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1 23 Monatsschrift Kinderheilkunde Zeitschrift für Kinder- und Jugendmedizin ISSN 0026-9298 Volume 166 Number 8 Monatsschr Kinderheilkd (2018) 166:675-682 DOI 10.1007/s00112-018-0513-3 Lagerungsplagiozephalus beim Säugling K. Stoevesandt, H. Ma, U. Beyer, H. Zhang & G. Jorch

 · neuromotorischenUnreifeindenersten 3Lebensmonatennicht.Dennochlegen sicheinigeSäuglingetrotzsolcherVor-richtungenaufdenRückenundnehmen somit wieder ihre

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Monatsschrift KinderheilkundeZeitschrift für Kinder- undJugendmedizin ISSN 0026-9298Volume 166Number 8 Monatsschr Kinderheilkd (2018)166:675-682DOI 10.1007/s00112-018-0513-3

Lagerungsplagiozephalus beim Säugling

K. Stoevesandt, H. Ma, U. Beyer,H. Zhang & G. Jorch

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Leitthema

Monatsschr Kinderheilkd 2018 · 166:675–682https://doi.org/10.1007/s00112-018-0513-3Online publiziert: 15. Mai 2018© Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil vonSpringer Nature 2018

RedaktionG. Jorch, MagdeburgF. Zepp, Mainz

K. Stoevesandt1 · H. Ma2 · U. Beyer3 · H. Zhang4 · G. Jorch3

1 Ambulantes Zentrum für Rehabilitation und Prävention am Entenfang GmbH, Karlsruhe, Deutschland2Qinghai Women’s and Children’s Hospital, Qinghai, Volksrepublik China3UniversitätskinderklinikMagdeburg, Magdeburg, Deutschland4 Chongqing Health Center for Women and Children, Chongqing, Volksrepublik China

Lagerungsplagiozephalus beimSäuglingEpidemiologie, Pathophysiologie,Prophylaxe, Diagnostik undTherapieoptionen

Der Plagiozephalus beim Säug-ling wird seit einigen Jahren nichtals nur ästhetisches, sondern zu-nehmend als Gesundheitsproblemthematisiert. Sein Anstieg wird mitder Empfehlung der Rückenlageals Schlafposition des Säuglings inZusammenhang gebracht. Verschie-dene Interventionsmaßnahmenwerden empfohlen, darunter auchkostenträchtige und invasive wie diesog. Helmtherapie. Ziel dieses Bei-trags ist es, die vorliegenden Datenzu Epidemiologie und Pathophy-siologie des lagerungsbedingtenPlagiozephalus vorzutragen sowiedaraus Thesen zu Prophylaxe undTherapie abzuleiten.

Ausgangslage

Epidemiologische Erkenntnisse zumplötzlichen Kindstod führten dazu, dassseit 1991 in Deutschland die Rückenlageals Schlafposition für den Säugling emp-fohlen wird. Beim plötzlichen Kindstodhandelt es sichumdasmehroderwenigerplötzliche, unerwartete und ursächlichnichtgeklärte Versterben eines Kindesin den ersten beiden Lebensjahren, daszumeist während der Schlafenszeit desKindes auftritt [14]. Hierfür wurde imRahmen epidemiologischer Fall-Kon-troll-Studien das Schlafen in der Bauch-lage als ein Risikofaktor identifiziert[4, 15]. Das entsprechende Präventi-

onskonzept empfiehlt daher, Säuglingegrundsätzlich in der Rückenlage zumSchlafen zu legen. Dies führte seit 1991zur deutlichen Senkung der Häufigkeitder Kindstodesfälle von über 1200 aufunter 200.

