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Neuro- und Kognitionswissenschaften Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten im Land Bremen Wie lernt das Gehirn? Klaus Pawelzik: Erkennen lernen – Prinzipien des Lernens in biologischen und technischen Systemen Institut für Theoretische Neurophysik Sehen lernen Manfred Fahle: Lernen und Gehirn – Die Rolle des perzeptuellen Lernens Institut für Hirnforschung (Abteilung Humanneurobiologie) Bloß keine Drogen in der Pubertät Michael Koch: Was Drogen wie Alkohol oder Cannabis im Gehirn anrichten – Alarmierende Befunde aus Tierexperimenten Institut für Hirnforschung (Abteilung Neuropharmakologie) Prothesen fürs Gehirn Axel Gräser, Klaus Pawelzik, Andreas Kreiter: Brain-Computer Interface oder wie behinderte Menschen besser mit ihrer Umwelt kommunizieren können Institut für Automatisierungstechnik, Institut für Theoretische Physik, Institut für Hirnforschung Das emotionale Gedächtnis Gerhard Roth, Ursula Dicke: Wie Gehirn, Verstand und Gefühle im limbischen System zusammenspielen Institut für Hirnforschung (Abt. für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie) Erfolgreich handeln heißt falsche Entscheidungen vermeiden Manfred Herrmann: Emotionen spielen bei der Informationsverarbeitung im Gehirn eine wichtige Rolle Institut für Kognitive Neurowissenschaften Aufmerksamkeit: Das Tor zum Bewusstsein Andreas Kreiter: Die komplexen kognitiven Leistungen des menschlichen Gehirns Institut für Hirnforschung (Abteilung Theroretische Neurobiologie) Das Ringen um die Wahrnehmung Canan Basar-Eroglu, Michael Aurel Stadler, Günter Vetter: Wahrnehmen und erkennen Institut für Psychologie und Kognitionsforschung Die semantische Analyse von Bildern und Videos Otthein Herzog: Die Rolle der Bildverarbeitung für die Hirnforschung Technologie-Zentrum Informatik Der Mensch – Krone der Schöpfung? Ursula Dicke, Gerhard Roth: Hirnevolution und Intelligenz Institut für Hirnforschung (Abt. für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie) Herausgeber Der Senator für Bildung und Wissenschaft, Freie Hansestadt Bremen, Katharinenstraße 12-14, 28195 Bremen, Telefon 0421 361-6211, www.city-of-science.de; August 2006; Redaktion und Grafik: Dr. Christine Backhaus 3 5 6 7 9 11 13 15 16 17 Seite

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Neuro- undKognitionswissenschaftenForschungs- und Entwicklungsaktivitäten im Land Bremen

Wie lernt das Gehirn? Klaus Pawelzik: Erkennen lernen – Prinzipien des Lernensin biologischen und technischen Systemen Institut für Theoretische Neurophysik

Sehen lernenManfred Fahle: Lernen und Gehirn – Die Rolle des perzeptuellen Lernens Institut für Hirnforschung (Abteilung Humanneurobiologie)

Bloß keine Drogen in der PubertätMichael Koch: Was Drogen wie Alkohol oder Cannabis im Gehirn anrichten –Alarmierende Befunde aus Tierexperimenten Institut für Hirnforschung (Abteilung Neuropharmakologie)

Prothesen fürs GehirnAxel Gräser, Klaus Pawelzik, Andreas Kreiter: Brain-Computer Interface oder wie behinderte Menschen besser mit ihrer Umwelt kommunizieren können Institut fürAutomatisierungstechnik, Institut für Theoretische Physik, Institut für Hirnforschung

Das emotionale GedächtnisGerhard Roth, Ursula Dicke: Wie Gehirn, Verstand und Gefühleim limbischen System zusammenspielen Institut für Hirnforschung (Abt. für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie)

Erfolgreich handeln heißt falsche Entscheidungen vermeidenManfred Herrmann: Emotionen spielen bei der Informationsverarbeitungim Gehirn eine wichtige Rolle Institut für Kognitive Neurowissenschaften

Aufmerksamkeit: Das Tor zum BewusstseinAndreas Kreiter: Die komplexen kognitiven Leistungen des menschlichen Gehirns Institut für Hirnforschung (Abteilung Theroretische Neurobiologie)

Das Ringen um die WahrnehmungCanan Basar-Eroglu, Michael Aurel Stadler, Günter Vetter: Wahrnehmen und erkennenInstitut für Psychologie und Kognitionsforschung

Die semantische Analyse von Bildern und VideosOtthein Herzog: Die Rolle der Bildverarbeitung für die Hirnforschung Technologie-Zentrum Informatik

Der Mensch – Krone der Schöpfung?Ursula Dicke, Gerhard Roth: Hirnevolution und Intelligenz Institut für Hirnforschung (Abt. für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie)

Herausgeber Der Senator für Bildung und Wissenschaft, Freie Hansestadt Bremen, Katharinenstraße 12-14, 28195 Bremen,

Telefon 0421 361-6211, www.city-of-science.de; August 2006; Redaktion und Grafik: Dr. Christine Backhaus

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• Weltweit gehören die Neuro- und Kog–nitionswissenschaften zu den Disziplinen, die sichbesonders stürmisch entwickeln. Experimentellund theoretisch arbeitende Neurowissenschaftler,Psychologen und Neurotheoretiker der Univer–sität Bremen arbeiten seit 1990 mit wachsendemErfolg daran, ihre Universität zu einem nationalund international beachteten Standort der neuro-und kognitionswissenschaftlichen Forschung zumachen. Wie aus den einzelnen Beiträgen dieserBroschüre deutlich wird, umfassen die BremerForschungsaktivitäten auf dem Gebiet derNeuroscience einen weiten Bereich, von derIntelligenz- und Lernforschung über die Erfor–schung der Wirkung von Drogen, Wahrnehmung,Emotionen und Aufmerksamkeit bis zur Semantikund zu Hirnprothesen.

• Die Bildgebung, vor allem in Form derfunktionellen Kernspintomographie (fMRI), istneben der tierexperimentellen Forschung einGrundpfeiler der modernen Neurowissenschaften.Mit dieser Methode können Prozesse im Gehirndes Menschen, wie sie bei kognitiven, emotio–nalen und motorischen Leistungen ablaufen, imuniversitätseigenen Scanner bei ungeöffnetemSchädel untersucht werden.

• Die Arbeitsgruppen im Bereich der theo-retischen Hirnforschung (Neurophysik) habenzusammen mit experimentellen Gruppen kog–nitive Leistungen eines Lebewesens im Computersimuliert und den „Simulander“ (d. h. „simulier-ter Salamander“) entwickelt, mittlerweile aucheines der Exponate im Universum Science Center.So spielen Theorie und Modellierung eine hoch-aktuelle, integrative Rolle bei der Erforschung desGehirnes und sind zunehmend auch von medizi-nischer Relevanz.

• In den letzten zwei Jahren wurden imKontext der wissenschaftlichen Arbeit, im Bereichder prä- und postgraduierten Aus- und Weiter–bildung sowie auf der Ebene der ambulanten undstationären Diagnostik und Therapie neurologi-scher Erkrankungen viele Kooperationen zwi-schen Einrichtungen der Krankenversorgung in

Bremen und Abteilungen des Zentrums fürKognitionswissenschaften an der UniversitätBremen geschlossen. In diesen Forschungsvor–haben arbeiten ärztliche Mitarbeiter der Neuro–logischen Klinik und Mitarbeiter des ZKW seitmehreren Jahren gemeinsam an klinischen undwissenschaftlichen Fragen.

