafft einen verlässlichen langfristigen Innovations- und Investitionsrahmen für Unternehmen, aber auch für private Kaufent-scheidungen bei langlebigen Produkten (z.B. Gebäuden und Pkw). Vor allem die Bereiche Forschung, Entwicklung, Bildung, Wirtschaft, Umwelt und Finanzen sollten über geeignete integrierende Kommuni-kations- und Steuerungsorgane (etwa ein „Ökologisches Industrieka-binett“ unter Federführung des Bundeskanzleramtes oder ein Koordi-nationsgremium auf Staatssekretärebene) stärker und zielgerichteter als bisher koordiniert werden. Fragen der Ressourcennutzung berühren die Themenbereiche vieler Ressorts, allen voran die Bereiche Umwelt, Ökonomie, Verkehr, Forschung und Entwicklung, Außenwirtschaft und Entwicklungspolitik. Insofern ergibt sich für einen erfolgreichen Einsatz des Instrumentariums der Ressourcenpolitik ein Imperativ zur Politikintegration, deren Umsetzung allerdings ungelöste konzeptio-nelle Fragen aufwirft (z.B. Steuerungseffizienz) und dem zahlreiche praktische Hemmnisse (z.B. Ressortegoismen und die Versäulung von Politikfeldern) entgegenstehen. Gleichwohl werden bei der wahrschein-lichen Zuspitzung der Ressourcenfrage und dem hieraus resultierenden ökologischen und ökonomischen Druck auch diese institutionellen Fra-gen leichter lösbar; Ansätze aus der Klimapolitik wie die IMA oder auch ein „Green Cabinet“ sind bereits erste Schritte.

Die langfristigen Wachstums-, Innovations-, Beschäftigungs- und Haushaltseffekte umfassender haushaltswirksamer Programmelemente sollten in makroökonomischen Modell- und Szenarienanalysen anti-zipiert und für die politische Konsensbildung zu Rate gezogen wer-den.5

5 Beim globalen Klimaschutz hat das erstmalig mit großer weltweiter Wirkung

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ressourceneffizienz und klimaschutz für nachhaltige entwicklung

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In der Energie- und Klimaschutzdebatte werden mittel- und lang-fristige Leitbilder, Leitziele und Leitszenarien schon seit geraumer Zeit ausführlich diskutiert (z.B. die 80 Prozent CO2-Reduktion bis 2050 im Vergleich zu 2000). Deren prinzipielle technisch-ökonomische Er-reichbarkeit für Deutschland sind nachgewiesen worden und haben teilweise Eingang in offizielle Beschlüsse und Dokumente gefunden (vgl. Bundesregierung 2007 und 2002; EG 2005 und 2006). Dies ist jedoch für eine Strategie zur Steigerung der Ressourceneffizienz bisher nur eingeschränkt der Fall (Bundesregierung 2002). Im von den Schweizer Großforschungseinrichtungen entwickelten Konzept einer „2000 Watt pro Kopf Gesellschaft“ (Jochem 2004) wurden Fragen der Integration von Material- und Energieeffizienz erstmalig mit einbezogen. Dennoch stellt auch dieses langfristige Leitkonzept explizit auf Energie als Ziel-größe ab und lässt die genaueren Auswirkungen auf und Wechselwir-kungen mit Stoff- und Materialflüssen offen. Deshalb liegt es nahe, das bisher vorwiegend ökologisch begründete Nachhaltigkeitsziel der Verdopplung der Ressourceneffizienz (bis 2020 bezogen auf 1990) zu konkretisieren, auf eine längere Perspektive hin zu extrapolieren, mit einer schlagkräftigen Umsetzungsstrategie zu verbinden und seine öko-nomischen Implikationen zu untersuchen.

6.10   Drei zentrale Bausteine einer Ressourcenpolitik

Im Rahmen des MaRess-Projekts wird bis Ende 2010 ein detaillierter Policy Mix für eine neue Ressourcenpolitik in Deutschland entwickelt. Aus den bisher vorliegenden Politikpapieren dieses Projekts (Stand: Sommer 2009) sollen abschließend drei zentrale Bausteine und fünf Kernstrategien zusammenfassend vorgestellt werden. Diese Zwischen-ergebnisse des MaRess-Projekts und die Bausteine für ein „Impulspro-gramm Materialeffizienz“ wurden vor dem Regierungswechsel im September 2009 vorgelegt, waren aber aus den hier vorgetragenen

der Stern-Report (Stern 2007) geleistet; für die nationale integrierte Energie- und Klimaschutzpolitik hat die Studie von ECF, ISI, PIK, Münchner Rück und Swisscanto wichtige methodische Pionierarbeit geleistet (BMU 2008c).

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grundsätzlichen Erwägungen heraus von vornherein auf einen lang-fristigen Politikwechsel hin konzipiert. Wirtschaftspolitische Ziele sind dabei:• Förderung eines nachhaltigkeitsorientierten Strukturwandels („na-

turschonend und arbeitsschaffend“) und neuer Geschäfts- und Wachstumsfelder für den größten weltweiten Leitmarkt „Materi-al- und Energieeffizienztechniken“.

• Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit durch Reduktion des hohen Materialkostenanteils (ca. 45 Prozent) im deutschen verarbeitenden Gewerbe.

• Senkung der Import- und Preisabhängigkeit bei Rohstoffen (z.B. strategische Metalle).

• Begrenzung der Umweltbelastung durch Ressourcennutzung über die gesamte Produkt-/Wertschöpfungskette (von der Gewinnung bis zur Entsorgung).

• Abbau der Umsetzungshemmnisse zur Steigerung wirtschaftlicher Ressourceneffizienzpotenziale.

Im Mittelpunkt der Umsetzung steht die Institutionalisierung eines Ressourceneffizienzfonds, der als Intermediär zwischen Staat, Wirt-schaft und Gesellschaft sowie als „helfende Hand“ für Anreize, aber auch für die Konzipierung von Leitplanken für eine „ökologische In-dustrie- und Dienstleistungspolitik“ fungiert.6 Ein „Impulsprogramm Materialeffizienz“ basiert demnach auf den folgenden drei Bausteinen: dem Ressourceneffizienzfonds, einem Innovationsprogramm Ressour-ceneffizienz und Ressourceneffizienzkampagnen.

6.11   Fazit und Ausblick

Einige Grenzen des Wachstums sind schon heute überschritten, beson-ders in Hinblick auf die Senken, aber auch bei einigen Rohstoffen. In ökonomischer und säkularer Hinsicht wird Naturkapital in Relation

6 Vgl. die Policy Paper aus MaRess sowie Hennicke (2009)

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ressourceneffizienz und klimaschutz für nachhaltige entwicklung

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zu den weiter steigenden Ansprüchen einer wachsenden Weltbevöl-kerung immer knapper. Dies erfordert eine völlig neue Qualität und Quantität von Basisinnovationen („GreenTech“) eines natursparenden technischen Fortschritts. Die Lösungsansätze für Klima- und Ressour-censchutz müssen dabei stärker integriert werden.

Für den Standort Deutschland ist nicht nur die „Verfügbarkeits- und Anwenderseite“ aus dem Blickwinkel der rohstoffintensiven Industrien wichtig, sondern auch die „Herstellerseite“ der „GreenTech“-Bran-chen gewinnt immer mehr an Bedeutung. Technische und soziale In-novationen zur Entkopplung von Lebensqualität und Naturverbrauch können – bei geeigneten politischen Leitplanken und als Reaktion auf die weltweiten Knappheiten beim Naturkapital – nicht nur einer der Megatrends der Zukunft, sondern auch Treiber für rasch wachsende Leitmärkte zur Steigerung der Ressourceneffizienz werden. Je ressour-ceneffizienter produziert und je mehr Spitzentechnologie hierbei für die nationalen und Weltmärkte entwickelt wird, desto mehr sichert dies die Wettbewerbsfähigkeit eines Wirtschaftsstandorts, aber auch die Beschäftigung, und trägt so zur Rohstoffsicherheit bei.

Die Steigerung der Ressourceneffizienz ist daher eine zentrale und in der Breite wirksame Strategie einer nationalen ökologischen Indus-trie- und Dienstleistungspolitik und der Einstieg in eine „Ökonomie des Vermeidens“ (Müller/Hennicke 1995) unnötiger Ressourcenver-bräuche. Sie bietet prinzipiell Win-Win-Chancen nicht nur für Umwelt und Arbeit, sondern auch eine ökonomische und geopolitische Krisen-prävention. Über einen Technologie- und Know-how-Transfer sowie über eine gezielte Exportförderung und Entwicklungspartnerschaften können im Sinne von „Leap frogging“ Ressourceneffizienzlösungen global verbreitet und kann das Thema weltweit auf die Agenda gesetzt werden.

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7   Zwanzig Jahre Deutsche Einheit –   eine Bilanz

Im Herbst 1989 begann in der DDR ein Prozess tief greifender Um-wälzungen, der ein Jahr später in die deutsche Wiedervereinigung mündete. Der entscheidende Schritt in diese Richtung war die Einfüh-rung der D-Mark in der DDR am 1. Juli 1990. Dies bedeutete wirt-schaftlich den Anschluss der DDR und politisch die Unumkehrbarkeit des Vereinigungsprozesses. Die wirtschaftliche Entwicklung verlief in den beiden Landesteilen seit 1990 sehr verschieden: Die Anfangsphase war im Westen durch einen vereinigungsbedingten Wirtschaftsboom gekennzeichnet, im Osten dagegen durch einen beispiellosen Crash. Darauf folgten 1992 bis 1995 im Osten ein Rekonstruktions- und Aufholprozess, im Westen aber Rezession und ein nur mäßiger Auf-schwung. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre stagnierte der Auf-holprozess im Osten, während die Konjunktur im Westen an Fahrt gewann. Im Jahr 2000 erreichte sie hier ihren Kulminationspunkt. Das zweite Jahrzehnt der deutschen Einheit war durch eine eher mo-derate Wirtschaftsentwicklung in Ost und West und durch zwei kon-junkturelle Krisen geprägt. Die ökonomische und soziale Situation in Deutschland im Jahr 2010 macht deutlich, dass die 1990 vollzogene Vereinigung noch längst nicht vollendet ist. Der staatlichen Einheit folgte bisher keine wirtschaftliche und soziale Einheit. Solange dies nicht der Fall ist und hier ein „tiefer Riss“ durch das Land geht, ist die Einheit nicht erreicht. Die Herstellung gleichwertiger Lebens-verhältnisse und die Chancen gleicher Teilhabe für alle Menschen in Deutschland sind wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung von Demokratie und Wohlstand in der Zukunft.

Mit der Flucht vieler DDR-Bürger über die Grenzen Ungarns und der Tschechoslowakei, den Massendemonstrationen in Leipzig, Berlin und anderen Städten sowie dem Fall der Berliner Mauer begann in der DDR im Herbst 1989 ein Prozess tief greifender Umwälzungen, der ein

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Jahr später in die deutsche Vereinigung mündete. Dabei war es keines-wegs von Anfang an vorherbestimmt, dass die politische Entwicklung diesen Verlauf nehmen würde. Die „Wende“ hatte zunächst die De-mokratisierung und die Durchsetzung wirtschaftlicher Reformen zum Ziel: die Abschaffung der SED-Diktatur, die Herstellung der Reise-, Presse- und Meinungsfreiheit sowie die Durchsetzung basisdemokra-tischer Forderungen in Politik und Wirtschaft. Auf den Ruf „Wir sind das Volk!“ folgte jedoch bald der Ruf „Wir sind ein Volk!“, womit die deutsche Einheit auf die Tagesordnung rückte.

Entscheidend dazu beigetragen hatte das Angebot Helmut Kohls vom 6. Februar 1990, in der DDR die D-Mark einzuführen. Mit dem Wahlsieg der Allianz für Deutschland am 18. März wurde der Weg frei für eine rasche Vereinigung. Alle Pläne einer Konföderation und gradualistischen marktwirtschaftlichen Transformation waren damit Makulatur. Mit dem Vertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai und der Einführung der D-Mark in der DDR am 1. Juli 1990 erfolgte die Weichenstellung für die Wiedervereinigung gemäß Artikel 23 Grundgesetz. Der Vereinigungsprozess geriet damit zur Vereinnahmung der DDR als des wirtschaftlich unterlegeren und durch die Währungsunion zusätzlich geschwächten Teils Deutschlands durch die Bundesrepublik. Dies hatte nachhaltige Folgen für die wirt-schaftliche und soziale Entwicklung Ostdeutschlands, die bis heute spürbar sind und wahrscheinlich auch 2019 noch nicht überwunden sein werden, aber auch für Deutschland als Ganzes.

7.1   Grundverschiedene Ausgangsbedingungen 

Die Bundesrepublik und die DDR verfügten vor der Wiedervereini-gung politisch, ideologisch und kulturell, vor allem aber wirtschaftlich über grundverschiedene Voraussetzungen. Dies betraf erstens die ord-nungspolitischen Grundlagen, insbesondere die Eigentumsstruktur, die in der Bundesrepublik durch das Überwiegen privatkapitalistischer Formen, in der DDR aber durch die Dominanz staatlichen und genos-senschaftlichen Eigentums gekennzeichnet war.

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Zweitens galt dies für die Organisation der Wirtschaft, die privat- und marktwirtschaftlich bzw. planwirtschaftlich geprägt war, und für die unterschiedliche Rolle von Geld, Preis, Kredit und Zins sowie für die Art und Weise der Lohn- und Einkommensbildung.

Drittens verkörperte die Bundesrepublik eine entwickelte Geld- und Kreditwirtschaft, in der Banken und Finanzmärkte eine systemrelevante Schlüsselstellung einnahmen. Die D-Mark war eine frei konvertierbare Währung von hoher Reputation. In der DDR dagegen dienten Geld und Kredit als Instrumente der Planung, und das Bankwesen erfüllte eine staatliche Kontrollfunktion. Die DDR-Mark war eine reine Binnen-währung, die trotz ihrer inneren Stabilität und Kaufkraft zum Ende der DDR wenig populär war. Ihre Ersetzung durch die D-Mark wurde des-halb von der Bevölkerung – trotz Umtauschverlusten – begrüßt. Für die Industrie hingegen erwiesen sich die Umstellung der Geldverhältnisse, Löhne und Preise und der damit einhergehende Aufwertungseffekt als ruinös. Sie verlor schlagartig ihre Absatzmärkte im Inneren und in den Ländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), was die Entwertung ihres Anlagekapitals und schließlich den Bankrott vieler Unternehmen zur Folge hatte.