» Anzahl der Säuglinge mitlagebedingtem Schiefschädelstieg seit 1991 signifikant an

Gleichzeitig stieg dieAnzahl der Säuglin-ge mit lagebedingtem Schiefschädel sig-nifikant an (Plagiozephalus; [5, 10]). imAlter von 6 Wochen wiesen nach eineraktuellen Kohortenstudie 16% der Säug-lingeSchädeldeformitätenauf,wobei sichderen Prävalenz bis zum Alter von 2 Jah-ren wieder auf 3,3% reduzierte [26]. BeiErstfeststellung eines Plagiozephalus abder 6. Lebenswoche wird von einem La-gerungsbrachyzephalus (LB) oder Lage-rungsplagiozephalus (LP) gesprochen –im Gegensatz zum kongenitalen Brachy-bzw. Plagiozephalus, der bereits bei derGeburt vorhanden ist. Allerdings kön-nen auch kongenitale Deformitäten desKopfes durch Lagerung modifiziert wer-den, sodassgrundsätzlichdiekongenitaleunddie lagerungsbedingteVerursachungzusammenfallen können [19]. Interven-tionsmaßnahmen sind umso wirksamer,je früher sie beginnen. Das ergibt sichaus der Wachstumsdynamik des Schä-

dels, dessen Volumen sich in den ersten6 bis 7 Lebensmonaten verdoppelt [2].

Die Notwendigkeit der Korrektureines lagerungsbedingten Plagiozepha-lus wird sehr unterschiedlich eingestuft[19]. Neben der Einschätzung, es handlesich bei der Schädeldeformation ledig-lich um ein kosmetisches Phänomen,gibt es auch die Ansicht, dass Folge-schäden, wie motorische Defizite, sko-liotische Fehlhaltungen, Kiefergelenk-und Zahnfehlstellungen, visuelle undauditive Verarbeitungsstörungen sowiekognitive Einschränkungen, resultierenkönnen [9, 12, 18, 31]. Dafür nenntdie Literatur folgende Begründungen:Die Verschiebung des Hinterkopfes beieinem Plagiozephalus wirkt sich unmit-telbar auf die Ohrachse und die damitverbundenen Gleichgewichtsorgane aus(. Abb. 1). Je nach Deformation kön-nen die Kiefergelenke verschoben seinund zu einer gestörten Zahnokklusionwie beispielsweise dem Kreuzbiss füh-ren (. Abb. 2; [17, 19]). Bei einer mitder Haltungsasymmetrie verbundenen

AbkürzungenAAP American Academy of Pediatrics

CNS Congress ofNeurological Surgeons

CVA „cranial vault asymmetry“

LB Lagerungsbrachyzephalus

LP Lagerungsplagiozephalus

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Leitthema

Abb. 18 Schädelbasis von obenmit verschobenenGleichgewichtsorga-nen. (Mit freundl. Genehmigung,© Stoevesandt, alle Rechte vorbehalten)

Abb. 28 Schädelbasis von untenmit verschobenen Kiefergelenken. (Mitfreundl. Genehmigung,© Stoevesandt, alle Rechte vorbehalten)

Schädelbasisskoliose schließlich sind dieWirbelsäule und somit der gesamte Hal-tungsapparat betroffen. Dies kann sichin einer Kopfschiefhaltung ausdrücken[25]. Bei 25% dieser Kinder bestehtauch noch nach 2 Jahren eine Wir-belsäulenfehlhaltung [22]. Als weitereFolgenwerden einemangelhafteVertika-lisierung und Gleichgewichtsstörungengenannt [25].

Problematik der Liegeposition

Es wird allgemein nicht empfohlen, denSäugling auf die Seite zum Schlafen zulegen, da er sich aus dieser Lage leichterin die Bauchlage drehen kann. So weisenStudien nach, dass auch bei Seitenlageein erhöhtes Kindstodrisiko besteht, ins-besondere wenn diese Lage instabil istund die Säuglinge in die Bauchlage rol-len können [14]. Wurde die Bauchlagevorher nicht geübt, gilt sie als besondersrisikoreich,dadieSäuglingedadurchhin-sichtlich ihrer motorischen Kompetenzüberfordert sind [29]. So hat sich inzwi-

schen eine Bettung des Säuglings im ge-eigneten Schlafsack in der Rückenlageallgemein durchgesetzt. Darauf beziehtsich auch die US-amerikanische Emp-fehlung, grundsätzlich auf frei bewegli-che Kissen o.Ä. im Bett des Säuglings zuverzichten [1].

