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5600 / 164. JAHRGANG / 17. JANUAR 2019 / ISSN 0031-7136 WWW.PHARMAZEUTISCHE-ZEITUNG.DE 3 2019 NIERENERSATZ- VERFAHREN: KOMPLEXE MEDIKATION BEI DIALYSEPATIENTEN E-HEALTH-AUSSTATTUNG Finanzielle Klarheit für Apotheken PSYCHOPHARMAKA Absetzen, aber richtig GRIPPE-IMPFSTOFF Zusammmensetzung passt in dieser Saison

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5600 / 164. JAHRGANG / 17. JANuAR 2019 / ISSN 0031-7136 WWW.PHARMAZEuTISCHE-ZEITuNG.DE

3 2019

NIERENERSATZ­VERFAHREN:KOMPLEXEMEDIKATION BEIDIALYSEPATIENTENE­HEALTH­AUSSTATTUNGFinanzielle Klarheit für Apotheken

PSYCHOPHARMAKAAbsetzen, aber richtig

GRIPPE­IMPFSTOFFZusammmensetzung passtin dieser Saison

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3/2019

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| PHARM. ZTG. | 164 JG. | 17. 1. 2019 | 3. AUSG. 3

EDITORIAL

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Unausgewogen»Risiken und Nebenwirkungen« heißt ein Artikel vom 10. Januar in der »FrankfurterAllgemeinen Zeitung« über die aktuelle Situation im deutschen Apothekenmarktund die geplante Reform von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). DerTitel passt. Denn nach der Lektüre verspürte ich eine gewisse Übelkeit, und vomständigen Kopfschütteln habe ich Nackenschmerzen bekommen.

Eine ausgewogene Berichterstattung sieht anders aus. Besonders ärgere ich michdarüber, dass das Arbeiten in öffentlichen Apotheken so dargestellt wird, als hättesich seit Großmutters Zeiten nichts getan. Stattdessen verpasst der Autor dem Ver­sandhändler einen modernen, mit der Zeit gehenden Anstrich.

Schon sehr lange wird in den öffentlichen Apotheken moderne Software ein­gesetzt, der Technisierungsgrad nimmt stetig zu. Nie haben sich Apotheker dagegengewehrt, waren neuen Entwicklungen gegenüber stets aufgeschlossen. Daher emp­finde ich es als Hohn, so zu tun, als wäre das nicht der Fall. Die Bedingungen für dasDuell Versandapotheke gegen öffentliche Apotheke müssen nur fair sein. Von glei­cher Waffenlänge ist man aber deutlich entfernt. Auch auf der ABDA­Mitglieder­versammlung am 17. Januar wird diese Tatsache sicher heiß diskutiert, bevor manüber das vom Gesundheitsminister vorgeschlagene Maßnahmenpaket abstimmt.Wer nicht ohnehin unsere Online­Berichterstattung verfolgt, kann sich in der kom­menden Ausgabe ausführlich über den Ausgang informieren.

Wie es nach dem Votum der Apothekerschaft weitergeht, bleibt abzuwarten.Doch egal, wie die Entscheidung ausfällt, scheint eines schon jetzt festzustehen:Auch in den eigenen Reihen sind nicht alle Politiker von den Plänen des Gesundheits­ministers überzeugt. So hat die CSU ihr Bekenntnis zum Rx­Versandverbot jüngstnoch einmal bekräftigt (lesen Sie dazu Seite 7). Offenbar teilen nicht wenige dieBedenken, die auch die Apotheker so sehr umtreiben.

Zurück zum FAZ­Artikel: Vollkommen unkritisch wird darin hingenommen, dasssich die Versender jahrelang über deutsches Recht hinweggesetzt haben. Geradezulächerlich sind dagegen die Ausführungen, in denen der Autor langatmig beschreibt,wie gewissenhaft Doc Morris die Rezeptkontrolle durchführen lässt und auf Inter­aktionen prüft. Das ist doch wohl ein Witz. Schließlich handelt es sich hier um eineSelbstverständlichkeit und das machen öffentliche Apotheken schon immer. Aberdas steht wiederum nicht in dem Artikel. Der Autor sagt auch nicht, dass Apothekervor Ort in Sachen Service und Dienstleistung wirklich alles können, was Doc Morrisauch kann. Sie können sogar noch viel mehr – nämlich zum Beispiel Allgemeinwohl­pflichten erfüllen, wie patientenindividuelle Rezepturen herstellen oder sich dieNächte und Wochenenden um die Ohren schlagen im Notdienst. Statt über einenNeubau und die Bagger vor der Tür des Herrn Müller zu berichten, hätte der Autorbesser beim Thema Rosinenpickerei des niederländischen Unternehmens nochmaltiefer nachgraben sollen.

