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©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“ Stand 07/07 Seite 1 von 43 Skript zum Thema „Neurologie für Rettungssanitäter und -assistentenAnatomie, Physiologie und ausgewählte Pathophysiologie von Andreas Fangmann (Stand: Juli 2007) Gliederung 1. EINLEITUNG 2. ANATOMIE 2.1 Zentrales und peripheres Nervensystem 2.1.1 Zentrales Nervensystem 2.1.1.1 Gehirn 2.1.1.1.1 Großhirn (Telencephalon) 2.1.1.1.2 Zwischenhirn (Diencephalon) 2.1.1.1.3 Mittelhirn (Mesencephalon) 2.1.1.1.4 Brücke und Verlängertes Rückenmark (Pons und Medulla oblongata) 2.1.1.1.5 Kleinhirn (Cerebellum) 2.1.1.2 Hirnhäute 2.1.1.3 Arterielle Versorgung 2.1.1.4 Venöser Abfluss 2.1.1.5 Ventrikelsystem 2.1.1.6 Rückenmark 2.1.2 Peripheres Nervensystem 2.1.2.1 Hirnnerven 2.1.2.2 Spinalnerven 2.1.2.3 Plexus mit Dermatome 2.2 Morphologie der Nervenzelle 3. PHYSIOLOGIE 3.1 Vegetatives Nervensystem 3.2 Afferenzen / Efferenzen 3.3 Ruhemembranpotential 3.4 Aktionspotential 3.5 Chemische Reizweiterleitung 3.6 Reflexe 4. PATHOPHYSIOLOGIE 4.1 Neurologische Diagnostik 4.2 Das Bewusstsein 4.3 SHT (Commotio/Contusio/Compressio cerebri) 4.4 Blutungen 4.4.1 Epidurales Hämatom 4.4.2 Subdurales Hämatom 4.4.3 Subarachnoidale Blutung 4.4.4 Intrazerebrale Blutung 4.5 Apoplex (Schlaganfall) 4.6 Krampfanfälle (Epilepsie und andere Ursachen)

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©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“

Stand 07/07 Seite 1 von 43

Skript zum Thema

„Neurologie für Rettungssanitäter und -assistenten“ Anatomie, Physiologie und ausgewählte Pathophysiologie

von Andreas Fangmann (Stand: Juli 2007)

Gliederung

1. EINLEITUNG

2. ANATOMIE

2.1 Zentrales und peripheres Nervensystem

2.1.1 Zentrales Nervensystem

2.1.1.1 Gehirn

2.1.1.1.1 Großhirn (Telencephalon)

2.1.1.1.2 Zwischenhirn (Diencephalon)

2.1.1.1.3 Mittelhirn (Mesencephalon)

2.1.1.1.4 Brücke und Verlängertes Rückenmark (Pons und

Medulla oblongata)

2.1.1.1.5 Kleinhirn (Cerebellum)

2.1.1.2 Hirnhäute

2.1.1.3 Arterielle Versorgung

2.1.1.4 Venöser Abfluss

2.1.1.5 Ventrikelsystem

2.1.1.6 Rückenmark

2.1.2 Peripheres Nervensystem

2.1.2.1 Hirnnerven

2.1.2.2 Spinalnerven

2.1.2.3 Plexus mit Dermatome

2.2 Morphologie der Nervenzelle

3. PHYSIOLOGIE

3.1 Vegetatives Nervensystem

3.2 Afferenzen / Efferenzen

3.3 Ruhemembranpotential

3.4 Aktionspotential

3.5 Chemische Reizweiterleitung

3.6 Reflexe

4. PATHOPHYSIOLOGIE

4.1 Neurologische Diagnostik

4.2 Das Bewusstsein

4.3 SHT (Commotio/Contusio/Compressio cerebri)

4.4 Blutungen

4.4.1 Epidurales Hämatom

4.4.2 Subdurales Hämatom

4.4.3 Subarachnoidale Blutung

4.4.4 Intrazerebrale Blutung

4.5 Apoplex (Schlaganfall)

4.6 Krampfanfälle (Epilepsie und andere Ursachen)

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Stand 07/07 Seite 2 von 43

1 EINLEITUNG

Dieses Skript ist geschrieben für all diejenigen, die sich entschieden haben, mehr über die

Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Nervensystems zu erfahren. Es hegt nicht

den Anspruch auf allumfassende Vollständigkeit sondern soll vielmehr als Grundlage

verstanden sein, um sich näher mit diesem Thema auseinander setzten zu können. Wer als

Rettungssanitäterin/er dieses Skript verinnerlicht hat, bringt die besten Voraussetzungen mit,

die Neurologie des Menschen zu verstehen und im rettungsdienstlichen Alltag bei

neurologischen Erkrankungen die Leistung zu bringen, die die Patienten von

rettungsdienstlichem Personal erwarten dürfen.

Wie bei anderen Thematiken bietet sich auch hier die grobe Gliederung in die Blöcke

Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie an. Die exakte Einteilung ist der Gliederung zu

entnehmen.

Ich wünsche euch beim Lernen viel Spaß und Erfolg und appelliere an eure Motivation und

Ausdauer, denn nur so ist die Komplexität der Medizin auch nachhaltig zu verstehen. Lasst

euch nicht entmutigen, wenn ihr der Meinung seid, hinterher noch mehr offene Fragen zu

haben als vorher. Nehmt diese offenen Fragen an und versucht sie durch Selbststudium zu

beantworten. Ihr werdet sehen, dass Ihr vorankommt. Ein Ende aber wird es bei euren

Lernbemühungen nie geben, denn dafür ist die Medizin viel zu lebendig. Aber genau das ist

es, was sie so faszinierend macht.

Für konstruktive Kritik und Anregungen eurerseits bin ich stets dankbar. Dies bezieht sich

sowohl auf inhaltliche als auch auf stilistische Aspekte. Auf diesem Weg ist es möglich,

dieses Skript zu verbessern und zu vervollständigen, was den nachfolgenden Schülerinnen

und Schülern zugute kommt.

Der Begriff Neurologie leitet sich ab von den Begriffen neuron (gr.) = der Nerv und dem

Suffix lógos (gr.) = die Lehre, die Wissenschaft, und definiert somit die Lehre und das

Wissen über die Nerven. Was sind denn eigentlich Nerven und wozu dienen sie? Nun, die

Antwort ist schnell gegeben. Die Nerven sind spezielle Körperzellen (entwicklungsgeschicht-

lich ektodermalen Ursprungs), die hauptsächlich für die Informationsaufnahme, -weiterleitung

und –verarbeitung zuständig sind. Das Nervensystem ist an der Regulation, Koordination und

Kotrolle praktisch aller Körpervorgänge beteiligt. Darüber hinaus ist es auch befähigt,

Hormone zu produzieren (neuroendokrine Zellen), worauf ich hier aber nur kurz eingehen

möchte. Wer mehr über Endokrinologie, dem zweiten Informationsweg des Körpers neben

dem der elektrischen Impulsweiterleitung, erfahren möchte, dem empfehle ich mein Skript

„Hormonsysteme“ für Rettungsassistentinnen/en. Im Gegensatz zur hormonellen (humoralen)

Informationsweiterleitung ist die neuronale um ein Vielfaches schneller und ermöglicht so

z.B. über Reflexbahnen (s. 3.6) Körperreaktionen innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde.

Wie es der Körper schafft, externe bzw. interne chemische, mechanische, elektromagnetische

oder thermische Reize in elektrische Impulse umzuwandeln und diese dann wiederum in

Reaktionen zu dekodieren, wird im Teil „Physiologie“ behandelt.

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2 ANATOMIE

» Mediziner ohne anatomische Kenntnisse sind wie Maulwürfe: sie arbeiten im

Dunklen und ihre Hände Tagewerk sind Erdhügel « (Prof. Tiedemann (1781 -

1861), Heidelberg)

2.1 Zentrales und peripheres Nervensystem

Wie die meisten übrigen Gewebe wie Bindegewebe, Muskelgewebe etc. kommt auch das

Nervengewebe im ganzen Körper, also ubiquitär, vor. Im Gegensatz zu den anderen aber teilt

sich das Nervensystem in zwei Kompartimente, dem zentralen und dem peripheren

Nervensystem, auf.

2.1.1 Zentrales Nervensystem

Das zentrale Nervensystem ist zweigeteilt. Es besteht zum einen aus dem Gehirn (Encephalon

(gr. = im Kopf gelegen), cerebrum (lat.)) und zum anderen aus dem Rückenmark (Medulla

spinalis (lat.)), welches im Wirbelkanal der Wirbelsäule lokalisiert ist.

2.1.1.1 Gehirn

Das Gehirn ist das wohl geheimnisvollste Organ unseres Körpers. Niemand wird sich

heutzutage anmaßen wollen zu sagen, er habe das Gehirn verstanden. Den Vergleich mit

Hochleistungscomputern braucht das menschliche Gehirn absolut nicht zu scheuen, im

Gegenteil; wahrscheinlich wird es noch sehr lange dauern, bis es Rechner gibt, die annähernd

die Leistung des Gehirns erbringen. Ob dies überhaupt gelingen wird und ob dies tatsächlich

anzustreben ist, mag hier als philosophische Frage im Raum stehen bleiben.

Das Gehirn lässt sich wie folgt unterteilen:

In der Literatur gibt es noch weitere Begriffe, die bestimmte Teilbereiche entsprechend

bestimmter Betrachtungsweisen zu einem Größeren zusammenfassen. Dies führt nicht selten

zu Irritationen, weshalb ich hier kurz darauf eingehen möchte. An weiteren Einteilungen gibt

es die Begriffe des Stammhirns, des Hirnstamms und des Rautenhirns (Rhombencephalon).

GEHIRN:

- Großhirn (Telencephalon)

- Zwischenhirn (Diencephalon)

- Mittelhirn (Mesencephalon)

- Brücke (Pons)

- verlängertes Rückenmark

(Medulla oblongata)

- Kleinhirn (Cerebellum)

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Anatomisch kann man sich das dreidimensionale Gehirn am besten als Gehirnschnitte

betrachten, wobei man immer die gewählte Schnittebene im Auge behalten sollte. Ein CCT

(kraniale Computertomographie) zerlegt den Kopf z.B. in waagerechte Schichtbilder, woraus

man wiederum rechnerunterstützt Frontalbilder kreieren kann. Im Folgenden sind es Schnitte

mit sagittaler Schnittführung.

STAMMHIRN:

- Verlängertes Rückenmark

- Brücke

- Mittelhirn

- Zwischenhirn

HIRNSTAMM:

- Verlängertes Rückenmark

- Brücke

- Mittelhirn

RAUTENHIRN:

- Verlängertes Rückenmark

- Brücke

- Kleinhirn

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Telencephalon

Diencephalon

Mesencephalon

Pons

Medulla oblongata

Cerebellum

Großhirn

Zwischenhirn

Mittelhirn

Pons

Kleinhirn

Medulla

oblongata Medulla

spinalis

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Bei einem Schnitt durch das Gehirn im Sinne einer CT oder MRT (Magnetresonanztomogra-

phie) kann man eine graue Rindensubstanz und eine weiße Marksubstanz unterscheiden. In

der grauen Rinde befinden sich die Zellkörper (Perikaryen) der Nervenzellen (Neurone), in

der weißen Marksubstanz deren Axone (=Neuriten), also die „Telefonleitungen“ zwischen

den Nervenzellen (mehr dazu unter 2.2). Ich weise schon hier darauf hin, dass diese

Einteilung im Rückenmark genau andersherum ist.

WEIßE

Substanz

(Mark)

GRAUE

Substanz

(Rinde)

Graue

Substanz

Weiße

Substanz

Capsula

interna

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2.1.1.1.1 Großhirn (Telencephalon)

Das Großhirn ist in zwei Hälften (Hemisphären) geteilt, die durch ein Blatt der harten Hirn-

haut (Dura mater, s.u.) im Interhemisphärenspalt getrennt werden. Es ist die Struktur, die uns

Menschen maßgeblich von anderen Individuen unterscheidet. Alle anderen Körperfunktionen

sind mehr oder weniger auf die allgemeine Tierwelt projizierbar, nicht jedoch die Leistung

unseres Großhirns. Der aus der Sicht der Evolution permanente Massenzuwachs dieses

Organs verdeutlicht die immense Beanspruchung seiner Funktion. Die Leistungen des

Großhirns prägen unser Denken, Fühlen, Sprechen und Handeln. Ein besonders interessanter

Teil des Großhirns ist das Limbische System. Hierzu gehören Großhirnareale wie der

Hippocampus, Gyrus cinguli, Gyrus parahippocampalis, Corpus amygdaloideum und Corpus

mamillare. Hier werden z.B. folgende Funktionen vollbracht:

Mindestens genau so interessant sind die Basalganglien, ein zentral im Großhirn gelegenes Nervenkerngebiet,

welches für die Regulation der Motorik eine elementare Rolle spielt. Sie steuern das Ausmaß, die Geschwindig-

keit und die Kraft von Körperbewegungen. Zu den Basalganglien gehören:

- Nucleus caudatus und Putamen (zusammen: Striatum)

- Pallidum

- Nucleus subthalamicus

- Substantia nigra (Mittelhirn)

Das Großhirn wird anatomisch in 4 Lappen gegliedert, welche wiederum funktionell

(Brodmann) bzw. nach Hirnwindungen (z.B. Gyrus praecentralis für Motorik, Gyrus

postcentralis für Bewusstsein) unterteilt werden. Die Hirnwindungen sind durch Furchen

(Sulci) unterteilt.

Emotionen Wut Aggression Motivation

Angst Sexualtrieb Gedächtnis etc.

Lachen Weinen Affektver-

halten

LAPPEN DES GROßHIRNS:

- Frontallappen (Lobus frontalis)

- Parietallappen (Lobus parietalis)

- Okzipitallappen (Lobus oczipitalis)

- Temporallappen (Lobus temporalis)

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Die beiden Großhirnhälften können miteinander kommunizieren. Hierfür stehen ihnen

sogenannte Kommissurfasern zur Verfügung, wobei der Balken (Corpus callosum) die

mächtigste Verbindung darstellt. Je nach Veranlagung dominiert eine der beiden

Gehirnhälften (meistens die linke Seite). Da die eine Hälfte eher musisch-nonverbal und die

andere eher rational-intellektuell bzw. verbal-arithmetisch veranlagt ist, ist das einzelne

Individuum je nach Dominanz tendenziell eher so oder so geprägt. Wissenschaftler haben

herausgefunden, dass Frauen zwar grundsätzlich ein kleineres Gehirn haben, die Hemisphären

aber stärker miteinander kommunizieren können. Somit ist das etwas kleinere Gehirn durch

eine bessere Ausschöpfung der Fähigkeiten locker kompensiert.