In den ersten Lebenswochen be-herrschen primitive Bewegungsmuster,Stellreaktionen und Reflexe die Motorik.Dabei stellt sich die Wirbelsäule bei ei-ner orientierenden Drehung des Kopfesreaktiv in links- oder rechts-konvexeBiegungen ein. Diese infantile Hal-tungsasymmetrie führt zu funktionellenBewegungsmustern, die möglicherweisedie Körperstrukturen langfristig asym-metrisch determinieren. Die invarianteRückenlage kann zusätzlich die Ausbil-dung einer Vorzugshaltung mit Rotationdes Kopfes zu einer Seite begünsti-gen (Positions- bzw. Rotationspräferenzdes Kopfes). Dies resultiert nicht sel-ten in einer Kopfverformung mit einerabgeflachten Hinterhauptseite, was alssekundärer oder lagebedingter Plagio-

zephalus bezeichnet wird. Zusätzlichwerden auch symmetrisch abgeflachteKöpfe beobachtet (Brachyzephalus), diejedochgemeinhinalswenigerbedeutsamangesehen werden [26]. Hat ein Säuglingeinen asymmetrisch verformten Schädelentwickelt, rollt sein Kopf aus rein physi-kalischenGründen immerwieder auf dieabgeflachte Hinterhauptseite, wodurchder Deformierungsprozess erhalten undsogar verstärkt wird.

Häufig wird empfohlen, den Säuglingin den ersten 3 Lebensmonaten dynami-scher oder variabler zu lagern. Hierzusoll der Kopf des Säuglings abwechselndlinks und rechts positioniert werden [3].Insbesondere bei vorherrschenden Po-sitionspräferenzen werden der Rückenoder die Schulterpartie dafür einseitigunterstützt, um den Säugling in der ge-wünschten Zwischenposition zu halten.Eltern verwenden hierfür meist Hand-tuchrollen, Stillkissen oder andere Pro-dukte (. Abb. 3; [14]). Die Gefahr einesspontanen Drehens aus dieser Positionin die Bauchlage besteht aufgrund der

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neuromotorischen Unreife in den ersten3 Lebensmonaten nicht. Dennoch legensich einige Säuglinge trotz solcher Vor-richtungen auf den Rücken und nehmensomit wieder ihre Prädilektionshaltungmit Seitdrehung des Kopfes ein.

Im asiatischen Raum gibt es die Tra-dition, junge Säuglinge auf eine harteUnterlage in eine symmetrische Rücken-lage zu legen. Dadurch flacht sich derHinterkopf ab, sodass zwar ein Brachy-zephalus, aber kein Plagiozephalus ent-steht. Dem lagebedingten Brachyzepha-luswerdenkeinegesundheitsschädlichenFolgen zugeschrieben. Er gilt indes in derwestlichen Welt im Gegensatz zur Tra-dition im chinesischen Kulturraum beiden meisten Eltern als ästhetisch nicht-wünschenswerte Form.

Säuglinge,die 3Monateundälter sind,beherrschenzunehmenddasDrehenvonderRücken- indieBauchlageundzurück.Mit 9 Monaten ist dies allen gesundenKindern möglich (Griffiths-Skala: [7]).Mit wachsender Kraft und neuromoto-rischer Reifung steigt demnach das Ri-siko für die Säuglinge, sich aus der Sei-ten- in die Bauchlage drehen zu kön-nen. Auch das Überwinden oder Weg-drücken von bislang am Markt erhält-lichen Lagerungskissen/-keilen ist mög-lich. Handtuchrollen und Stillkissen stel-len jedenfalls keine wirksamen Hemm-nisse dar. Sie können sogar zu gefährli-chen Zwangslagen des Säuglings im Bettmit Atembehinderung führen [1]. Dahermuss eine solche empfohlene Lagerungim Sinne einer korrigierenden Positio-nierung des Säuglings entgegen seinerVorzugshaltung aufgrund der verschie-denen Risikofaktoren therapeutisch be-gleitet werden.

