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Neuerungen im Verfassungsrecht - Kucsko-Stadlmayer Vf.pdf · 3 ausgewogenes Wachstum, Preisstabilität, in hohem Maß wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, Vollbeschäftigung,

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Wesentliche Neuerungen im Verfassungsrecht durch die Bundesverfassungsgesetze BGBl I 2008, Nr. 1 und 2

Gabriele Kucsko-Stadlmayer

1. Rechtsbereinigung im Bereich des formellen Bundesverfassungsrechts

Rechtsquelle: 1. BVRBG

Lehrbuch: Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, S. 58 f

Mit dem Ersten Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz (1. BVRBG) wurde eine

große Zahl von verfassungsrechtlichen Regelungen außerhalb des B-VG aufgehoben, als nicht

mehr geltend festgestellt oder ihres Verfassungsranges entkleidet. Dies erfolgte auf Grund der

Vorarbeiten von Ausschuss 2 des Österreich-Konvents; Ziel war es, das Bundesverfassungs-

recht übersichtlicher als bisher zu gestalten. Ein „Inkorporationsgebot“, das Verfassungs-

bestimmungen außerhalb des B-VG schlechthin verbieten oder einschränken würde, besteht

aber weiterhin nicht, sodass „fugitives Verfassungsrecht“ weiterhin zulässig bleibt.

2. Staatsverträge Rechtsquelle: Art 50 B-VG

Lehrbuch: Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, S. 114 ff.

Gem Art 50 Abs 1 Z 1 B-VG ist der Abschluss von politischen Staatsverträgen und

Staatsverträgen mit gesetzesänderndem oder gesetzesergänzendem Inhalt weiterhin nur mit

Genehmigung des Nationalrats möglich. Diese Genehmigung wird bekanntlich in Abs 3 durch

einen Verweis auf Art 42 Abs 1 bis 4 B-VG (verfassungsrechtliche Regelungen über die

Entstehung von Bundesgesetzen) näher bestimmt. Im Ergebnis hat die Genehmigung des

Nationalrates in diesen Fällen damit auf die gleiche Art und Weise zu erfolgen wie die

Beschlussfassung über ein Bundesgesetz.

Anders als bisher verweist Art 50 Abs 3 B-VG aber nun nicht mehr auf Art 44 B-VG,

der die Voraussetzungen für den Beschluss von Verfassungsgesetzen regelt. Daraus ist

abzuleiten, dass für die Genehmigung von verfassungsändernden und -ergänzenden

Staatsverträgen nunmehr die Beschlusserfordernisse für einfache Gesetze gelten. Dadurch

entsteht freilich eine Verfassungswidrigkeit, die durch ein eigenes Verfassungsgesetz

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bereinigt werden muss. Im Ergebnis wird damit bezweckt, dass – zum Zweck der besseren

Übersichtlichkeit – Sonderverfassungsrecht außerhalb des B-VG nur noch in eigenen

Gesetzen und nicht mehr im Rahmen von Staatsverträgen erzeugt wird.

Eine Ausnahme gilt für Staatsverträge, die die vertraglichen Grundlagen der

Europäischen Union ändern (vgl. Art 50 Abs 1 Z 2 B-VG). Gem Art 50 Abs 4 B-VG

bedürfen solche Staatsverträge der Genehmigung des NR und des BR mit jenen Quoren, die

für das Zustandekommen von Verfassungsgesetzen notwendig sind. Im Unterschied zum

früheren Art 50 Abs 3 B-VG, der für verfassungsändernde und -ergänzende Staatsverträge

eine ausdrückliche Bezeichnung als solche forderte, ist diese in den genannten Fällen nun

nicht mehr erforderlich. Im Ergebnis müssen derartige Staatsverträge also nur noch mit

erhöhten Quoren vom NR und vom BR genehmigt werden. Nach den Erl zur RV sollen

durch diese Neuregelung die früher notwendigen Sonderverfassungsgesetze entbehrlich

werden. Nach wie vor dürfen Staatsverträge, die die vertraglichen Grundlagen der EU ändern,

aber ohne Volksabstimmung keine Gesamtänderung der Bundesverfassung bewirken (arg.:

„unbeschadet des Art 44 Abs 3 B-VG“).