Sven SiebenandStellvertretender Chefredakteur

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| PHARM. ZTG. | 164 JG. | 17. 1. 2019 | 3. AUSG.4

INHALT

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POLITIK &WIRTSCHAFTE-Health-Ausstattung 6Finanzielle Klarheit für Apotheken

Bayern 7CSU hält an Versandverbot fest

Online-Praxis 8DrEd plant deutsche Geschäftsstelle

BVMed: ungleicher Wettbewerb beimelektronischen Rezept 8

Antrag zu Kassenleistungen 10Spahn brüskiert den G-BA

Brandenburg: Lunapharmdauerhaft dicht 10

Impfstoff-Abschläge: Herstellerdrohen mit Konsequenzen 12

Rabatte und Skonti: Großhandelwill Schlupfloch stopfen 12

Jahresempfang der Wirtschaft:Gesundheit ist nicht käuflich 14

Meldungen 14

PHARMAZIEPsychopharmaka 16Absetzen, aber richtig

Losartan 20Einst neues Prinzip bei Bluthochdruck

Neue Schlafmittelklasse: Wachsambei nächtlichem Ernstfall 21

Hormonersatztherapie: Am bestenmit Pflaster, Gel oder Creme 22

Haarverlust nach Chemotherapiekann jahrelang anhalten 22

Antidepressiva: Senioren sind unter-und überversorgt 24

Seltene Blutkrankheit: US-Zulassungfür Ravulizumab 24

Apotheker und Kranken-kassen haben sich daraufgeeinigt, welche Zuschüssefür die Anbindung derApotheken an diesogenannte Telematik-Infrastruktur fließensollen. Die erforderlicheHardware lässt indesweiter auf sich warten.

Seite 6

Die Zahl dialyse-pflichtiger Menschen istin den letzten Jahrenstetig gestiegen. Derzeitsind in Deutschland etwa80 000 Patienten abhängigvon einer dauerhaftenNierenersatztherapie.Ein Nierenversagen mitDialysepflicht hat zahl-reiche Folgen und erforderteine komplexe Pharmako-therapie.

Seite 26

Nehmen Patienten Psycho-pharmaka über einenlängeren Zeitraum ein,kann es zu Anpassungs-vorgängen in Neurotrans-mitter-Systemen desGehirns kommen. Einabruptes Absetzen istdaher nicht zu empfehlen.Für Neuroleptika undAntidepressiva sind unter-schiedliche Aspekte beimAusschleichen zu beachten.

Seite 16

Titelillustration: © Ralph Stegmaier

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INHALT

In dieser Ausgabe:40 Stellenangebote und-gesuche ab Seite 87.

Mehr Anzeigenfinden Sie online unterwww.pz-pharmastellen.de

MEDIZINGrippe-Impfstoff 34Zusammmensetzung passtin dieser Saison

Epstein-Barr-Virus: Neuer Ansatzbei Impfstoffentwicklung 35

Winziger Schwamm saugt Zytostatikaaus dem Blut 35

Computerspiel 36Tetris zur Trauma-Bewältigung

Nasen-Rachen-Mikrobiom: BakteriellerSchutzschild gegen Grippe 37

Polio-Ausrottung ist ingreifbarer Nähe 37

WEITERE RUBRIKENMARKTKOMPASS 48FIRMENHINWEISE 50FORUM 51KALENDER 69AMTLICHEBEKANNTMACHUNGEN 70STELLENMARKT 87PZ-MARKT 95IMPRESSUM 107

Nachdem die Effektivitätdes Grippeimpfstoffs in dervergangenen Saison nur bei15 Prozent lag, scheint dieZusammensetzung jetztbesser zu passen. Seite 34

Apotheker sind Problemlöserbei der Arzneimittel-versorgung – auch weltweit.Pharmazeutische Hilfs-projekte unterstützenMenschen in Not. Seite 38

PZ-SERVICENachrichten 99

APG-Rückrufe 101

Änderungen 105

Faxanmeldeformulare 109

MITGLIEDS-ORGANISATIONENKammern und Verbände 54Nachrichten andererOrganisationen 64

Personalien 65

RECHTEuropa 42Neue EU-Verordnung fürTierarzneimittel

TITELNierenersatzverfahren 26Komplexe Medikation beiDialysepatienten

MAGAZINHilfsorganisationen 38»Um schnelle Erfolge geht es nicht«

NeuearzNeistoffe2018

WWW.PHARMAZEUTISCHE-ZEITUNG.DE

3/2019 SUPPLEMENT

In dieser Ausgabe finden Sie die Beilagen»Neue Arzneistoffe 2018« und »Pharmazie-Highlights 1/2019.

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POLITIK & WIRTSCHAFT

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Die Telematik-Infrastruktur (TI) ist eineArt Datenautobahn, die langfristig alleAkteure im deutschen Gesundheits-wesen miteinander vernetzen soll.Leistungserbringer können dann gesi-chert miteinander kommunizieren undverschlüsselte Dokumente austau-schen – eine Voraussetzung etwa fürdigitale Medikationspläne und daselektronische Rezept. Zunächst aller-dings müssen alle Beteiligten tech-nisch auf den gleichen Stand kommen.Die dafür nötigen Investitionen sollendie Krankenkassen übernehmen. Mitdem Deutschen Apothekerverband(DAV) haben sie nun eine Vereinbarunggeschlossen, die konkrete Zuschüssefestsetzt.