Auch die Gehirnareale einer Hemisphäre sind miteinander über Nervenfasern verbunden.

Diese bezeichnet man als Assoziationsfasern. Nervenverbindung von oberflächlichen zu

tiefer gelegenen Arealen nennt man hingegen Projektionsfasern. In Schichtaufnahmen kann

man z.B. die Capsula interna (s. CT-Bild S. 6) gut erkennen. Man kann jetzt sicherlich

hergehen und alle Fasern auswendig lernen, wichtig aber ist für uns lediglich zu wissen, dass

es solche Kommunikationsstrukturen gibt und dass besonders die beiden Hemisphären

miteinander in Verbindung stehen. Ansonsten wäre es auch nicht möglich, das linke

Gesichtsfeld, welches in der rechten Hemisphäre verarbeitet wird, mit dem rechten

Gesichtsfeld, welches in die Linke projiziert, miteinander zu verbinden und ein einheitliches

Bild entstehen zu lassen – logisch, oder?

2.1.1.1.2 Zwischenhirn (Diencephalon)

Das Zwischenhirn ist eine ausgesprochen wichtige Schalt- und Umschaltzentrale für viele

körperliche Funktionen. Das vegetative Nervensystem und das hormonelle System findet hier

Frontallappen

(Stirnlappen)

Parietallappen

(Scheitellappen)

Okzipitallappen

(Hinterhauptslappen)

Temporallappen

(Schläfenlappen)

Sulcus

centralis

Sulcus lateralis

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sein übergeordnetes Zentrum, hier sitzt sozusagen der „Häuptling“ dieser Körperfunktionen.

Das Zwischenhirn besteht aus folgenden Strukturen:

Der Thalamus wird auch gerne als „das Tor zum Großhirn“ bezeichnet. Fast alle Fasern, die

zum Großhirn wollen, werden hier umgeschaltet oder zumindest hier durchgeleitet. Er liegt

links und rechts vom 3. Ventrikel (s. 2.1.1.6) und begrenzt diesen somit seitlich. In

neurologischen Lehrbüchern ist dezidiert beschrieben, wo im Thalamus welche Fasern

umgeschaltet werden und wohin sie im weiteren Verlauf projizieren. Ich werde hier aber

darauf verzichten, denn dies ist für rettungsdienstliche Belange nicht von Interesse.

Lernenswert ist die Tatsache, dass der Thalamus wie ein Filter wirkt. Unwichtige

Informationen werden herausgefiltert, noch ehe sie zu Bewusstsein kommen. Dies schützt das

Gehirn vor einer Reizüberflutung und ermöglicht es, sich auf das Wesentliche zu

konzentrieren.

Der Hypothalamus besitzt viele Nervenkerngebiete, liegt unterhalb des 3. Ventrikels und ist

eine ausgesprochen wichtige Struktur. Es beinhaltet die Steuerzentrale des vegetativen

Nervensystems und der hormonellen Regelkreise und reguliert so elementare Dinge wie die

Atmung, Kreislauf, Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme, Körpertemperatur u.v.m. Zudem

hat es eine direkte Verschaltung zum limbischen System über die Corpora mamillaria. Den

einzelnen Nervenkerngebieten kann man bestimmte Funktionen zuordnen, worauf ich in

diesem Rahmen aber verzichten möchte. Die hormonelle Regulation geschieht in enger

Verbindung mit der ihm anhängenden Hirnanhangsdrüse (Hypophyse). Diese ist ein

zweigeteiltes Gebilde, was zum einen neuronales Gewebe darstellt (Neurohypophyse =

Hypophysenhinterlappen), zum anderen drüsenartiges Gewebe (Adenohypophyse =

Hypophysenvorderlappen) beinhaltet. Sie liegt eingebettet in einer knöchernen Struktur, die

die alten Anatomen an einen Türkensattel erinnern ließen und sie dazu veranlasste, diese

Formation als Sella turcica zu bezeichnen.

Der Epithalamus liegt hinter dem 3. Ventrikel und hat als markante Struktur die Zirbel-

drüse, die auch unter dem Namen Corpus pineale oder Epiphyse bekannt ist. Diese produziert

das Hormon Melatonin, welches maßgeblich in den Schlaf-Wach-Rhythmus eingreift. Die

Area praetectalis ist an der Verschaltung des Pupillenreflexes beteiligt.

Der Subthalamus hat eine besondere Relevanz bezüglich der motorischen Verschaltung. Im

Zusammenhang mit den Basalganglien (s. 2.1.1.1.1) hat dieser Bereich bereits Erwähnung

gefunden.

Strukturen des ZWISCHENHIRNS:

- Thalamus

- Hypothalamus

- Epithalamus

- Subthalamus

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2.1.1.1.3 Mittelhirn (Mesencephalon)

Das Mittelhirn liegt oberhalb der Brücke und unterhalb des Zwischenhirns. Es beinhaltet

sowohl Nervenleitungsbahnen als auch verschiedene Nervenkerngebiete. Es ist in drei

Teilbereiche unterteilt:

ventral (vorne): Hirnschenkel (Crus cerebri)

medial (mittig): Tegmentum

dorsal (hinten): Vierhügelplatte (Tectum)

Die Hirnschenkel beinhalten verschiedene Nervenleitungsbahnen, die hier exakt angeordnet

sind. Die Pyramidenbahn ist hiervon wohl die bekannteste Struktur.

Im Tegmentum befinden sich u.a. Kerngebiete. Die Substantia nigra ist ein schwärzlich

imponierender Bereich, der bei der Parkinsonschen Erkrankung durch seine verminderte

Fähigkeit, Dopamin zu produzieren, von Bedeutung ist. Ferner findet sich hier der Nucleus

ruber, der bei der Modulation von Bewegungsabläufen eine Rolle spielt.

Durch das Tegmentum hindurch verläuft der sog. Aquädukt, die Verbindung vom 3. zum 4.

Ventrikel. Hierherum liegt das periaquäduktale Grau, welches bei der Beeinflussung von

Schmerzreizen eine wesentliche Rolle spielt.

Die Vierhügelplatte ist von hinten (also von dorsal) zu sehen. Hier ist der Name Programm:

Die beiden oberen Hügel beinhalten die Augenmuskelkerne, in den beiden Unteren wird die

Hörbahn verschaltet.

Tatsächlich scheinen o.g. Ausführungen sehr weit ausgeholt. Wenn man aber weiß, dass hier

die Pupillenreflexe verschaltet werden (näheres s. Lehrbücher der Physiologie) und eine obere

Einklemmung hier zu Fehlfunktionen der Pupillenmotorik führen kann, was wir bei einer

Hirnblutung anhand einer Pupillendifferenz diagnostizieren können, erklärt dies die etwas

ausschweifenden Erläuterungen. Auch die Schmerzmodulation des periaquäduktalen Graus

Thalamus

Hypo-

thalamus

Corpora

mamillaria

Epiphyse

Sehnerv-

kreuzung

(Chiasma

opticum)

Infundibulum

Adenohypo-

physe

Neurohypo-

physe

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wird durch Opiate (Morphin u.ä.) beeinflusst. Somit kann gerade hier ein rettungsdienstlicher

Bezug hergestellt werden. Dennoch ist dies kein Wissen, welches von einem/r Rettungs-

sanitäter/in verlangt wird!

2.1.1.1.4 Brücke und Verlängertes Rückenmark (Pons und Medulla oblongata)

Das verlängerte Rückenmark ist die direkte Verlängerung des Rückenmarks (kleines

Wortspiel). Kranial davon liegt die Brücke unterhalb des Mittelhirns. Diese beiden Gehirn-

anteile bilden mit dem Kleinhirn das Rautenhirn, welches den 4. Ventrikel umschließt.

Betrachtet man das verlängerte Rückenmark, fallen sowohl von vorne als auch von hinten

Erhebungen auf. Hierbei handelt es sich um verschiedene Hirnkern- und Umschaltbereiche.

Von vorne blickt man auf die Pyramiden der Pyramidenbahn, seitlich davon finden sich die

Olivenkerne, die in Verbindung mit dem Kleinhirn für die Bewegungskoordination

verantwortlich sind. Schneidet man das Kleinhirn weg, so ist der Blick frei auf die dorsal

(hinten) gelegenen Kerne des Nucleus gracilis und Nucleus cuneatum. Hier werden

feinsensible (epikritische) Nervenfasern umgeschaltet. Sie leiten Informationen des

Berührungs- und Lagesinns (Propriozeption) zum Parietallappen. Neben den Kernen des 3.

bis 12. Hirnnnerven findet sich hier auch die Formatio reticularis, ein Nervenkerngebiet,

welches sich auch noch bis zum Mittelhirn erstreckt und so wichtige Zentren beinhaltet wie

das Kreislauf-, das Atem- und das Brechzentrum.

2.1.1.1.5 Kleinhirn (Cerebellum)

Das Kleinhirn sieht, wenn es mittig durchtrennt wird, aus, wie eine baumartige Struktur.

Diese Tatsache hat ihm den Namen Arbor vitae (Lebensbaum) eingebracht. Das Kleinhirn

sieht ein wenig aus wie ein Schmetterling mit dreidimensionalen Flügeln, also bestehend aus

einem Körper, der als Wurm bezeichnet wird und den beiden Flügeln, also den beiden

Hemisphären. Die Aufgabe des Cerebellums ist die Ausarbeitung und Überwachung der

Motorik. Hier kann man grob drei Teilfunktionen unterscheiden:

1. Stützmotorik

2. Blickmotorik

3. Ziel- und Sprachmotorik

Zwischenhirn

Mittelhirn

Brücke

Kleinhirn

A. basilaris

Medulla oblongata

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2.1.1.2 Hirnhäute

Das Gehirn ist von mehreren mehr oder weniger stabilen Häuten in einer bestimmten

Konstellation umgeben. Die Kenntnis dieser anatomischen Gegebenheit ist für das

Verständnis von Gehirnblutungen und ihren unterschiedlichen Verläufen von grundlegender

Bedeutung. Um die Schichtung zu verstehen, versetzen wir uns in eine Gewehrkugel, die

gerade als Kopfschuss abgefeuert wurde. Nachdem wir die derbe und gut durchblutete

Kopfschwarte und die darunter liegende Schädelkalotte passiert haben, treffen wir auf die

äußerste und zugleich festeste Schicht. Es handelt sich um die

harte Hirnhaut (Dura mater).

Diese ist eine derbe Bindegewebsschicht, die genau genommen aus zwei Schichten besteht,

die aber fest aufeinander liegen. Das äußere Blatt entspricht der inneren Knochenhaut

(Periost) der Schädelkalotte. Zwischen den Blättern verlaufen die großen Blut abführenden

Venen (hier: Sinus) und die Arterien, die die Hirnhäute (Meningen) versorgen (Aa.

meningeae). Betrachtet man sich den Schädelknochen eines Menschen von innen, so kann

man sehr schön den Abdruck der A. meningea media erkennen. Wie schon erwähnt liegen die

beiden Blätter der Dura mater direkt übereinander und sind miteinander verwachsen. Kommt

es aber hier zu einer Einblutung, so bildet sich ein Raum, der Epiduralraum (mehr s. 4.1.1).

Wohlgemerkt, diesen Raum gibt es physiologischerweise gar nicht.

Nachdem wir also die Dura mater durchschossen haben, treffen wir auf eine weitere Schicht,

die spinnennetzartig imponiert. Diese Spinnennetzschicht ist die

Spinngewebshaut (Arachnoidea),

die sich eng an die Dura mater anschmiegt, was bedeutet, dass es auch hierzwischen

physiologischerweise keinen Zwischenraum gibt. Bei Zerreißung (Ruptur) bestimmter

Gehirngefäße kommt es aber hier zu Einblutungen und es entsteht der sogenannte Subdural-

raum (zum subduralen Hämatom s. 4.1.2). Die Arachnoidea ist mit arkadenförmigen

Bindegewebssepten mit der darunter liegenden Haut verbunden, der

weichen Hirnhaut (Pia mater).

Diese kann man als sehr feine Kapsel des Gehirns betrachten, denn sie umgibt das Gehirn

vollständig und ist damit fest verwachsen. Zwischen der Arachnoidea und der Pia mater

befindet sich der Subarachnoidalraum, den es immer gibt und indem auch die versorgenden

Gehirnarterien verlaufen. Er ist mit Gehirnwasser (Liquor) gefüllt, in dem das Gehirn

schwimmt und vor ruckartigen Bewegungen geschützt ist. Hier noch einmal die Schichten im

Überblick (sinnvoll zu lernen!):

SCHICHTEN DER HIRNHÄUTE:

Kopfschwarte

Schädelknochen

(Epiduralraum)

Harte Hirnhaut (Dura mater)

(Subduralraum)

Spinngewebshaut (Arachnoidea)

Subarachnoidalraum

Weiche Hirnhaut (Pia mater)

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2.1.1.3 Arterielle Versorgung

Es gibt im Kopf zwei Strukturen, die es mit Blut zu versorgen gilt. Dies sind zum einen die

Meningen, zum anderen das Gehirn in seiner Gesamtheit.

Die Hirnhäute werden durch die

A. meningea anterior (aus der A. ethmoidalis anterior)

A. meningea media (aus der A. maxillaris) und die

A. meningea posterior (aus der A. pharyngea ascendens)

versorgt. Das Gehirn selbst wird durch zwei paarige Arterien versorgt, durch die

A. carotis interna und die

A. vertebralis.

Die A. carotis interna teilt sich im Schädel auf in die A. cerebri anterior und die A. cerebri

media, womit sie das gesamte vordere und mittlere Gehirn versorgt. Die Versorgung des

Hirnstammes, des Kleinhirns und des hinteren Gehirnanteils (A. cerebri posterior) über-

nimmt die A. vertebralis, wobei sich die beiden Aa. vertebrales zur A. basilaris vereinen.

Die Aa. carotis internae und die A. basilaris sind über ein arterielles Ringsystem miteinander

verbunden (A. circulosus willisii). Hierüber ist eine Gehirnversorgung ggf. auch dann

gewährleistet, wenn über einen längeren Zeitraum eine der zuführenden Arterien z.B.

aufgrund von arteriosklerotischen Veränderungen verstopft. Dies funktioniert aber nur bei

einem schleichenden Prozess. Bei einem akuten Ereignis ist diese „Kollateralversorgung“

nicht möglich.