Eine weitere Neuerung betrifft Staatsverträge, die schon abgeschlossene Staatsverträge

gem Art 50 Abs 1 Z 1 B-VG ändern und – auf Grund des Völkerrechts – in einem

vereinfachten Verfahren erfolgen können. Diesfalls ist eine Genehmigung des Nationalrats

nur nötig, wenn dieser sie sich von Anfang an vorbehalten hat (Art 50 Abs 2 Z 1 B-VG).

Schließlich sieht ein neu eingefügter Art 50 Abs 5 B-VG vor, dass NR und BR nun

bereits von der Aufnahme von Verhandlungen über einen Staatsvertrag gem Art 50 Abs 1

B-VG unverzüglich zu unterrichten sind.

3. Haushaltsrecht

Rechtsquellen: Art 51, 51a – 51d B-VG

Lehrbuch: Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, S. 254 ff.

Zu beachten ist, dass die nachfolgend dargestellten Neuerungen erst am 1.1.2009 bzw.

am 1.1.2013 in Kraft treten. Sie werden also etappenweise in Kraft gesetzt.

Änderungen gibt es zunächst bei den als Staatszielbestimmung formulierten Zielen

der Haushaltsführung. Art 13 Abs 2 B-VG definiert als solche

- Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes, worunter nach den Erl über das bisherige Begriffsverständnis hinaus folgende Aspekte verstanden werden:

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ausgewogenes Wachstum, Preisstabilität, in hohem Maß wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, Vollbeschäftigung, sozialer Fortschritt, hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität;

- nachhaltig geordnete Haushalte, also Budgets, die keine erheblichen Gegensteuerungsmaßnahmen erfordern, und

- die Koordinierung der Gebietskörperschaften bei der Erreichung dieser Ziele.

Art 13 B-VG wurde außerdem um einen Abs 3 erweitert, wonach die

Gebietskörperschaften bei der Haushaltsführung die tatsächliche Gleichstellung von Frauen

und Männern anzustreben haben (sogenanntes „gender-budgeting“).

Darüber hinaus wurde das Haushaltsrecht selbst geändert. Wichtige Punkte sind:

1. Der Nationalrat hat nicht nur wie bisher das Bundesfinanzgesetz zu beschließen,

sondern auch ein Bundesfinanzrahmengesetz (BFRG), das die Grenzen für das

Bundesfinanzgesetz (BFG) absteckt. Das BFRG ersetzt somit das jetzige Budgetprogramm.

Es kommt so zustande: Die Bundesregierung legt dem Nationalrat jährlich den Entwurf für

ein BFRG (oder eine Änderung des vorigen BFRG) vor und legt darin Obergrenzen für die

Mittelverwendung für das folgende und die drei nächstfolgenden Finanzjahre fest. Es wird

also jährlich ein BFRG beschlossen, das sich auf die jeweils nächsten vier Jahre bezieht,

wobei die drei durch das geltende BFRG bereits geregelten Jahre freilich nicht geändert

werden müssen. Die konkrete Mittelverwendung wird durch das jeweilige BFG genehmigt.

Die Obergrenzen des BFRG gelten nicht für bestimmte besondere Mittelverwendungen, wie

etwa die Rückzahlung von Finanzschulden (siehe Art 51 Abs 2 B-VG, und dürfen nur in

besonderen Ausnahmefällen überschritten werden (Art 51 Abs 6 B-VG).

2. Eine wichtige Neuerung betrifft die Geltungsdauer des Bundesfinanzgesetzes.

Die Bundesregierung kann in Hinkunft dem Nationalrat ausnahmsweise auch ein BFG für die

nächsten zwei Jahre vorlegen (Art 51 Abs 3 B-VG). Die Bestimmungen müssen nur nach

Jahren getrennt sein. Damit ist der Grundsatz der Einjährigkeit bei der Budgeterstellung

gefallen. In der zweiten Hälfte des ersten Finanzjahres, auf das sich das BFG bezieht, ist

allerdings ein Änderungsentwurf für das BFG, der sich auf das 2. Jahr bezieht, bis spätestens