• Es ist ein erklärtes Interesse des ZKW,den Studienabgängern in den neurowissenschaft-lichen Fächern eine hochqualifizierte Ausbildungund einen entsprechenden Studienabschluss (undsomit einen Bewerbungsvorteil auf dem Arbeits–markt) zu gewährleisten. So haben Mitglieder desZKW und des Hanse-Wissenschaftskollegs 2002zusammen mit engagierten Lehrern das „Forumfür Lehren und Lernen“ ins Leben gerufen und inBremen und Bremerhaven sowie im Umland einegrößere Zahl von Fortbildungsveranstaltungen fürLehrer sowie für Schulleiter durchgeführt. Rund2.500 Pädagogen haben daran teilgenommen,und diese Veranstaltungen erfreuen sich einesgroßen und anhaltenden Zuspruchs. •••

Manfred FahleKlaus Pawelzik

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Einleitung

Manfred Fahle und

Klaus Pawelzik

Modell des neuen ZKW-Gebäudes: Das Zentrumfür Neuro- und Kognitionswissenschaft erhält eineigenes Gebäude. Es wird zurzeit auf demUniversitätsgelände am Biologischen Gartengebaut.

• Lebewesen mit Gehirnen haben gegen-über allen von Menschen bisher geschaffenenMaschinen immer noch einen entscheidendenVorteil: Sie erkennen die Dinge in ihrer Umge-bung, können darauf reagieren und Ziele verfolgen. Und zwar oft auch dann, wenn dieSituation neu für sie ist. Hierbei helfen zunächstReflexe, deren Nützlichkeit sich in jahrmillionen-langer Evolution bewährt hat. Andererseits können höhere Lebewesen auch Verhaltens-weisen erlangen, die in einer bisher nie dagewe-senen Situation angemessen sind. Kurzum:Lebewesen können lernen, ihnen zuvor un-bekannte Zusammenhänge ihrer Umwelt zuerfassen. Diese im Menschen stark ausgebildeteFähigkeit haben – unterschiedlich ausgeprägt –auch alle Tiere, die über ein Nervensystem verfügen. Die Grundlagen der Gedächtnisbildungin Nervensystemen sind wichtiger Gegenstandder Forschung im Zentrum für Kognitionswissen-schaften (ZKW).

• Lernen ist im Kern die Anpassung innererZustände eines autonomen Systems mit dem Zielder Verbesserung seines Verhaltens. Hierzu gehören sowohl der Erwerb „automatischer“ Verhaltensweisen, wie sie z. B. beim Fahrrad-

fahren benötigt werden, als auch abstrakteGedächtnisinhalte. Beim Lernen spielt Autonomieeine große Rolle: Lebewesen erkunden ihreUmwelt und wählen diejenigen Aspekte aus, fürdie sie Repräsentationen bilden. Diese Explorationkann helfen, bestimmtes Wissen schnell zuvertiefen, sie kann aber auch zu einer schädlichen Einschränkung des „Weltbildes“ führen. ImInstitut für Theoretische Neurophysik versuchenWissenschaftler gemeinsam mit Arbeitsgruppender Bernstein-Zentren für ComputationalNeuroscience (BCCN), Prinzipien des Lernens inbiologischen und technischen autonomenSystemen zu identifizieren.

• Neugier als Wert: Untersuchungenmathematischer Modelle zeigen, dass Lernendann besonders effizient ist, wenn autonomeAgenten durch ihr Handeln versuchen, nicht nurihre Belohnung, sondern auch ihren Informations-gewinn zu maximieren. Damit wird die sonst auftretende „Betriebsblindheit“ verhindert. DerLernerfolg ist somit ein Wert, der sowohl fürautonome Agenten wie auch für aktiv lernendeTiere auf einer Stufe mit anderen Zielen steht,wie z.B. der Nahrungsaufnahme oder derVermeidung von Schmerzen. »»»

Wie lernt das Gehirn?

Klaus Pawelzik: Erkennen lernen – Prinzipien des Lernens in biologischen

und technischen Systemen

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Institut für Theoretische Neurophysik

Erkennen lernen inModell und Simulation:Theorien des Lernens inneuronalen Netzwerkenwerden zunächst mathe-matisch analysiert unddann mit Computer-simulationen in virtuellen natürlichenUmgebungen gründlichgetestet.

• Das Prinzip „Neugier" wird im konkretenExperiment mit einem Roboter erprobt. AktiveExploration mittels Neugier bewirkt nicht nurwesentlich besseres Lernen, sondern spiegeltauch das Verhalten von Tieren überraschend gutwider: Auch technische Systeme benötigen komplexe Wertesysteme, um sich wechselndenUmwelten anpassen zu können. Man könnte fastsagen, dass ohne ein reiches emotionalesInnenleben auch eine Maschine in der Realitätnicht überleben kann.

• Solche Ergebnisse sind für die Erfor-schung von Emotionen im ZKW wichtig. Inbestimmten Regionen des Gehirns werdenBewertungen erzeugt, die über den unmittel-baren Handlungserfolg hinausgehen und dennoch das Handeln wesentlich beeinflussen.Die theoretischen Modelle der Dynamik vonBewertungen tragen dazu bei, menschlichesVerhalten in Entscheidungssituationen quantitativzu erklären und die Störungen der emotionalenBewertungssysteme besser zu verstehen.

• Ein verbessertes Verständnis der Grund-lagen des Lernens trägt dazu bei, Störungen derentsprechenden Systeme im Gehirn zu behan-deln. Roboter mit komplexen Bewertungs-systemen werden in die Lage versetzt, sich auchin unbekannten Umgebungen zurechtzufindenund ihr Verhalten so zu organisieren, dass vorgegebene Ziele mit größerer Sicherheit erreichtwerden. Dabei lassen sich die Prinzipien desLernens an der Schnittstelle zwischen Menschund Maschine erkennen. Diese Einsichten werdenhelfen, Lernmethoden für den Menschen zu verbessern. •••

Wie lernt das Gehirn?, Forts.

Professor Dr. Klaus Pawelzik, Universität Bremen, Institut für Theoretische Physik, NW1, M 3170, Otto-Hahn-Allee 1,

28334 Bremen, Tel.: ++49 421 218-3645, Fax: ++49 421 218-9104, [email protected]

Information

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Lernmethoden für den Menschen zu verbessern – daran arbeitenNeurowissenschaftler in Bremen

Hirndurchblutung dabei verändern. Es zeigt sich,dass viele Anteile des Gehirns am Lernen beteiligtsein können, sogar die ersten Schaltstationen,dort, wo die Signale aus den Sinnesorganen ein-treffen. Die Geschwindigkeit und das Ausmaßdieses Lernens ist bei älteren Versuchspersonen(z. B. den 51- bis 65-Jährigen) im Vergleich zuJugendlichen nicht herabgesetzt. Anders als beimKurzzeitgedächtnis gilt beim perzeptuellen Lernender Satz „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hansnimmermehr“ offenbar nicht. Auch Ältere kön-nen bei Bedarf durch entsprechende Übung ihreWahrnehmungsleistungen in manchen Bereichenverdoppeln.

• Diese Ergebnisse sind bedeutsam zumeinen für die Behandlung der Schielschwachsich–tigkeit, unter der immerhin fast eine MillionMenschen in Deutschland leiden, und zum anderen für die Rehabilitation von Patienten, dieinsbesondere nach einem Schlaganfall unterSehstörungen leiden. Es gibt immer mehr Hin-weise, dass diese Defizite durch Übungen abge-mildert und dass teilweise die erforderlichenFunktionen von anderen als den geschädigtenHirnarealen übernommen werden können.