Therapieformen

Schulung der Eltern

Damit sich eine lagebedingte Schädel-deformation wieder zurückbilden kann,ist einerseits der Fokus auf den betroffe-nen Schädel zu richten, andererseits aberauch auf denUmgang der Elternmit demSäugling imWachzustand sowie auf des-senmotorischeFörderung.Linzetal. [19]betonen, wie wichtig das Bauchlagentrai-ning und die entsprechende Schulung

Zusammenfassung · Abstract

Monatsschr Kinderheilkd 2018 · 166:675–682 https://doi.org/10.1007/s00112-018-0513-3© Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018

K. Stoevesandt · H. Ma · U. Beyer · H. Zhang · G. Jorch

Lagerungsplagiozephalus beim Säugling. Epidemiologie,Pathophysiologie, Prophylaxe, Diagnostik und Therapieoptionen

ZusammenfassungDie Prävalenz des Plagiozephalus beimSäugling nahm nach Empfehlung deralleinigen Rückenlage als Schlafpositionzur Prävention des plötzlichen Kindstodesim westlichen Kulturraum zu. Durchdie Verschiebung des Schädels von derHalswirbelsäule bis hin zur Ohrachse kann einPlagiozephalus die frühkindliche Entwicklungbeeinflussen; deshalb ist therapeutischesHandeln bei ausgeprägten Asymmetriengerechtfertigt. Die Autoren schlagen nachAuswertung der vorliegenden Literatur

und Vergleich der bisher angewandtenInterventionsmaßnahmen ein therapeuti-sches Konzept aus physiotherapeutischerBehandlung, Schulung der Eltern im Handlingdes Säuglings sowie eine stabile seitlicheLagerung als Schlafposition während einerzeitlich begrenzten Therapiephase vor.

SchlüsselwörterSchädel · Brachyzephalus · Lagerung ·Kopfschutzvorrichtungen · Patienten-Compliance

Positional plagiocephaly in infants. Epidemiology,pathophysiology, prevention, diagnostics, treatment options

AbstractThe prevalence of plagiocephaly in earlyinfancy increased after the supine sleepingposition was recommended to preventsudden infant death syndrome (SIDS).Shifting the skull from the cervical spine tothe axis from ear to ear, a plagiocephalus caninfluence the early childhood development.Thus therapeutic intervention is justifiedin cases of conspicuous asymmetry. Afteran evaluation of the currently availableliterature and a comparison of the previously

recommended procedures for intervention,the authors suggest a therapeutic conceptconsisting of physiotherapeutic treatment,training of parents in the handling of theinfant as well as a stable lateral sleepingposition during a limited therapeutic phase.

KeywordsSkull · Brachycephaly · Positioning · Headprotective devices · Patient compliance

der Eltern sind [19]. Hierzu zählt, El-tern in der Beurteilung der Kopfform zuschulen [27] und dieWechsellagerung zuthematisieren, zu der die Korrekturlage-rung mit Handtuchrollen bis zur 12. Le-benswoche gehört [1, 3]. So sollte einefalsche oder überkorrigierende Lagerungverhindert werden. Zu einem späterenZeitpunktbzw.bei stärkererDeformationsollte jedoch über zusätzliche Maßnah-mennachgedachtwerden.AuchsolltediePhysiotherapie verursachende Faktoren,wie zentrale Koordinations- und Bewe-gungsstörungen oder Halswirbelsäulen-probleme, zuvor bzw. begleitend behan-deln [23].

Babykopfkissen

Es werden weltweit diverse Lagerungs-hilfen angeboten wie spezielle Babykopf-

kissen, sog. Loch- oder Muldenkissen.Ein solches Kissen hat in der Mitte eineVertiefung, um ein bereits abgeflachtesHinterhaupt zu entlasten. In den erstenLebenswochen kann neben einer klas-sischen Wechsellagerung mithilfe vonHandtuchrollen ein solches Kissen hilf-reich sein. Es wird jedoch beobachtet,dass Säuglinge mit Haltungsasymmetrieihren Kopf dennoch auf die betroffeneflache Hinterhauptseite drehen, denn,rein physikalisch gesehen, vergrößertdie Mulde im Kissen lediglich die Auf-lagefläche für den schon abgeflachtenHinterkopf des Säuglings und verhin-dert nicht, dass er seine bevorzugteHaltung wieder einnimmt [30]. So wirdeine fortschreitende Schädeldeformität(Plagiozephalus und Brachyzephalus)günstigstenfalls verlangsamt, nicht je-doch korrigiert.