Das Gehirn ist auf eine besonders ausgewogene

Versorgung mit Nährstoffen und Elektrolyte

angewiesen. Aus diesem Grund gibt es die soge-

nannte Blut-Hirn-Schranke. Diese besteht aus

dem Gefäßepithel, einer bindegewebigen Basal-

membran und zwischengeschalteten Versorguns-

zellen (Astrozyten). Die allermeisten Stoffe

werden hier über aktive Transport-mechanismen

an die Gehirnzellen (Neurone) gebracht.

2.1.1.4 Venöser Abfluss

Das verbrauchte Blut gelangt über verschiedene Wege aus dem Kopfinneren heraus. Der

Hauptabfluss läuft über die V. jugularis interna. Das intrakranielle Blut wird über tiefe und

oberflächliche Venen zu großen intraduralen Sammelvenen geleitet, die im Kopf als Sinus

bezeichnet werden, und dann der V. jugularis interna zugeführt. Die Venen des Kopfes haben

keine Venenklappen, keine Muskelschicht und sind hauchdünn. Einige kleinere Venen verlaufen direkt durch die Schädelkalotte und haben Kontakt zu Venen der Kopfschwarte.

Diese werden Vv. emissariae genannt. Wenn die Venen im Schädelknochen verlaufen, werden sie als

Diploevenen bezeichnet.

Neben dem verbrauchten Blut des Gehirns und der Hirnhäute (Meningen) wird auf diesem

Wege auch überschüssiges Gehirnwasser (Liquor) abgeführt. Hierfür stehen Aussackungen

der Spinngewebshaut in die großen Sinus zur Verfügung (Arachnoidalzotten).

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2.1.1.5 Ventrikelsystem

Wie der bisherigen Schilderung zu entnehmen ist, ist das Gehirn zum Schutz, aber auch zur

Versorgung, in einem Wasserbett gelagert. Die Gehirnflüssigkeit (Liquor) wird aus dem Blut

über bestimmte Gefäßkonglomerate (Plexus coroideus) im Bereich der vier Ventrikel

(innerer Liquorraum) abgepresst (am Tag immerhin 500 ml). Die vier Ventrikel sind

miteinander verbunden, so dass ein Liquorfluss gewährleistet ist. Die Seitenventrikel (1. und

2. Ventrikel) liegen im Bereich des Großhirns und stehen mit dem 3. Ventrikel über

Foramina interventriculares (Monroi) in Verbindung. Dieser wiederum kommuniziert über

das Aquädukt des Mittelhirns (engste Stelle) mit dem 4. Ventrikel, der vom

Rhombencephalus gebildet wird. Von hier aus gehen 3 Verbindungen zum

Subarachnoidalraum, also zum äußeren Liquorraum. Von hier aus wird der überschüssige

Liquor, wie oben bereits beschrieben, über die Arachnoidalzotten an das venöse

Abflusssystem abgeführt. Kommt es zu einem Liquorabflussstau oder zu einer Liquorüber-

produktion, so sehen wir das Bild eines Hydrocephalus (Wasserkopf). Dieser muss dann über

einen cerebroabdominellen Shunt drainiert werden (ein Schlauch, der vom Liquorraum zum

Bauchraum führt). Dort kann das Wasser problemlos resorbiert werden.

Damit nicht alle „Blutzutaten“ in den Liquor gelangen, gibt es eine sogenannte Blut-Liquor-

Schranke. Diese besteht aus der Epithelzellschicht der Gefäße, einer Basalmembran und der

Ventrikel auskleidenden Zellschicht (Ependym). Hier kann lediglich Wasser, Kohlendioxid

und Sauerstoff frei durchdiffundieren. Die Salze (Natrium, Kalium, Chlorid etc) werden

schon bedingt zurückgehalten, Zucker, Eiweiße und Blutzellen gelangen, wenn überhaupt, nur

über aktive Transportwege in den Liquorraum.

2.1.1.6 Rückenmark

Das Rückenmark liegt im Wirbelkanal und erstreckt sich vom Hinterhauptsloch (Foramen

magnum), wo es ins verlängerte Rückenmark übergeht, bis zum 1./2. Lendenwirbel. Es gehen

entsprechend der Wirbelkörper 8 Zervikal-, 12 Thorakal-, 5 Lumbal- und 5 Sakralnerven als

periphere Nerven durch die entsprechenden Löcher in der Wirbelsäule (Foramen

intervertebralis), ab. Die nach kaudal (also nach unten) ziehenden Nerven unterhalb des

1-4:

Seitenventrikel mit

Vorderhorn, Hinter-

horn und Unterhorn

5:

Foramen

interventriculare

6:

3. Ventrikel

7:

Aquädukt

8:

4. Ventrikel

©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“

Stand 07/07 Seite 15 von 43

Rückenmarkendes sehen aus wie ein Pferdeschwanz, weshalb sie die Anatomen als Cauda

equina bezeichnen.

Das Rückenmark ist wie das Gehirn in eine weiße und eine graue Substanz gegliedert. Im

Gegensatz zum Gehirn liegt hier aber die weiße Substanz außen, die Graue innen. Wie im

Gehirn besteht die weiße Masse aus Leitungsbahnen, die Graue hingegen aus Nervenzell-

kernen. Ein Querschnitt durch das Rückenmark zeigt eine schmetterlingsartige Musterung.

Das Rückenmark ist, wie das Gehirn auch, von Häuten umgeben. Dem Rückenmark liegt

direkt die weiche Hirnhaut (Pia mater) an. Zwischen ihr und der Spinngewebshaut

(Arachnoidea mater) liegt der Liquor gefüllte Subarachnoidalraum. Der Arachnoidea liegt

die harte Hirnhaut (Dura mater) an. Zwischen der Dura mater und der Knochenhaut

(Periost) der Wirbelkörper liegt peridurales Fettgewebe, in welchem auch die zu- und

abführenden Gefäße verlaufen. In dieses peridurale Fettgewebe kann ein Lokalanästhetikum

eingespritzt werden, um eine sog. Regionalanästhesie der distalen Bereiche durchzuführen

(Periduralanästhesie). Wird das betäubende Medikament in den Liquorraum appliziert, so

sprechen wir von einer Spinalanästhesie.

2.1.2 Peripheres Nervensystem

Die Gesamtheit aller neuronalen Gewebe außerhalb des Kopfes und der Wirbelsäule wird als

peripheres Nervensystem bezeichnet. Es unterliegt einer klaren Ordung sowohl der

Topographie als auch der funktionellen Leistungen. Viele periphere Nervenbahnen sind

einem im Alltag bereits begegnet, so hat wohl jeder schon einen Menschen kennen gelernt,

der Probleme mit seinem „Ischias“ hatte. In diesem Kapitel möchte ich auf die wichtigsten

Nervenbahnen hinweisen, ohne aber zu sehr ins Detail zu gehen. Wer hier weiteren

Lernbedarf hegt, kann seinen Wissensdurst mit Hilfe der einschlägigen Literatur stillen (z.B.

Schiebler, Hick, Waldeyer etc.)

2.1.2.1 Hirnnerven

Die Nervenbahnen, die aus dem Bereich des Gehirns austreten, sind die Hirnnerven, von

denen es beim Menschen 12 gibt, welche entsprechend ihrer Austrittstelle von kranial nach

kaudal durchnummeriert sind. Hier eine Kurzlistung der einzelnen Nervenbahnen:

In der Abbildung sind neben der weißen äußeren

und der grauen, schmetterlingsartig geformten

inneren Substanz auch die wichtigen Leitungs-

bahnen eingezeichnet. Für den Neurologen ist

ihre Kenntnis von elementarer Bedeutung,

besonders auch das Wissen, auf welcher Höhe

diese Bahnen kreuzen und wo sie verschaltet

werden. Im Rahmen dieses Skripts möchte ich

aber hierauf verzichten. Lediglich den Reflex-

bogen werde ich unter 3.4 noch einmal auf-

greifen.

©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“

Stand 07/07 Seite 16 von 43

1. NERVUS OLFACTORIUS

Dies ist ein rein sensorischer Nerv, der für die Riechfunktion zuständig ist. Die

Sinneszellen dieses Nerves liegen im Bereich der Riechschleimhaut der oberen

Nasenmuschel (Regio olfactorii) und interagieren mit chemischen Reizen,

wodurch sie zu elektrischen Potenzialen animiert werden. Als primäre

Sinneszelle verlaufen ihre Axone durch die Siebbeinplatte (Lamina cribrosa)

als Fila olfactoria zum Bulbus olfactorius. Nach Verschaltung werden die

Reize über den Tractus olfactorius zur primären Riechrinde weitergeleitet und

kommen hier zu Bewusstsein.

Interessant ist hierbei, dass bestimmte Reize nicht diesen Weg gehen, sondern

als „Schmerz“ die Nasenschleimhaut reizen und dann über den N. trigeminus

(5. HN, s.u.) wahrgenommen werden. Als ein Beispiel sei hier Ammoniak

genannt, was auch nach Ausfall des 1. HN noch gerochen werden kann.

2. NERVUS OPTICUS

Der Nervus opticus ist ein rein sensorischer Nerv, der ontogenetisch dem

Zwischenhirn entstammt. Die Netzhaut des Auges (Retina) ist demnach als

eine nach Außen verlagerte Hirnstruktur zu betrachten. Die Sinneszellen

bestehen aus Stäbchen bzw. Zapfen, die entweder auf Helligkeit (Stäbchen)

oder auf Farbwellen (Zapfen) reagieren. Die einzelnen Nervenfasern bündeln

sich im Bereich der etwas medial gelegenen Sehnervpapille und ziehen hier aus

dem Glaskörper heraus. Dieser Punkt ist jedem als blinder Fleck bekannt. Da

wir aber mit beiden Augen sehen, wird dieser Fleck beim normalen Sehen

nicht bemerkt, da das kontralaterale Auge diesen Ausfall kompensiert. Die

Nervi optici beider Seiten verbinden sich im Bereich oberhalb der Hypophyse

und bilden hier das Chiasma opticum. Hier kreuzen die medialen

Netzhautnerven, die lateralen ziehen ungekreuzt weiter. Über den Tractus

opticus gelangen die Fasern zum Thalamus, um von hier über die Sehstrahlen

(Radiatio optici) zur Sehrinde im Hinterhauptslappen (Lobus occipitalis) zu

ziehen.

3. NERVUS OCULOMOTORIUS

Dieser Nerv ist ein gemischt somatomotorischer (willkürlich) und

viszeromotorischer (unwillkürlich) Nerv, der mit dem 4. und 6. Hirnnverv für

die Augenmotorik verantwortlich ist. Hierzu gehört zum einen die Einstellung

der Sehrichtung, zum anderen die Akkomodation (Fern-, Nahsehen) und die

Pupillenreaktion. Er entspringt aus seinen Nervenkerngebieten im Mittelhirn

(Vierhügelplatte) und zieht durch einen Venenkomplex (Sinus cavernosus) in

die Augenhöhle ein und teilt sich hier in einen oberen und einen unteren Ast.

Der obere versorgt den M. levator palpebrae superior (oberer Lidheber) und

den M. rectus superior. Der untere Ast versorgt den Rectus medialis, den

Rectus inferior und den M. obliquus inferior. Ein parasympathischer Ast zieht

zum Ganglion ciliare und versorgt den M. sphincter pupillae.

4. NERVUS TROCHLEARIS

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Stand 07/07 Seite 17 von 43

Dieser Nerv ist oben bereits erwähnt. Er ist ein rein somatomotorischer Nerv,

der den M. obliquus superior innerviert und das Auge nach lateral unten

schauen lässt.

5. NERVUS TRIGEMINUS

Dieser Nerv ist überwiegend sensibel und hat für die Kaumuskeln eine

motorische Komponente. Der Nerv entwickelt sich über ein zentrales Ganglion

trigeminale, indem die sensiblen Nervenkerne liegen. Von hieraus teilt sich der

Nerv in drei Äste auf, was ihm auch seinen Namen gab (Trigeminus =

Drillingsnerv). Es handelt sich hierbei um den

N. ophthalmicus (versorgt sensibel die Nase, Auge und die Stirnhaut)

N. maxillaris (versorgt sensibel den Oberkiefer incl. Zähne, sowie

die Haut zwischen Lippe und Auge bis zum seitlichen Schläfenbereich)

N. mandibularis (versorgt motorisch die Kaumuskulatur (Masseter, M.

temporalis, Mm. pterygoidei, M. myohyoideus) und sensibel den Kinn-

und Unterkieferbereich einschließlich dessen Zähne und die Wange).

Von Interesse dürfte zudem sein, dass alle Trigeminusäste einen sensiblen

Abzweig zu den Hirnhäuten haben, mit dem Reizzustände wahrgenommen

werden können.

6. NERVUS ABDUCENS

Auch dieser Nerv wurde bereits beim 3. HN erwähnt. Er ist rein

somatomotorisch und versorgt den M. rectus lateralis, der eine Augenbe-

wegung nach außen ermöglicht.

7. NERVUS FACIALIS

Dieser Nerv ist sowohl viszerosekretorisch, als auch somatomotorisch. Auch

sensible Fasern sind für Geschmacksfasern (vorderen 2/3 der Zunge) mit dabei.

Wenn man sich diesen Nerv genauer betrachtet, besteht er aus zwei Anteilen.

Der faziale Anteil ist der Teil mit den motorischen Nervenfasern. Diese

versorgen die miminsche Gesichtsmuskulatur und den M. stapedius im

Mittelohr. Das „Verteilungszentrum“ der mimischen Muskulatur liegt als

Plexus facialis im Bereich der Ohrspeicheldrüse (Gl. parotis). Von hier aus

werden die einzelnen Gesichtsmuskeln angesteuert.

Die sekretorischen Fasern (N. intermedius-Anteil) müssen getrennt betrachtet

werden:

Zum einen wird die Tränendrüse in ihrer Sekretion geregelt. Hierfür gibt es

eine Verbindung vom N. facialis über den N. petrosus major zum Ganglion

pterygopalatinum. Von hieraus ziehen parasympathische Fasern mit dem N.

zygomaticus des N. maxillaris (V2) und dann mit dem N. lacrimalis des N.

ophthalmicus zur Tränendrüse.

Die Unterkiefer- und Zungengrunddrüsen (Glandula submandibularis et

Gld. sublingualis) werden versorgt, indem vom N. facialis die Chorda

tympani abgeht und ins Ganglion submandibulare zieht, wo die

sekretorischen Fasern umgeschaltet und zu den Drüsen weitergeleitet werden.

©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“

Stand 07/07 Seite 18 von 43

Von hieraus ziehen die sensiblen Geschmacksfasern unverschaltet weiter und

schmiegen sich dem N. lingualis (aus dem N. mandibularis (V3)) an.