• Die Forschungen haben zudem ergeben,dass eine Rückmeldung über die erbrachte Leis-tung sehr wichtig ist. Versuchspersonen lernenschneller, wenn sie über Fehler unterrichtet wer-den, die sie beim Unterscheiden von Reizen ge-macht haben, als ohne eine solche Fehlerrück-meldung. Werden dagegen häufig „richtige“Antworten als „falsch“ bezeichnet, kann nichtgelernt werden – ein wichtiger Hinweis darauf,wie wichtig es ist, bei der Erziehung und in derSchule die Leistungen von Kindern und Jugend-lichen konsistent zu beurteilen. Noch zu unter-suchen ist die Frage, ob auch das undifferenzierteLoben, also das Ausbleiben jeder Fehlermeldung,ähnlich negative Folgen hat. •••

Sehen lernen

Manfred Fahle: Lernen und Gehirn – Die Rolle des perzeptuellen Lernens –

Die Wahrnehmung lässt sich durch Übungen stark verbessern

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Institut für Hirnforschung (Abteilung Humanneurobiologie)

Professor Dr. Manfred Fahle, Universität Bremen, Institut für Hirnforschung, Abteilung Humanneurobiologie, Argonnenstr. 3,

D-28334 Bremen, Tel.: ++49 421 218-9526, Fax: ++49 421 218-9525, [email protected]

Information

• Motten umschwirren das Licht, bis sie(möglicherweise) verbrennen. Sie sind nicht inder Lage, aus der Erfahrung der heißen Licht-quelle die Lehre zu ziehen, dieses Licht besser zumeiden. Das heißt: Motten lernen nicht, sondernihr Verhalten wird weitgehend durch angeboreneVerhaltensweisen und Instinkte bestimmt. Men-schen dagegen können lernen; unser Verhaltenwird weit weniger stark durch Instinkte be-stimmt. Das bedeutet, dass wir bei der Geburtsehr unfertig sind und nicht selbstständig überle-ben können. Insbesondere in den ersten Lebens-jahren müssen wir nicht nur lernen, den eigenenKörper zu bewegen – einschließlich des aufrech-ten Ganges –, sondern darüber hinaus Wissenüber unsere Umwelt erwerben.

• In der Abteilung Humanneurobiologiedes Instituts für Hirnforschung wird die Rolle dessogenannten perzeptuellen Lernens untersucht.Wie schaffen es Menschen, nach geeignetemTraining Merkmale zu erkennen, die kleiner sindals der Durchmesser der Photorezeptoren unse-rer Netzhaut? Die Mechanismen sind ähnlichdenen, die es Weinkennern ermöglichen, nachjahrelangem Training nicht nur Rebsorten, sondern auch unterschiedliche Jahrgänge und„Lagen“ von Weinen zu unterscheiden. Anhandvon Verhaltensexperimenten sowie Summen-potenzialableitungen (ähnlich dem EEG) undfunktioneller Kernspintomografie wird unter-sucht, wie sich Wahrnehmung durch Trainingverbessern lässt und wie sich Hirnströme und

• Rauschdrogen wie Alkohol, Cannabisund Ecstasy werden in zunehmendem Maße vonJugendlichen konsumiert. Ihre suchtauslösendeWirkung und ihr schädigender Einfluss auf dasGehirn des erwachsenen Organismus sind bereitsrelativ gut erforscht; was diese Drogen dagegenin dem sich entwickelnden Nervensystem vonHeranwachsenden anrichten, ist weitaus wenigererforscht.

• Insbesondere während der Pubertät finden entscheidende Reifungsprozesse desGehirns statt. Dies gilt vor allem für diejenigenHirngebiete, die für kognitive Funktionen(Lernen, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Hand-lungsplanung) verantwortlich sind, wie beispiels-weise die frontale Hirnrinde.

• Wie die meisten Rauschdrogen besitzeninsbesondere Alkohol und Cannabis ein breitesWirkungsspektrum und interagieren mit mehre-ren Transmittersystemen im Gehirn. Da liegt dieGefahr für weitreichende Schädigungen. Dagerade Alkohol und Cannabis sehr häufig bereitsin der Pubertät konsumiert werden, müssen dieseMechanismen und Zusammenhänge dringenduntersucht werden, um die Risiken vernünftigeinschätzen zu können.

• Befunde aus Tierexperimenten sind alarmierend. In der Abteilung Neuropharmakologiedes Instituts für Hirnforschung erforschen Wis-senschaftler die Wirkung von Cannabispräparatenund von Alkohol auf die Entwicklung des Gehirnsvon Ratten. Mit biochemischen, anatomischenund physiologischen Methoden werden einerseitsdie neuropathologischen Folgen der chronischenGabe von Cannabis und Alkohol untersucht.Andererseits werden bei den erwachsenenRatten, die während der Pubertät behandelt wurden, in aufwändigen Verhaltenstests verschie-denste kognitive Funktionen geprüft.

• Die bisherigen Studien zeigen eindeutig:Die chronische pubertäre Gabe von Präparaten,die Cannabisrezeptoren stimulieren, führt dazu,dass grundlegende kognitive Funktionen nach-haltig gestört werden. Die gleiche Behandlungbei erwachsenen Ratten zeigte keine Wirkung. Ähnliche Ergebnisse liegen inzwischen auch fürdie pubertäre Alkoholgabe vor. Hier kommt es zuneuropathologischen Veränderungen, die wahr-scheinlich kaum oder sogar gar nicht reversibelsind. Alarmierender kann die Warnung vorpubertärem Drogenkonsum nicht sein. •••

Bloß keine Drogen in der Pubertät

Michael Koch: Was Drogen wie Alkohol oder Cannabis im Gehirn anrichten –

Alarmierende Befunde aus Tierexperimenten

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Institut für Hirnforschung (Abteilung Neuropharmakologie)

Professor Dr. Michael Koch, Universität Bremen, Institut für Hirnforschung, Gebäude NW 2, Raum A 4038,

Leobener Straße, D-28359 Bremen, Tel.: ++49 421 218-7278, Fax: ++49 421 218-4932, [email protected]

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Hanfpflanzen:v.l. weibliche, männliche und Hanfblüte

Prothesen fürs Gehirn

Axel Gräser, Klaus Pawelzik, Andreas Kreiter: Brain-Computer Interface

oder wie behinderte Menschen besser mit ihrer Umwelt kommunizieren können

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• Der Gesamtverlust der Muskelsteuerung– infolge einer Wirbelsäulenverletzung oder einerdegenerativen Krankheit wie der amyothrophenLateralsklerose (ALS) z. B. – verändert das Lebender Patienten drastisch. Sich mit der Umwelt ver-ständigen zu können, ist aber für Menschen, dieihre Kommunikationsfähigkeit eingebüßt haben,lebenswichtig. Das weiß man aus aus der Arbeitmit Patienten, die nach Schlaganfällen oder ande-ren Krankheiten gelähmt sind. Ein sogenanntesBrain-Computer Interface (BCI) kann in solchenFällen einen zusätzlichen Kanal für dieKommunikation mit der Umwelt zur Verfügungstellen. Das verbessert nicht nur die Lebens–qualität der Patienten sehr stark, sondern kannauch die Pflegekosten erheblich senken.