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Abb. 39 Seitli-che Lagerung einesSäuglings zwischenHandtuchrollen.(Mit freundl. Geneh-migung,© Stoeve-sandt, alle Rechtevorbehalten)

Helmorthese

Seit einigerZeit eingeführte kosteninten-sive Alternative zur Lagerungstherapieist die sog. Helmtherapie. Mithilfe einerspeziell auf die Kopfform des Säuglingshin angefertigten Kopforthese soll dasWachstum des Kopfes zu den defizitär-en Bereichen hin dirigiert werden. Dafürmuss sie 23h am Tag getragen werdenund kann eine Schädeldeformierung inkurzer Zeit beheben [13, 24].

» Wirkungen der Helmtherapiesind überwiegend kosmetischerArt

Vergleichsstudien zwischen Helm- undLagerungstherapie [20, 28] belegen je-doch keine Vorteile der Helmtherapie.So sind die Ergebnisse zumeist nahezugleich oder die konkreten Lagerungs-maßnahmen werden so ungenau bisgar nicht beschrieben, dass hieraus kei-ne Schlussfolgerungen gezogen werdenkönnen. Beispielsweise verbesserte sichder Versatz der Ohren zueinander in derStudie von van Wijk et al. [28] bei der

natürlichen Entwicklung um3,6mm, beider Helmgruppe lediglich um 2,7mm.Zudem wiesen insgesamt 75% der Kin-der (n= 26 Helmtherapiegruppe, n= 23der natürlichen Verlaufsgruppe) mitdem 2. Lebensjahr noch immer eineKopfasymmetrie auf. Ein Vergleich derverschiedenen Studien zur Helmorthe-se zeigt, dass jeweils unterschiedlicheMessmethoden sowie Untersuchungs-und Behandlungszeiträume zugrundegelegt werden, sodass so gemessene Än-derungen nicht als eindeutiger Effekti-vitätsnachweis gewertet werden können.Beispielsweise unterstellt die Studie vonSteinberg et al. [24] die Wirksamkeit derHelmtherapie bei 95% der untersuch-ten Säuglinge. Dies bezieht sich jedochnur auf die „cranial vault asymmetry“(CVA), denn die Helmorthese nutzt dasschnelleWachstum des Schädels, um ihnin die gewünschte Richtung zu lenken.Da jedoch der Helm die Schädelbasisund die damit verbundenen Strukturenwie die Ohren und die Kiefergelenkenicht beeinflussen kann, kann auch dieOhrachse aufdieseWeisenurgeringfügigkorrigiert werden [19, 21]. Die Wirkun-gen der Helmtherapie sind überwiegend

kosmetischer Art. Linz et al. empfehlendaher die durchgängige Begleitung derHelmtherapie durch die Physiotherapieund die Anwendung der Helmthera-pie lediglich bei therapieresistenten undschwergradigen Formen [19].

Neben diesen medizinischen Ergeb-nissen sollten die unerwünschten Be-gleiterscheinungen beim Tragen der Or-these gleichfalls berücksichtigt werden.So gaben in der Studie von van Wijket al. [28] die Eltern der Helmtherapie-gruppe in96%derFälleHautirritationen,in 71% übermäßiges Schwitzen sowie in76% unangenehme Gerüche an, was bei24% der Säuglinge zu Akzeptanzproble-men führte. Die Studie ergibt ebenfalls,dass ein Drittel der Kinder (33%) Angstvor der Orthese hatte und sich zwei Drit-tel der Eltern (77%) in ihrem Umgangmit dem Kind, insbesondere was Zärt-lichkeiten angeht, eingeschränkt fühlten[28].