10 Wochen vor Beginn des 2. Finanzjahres vorzulegen.

3. Neue Regelungen gelten auch für den Fall des nicht rechtzeitigen

Zustandekommens eines BFG (bzw. nun auch BFRG). Legt die BReg nicht rechtzeitig

einen entsprechenden Entwurf vor, so kann – wie bisher – der NR selbst eine solche Vorlage

machen. Neuerungen gelten, wenn ein BFG bzw BFRG nicht innerhalb der zeitlichen

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Vorgaben vom NR beschlossen wird. Das bisherige Budgetprovisorium, das die Anwendung

der Regierungsvorlage und ab dem 4. Monat des neuen Finanzjahres die Anwendung des

alten BFG vorsah, wurde geändert: Hat der Nationalrat in einem Finanzjahr kein BFRG

beschlossen, so gelten automatisch die Obergrenzen des BFRG des Vorjahres weiter. Wurde

das BFG nicht beschlossen, wird ebenfalls automatisch an die Bestimmungen des BFG für

das Vorjahr angeknüpft. Die „Zwischenstufe“ der Anwendung der Regierungsvorlage

entfällt somit. Auch das „System der provisorischen Zwölftel“, wonach während des

Provisoriums jeden Monat ein Zwölftel der Ausgabenansätze aus dem vorigen BFG oder dem

Regierungsentwurf als Höchstgrenzen dienten, fällt weg.

Die Möglichkeit eines bundesgesetzlichen Budgetprovisoriums gibt es nach der

neuen Rechtslage weiterhin. Dies bezieht sich jedoch nur auf das BFG. Ein fehlendes BFRG

kann nicht durch ein provisorisches Bundesgesetz erstellt werden.

4. Die überplanmäßigen Ausgaben sind in Art 51b B-VG ähnlich geregelt wie

bisher. Die bundesfinanzgesetzliche Ermächtigung an den BMF ist in Hinkunft aber an

weniger strenge Erfordernisse geknüpft (Art 51b Abs 3nF, Art 51b Abs 4aF). 2013 tritt eine

weitere Neuerung insofern ein, als die bundesfinanzgesetzliche Ermächtigung vom BMF

unter bestimmten Umständen an Leiter von Dienststellen übertragen werden kann

(Subdelegation).

5. Ab 2013 werden im Art 51 Abs 8 B-VG weiters neue Haushaltsgrundsätze

festgelegt: Wirkungsorientierung (output/outcome – Orientierung der Haushaltsführung),

Transparenz (schließt die klassischen Grundsätze der Einheit, Vollständigkeit,

Bruttobudgetierung, Budgetkontinuität mit ein), Effizienz (Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit),

möglichst getreue Darstellung der finanziellen Lage des Bundes sowie die Berücksichtigung

des Ziels der Gleichstellung von Mann und Frau.

4. Weisungsbindung Rechtsquelle: Art 20 B-VG

Lehrbuch: Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, S. 337 ff.

Die Möglichkeit der einfachgesetzlichen Ausnahme von der verfassungsgesetzlich

angeordneten Weisungsbindung wurde stark erweitert. Dies geschah durch Nennung einer

ganzen Reihe von Verwaltungsaufgaben, für die nunmehr weisungsfreie Behörden durch

einfaches Gesetz geschaffen werden können. Platziert wurde die Regelung in Art 20 Abs 2 B-

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VG, wo früher nur die Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag geregelt waren. Für

folgende Organe ist nun eine einfachgesetzliche Weisungsfreistellung möglich:

• sachverständige Prüfung (Z 1),

• Kontrolle der Wahrung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sowie zur Kontrolle in Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens (Z 2),

• Entscheidung in oberster Instanz, wenn sie kollegial eingerichtet sind, ihnen wenigstens ein Richter angehört und ihre Bescheide nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen (Z 3),

• Schieds-, Vermittlungs- und Interessenvertretungsaufgaben (Z 4),

• Sicherung des Wettbewerbs und zur Durchführung der Wirtschaftsaufsicht (Z 5),

• Durchführung einzelner Angelegenheiten des Dienst- und Disziplinarrechts (Z 6),

• Durchführung und Leitung von Wahlen (Z 7) oder

• Soweit dies nach Maßgabe des Rechts der Europäischen Union geboten ist (Z 8).