• Das Brain-Computer Interface interpre-tiert Aktivitäten des menschlichen Gehirns, diemit einem Elektroenzephalogramm (EEG) durchElektroden an der Oberfläche des Kopfes gemes-sen werden. In einem speziellen Training lernt derPatient, mittels Gedanken spezifische Gehirn-aktivitäten zu erzeugen, die mit Hilfe des Compu-ters klassifiziert werden können. Später könnendiese Gehirnströme als Steuerungssignale fürProthesen oder für die Kommunikation mit ande-ren Menschen verwendet werden.

• Auf diesem Gebiet arbeitet das Institutfür Automatisierungstechnik (IAT). Es ist spezia-lisiert auf die Rehabilitationsrobotik und erforschtAnwendungen, die das Alltagsleben vonBehinderten erleichtern. Das Institut koordiniertzudem das EU-Projekt BrainRobot: Hier wird derEinsatz von BCI sowohl zur Kontrolle einesRoboterarms als auch in einer intelligentenUmgebung untersucht. »»»

Institut für Automatisierungstechnik, Institut für Theoretische Physik, Institut für Hirnforschung

(von oben) Vom fahrenden Teeservice über denRoboterarm bis zum mobilen Rollstuhl: IntelligenteAlgorithmen lernen die Bedürfnisse von Menschen zuverstehen und Wünsche zuverlässig auszuführen.

samkeit in den Aktivitäten der Nervenzellen imGehirn kodiert wird. Mit der Entwicklung vonneuen Ableitungs- und Dekodierungsmethodenbetreten das Institut und die Abteilung Neuro-physik des ZWK wissenschaftliches und techni-sches Neuland.

• Langzeitanwendungen von Gehirn-prothesen sind derzeit rar, denn das Gehirn ist eindynamisches System, das sich ständig umordnet,lernt und neuen Situationen anpasst. Nutzer vonProthesen müssen häufig und für längere Zeit inder Klinik sein, denn ein BCI kann mit demGehirn nur dann „Schritt halten“, wenn es regel-mäßig unter ärztlicher Aufsicht neu justiert undtrainiert wird. Einen Ausweg bietet ein neuerAnsatz der Bremer Neurophysiker, den siegemeinsam mit der Hebrew University inJerusalem und dem BCCN in Freiburg verfolgen:Untersucht werden selbstlernende Algorithmen,die sich den wechselnden Gegebenheiten imGehirn laufend anpassen. Simulationen beweisen,dass es mit Standardmethoden der Signal-erfassung bereits heute möglich ist, einenRoboterarm durch Hirnsignale gleichbleibendzuverlässig zu steuern, selbst wenn sich dieKodierung im Gehirn ständig ändert. Ermöglichtwird dies durch die zusätzliche Auswertung vonGehirnaktivität, die den Grad der Zufriedenheiteines Patienten mit der Leistung der Prothese signalisiert. •••

Prothesen fürs Gehirn, Forts.

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• Während EEG-basierte BCI-Anwen-dungen aus den Forschungslaboren langsam inden Alltagsgebrauch übergehen, arbeitet dieAbteilung Neurophysik bereits an der nächstenStufe zur mobilen Erfassung von Gehirnsignalen:Hirnaktivitäten werden mittels Funkwellen über-tragen. Diese patentierte Technologie derAbteilung Neurophysik macht die bisherigenApparaturen mit unhandlichen Kabelbäumenüberflüssig. Zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen undSysteme in Duisburg testet das Institut fürHirnforschung im Tierversuch die drahtlose Übermittlung von Gehirnsignalen. Die Vorteileder neuen Technik fallen richtig ins Gewicht:Durch die drahtlose Übertragung ist der Trägereiner solchen Prothese fast uneingeschränktmobil. Außerdem werden, da die Signale direktgewonnen werden, Handlungsabsichten schnellerund genauer in die Tat umgesetzt.

• Menschen, die aufgrund ihrer Behin-derung nicht mehr sprechen können, können miteinem BCI Textmitteilungen verfassen und damitwieder mit den Mitmenschen kommunizieren.Trotz modernster Dekodierungsmethoden schaffenVersuchspersonen – bedingt durch das umständ-liche Steuern eines Cursors – allerdings nur zweiBuchstaben pro Minute. Die präzisen Informa-tionen über unsere Absichten liegen aber bereitsin den Aktivitäten der Nervenzellen im Gehirnvor: Alleine durch Konzentration auf einen Buch-staben einer virtuellen Tastatur könnte man diesen auf dem Bildschirm erscheinen lassen –vorausgesetzt diese Information lassen sich ausden Hirnsignalen auslesen. Am Institut für Hirn-forschung wird daher untersucht, wie Aufmerk-

Professor Dr. Axel Gräser, Universität Bremen, Institut für Automatisierungstechnik, Otto-Hahn-Allee 1, 28359 Bremen,

Tel.: ++49 421 218 7523, Fax: ++49 421 218 4596, [email protected]; Professor Dr. Klaus Pawelzik, Universität Bremen,

Institut für Theoretische Physik, NW1, M 3170, Otto-Hahn-Allee 1, 28334 Bremen, Tel.: ++49 421 218-3645,

Fax: ++49 421 218-9104, [email protected]; Professor Dr. Andreas Kreiter, Universität Bremen, Institut für

Theoretische Neurobiologie, Biologischer Garten, Hochschulring 16a, D-28359 Bremen, Tel.: ++49 421 218 9086,

Fax: ++49 421 218 9004, [email protected]

Information

Hippocampus-Formation. Sie legt fest, welcheInhalte in welcher Weise in den vielen „Erin-nerungsschubladen“ der Großhirnrinde nieder-gelegt und von dort gegebenenfalls wieder abgerufen werden.

• Sind wir mit einer Situation konfrontiert,die irgendwie für uns wichtig ist (z. B. Handlungs-entscheidungen abfordert), dann wird unseremotionales Gedächtnis befragt, ob es Vorer-fahrung mit entsprechenden Situationen gibt. DieAntwort erleben wir als positive oder negativeGefühle, indem die entsprechenden limbischenZentren Informationen in die bewusstseinsfähigeGroßhirnrinde senden. Details fügt dann dieHippocampus-Formation hinzu. Ist der Hippo-campus intakt, die Amygdala jedoch funktions-unfähig, so können Menschen sich an Gescheh-nisse erinnern, empfinden jedoch keine Gefühle(z. B. Furcht), und sie tun dann Dinge, die sievermeiden sollten. Patienten mit einer Störungdes Hippocampus und einer intakten »»»

• Der Verstand sagt, wir sollen dieses tunund jenes lassen, die Gefühle veranlassen uns(zu) oft zum Gegenteil. Deshalb heißt es:Gebrauche deinen Verstand, beherrsche deineGefühle! Zugleich sind für die meisten MenschenGefühle auch das Einzige, was das Leben lebens-wert macht. Wie passt dies zusammen? DieseFrage stellen sich Psychologen, Psychiater undseit einiger Zeit auch Hirnforscher.