Insgesamt ist der Verlauf des N. facialis ausgesprochen kompliziert. Er zieht

über einen eigenen Kanal am Ohr entlang und z.T. sogar durch das Mittelohr

hindurch (Chorda tympani). Will man allein diesen Nerv in seinen Details

auswendig lernen, ist dies ein riesiger Aufwand. Glücklicherweise ist dies für

rettungsdienstliche Belange nicht von so großer Bedeutung…obwohl…zur

Differenzierung, ob es sich um eine zentrale (Apoplex) oder eine periphere

Fazialisstörung handelt (z.B. bei Mittelohrentzündung, Felsenbeinfraktur), ist

ein tieferes Wissen vonnöten. Fällt die Funktion der mimischen Muskulatur auf

einer Seite komplett aus (z.B. Stirnrunzeln auf einer Seite überhaupt nicht

möglich), dann handelt es sich um eine periphere Lähmung. Ist die Funktion

auf einer Seite allerdings noch bedingt erhalten, handelt es sich um eine

zentrale Lähmung. Dies erklärt sich dadurch, dass die Facialisfasern im

Stammhirn teils gekreuzt, teils ungekreuzt verlaufen, so dass bei einseitiger

zentraler Läsion die gesunde Seite eine Teilfunktion ermöglicht.

8. NERVUS VESTIBULOCOCHLEARIS

Dieser rein sensible Nerv ist funktionell zweigeteilt. Der eine Teil ist für das

Hören zuständig, nimmt also Reize im Bereich des Hörorgans (Cochlea =

Schnecke) auf und leitet sie nach Verbindung mit dem vestibulären Anteil in

das zuständige Kerngebiet (Ncll. cochleares) weiter. Von hieraus gelangen die

Reize über die unteren Kerne der Vierhügelplatte zum Thalamus (Corpus

geniculatum mediale) und von dort zur primären Hirnrinde im Bereich des

Temporallappens (Heschl-Querwindungen).

Der andere Teil ist die Verbindung zum Gleichgewichtsorgan (N. vestibularis),

welches durch die Bogengänge (und weitere Strukturen) gekennzeichnet ist.

Die Reize werden dem zentral zuständigen Kerngebiet zugeführt (Ncll.

vestibulares) und von hieraus weitergeleitet (größtenteils zum Kleinhirn), um

Informationen über Körperlage und –bewegung zu geben. Es werden hierdurch

die Rumpfmuskulatur und Augenbewegungen gesteuert.

9. NERVUS GLOSSOPHARYNGEUS

Dieser Nerv ist ebenfalls ausgesprochen komplex. Er hat, sensible, motorische

und sekretorische Anteile. Mit Blick auf diese Funktionen lässt sich dieser

Nerv am besten erklären:

Sekretorisch: Hiermit werden Efferenzen zu Drüsen beschrieben, die dann

sekretorisch reguliert werden. Im Falle des 9. HN geht von ihm eine

Verbindung über den N. tympanicus zur Paukenhöhle ab. Hier bildet es mit

dem sympathischen Plexus caroticus den Plexus tympanicus. Von ihm zieht

der N. patrosus minor ins Schädelinnere zurück, um durch eine Öffnung

(Foramen lacerum) zum Ganglion oticum zu ziehen. Von hieraus ziehen die

Fasern mit dem N. auriculotemporalis zur Ohrspeicheldrüse (Gld. parotis), um

diese zu innervieren. Eine zusätzliche sekretorische Innervation erfolgt an den

Drüsen des Pharynx.

Motorisch: Der Nerv versorgt zusammen mit dem N. vagus die mittlere

Schlundmuskulatur. Zusätzlich wird das Gaumensegel (Uvula) innerviert,

©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“

Stand 07/07 Seite 19 von 43

weshalb diesem Nerv eine besondere Bedeutung beim Schluckakt zukommt.

Sensorisch: Die Sensorik ist dreigeteilt: zum einen wird der Geschmacksinn

des hinteren Zungendrittels geleitet, zum zweiten kommen sensible Fasern aus

dem Rachenbereich und zuletzt sensorische Fasern aus dem Glomus carticus

bzw. Sinus caroticus, von wo aus Chemorezeptoren (Glomus c.: CO2, O2, pH)

bzw. Pressorezeptoren (Sinus c.) wichtige Informationen für das Atem- bzw.

Kreislaufzentrum bereitstellen.

10. NERVUS VAGUS

Der Nervus vagus ist vielen auch nicht so Erfahrenen ein Begriff, denn er wird

häufig als Synonym für das parasympathische Nervensystem (s. 3.1)

gebraucht, da er die weitaus meisten dieser Nervenfasern führt. Tatsächlich

aber ist diese Betrachtung nicht ganz korrekt, da auch andere Nerven

parasympathische Fasern besitzen (z.B. N. oculomotorius oder N. facialis, aber

auch Nn. splanchnici pelvini im Lendenbereich).

Auch beim N. vagus können wir verschiedene Qualitäten herausarbeiten.

Motorisch: Zusammen mit dem 9.HN wird die Rachenmuskulatur innerviert

(N. pharyngeus). Ebenfalls werden die Kehlkopfmuskeln versorgt (N.

laryngeus superior und N. laryngeus recurrens). Besonders dem Recurrens

kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Er nimmt einen recht merkwürdigen

Verlauf, denn er geht in Höhe der A. subclavia (bzw. rechts noch tiefer in

Höhe des Aortenbogens) vom Vagus ab, dreht um die Arterie herum und zieht

dann zwischen Trachea (Luftröhre) und Ösophagus (Speiseröhre) wieder nach

oben, um dann alle Kehlkopfmuskeln bis auf einen zu versorgen. Eine Störung

dieses Nervs kann zu Heiserkeit führen.

Weitere motorische Eigenschaften finden wir bei der Versorgung der glatten

Muskulaturen der Speiseröhre, der Bronchien, des Darms und weiterer

Bauchorgane bzw. der Herzmuskulatur im Bereich der Vorhöfe (nicht der

Kammern!).

N. GLOSSOPHARYNGEUS:

motorisch: - Rachenmuskulatur incl. Uvula

sekretorisch: - Ohrspeicheldrüse

- Rachenschleimdrüsen

sensibel: - Mittelohr mit Tuba auditiva

- Rachenschleimhaut

- hinteres Zungendrittel

- Chemorezeptoren im Glomus

caroticus und Druckrezeptoren

im Sinus caroticus

Geschmacks- - hinteres Zungendrittel

sensibel:

©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“

Stand 07/07 Seite 20 von 43

Sensorisch: Im Kopfbereich wird die okzipitale Hirnhaut versorgt, des weiteren

der äußere Gehörgang sowie ein Teil der Ohrmuschel. Im Halsbereich ist es

der untere Rachenbereich mit dem Übergang zur Trachea bzw. zum

Ösophagus. Zuletzt wird die gesamte Schleimhaut des Kehlkopfes sensibel

innerviert. An der Epiglottis sitzen einige Geschmacksrezeptoren, so dass auch

Geschmacksimpulse über den N. vagus geleitet werden. Weitere Verbindungen

gibt es zu Dehnungsrezeptoren in den Bronchien (Hering-Breuer-Reflex) und

am linken Herzvorhof (Gauer-Henry-Reflex) und im Aortenbogen (RR-

Kontrolle). Auch der Gastrointestinaltrakt (GI-Trakt) wird teilweise sensibel

versorgt.

11. NERVUS ACCESSORIUS

Der 11. HN ist rein motorisch und versorgt den M. sternoclaidomastoideus

und den M. trapezius. Die meisten Wurzeln dieses Nervs entspringen aus dem

Rückenmark, nur einige stammen aus dem Stammhirn, so dass dieser Nerv

strenggenommen nicht zu den Hirnnerven gehören dürfte.

12. NERVUS HYPOGLOSSUS

Auch der letzte der Hirnnerven ist rein motorisch und versorgt die gesamte

Zungenmuskulatur. Er ist für die Sprache und den Schluckakt von großer

Bedeutung. Ein Ausfall dieses Nervs ist durch das herausstrecken der Zunge

gut zu überprüfen, wobei die Zunge zur erkrankten Seite hin abweicht.

NERVUS VAGUS:

motorisch: - Rachenmuskulatur

- Kehlkopfmuskulatur

- Herzvorhöfe

- Gastrointestinaltrakt bis li. Kolonflexur

- Bronchien (Bronchialdrüsen sekretorisch)

- Leber, Gallenblase, Pankreas, Niere

sensibel: - hintere Hirnhaut

- äußerer Gehörgang / Ohrmuschel

- unterer Rachenbereich

- Kehlkopfschleimhaut

- z.T. Verdauungstrakt

- Dehnungsrezeptoren in Bronchien,

Herzvorhöfen und Aortenbogen

Geschmacks- - Epiglottis (Kehldeckel)

sensibel:

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Stand 07/07 Seite 21 von 43

2.1.2.2 Spinalnerven

Die Nerven, die aus dem Rückenmark heraustreten, werden als Spinalnerven bezeichnet. Die

topographische Gliederung ist charakteristisch, weshalb hier kurz darauf eingegangen werden

soll. Wie bereits gesagt wurde, hat die graue Substanz des Rückenmarks einen

schmetterlingsartigen Aufbau. Die nach vorne zeigende Spitze des Flügels ist das Vorderhorn,

die nach hinten zeigende entsprechend das Hinterhorn. Die afferenten Fasern, also die

Nerven, die zum Rückenmark hinziehen, nehmen ihren Weg über die Hinterwurzel (Radix

posterior) zum Hinterhorn. Auf diesem Wege passieren sie eine Verdickung, das

Spinalganglion. Hier liegen die Zellkörper (Perikaryen) der Nerven, die als pseudounipolare

Zellen definiert sind (s. Nr. b in der unteren Abbildung).

Die Nervenfasern, die aus dem Rücken-

mark herausziehen, folgen der vorderen

Nervenwurzel (Radix anterior), die sich aus

dem Vorderhorn entwickelt, und sind ent-

sprechend efferente Fasern. Sie verbünden

sich mit den afferenten Nervenfasern zu

einem einzigen Nervenstrang. Nach der

Vereinigung verlassen im Bereich der

thorakalen bzw. oberen lumbalen Wirbel

sympathische Nerven den Hauptstrang in

Richtung Grenzstrang (s. 2.1.2.4). Nach

dorsal (hinten) verlässt der Ramus

posterior den Hauptnerv (Ramus anterior),

um hier die Rückenmuskulatur und die

Haut zu versorgen. Ein letzter kleiner

abgehender Ast zieht zu den Hirnhäuten

des Rückenmarks (Rami meningei). Die

oben beschriebene Anordnung ist der

linken Abbildung zu entnehmen.

©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“

Stand 07/07 Seite 22 von 43

2.1.2.3 Plexus und Dermatome

Die austretenden peripheren Nerven vermengen sich im Hals-, Lenden- und Sakralbereich zu

Geflechten, den Plexus. Somit gibt es den

- Plexus cervicalis (C1-C4)

- Plexus brachialis (C5-Th1)

- Plexus lumbalis

- Plexus sacralis

Aus diesen einzelnen Geflechten entwickeln sich wiederum die zu den Endorganen ziehenden

Nerven, von denen der eine oder andere bekannt sein sollte.

Der Plexus cervicalis versorgt motorisch die meisten der Halsmuskeln, zusätzlich über den

N. phrenicus (aus C4) das Zwerchfell !!! und sensibel die Haut des Halses, der Schulter und

des seitlichen Kopfes.

Der Plexus brachialis (brachium=derArm) ist recht kompliziert aufgebaut. Es bilden sich drei

Stämme (Truncus superior, Tr. medius und Tr. inferior), aus denen sich dann drei Fasciculi

entwickeln (Fasciculus medialis, F. lateralis und F. posterior). Aus dem Posterioren und aus

den Trunci gehen 7 Nerven für die Schultermuskulatur ab, auf die ich hier nicht näher

eingehen möchte. Verfolgen wir die Fasciculi weiter, so entspringen aus ihnen folgende

Nerven für die obere Extremität:

Fasciculus medialis: - N. cutaneus brachii medialis

- N. cutaneus antebrachii medialis

- N. ulnaris

- N. medianus (z.T. auch aus F. lateralis)

Fasciculus lateralis: - N. medianus (z.T. auch aus F. medialis)

- N. musculocutaneus

Fasciculus posterior: - N. axillaris

- N. radialis

Es gibt nette Lernsprüche, die die Nerven den entsprechenden Plexus zuordnen; exemplarisch

für den Plexus lumbalis bzw. Pl. sacralis:

PLEXUS LUMBALIS PLEXUS SACRALIS

In (N. iliohypogastricus) Gutes (N. gluteus superior)

Indien (N. ilioinguinalis) Geld (N. gluteus inferior)

gibt’s (N. genitofemoralis) kommt (N. cutaneus femoris posterior)

kein (N. cutaneus femoris lateralis) ins (N. ischiadicus)

frisches (N. femoralis) Portmonee (N. pudendus)

Obst (N. obturatorius)

Die Hautareale werden von den einzelnen Nerven sensibel versorgt, so dass wir z.B.

Berührung empfinden können. Einzelne Hautareale sind einzelnen Rückenmarksabschnitten

©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“

Stand 07/07 Seite 23 von 43

zuzuordnen. Die einzelnen Areale bezeichnet man als Dermatome. Hautkarten zeigen ihre

Aufteilung.

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2.2 Morphologie der Nervenzelle

Der menschliche Organismus besitzt ca. 1012

Nervenzellen (= Neurone). Ihre Gestalt kann

ganz unterschiedlich sein, je nach Lokalität und Funktion, wie wir oben schon gesehen haben,

als wir uns mit den Spinalnerven auseinandergesetzt haben. Dennoch kann man eine

Grundstruktur beschreiben, die bei vielen Nervenzellen einigermaßen gleich ist. Ein Neuron

besteht grundsätzlich aus einem Zellkörper (Soma bzw. Perikaryon (um den Kern herum))

und Fortsätzen. Der Zellkörper beinhaltet den Zellkern und Zellbestandteile, die für

Synthesefunktionen der Nervenzelle nötig sind. Die vom Soma ausgehenden Fortsätze

werden unterteilt in Dendriten und Axone (Neuriten), wobei eine Nervenzelle oftmals

mehrere Dendriten besitzt, die die von anderen Neuronen ankommenden Reize aufnehmen,

jedoch nur eine Nervenfaser (Axon = Neurit), die die Reize weiterleitet. Am Ende eines

Axons verzweigt sich dies und bildet sogenannte synaptische Endknöpfchen. Hier findet die

chemische Reizweiterleitung zur Erfolgszelle statt, was unter 3.5 noch näher besprochen wird.