Die bisher im Art 20 Abs 2 B-VG geregelten Kollegialbehörden mit richterlichem

Einschlag wurden in dessen Z 3 integriert. Bei der Möglichkeit ihrer Schaffung durch

einfaches Gesetz ändert sich nichts. Eine Neuerung liegt allerdings darin, dass ihre nicht-

richterlichen Organe nicht wie bisher schon unmittelbar aufgrund der Verfassung

weisungsfrei sind, sondern einer Weisungsfreistellung durch einfaches Gesetz bedürfen.

Neu ist, dass alle nach Art 20 Abs 2 B-VG weisungsfrei gestellten Organe einem

gesetzlich verankerten, angemessenen Aufsichtsrecht der obersten Organe unterliegen

müssen. Diese sollen dabei zumindest die Befugnis erhalten, sich über Gegenstände der

Geschäftsführung des weisungsfreien Organs zu informieren und es aus wichtigem Grund

abzuberufen. Für die Organe gemäß Z 2, 3 und 8 muss eine solche Abberufungsbefugnis

nicht vorgesehen werden.

Als Korrelat zur Weisungsfreiheit, dem damit einhergehenden Verlust an Steuerungs-

befugnis des ressortzuständigen Bundesministers und der insoweit fehlenden parlamentari-

schen Verantwortlichkeit wurde ein Zitationsrecht geschaffen, mit dessen Hilfe NR und BR

Leiter von weisungsfreien Organen in Ausschüsse einberufen können (Art 52 Abs 1a B-VG).

5. Staatsanwaltschaft Rechtsquelle: Art 90a B-VG

Lehrbuch: Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, S. 371 ff

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Im B-VG sind verschiedene Organe zur Ausübung der Gerichtsbarkeit berufen: die

Richter (Art 86 ff), die Rechtspfleger (Art 87a) und die Laienrichter (Art 91). Die

Staatsanwälte wurden bisher der Verwaltung zugeordnet.

Mit dem neuen Art 90a B-VG werden nun auch Staatsanwälte ausdrücklich als Organe

der Gerichtsbarkeit bezeichnet. Als Hintergrund ist zu erläutern, dass Staatsanwälte seit der

Strafprozessreform 2008 in gerichtlichen Strafverfahren nicht mehr nur die Anklagefunktion,

sondern auch die Leitung des Ermittlungsverfahrens vor Anklageerhebung inne haben.

Bisher war dies Aufgabe der Untersuchungsrichter. Nach den Erl zur RV ist durch diese neue

Aufgabe die Bedeutung der der Staatsanwälte gestiegen, sodass sie nun ausdrücklich in der

Verfassung genannt werden sollten.

Als Verwaltungsorgane unterlagen die Staatsanwälte seit je der Weisungsgebun-

denheit nach Art 20 B-VG, insb. auch im Verhältnis zum Bundesminister für Justiz. Dies ist

nun nicht mehr der Fall. Nunmehr kann der Gesetzgeber die näheren Regeln über die

Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte gegenüber den ihnen vorgesetzten Organen er-

lassen. Dabei könnte auch eine Weisungsfreistellung erfolgen. Derzeit gilt allerdings noch § 2

Abs 1 StAG, wonach die Staatsanwaltschaften den Oberstaatsanwaltschaften und diese sowie

die Generalprokuratur dem BMJ unmittelbar untergeordnet und weisungsgebunden sind.

6. Universitäten

Rechtsquelle: Art 81c B-VG

Lehrbuch: Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, S. 410ff.

Für die öffentlichen Universitäten wurde eine eigene Verfassungsbestimmung

geschaffen, mit der mehrere Bestimmungen aus Sondergesetzen zusammengefasst und als Art

81c ins B-VG eingefügt wurden. Dessen Kerngehalt ist die verfassungsrechtliche

Verankerung der Universitätsautonomie. Privatuniversitäten sind davon nicht erfasst.