Viertens gab es Unterschiede in der Unternehmensstruktur. Wäh-rend sich in der Bundesrepublik eine Vielzahl teilweise multinatio-nal agierender Groß-, Mittel- und Kleinunternehmen in Produktion, Handel, Verkehr, Finanzen usw. den Markt teilten und untereinander im Wettbewerb standen, war die Wirtschaft der DDR durch große, zumeist monopolistisch agierende Kombinate geprägt. Ihre Zahl in Industrie und Bauwesen betrug zuletzt 274. Davon waren 148 zentral- und 126 bezirksgeleitet. Zu ihnen gehörten rund 4.000 Betriebe mit insgesamt mehr als drei Millionen Beschäftigten. In anderen Bereichen war der Konzentrationsgrad geringer. So gab es im Handwerk 9.120 Genossenschaften und 13.498 private Betriebe und in der Land- und Forstwirtschaft 464 Volkseigene Güter und 3.844 Genossenschaften mit durchschnittlich jeweils 240 Mitgliedern. Im Einzelhandel entfielen 54 Prozent des Umsatzes auf volkseigene Einrichtungen (Kaufhallen, Kaufhäuser, Fabrikverkauf), 34 Prozent auf genossenschaftliche und elf Prozent auf private Geschäfte. Im Finanzsektor gab es neben der

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Staatsbank die Genossenschaftsbank für Handwerk und Gewerbe, die Bank für Land- und Nahrungsgüterwirtschaft, die Deutsche Außen-handelsbank und die Handelsbank AG, die Postsparkasse sowie ca. 300 Kreis- und Stadtsparkassen. Ferner die Staatliche Versicherung, die Sozialversicherung sowie die Auslands- und Rückversicherungs-AG. Die Überführung dieser Strukturen in mit Westdeutschland vergleich-bare Formen erwies sich als äußerst schwierig. Ihre Zerschlagung und der anschließende Neuaufbau war jedoch gewiss die langwierigste und für die Perspektive der ostdeutschen Wirtschaft ungünstigste sowie denkbar teuerste Lösung.

Fünftens waren die Integration der westdeutschen Wirtschaft in die EU und ihr hoher Export- und Importanteil von Bedeutung. Die DDR-Wirtschaft hingegen war in einem hohen Maße in den RGW eingebunden. Die Bilanzen im Außenhandel spiegelten unterschied-liche Effizienzen wider: So erzielte die DDR im RGW-Handel Erlöse in Transfer-Rubeln, die in der Regel Gewinne beinhalteten. Die Zah-lungsbilanz wies 1988 eine Netto-Gläubigerposition von 3,6 Milliarden Valutamark (VM) aus, 1989 waren es sogar 6,0 Milliarden VM. Im Handel mit westlichen Industrieländern dagegen musste zuletzt für eine DM Exporterlös ein Gegenwert von 4,40 Mark (Inlandsprodukt) auf-gebracht werden. 1984 waren es noch 2,50 Mark. Die Gründe für die drastische Verschlechterung der Außenhandelseffizienz sind vor allem im Zurückbleiben der DDR in der Produktivität, im Preisverfall für industrielle Massenerzeugnisse sowie im Preisanstieg für Rohstoffe und bestimmte Qualitätsprodukte auf dem Weltmarkt zu sehen. Diese Ent-wicklung schlug sich in einer steigenden Auslandsverschuldung nieder: 1989 betrugen die Nettoverbindlichkeiten der DDR gegenüber dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet 19,9 Milliarden VM (Deutsche Bundesbank 1999, S. 59f.). Dies markiert eine deutlich andere Situa-tion, als sie für die Bundesrepublik typisch war. Diese erwirtschaftete im Außenhandel regelmäßig Überschüsse, sodass ihre Handels- und Leistungsbilanz 1989 jeweils einen positiven Saldo von 134,6 Milliar-den DM bzw. 104,1 Milliarden DM aufwies. Diese grundverschiedenen Ausgangslagen der beiden deutschen Staaten bedeuteten jedoch nicht, dass die DDR 1990 „pleite“ war oder unmittelbar vor der Zahlungsun-

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fähigkeit stand. Zweifellos aber war ihre wirtschaftliche und finanzielle Lage extrem angespannt.

Sechstens: Die DDR-Wirtschaft befand sich während der 1980er Jahre in permanenten Schwierigkeiten: das Wachstum des Bruttoin-landsprodukts blieb hinter den langjährigen Durchschnittsraten zu-rück (1986-1989: 2,1 Prozent gegenüber 4,5 Prozent 1951 bis 1989), Mangelerscheinungen nahmen zu, wichtige Planziele wurden nicht erreicht, die Exportrentabilität sank, die Versorgung der Bevölkerung wies Lücken auf. 1989 lag das Bruttoinlandsprodukt je Einwohnerin bzw. Einwohner bei 56 Prozent des westdeutschen Niveaus, das relative Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen (Arbeitsproduktivität) betrug 45 Prozent (Heske 2009, S. 67). Für die Zukunft zeichneten sich eine dramatische Verschlechterung der Lage und mit ihr politische Turbu-lenzen ab. Die Vereinigung mit der Bundesrepublik schien in dieser Situation vielen als mögliche, vielleicht sogar günstigste Option, um die Bedingungen für die Zukunft zu verbessern, zumal sich die Bundesre-publik Ende der 1980er Jahre auf dem Höhepunkt eines seit 1983 an-dauernden konjunkturellen Zyklus’ befand. Das Wirtschaftswachstum betrug 1989 3,4 Prozent und lag damit höher als im Durchschnitt der 1980er Jahre. Die Leistungsbilanz verzeichnete steigende Überschüsse. Angestiegen waren auch die privaten Investitionen. Ihr Zuwachs betrug 1989 7,4 Prozent. Die Industrie verzeichnete Überkapazitäten. Diese Erfolge gingen jedoch einher mit einer sinkenden Lohnquote, wach-sender Verteilungsungerechtigkeit, einer zunehmenden Exportlastigkeit und Erscheinungen von Überakkumulation. Nicht zu vergessen ist der Reformstau auf Gebieten wie Bildung, Gesundheit und Umweltschutz sowie die politische Stimmung im Lande, die auf einen Wechsel der Regierung drängte. Auch tauchten in der Weltwirtschaft 1989 erste Schwächetendenzen auf, die auf eine baldige Rezession hindeuteten. Durch den Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft, die hohen Sozial-transfers und den Investitionsbedarf im Zuge des Aufbau Ost wur-de die Krise hinausgezögert und stattdessen eine Sonderkonjunktur West herbeigeführt. 1990 erhöhte sich die Zahl der Erwerbstätigen in Westdeutschland um 700.000 Personen, im Folgejahr noch einmal um 800.000 Personen (MEMORANDUM 1992, S. 54). Dies erlaubte es

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dem konservativ-liberalen Regierungsbündnis, seine Politik nach 1990 in West- und Ostdeutschland fortzusetzen. Die mit der Vereinigung ge-gebene historische Chance für einen sozialen und ökologischen Umbau (vgl. MEMORANDUM 1990, S. 177ff.) wurde dadurch verpasst. Das bestehende bundesdeutsche Wirtschaftssystem wurde auf die neuen Länder übertragen und der Aufbau Ost als Nachbau West konzipiert, was der ostdeutschen Wirtschaft den Charakter einer Dependenz- und Transferökonomie verlieh.

7.2   Wirtschaftliche Entwicklung: Kosten und Effekte   der Wiedervereinigung 

7.2.1 Phasen der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung

Die wirtschaftliche Entwicklung verlief nach der Wiedervereinigung in Ost und West mit unterschiedlicher Dynamik. Zu unterscheiden sind: erstens die Anfangsphase 1990/91 (Absturz im Osten und Boom im Westen), zweitens die Rekonstruktions- und Aufbauphase 1992 bis 1995 (beschleunigtes Wachstum im Osten und Rezession sowie mäßige Erholung im Westen), drittens die Stagnationsphase im Auf-holprozess im Osten und der Aufschwung im Westen (bis 2000) und viertens eine Phase moderaten Wachstums und konjunktureller Krisen für beide Landesteile im letzten Jahrzehnt.

Der plötzliche Verlust großer Teile des Binnenmarktes und der Ex-portmärkte in Mittel- und Osteuropa führte in Verbindung mit der rigorosen Privatisierungsstrategie der Treuhandanstalt (THA) in Ost-deutschland zu einem tiefen Einbruch von Produktion und Beschäfti-gung. Innerhalb weniger Monate sank das Bruttoinlandsprodukt um rund ein Viertel (vgl. Heske 2005, S. 86) und die Industrieproduktion um fast zwei Drittel.

Spiegelbildlich dazu wirkte die Marktübernahme der westdeutschen Handels- und Industriekonzerne in den neuen Bundesländern insbe-sondere in den Jahren 1990 und 1991 als starker Konjunkturimpuls in den alten Ländern. Dieser Impuls sicherte die Realisierung der west-

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deutschen Mehrproduktion mit hohen Zuwächsen beim Gewinn und Steueraufkommen (vgl. Tab. 4).

Tab. 4: Bruttoinlandsprodukt der alten Bundesländer mit Berlin 1989 bis

2000 (in Milliarden Euro, 1995er Preise)

Jahr Bruttoinlandsprodukt 1989 = 1001989 1.420 100,01991 1.568 110,41995 1.600 112,72000 1.750 123,2

Quelle: Heske 2005, S. 88

Die Vereinigungskonjunktur brachte den alten Bundesländern 1990/91 ein beträchtliches Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, das sich als dauerhaft erwies und als Basiseffekt auch in der Folgezeit wirkte, sowie einen Gewinn von mehr als einer Million Arbeitsplätzen. Die neuen Bundesländer konnten ihren Anteil am gesamtdeutschen Bruttoinlandsprodukt von 11,6 Prozent (1989) nach einem Rückgang auf 7,0 Prozent (1991) bereits 1995 mit 11,1 Prozent fast wieder er-reichen (Heske 2005, S. 78).

Bald nach dem Ende der Treuhand-Ära (1994) zeigten die neuen Bundesländer bei rückläufigen Gesamtinvestitionen eine nachlassende wirtschaftliche Dynamik, die den Angleichungsprozess Ost-West vor-erst beendete. Zwischen 1995 und 2000 gab es im Wachstum keinen relevanten Unterschied mehr zwischen den West- und Ostdeutschland (9,34 Prozent in den alten Bundesländern versus 9,45 Prozent in den neuen Bundesländern). Dies bedeutete kein „Aufholen“ mehr, sondern nur noch regionales „Mithalten“. Erst in den Jahren 2004 bis 2006 gab es wieder eine geringe relative Zunahme der ostdeutschen Wachstums-raten – aber keinen Durchbruch zu einer höheren Dynamik. 2008 lag der Anteil der neuen Bundesländer (ohne Berlin) am gesamtdeutschen Bruttoinlandsprodukt wieder bei 11,6 Prozent (Arbeitskreis VGR der Länder 2009).

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220

7.2.2 Beschäftigung

Der tiefe Einbruch der Produktion begünstigte den starken Rückgang der Wohnbevölkerung in den neuen Bundesländern. Bis 2008 ver-ringerte sich hier die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner um 14,4 Prozent, die der Erwerbstätigen sank auf zwei Drittel, und der Beschäftigungsgrad verringerte sich um 15 Prozentpunkte gegenüber 1989 (vgl. Tab. 5).

Tab. 5: Bevölkerung und Erwerbstätige in den neuen Bundesländern

(ohne Berlin)

Jahr

BevölkerungAnteil an

Deutsch-

land

Erwerbstätige Beschäf-

tigungs-

grad in

Prozent

Millionen

Personen

1989 =

100

Millionen

Personen

1989 =

100

1989 15,3 100 19,5 8,9 100 581991 14,6 95,4 18,3 6,8 76,3 461995 14,2 92,6 17,4 6,0 68,0 432000 13,9 90,6 16,9 5,9 66,6 432008 13,1 85,6 15,9 5,8 65,2 44

Quelle: Heske 2005, S. 83; Jahresbericht Deutsche Einheit 2009: Anla-

ge 1f.

Die Arbeitslosigkeit stieg sprunghaft an und verblieb seitdem auf einem etwa doppelt so hohen Niveau wie in den alten Bundesländern. Die Arbeitslosenquote betrug 2009 in den neuen Bundesländern (mit Berlin) 14,5 Prozent.

7.2.3 Investitionen und Kapitalintensität

Der radikalen Aussonderung der veralteten Anlagen und Bauten in der Wirtschaft einschließlich des Umweltbereichs folgte eine partielle Modernisierung der ostdeutschen Produktions- und Infrastrukturan-

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zwanzig jahre deutsche einheit – eine bilanz

221

lagen. Dazu wurden über einige Jahre enorme staatliche und private Kapitalimporte benötigt und organisiert.

Tab. 6: Bruttoanlageinvestitionen der neuen Bundesländer (mit Berlin)

im Vergleich zur inländischen Verwendung und ihr Anteil an Deutsch-

land insgesamt

Jahr

Bruttoanlage-

investitionen

1989 = 100

inländische

Verwendung

Anteil der Bruttoanlage-

investitionen der neuen

Bundesländer u. Berlin

an Deutschland insgesamt 1989* 100 100 X1991 121 123 16,71995 212 155 28,42000 173 153 21,32006 126 172 16,1

Quelle: Heske 2005, S. 261f. ; vergleichbare Preise; * DDR-Daten 1989,

Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder

Der Anstieg der Bruttoanlageinvestitionen erreichte 1995 mit 212 Prozent im Vergleich zum letzten DDR-Stand (1989) seinen Höhe-punkt, um dann bis 2006 wieder auf fast die Hälfte zurückzugehen. Der Anteil der ostdeutschen Bruttoanlageinvestitionen an der inländischen Verwendung des Bruttoinlandsprodukts bewegte sich zwischen 1992 und 1999 stets über 25 Prozent. In den nachfolgenden Jahren gingen die absoluten Bruttoinvestitionen bis 2006 stetig zurück. Ihr Anteil an Gesamtdeutschland lag 2007 mit 16 Prozent auf der Höhe von 1991 (vgl. Destatis, R1B3, Tab. 1).

Im Produzierenden Gewerbe (ohne Bau) der neuen Bundesländer erfolgte jedoch 2006 und 2007 wieder ein Anstieg der Ausrüstungs-investitionen. Damit ergaben sich potenziell günstige Chancen für ein höheres Produktionspotenzial in der Zukunft. Im Ergebnis des Investiti-onsprozesses hatte sich seit 1991 der Kapitalstock in den neuen Bundes-ländern je Einwohnerin bzw. Einwohner zwischen 1994 und 2006 von

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45 Prozent auf 72 Prozent des westdeutschen Niveaus erhöht, darunter im Produzierenden Gewerbe von 65 Prozent auf 94 Prozent.