Dies kann sowohl eine weitere Nervenzelle als auch eine Muskel- oder Drüsenzelle sein. Je

nach Beschaffenheit des Neurons ist das Axon mehr oder weniger isoliert. Dies geschieht

mittels Begleitzellen (Gliazellen; peripher: Schwann-Zellen, zentral: Oligodendrozyten), die

die Nervenfasern geradezu umwickeln und sie somit „myelinisieren“. Je stärker diese

Isolierung ausgeprägt ist, desto schneller können die Reize weitergeleitet werden. Zwischen

den einzelnen Schwann-Zellen befinden sich Zellzwischenräume, die Ranvier´schen

Schnür-ringe, die für die Reizleitung von Bedeutung sind.

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Stand 07/07 Seite 25 von 43

3 PHYSIOLOGIE

Das menschliche Nervensystem ist in zwei funktionelle Einheiten gegliedert. Auf der einen

Seite gibt es ein System, welches wir willentlich, also willkürlich beeinflussen können mit

Sinneseindrücken, die wir bewusst wahrnehmen, das sogenannte somatische (= animalische,

= willkürliche) Nervensystem. Auf der anderen Seite werden im Körper viele Dinge

gesteuert, ohne dass wir dies bewusst erleben. Wir registrieren z.B. nicht, wie hoch gerade

unser Blutdruck ist, genauso wenig wissen wir über die aktuelle Verdauungstätigkeit

Bescheid. Die Gesamtheit dieser unbewussten und unwillkürlichen Regelungen fällt unter die

Regie des vegetativen (= autonomen, = viszeralen) Nervensystems.

3.1 Vegetatives Nervensystem

Das vegetative Nervensystem ist in zwei Teile unterteilt, dem sympathischen und dem

parasympathischen Nervensystem. Die beiden Anteile ergänzen sich und regeln Hand in

Hand alle unwillkürlichen Funktionen. Sie entsprechen in etwa dem Verständnis von Yin und

Yang der fernöstlichen Lebensanschauung. Der Sympathikus ist für alle Einstellungen von

Organfunktionen zuständig, die mit Energie- und Leistungsbereitstellung zu tun haben. Dieses

Prinzip kann man sich gut evolutionstheoretisch herleiten. Wenn ein Mensch der Frühzeit

plötzlich von einem Säbelzahntiger überrascht wurde, hatte er nur zwei echte Alternativen,

wenn er überleben wollte: entweder er stellte sich dem Kampf oder er sah zu, dass er zügig

das Weite suchte (fight or flight). Egal, wofür er sich entschied, brauchte er doch eins:

Energie bzw. Leistung und einen klaren Gedanken (hohe Vigilanz) gepaart mit

Reaktionsvermögen. Bezogen auf die einzelnen Körperfunktionen bedeutet dies: vermehrte

Atmung, schnellere Herzfrequenz, erhöhter Blutdruck, weite Pupillen, um besser sehen zu

können und Energiebereitstellung. Damit diese Eigenschaften auch über längere Zeit erhalten

bleiben, wird auch auf humoralem Weg (also durch Hormone) stimuliert, was mit einer

vermehrten Adrenalin-/Noradrenalinausschüttung einhergeht (eine länger andauernde

Belastungssituation wird zum Stress mit all seinen negativen Folgen). Was man in dieser

Situation gar nicht benötigt, sind Dinge wie Verdauung, Müdigkeit oder Bereitschaft zur

Vermehrung, Stuhlgang oder Blasenentleerung. Entsprechend werden diese Funktionen durch

den Parasympathikus stimuliert.

Die leitende Instanz (sozusagen der „Boss“) des vegetativen Nervensystems ist der

Hypothalamus. Dieser hat enge Beziehungen zum limbischen System und zum hormonellen

Regulationsmechanismus (s.o.). Untergeordnete Regulationszentren sind in der Formatio

reticularis des Hirnstamms lokalisiert (Atemzentrum, Kreislaufzentrum, Miktionszentrum,

Brechzentrum) oder in anderen Kerngebieten des Gehirns bzw. des Rückenmarks. Generell

bestehen die Efferenzen aus zwei Neuronen, die hintereinander geschaltet sind, also aus dem

1. und dem 2. Neuron.

Die sympathischen Kerne befinden sich im Seitenhorn des thorakalen und lumbalen

Rückenmarks. Von hieraus zieht das 1. Neuron des Sympathikus über die Vorderwurzel aus

dem Wirkbelkanal heraus. Die Umschaltung auf das 2. Neuron findet in den Ganglien des

paravertebralen Grenzstranges (Truncus sympathicus) statt, weit entfernt von den

Erfolgsorganen. Einige Nervenfasern, die dort nicht umgeschaltet werden, gelangen zu

Ganglien, die vor der Wirbelsäule im Bereich der Bauchaorta liegen, und werden spätestens

dort auf ihr 2. Neuron umgeschaltet. Hier bilden sie mit parasympathischen Fasern (die hier

übrigens noch nicht umgeschaltet werden) Nervengeflechte (Plexus), von denen aus die

©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“

Stand 07/07 Seite 26 von 43

Erfolgsorgane dann bedient werden. Einer dieser Plexus ist der Plexus coeliacus im Bereich

des aortalen Abgangs des Truncus coeliacus, der auch als Solar plexus bekannt ist und seinen

Namen aufgrund seiner sternenförmigen Nervenfaserabgänge erhalten hat.

Die Kerne des Parasympathikus befinden sich zum einen im Hirnstamm und geben Reize

über die Hirnnerven III, VII, IX und X weiter. Während die HN III, VII und IX im

Kopfbereich bleiben und hier motorische und sekretorische Funktionen übernehmen, zieht der

X. Hirnnerv, der N. vagus, bis weit in den Bauchbereich hinein und hat so sehr starken

vegetativen Einfluss auf das Herz, die Lunge, die Speiseröhre und den Gastrointestinaltrakt

bis zur linken Kolonflexur (Dickdarmkurve). Dieser Punkt wird auch als Cannon-Böhm-

Punkt bezeichnet. Ab hier übernehmen die parasympathischen Fasern aus dem

parasympathischen Kerngebiet des Sakralbereichs und versorgen über Nervi pelvini

splanchnici explizit den absteigenden Dickdarm (Colon descendens) incl. Rektum, die

ableitenden Harnwege mit Blase und das innere und äußere Genitale. Das 1. Neuron des

Parasympathikus zieht bis zum Erfolgsorgan. Erst kurz davor wird auf das 2. Neuron

umgeschaltet (also anders als beim Sympathikus). Da insgesamt gesehen der N. vagus die

meisten parasympathischen Fasern enthält und einen so elementaren Einfluss auf vegetative

Funktionen hat, wird er oftmals als Synonym für das parasympathische Nervensystem

verwendet, was zwar aus anatomisch-physiologischer Sicht nicht ganz richtig, aber mit

diesem Verständnis durchaus akzeptabel ist. Hier noch eine Graphik zum besseren

Verständnis:

- fördert die Herzfrequenz, Pumpleistung - (genau entgegengesetzt)

- erhöht den Blutdruck

- fördert die Atmung

- weitet die Pupillen (Mydriasis)

- hemmt die Verdauung

- wirkt hemmend auf das Sexualvermögen

Anm.: Besonders interessant (natürlich aus medizinischer Sicht) ist der Einfluss des

vegetativen Nervensystems auf Erektion und Ejakulation. Tatsächlich ist es so, dass der

Parasympathikus entscheidend ist für die Erektion. Sollte es nun mit eben dieser mal nicht

zum Besten bestellt sein, so liegt das oftmals nicht am mangelnden Interesse, sondern

vielmehr daran, dass man viel zu aufgeregt ist und somit der Sympathikus einen zu großen

Einfluss hat (wie schon gesagt: bei Flucht oder Kampf keine Vermehrung!). Hier helfen also

Ablenkung und viel Gelassenheit. Wenn es dann doch was geworden ist mit der Erektion,

dann darf auch der Sympathikus am Liebesspiel teilhaben, denn die Ejakulation ist ganz in

seiner Macht!

Vegetatives

Nervensystem

Somatisches

Nervensystem

Sympathikus Parasympathikus

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Stand 07/07 Seite 27 von 43

Auch andere Funktionen wie die Blasenentleerung (Miktion) oder der Stuhlgang (Defäkation)

sind recht komplex, denn neben der vegetativen Steuerung nehmen auch willkürliche Signale

Einfluss auf diese Funktionen. Hier möchte ich aber nicht näher darauf eingehen.

Eine besondere Stellung hat das Nervengeflecht des Gastrointestinaltrakts. Zwar steht es in

Verbindung mit dem ZNS (besonders über den Parasympathikus), viele Funktionen und

Reaktionen auf veränderte Situationen erfolgen aber auch völlig autark. In einigen Büchern

wird daher dieses intramurale Nervensystem aufgrund seiner Komplexität und Selbstän-

digkeit als ein „zweites Gehirn“ gesehen.

3.2 Afferenzen / Efferenzen

Dieser Punkt ist mit einer knappen Definition für die entsprechenden Wörter recht zügig

abgehandelt.

Afferenz: Alle Nervenfasern, die Informationen (Reize) zum ZNS (Gehirn/Rückenmark)

senden, sind afferente, also ankommende oder zuführende Neurone. Diese Nerven kann man

als sensibel bzw. sensorisch bezeichnen, denn sie leiten alle Sinneswahrnehmungen und

unwillkürlich gemessene Informationen (z.B. Blutdruck in der Aorta) zum ZNS.

Efferenz: Alle Nervenfasern, die Informationen (Reize) vom ZNS in die Peripherie senden,

sind efferente, also wegführende oder ableitende Neurone. Diese Nerven kann man als

motorisch bzw. sekretorisch (vegetative Drüsentätigkeit) bezeichnen.

Projektionen innerhalb des ZNS werden entsprechend der Flussrichtung als Afferenz oder

Efferenz betrachtet. Fließen Informationen z.B. vom Thalamus zum Kleinhirn, so sind diese

Nerven aus der Sicht des Thalamus Efferenzen, aus der Sicht des Kleinhirns aber Afferenzen,

also je nachdem, von welchem Standpunkt aus ich das Ganze betrachte.

©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“

Stand 07/07 Seite 28 von 43

3.3 Ruhemembranpotential

Um zu verstehen, wie es überhaupt zu einer elektrischen Kodierung von nicht elektrischen

Reizen kommen kann, wie die Reizbildung und Reizleitung am Herzen, im Gehirn oder

anderswo funktioniert, kommt man nicht umhin, sich mit elementaren physikalisch-

chemischen Dingen auseinander zu setzen. Aber hier bitte nicht erschrecken, nichts wird so

heiß gegessen, wie es gekocht wird und mit etwas Begeisterung und Interesse ist auch dieses

Kapitel gut zu meistern.

Zuerst einmal muss man sich Gedanken um Salze machen. Jeder von uns kennt Salz, nimmt

tagtäglich etwas davon zu sich, aber was ist das, Salz? Im allgemeinen Sprachgebrauch

handelt es sich hierbei um Kochsalz, wenn wir es etwas genauer betrachten um

Natriumchlorid, eine feste Substanz. Was aber passiert, wenn wir dies in Wasser geben? Es

verschwindet, genau. Chemisch ausgedrückt sagt man, es geht in Lösung, es löst sich also in

Wasser auf. Natriumchlorid (NaCl) ist also keine so feste Verbindung, wie man ursprünglich

vielleicht aufgrund seiner Konsistenz hätte annehmen können. Es handelt sich nicht um eine

feste, kovalente Bindung, bei der sich zwei Atome über ein gemeinsames Elektronenpaar

verbinden, sondern um eine sogenannte Ionenbindung, bei der lediglich elektrostatische

Anziehungskräfte für den Zusammenhalt sorgen. Ursprünglich gab es hierbei eine sehr starke

Reaktion. Gibt man nämlich zu metallischem Natrium (Na) Chlorgas (Cl2), kommt es zu einer

heftigen Reaktion. Natrium hat auf seiner äußeren Hülle nur ein Elektron, Chlor hingegen

sieben. Da ja alle Atome bestrebt sind, die Edelgaskonfiguration zu erreichen, was bedeutet,

dass sie ihre äußere Hülle mit acht Elektronen voll besetzt wissen wollen, gibt das Natrium

dem Chlor sein Elektron ab und beide sind glücklich. Da Elektronen bekanntlich negativ

geladen sind, ist das Chlor nun negativ, da es ja vom Natrium ein Elektron geschenkt

bekommen hat. Auf der anderen Seite muss nun das Natrium positiv sein, denn es hat ja nun

ein negatives Elektron weniger. Dies muss einleuchten, da ja vor dieser Reaktion beide

neutral waren, also genau so viele positive Protonen im Kern wie negative Elektronen auf den

Schalen hatten (wer hier Fragen hat, sollte im Chemiebuch über das Bohr´sche Atommodell

nachlesen). Geladene Atome bezeichnet man als Ionen, wobei die positiv geladenen als

Kationen und die negativ geladenen als Anionen bezeichnet werden. Die Anionen kann man

übrigens gut an ihrer Endung –id bzw. –at erkennen (beim Chlor also dann Chlorid).

Wahrscheinlich werdet ihr alle wissen, dass sich + und – gegenseitig anziehen, und genau

diese Anziehungskraft hält unser Kochsalz zusammen, nicht mehr und auch nicht weniger.

Wirft man das Salz ins Wasser, löst es sich deshalb auf, weil das Wasser eine ganz besondere

Eigenschaft besitzt. Wasser hat einen Dipol-Charakter. In sich ist Wasser (H2O) zwar neutral,

bei genauerer Betrachtung aber übt das Sauerstoffatom eine viel stärkere Anziehungskraft auf

das Elektronenpaar aus, als der Wasserstoff (Sauerstoff hat eine wesentlich stärkere

Elektronegativität als Wasserstoff). Somit verschiebt sich das Elektronenbindungspaar in

Richtung Sauerstoff, weshalb er nach außen partiell negativ und der Wasserstoff partiell

positiv geladen ist. Es kommt zu Anziehungskräften zwischen dem Wasser und den Salzen,

die daraufhin dissoziieren, also auseinander brechen.