• Gefühle werden von Gehirnzentren hervorgebracht und kontrolliert, die zum limbi-schen System gehören. Für das Negative, fürFurcht, Angst, Enttäuschung, ist vornehmlich dieAmygdala zuständig; für das Positive, Beglücken-de und Lustvolle sind es vor allem das ventraletegmentale Areal und der Nucleus accumbens.Beide signalisieren die Bedeutungshaftigkeit vonEreignissen. Die Details des leid- und lustvollenGeschehens werden allerdings nicht hier, sondernim deklarativen, bewusst berichtbaren Gedächtnis-system gespeichert. Sein Organisator ist die

Das emotionale Gedächtnis

Gerhard Roth, Ursula Dicke: Wie Gehirn,Verstand und Gefühle

im limbischen System zusammenspielen

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Institut für Hirnforschung (Abteilung für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie)

links: die menschliche Großhirnrinde mit wichtigen Unterteilungen und Funktionen;rechts: Längsschnitt durch das Gehirn mit den wichtigsten limbischen Zentren, wo positive (Nucleus accumbens, Ventrales Tegmentales Areal) und negative Gefühle (Amygdala) entstehenund wo die Gedächtnisorganisation (Hippocampus), die Aufmerksamkeits- undBewusstseinssteuerung (Locus coeruleus, Thalamus) und die vegetativen Funktionen(Hypothalamus) loaklisiert sind.

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• Diese Erkenntnisse sind außerordentlichwichtig für ein besseres Verständnis menschlichenHandelns und der Grenzen und Möglichkeiten,dieses Handeln zu verändern, z. B. in der Schule,durch Erziehung oder im Bereich der Personal-führung. Zugleich haben sie auch große tech-nische Bedeutung. Informatik und Robotik sindseit längerem daran interessiert, Roboter zubauen, die die Folgen ihres Verhaltens bewertenund diese Bewertungen im Gedächtnis abspei-chern können, also zur Selbstevaluation fähigsind. Dies wiederum wird als Voraussetzung fürdie Fähigkeit zur Selbststeuerung angesehen(„autonome“ Roboter). Allerdings ist es hierunmöglich, das limbische System des Menschenoder von Säugetieren mit großen Gehirnen technisch zu realisieren. Daher bietet sich hier dasgenaue Studium „kleiner“ limbischer Systeme an,wie sie sich bei Kleinsäugern und Amphibienfinden.

• In der Abteilung für Verhaltensphysiologieund Entwicklungsneurobiologie untersuchenWissenschaftler den Aufbau und die Funktion deslimbischen Systems als Entstehungsort vonAffekten und Emotionen und deren Wechsel-wirkung mit kognitiven Leistungen sowie die sichdaraus ergebenden Wirkungen auf die Hand-lungssteuerung und den Wissenserwerb. Ein weiteres Arbeitsfeld ist die Frage, wie sich dieseErkenntnisse technisch in der Informatik und derRobotik umsetzen lassen. •••

Das emotionale Gedächtnis, Forts.

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Professor Dr. Dr. Gerhard Roth, Universität Bremen, Institut für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie,

Gebäude NW 2, Leobener Straße, D-28359 Bremen, Tel.: ++49 421 218-3692, Fax: ++49 421 218-4549,

[email protected]; HD Dr. Ursula Dicke, Tel.: ++49 421 218 3140, Fax: ++49 421 218 4549, [email protected];

Information

Amygdala haben vor Dingen Furcht, ohne zuwissen, weshalb. Durch Dauerstress kann derHippocampus stark geschädigt werden. Daskönnte die Umwandlung von konkreter Furcht indiffuse, „namenlose“ Angst erklären.

• Ohne das limbische Bewertungssystem,das alle Wirbeltiere in sich tragen, wären wirüberlebensunfähig. Es beginnt seine Arbeit bereitsvor der Geburt und setzt sie verstärkt in denersten Wochen, Monaten und Jahren unseresLebens fort, – in einer Zeit also, in der die wich-tigsten Dinge passieren. In dieser Weise formensich Charakter oder Persönlichkeit sehr früh undweitestgehend vorbewusst und werden zuneh-mend resistent gegen spätere Erfahrungen.

• Wozu aber haben wir überhaupt einebewusstseinsfähige vernünftige Großhirnrinde,wenn doch alles emotional und überwiegendunbewusst entschieden wird? Die Antwort hier-auf lautet: Der bewusstseinsfähige Cortex wirdimmer dann eingeschaltet, wenn es darum geht,Geschehnisse in größeren Details zu verarbeitenoder verschiedenartige Gedächtnisinhalte zusam-menzufügen, und wenn es um komplexeHandlungsplanung geht – also um all die Fälle,für die das Gehirn keine fertigen Rezepte parathat. Dennoch bleibt die Tatsache, dass das limbische System das letzte Wort hat. Dies istbiologisch sinnvoll, denn so wird garantiert, dasswir dasjenige tun, was sich in unserer gesamtenErfahrung bewährt hat. Gefühle sind dieseGesamterfahrung in konzentrierter Form; siekönnte in entsprechenden Details niemals bewusst repräsentiert werden. Der für uns oftleidvolle Widerstreit zwischen Verstand undGefühlen wird von unserer biologischen Natur –gefühllos – in Kauf genommen.

• Unser Organismus wird in jedem Augen-blick mit einer Vielzahl von Reizen und Informa-tionen konfrontiert, die unter Umständen wichtigfür das Verhalten sein können und eine schnelleund adäquate Reaktion erfordern. Die Kapazitätunseres Gehirns, Informationen zu verarbeiten, istjedoch begrenzt. Deshalb hat sich unser Gehirnim Verlauf der Evolution Strategien angeeignet,um nur aktuell bedeutungsvolle Reize zu verar-beiten und unwichtige Reize bzw. Informationenzu unterdrücken. Diese Unterdrückung von

unwesentlichen Reizen oder falschenHandlungsalternativen geschieht in einemProzess der Selektion und Bewertung. Er

läuft in der Regel hoch automatisiert undunbewusst ab. Erst wenn dieser Prozessder Inhibitionskontrolle durch Fehlfunk-

tionen oder Erkrankungen des Gehirns beein-trächtigt ist – wie etwa bei Schädel-Hirnverlet-

zungen nach Autounfällen, beim Aufmerksam-keitsdefizitsyndrom im Kindes- und Erwachsenen-alter, bei schizophrenen Psychosen, bei der Hun-tington’schen Erkrankung sowie vielen weiterenneurologischen und psychiatrischen Störungs-bildern –, wird uns schmerzlich bewusst, wiewichtig die Unterdrückung irrelevanter Informa-

Erfolgreich handeln heißt falsche Entscheidungen vermeiden

Manfred Herrmann: Emotionen spielen bei der Informationsverarbeitung

im Gehirn eine wichtige Rolle

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Institut für Kognitive Neurowissenschaften

tionen ist. Erfolg ist daher nicht die Summerichtiger Entscheidungen, sondern das Resultatder erfolgreichen Unterdrückung falscher Ent-scheidungen.

• In der Abteilung für Neuropsychologieund Verhaltensneurobiologie des Instituts fürKognitive Neurowissenschaften werden unteranderem die neuronalen Mechanismen unter-sucht, mit welchen das menschliche Gehirn inder Lage ist, falsche Entscheidungen zu unter-drücken und Fehler zu kontrollieren. Dazu wer-den verschiedene Methoden eingesetzt. Sieerlauben entweder eine genaue Lokalisation(funktionelle Magnetresonanztomografie) odereine zeitlich hochauflösende Darstellung (Mag-netenzephalografie oder Elektroenzephalografie)der zugrundeliegenden Hirnaktivität.