7.2.4 Produktivität

Die Arbeitsproduktivität (gemessen als Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen) hat sich seit 1990 in Ost- und in Westdeutschland sichtbar erhöht. Hinter dem Produktivitätsanstieg in den neuen Bun-desländern verbirgt sich aber nicht nur eine veränderte technisch-or-ganisatorische Kapitalbasis, sondern auch ein rapider Rückgang der Erwerbstätigen um etwa 1,5 Millionen Personen. Die Produktion je Einwohnerin bzw. Einwohner stieg in den neuen Bundesländern im Jahr 2008 gegenüber 1995 auf 144 Prozent und gegenüber 2000 auf 125 Prozent und damit schneller als in den alten Bundesländern. Sie erreichte zuletzt aber trotzdem erst knapp 70 Prozent des westdeut-schen Niveaus. Damit hat sich der Abstand von Ost zu West beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf gegenüber 1989 etwa halbiert.

Die volkswirtschaftlichen Ursachen für diese Differenz bestehen im Wesentlichen in der abweichenden Struktur der Wertschöpfung – der Produktions- und Dienstleistungsstrukturen, des Anteils wert-schöpfungsintensiver Leistungen des Managements, der Forschung, des Marketings u.a. sowie der Größenstrukturen der Betriebe. Die niedrigeren Löhne und der Anstieg der Produktivität im Osten senkten zugleich die Lohnstückkosten und stärkten dadurch trotz struktureller Defizite die Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Industrie.

7.2.5 Fiskalische Transfers und öffentliche Verschuldung

Die Entwicklungsdynamik der neuen Bundesländer wurde haupt-sächlich durch staatliche Transferleistungen erreicht. Gleichzeitig gab es hier eine wachsende fiskalische Verschuldung auf der Ebene der Länder und Gemeinden. Die ebenfalls hohe Verschuldung des Bundes infolge der Vereinigungslasten ist vor allem auf Fehler in der Steuer-politik zurückzuführen. Zwischen 1991 und 2009 beliefen sich die öffentlichen Finanztransfers für Ostdeutschland netto auf rund 1,3

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Billionen Euro. Der größte Teil davon entfiel auf den Bund, etwa ein Drittel auf die Sozialversicherungskassen und rund ein Siebtel auf die westdeutschen Länder und Kommunen. Mehr als die Hälfte der Aus-gaben waren Sozialleistungen, weniger als zehn Prozent „wachstums-orientierte Ausgaben“. Darüber hinaus lassen sich Aufwendungen für „allgemeine bundesstaatliche Aufgaben“ und Zahlungen im Rahmen der Steuereinnahmenverteilung und der Finanzausgleichszahlungen abgrenzen (vgl. Blum u.a. 2009, S. 110ff.).

Derzeit werden Transfers des Bundes durch den Solidarpakt II (2005 bis 2019) in Höhe von insgesamt 156,5 Milliarden Euro außerhalb des Föderalen Finanzausgleichs verteilt. Davon entfallen 105 Milliarden Euro auf den „Korb I“ für Zwecke des Abbaus der teilungsbedingten Infrastrukturlücke und 51,5 Milliarden Euro für weitere „Ausgaben für den Aufbau Ost von hoher Priorität“. Das verbreitete Missverständnis der Transfers als „Solidaropfer“ für den Osten beruht auf einer volks-wirtschaftlich falschen Sicht. Betrachtet man die West-Ost-Transfers im Kreislaufzusammenhang, so zeigt sich, dass sie für die westdeutsche Wirtschaft einen regionalen Güter- und Kapitalexport darstellen, für die neue Bundesländer hingegen einen regionalen Import. Nachfrage- und angebotsseitige Effekte gehen hiervon sowohl für die westdeutsche als auch für die ostdeutsche Wirtschaft aus (vgl. Burda/Busch 2001; Simons 2009; Blum u.a. 2009).

Tab. 7: Verschuldung der neuen Bundesländer (ohne Berlin; ohne Kas-

senkredite) 

JahrInsge-

samt

Neue Länder

ohne Gemeinden

Gemeinden u.

Zweckverb.

Verschuldung

je Einw. Milliarden Euro Euro

1991 5,7 1,8 3,9 0.3691995 51,3 33,0 18,3 3.3172001 74,3 58,0 16,3 4.3372008 87,1 74,2 12,9 5.288

Quelle: DIW, Vierteljahresheft 2/2009, S. 150

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Der Anstieg der Länderverschuldung Ostdeutschlands ist vor allem eine Folge der niedrigen originären Steuerquote im Gefolge der noch niedrigeren Wertschöpfung (vgl. Tab. 8).

Auf Bundesebene zeigte sich nach 1990 ein deutlicher Anstieg der Kreditaufnahme und der Verschuldung. Dieser Zuwachs ist aber nur zum Teil als „vereinigungsbedingt“ zu interpretieren. Unterstellt man für die DDR eine ähnlich hohe Pro-Kopf-Verschuldung wie für die Bundesrepublik, so hat sie sich durch die Vereinigung nicht erhöht. Die teilweise hohe Neuverschuldung in späteren Jahren aber kann nicht in erster Linie auf die Vereinigung zurückgeführt werden. Hierfür waren vielmehr steuerpolitische Entscheidungen, Krisenprävention und an-dere Maßnahmen maßgebend.

Tab. 8: Schulden je Einwohnerin und Einwohner (1989 früheres Bundes-

gebiet, 1991 Bundesrepublik Deutschland)

Stichtag Insgesamt Bund LänderGemeinden/

GV31.12.1989 7.658 4.104 2.555 1.07431.12.1991 7.498 4.351 2.252 0.966

Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 5, 2008

7.3   Deutschland 2010 – wiedervereinigt, aber trotzdem  zweigeteilt. Erfolge, Defizite und ungelöste   Probleme 

Der Bundesrepublik Deutschland war schon vor der Wiedervereini-gung das ökonomisch stärkste Mitgliedsland der EU. Diese Stellung wurde durch den Beitritt der DDR hinsichtlich des ökonomischen Po-tenzials und der Bevölkerung weiter ausgebaut. Beim Bruttoinlands-produkt pro Einwohnerin bzw. Einwohner fiel sie aber zurück.

Deutschland ist das einzige Land, in dem sich die Transformation einer ehemals staatssozialistischen Gesellschaft und Wirtschaft in eine

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kapitalistische Marktwirtschaft im Rahmen eines anderen, schon beste-henden Staates vollzog. Dies prägt die Entwicklung bis heute und hat großen Einfluss auf Gesamtdeutschland. Die Ergebnisse der 20-jährigen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Entwicklung weisen ins-gesamt ein widersprüchliches Bild auf. Nach der Vereinigung wurden spürbare Fortschritte in der Angleichung der Lebensverhältnisse der ostdeutschen Bevölkerung erreicht, insbesondere bei der Erhöhung der Einkommen und des Niveaus der Konsumtion, der Herausbildung einer modernen Infrastruktur, der Modernisierung von Produktionsstätten, der Beseitigung größerer Umweltschäden und der Rekonstruktion der Städte. Das Bild Ostdeutschlands ist jedoch auch 20 Jahre nach der Vereinigung zwiespältig: moderne Infrastruktur und neue Produktions-stätten neben verfallenden oder schon verschwundenen Industrieanla-gen, neue und rekonstruierte Wohnsiedlungen neben Abrissgebieten, aufwändig restaurierte historische Stadtzentren bei drastisch gesun-kenen Bevölkerungszahlen. Ostdeutschland ist weit von einer sich selbst tragenden wirtschaftlichen Entwicklung entfernt. Nach den bis Mitte der 1990er Jahre erzielten Fortschritten bei der Herstellung gleichwer-tiger Lebensverhältnisse in Ostdeutschland stagniert seit über zehn Jahren die Verwirklichung dieses Verfassungsgrundsatzes. Insgesamt dominieren noch im Jahr 2010 die Auswirkungen verpasster Chancen bei der Nutzung der Wiedervereinigung für die Gestaltung eines ver-änderten, sozial-ökologisch zukunftsorientierten Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells. In den neuen Bundesländern wurde der Aufbau Ost als Nachbau West, als nachholende Modernisierung durchgeführt. Deutschland ist heute eine um das Beitrittsgebiet vergrößerte Bun-desrepublik – mit Ostdeutschland als größtem Krisengebiet der hoch entwickelten Länder Europas.

7.3.1 Westdeutschland – zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung

Die widersprüchlichen Wirkungen einer von den Kapitalinteressen dominierten Transformation Ostdeutschlands in eine kapitalistische Marktwirtschaft und die Art und Weise der ökonomischen Eingliede-

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rung Ostdeutschlands in die bundesdeutsche Wirtschaft haben auch die Entwicklung der Wirtschaft und der Finanzen Westdeutschlands beeinflusst. Die West-Ost-Transfers der öffentlichen Haushalte stellen zweifellos bis heute eine Belastung für den Bund insgesamt sowie für die westdeutschen Länder und Kommunen dar. Es ist daher kein Zu-fall, dass von Beginn des Transformationsprozesses an scharfe Kon-troversen um die Höhe und Dauer dieser Leistungen sowie um ihre effektive und sinnvolle Verwendung geführt werden. Verbreitet sind Auffassungen, wonach die Finanztransfers in Westdeutschland als „Wachstumsbremse“ wirken und die Hauptursache für den sprung-haften Anstieg der öffentlichen Verschuldung darstellen. Dies wird durch die fatalistische Auffassung, der Osten sei „ein Fass ohne Bo-den“, worin die geleisteten Zahlungen weitgehend wirkungslos versi-ckerten, noch ergänzt. Eine Bewertung der tatsächlichen, oft recht wi-dersprüchlichen Wirkungen der Transferleistungen verlangt aber eine differenzierte Analyse ihres Umfangs und ihrer Gesamtwirkungen.

Die Finanztransfers ermöglichen in Ostdeutschland die Realisierung einer zusätzlichen Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern sowie Dienstleistungen aus den alten Bundesländern. Damit wirken sie für die westdeutsche Wirtschaft wie ein keynesianisches Konjunk-turprogramm. Der überwiegende Teil der Finanzmittel fließt als Erlös oder Entgelt für die gekauften Waren wieder nach Westdeutschland zurück. Im gesamtwirtschaftlichen Kreislauf bilden die Finanztransfers den finanziellen Impuls für die Produktion und den Absatz zusätzlicher Güter und Dienstleistungen. Es ist daher unübersehbar, dass die west-deutsche Wirtschaft vom „Echo“ der Transferzahlungen in Form einer induzierten Nachfrage aus Ostdeutschland seit 1990 erheblich profi-tiert: Das Produktionsniveau ist dadurch entsprechend höher, wodurch zusätzliche Arbeitsplätze entstanden und entstehen, ebenso zusätzliche Einkommen sowie Steuer- und Beitragseinnahmen. Auch wenn diese Impulse vor allem in den Anfangsjahren auftraten, so hält der damit verbundene Niveaueffekt – vier bis fünf Prozent des Wertschöpfungs-volumens und mehr als eine Million Arbeitsplätze in Westdeutschland – doch bis heute an. Der westdeutsche Lieferüberschuss in die neuen Bundesländer lag in den 1990er Jahren zwischen 80 und 100 Milliarden

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Euro pro Jahr. Es kann davon ausgegangen werden, dass „ohne diese Lieferungen das westdeutsche Sozialprodukt um 6-7 Prozent niedriger gewesen“ wäre (DIW 2000, S. 202). Die Transferleistungen bilden damit auch eine Grundlage für höhere Steuer- und Beitragseinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen in Westdeutschland in Höhe von jährlich mindestens 40 Milliarden Euro. In 20 Jahren wären dies kumu-liert rund 800 Milliarden Euro. Hinzu kommt die Wertschöpfung der 300.000 bis 500.000 Pendlerinnen und Pendler jährlich. Zusammen ist dies schon mehr als die Summe der Transferzahlungen seit 1990.

Die Finanztransfers müssen über Steuern und Beiträge sowie über eine steigende Neuverschuldung des Staates aufgebracht werden und verringern somit den Spielraum der öffentlichen Haushalte. Ihre all-mähliche Rückführung im Sinne einer Normalisierung der regionalen Finanzbeziehungen und, parallel dazu, einer Stärkung der Wirtschafts-kraft der neuen Länder entspricht daher den Interessen der Menschen in West- wie in Ostdeutschland.

Die West-Ost-Finanztransfers trugen in Ihrer Gesamtwirkung zur weiteren Umverteilung von Einkommen und Vermögen von unten nach oben und zu dem gegenwärtig hohen Grad ihrer Polarisation bei. Banken, Handelsketten und Versicherungskonzerne sowie Bau- und Industrieunternehmen waren durch die weitgehende Übernahme des volkseigenen Vermögens im Ergebnis der Tätigkeit der Treuhandanstalt und des ostdeutschen Absatzmarktes die größten Nutznießer der durch die Finanztransfers generierten Nachfrage. Gegenüber 1991 stieg bis 2008 die Gewinnquote (Anteil der Gewinne einschließlich Vermögen-seinkommen am Volkseinkommen) von 29 Prozent auf 35 Prozent, während die Lohnquote entsprechend sank. Die ungelösten wirtschaft-lichen und sozialen Probleme in Ostdeutschland und die damit ver-bundene wachsende soziale Unsicherheit schlagen sich auch nieder im vergleichsweise geringen Grad gewerkschaftlicher Organisiertheit und in der niedrigen und weiter zurückgehenden Tarifbindung. Daraus folgt eine Schwächung der gewerkschaftlichen Kampfkraft, darunter der Streikfähigkeit. Dies wirkt sich negativ auf die Mobilisierungsfähigkeit der Gewerkschaften in ganz Deutschland sowie auf die Ost-West-Soli-darität aus. Hier wurde der Niedriglohnbereich ausgebaut, vorrangig

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228

prekäre Arbeitsverhältnisse geschaffen, massenhaft mit Kombilöhnen experimentiert und der Kündigungsschutz ausgehöhlt. Dadurch werden auch soziale Errungenschaften in den alten Bundesländern gefährdet.