δ-

O

H H δ+

δ+

©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“

Stand 07/07 Seite 29 von 43

Es gibt übrigens neben dem NaCl noch viele andere Salze, z.B. KCl (Kaliumchlorid) oder

Calciumfluorid (CaF2), um nur einige zu nennen. Gelöste Salze können Strom in Form von

Ionenwanderung leiten. Ein solches System wird Elektrolyt genannt, weshalb man die im

menschlichen Körper gelösten Ionen auch als Elektrolyte bezeichnet. Die wichtigsten

Elektrolyte für den Menschen sind:

- Natrium-Ion (Na+)

- Kalium-Ion (K+)

- Chlorid (Cl-)

- Calcium-Ion (Ca2+

)

- Magnesium-Ion (Mg2+

)

- Hydrogencarbonat (HCO3-

)

- viele weitere Ionen (Fluorid, Iodid, Phosphat, Acetat, Hydroxid, Eisen-Ion…)

Je nach Position im Periodensystem (Hauptgruppe) sind die Ionen einfach oder auch mehr-

fach geladen, je nachdem, wie viele Elektronen sich ursprünglich auf der äußeren Schale

befinden (1. Hauptgruppe: ein Elektron, 2. Hauptgruppe: zwei Elektronen, etc.). Calcium z.B.

befindet sich in der 2. Hauptgruppe, gibt also 2 negative Elektronen ab und ist somit als Ion

zweifach positiv geladen.

Was aber ist ein Ruhemembranpotential? Elektrolyte können als geladene Moleküle nicht

durch eine Zellmembran hindurch diffundieren, denn die Membran besteht zu großen Teilen

aus fettigen Bestandteilen, ist also lipophil, und Fett und geladene Teilchen mögen sich

überhaupt nicht. Damit nun aber trotzdem die Elektrolyte durch die Zellmembran können,

gibt es extra hierfür in die Zellmembran eingebaute Kanäle, immer speziell für ein bestimmtes

Salz. Einige dieser Kanäle sind in Ruhe offen, andere öffnen sich erst, wenn ein Reiz die

Zellmembran erreicht. Um das Ruhemembranpotential an einer Zellmembran zu verstehen,

betrachten wir eigentlich nur zwei Salze, nämlich Natrium und Kalium, die beide einfach

positiv geladen sind. Ferner muss man wissen, dass es Kaliumkanäle gibt, die ständig offen

sind und Natriumkanäle, die in Ruhe kein Natrium durchlassen!

Grundsätzlich gibt es zwei treibende Kräfte. Die eine Kraft richtet sich nach dem

Konzentrationsgefälle eines Moleküls. Haben wir auf der einen Seite viel Kalium und auf

der anderen Seite wenig, so wird Kalium solange wandern, bis auf beiden Seiten die gleiche

Kaliumkonzentration herrscht.

Die andere treibende Kraft ist das Potentialgefälle. Wenn auf der einen Seite eine positive

und auf der anderen Seite eine negative Ladung herrscht, wandern die Ionen so lange, bis

beide Seiten ausgeglichen sind.

Zurück zu unserer Zelle: Die Ausgangssituation sieht so aus, dass sich in der Zelle negativ

geladene, organische Anionen und außerhalb der Zelle Natrium und Kalium befinden. Die

organischen Anionen können aufgrund ihrer Größe nicht aus dem Intrazellularraum heraus.

Natrium muss, ob es will oder nicht, draußen bleiben, denn es gibt für ihn keinen offenen

Kanal. Kalium hingegen kann in die Zelle, denn sein Kaliumkanal ist in Ruhe offen. Das

Kalium wird mit großer Intensität in die Zelle wandern, denn es wird sowohl vom

Konzentrations- wie auch vom Potentialgefälle getrieben. Gäbe es nur das Potentialgefälle,

hätten wir abschließend das gesamte Natrium draußen und das gesamte Kalium in der Zelle.

Da aber das Konzentrationsgefälle dem irgendwann entgegen wirkt, wird es sich so einpegeln,

dass Kalium überwiegend in der Zelle (also intrazellulär) und Natrium fast ausschließlich

außerhalb der Zelle (extrazellulär) ist. Ich habe gesagt, Natrium würde in Ruhe gar nicht in

©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“

Stand 07/07 Seite 30 von 43

die Zelle gelangen, das stimmt so nicht ganz. Über Leckströme kommen einige Natriumionen

doch ins Zellinnere. Um das Ladungsgleichgewicht auszugleichen, wandern parallel

Kaliumionen nach außen. Da sich auf Dauer Natrium und Kalium ausgleichen würden, gibt es

eine elektrisch betriebene Natrium/Kalium-Pumpe, die aktiv 3x Natrium aus der Zelle heraus

wirft und gleichzeitig 2x Kalium in die Zelle rein holt. Da nur das Kalium frei zwischen innen

und außen wechseln kann, ist es der alleinige bestimmende Faktor für das Ruhemembranpo-

tential, was beim Ausgleich seines Potential- und Konzentrationsgefälles (Ladungsgradient =

Konzentrationsgradient) erreicht ist. Das Ruhemembranpotential ist je nach Zelltyp etwas

unterschiedlich und liegt bei ca. -70 mV.

3.4 Aktionspotential

Durch bestimmte Reize (z.B. mechanische oder chemische) kommt es zu einer leichten

Veränderung des Ruhepotentials, die Zelle depolarisiert (A), wird also weniger negativ. Wie

dies genau geschieht, hängt ganz von dem entsprechenden Rezeptor ab und wird hier nicht

näher erläutert. Ab einem bestimmten Schwellenwert, der bei ca. -50 mV liegt, öffnen sich

schlagartig die spannungsabhängigen Natriumkanäle (Alles-oder-nichts-Prinzip), so dass nun

massiv Natriumionen, getrieben vom Potential- und vom Konzentrationsgefälle, ins

Zellinnere einströmen (B). Dies führt sogar zu einer Umkehr der Vorzeichen, will sagen,

innen wird es kurzfristig positiv (bis ca. +30 mV). Kurz nach Öffnung der spannungsabhän-

gigen Natriumkanäle öffnen sich auch spannungsabhängige Kaliumkanäle, wodurch die

Kaliumionen aus der Zelle herausbefördert werden (C). Kurze Zeit später (wir reden hier von

weniger als 1 ms) schließen sich die Natriumkanäle und der Na-Einstrom kommt zum

erliegen. Vorerst kann dieser Kanal nicht mehr geöffnet werden, er ist refraktär. Der noch

existente Kaliumausstrom sorgt daraufhin für eine kurzfristige Hyperpolarisation (bis ca. -90

mV)(D), bis sich auch die spannungsabhängigen Kaliumkanäle schließen und mit Hilfe der

Natrium/Kalium-Pumpe das Ruhemembranpotential wieder hergestellt wird (E).

A B C D E

In der Refraktärzeit ist der Nerv an dieser Stelle nicht zu depolarisieren, was der Erregung

eine Richtung vorgibt. Durch die Isolierung vieler Nerven „hüpft“ das Aktionspotential von

einem Ranvier´schen Schnürring zum anderen. Diese „saltatorische Erregungsausbreitung“

ermöglicht eine schnelle Reizleitung, die bei sehr dicken und gut isolierten Nervenfasern eine

©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“

Stand 07/07 Seite 31 von 43

Leitungsgeschwindigkeit von bis zu 120 m/s ermöglichen (α-Motoneurone). Nicht

myelinisierte Nervenfasern erreichen hingegen nur eine Geschwindigkeit von 1 m/s

(langsame C-Schmerzfasern).

3.5 Chemische Reizweiterleitung

Das Aktionspotential gewährleistet die elektrische Reizleitung entlang eines Axons. Die

Kommunikation zwischen zwei Nervenzellen benötigt einen anderen Mechanismus, einen

chemischen Übertragungsweg. An der Kontaktstelle zweier Nerven (= Synapse) befinden

sich folgende Strukturen:

- präsynaptisches Endknöpfchen vom Axon des 1. Neurons

- synaptischer Spalt

- postsynaptisches 2. Neuron (bzw. Muskel- od. Drüsenzelle)

Der Kontakt zweier Nerven ist oftmals axodendritisch, kann aber auch mal axosomatisch oder

sehr selten auch axoaxonal sein.

Eine ankommende Erregung des 1. Neurons (1) verändert die Membranpermeabilität des

synaptischen Endknöpfchens und es kommt zum Einstrom von Kalziumionen (2). Das

Kalzium bewirkt eine Verschmelzung von Vesikeln (Blasen) mit der präsynaptischen

Membran. Dabei wird der Inhalt der Vesikel in den synaptischen Spalt abgegeben (3). Bei

dem Inhalt handelt es sich um Transmitter, die je nach Nerv unterschiedlich sind, sowohl in

ihrer Struktur als auch in ihrer Wirkung an der Erfolgszelle. Es wäre müßig, alle Transmitter

aufzuzählen, aber einige sollte man auf jeden Fall zuordnen können:

- Noradrenalin (sympathischer Transmitter des vegetativen Nervensystems)

- Acetylcholin (parasympathischer Transmitter des vegetativen Nervensystems)

- GABA (γ-Aminobuttersäure, hemmender Transmitter im ZNS)

- Glutamat (erregender Transmitter im ZNS)

- …

Der Transmitter diffundiert durch den synaptischen Spalt und dockt an die postsynaptische

Membran (4). Durch direkten oder indirekten Einstrom von Ionen kommt es je nach Ion bzw.

Rezeptortyp zu einer Erregung oder zu einer Hemmung der Erfolgszelle (EPSP = exzitato-

risches postsynaptisches Potential (Erregung); IPSP = inhibitorisches postsynaptisches

Potential (Hemmung)). Im Bildbeispiel kommt es zu einer Erregung, die zu einem

Aktionspotential in der Erfolgszelle führt (5). Der Transmitter (hier: Acetylcholin) wird im

Spalt durch spezialisierte Enzyme (hier: Acetylcholinesterase) in Essigsäure und Cholin

gespalten und somit unwirksam gemacht (6). Die Abbauprodukte gelangen wieder in den

präsynaptischen Endknopf und werden hier wieder resynthetisiert und in Vesikel eingelagert

(7). An einer Zelle sind nicht selten bis zu 20.000 (!) Synapsen, die sowohl EPSP als auch

IPSP erzeugen. Diese erregenden und hemmenden Informationen werden summiert und

bestimmen dann die weitere Reizbildung in der Erfolgszelle. Bei Muskelzellen genügt ein

Reiz, um ein Aktionspotential zu generieren, man spricht hier von einer 1:1 Überleitung.

Durch Gifte kann in diese chemische Übertragung eingegriffen werden. Dies macht man sich

auch therapeutisch zu nutze, z.B. bei der Muskelrelaxierung mittels Curarederivate,

Muskellähmung bei Spastiken mittels Botulinustoxine oder bei der Herzfrequenzbeein-

flussung durch Atropin.

©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“

Stand 07/07 Seite 32 von 43

Ähnlich reagieren wir bei einem lauten Knall. In diesem Rahmen möchte ich aber nur kurz

auf den Muskelsehnenreflex eingehen.

Große Teile des Muskels bestehen aus Muskelgewebe. Es befinden sich außerdem noch

spindelförmige Erscheinungen darin, die sogenannte Muskelspindel. Dies sind spezielle

Dehnungsrezeptoren mit eigenen Muskelfasern in den Spindelspitzen.

Es hat über motorische Endplatten Kontakt zu mehreren Muskelfasern und erregt diese, was

zu einer Verkürzung des Muskels führt. Dabei wird auch die Muskelspindel gestaucht und der

Dehnungsreiz erlischt. Plastisch sieht das ganze so aus, dass ich dem Patienten auf die Sehne

klopfe und er reflektorisch tritt.

Werden diese Muskelspindeln ge-

dehnt (z.B. durch einen Schlag auf

die Patellarsehne), kommt es zu ei-

ner Depolarisation und somit zu Ak-

tionspotentialen (Dehnung = Depo-

larisation). Diese werden über

schnelle afferente Fasern (1a-Fasern)

über die Hinterwurzel zum Rücken-

mark geleitet und dort direkt auf ein

efferentes α-Motoneuron verschaltet,

was über die Vorderwurzel das Rük-

kenmark verlässt und zum Muskel

zurückzieht.

3.6 Reflexe

Bei Reflexbahnen unterscheidet man Eigen- und

Fremdreflexe. Beim Eigenreflex ist der Reiz-

impulsgeber gleichzeitig das ausführende Organ.

Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der Patellar-

sehnenreflex, den wir gleich genauer besprechen

wollen. Darüber hinaus gibt es aber auch die

Konstellation, dass neben dem eigenen Muskel

auch noch weitere Erfolgsorgane aktiviert werden.

Hier sprechen wir von einem Fremdreflex.

Kommt z.B. ein Gegenstand mit großer Geschwin-

digkeit auf unser Auge zu, werden wir nicht nur

reflektorisch die Augen schließen, sondern gleich-

zeitig noch den Kopf beiseite und die Arme vor

das Gesicht nehmen und zudem noch in Deckung

gehen.

©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“

Stand 07/07 Seite 33 von 43

4 PATHOPHYSIOLOGIE

4.1 Neurologische Untersuchung

Die neurologische Untersuchung ist in der Klinik ausgesprochen umfangreich. Im

Rettungsdienst haben wir weder die Zeit, noch die Gelegenheit, alle diagnostischen

Möglichkeiten auszuschöpfen. Uns interessieren vielmehr gravierende, akute Erscheinungen.

Elementar ist für uns z.B. die Bewusstseinslage des Patienten, ebenfalls von großer

Bedeutung sind Ausfallerscheinungen von Sensorik und Motorik. Dieser Abschnitt der

neurologischen Untersuchung soll euch das elementarste Handwerkzeug an die Hand geben,

um einen kurzen neurologischen Status erheben zu können.

Anamnese

Wie bei jeder anderen Erkrankung steht die Erhebung der Anamnese an erster Stelle der

Diagnosefindung. Allgemeine Fragen nach dem Befinden, nach Schmerzen oder sonstigen

Funktionsstörungen weisen oftmals schon entscheidend den Weg in die richtige Richtung.

Beginnen sollte man die Anamnese mit einer offenen Eingangsfrage, die dem Patienten die

Möglichkeit gibt, frei zu antworten. Als eine mögliche Frage käme in Betracht: „Guten Tag,

mein Name ist xxx, sie haben den Rettungsdienst gerufen, was ist ihr Problem?“ Jeder sollte

sich vorab eine Eingangsfrage zu Recht legen, um nicht in der Situation erst den „Faden“

seiner Anamnese zu suchen. Entsprechend der Antwort ergeben sich zwangsläufig weitere

Fragen, die dann die Diagnoseoptionen immer mehr eingrenzen. Eine gute Anamnese setzt

natürlich viel Sachverstand und eine gute Patientenführung voraus, ansonsten können leicht

wichtige Informationen überhört bzw. wichtige spezifische Fragen gar nicht erst gestellt

werden. Grundsätzlich ist es besser, den Patienten selbst zu befragen (Eigenanamnese).