• Neuere Untersuchungen haben ergeben,dass es entgegen bisheriger Annahmen nichteine Instanz zur Fehlerkontrolle im Gehirn gibt, sondern dass in Abhängigkeit von der Aufgabemehrere Netzwerke aktiv werden. Die neuro-wissenschaftliche Forschung der letzten Jahre hatauch gezeigt, dass viele Entscheidungen schon

Untersuchung imKernspintomografen:Während die Probandin in der „Röhre“ über einSpiegelsystem Aufgaben löst, wird dieGehirnaktivität gemessen.

getroffen bzw. unterdrückt werden, noch bevordiese überhaupt bewusst wahrgenommen wer-den. Hier spielt insbesondere der emotionaleGehalt der Informationen – aber auch der emotionale Grundzustand des Handelnden – einebesondere Rolle. Die besondere Rolle vonEmotionen bei der erfolgreichen Unterdrückungfalscher Handlungsalternativen wird daher in denkommenden Jahren in der wissenschaftlichenBetrachtung an Bedeutung gewinnen. •••

Erfolgreich handeln, Forts.

Professor Dr. Dr. Manfred Herrmann, Universität Bremen, Institut für Kognitive Neurowissenschaften, Abteilung Neuropsychologie/

Verhaltensneurobiologie, Grazer Str. 6, D-28359 Bremen, Tel.: ++49 421 218-8225, Fax: ++49 421 218-4408,

[email protected]

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Information

Funktionelle Magnetresonanztomografie während einer Aufgabe zur Kontrolle irrelevanterHandlungen: Gelb dargestellt sind Gehirnareale im mittleren Anteil des Stirnhirns, die bei derEntdeckung von Fehlern aktiv sind.

Aufmerksamkeit: Das Tor zum Bewusstsein

Andreas Kreiter: Die komplexen kognitiven Leistungen des menschlichen Gehirns

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• Die meisten Menschen kennen wohlSituationen, in denen sie von der schieren Mengegleichzeitig auf sie einwirkender Informationschlicht überfordert werden und möglicherweisefür kurze Zeit sogar die Orientierung zu verlierendrohen. So geht es dem Autofahrer, der imSchilderwald des Verkehrskreisels nicht nur dierichtige Abzweigung finden muss, sonderngleichzeitig durch Fahrzeuge vor ihm und viel-leicht eine Straßenbahn, die denselben Kreiseldurchfährt, in Anspruch genommen wird, und derdann beim Rechtsabbiegen den von hinten her-ansausenden Radfahrer „übersieht“. Oder demSchulkind, das von der letzten Tischreihe aus nurschwer die zu klein geratene Beispielrechnung zuentziffern vermag, aber gleichzeitig über dasGetuschel der Mitschüler hinweg den mündlichenErläuterungen des Lehrers folgen soll.

• Die Menge an Informationen, die aufden Menschen einströmen, ist um ein Vielfacheshöher, als sein Gehirn gleichzeitig zu verarbeitenvermag. Erfolgreiches Handeln setzt daher vor-aus, dass das Gehirn in jedem Moment die einge-hende Information prüft: Was ist wichtig? Oderkönnte in Kürze wichtig sein? Was ist unwichtig?

Institut für Hirnforschung (Abteilung Theroretische Neurobiologie)

Was wird weiterverarbeitet und was nicht? DieseAuswahl wird durch das Aufmerksamkeitssystemvorgenommen, meist ohne dass wir uns dessenexplizit bewusst werden. Dieses System folgtdabei bestimmten inneren Regeln: so scheinensich verändernde Reize in unserer Umweltzunächst einmal interessant und werden mithoher Wahrscheinlichkeit weiter verarbeitet,während unveränderte Information tendenzielluninteressant ist und nur wenig Verarbeitungs-ressourcen zugewiesen bekommt. Das Aufmerk-samkeitssystem sorgt wie ein Torwächter dafür,dass die begrenzten Verarbeitungskapazitäten desGehirns für die tatsächlich verhaltensrelevanteInformation verfügbar sind. Doch wie bewerk-stelligt unser Gehirn diese enorme Leistung? Wiegelingt es, zu jedem beliebigen Zeitpunkt aus derGesamtheit verfügbarer Information die für unswichtige heraus zu filtern? Welche neuronalenMechanismen sorgen dafür, dass uns bestimmteReize „bewusst“ werden, während andere„unbewusst“ bleiben?

• In der Abteilung für Theoretische Neuro-biologie des Instituts für Hirnforschung unter-suchen Wissenschaftler mit modernsten neuro-wissenschaftlichen Methoden, wie komplexekognitive Leistungen auf Ebene einzelnerNervenzellen, d. h. der „Bausteine“, aus denenjedes Gehirn zusammengesetzt ist, funktionieren.Wie z. B. ändert sich das Aktivitätsmuster einerNervenzelle oder einer kleinen Gruppe vonNervenzellen, wenn sie durch einen Reiz aktiviertwerden, der mit Aufmerksamkeit belegt ist? Istder Sehvorgang abhängig von der Art, wie wirunsere Aufmerksamkeit verteilen?

• Genau diese Vermutung hat sich in denletzten Jahren mehr und mehr bestätigt. Studienin verschiedenen Gebieten des visuellen Kortexes,der aus mehr als dreißig unterscheidbarenArealen besteht, haben gezeigt, dass das Auf-merksamkeitssystem die Aktivität von Zellen inspezifischer Weise verändert, abhängig davon, obder visuelle Reiz, an dessen Verarbeitung die Zelle

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Aufmerksamkeit, Forts.

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beteiligt ist, verhaltensrelevant oder verhaltensir-relevant ist. Insbesondere scheint die koordinierteAktivität großer Gruppen von Neuronen durchAufmerksamkeit verändert zu werden: In derAbteilung wird die Hypothese verfolgt, dassNeurone, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ander Verarbeitung desselben Objektes beteiligtsind, sich dadurch als zusammen gehörig kenn-zeichnen, dass sie ihre elektrischen, etwa eine Millisekunde andauernden Signale zum exakt selben Zeitpunkt geben. Solche synchronenEntladungen erfolgen häufig in einem Rhythmusvon etwa 40 bis 60 Ereignissen pro Sekunde undwerden als Gamma-Band Oszillationen bezeich-net. Am Institut für Hirnforschung habenWissenschaftler gezeigt, dass Aufmerksamkeitdiese präzisen zeitlichen Beziehungen zwischenden Neuronen beeinflusst, und zwar derart, dassgamma-oszillatorische Aktivität weitaus stärkerausgebildet wird, wenn die beteiligten Neuroneneinen mit Aufmerksamkeit belegten Reiz verar-beiten, während die Synchronisation von Neu-ronen, die einen nicht mit Aufmerksamkeit belegten Reiz verarbeiten, allgemein abnimmt.

• Welche Bedeutung haben solche oszilla-torischen Aktivitätsmuster im Gehirn? Aus derpsychologischen Literatur ist bekannt, dass nurmit Aufmerksamkeit bedachte Inhalte in dasBewusstsein dringen können. Der Nachweis, dassdurch selektive Aufmerksamkeit die zeitlichenAktivitätsmuster im Gehirn beeinflusst werden,begründet die Vermutung, dass diese zeitlichenAktivitätsmuster – eben jene synchronen gamma-oszillatorischen Entladungen – in engemZusammenhang mit Prozessen der bewusstenWahrnehmung stehen.