Wie bisher garantiert die Autonomie den Universitäten nicht nur Weisungsfreiheit,

vielmehr schließt sie auch einen Instanzenzug an staatliche Organe aus. Zulässig bleibt die

Mitwirkung staatlicher Organe bei der Bestellung einzelner (nicht die Mehrheit

ausmachender) Mitglieder eines Kollegialorgans; dies ist nach geltendem einfachgesetzlichem

Organisationsrecht beim „Universitätsrat“ der Fall. Einer staatlichen Aufsicht steht die

Universitätsautonomie schon grundsätzlich nicht entgegen.

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Über die Gewährleistung von Autonomie hinausgehend ermächtigt Art 81c B-VG den

Bundesgesetzgeber nun auch dazu, Tätigkeiten an der Universität, die Mitwirkung in

Universitätsorganen und in der Studierendenvertretung für Nichtösterreicher zu öffnen.

Bisher war dies wegen des Inländervorbehalts in Art 3 Abs 2 StGG zum Teil nicht möglich.

7. Selbstverwaltung

Rechtsquelle: Art 120a – 120b B-VG

Lehrbuch: Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, S. 410 ff.

Die Selbstverwaltung wird in einem neuen, 5. Hauptstück des B-VG geregelt, das sich in

die Bereiche A. Gemeinden und B. Sonstige Selbstverwaltung untergliedert. Dieser Teil B

ist völlig neu; bisher war die „sonstige“ Selbstverwaltung nur auf Basis einer Judikatur des

Verfassungsgerichtshofes für zulässig erachtet worden.

Gemäß Art 120a Abs 1 B-VG ist der einfache Gesetzgeber nun ausdrücklich dazu

ermächtigt, Personen „zur selbstständigen Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, die in ihrem

ausschließlichen oder überwiegenden gemeinsamen Interesse gelegen und geeignet sind,

durch sie gemeinsam besorgt zu werden, durch Gesetz zu Selbstverwaltungskörpern“

zusammenzufassen. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, bestimmte

Selbstverwaltungskörper einzurichten, besteht nicht, jedoch wurde in Art 120a Abs 2 B-VG

nun ein Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft verankert.

Art 120b Abs 1b-VG stellt die Selbstverwaltungskörper weisungsfrei, wobei dem Bund

oder dem Land aber jeweils ein Aufsichtsrecht hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der

Verwaltungsführung zukommt. Dieses Aufsichtsrecht kann sich darüber hinaus auch auf die

Zweckmäßigkeit der Verwaltungsführung erstrecken. Dafür gilt freilich die Voraussetzung,

dass dies auf Grund der Aufgaben des Selbstverwaltungskörpers erforderlich ist.

Gemäß Art 120b Abs 2 B-VG können den Selbstverwaltungskörpern Aufgaben

staatlicher Verwaltung übertragen werden, wobei der Gesetzgeber derartige Angelegenheiten

ausdrücklich als solche des übertragenen Wirkungsbereiches zu bezeichnen hat. Dies ist

ein wesentlicher Unterschied zur Selbstverwaltung der Gemeinden, bei denen gemäß Art 118

Abs 2 B-VG gerade umgekehrt eine Bezeichnungspflicht für Angelegenheiten des eigenen

Wirkungsbereichs besteht.

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Gemäß Art 120c Abs 3 B-VG sind Selbstverwaltungskörper wie Gemeinden auch

selbstständige Wirtschaftskörper, die im Rahmen der Gesetze zur Erfüllung ihrer Aufgaben

Vermögen aller Art erwerben, besitzen und darüber verfügen können.

8. Asylgerichtshof Rechtsquelle: Art 129c-129f, 132a, 144a B-VG

Lehrbuch: Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, S. 443 ff.

Mit 1.7.2008 wurde der Unabhängigen Bundesasylsenat, früher Rechtsmittelinstanz in

Asylsachen, durch den Asylgerichtshof abgelöst. Gemäß Art 129c B-VG erkennt nun dieser

nach Erschöpfung des Instanzenzugs über Bescheide der Verwaltungsbehörden in

Asylsachen und über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in solchen

Angelegenheiten.