7.3.2. Die neuen Bundesländer 20 Jahre nach der Vereinigung

Die Bilanz des erreichten Standes der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Ostdeutschlands fällt zwiespältig aus: Neben positiven Veränderungen gibt es nach wie vor langfristig wirksame strukturelle Defizite, ungelöste Probleme und Tendenzen, welche die Zukunfts-aussichten stark eintrüben. Diese könnten auch einiges von dem, was in den letzten beiden Jahrzehnten geschaffen wurde, künftig wieder in Frage stellen. Die wirtschaftlichen Defizite Ostdeutschlands betreffen insbesondere die Folgen der weitgehenden Deindustrialisierung, den

Tab. 9: Anteile der Wirtschaftsbereiche an der Bruttowertschöpfung im

Jahre 2008 in Prozent (in jeweiligen Preisen)

WirtschaftsbereicheNeue

Bundesländer

Alte

BundesländerLand- und Forstwirtschaft,

Fischerei1,6 0,8

Produzierendes Gewerbe

ohne Baugewerbe23,3 26,8

Verarbeitendes Gewerbe 19,6 24,5Baugewerbe 5,8 4,0Handel, Gastgewerbe und Verkehr 17,3 18,1Finanzierung, Vermietung und

Umweltdienstleistung25,3 29,6

Öffentliche und private

Dienstleister26,7 20,7

Quelle: Bundesregierung Jahresbericht zum Stand der deutschen Ein-

heit 2009, Tabelle 2.3

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trotz hoher Wachstumsraten geringeren Anteil der Industrie an der Wirtschaftsleistung, das weitgehende Fehlen von Großbetrieben sowie das Überwiegen von Klein- und Kleinstbetrieben in der Produktion und im Dienstleistungsbereich.

Die Wirtschaftsstruktur Ostdeutschlands unterscheidet sich von der westdeutschen auch in der Branchenstruktur des verarbeitenden Gewerbes, u.a. dadurch, dass die für die zukünftige Entwicklung ent-scheidenden Investitionsgüterindustrien geringere Produktionsanteile aufweisen.

In den neuen Bundesländern gibt es einige gute Ansätze für einen neuen Entwicklungspfad sozial-ökologischer Nachhaltigkeit, der weiter ausgebaut werden sollte. Dazu gehören Kapazitäten für erneuerbare Energien, insbesondere Windenergieanlagen und Photovoltaik – 2007 wurden in Ostdeutschland ca. 80 Prozent der in Deutschland und 18 Prozent der weltweit hergestellten Solarzellen produziert (Links/Volke 2009, S. 43) – , die Gesundheitswirtschaft und Teile der Landwirtschaft, die auf eine biologische Produktion umgestellt wurden.

Nachteilig machen sich die geringe Vernetzung der Unternehmen untereinander und ihre relativ schwache Verankerung in der jeweiligen Region sowie der geringe Anteil ostdeutscher Unternehmen an FuE-Leistungen bemerkbar. Der Anteil des FuE-Personals in der Wirtschaft an der Bevölkerung und an den Erwerbstätigen betrug 2008 weniger als die Hälfte der westdeutschen Anteile. Charakteristisch für viele ostdeut-sche Unternehmen sind ihre zu geringe Marktpräsenz, insbesondere im Ausland, und ihre ungenügende Eigenkapitalausstattung.

Zu den weiter bestehenden Problemen gehört die Abhängigkeit vieler Betriebe von Zentralen im Westen, zudem von Banken, For-schungseinrichtungen, Handelsketten usw. mit Sitz in den alten Bun-desländern. Der relative Rückstand Ostdeutschlands und das gegenüber Westdeutschland geringere Potenzial werden vor allem in makroöko-nomischen Vergleichsdaten offenkundig, weniger in einem mikroöko-nomischen Vergleich von Betrieb zu Betrieb.

Für die gegenwärtige und zukünftige Entwicklung Ostdeutschlands erhält die dramatische Bevölkerungsentwicklung ein immer größeres Gewicht. Maßgebend dafür sind der negative Saldo der Wanderung,

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insbesondere hinsichtlich der Anteile jüngerer Jahrgänge, der Frauen und ausgebildeter Fachkräfte, der Geburtenrückgang und die Verlänge-rung der Lebenszeit. Diese Prozesse bewirken, dass die Bevölkerung im Zeitverlauf sichtlich schrumpft, der Anteil der Erwerbsfähigen und der Frauen zurückgeht und sich die Altersstruktur spürbar durch den stark steigenden Anteil der Menschen im Rentenalter verändert. Das ab-sehbare Ausmaß dieser als „demografischer Wandel“ apostrophierten Veränderung ist derart dramatisch, dass die neuen Bundesländer von Expertinnen und Experten der Bevölkerungsstatistik inzwischen als „das demografische Krisengebiet Europas“ bezeichnet werden (Berlin-Institut 2008, S. 3).

Die Ost-West-Wanderung, die mit tiefen Einschnitten in die Alters-, Geschlechts- und Qualifikationsstruktur der ostdeutschen Bevölkerung verbunden ist, bedeutet regional einen gravierenden Verlust an Human-kapital, einen dauernden „Aderlass“, wodurch sich das ökonomische

Tab. 10: Ökonomische Indikatoren neue Länder (ohne Berlin) 1989 bis

2008

Kennziffer 1989 1991 2000 2008Einw. in Millionen 15,2 14,5 13,9 13,1 Anteil an Deutschland in Prozent 19,2 19,0 16,9 16,0Erwerbstätige in Millionen 8,9 6,8 5,9 5,8 Anteil an Deutschland in Prozent 22,7 17,6 15,1 14,4

Bruttoinlandsprodukt Milliarden Euro 187,2 107,3 234,6 289,6

Anteil an Deutschland in Prozent 11,6 7,0 11,4 11,6

Arbeitsproduktivität in 1.000 Euro 21,1 15,8 39,7 50,0

Relation nBL/aBL (aBl=100) 44,2 34,9 71,9 79,0Bruttoinlandsprodukt je Einw.

in 1.000 Euro12,2 7,3 16,9 22,1

Relation nBL/aBL (aBl=100) 54,9 33,3 62,6 68,7

Quelle: Statistisches Bundesamt, Arbeitskreis VGR der Länder 2009; Hes-

ke 2005; eigene Berechnungen

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Potenzial in den neuen Bundesländern nachhaltig verringert und das der alten Bundesländer wächst.

Die Kombination aus geringer Geburtenziffer und anhaltender Abwanderung junger Frauen, die mit zeitlicher Verzögerung zum „demografischen Echo“ sinkender Geburtenzahlen führt, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Bevölkerungsrückgang auch in Zu-kunft fortsetzen wird. Dabei verstärken sich die genannten Faktoren gegenseitig: Durch die Abwanderung sinkt die Lebensqualität, was die Geburtenentwicklung negativ beeinflusst. Dies erhöht die Perspektiv-losigkeit in vielen Subregionen, wodurch sich die Abwanderung wie-derum verstärkt.

Die wirtschaftlichen und sozialen Divergenzen zwischen den beiden Landesteilen manifestieren sich nicht nur in der Abwanderung junger qualifizierter Personen aus Ostdeutschland, sondern haben auch starke Arbeitspendlerströme hervorgerufen. Normal sind Pendlerströme zwi-schen Ballungsgebieten und ihrem unmittelbaren Umland; das trifft in der Bundesrepublik besonders für Hamburg und Bremen zu, die Arbeitskräfte aus den Nachbarländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein anziehen. Etwas anders ist die Situation der Pendlerströme aus den neuen Bundesländern nach Westdeutschland. Hier haben sich sta-bile starke und weiträumige Pendlerströme herausgebildet. Besonders hoch ist ihr Anteil in Thüringen. Mehr als ein Zehntel der dort lebenden sozialversicherungspflichtig Beschäftigten arbeitet in westdeutschen Bundesländern. Derartige starke weiträumige Arbeitspendlerströme haben einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die wirtschaftliche Lei-stungskraft der einzelnen Bundesländer.

Im 20. Jahr der Einheit bestehen nach wie vor erhebliche Defizite in den Arbeits- und Lebensverhältnissen. Vor allem die zunehmende Unsi-cherheit der Arbeitsverhältnisse hat nachhaltige Auswirkungen auf die sozialen Lebensverhältnisse, auf den weit überdurchschnittlichen Anteil der von Hartz IV und anderen Sozialleistungen abhängigen Menschen, die weitgehende Stagnation in der Lohnanpassung und das im Vergleich zu Westdeutschland noch stärkere Zurückbleiben der Lohnentwicklung gegenüber der Arbeitsproduktivität. Während das relative Niveau der Lohnkonvergenz bis vor wenigen Jahren spürbar höher lag als die Kon-

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vergenz der Produktivität, ist diese Differenz im Angleichungsniveau 2009 gesamtwirtschaftlich faktisch aufgehoben. Im verarbeitenden Ge-werbe hat sich das Verhältnis sogar umgekehrt, das relative Lohnniveau ist niedriger als das relative Produktivitätsniveau.

Größere Ost-West-Unterschiede bestehen in der Struktur der Ein-kommen privater Haushalte. Während die Anteile der Einkommen aus unselbstständiger Arbeit in Ost und West etwa gleich sind, liegen die Anteile der öffentlichen Transferzahlungen (Sozialeinkommen) in Ostdeutschland etwa 50 Prozent höher als in Westdeutschland, wäh-rend umgekehrt in Westdeutschland die Anteile der Einkommen aus selbstständiger Arbeit um rund 35 Prozent und die Anteile der Ein-kommen aus Vermögen um rund 50 Prozent höher liegen. 2008 lag die Summe von Geldvermögen und Versicherungen und Bausparverträgen pro Person in Westdeutschland bei 27.200 Euro und in Ostdeutschland bei 11.300 Euro (IWH 2009/1, S. 21).

Die ökonomische und soziale Situation in Deutschland 2010 macht deutlich: Die 1990 vollzogene Vereinigung Deutschlands ist längst nicht vollendet, weil der staatlichen Einheit keine wirtschaftliche und soziale Einheit folgte. Solange dies nicht der Fall ist und statt der wirt-schaftlichen und sozialen Einheit ein „tiefer Riss“ durch dieses Land geht (Kirchlicher Herausgeberkreis 2007), bleibt Deutschland zwei-geteilt. Die Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen und die Ermöglichung gleicher Teilhabe aller Menschen in Deutschland sind entscheidende Voraussetzungen für die Entwicklung von Demokratie und Wohlstand.

7.4   Forderungen alternativer Wirtschaftspolitik   für die Zeit bis 2019 

Um die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise zu überwinden und in eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung umzusteuern, muss der sozial-ökologische Umbau der deutschen Wirtschaft gefordert wer-den. Hierin eingebettet haben sich der Aufbau Ost und die weitere Integration der ostdeutschen Wirtschaft in die gesamtdeutsche und

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europäische Wirtschaft bis zum Jahre 2019 einzuordnen. Dabei ist der Überwindung der spezifischen Schwäche der ostdeutschen Wirt-schaft – die an einem Mangel an Großunternehmen, Konzernzentra-len, Forschungseinrichtungen (Max-Planck-Gesellschaft, Leibniz-Ge-meinschaft, Fraunhofer-Gesellschaft) sowie produktionsorientierten Dienstleistungen leidet – besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Das gilt auch für Berlin, einer im internationalen Vergleich ökonomisch schwachen Metropole mit hoher Arbeitslosen- und Armutsquote so-wie extrem geringer Finanzkraft. Die zahlreichen Hochtechnologieclu-ster, die Metropolen charakterisieren, sind hier nur vereinzelt vertreten und können durch die Tourismusindustrie nicht ersetzt werden.

Die Rekonstruktion der industriellen Kerne Ostdeutschlands hat in den letzten Jahren zu starken Produktivitätsfortschritten bei niedrigen Löhnen geführt. Als verlängerte Werkbänke fehlen diesen Unternehmen zugleich hoch bezahlte F&E- sowie Verwaltungsarbeitsplätze. Insge-samt führen die vorgenannten Schwächen zusammen mit den spezi-ellen Osttarifen zu einem niedrigen Lohn- und Gehaltsdurchschnitt, schwächen damit die regionale Binnenmarktnachfrage und folglich auch den haushaltsorientierten Dienstleistungssektor einschließlich des Handwerks.

Die Weltwirtschaftskrise hat kurzfristig und sehr erfolgreich zu einer Renaissance der keynesianischen makroökonomischen Steuerung geführt, wobei die Akteure diese Steuerung eher widerwillig überneh-men und stark daran interessiert sind, zur alten Einsparpolitik bei erforderlichen Staatsaufgaben zurückzukehren. Regionalökonomisch müssten ebenfalls aktiv steuernde Instrumente geprüft und (wieder) stärker angewendet werden. Dies betrifft erstens Instrumente der di-rekten und indirekten Investitionslenkung, zweitens Ausgleichszah-lungen für die aus gesamtdeutscher Sicht schwächeren Regionen in den neuen und in den alten Bundesländern, die Ausweitung einer aktiven Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik sowie die Stärkung der regi-onalen automatischen Stabilisatoren (Arbeitslosengeld, Renten usw.). Es ist ein Irrtum zu glauben, dass diese Ausgleichspolitik das Gesamt-wachstum schwächt. Ganz im Gegenteil: Durch öffentliche Anreize sind in schwächeren Regionen größere Produktivitätsfortschritte zu erzielen

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als in den Metropolen, die heute das Hauptinteresse der Regionalpolitik finden. Staatliche regionale Strukturpolitik muss zudem heute unbe-dingt ökologisch orientiert sein und ihren Beitrag zur Bekämpfung der Klimakatastrophe und anderer Umweltprobleme leisten.

In Krisenregionen führt kein Weg an einer langfristigen, überpro-portional starken öffentlichen Wirtschaftstätigkeit vorbei, deren Fi-nanzierung gesamtstaatlich garantiert werden muss. Es sei denn, man lässt eine passive Sanierung zu bzw. forciert sie sogar. Dies zeigt die Geschichte der Bundesrepublik. Mit jahrzehntelanger Unterstützung durch den Länderfinanzausgleich ist es zum Beispiel gelungen, Bayern als modernes Industrieland aufzubauen. Auch Regionen wie das Ems-land und Ostfriesland haben sich positiv entwickelt. Die alten Montan-regionen Ruhrgebiet und Saarland wären völlig weggebrochen, wenn sie nicht massiv mit Mitteln der „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ und aus dem „EU-Ziel-2-Fonds“ unterstützt worden wären, und zwar nach den Leitlinien der Innova-tionsorientierten Regionalförderung. Das „alte“ Finanzausgleichssys-tem der Bundesrepublik, das einschließlich unserer Reformvorschläge ausführlich im MEMORANDUM 2001 (Kapitel 4 und 5) analysiert und beschrieben wurde, ist zwar durch die Finanzverfassungsreform geschwächt worden, bildet aber dennoch eine wichtige Stütze der Ausgleichspolitik. Schädlicher ist die neu im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse zu bewerten, da sie den gesamten öffentlichen Sek-tor auf eine konjunkturunabhängige Reduzierung bzw. ein Verbot der Neuverschuldung und damit auf eine prozyklische Verringerung der Staatsquote durch Austeritätspolitik orientiert. Der Schuldenabbau trifft aber Krisenregionen immer am stärksten. Natürlich könnte man argumentieren, dass die Bestimmungen der Schuldenbremse wie auch die des Stabilitäts- und Wachstumspakts in der Praxis nicht eingehalten werden. Aber dennoch werden sie Wirkung entfalten, und zwar medial und mental: Jedes Überschreiten wird von neoliberalen Kräften als Verfassungsbruch gebrandmarkt werden, als verantwortungslos und als finanzpolitischer Harakiri.