Information Professor Dr. Andreas Kreiter, Universität Bremen, Institut für Hirnforschung, Abteilung für Theoretische Neuobiologie,

Biologischer Garten, Hochschulring 16 a, D-28359 Bremen, Tel.: ++49 421 218-9086, Fax: ++49 421 218-9004,

[email protected]

• Diese Schlussfolgerung hat wichtigeImplikationen für jüngere klinische Studien, indenen nachgewiesen wurde, dass schizophrenePatienten, die unter halluzinatorischen Wahr-nehmungen leiden, oft übermäßig starke gamma-oszillatorische Aktivitätsmuster auf-weisen. Die neueren Ergebnisse aus Bremenbegründen die Vermutung, dass zwischen derEntstehung dieser scheinbaren Wahrnehmungenund den krankhaft verstärkten oszillatorischenGamma-Aktivitäten der Neurone ein konkreterZusammenhang besteht. •••

Ist der Sehvorgang abhängig von der Art, wie wir unsereAufmerksamkeit verteilen? Genau diese Vermutung hat sich inden letzten Jahren mehr und mehr bestätigt. Das zeigenBremer Untersuchungen der oszillatorischen Aktivitätsmusterim Gehirn.

vielfältiger Verfahren der Signalanalyse wird so inden EEG-Messdaten nach den ordnenden Struk-turen gefahndet und nach denen, die für Wechselzwischen verschiedenen Ordnungszuständen verantwortlich sind – wie im Falle des Necker-Würfels, bei dem das Ringen der Wahrnehmungum die Wahrnehmungsalternativen ständig präsent ist.

• Aufschluss über mögliche genetischeDeterminanten der Wahrnehmung soll dieAnalyse der Hirnaktivität (EEG) bei eineiigenZwillingen während multistabiler Wahrnehmunggeben. Weiterhin werden klinische Studien zurmultistabilen Wahrnehmung bei Menschen mitpsychotischen Erfahrungen durchgeführt, um zuerforschen, ob ihren veränderten Wahrnehmun-gen ein gestörtes Zusammenspiel der Gehirn-aktivität zugrunde liegt. •••

Das Ringen um die Wahrnehmung

Canan Basar-Eroglu, Michael Aurel Stadler, Günter Vetter: Wahrnehmen und

erkennen oder wie wir unsere Wahrnehmung organisieren

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• Wenn wir uns in dem Raum umschauen,in dem wir uns gerade befinden, dann nehmenwir ihn eindeutig wahr: die Ecken des Raumes,seine Höhe und Tiefe. Auch wenn uns dieseWahrnehmung als geradezu zwingend erscheint,beruht sie doch auf einer ständigen ordnungs-bildenden Leistung. Das wird besonders bei derAnschauung sogenannter „multistabiler“ Bilderdeutlich. Nahezu alle Menschen, die z. B. denNecker-Würfel (im Bild) betrachten, sehen einenständigen Wechsel der Vorder- und Rückseite desperspektivischen Würfels. Trotz dieser einfachenBildvorlage ist unsere Wahrnehmung zu einereindeutigen Sicht nicht in der Lage. Es gibt eineVielzahl derartiger mehrdeutiger oder multista-biler Muster. Eines der bekanntesten ist die abgebildete Zeichnung einer Frau: Ist dies einealte Frau mit ausgeprägter Nase oder eine jungeFrau, die den Blick abwendet?

• Bilder dieser Art sind sehr bedeutsam fürdas Verständnis der visuellen Wahrnehmungs-organisation. Denn es gibt viele Umweltreize,deren räumliche Orientierung und Zusammen-gehörigkeit zu einer Gestalt unsere Wahrneh-mung erst herstellen muss. Diese Organisations-und Ordnungsbildungsprozesse werden amInstitut für Psychologie und Kognitionsforschunguntersucht: Die Hirnaktivität wird per EEGwährend der Betrachtung multistabiler Mustergemessen.

• Anschließend werden die Signale analy-siert. Den Methoden dieser Analyse liegt dieAnnahme zugrunde, dass die EEG-Ströme, diemittels aufgeklebter Elektroden auf der Kopfhautgemessen werden, das Echo der darunter liegen-den Neuronenverbände darstellen, ähnlich derGeräuschkulisse in einer Bahnhofshalle, der manaus einer gewissen Entfernung zuhört. Obwohlwir nur Gemurmel hören, wissen wir doch, dasshier viele sinnvolle Gespräche stattfinden. Mittels

Professor Dr. Canan Basar-Eroglu, Universität Bremen, Institut für Psychologie und Kognitionsforschung, Grazer Str. 4,

D-28359 Bremen, Tel.: ++49 421 218-2360, Fax: ++49 421 218-4600, [email protected]

Information

Institut für Psychologie und Kognitionsforschung

Junge oder alte Frau?

Necker-Würfel

Texterkennung und Beitragsklassifikation reicht,um automatisch Informationen zu gewinnen.Diese Methoden der automatischen Indexierungbilden zusammen mit der immer noch unver-meidlichen manuellen Annotation von Video-sequenzen die Basis für Indexing- undArchivierungssysteme für multimediale Archive. Routinetätigkeiten von Archivaren werden vomSystem übernommen, und die manuelleAnnotation kann signifikant beschleunigt werden.

• Die Wissenschaftler am TZI arbeitenauch an der Weiter- und Neuentwicklung vonIndexierungsmethoden von Nachrichtensendun-gen und von Management- und Suchtechnolo-gien für große Datenbestände. Der Fokus liegtauf einer semantisch signifikanten Segmentierungder Nachrichten, die eine effektive Suche imArchiv erst möglich macht. Die Forschungen desBereichs Bildverarbeitung kommen auch Blindenund Sehbehinderten zugute. So werden z. B.Torten- und Balkendiagramme bzw. technischeZeichnungen wie elektronische Schaltkreise oderarchitektonische Grundrisse in einem semi-auto-matischen Prozess mit Methoden der Bild- undWissensverarbeitung inhaltlich interpretiert undin speziellen Anwendungen durch Sprachausgabeund Klangeffekte „übersetzt“. AutomatischeBildanalysen sind für unterschiedlichste wissen-schaftliche Zwecke einsetzbar. So wurde z. B. fürProjekte der Polar- und MeeresforschungVideomaterial ausgewertet und in Geoinforma-tionssystemen weiterverarbeitet. •••

Die semantische Analyse von Bildern und Videos

Otthein Herzog: Die Rolle der Bildverarbeitung für die Hirnforschung

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• Die Bildersuche in millionenfachen Daten-sätzen – das war bislang nur in textueller Formüber einzelne Suchbegriffe bw. die Volltextsuchein Suchmaschinen möglich. Mittlerweile könnenaber auch Bilder mit Bildern gesucht werden –mit einem intelligenten Retrieval- undManagement-System, wie es der PictureFinderinsbesondere für große Bilddatenbanken darstellt.Das System schafft die Möglichkeit der grafi-schen Bildsuche: Die Anfrage kann per Skizze desgesuchten Bildes, die aus farbigen oder struktu-rierten Flächen besteht, erfolgen oder anhandeines Beispielbildes. Der PictureFinder wurdebereits mit einer Million Bildern bei einem dergrößten deutschen Bilddatenanbieter getestet.

• Das System ist ein Ergebnis der Arbeitenam Bereich Bildverarbeitung des Technologie-Zentrums Informatik (TZI). Es beschäftigt sichvorwiegend mit der semantischen Analyse vonBildern und Videos, wobei besonders Methodender Wissensverarbeitung und kognitiv begründeteBildverarbeitungsmethoden eingesetzt werden.Diese Kombination von symbolischen und sub-symbolischen Methoden erlaubt eine semantischeInterpretation von Bildern, aber auch von Videos.Dabei werden folgende Techniken und Methodenangewandt: die Analyse von Grau- und Farb-bildern bzgl. Farbe, Textur und Kontur, dieGrauwert-, Farbbild- und Textursegmentierung,die Kantendetektion und Geometrieformerkennung,die Bildfolgen- und Videoszenenanalyse, dieBewegungsanalyse, die Wissenrepräsentation und -verarbeitung mit Hilfe attributierter Graph-Grammatiken und hypothesengesteuerterInferenzprozesse sowie die modellbasierteObjektlageerkennung.