Sprachstörungen (Aphasie), Konzentrationsstörungen etc können so direkt mitbeurteilt

werden. Es gibt jedoch Situationen, in denen eine Eigenanamnese allerdings nicht möglich ist

(Bewusstlosigkeit, kleine Kinder, senil-demente Menschen, ausländische Mitbürger ohne

Deutschkenntnisse, Behinderte…). Hier muss auf eine Fremdanamnese zurückgegriffen

werden, um an Informationen zu kommen.

Klinische Untersuchung

Nach der Anamnese kommt die orientierende klinische Untersuchung. Im Notfallgeschehen

interessiert uns vorrangig das Bewusstsein des Patienten. Dieser Punkt wird unter 4.2 genauer

abgehandelt. Des Weiteren können verschiedene Funktionstests durchgeführt werden, die

Auskunft über die Sensorik (Wärme-, Kälte-, Vibrations-, Schmerzempfinden, Lagesinn)

bzw. Motorik (Kraftsinn) geben. Auch die Überprüfung der Reflexe und der einzelnen

Hirnnerven gehört zur neurologischen Untersuchung dazu, wird aber im Rettungsdienst selten

bis gar nicht gemacht, es sei denn, die Situation gebietet es. Dann aber sollte dies dem Arzt

vorbehalten bleiben, denn die Beurteilung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse

bedarf entsprechender Erfahrung. Zur neurologischen Untersuchung im weiteren Sinn gehört

auch die körperliche Untersuchung (z.B. die Suche nach einem Zungenbiss und Überprüfung

von Harnabgang bei Verdacht auf einen Krampfanfall, Temperaturmessung bei Verdacht auf

Fieberkrampf, Pupillendifferenz bei Verdacht auf eine intracerebrale Blutung (ICB),

Erkennen von hängendem Mundwinkel oder Augenlid bei Apoplex etc.). Hier nun wichtige

neurologische Untersuchungen im Rettungsdienst:

©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“

Stand 07/07 Seite 34 von 43

Pupillenkontrolle:

Der normale Zustand der Pupillen ist:

- rund

- 4-6 mm weit

- bei Lichteinfall Verengung innerhalb 1 s. = prompt

- Seitengleichheit

Es gibt verschiedene pathologische Veränderungen, die Hinweise auf verschiedene Störungen

geben. Auf eine differenzierte Aufzählung möchte ich hier verzichten und auf mein Skript

„Anamnese und Diagnostik von Patienten“ verweisen. Die wichtigsten Erscheinungen sind:

- Beidseits stark erweiterte Pupillen = Mydriasis (Hypoxie des Gehirns,

Kokainkonsum, Beruhigungsmittelintoxikation, Alkohol, Unterkühlung)

- Beidseits verengte Pupillen = Miosis (BTM-Intoxikation, z.B. Heroin, SHT initial)

- Seitendifferenz = Anisokorie (cerebrale Raumforderung)

Kraftsinn:

- Kreuzgriff: der Untersucher überkreuzt seine Arme, nimmt die Hände des

Patienten und bittet diesen, mit beiden Händen kräftig zuzudrücken. Ein deutliches

Kräftemissverhältnis zeigt eine Halbseitenlähmung an (Hemiparese). Bei akutem

Ereignis wichtiger Hinweis auf einen Schlaganfall (Apoplex).

- Armhalteversuch: Der Patient wird gebeten, im Stehen seine Arme nach vorne in

Supinationsstellung (Handinnenfläche nach oben) auszustrecken und sie bei

geschlossenen Augen zu belassen. Fällt ein Arm herab oder kommt es einseitig zu

einer Pronation („Innenrotation“), ist dies Zeichen einer Hemiparese.

Sensorik:

- Bestreichen der Haut (distaler Ausfall der Sensorik bei Frakturen

(Knochenbrüchen) ist Zeichen einer Nervenläsion)

besonderes:

- Meningitis-Untersuchung (Hirnhautentzündung): Brudzinski-Zeichen: Beim

liegenden Patienten wird passiv der Kopf angehoben, reflektorisch werden die

Beine angezogen

- Querschnitt: Pyramidenbahnzeichen: Babinski-Reflex: Beim Patienten wird die

seitliche Fußsohle bestrichen. Hebt sich der Großzeh bei Abspreizung der übrigen

Zehen, ist der Reflex positiv und somit pathologisch (bis zum 2. Lebensjahr ist

dies ein normaler Reflex). Die gleichen Zeichen werden auch durch andere Tests

erreicht, z.B. Kneten der Wade (Gordon) oder festes Abstreichen des Schienbeins

(Oppenheim). Die Pyramidenbahnzeichen sind nicht nur beim Querschnitt zu

sehen, sondern auch bei anderen zentralen Störungen dieser Bahn.

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Stand 07/07 Seite 35 von 43

4.2 Das Bewusstsein

Das Bewusstsein ist im Rettungsdienst von elementarer Bedeutung und bestimmt nachhaltig

unser weiteres Vorgehen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Bewusstsein zu

klassifizieren. Eine Möglichkeit ist es nach den 3 Kriterien

- bewusstseinsklar

- bewusstseinseingetrübt

- bewusstlos

einzuordnen. Besser noch ist eine etwas differenziertere Betrachtung und Einteilung in 4

Klassen:

- bewusstseinsklar (Patient ist zeitlich, räumlich, situativ und persönlich orientiert)

- somnolent (Patient ist unkonzentriert, abwesend, kann sich nicht konzentrieren,

schläfrig)

- soporös (Patient ist nur noch durch Schmerzreize erweckbar bzw. zu einer

Reaktion zu bewegen)

- komatös (auch stärkste Schmerzreize bleiben unbeantwortet, alle Schutzreflexe

sind erloschen)

Um das Maß der Bewusstseinseintrübung genauer zu quantifizieren, wurde die Glasgow-

Coma-Scale (GCS, nach Jannett und Teasdale) entwickelt. Sie ist elementarer Bestandteil des

Notarztprotokolls (DIVI-Protokoll). Es werden drei Fähigkeiten überprüft:

- Sprache (verbale Fähigkeiten)

- Augenmotorik /-fixierung

- Motorik

Die Folgende Liste zeigt die genaue Einteilung.

Augen offen Verbale Reaktion Motorische Reaktion

4 P. spontan 5 P. voll orientierte Kommu-

nikation

6 P. nach Aufforderung

genau

3 P. auf Aufforderung 4 P. desorientierte Kommu-

nikation 5 P. auf Schmerzreiz genau

2 P. auf Schmerzreiz 3 P. inadäquate Äußerung 4 P. Beugeabwehr

1 P. kein Öffnen 2 P. unverständliche Laute 3 P. Beugesynergismen

1 P. keine verbale Reaktion 2 P. Strecksynergismen

1 P. keine Reaktion

©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“

Stand 07/07 Seite 36 von 43

Maximale Punktzahl: 15 Punkte (optimale Bewusstseinslage)

Minimale Punktzahl: 3 Punkte (tiefstes Koma)

Bei ≤ 8 Punkten: Intubationsindikation

4.3 SHT Gehirnerschütterung / -prellung / -quetschung

(Commotio -/ Contusio -/ Compressio cerebri)

Alle drei traumatischen Verletzungsmuster subsumiert man unter dem Begriff des gedeckten

Schädel-Hirn-Traumas (SHT). Gedeckt heißt hier, dass es keine Verletzung der harten

Hirnhaut gibt. Die Einteilung ist in der präklinischen Phase gar nicht richtig beurteilbar, da

besonders die Dauer der Bewusstlosigkeit und das Outcome des Patienten den Schweregrad

des SHT bestimmt. Man sollte sich demnach auf die Beschreibung der objektiv zu erhebenden

Tatsachen beschränken (z.B. Pupillenreaktion, -weite, Orientierung des Patienten etc.).

Commotio cerebri: SHT 1. Grades. Durch eine stumpfe Gewalteinwirkung auf den Kopf

(Sturz oder Schlag) kommt es zu einer kurzen, nicht über 15 min (unter 5 min. nach LPN).

währende Bewusstlosigkeit, oftmals mit einem Gedächtnisverlust für den Zeitraum kurz vor

dem Ereignis und dem Ereignis selber (retrograde und anterograde Amnesie). Klassisch sind

in den folgenden 24 h Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen. Der Patient sollte für diese

Zeit unter ärztlicher Kontrolle sein, ist aber bei einer guten häuslichen Betreuung nach

Aufklärung der Komplikationen nicht unbedingt notwendig. Für das Gehirn gibt es keine

Spätschäden.

Contusio cerebri: SHT 2. Grades. Die stumpfe Gewalteinwirkung führt hier zu einer

längerfristigen Bewusstlosigkeit (unter 30 min. nach LPN). Es kommt zu Prellungen von

Hirnarealen mit nachfolgenden kleinen Einblutungen und leichter Schwellung (Hirnödem).

Hier ist ein stationärer Aufenthalt unumgänglich. Oftmals übersteht der Patient dieses Trauma

nicht ohne bleibende Schäden.

Compressio cerebri: SHT 3. Grades. Die Gewalteinwirkung ist massiv und geht mit einer

Bewusstlosigkeit von länger als 30 min. einher (über 24 h nach Rossi, Notfall-Taschenbuch).

Hierbei kommt es zu stärkeren, manchmal fokal (punktuell), oftmals aber auch diffus

ausgeprägten Einblutungen ins Gehirn. Hierbei freigesetzte Mediatoren führen zu einer

Gefäßweitstellung und zu Permeabilitätsveränderungen mit der Ausprägung eines

posttraumatischen Hirnödems (Gehirnschwellung). Da es im Schädel keinen Platz zur

räumlichen Ausdehnung gibt, nimmt der intracranielle Druck (ICP, also der Druck im Kopf)

zu. Dies kann zu einer Einengung von Gehirnarealen führen, wobei es zuerst zu einer

sogenannten oberen Einklemmung im Bereich zwischen Kleinhirn und Großhirn (dieser

Bereich wird als Tentorium bezeichet) kommt. Man erkennt es an der zunehmenden

Bewusstlosigkeit (es kann durchaus sein, dass der Patient wieder bei Bewusstsein war),

verlangsamte Lichtreaktion der Pupillen, Wälzbewegungen des Patienten bis hin zu

Beugesynergismen. Erhöht sich der ICP weiter, so kommt es zu einer unteren Einklemmung

(Bulbärhirnsyndrom) mit Ausfall von Schutzreflexen (Hustenreflex, Kornealreflex) und

Verschlechterung der Atem- und Kreislaufsituation. Die Pupillen sind nun weit und lichtstarr.

Spätestens jetzt muss der Patient, wenn nicht schon geschehen, intubiert werden. Übersteigt

der ICP den mittleren arteriellen Blutdruck, so kommt es zu einer Minderversorgung des

Gehirns, was im schlimmsten Fall mit dem Hirntod des Patienten endet. Im Folgenden eine

kurze Auflistung der zu erwartenden Klinik und die therapeutischen Maßnahmen:

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Stand 07/07 Seite 37 von 43

Klinik: (Symptome können auch einzeln auftreten)

- Kopfschmerzen, Schwindel, Erinnerungslücken, Sehstörungen, Unruhe

- Bewusstseinsstörungen bis zur Bewusstlosigkeit

- Atemstörungen (Biotsche Atmung) bis Apnoe

- Pupillendifferenz, -erweiterung

- Nackensteife

- (Streck-) Krämpfe

- Puls von tachykard bis bradykard (Bradykardie schlechtes Zeichen)

- Blutdruckanstieg (kompensatorisch)

- Begleitverletzungen

Maßnahmen:

- Beurteilung der Situation, ggf. Eigenschutz beachten

- Lagerung: 30° Oberkörper hoch; bei RR systolisch < 80 mmHg Flachlagerung

- Sicherung der Atemwege und Sauerstoffgabe (reichlich)

- Wärmeerhaltung

- Überwachung der Vitalparameter (Puls, RR, SpO2)

- Notarztruf

- Vorbereitung eines venösen Zugangs (ggf. Blutdruckerhöhung bei Hypotonie,

Zielblutdruck systolisch zwischen 160 und 200 mmHg))

- ggf. Vorbereitung der Intubation

- Behandlung der Begleitverletzungen (Stiffneck, Wundversorgung, Schienung von

Frakturen etc.)

4.4 Blutungen

Blutungen sind durch ein primäres Ereignis ausgelöste sekundäre Hirnschäden (auch das

Hirnödem gehört zu den sekundären Schäden). Je nach Lokalisation unterscheidet man in

subdurales, epidurales, subarachnoidales und intrazerebrales Hämatom.

4.4.1 Epidurales Hämatom

Beim epiduralen Hämatom kommt es in Folge einer Krafteinwirkung auf den Kopf, nicht

selten in Verbindung mit einer Schädelkalottenfraktur, zu einer Einblutung in den

Epiduralraum (s. 2.1.1.2). Ursächlich hierfür ist die Zerreißung der Hirnhaut versorgenden

Gefäße, besonders der A. meningea media. Die Tatsache, dass es sich um eine Arterie

handelt, erklärt den raschen Verlauf der Symptomatik. Nur in seltenen Fällen liegt der Grund

für ein Epiduralhämatom in einer Verletzung der Sinus in diesem Bereich. Hin und wieder

kann bei einem Patienten ein sogenanntes „freies Intervall“ gesehen werden. Hierbei ist der

Patient initial bewusstlos, klart dann auf, um im weiteren Verlauf wieder das Bewusstsein zu

verlieren. Es handelt sich fast ausschließlich um eine seitliche Blutung im Temporal-,

Parietal- oder Frontalbereich. Auffällig ist die Pupillenerweiterung auf der Seite der Blutung

(ipsilateral) mit einer Halbseitenlähmung (Hemiparese) der kontralateralen Körperseite. Im

CCT (kraniales Computertomogramm) zeigt sich eine bikonvexe Raumforderung, die die

Schädelnähte nie überschreitet! Oftmals kommt es dann noch zu einer Mittellinienverschieb-

ung und den schon oben beschriebenen Einklemmungen mit entsprechender Symptomatik.

Die Therapie erfolgt wie beim schweren Hirnödem. Auch hier ist der Patient spätestens bei

Bewusstlosigkeit intubationspflichtig.

©A. Fangmann Skript „Neurologie für Rettungssanitäter“

Stand 07/07 Seite 38 von 43

CCT eines 49 jährigen Mannes, der auf den Hinterkopf gefallen ist.