2019 läuft der Solidarpakt II für Ostdeutschland aus. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Zeit bis dahin ausreicht, um die Abstände

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zwischen Ost- und Westdeutschland entscheidend zu reduzieren. Aus unserer Sicht wird daher ab 2020 ein Solidarpakt III unverzichtbar sein. Dies auch deshalb, weil andernfalls der Privatisierungsdruck bei den Kommunen und Ländern weiter steigen wird. Dies würde aber be-deuten, dass die Investitionslenkungskapazität der öffentlichen Hände weiter sinkt.

Zur Unterstützung der Strukturpolitik sind die Regionalfonds der EU von großer Bedeutung. Insbesondere ostdeutsche Regionen (bis auf Berlin, Potsdam und Südbrandenburg, Halle und Leipzig) werden hier gefördert, weil die Einkommen pro Kopf weniger als 75 Prozent des EU-Durchschnitts erreichen. Deutschland erhält für den Zeitraum 2007-2013, also für sieben Jahre, insgesamt 26.340 Millionen Euro, davon 11.864 Millionen Euro aus dem Kohäsionsfonds, 4.215 Milli-onen Euro aus dem Phasing-out-Topf, 9.409 Millionen Euro für Regi-onale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung sowie 841 Millionen Euro für Europäische Territoriale Zusammenarbeit. Als Antwort auf die Finanz- und Wirtschaftskrise wäre es sinnvoll, die EU-Regional-fonds generell anzuheben und den zusätzlichen Teil über Kredite zu finanzieren. Dies würde verhindern, dass sich die Mittel für die Kri-senregionen, also hauptsächlich für Ostdeutschland, gegenüber der Vorperiode 2000-2006 verringern.

Die öffentlichen Infrastrukturinvestitionen sind an den Erfordernis-sen der Nachhaltigkeit zu orientieren. Dies bedeutet, dass Bildungs- und Forschungsinvestitionen Vorrang haben, ferner, dass zum Beispiel die vorhandenen Straßenbahnsysteme zu konsolidieren und nach Möglich-keit auf kostengünstige Weise zu erweitern sind. Prestigeobjekte wie der S-Bahn-Tunnel in Leipzig oder das Projekt „Stuttgart 21“ erfüllen diese Erfordernisse nicht. Vorrangig ist in den Städten und auch auf dem Land das Radwegesystem zu verbessern. Im Bereich Energie ist verstärkt auf erneuerbare Energieträger, Technologien zur Erhöhung der Energieeffizienz und dezentrale Wärme-Kraft-Kopplungssysteme zu setzten. Die energetische Sanierung der öffentlichen und privaten Gebäude ist ebenfalls ein vorrangiges Ziel.

Der Staat kann seine eigenen Verwaltungen, F&E-Einrichtungen und Unternehmen direkt räumlich lenken. Was in Großbritannien

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(und in Bayern) üblich ist – dass staatliche Verwaltungen von London (respektive München) aus in Krisenregionen (z.B. Merseyside, Man-chester etc. bzw. Nordbayern) verlagert werden –, sollte in Deutsch-land auch möglich sein, obwohl die föderale Struktur diesbezügliche Entscheidungen behindern kann. Insbesondere sollten Unternehmen, die ganz oder teilweise in öffentlichem Eigentum sind bzw. öffentliche Aufträge erhalten, ihre Produktion sowie ihre F&E-Aktivitäten und Verwaltungen partiell in Krisenregionen verlagern. Der Ausbau der Hochschulen sollte vorrangig in Krisenregionen erfolgen. Dem wider-spricht jedoch die neoliberale Konzeption der Eliteuniversitäten und Exzellenzinitiativen, die dem vom Grundgesetz verlangten Ausgleichs-ziel (Art. 72 GG) zuwider laufen.

In allen mittelgroßen Städten, insbesondere natürlich in Hochschul-städten wie Aachen, Bochum, Bonn, Chemnitz, Cottbus, Dessau, Dort-mund, Dresden, Duisburg, Erfurt, Flensburg, Freiburg, Gelsenkirchen, Halle, Jena, Karlsruhe, Kassel, Leipzig, Magdeburg, Mannheim, Nürn-berg, Potsdam, Rostock, Schwerin, Stralsund, Tübingen, Ulm, Weimar u.a. müssen technische und organisatorische Cluster für Hochtech-nologien weiterentwickelt werden. Kernbestandteil derartiger Cluster sind leistungsfähige Universitäten und Hochschulen mit dauerhafter Entwicklungsperspektive. Das verlangt einen sehr langen Atem, wie das Beispiel der Entwicklung der Technologiezentren und -parks in Dortmund zeigt, und ist während der Krise natürlich besonders schwer durchzuhalten.

Alle Formen von Allgemein- und Berufsbildung müssen qualitativ verbessert werden, insbesondere die Schulstrukturen sind dem interna-tionalen Standard (Gemeinschaftsschulen) anzupassen. Aufgrund der demografischen Entwicklung haben viele Betriebe zunehmend Schwie-rigkeiten, qualifizierte Arbeitskräfte zu gewinnen. Hier wäre über eine spezielle öffentliche Unterstützung, einen Lohnzuschuss, nachzudenken, der es für junge Leute attraktiver macht, in ihrer Heimat zu bleiben. Die generelle Benachteiligung der ostdeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei den Lohn- und Gehaltstarifen sollte bis 2019 über-wunden werden. Mindestlöhne sind absolut notwendig. Der Deutsche Gewerkschaftsbund beziffert dessen Höhe auf derzeit acht Euro pro

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Stunde. Nur so kann die Binnennachfrage gestärkt und angehoben wer-den. Zur Erhöhung des Beschäftigungsniveaus gewinnt die Forderung nach der Verkürzung der Arbeitszeit wieder an Bedeutung.

Ostdeutschland verfügt mit seiner Gesamtfläche von 108.600 km² über ergiebige Flächenressourcen für die Erzeugung von Lebensmitteln und regenerativen Energien (Wind und Biomasse). Dieses Potenzial sollte noch intensiver genutzt, aber nicht übernutzt werden. Es könnten CO2-freie Gemeinden und Regionen entstehen.

Für kleine und mittlere Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes könnten neue Kooperationsformen entwickelt werden, zum Beispiel ein gemeinsamer Einkauf und Messeauftritte, Joint Ventures und eine gemeinsame betriebliche Ausbildung. Die öffentlichen Technologie-zentren können gemeinsame Verwaltungsaufgaben wahrnehmen und sich teilweise sogar an den Unternehmen beteiligen bzw. Wagniskapital mobilisieren. Mit interkommunalen Gewerbegebieten lassen sich In-vestitionen in Beton verringert und solche in Köpfe und Technologien erhöhen.

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Statistisches Amt der DDR (Hg.) (1990): Statistisches Jahrbuch der DDR 1990, Berlin.

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8  Bildung in der Dauerkrise

Am Beispiel der Bildungsfinanzierung in Deutschland wird deutlich, wie sich der neoliberale Transformationsdruck negativ auf die eigent-lich notwendigen Reformen in der deutschen Bildungspolitik auswirkt. Die traditionelle Unterfinanzierung der öffentlichen Daseinsvorsorge im Bereich Bildung wird nicht durchbrochen, denn sie konkurriert relativ erfolglos gegen den neoliberalen Steuersenkungswahn. Der Rückzug des Staates aus der Daseinsvorsorge eröffnet Spielräume für die Privaten. Internationale Vergleichsstudien wie z.B. von der OECD erzeugen zwar einen politischen Reformdruck in der Bildungspolitik. Dieser Reformdruck macht es den Politikerinnen und Politikern aber auch leicht, Bildungsrhetorik als eine Art „billige Sozialpolitik“ zu missbrauchen. Die neoliberalen finanzpolitischen Restriktionen erwei-sen sich als stärker als die neue erzwungene Rhetorik von Bildung als ökonomischem Allheilmittel. Ob die bildungspolitischen Initiativen innerhalb des verquasten Bildungsföderalismus zu mehr führen als zu Buchungstricks, bleibt abzuwarten.

8.1   Konservative Bildungsstaatlichkeit und ihre   neoliberale Transformation

Traditionell entscheiden in den typischen Wohlfahrtsstaaten des li-beralen Modells, wie Großbritannien, USA oder Australien, in stär-kerem Maße der Markt und die finanziellen Mittel einer Familie über Bildungs- und Lebenschancen ihrer Kinder. Es besteht also auch in Bildungsfragen eine höhere Abhängigkeit der Menschen von ihrer wirtschaftlichen Lage und konjunkturellen Schwankungen. In den skandinavischen Wohlfahrts- und Bildungsstaaten sind es die relativ egalitär ausgerichteten staatlichen Ausbildungssysteme mit staatlichen Steuerungsinstrumenten, die für eine größere Chancengleichheit im Bildungssystem sorgen und die Bildungssysteme sowie die Bildungs-

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teilnehmerinnen und -teilnehmer vor konjunkturellen Schwankungen schützen können. In der konservativen Bildungsstaatlichkeit Deutsch-lands sind es vor allem die staatlichen Bildungsstrukturen, die konser-vierend und statuserhaltend auf die sozio-ökonomische Herkunft des Bildungsteilnehmers bzw. der Bildungsteilnehmerin rekurrieren (hohe Verantwortlichkeit der Familie bzw. Subsidiaritätsprinzip) und dem-entsprechend größere oder geringere Lebens- und Bildungschancen reproduzieren.

Die nationalen Bildungsstaatlichkeiten befinden sich seit der Ent-wicklung eines weltweit verbreiteten finanzmarktgetriebenen Akkumu-lationsmodells unter einem neoliberalen Transformationsdruck. Um Renditeerwartungen im kapitalmarktgetriebenen Akkumulationsmo-dell zu erfüllen, werden die staatlichen Leistungen bei gleichzeitiger zunehmender Kommerzialisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge reduziert. Das Kaputtsparen des Staates über einen immer stärkeren Steuerentzug bringt bei einer parallel dazu verlaufenden Institutiona-lisierung des „New Public Managements“, von Privatisierungen und „Private-Public-Partnerships“ (PPPs) einen doppelten Nutzen für die Kapitalseite mit sich: Steuerkosten, Arbeitskosten und Arbeitsstan-dards werden gesenkt, neue Geschäftsfelder mit relativ stabilen, zum Teil staatlich garantierten Renditen tun sich durch den Rückzug des Staates aus der Daseinsvorsorge auf. Dies war von Seiten neoliberaler Ökonominnen und Ökonomen von Anfang an intendiert: Herbert Giersch sprach schon 1991 davon, dass man den Staat durch eine Mobilisierung des „Diktat[s] der leeren Kassen“ zurückdrängen sollte (vgl. Kröll 2008, S. 74). Die Wirtschaftskanzlei Freshfields, die die Bankenrettungsgesetze (z.B. SoFFin) für die Bundesregierung entworfen hat, spricht von der Finanzkrise als Gelegenheit zum „permanenten Transfer öffentlicher Infrastruktur an den privaten Sektor“ (Rügemer 2010, S. 77). In einer allein auf „freiwilligen Angaben“ von Unterneh-men beruhenden Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage im Bundestag wird deutlich, wie die Attraktivität des Bildungsbereichs für Investitionen aller Art empirisch zunimmt (Deutscher Bundestag 2009a). Von 2002 bis 2007 wurden insgesamt 46 PPPs im Bildungs-bereich gezählt. Das waren 37 Prozent aller PPPs zu diesem Zeitpunkt

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in Deutschland. Damit war hierzulande der Bildungssektor der attrak-tivste Teilsektor für PPPs.

Inzwischen liegen erste ausführliche Beschreibungen der Nachteile von PPPs im deutschen Bildungsbereich vor (Rügemer 2008). Deutlich wird der zunehmende neoliberale Transformationsdruck auch im „ma-nagerialen“ bzw. verbetrieblichenden Umbau von Bildungsinfrastruktur und ihrer Steuerungssysteme, wie sie beispielsweise in der Veränderung der Leitungsstrukturen (Beispiel Hochschulräte) oder Studienstrukturen (Bolognaprozess) von Hochschulen zum Ausdruck kommt. Schön auf-gearbeitet ist die Veränderung der Schulsteuerung durch private Akteure (hier z.B. durch die Bertelsmann Stiftung) am Beispiel des Selbstevalu-ationstools SEIS an Schulen (Höhne/Schreck 2009).

Die „zunehmende Kommerzialisierung des Bildungssystems“ und die „Auswirkungen neoliberaler Reformen“ (Arbeitsgruppe Alterna-tive Wirtschaftspolitik 2009, S. 191) soll in ihren Auswirkungen für die deutsche konservative Bildungsstaatlichkeit im Folgenden weiter spezifiziert werden. Wie tritt der neoliberale Transformationsdruck am deutlichsten zu Tage?

1. Am stärksten ist das zunächst in der zunehmenden Unterfinanzie-rung des deutschen Bildungssystems der Fall. Es besteht eine „Politik-verflechtungsfalle“ (vgl. Scharpf 1989), aber nicht im Hinblick auf eine Blockade ihrer Bildungspolitik, sondern aufgrund der Verdammtheit zu einer staatlich höchstens kostenneutralen bzw. einsparenden Bil-dungspolitik. Das scheint sich auch in den aktuellen Zahlen (trotz des Wirtschaftsaufschwungs) auszudrücken.