Die Mitglieder des Asylgerichtshofes werden gemäß Artikel 129d Abs 2 B-VG durch

den Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung ernannt. Alle Mitglieder des

Asylgerichtshofes müssen das Studium der Rechtswissenschaften oder die rechts- und

staatswissenschaftlichen Studien abgeschlossen haben und zumindest über eine fünfjährige

juristische Berufserfahrung verfügen; die Befähigung zum Richteramt müssen sie nicht

aufweisen. Mit ihrer Ernennung werden die Mitglieder des Asylgerichtshofes Richter iSd

Art 87 und Art 88 B-VG. Auch Art 89 B-VG gilt sinngemäß für den Asylgerichtshof. Die

nähren Bestimmungen über dessen Organisation und Verfahren regelt das

Asylgerichtshofgesetz.

Der Asylgerichtshof erkennt nach Art 129e Abs 1 B-VG durch Einzelrichter oder in

Senaten. Eine besondere Neuerung im Verhältnis zu den früheren Kompetenzen des UBAS

sind die sog. Grundsatzentscheidungen. Sie sind auf Antrag des Einzelrichters oder Senates

in einem verstärkten Senat zu entscheiden. Charakteristisch für sie ist, dass sie losgelöst vom

Einzelfall ergehen und allgemein verbindliche Wirkung haben. Grundsatzentscheidungen sind

für folgende Fälle vorgesehen:

• Rechtsfragen, denen grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil

o von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen werden würde,

o eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder

o die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird, sowie für

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• Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von Verfahren stellen.

Völlig neu geregelt wurde die Befugnis zur Erhebung von Rechtsmitteln gegen

Entscheidungen des Asylgerichtshofs: Gegen sie ist nunmehr grundsätzlich keine

Beschwerde an den VwGH mehr möglich. Dieser kann nur noch über

Grundsatzentscheidungen erkennen; diese sind ihm von Amts wegen vorzulegen (Art 132a

Abs 1 B-VG). Der VwGH hat darüber meritorisch zu entscheiden; tut er dies nicht binnen

sechs Monaten, so gilt die Grundsatzentscheidung als bestätigt.

Kompensiert wird dieser Wegfall von Rechtsschutz nur durch die Möglichkeit, gegen

Entscheidungen des Asylgerichtshofes beim Verfassungsgerichtshof Beschwerde zu erheben

(Art 144a B-VG). Beschwerdevoraussetzung ist, ähnlich wie nach Art 144 B-VG, dass der

Beschwerdeführer durch die Entscheidung in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten

Recht oder wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, einer gesetzwidrigen Kund-

machung über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes (Staatsvertrages), eines verfassungs-

widrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages in seinen Rechten verletzt zu

sein behauptet. Obwohl dies nicht ausdrücklich normiert ist, dürften Grundsatzentscheidungen

– die ja vom VwGH kontrolliert werden – nicht auch vom VfGH überprüfbar sein.

Der Rechtsschutz gegen Entscheidungen des Asylgerichtshofes ist demnach beim VfGH

konzentriert. Dessen ungeachtet hat dieser die Befugnis, auch Beschwerden gemäß Art 144a

B-VG abzulehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben oder von ihrer

Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist.

9. Volksanwaltschaft Rechtsquelle: Art 148a, 148c B-VG

Lehrbuch: Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, S. 579 ff.

Mit dem neuen Art 148a Abs 3 B-VG erhält die Volksanwaltschaft die Befugnis, in

eingeschränktem Ausmaß nun auch die Gerichte zu kontrollieren: Im Fall der Säumnis eines

Gerichtes mit der Vornahme einer Verfahrenshandlung kann die Volksanwaltschaft nun

sowohl auf Grund einer Beschwerde als auch von Amts wegen einschreiten. Als besonderes

Kontrollmittel wird ihr dazu die Befugnis eingeräumt, „Fristsetzungsanträge“ nach § 91 GOG

(die früher nur der Partei selbst zustanden) einzubringen und Maßnahmen der Dienstaufsicht

anzuregen (Art 148c B-VG). Damit soll Abhilfe für gehäufte Fälle überlanger

Verfahrensdauer bei Gericht geschaffen werden.