Rechts hochparietals epidurales Hämatom. Deutlich ist hier die bikonvexe Einblutung zu

erkennen. Eine Verschiebung der Mittellinie ist lediglich angedeutet. Der Patient hatte zudem

eine Schädelfraktur, die im Knochenfenster deutlich zu erkennen ist.

4.4.2 Subdurales Hämatom

Bei einem Aufpralltrauma wird das Gehirn in Bewegung gesetzt. Hierbei kommt es zu

Scherkräften, die auf die Brückenvenen wirken. Es kommt zur Einblutung in den

Subduralraum (s. 2.1.1.2). Da es sich um eine venöse Blutung handelt, kann diese Blutung

auch nach Tagen erst auffällig werden (subakutes Subduralhämatom). Häufig aber ist der

Patient ohne ein freies Intervall bewusstlos (akutes Subduralhämatom) und erleidet oftmals

auch eine zusätzliche Hirnprellung. Eine Differenzierung zwischen epiduralem und

subduralem Hämatom ist präklinisch kaum möglich, aber auch nicht nötig, die rettungsdienst-

liche Versorgung ist die Gleiche. Im CCT ist eine konvex-konkave Blutung zu erkennen

(sichelförmig). Sie ist nicht durch die Schädelnähte in ihrer Ausbreitung behindert.

Im linken CCT ist ein riesiges rechtsseitiges

subdurales Hämatom zu erkennen. Es umfasst nahezu

die ganze rechte Hemisphäre. Deutlich sind hier auch

die Verschiebung der Mittellinie nach links und die

massive Kompression des rechten Seitenventrikels zu

sehen. Hier muss in der Klinik die Schädeldecke

eröffnet und das Hämatom entfernt werden.

Selbstverständlich ist auch dieser Patient

intubationspflichtig.

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Stand 07/07 Seite 39 von 43

4.4.3 Subarachnoidale Blutung

Die Subarachnoidalblutung entsteht meist durch Blutungen aus Arterien des circulus

arteriosus willisii, also den großen zuführenden Gehirngefäßen (s. 2.1.1.3). Hauptursachen

sind Aneurysmen (pathologische Aussackungen der Gefäße) dieser Arterien oder auch

Hämangiome(Blutschwämme; selten!), oftmals in Verbindung mit einer hypertensiven Krise.

Hauptsymptom ist der im Schlaf oder bei körperlicher Anstrengung auftretende meist

okzipitale, plötzlich einschießende Kopfschmerz infolge von Massenverschiebung und die

Bewusstseinsstörung mit massiver Übelkeit und Erbrechen. Die Diagnose erfolgt durch

Computertomographie und zerebrale Angiographie (Gefäßdarstellung).

4.4.4 Intrazerebrale Blutung

Fall: Der Vater hatte seinem Sohn beim Hausbau

geholfen. Beim Schleppen von Zementsäcken

bekam er plötzlich einschießende Kopfschmer-

zen „wie noch nie!“.

Im CCT ist eine linksbetonte Einblutung in die

Gehirnfurchen (Gyri) zu sehen (weiß). Dies führt

zu einer deutlichen Mittellinienverlagerung als

Zeichen eines erhöhten Hirndrucks. Dass dieser

Patient ebenfalls intubiert gehört, habt ihr

sicherlich mittlerweile verstanden.

Einrisse kleinerer im Gehirngewebe gelegener

Gefäße führen zu intrazerebralen Blutungen.

Diese sind nicht selten erst nach einigen Tagen

nach primären Gehirnverletzungen besonders

ausgeprägt. Die Klinik entspricht der der anderen

Hämatome und ist abhängig vom Ausmaß der

Läsion und der Hirndrucksteigerung. Oftmals ist

eine IZB von ödematösem Gewebe umgeben. Im

CCT erkennt man eine linksseitige Einblutung

mit leichter Verlagerung der Mittellinie und noch

recht unauffälligen Seitenventrikeln. Ein

perifokales Ödem ist nur zu erahnen.

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Stand 07/07 Seite 40 von 43

4.5 Apoplex (Schlaganfall)

Beim Apoplex (syn. hämorrhagischer/ischämischer Insult, zerebrovaskulärer Insult) handelt

es sich um ein Syndrom, welches durch neurologische Defizite gekennzeichnet ist und dem

entweder ein Verschluss einer Gehirnarterie (Embolie, 75 %) oder eine Gefäßruptur mit

intrazerebraler bzw. subarachnoidaler Blutung (25 %) zu Grunde liegt. Ursachen für eine

Embolie können sein:

- Vorhoffflimmern (Arythmia absoluta) mit Thrombenbildung

- Arteriosklerotische Gefäßveränderung der Gehirnarterien

- Endokarditis

- (Fettembolien)

Blutungsursachen sind bereits bei der Subarachnoidalblutung besprochen worden. Es können

drei Ausprägungen unterschieden werden, die TIA (transitorische ischämische Attacke),

PRIND (prolongiertes reversibles ischämisches neurologisches Defizit) und der Hirninfarkt.

Bei der TIA bilden sich die Symptome innerhalb von 24 h zurück. Manchmal hat man das

Glück, eine solche Verbesserung des Patienten noch in der präklinischen Phase zu erleben.

Leider erleiden die Patienten im Verlauf mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit (40 %)

dann doch einen Schlaganfall. Beim PRIND bestehen die Symptome länger als 24 h, bilden

sich dann aber im weiteren Verlauf komplett zurück. Beim Hirninfarkt kommt es tatsächlich

zum irreversiblen Untergang von Gehirnarealen mit entsprechenden funktionellen

Ausfallerscheinungen, die ganz von dem betroffenen Areal und der Größenausdehnung

abhängen.

Die Symptome des Schlaganfalls können sein:

- Sprachstörungen (verwaschene Sprache, wenn die dominante Gehirnhälfte

betroffen ist, dann Sprachunfähigkeit (motorische Aphasie))

- einseitige Bewegungsstörungen (Kraftverlust Hemiparese; Kreuzgriff!)

- hängender Mundwinkel und hängendes Augenlid

- Seitendifferenz beim Grimassen schneiden

- Unfähigkeit, die Backen aufzublasen

- ggf. Kopfschmerz

- Hypertonus, manchmal aber auch Hypotonus

- ggf. Herzrhythmusstörungen (HRST)

- Bewusstseinseintrübung bis zur Bewusstlosigkeit

- Blickdeviation

Es handelt sich hierbei zwar um klassische Symptome eines Schlaganfalls, es kommen aber

auch andere Differenzialdiagnosen in Betracht, wie Hypoglykämie (unbedingt Blutzucker

messen!), Tumoren, Epi-/Subduralblutungen. Die präklinische Therapie des Apoplexpatienten

ist recht unspektakulär, zumal wir nicht sicher sagen können, ob nun eine Blutung oder eine

Ischämie ursächlich ist.

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Stand 07/07 Seite 41 von 43

Therapie des Apoplex:

- Betreuung / Beruhigung des Patienten

- Vitalparameter erheben (Herzfrequenz, SpO2, RR!!)

- Blutzuckermessung

- EKG

- Sauerstoff

- peripher venöser Zugang (Vorbereitung, durch NA gelegt)

- NA bei schwereren Verläufen

- Wärmeerhalt

- 30° Oberkörper Hochlagerung, bei Hypotonie: Flachlagerung

- VORSICHT beim Umlagern: Achtet auf die gelähmte Seite!

- Zielkrankenhaus mit CT! (Neurologie mit „Stroke unit“ oder Neurochirurgie)

- zügiger Transport (Time is brain!)

4.6 Krampfanfälle (Epilepsie und andere Ursachen)

Die verschiedenen Epilepsieformen werden unterteilt in generalisierte und partielle (fokale)

Krampfanfälle. Die generalisierten Anfälle gliedern sich in konvulsive Anfälle (Grand mal),

nicht konvulsive Anfälle (Petit mal) und myoklonische Anfälle. Fokale Anfälle werden in

einfach partiell, komplex partiell, partiell unbekannten Typs und komplex mit sekundärer

Generalisierung unterteilt.

Generalisierte Krampfanfälle sind durch global (bilateral) gestörte Gehirnaktionen mit

plötzlichen Entladungen der Nervenzellen gekennzeichnet.

Bei einem konvulsiven Krampfanfall (Grand-mal-Anfall) kommt es zu einem kompletten

Bewusstseinsverlust mit gleichzeitiger Verkrampfung der kompletten Muskulatur und daraus

resultierendem Sturzereignis aufgrund einer massiven elektrischen Spontanentladung der

Gehirnzellen. Man spricht hier von tonisch-klonischen Krämpfen, wobei in der oftmals

initialen tonischen Phase der Körper steif wie ein Brett ist (tonisch), manchmal im Hohlkreuz

gebogen (Opisthotonus), und dann in ein Zittern/Schütteln übergeht (klonisch). Während des

Krampfanfälle

A. Generalisierte Krampfanfälle

1. konvulsiver Anfall (Grand mal)

2. nicht konvulsiver Anfall (Petit mal)

3. myoklonischer Anfall

B. Partielle (fokale) Krampfanfälle

1. einfach partieller Anfall

2. komplex partieller Anfall

3. partieller Anfall unbekannten Typs

4. komplexer Anfall mit sekundärer Generalisierung

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Krampfanfalls, der von Sekunden bis zu mehreren Minuten dauern kann (selten aber länger

als 2 min), kommt es zu einem Atemstillstand, der je nach Dauer des Krampfes auch mit einer

Zyanose einher gehen kann. Die Ursachen eines Krampfanfalls können mannigfaltig sein.

Ursachen:

- Hirndrucksteigerung (Gehirntumoren, Blutungen, Hirnödem, Entzündungen des

Gehirns (Enzephalitis) oder der Hirnhäute (Meningitis)

- Unterzuckerung (Hypoglykämie)

- Sauerstoffmangel (Hypoxie)

- Vergiftungen (CO, Blausäure, Alkylphosphate (E605, Metasystox),…)

- Dehydratation

- Entzugszustände (Drogen, bes. Alkoholentzug)

- Fieber (Fieberkrampf bei Kindern häufig)

- Eklampsie

- Epilepsie im engeren Sinne

Es gibt verschiedene Auslöser für einen Krampfanfall, z.B. Gerüche, visuelle Einflüsse,

Berührungen etc. Befragt man die Patienten, so haben einige direkt vor dem Anfall eine Aura,

eine Art Vorahnung. Dies kann ein bestimmter Geruch sein, ein Geschmack auf der Zunge,

eine Art Déjà Vu. Manchmal kommt es zu einem Initialschrei oder einem Seufzer. Die größte

Gefahr besteht für den Patienten darin, dass er unkontrolliert fällt und sich dabei verletzen

kann oder er bekommt einen Krampfanfall bei gefährlichen Tätigkeiten (Auto fahren). Der

Krampf als solches ist nicht lebensbedrohlich. Dennoch gehen dabei regelmäßig Gehirnzellen

zu Grunde, was aber nicht so sehr ins Gewicht fällt. Während des Krampfanfalls kommt es

oftmals zur Harninkontinenz, selten auch zur Stuhlinkontinenz, manchmal haben die

Patienten Schaum vor dem Mund. Immer sollte man auch einen Blick auf die Zunge werfen,

denn ein Zungenbiss ist nicht selten. Nach dem Krampf entspannt sich der Körper, der Patient

ist in einer Nachschlafphase (postiktische Phase) in der er nicht erweckbar ist. Kommt der

Patient zu Bewusstsein, ist er anfangs oft noch verwirrt, klart aber dann zunehmend auf und

kann sich an die Zeit vor dem Ereignis erinnern.

Versorgung:

- Vermeidung von Begleitverletzungen (Polsterung, Platz schaffen)

- ggf. Beißkeil einlegen (während des Krampfes nicht möglich)

- in Ruhe auskrampfen lassen und bereits weitere Vorbereitungen treffen

- Vitalparameter kontrollieren (RR, Puls, Sättigung)

- Notarzt

- Sauerstoffgabe

- EKG

- BZ-Messung

- Ganzkörpercheck mit Pupillenkontrolle (ICB?, Meningitiszeichen?)

- Wärmeerhalt

- Zugang vorbereiten

- ggf. Fieber senken (Parazetamol, Wadenwickel)

- ggf. Intubationsbereitschaft, falls der Krampf andauert

- ggf. Medikamente (Antikonvulsiva: Diazepam als Rectiole, Dormicum

(Midazolam) oder Rivotril (Clonazepam))

- Transport in ein Krankenhaus mit Neurologie und CT

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Stand 07/07 Seite 43 von 43

Ein Beispiel für nicht konvulsive, aber dennoch generalisierte Krampfanfälle (Petit mal)

sind Absencen, Anfälle kurzer Bewusstlosigkeit ohne Sturzereignis. Der Patient hält mitten in

einer Aktion inne und verharrt in dieser Situation. Bei Kindern wird diese Form als

pyknoleptischer Anfall bezeichnet.

Bei myoklonischen Anfällen kommt es zu einzelnen oder unregelmäßigen, wiederholten

Zuckungen einzelner Muskelgruppen. Bei der juvenilen myoklonen Epilepsie (Janz-Syndrom)

kommt es besonders nach dem Aufstehen zu einschießenden Zuckungen besonders in der

Schulterregion. Hierbei werden nicht selten Gegenstände unwillkürlich durch die Gegend

geworfen.

Dauert ein Grand-mal-Anfall länger als üblich und ist er durch die üblichen medikamentösen

Maßnahmen auch nicht zu durchbrechen, so sprechen wir von einem Status epilepticus.

Hierbei sollte der Patient narkotisiert und intubiert werden.

Bei partiellen (fokalen) Krampfanfällen handelt es sich um einen Herdanfall in einem

umschriebenen Gehirnareal. Eine sekundäre Generalisierung ist durchaus möglich. Bei einem

einfachen partiellen Anfall kommt es zu Hirnleistungsausfällen oder unkontrollierten lokalen

Muskelaktivitäten. Der Patient ist hierbei wach und reagiert auf seine Umwelt. Ein Beispiel

hierfür ist der Jackson-Anfall mit fokalen EEG-Veränderungen als Folge von traumatischen

Hirnschäden, Tumoren o. ä. Sollte es zu Bewusstseinseinschränkungen, Erinnerungslücken

oder Verwirrtheit während bzw. nach dem Anfall kommen, wird dies als komplex partieller

(auch psychomotorischer) Anfall bezeichnet. Ist keine Zuordnung möglich, handelt es sich

um einen partiellen Anfall unbekannten Typs.