2. Außerdem bewirkt der Transformationsdruck eine Verarmung von Teilen der Bevölkerung. Hauptgrund sind hier die ständig zurück-

Tab. 11: Öffentliche Gesamtausgaben für Bildung in Deutschland, in

Prozent des BIP

2003 2004 2005 2006

4,7 4,6 4,5 4,4

Quelle: OECD 2009

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gehenden Reallöhne und die Ausweitung des Niedriglohnsektors durch die rotgrüne Agenda-Politik. Diese wurde bzw. wird durch die CDU/CSU und die FDP mitgetragen und wird möglicherweise sogar noch verschärft werden (siehe die Diskussion um eine weitere Absenkung der Hartz-IV-Bezüge). Auch das Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze muss hier nicht zwangsläufig eine nachhaltige Entlastung bringen. Seit den 1980er Jahren hat sich die Ar-mut aller Unter-18-Jährigen laut einem OECD-Armutsbericht bis Mitte der 2000er Jahre um fast 40 Prozent erhöht (OECD 2008). Künftig steigende Arbeitslosenzahlen haben weitere immense Auswirkungen auf die Kinderarmut. Diese hatte sich mit der Einführung von Hartz IV zwischen 2005 und 2007 laut dem Deutschen Kinderhilfswerk (2007) auf mehr als 2,5 Millionen Kinder verdoppelt. Christoph Butterweg-ge, Spezialist für die Analyse der Kinderarmut, stellt für März 2007, „also auf dem Höhepunkt des letzten Konjunkturaufschwungs“, fest: Von „den 11,5 Millionen Kindern unter 15 Jahren“ lebten „über 1,92 Millionen Kinder in Hartz-IV-Haushalten“ (Butterwegge 2009). Nach der Armutsdefinition für Industriestaaten (relative Armut) lebten damit im Jahr 2008 18,4 Prozent aller Unter-18-Jährigen in der Bundesrepu-blik in Armut. Das ist fast ein Fünftel aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland. In Mecklenburg-Vorpommern (34,5 Prozent) und Sach-sen-Anhalt (33,4 Prozent) waren es im gleichen Zeitraum, gemessen am Einkommens-Bundesmedian, über ein Drittel aller Kinder und Jugend-lichen. Misst man das Einkommen am Landesmedian, waren im Jahr 2008 selbst im reichen Baden-Württemberg 16,2 Prozent der Kinder und Jugendlichen arm (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2009). Diese weitreichende Verarmung von Kindern kann durch das deutsche Bildungssystem traditionell schlecht aufgefangen werden und produziert weitere Bildungsarmut. Die große Anzahl verarmter Kin-der erzeugt einen zunehmenden Druck auf die konservative deutsche Bildungsstaatlichkeit, die in ihrer jetzigen Form die sozial bedingte Bildungsarmut aber eher stabilisiert als beseitigt. Das ganze Ausmaß der Folgen dieser massiven Ausweitung von Kinderarmut wird sich erst mit einiger Verzögerung zeigen.

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3. Internationale Organisationen wie die OECD mahnen schon seit Jahrzehnten eine bessere Ausbildung breiterer Schichten der Bevölke-rung an. Sie fordern vor allem eine größere Anzahl universitärer Ab-schlüsse für die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutsch-land. Der Wissenschaftsrat, das wichtigste wissenschaftspolitische Be-ratungsgremium für Bund und Länder, hat für Deutschland konkrete Ziele ausformuliert: „Aus arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Gründen plädierte der Wissenschaftsrat dafür, nicht lediglich einen gleich bleibenden Anteil von Studienanfängern und -absolventen aus-zubilden. [...] Vorrangiges Ziel müsse es sein, 35 Prozent (derzeit 20,5 Prozent) eines Altersjahrgangs zu einem Studienabschluss zu führen. Dementsprechend sollten deutlich über 40 Prozent (derzeit knapp 37 Prozent) ein Studium aufnehmen und mindestens 50 Prozent (derzeit gut 40 Prozent) die Hochschulzugangsberechtigung erlangen.“ (Wis-senschaftsrat 2007, S. 23)

4. Internationale Abkommen und Organisationen sind Teil des neo-liberalen Globalisierungsprozesses. WTO, OECD und EU machen z.B. mit verschiedenen Programmen Druck auf die nationalen Bildungspo-litiken (GATS, Bolognaprozess etc.). Diese sollen international geöff-net und neoliberal umgebaut werden. Mit Maßnahmen der offenen Koordinierung über Benchmarkings, Rankings und Vergleichsstudien üben sie Druck auf die konservative Bildungsstaatlichkeit aus. So er-höhte sich durch die international vergleichenden Arbeiten der OECD (TIMSS, PISA, Bildung auf einen Blick) der Reformdruck auf das deut-sche Bildungssystem und die deutsche Bildungspolitik enorm. Von den internationalen Organisationen wird eine Outputsteuerung empfohlen. Dazu gehört der Versuch, überall den Markt als wichtigsten Steuerungs-mechanismus zu verankern und Bildungseinrichtungen zu privatisieren und zu kommerzialisieren. Bildung soll zur Ware werden.

5. Zusätzlich steht die konservative deutsche Bildungspolitik unter Dauerbeschuss neoliberaler Think-Tanks und Ideologieproduzenten, die versuchen, Systemstrukturen zu verändern und neoliberale In-halte (Humankapitaltheorie etc.) sowie Organisationsprinzipien im Bildungssystem zu verankern. Ihre Ziele sind teilweise ideologischer, aber auch geschäftlicher Natur, wie beispielsweise die Bertelsmann

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Stiftung zeigt. Die deutsche konservative Bildungsstaatlichkeit ist also einem fünffachen neoliberalen Reformdruck ausgesetzt.

8.2   Welche Reformen wären nötig für ein modernes   und sozial gerechtes Bildungssystem?

Schon in den oben dargelegten Grundlagen wird deutlich, welche Mängel die deutsche konservative Bildungsstaatlichkeit hat und in welchen Bereichen sie zu einem modernen, emanzipatorischen und sozial gerechten Bildungssystem umgebaut werden müsste. Hier hat die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik im Anschluss an eine ausführliche Analyse der deutschen Systemmängel bereits Re-formmaßnahmen vorgeschlagen, die nach wie vor aktuell sind (vgl. MEMORANDUM 2006).

1. Geld ist nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts! Die traditionelle Unterfinanzierung der öffentlichen Bildungsausgaben muss endlich durchbrochen werden. Die ansteigende Tendenz bei den privaten Bildungsausgaben, bei denen Deutschland im internationalen Vergleich traditionell im vorderen Bereich steht, sollte aufgrund der starken Abhängigkeit des Bildungszugangs und der Bildungsergebnisse von der familiären Herkunft der Bildungsteilnehmerinnen und -teil-nehmer in Deutschland im Bereich der Familien und Privathaushalte zurückgeführt werden. Die Bepreisung von Bildung über Bildungsge-bühren erzeugt Schranken und Hürden, die einem möglichst hohen Bildungsniveau und einem wirklichen lebenslangen Lernen entgegen-stehen (siehe unten). Bildung sollte von daher über ein progressives Steuersystem als eine der wichtigsten gesamtstaatlichen Aufgaben finanziert werden – ohne Gebühren.

2. Strukturelle Reformen müssen angegangen werden, Zugangs- und Erfolgsschranken müssen abgebaut werden. Verschiedene Bildungsangebote müssen in allen biografischen Phasen grundsätzlich zugänglich, gegenseitig durchlässig und miteinander

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kombinierbar sein. Dies ist gleichbedeutend mit dem Abbau finanzi-eller, sozialer, alters- und geschlechtsspezifischer Ausschlussgründe. Eine Bildungsreform muss sich besonders auf jene Bildungsstufen konzentrieren, bei denen solche sozialen Ausschlüsse besonders stark ins Gewicht fallen: Zu fordern wären die Erweiterung des Zugangs zur vorschulischen Erziehung (u.a. durch die Abschaffung des privaten Gebührenanteils), die Überführung des dreigliedrigen Schulsystems in einen durchgängigen integrierten Unterricht (mindestens bis zur zehnten Jahrgangsstufe), der eine Kooperation in Vielfalt mit dem Gedanken der individuellen Förderung verbindet, und schließlich eine deutliche soziale Öffnung der Hochschulen, sowohl durch Bildungs-fördermaßnahmen als auch durch eine Ausweitung der Möglichkeiten zum Hochschulzugang, sowie das Verbot von Studiengebühren jegli-cher Art.

3. Das Bildungsniveau muss erhöht werden, Kinder und Jugendli-che dürfen nicht zurückgelassen werden.Jenseits der neoliberalen Instrumentalisierung von „lebenslangem Ler-nen“ und der „Wissensgesellschaft“ haben diese Begriffe (siehe oben) auch einen realen Kern. In einer globalisierten, hochtechnologischen Produktionsweise werden die Zugänge zu Wissen und wissenschaft-licher Bildung immer wichtiger: als individuelle und sozial-koopera-tive Ressource für gesellschaftliche Handlungsfähigkeit und nicht nur für die ständige Reproduktion der „Employability“ des Einzelnen. Eine entscheidende soziale Schlüsselqualifikation ist die selbstständige wissenschaftliche Urteilsfähigkeit. Hier sollte nicht nur die Anzahl der Abiturientinnen und Abiturienten und Hochschulabschlüsse erhöht werden, sondern auch die berufliche bzw. traditionell nicht-akade-mische Bildung sollte eine Niveauanhebung erfahren und dringend re-formiert werden. Die großen Potenziale von Heranwachsenden dürfen nicht ungenutzt bleiben, denn dadurch würde eine sozial-ökologische, demokratische Zukunft unserer Gesellschaft verspielt.

Die Untersuchung der Auswirkungen der aktuell voranschreiten-den neoliberalen, postfordistischen Transformation auf die traditionell konservative deutsche Bildungsstaatlichkeit geschieht im Folgenden

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exemplarisch anhand der Entwicklungen im Bereich der Bildungsfi-nanzierung.

8.3   Bildungsfinanzierung, schwarz-gelber   Koalitionsvertrag und die Merkelsche   Bildungsrepublik

Tabelle 12 zeigt die in den Jahren 2003 bis 2006 – nach dem PISA-Schock! – rückläufigen Tendenzen in der öffentlichen Bildungsfinan-zierung in Deutschland auf. Auch im internationalen Vergleich befin-det sich Deutschland hier deutlich im Rückstand. Um im Jahr 2006 den OECD-Durchschnittswert zu erreichen, hätten die öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland um rund 21 Milliarden Euro höher sein müssen. Das entspräche eine Steigerung allein der öffentlichen Bildungsausgaben um rund 20 Prozent. Um mit den Spitzenreitern mithalten zu können, wäre sogar eine Steigerung um über 50 Prozent notwendig gewesen.

Der Rückstand in der Bildungsfinanzierung dürfte sich ohne ein entschiedenes Gegensteuern in Zukunft vergrößern. Die neoliberale Steuerpolitik, der deutsche Föderalismus und die Schuldenbremsen von Bund und Ländern behindern die notwendigen Reformen.

Im Jahr 2006 (neueste Zahlen) belegte die hochentwickelte Wirt-schaftsnation Deutschland im internationalen Vergleich der öffentlichen Ausgaben unter 28 OECD-Staaten (vgl. OECD 2009) gemeinsam mit Tschechien nur Rang 23. Damit liegen die öffentlichen Bildungsaus-gaben auch deutlich hinter jenen in anderen konservativen Bildungs-staaten wie Österreich und zudem deutlich hinter jenen in liberalen Bildungsstaaten mit einer stärker auf private Bildungsausgaben aus-gerichteten Bildungsfinanzierung wie in den USA oder im Vereinigten Königreich. Bei den privaten Bildungsausgaben für Bildungseinrich-tungen befindet sich Deutschland unter 25 Staaten hingegen auf dem elften Rang. In der Bundesrepublik sind die privaten Bildungsausgaben für Bildungseinrichtungen damit fast so hoch wie in liberalen Bildungs-staaten mit einer ausgeprägten Marktsteuerung. Völlig abgeschlagen

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Tab. 12: Öffentliche Bildungsausgaben in Prozent des BIP

1995 2000 2003 2004 2005 2006

Belgien – 5,9 6,1 6,0 6,0 6,0

Dänemark 7,3 8,3 8,3 8,4 8,3 8,0

Deutschland 4,6 4,5 4,7 4,6 4,5 4,4

Finnland 6,8 6,0 6,5 6,4 6,3 6,1

Frankreich 6,3 6,0 5,9 5,8 5,7 5,6

Italien 4,7 4,5 4,9 4,6 4,4 4,7

Niederlande 5,0 4,7 5,1 5,2 5,2 5,5

Norwegen 7,9 5,9 7,6 7,6 7,0 6,6

Österreich 6,0 5,5 5,5 5,4 5,4 5,4

Portugal 5,1 5,4 5,9 5,3 5,4 5,3

Schweden 7,1 7,2 7,5 7,4 7,0 6,8

Schweiz 5,7 5,4 6,0 6,0 5,7 5,5

Spanien 4,6 4,3 4,3 4,3 4,2 4,3

USA – 4,9 5,7 5,3 5,1 5,5

Vereinigtes

Königreich5,1 4,4 5,4 5,3 5,4 5,5

OECD-Durchschnitt

5,3 5,1 5,5 5,4 5,4 5,3

ist man im Bereich der öffentlichen Bildungsausgaben im Vergleich zu den skandinavischen PISA-Gewinnerstaaten. Betrachtet man die Bildungsausgaben für Bildungseinrichtungen insgesamt (öffentlich und privat) im internationalen Vergleich, so befindet sich Deutschland unter 25 Staaten auf dem viertletzten Rang.

„Bildungspolitik ist der beste Sozialstaat“ (FAZ.NET o.J.) – so argumentierte Bundeskanzlerin Angela Merkel am 17. Oktober 2008 im Deutschen Bundestag. In Grundzügen stellte sie dort zum ersten

Quelle: OECD 2009

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Mal die Agenda der „Bildungsrepublik Deutschland“ vor. Deren Ziel sei es, Aufstiegschancen durch Bildung zu ermöglichen, damit Eigenverantwortung eingefordert und wahrgenommen werden kann. Leider sollen hier konzeptuell bildungsstaatliche Leistungen gegen sozialstaatliche Leistungen positioniert werden, um einen weiteren Abbau der sozialstaatlichen Leistungen zu begründen (Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 2007, S. 211-214). Der hohe Druck, der im Neoliberalismus, bei immer kleiner werdenden Wachstumsraten, auf den Arbeitsmärkten lastet, soll durch die neue Verklärung von Bildung zur Allzweckwaffe gegen Armut auf den Einzelnen abgewälzt werden (Stichworte: Beschäftigungsfähigkeit erhalten, „lebenslänglich lernen“). Diese Bildungsrhetorik widerspricht grundsätzlich dem oben dargestellten bis 2006 nachweisbaren Vorgehen der Regierung bei der Bildungsfinanzierung, da hier ein ständiger Rückgang der Bildungs-ausgaben festzustellen ist.