Lagerungstherapie

Die von den Autoren des vorliegendenBeitrags vorgeschlagene therapeutischbegleitete seitliche Lagerung des Säug-lings ist grundsätzlich geeignet, einenmanifesten und sich entwickelnden Pla-giozephalus zu korrigieren. Vorausset-zung für eine sichere Anwendung ist,dass eine zuverlässige Stabilisierung desSäuglings in Seitenlage während desSchlafs erfolgt, um ein Drehen in dieBauchlage zu verhindern. Nicht alleSeitlagerungshilfen sind nach klinischenStudien besser als eine Therapie ohnediese Hilfsmittel [28]. Eine wirksameund praktikable Schiene muss einerseitsder asymmetrischen Gewohnheitshal-tung des Kopfes stetig entgegenwirken,andererseits aber dem Säugling genü-gend Bewegungsspielraum lassen. Daskann erreicht werden, indem der Säug-ling seitlich so gelagert und fixiert wird,dass der Kopf mit der prominentenHinterhauptseite auf der Unterlage ruht(. Abb. 4). Diese Positionierung kanneinen Plagiozephalus korrigieren, indemSchwerkraft und Eigengewicht des Kop-fes auf den Schädel einwirken und seinWachstum hin zu einer symmetrischenForm lenken [2]. Die Korrektur schließtauch die Ohrachse und die Kiefergelenke

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Leitthema

Abb. 49 Posi-tionierung aufder prominentenHinterhauptsei-te (Mit freundl.Genehmigung,©Stoevesandt, alleRechtevorbehalten)

ein.DurchVerbindungmit einem langenRückenkeil, der bis an das Hinterhauptdes kindlichen Kopfes heranreicht, wer-den überdies Überstreckungstendenzendes Säuglings verhindert. Zusätzlich giltes, den Säugling durch einen Bauchkeilund einen Bauchgurt zuverlässig zu fi-xieren, um ein Rollen in die Bauchlageaus der Seitenlage auszuschließen. DieBewegungsfreiheit vonKopf,ArmenundBeinen soll hingegennicht eingeschränktwerden.

» Therapeutisch begleiteteseitliche Lagerung des Säuglingskann einen Plagiozephaluskorrigieren

Die Wirksamkeit solcher Seitenlage-rungsschienen wurde in Studien gezeigt[6, 11, 24]. Vor dem Hintergrund derin der Literatur belegtenWachstumslen-kung, auf der Basis von Erfahrungswer-ten und aus den Kontrollgruppen derHelmstudien abgeleitet ergibt sich, dassmit einer Korrektur der horizontalenSchädeldiagonalendifferenz von 1mm/Woche zwischen dem 4. und 6. Lebens-monat gerechnet werden kann, wenn dieLagerungstherapie mindestens während70% der Liegezeit durchgeführt wurde.Vom 7. bis 9. Lebensmonat werden für1mm Korrektur ca. 10 Tage benötigt.

Die plastischeVerformbarkeit ist bis zum9. Lebensmonat gegeben [2].

Thesen zur stadiengerechtenIntervention

Aus der Beurteilung der vorgestelltenTherapieformen lässt sich eine stadien-gerechte Therapie ableiten [19]. So kanndie Schädelformbis zur 12. Lebenswochezunächst beobachtet werden. Gegebe-nenfalls ist eine gezielte Wechsel- bzw.Korrekturlagerung mithilfe einer Hand-tuchrolle anzuraten. Wenngleich aus derLiteratur kein dezidierter optimaler Be-handlungsbeginn abzuleiten ist, forderndie Guidelines des Congress of Neuro-logical Surgeons (CNS) einen möglichstfrühzeitigen Beginn zusätzlicher Physio-therapie bzw. manueller Therapie, umdie Inzidenz und Prävalenz eines LP zureduzieren [8, 27, 30].

Vom 4. bis zum Ende des 7. Lebens-monats kann die Korrektur durch dieLagerungstherapie mit einer Lagerungs-schiene wirksam unterstützt werden.Eine Helmtherapie würde bei diesemKonzeptnurbei vorhernichtbehandeltenSäuglingen jenseits des 7. Lebensmonatsmit einer CVA> 12mm als Alternativezur Kraniotomie infrage kommen [13,24].

Fazit für die Praxis

4 Ziele für den Einsatz von Medi-zinprodukten bei lagebedingtenKopfdeformationen sollten die Wie-derherstellung der Kopfsymmetriesowie die Ausrichtung der Ohrachse,der Kiefergelenke und der Wirbelsäu-le sein.