• Ein Fokus der Forschung liegt auf Bild-folgen, den Videos. Dabei wird eine Vielfalt vonMethoden genutzt, die von Kamera- undObjektbewegungen über Sprachanalyse bis zur

Professor Dr. Otthein Herzog, Technologie-Zentrum Informatik, Bereich Bildverarbeitung, Am Fallturm 1, Eingang D oder E,

D-28359 Bremen, Tel.: ++49 421 218-7089, Fax: ++49 421 218-7196, [email protected]

Information

Technologie-Zentrum Informatik (Bereich Bildverarbeitung)

tät der sozialen Beziehungen. Paviane leben z. B.in einem komplexen Sozialgefüge und haben dengrößten Cortex der Altweltaffen. Ebenso findetsich eine Korrelation zwischen der Cortexgrößeund dem Einsatz von Täuschung und Betrug ineiner Affengemeinschaft.

• Zu den Eigenschaften, die traditionell nurdem Menschen zugeschrieben werden, gehörenEinblick in die Mechanismen bei Werkzeug-herstellung/-gebrauch, Imitation, Täuschung,Bewusstsein, Sprache oder auch die Empathie.Menschenaffen besitzen aber zumindest einigeSpielarten von Bewusstsein, und sie, ebenso wieDelfine, erkennen sich im Spiegel. Menschenaffenund Rabenvögel zeigen einsichtiges Verhalten beiWerkzeugherstellung und -gebrauch. Dabei imitieren Menschenaffen Verhaltensweisen nichtdetailgetreu, sondern überwiegend auf derProgrammebene, bei der ein Ziel auf verschiede-ne Art und Weise erreicht werden kann. »»»

Der Mensch – Krone der Schöpfung?

Ursula Dicke, Gerhard Roth: Hirnevolution und Intelligenz – Die Intelligenzleistungen

von Tieren sind erstaunlich

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• Die Diskussion über die Beziehung vonGehirn und Intelligenz wird durch Berichte übererstaunliche Intelligenzleistungen von Tierenimmer wieder neu angefacht. Wie lässt sich tierliche Intelligenz definieren und messen?Mentale Flexibilität und Verhaltensflexibilität eignen sich am ehesten dazu, denn sie können im Labor und in der Umwelt untersucht und beobachtet werden. Bei den Landwirbeltierenerscheinen Säugetiere und Vögel besonders intelligent; bei Vögeln sind es Rabenvögel,Papageien und Eulen, und bei Säugetieren Affen,Wale und Delfine. Deren Intelligenz ist offenbarunabhängig voneinander entstanden, und diesspricht gegen eine einzige evolutionäre Linie vonIntelligenz, die im Menschen gipfelt.

• Menschen haben entgegen landläufigerMeinung weder absolut noch relativ zur Körper-masse das größte Gehirn bzw. die größte Hirn-rinde (Cortex). Sie besitzen aber auf Grund derCortexdicke und relativ höheren Zelldichte diegrößte Neuronenzahl, nämlich rund zwölfMilliarden. Das ist auch nicht deutlich mehr alsbei Elefanten und Walen. Vermutlich verarbeitetder menschliche Cortex wegen der höherenLeitungsgeschwindigkeit und der geringerenDistanz zwischen Neuronen Informationen ameffizientesten – offenbar eine wichtige Grundlagefür die generelle kognitive Überlegenheit desMenschen gegenüber den Tieren. Hier gibt esjedoch eindrucksvolle Spezialisierungen, beidenen intelligentes Verhalten mit räumlicherOrientierung korrespondiert.

• Ein viel zitiertes Beispiel hierfür ist dieGröße des Hippocampus bei Vögeln und Säuge-tieren. Die Korrelation ist aber nur schwach.Vögel, die Nahrung verstecken, zeigen keine bes-sere Leistung in räumlichen Orientierungstests alsandere Vögel, und sie haben auch nicht immerden größten Hippocampus. Besser korreliert beiden Säugern die Cortexgröße mit der Komplexi-

Institut für Hirnforschung (Abteilung für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie)

Schlauer Rabe: Betty zieht mit einem Draht ein metallenes Futtergefäß aus einer Plastik-röhre. Den Draht hat sie sich zuvor passendzurecht gebogen.

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• In der Abteilung für Verhaltensphysiologieund Entwicklungsneurobiologie untersuchen dieWissenschaftler unterschiedliche Wirbeltier-gruppen (z. B. Amphibien, Fische, Säugetiere) inihrem Verhaltensrepertoire und ihre kognitivenLeistungen und vergleichen diese mit struk-turellen und funktionellen Eigenschaften ihrerGehirne. Dies liefert einen wichtigen Beitrag zumVerständnis des Baues und der Funktion desmenschlichen Gehirns und seiner Evolution sowiefür Anwendungen in der Robotik. •••

Der Mensch, Forts.

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• Ein Verständnis dafür, dass ein anderesIndividuum auch eine falsche Vorstellung vonetwas haben kann, ist im Ansatz bei Schimpansenvorhanden. Schimpansen und auch Gorillas undDelfine können Drei-Wort-Sätze verstehen undbenutzen. Ein einfaches semantisches Spracharealist also nicht einzigartig für Menschen; ob Men-schenaffen ein syntaktisch-grammatikalischesSprachareal haben, ist heftig umstritten. DiesesBroca-Areal ist beim Menschen auch bei Hand-und Mundbewegungen aktiv; solche Aktivie-rungen wurden ebenfalls bei den Spiegelneu-ronen in Makakengehirnen gefunden. Ungeklärtist, ob die Wurzeln der Sprache in der vokalen,affektiv-emotionalen Kommunikation, in der visuellen Kommunikation mit Gesten undNachahmung oder in einer Kombination beiderliegen.

• Diese Forschungsergebnisse zeigen, dasses für intelligente Leistungen von Tieren undMensch hirnanatomische und hirnphysiologischeKorrelate gibt. Dies gilt vor allem für spezielleEigenschaften der Endhirnrinde (Cortex, Pallium),die sich aus der Verknüpfungsstruktur undVerknüpfungsdynamik der dort angesiedeltenneuronalen Netzwerke ergeben. Zum einenrücken sie den Menschen mit seinen scheinbareinzigartigen Fähigkeiten in die Nähe der Tiere:Die Unterschiede sind überwiegend quantitativund nicht qualitativ. Zum anderen bildet eintieferes Verständnis dieser Eigenschaften dieGrundlage für vielfältige technische Anwen-dungen, z. B. in der Informationstechnologie, beider Mensch-Maschine-Interaktion und bei derEntwicklung von „intelligenten“ Robotern. Beidieser „Rekonstruktion“ bieten sich insbesondereauch kleine, d. h. wenige Millionen und nichtviele Milliarden umfassende Netzwerke an, wiesie sich etwa bei Amphibien finden.

HD Dr. Ursula Dicke, Universität Bremen, Institut für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie, Gebäude NW 2,

Leobener Straße, D-28359 Bremen, Tel.: ++49 421 218 3140, Fax: ++49 421 218 4549, [email protected]; Professor Dr. Dr.

Gerhard Roth, Tel.: ++49 421 218-3692, Fax: ++49 421 218-4549, [email protected]

Information

Intelligenter Affe: Ein weiblicherKapuzineraffe benutzt einen Stein alsHammer und einen Felsen als Amboss, umeine Palmennuss zu öffnen.

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