Dem durch internationale Organisationen und Vergleichsfor-schungen erzeugten Neoliberalisierungs- und Modernisierungsdruck auf das Bildungssystem der Wirtschafts- und vor allem Exportnation Deutschland konnte sich die Bundesregierung aber auf Dauer nicht entziehen. Die Rhetorik von der „Bildungsrepublik“ sollte daher noch unter der großen Koalition durch einen „Bildungsgipfel“ im Oktober 2008 mit allen Ministerpräsidenten der Länder bekräftigt werden. Mit dem neuen Engagement im Bereich Bildung zeigt sich die Regierung also als doppelt modern und aktiv: Sie betreibt nach dem neuen politischen (Miss-)Verständnis von Bildung als Patentrezept gegen Arbeitslosigkeit und Armut eine „billige Sozialpolitik“ und reagiert gleichzeitig auf den politischen Druck der OECD-Rankings im Bildungsbereich. Auf dem „Bildungsgipfel“ im Herbst 2008 verpflichteten sich die Mini-sterpräsidenten der Länder gemeinsam mit dem Bund im Rahmen der „Qualifizierungsinitiative“, die Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung bis 2015 auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Dabei sollten die nationalen Bildungsausgaben auf sieben Pro-zent und die nationalen Forschungsausgaben auf drei Prozent am BIP steigen. Konkrete finanzielle Festlegungen der Länder und des Bundes (wer übernimmt wie viel?) wurden zur Beratung in eine gemeinsame

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„Strategiegruppe“ vertagt, die bis Oktober 2009 konkrete Finanzie-rungsvorschläge vorlegen sollte. Viele Ministerpräsidenten wehrten sich zu diesem Zeitpunkt auch noch gegen die Steuerausfälle im Zuge des „Wachstumsbeschleunigungsgesetzes“. Zu Beginn des „Bildungs-gipfels“ wurde die Höhe der Mehrausgaben zur Erreichung des Zehn-Prozent-Ziels teilweise auf bis zu 60 Milliarden Euro geschätzt. Die Bundesregierung taxierte die zusätzlichen Mittel auf 28 Milliarden Euro. Eine eindeutige Schätzung ist aufgrund der Variabilität des BIP und wegen anderer Faktoren schwierig: Um die Erhöhung der Mittel auf zehn Prozent des BIP zu kontrollieren und in ihren Auswirkungen berechnen zu können, muss aber zunächst einmal festgelegt werden:

1. Nach welcher Statistik werden diese zehn Prozent ermittelt? Die Berechnung der Bildungsausgaben konnte sich bisher, vereinfacht ausgedrückt, nach zwei Berechnungsarten richten, und zwar nach der nationalen oder der internationalen Abgrenzung, wie sie auch in den OECD-Zahlen verwendet wird und bei der die Bundesrepublik noch sehr weit entfernt von der Zehn-Prozent-Grenze liegen würde. In der Diskussion ist auch immer wieder, ob und ggf. welche zusätzlichen Parameter und Finanzposten in die Bildungs- und Forschungsfinanz-statistik eingerechnet werden könnten.

2. Die Ausgaben für Bildung und Forschung gliedern sich auf in staatliche und private Bildungsausgaben. Sollen also die Ausgaben von Bund, Ländern und Kommunen oder diejenigen der Bürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft erhöht werden, um das Zehn-Prozent-Ziel zu erreichen?

In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage im Bundestag im Januar 2009 wurden diese Fragen nur zum Teil geklärt: Die Berechnung der Ausgaben, so soll die Antwort wohl interpretiert werden, erfolge nach der nationalen Abgrenzung der modularen Be-rechnungsweise. Trotzdem wiesen die Bundesländer noch im September 2009 im Rahmen der Diskussion um die „Qualifizierungsinitiative“ darauf hin, dass belastbare Berechnungen zur Erreichung des Zehn-Prozent-Ziels noch immer nicht möglich sind. Nach ihrer Einschätzung gab es keine Einigung zwischen Bund und Ländern, welche Parameter in die Berechnungen einfließen sollen. Die Frage nach den öffentlichen

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und privaten Anteilen wurde zunächst dahingehend beantwortet, dass die Strategiegruppe bis Oktober 2009 dazu Vorschläge vorlegen sollte (Deutscher Bundestag 2009b). Auch hier bestand aber im Dezember 2009 keine Einigkeit zwischen Bund und Ländern. Und so legten die Länder bisher nur Vorschläge zur inhaltlichen Ausfüllung des Zehn-Prozent-Ziels vor.

Besondere Kreativität bei der Behebung der Finanzmisere im Rah-men der „Qualifizierungsinitiative“ zeigten die Landesfinanzministe-rinnen und -minister. In einer Projektion der Zentralen Datenstelle der Landesfinanzminister (ZDL) vom Sommer 2009 vermeldeten sie in den internen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern, die zehn Prozent seien eigentlich bereits erreicht. Im Beratungsergebnis der Fi-nanzministerkonferenz vom September 2009 wird deutlich, wie diese erstaunliche Ausgabenvermehrung funktionieren könnte: Die Landesfi-nanzministerinnen und -minister rechnen mit Geld, das nicht zusätzlich ausgegeben werden muss. Es geht um die Konstruktion bestehender „Ausgaben“, die dem Bildungsbereich neu zugeordnet werden könnten. So verlangen sie in der aktuellen neoliberalen Notsituation die An-rechnung von Steuermindereinnahmen durch Steuervergünstigungen in der Bildungs- und Forschungsfinanzstatistik. In der Hauptsache geht es dabei um ca. 4,4 Milliarden Euro zusätzliche Leistungen aus dem Kindergeld und den Kinderfreibeträgen für Kinder jenseits der Voll-jährigkeit, die bisher nach Ansicht der Landesfinanzministerinnen und -minister nicht ausreichend angerechnet wurden. Sie empfehlen sogar, darüber nachzudenken, alle Leistungen aus dem Kindergeld und den Kinderfreibeträgen (auch für Kinder unter 18 Jahren) als Bildungsaus-gaben auszuweisen. Zusätzlich entdeckten sie knapp eine Milliarde Euro steuerliche Mindereinnahmen aus weiteren 38 bunt zusammen-gewürfelten Steuervergünstigungen, die sie als Bildungsausgaben de-klarieren wollten. So beispielsweise die Steuermindereinnahmen aus dem ermäßigten Umsatzsteuersatz für Bücher (180 Millionen Euro jährlich), die Absetzung von außergewöhnlichen Belastungen für die Berufsausbildung eines auswärtig untergebrachten volljährigen Kin-des (140 Millionen Euro jährlich) oder die Absetzung von erwerbsbe-dingten Kinderbetreuungskosten (300 Millionen Euro jährlich). Dabei

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sind noch „Probleme“ virulent, wie beispielsweise der Bildungsanteil bei manchen Steuervergünstigungen zu beziffern ist, beispielsweise bei der 85-prozentigen Steuerbefreiung bei der Vererbung von Grundbesitz. Der Bundesminister der Finanzen hatte bereits im September 2009 sein Einvernehmen zu den Vorschlägen der Arbeitsgruppe der Finanzmini-sterkonferenz geäußert.

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP vom September 2009 sorgt ebenfalls nicht für weitere Klarheit. Er verspricht in Bezug zu den Bildungsfinanzen nur eine Erhöhung des Bundesetats für Bildung und Forschung innerhalb der Legislaturperiode um insgesamt zwölf Milliarden Euro, verteilt auf vier Jahre. Hier können theoretisch auch Erhöhungen im Bereich der Forschungsförderung eingerechnet werden, was dann eventuell auch Erhöhungen der Ausgaben im Bereich der Förderung der privatwirtschaftlichen oder militärischen Forschung aus dem Bundeswirtschafts- oder auch aus dem Verteidigungsministerium beinhalten kann (bisher bestreiten diese beiden Ministerien zusammen ca. 28 Prozent der Forschungsausgaben des Bundes, vgl. BMBF 2008, S. 478). Zur Erreichung des Zehn-Prozent-Ausgabenziels heißt es im Koalitionsvertrag lediglich: „Wir werden Maßnahmen ergreifen, die es zudem Ländern, Wirtschaft und Privaten erleichtern, ihre jeweiligen Beiträge bis spätestens 2015 ebenfalls auf das 10 Prozent-Niveau an-zuheben.“ (Koalitionsvertrag 2009)

Im Dezember 2009 wurden schließlich die Vorschläge der gemein-samen Strategiegruppe und die Ergebnisse des so genannten zweiten „Bildungsgipfels“ von Bund und Ländern bekannt. Damit manche CDU-geführten Länder ihren Widerstand gegen das Wachstumsbe-schleunigungsgesetz aufgaben, musste der Bund Zugeständnisse bei den geplanten Ausgaben für die Bildungsrepublik machen. Dabei er-weist sich: Eine ideologische Klientel- und Steuersenkungspolitik zu betreiben und gleichzeitig die Bildungsfinanzen zu erhöhen, ähnelt einer Quadratur des Kreises.

Im Großen und Ganzen erfolgte eine Einigung auf folgende Punkte:

1. Die Bildungsausgaben der Länder sollen neu berechnet werden. Das bedeutet, dass Ausgaben in anderen Bereichen, die bereits jetzt be-

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stehen, in Zukunft als Bildungsausgaben angerechnet werden können. Dadurch muss kein einziger Cent zusätzlich ausgegeben werden. Schon im Bildungsfinanzbericht 2009 hatte sich angekündigt, dass die Länder gerne auf solche Buchungstricks zurückgreifen würden. Im Anhang 6 heißt es: „Die Landesfinanzminister/-innen haben zu einzelnen im Bildungsfinanzbericht 2009 angewandten Methoden abweichende Auf-fassungen geäußert.“ (Statistisches Bundesamt 2009, S. 91) In Zukunft sollen beispielsweise Pensionen für Lehrkräfte (bis zu 4,6 Milliarden Euro) und fiktive Unterbringungskosten für Bildungseinrichtungen der Länder (zehn Milliarden Euro) auf die Bildungsbudgets der Länder angerechnet werden können (Bollmann u.a. 2009). Durch diese Bu-chungstricks sinken die zusätzlichen Bildungsausgaben für Bund und Länder durch die „Bildungsrepublik“ auf 13 (Schätzung der Länder) bis 16 Milliarden Euro (Schätzung des Bundes). Welche Auswirkungen diese Veränderungen der Statistik auf die weitere Beurteilung und Dis-kussion der Bildungsausgaben in Deutschland haben, ist noch schwer abzuschätzen.

2. Die Verteilung der zusätzlichen Milliardenbelastungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen, die im Herbst 2008 schon festgelegt worden war (Länder 50 Prozent, Kommunen 16 Prozent, Bund 10 Prozent, „Wirtschaft“ 24 Prozent; dpa-Dossier 2009), wurde noch einmal aufgeschnürt. Der Bund sagte kurz vor dem Scheitern der Ver-handlungen eine Übernahme von bis zu 40 Prozent der zusätzlichen Kosten zu. Da er sich nicht unmittelbar an den Bildungskosten der Län-der beteiligen darf (Kooperationsverbot seit der Grundgesetzänderung im Zuge der Arbeit der Föderalismuskommissionen), ist noch nicht geklärt, wie er seine 40-prozentige Beteiligung in der Praxis umsetzen soll. Hier wird vor allem über eine Neuaufteilung der Einnahmen durch die Mehrwertsteuer zwischen Bund und Ländern und über neue Bun-desprogramme diskutiert. Eine genaue Festlegung der Ausgabenweise wurde auf das nächste Treffen zwischen Bund und Ländern im Juni 2010 vertagt.

3. Wie groß die jeweiligen Finanzierungsanteile sein werden, die durch private bzw. durch öffentliche Bildungsausgaben gedeckt werden sollen, bleibt immer noch völlig unklar. In einer Pressemitteilung des

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BMBF zu den Vereinbarungen vom Dezember 2009 heißt es sogar: „Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Bund, Länder und Kommunen sowie Wirtschaft und Private im Jahr 2015 mindestens 13 Milliarden Euro zusätzlich investieren.“ (BMBF 2009) Damit ist selbst für den durch Buchungstricks reduzierten Beitrag von 13 Milliarden „im Jahr 2015“ offen, zu welchen Teilen er durch öffentliche und zu welchen er durch private Bildungsausgaben gedeckt werden soll.

Es bleiben sehr große Zweifel, ob diese zusätzlichen 13 Milliar-den Euro zum einen die Bildungs- und Forschungsausgaben in der Realität wirklich auf das Zehn-Prozent-Ziel heben werden und ob sie zum anderen überhaupt in der derzeitigen Finanzlage der öffentlichen Haushalte realisiert werden. Womöglich läuft der ganze Prozess einfach nur auf eine Verfälschung der bisherigen Standards in der Bildungs-finanzstatistik hinaus. Das würde dann zwar den politischen Druck durch internationale Vergleichsstudien abmildern, jedoch wohl kaum zusätzliche Finanzmittel für die Bildung mobilisieren.

Zieht man die neuesten Daten der OECD heran (für das Jahr 2006), müsste Deutschland bei den öffentlichen Bildungsausgaben mindestens 21 Milliarden Euro mehr ausgeben, um wenigstens den OECD-Durch-schnitt von 5,3 Prozent des BIP zu erreichen. Um in die Spitzengruppe bei den öffentlichen Bildungsausgaben vorzustoßen und z.B. mit den Spitzenreitern wie Schweden international gleichzuziehen, wären ca. 56 Milliarden Euro öffentliche Mehrausgaben pro Jahr vonnöten.

Nationale Studien haben Finanzierungsbedürfnisse für eine Moder-nisierung der konservativen Bildungsstaatlichkeit festgestellt, die weit über die beschlossenen zusätzlichen 13 Milliarden des „Bildungsgip-fels“ hinausgehen. Für eine wirklich sachorientierte Vorgehensweise, die dringend nötige Reformen und Modernisierungen der konservativen Bildungsstaatlichkeit in Deutschland angehen würde, veranschlagt bei-spielsweise Roman Jaich in einem Gutachten für die Hans Böckler Stif-tung, und darauf aufbauend Bernhard Nagel von der Universität Kassel, insgesamt einen Ausgabenbedarf von zusätzlichen 40 Milliarden Euro (Nagel 2009). Damit könnten vor allem im Bereich der vorschulischen Bildung internationale Standards eingeführt werden: Betreuungsplätze für 35 Prozent aller Kinder unter drei Jahren, Ganztagesplätze für 60

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Prozent aller Drei- bis Sechsjährigen, die nötigen Sachinvestitionen für den Ausbau der Einrichtungen, eine Qualifizierung des Personals, um die vorschulische Bildung zu einer Bildungseinrichtung umzubauen, und eine Verbesserung der Personalschlüssel. An den Schulen könnte das Geld für einen kurzfristigen Umbau zum Ganztagesbetrieb sorgen und die Integration von behinderten Kindern und Jugendlichen in den Regelbetrieb voranbringen. In der beruflichen Bildung könnten mehr schulische Angebote realisiert werden. An den Universitäten könnte ein Wegfall der Studiengebühren finanziert werden, eine 40-prozen-tige Studierendenquote würde ermöglicht, und international vergleich-bare Betreuungsverhältnisse könnten hergestellt werden. Des Weiteren könnten Sachinvestitionen getätigt und eine bescheidene Erhöhung des Bafög realisiert werden. Für die berufliche Weiterbildung empfiehlt Nagel die Einführung eines Weiterbildungsfonds, der aus Einlagen des Staates und der Wirtschaft realisiert werden soll.