4 Die Helmtherapie wirkt sich zwar aufdie Kopfsymmetrie aus, die Lage-rungstherapie kann aber zusätzlicheine mögliche Haltungsasymmetriekorrigieren. Daher ist sie aufgrundihrer umfassenderen Wirkungsweisevorzuziehen.

4 Da der Kopf in Rückenlage, rein phy-sikalisch gesehen, immer wiederauf die flachste Stelle rollt, sollteein Säugling schräg auf der Seiteschlafen. So wird die prominenteHinterkopfseite mithilfe des Eigen-gewichts belastet und formt sichaufgrund der Schwerkraft zurück.

4 Es muss verhindert werden, dass sichder Säugling in die risikobehafteteBauchlage dreht.

4 Diese Bedingungen können durchdie Intervention mit einer geeigne-ten Seitenlagerungsschiene erfülltwerden, die zur Vermeidung bzw.Korrektur lagebedingter Kopfver-formungen bei Säuglingen bis zumEnde des 7. Lebensmonats als Alter-native zur teureren und invasiverenHelmtherapie eingesetzt werdenkann.

Korrespondenzadresse

K. StoevesandtAmbulantes Zentrum für Rehabilitation undPrävention am Entenfang GmbHAm Entenfang 12–14, 76185 Karlsruhe,[email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt. K. Stoevesandt befasst sich alsPhysiotherapeutmit der Behandlung vonHaltungs-asymmetrien bei Säuglingen. G. Jorchwar Leiter einerkontrolliertenpolysomnographischenCross-over-Studie zur Sicherheit der Anwendungeiner Seitlage-rungsschiene (universitäre Eigenfinanzierung). U. Bey-er hat ander Studiemitgewirkt. H.MaundH. Zhanggeben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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Dieser Beitragbeinhaltet keine vondenAutorendurchgeführten Studien anMenschenoder Tieren.

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Fachnachrichten

Deutsches Gesundheitssystemmit Luft nach oben

Deutschland hat sein Gesundheits-system seit der Jahrtausendwendeverbessert, so eine Studie. Im Ver-gleich mit anderen Ländern hinkt esaber hinterher – insbesondere beiLeukämie.

Das deutsche Gesundheitssystem hat sicheiner großen Studie zufolge zwischen

2000 und 2016 verbessert. Deutschland

sei jedoch nicht in der Spitzengruppe al-ler Länder, schreiben die Forscher von der

Universität Washington nach Auswertung

einer globalen Gesundheitsdatenbank. Siegaben Deutschland für 2016 mit Blick auf

die Qualität und den Zugang zum Gesund-heitssystem 92 von 100 Punkten. Im Jahr

2000 waren es noch 86,1 Punkte. Deutsch-

land liegt weltweit auf Platz 18. Ganz obenauf der Rangliste stehen Island (97,1), Nor-

wegen (96,6) und die Niederlande (96,1).

Am Ende der Tabelle finden sich vor allemafrikanische Staaten, den schlechtesten

Wert erhielt die Zentralafrikanische Repu-blik (18,6).

Insgesamt habe sich die Qualität und der

Zugang zudenGesundheitssystemenwelt-weit verbessert, heißt es in der Studie. In

einigen Ländern sei die Entwicklung aber

langsamer geworden, während gleich-zeitig neue Anforderungen an die Ge-

sundheitssysteme gestellt würden – etwaweil Krebs und andere nicht-übertragbare

Krankheiten öfter auftreten.

Leukämie-Index sehr niedrig

Die Forscher haben für die Rangliste dieFolgen von 32 Erkrankungen in 195 Län-

dern betrachtet, darunter unter anderemKrebs, Schlaganfälle und Epilepsie. Da-

bei fällt auch auf, dass in Deutschland die

Bekämpfung von Leukämie noch verbesse-rungswürdig ist. Der Index liegt bei dieser

Erkrankung bei nur 37 Punkten. Das ist we-

niger als in den meistenwesteuropäischenStaaten bei Leukämie.

Quelle: Ärzte Zeitungbasierend auf: Lanc (2018)

https://doi.org/10.1016/S0140-6736(18)30987-5

682 Monatsschrift Kinderheilkunde 8 · 2018

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