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Tabellenanhang

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tabellenanhang

Jahr

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Früheres Bundesgebiet ohne Berlin

1991 61.913 30.153 27.098 k.A. k.A.1995 63.986 29.919 26.790 k.A. k.A.2000 64.904 34.757 31.661 28.437 45.938 38.7122004 65.640 35.404 31.684 28.252 45.191 38.0592005 65.686 35.560 31.684 28.165 44.961 37.6962006 65.677 35.599 31.866 28.329 45.122 37.8842007 65.662 35.617 32.388 28.813 46.029 38.7082008 65.609 35.627 32.863 29.288 46.703 39.3572009 65.392 35.670 32.847 29.294 45.311 38.042

Neue Bundesländer und Berlin

1989 18.706 k.A. 10.773 k.A. k.A. k.A.1991 18.071 k.A. 8.468 8.003 k.A. k.A.1995 17.675 k.A. 7.681 7.062 k.A. k.A.2000 17.284 9.423 7.483 6.792 11.721 10.154112004 16.864 9.033 7.196 6.406 10.855 9.2012005 16.779 8.985 7.151 6.315 10.733 8.9972006 16.695 8.916 7.209 6.355 10.736 8.9952007 16.599 8.833 7.336 6.475 10.816 9.0612008 16.511 8.726 7.416 6.557 10.880 9.1312009 16.338 8.627 7.418 6.560 10.645 8.897

Quelle: Statistisches Bundesamt, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsfor-schung

Tabelle A 1: Bevölkerung, Erwerbstätigkeit

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tabellenanhang

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Page 261: Neue Kleine Bibliothek 150 - alternative-wirtschaftspolitik.de

tabellenanhang

JahrInsge-samt

Land- u. Forst-wirt-

schaft,Fische-

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Produzie-rendes

Gewerbeohne Bau

Bau-ge-

wer-be

Handel,Gastge-werbe,

Verkehr

Finan-zierung,Vermie-

tung,Unter-

nehmens-dienst-leister

Öffent-liche u.private Dienst-leister

dar.: Öffentl.Verwal.tung,

Vertei-digung,Sozial-

vers.1.000 Personen

Deutschland

1989 39.100 1.981 12.649 2.622 8.895 3.076 9.877 3.410

1991 38.621 1.515 11.331 2.805 9.318 3.736 9.916 3.204

1995 37.601 1.079 9.005 3.236 9.297 4.445 10.539 3.023

2000 39.144 936 8.534 2.769 9.824 5.802 11.279 2.857

2001 39.316 925 8.544 2.598 9.885 5.985 11.379 2.816

2002 39.096 904 8.355 2.439 9.836 6.060 11.502 2.789

2003 38.726 880 8.140 2.322 9.718 6.127 11.539 2.754

2004 38.880 873 8.020 2.254 9.801 6.298 11.634 2.678

2005 38.835 853 7.894 2.179 9.776 6.363 11.770 2.671

2006 39.075 837 7.826 2.174 9.799 6.586 11.853 2.664

2007 39.724 850 7.911 2.209 9.953 6.821 11.980 2.652

2008 40.279 860 8.030 2.193 10.046 7.010 12.140 2.638

2009 40.265 866 7.814 2.200 10.082 6.922 12.381Veränderung 2009 ggüb. 1995 in %

7,1 - 19,7 - 13,2 - 32,0 8,4 55,7 17,5

früheres Bundesgebiet ohne Berlin

1989 28.327 1.103 8.644 1.870 6.965 2.733 7.012 2.414

1995 29.919 836 7.760 2.037 7.561 3.614 8.111 2.310

2000 31.661 727 7.404 1.930 8.066 4.768 8.766 2.152

2005 31.685 680 6.822 1.637 8.078 5.234 9.233 2.019

2008 32.863 690 6.897 1.660 8.308 5.749 9.561 2.008

2009 32.847 695 6.704 1.665 8.341 5.667 9.775Veränderung 2009 ggüb. 1995 in %

9,8 - 16,9 - 13,6 - 18,3 10,3 56,8 20,5

neue Bundesländer und Berlin

1989 10.773 878 4.005 752 1.930 343 2.865 996

1995 7.682 243 1.245 1.199 1.736 831 2.428 713

2000 7.483 209 1.130 839 1.758 1.034 2.513 705

2005 7.151 173 1.072 542 1.698 1.129 2.537 653

2008 7.416 170 1.134 533 1.738 1.261 2.580 630

2009 7.418 171 1.110 535 1.741 1.255 2.606Veränderung 2009 ggüb. 1995 in %

- 3,4 - 29,6 - 10,8 - 55,4 0,3 51,0 7,3

Quellen: Arbeitskreis „Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder“, Zentrum für Histo-rische Sozialforschung, eigene Berechnungen

Tabelle A 3: Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen   

Page 262: Neue Kleine Bibliothek 150 - alternative-wirtschaftspolitik.de

tabellenanhang

Regis-trierte

Arbeits-lose

Arbeitslosen-quote *

Lang-zeit-

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VerdeckteArbeits-

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Stille Reserve

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Beschäfti-gungs-lücke

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JahrInsge-samt

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Deutschland1991 2.602 7,3 8,5 455 2.587 386 5.575 1995 3.612 10,4 11,4 1.125 2.151 1.081 6.844 2000 3.889 10,7 10,9 1.454 1.810 831 6.530 2002 4.060 10,8 10,3 1.369 1.759 807 6.626 2003 4.376 11,6 10,8 1.521 1.638 1.002 7.0162004 4.381 11,7 10,8 1.681 1.625 934 6.9402005 4.863 13,0 12,7 1.588 1.227 729 6.8192006 4.487 12,0 12,0 1.676 1.300 711 6.498 2007 3.776 10,1 10,4 1.386 1.251 611 5.6382008 3.268 8,7 8,9 1.088 1.162 515 4.9452009 3.423 9,1 8,6 933 1.556 391 5.370

Früheres Bundesgebiet ohne Berlin1980 889 3,8 5,2 106 194 1989 2.038 7,9 9,4 591 747 1990 1.883 7,2 8,4 513 770 1991 1.596 6,2 7,0 455 777 376 2.749 1995 2.427 9,1 9,0 828 947 687 4.061 2000 2.380 8,4 8,3 937 978 529 3.887 2005 3.246 11,0 10,7 990 793 489 4.5282006 3.007 10,2 10,2 1.124 845 511 4.3632007 2.486 8,4 8,7 902 835 461 3.7822008 2.145 7,2 7,4 698 773 379 3.2972009 2.320 7,8 7,4 616 1.140 312 3.772

Neue Bundesländer und Berlin1991 1.006 10,2 11,9 x 1.810 10 2.826 1995 1.184 14,8 18,5 297 1.203 394 2.781 2000 1.508 18,5 19,3 518 832 302 2.642 2005 1.617 20,6 19,8 598 435 241 2.2932006 1.480 19,2 18,8 552 455 200 2.1352007 1.291 16,8 16,8 485 416 150 1.8572008 1.123 14,7 14,5 390 389 136 1.6482009 1.103 14,5 13,5 317 416 79 1.598

* Arbeitslose in Prozent der abhängigen zivilen Erwerbspersonen. Seit dem 1. Januar 2004 werden Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Eignungsfeststellungs- und Trainingsmaßnahmen – wie bis-her schon alle übrigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarkt-politik – nicht mehr zu den registrierten Arbeitslosen gezählt. Berücksichtigt man diese Änderung auch im Vorjahr, wäre die registrierte Arbeitslosigkeit nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit im Jahresdurchschnitt 2004 im Vergleich zum Vorjahr nochmals merklich um 93.000 Personen ge-stiegen.** Arbeitslosenäquivalent der Kurzarbeiterinnen und Kurzarbeiter, Teilnehmerinnen und Teilneh-mer an ABM, SAM, Vollzeitteilnehmerinnen und -teilnehmer an beruflicher Weiterbildung, Per-sonen im vorzeitigem Ruhestand entsprechend den Berechnungen des SVR, für 2009 teilweise geschätzt. *** Zur Stillen Reserve gehören Personen, die nicht beschäftigt, aber auch nicht arbeitslos gemel-det sind, aber eine Arbeit aufnehmen würden. Nicht dazu gehören Empfängerinnen und Empfän-ger von Altersübergangsgeld/Vorruhestandsgeld sowie Teilnehmerinnen und Teilnehmer in ABM.

Quellen: Statistisches Bundesamt, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagen-tur für Arbeit, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, eigene Berechnungen

Tabelle A 4: Arbeitslose und Stille Reserve       

Page 263: Neue Kleine Bibliothek 150 - alternative-wirtschaftspolitik.de

tabellenanhang

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Page 264: Neue Kleine Bibliothek 150 - alternative-wirtschaftspolitik.de

tabellenanhang

Jahr

Masseneinkommen Betriebs-überschuss/

Selbstständigen-einkommen, Vermögens-einkommen

Verfüg-bares Ein-

kommen*

Spar-quote

davon:Netto-löhne und

-gehälter

davon:Monetäre

Sozial-leistungen

(netto)

Massen-ein-

kommeninsgesamt

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1991 481 218 699 335 1.034 12,91992 512 242 755 353 1.108 12,71993 527 261 788 362 1.151 12,11994 525 271 796 395 1.191 11,41995 529 283 812 405 1.217 11,01996 527 306 833 408 1.241 10,51997 518 314 831 426 1.258 10,11998 530 320 849 434 1.284 10,11999 548 331 878 444 1.322 9,52000 570 340 910 458 1.368 9,22001 590 354 944 479 1.423 9,42002 592 368 960 469 1.429 9,92003 589 378 967 483 1.450 10,32004 603 378 982 491 1.472 10,42005 602 379 981 523 1.504 10,52006 605 378 983 561 1.544 10,52007 623 373 996 581 1.577 10,82008 643 374 1.017111 605 1.623 11,22009 637 406 1.043111 581 1.624 11,3

Verfügbares Einkommen = 100

1991 46,5 21,1 67,6 32,4 100 X1992 46,2 21,9 68,1 31,9 100 X1993 45,8 22,7 68,5 31,5 100 X1994 44,1 22,7 66,8 33,2 100 X1995 43,5 23,2 66,7 33,3 100 X1996 42,4 24,7 67,1 32,9 100 X1997 41,2 24,9 66,1 33,9 100 X1998 41,3 24,9 66,2 33,8 100 X1999 41,4 25,0 66,4 33,6 100 X2000 41,6 24,8 66,5 33,5 100 X2001 41,5 24,9 66,3 33,7 100 X2002 41,4 25,7 67,2 32,8 100 X2003 40,6 26,1 66,7 33,3 100 X2004 41,0 25,7 66,7 33,3 100 X2005 40,0 25,2 65,2 34,8 100 X2006 39,2 24,5 63,7 36,3 100 X2007 39,5 23,6 63,2 36,8 100 X2008 39,6 23,1 62,7 37,3 100 X2009 39,2 25,0 64,2 35,8 100 X

* Nicht enthalten ist ein Saldo verschiedener übriger Transferleistungen, wie beispielsweise Scha-densersatzleistungen aus Versicherungen oder Überweisungen Erwerbstätiger im Inland an das Ausland. 2009 waren es ca. 60 Mrd. Euro. Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen

Tabelle A 6: Verteilung der verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte         

Page 265: Neue Kleine Bibliothek 150 - alternative-wirtschaftspolitik.de

tabellenanhang

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Deutschland

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Männer Vollzeitbeschäftigte 38,6 20,87 19,88 3.497 3.332 165Teilzeitbeschäftigte 25,3 16,04 15,65 1.766 1.723 43Geringfügig Beschäftigte 261

Frauen Vollzeitbeschäftigte 38,5 16,84 16,36 2.816 2.736 80Teilzeitbeschäftigte 24,4 15,44 15,12 1.635 1.602 33Geringfügig Beschäftigte 276

Früheres Bundesgebiet (einschließlich Berlin) Insgesamt

Vollzeitbeschäftigte 38,4 20,42 19,52 3.409 3.258 150Teilzeitbeschäftigte 23,8 15,99 15,65 1.651 1.617 35Geringfügig Beschäftigte 277

Männer Vollzeitbeschäftigte 38,4 21,7 20,64 3.626 3.449 177Teilzeitbeschäftigte 24,8 16,53 16,11 1.779 1.735 44Geringfügig Beschäftigte 268

Frauen Vollzeitbeschäftigte 38,4 17,29 16,78 2.882 2.797 85Teilzeitbeschäftigte 23,6 15,90 15,58 1.631 1.598 33Geringfügig Beschäftigte 282

Neue Bundesländer Insgesamt

Vollzeitbeschäftigte 39,3 15,07 14,65 2.570 2.499 71Teilzeitbeschäftigte 28,9 13,21 12,96 1.659 1.626 32Geringfügig Beschäftigte 209

Männer Vollzeitbeschäftigte 39,4 15,27 14,80 2.612 2.533 79Teilzeitbeschäftigte 28,9 13,38 13,11 1.679 1.644 35Geringfügig Beschäftigte 206

Frauen Vollzeitbeschäftigte 39,0 14,73 14,39 2.498 2.440 58Teilzeitbeschäftigte 28,9 13,19 12,94 1.656 1.624 32Geringfügig Beschäftigte 210

Nicht erfasst werden die Verdienste in den Wirtschaftsbereichen Land- und Forstwirtschaft, Fischerei und Fischzucht, öffentliche Verwaltung sowie private Haushalte. Zu den Gering-fügig Beschäftigten zählen alle Personen, die im Jahresdurchschnitt weniger als 400 Euro monatlich verdienen. Quelle: Statistisches Bundesamt

Tabelle A 8: Verdienste und Arbeitszeiten der abhängig Beschäf-tigten im Produzierenden Gewerbe und Dienstleistungsbereich, drittes Quartal 2009

Page 267: Neue Kleine Bibliothek 150 - alternative-wirtschaftspolitik.de

tabellenanhang

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Page 271: Neue Kleine Bibliothek 150 - alternative-wirtschaftspolitik.de

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Tabelle A 13: Arbeitslosigkeit im internationalen Vergleich

* Angaben bis 1990 früheres Bundesgebiet. ** Arbeitslos gemäß den Kriterien der International Labour Organisation (ILO) sind Personen von 15 Jahren und mehr, die ohne Arbeit sind, innerhalb der beiden nächsten Wochen eine Arbeit aufnehmen können und während der vier vorhergehenden Wochen aktiv eine Arbeit gesucht haben. Quelle: EU-Kommission, Herbstprognose, November 2009

Page 272: Neue Kleine Bibliothek 150 - alternative-wirtschaftspolitik.de

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