Im Schnitt vier TerminalsApotheken erhalten demnach eine Pau-schale von 1362 Euro für die Anschaf-fung eines sogenannten E-Health-Kon-nektors sowie zweier Kartenterminals.

Für jedes weitere Lesegerät sind450 Euro vorgesehen. Zudem gibt es1280 Euro für den Aufwand rund um dieInstallation der nötigen Hard- und Soft-ware, für eventuelle Ausfallzeiten sowiedie entsprechenden Schulungen. Wieviele Lesegeräte eine Apotheke erhält,hängt von der Anzahl der abgegebenenRx-Packungen an gesetzlich Versicherteab. Im Schnitt werden es voraussichtlichbis zu vier Terminals sein.

Um etwa auf Medikationspläneüber die TI zuzugreifen, benötigt derApotheker einen elektronischen Heil-berufsausweis (HBA), mit dem er sichidentifizieren kann. Darüber hinausbraucht jede Apotheke eine Instituti-onskarte, die sogenannten SecurityModule Card Typ B (SMC-B). Als Zu-schuss zum HBA ist eine Zahlung von449 Euro vorgesehen, mit der die Finan-zierung für fünf Jahre abgedeckt wer-den soll, für den SMC-B sind es 378 Euro.Zusätzliche 210 Euro im Quartal sollen

die entsprechenden Betriebskostenauffangen.

Die Abwicklung der Zuschüsse sollüber den Nacht- und Notdienstfondserfolgen, der Apotheken heute einePauschale für jeden Notdienst aus-zahlt. Um das rechtlich überhaupt zuermöglichen, wollen sich der DAV undder Spitzenverband der GesetzlichenKrankenversicherung (GKV) gemein-sam für eine gesetzliche Änderungstarkmachen.

Beide Seiten zeigten sich vergange-ne Woche zufrieden mit ihrem Kom-promiss. Die Vereinbarung schaffe dieVoraussetzung, damit auch die Apo-theker an das sichere Gesundheitsnetzangeschlossen werden »und damit insZeitalter von digitalem Medikations-plan und später elektronischem Rezeptstarten können«, so die Chefin desGKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer.Auch DAV-Vorstandsmitglied ThomasDittrich sagte, die Apotheker hättennun die nötige Klarheit und finanzielleSicherheit, die TI-Ausstattung rei-bungslos umzusetzen.

E - H E A L T H - AU S S TAT T U N G

Finanzielle Klarheitfür ApothekenVon Stephanie Schersch / Schon bald sollen auch die Apothekenflächendeckend Teil der sogenannten Telematik-Infrastrukturwerden. Zwar fehlt immer noch die dafür erforderliche technischeAusstattung. Doch nun steht immerhin fest, wie die Anbindungfinanziert werden soll.

Schon bald sollen Apothekerauf elektronischeMedikationspläne zugreifenkönnen. Das geht nur mitder entsprechenden Technik.

Foto: Fotolia/WavebreakMediaMicro

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POLITIK & WIRTSCHAFT

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Ein Problem bleibt vorerst allerdingsbestehen. Denn bislang fehlen unteranderem die erforderlichen Konnekto-ren, um die technische Ausrüstung derApotheken voranzutreiben. Sie ähnelneinem DSL-Router, arbeiten aber auf ei-nem höheren Sicherheitsniveau undsind in gewisser Weise das zentrale Ele-ment für die Anbindung an die TI.

Zulassungen stehen ausBevor die Hersteller ihre Produkte aufden Markt bringen, müssen sie eineZulassung bei der Gesellschaft für Te-lematik-Anwendungen der Gesund-

heitskarte beantragen. Dort wollteman sich auf Nachfrage der PZ nichtzu den Zulassungsverfahren äußern.In der Apothekerschaft rechnet manteilweise damit, dass die Konnektorenerst in der zweiten Jahreshälfte zurVerfügung stehen werden. ÄhnlicheProbleme mit der Hardware hatten zu-letzt bereits die Anbindung der Ärztean die Telematik-Infrastruktur erheb-lich ins Stocken gebracht. Bislang solllediglich ein Drittel der deutschland-weit 150 000 Arzt- und Zahnarztpra-xen technisch ausgestattet und ange-schlossen sein.

Sind die ersten Konnektoren für Apo-theken auf dem Markt, ist zunächst einProbelauf für die Arbeit mit elektroni-schen Medikationsplänen geplant. Einentsprechender Feldtest mit Arztpra-xen, Kliniken und insgesamt 15 Apothe-ken sollte eigentlich bereits im Herbstin Westfalen-Lippe starten. Er musstejedoch aufgrund der fehlenden Kom-ponenten verschoben werden. Erstnach der Auswertung einer achtwöchi-gen Testphase soll im Anschluss derbundesweite Rollout der Technik fol-gen, der dann noch einmal mehrereMonate in Anspruch nehmen dürfte. /

Die CSU will die Versorgung durch dieApotheke vor Ort stärken und hält da-her an einem Versandhandelsverbotfür verschreibungspflichtige Arznei-mittel fest. Das machte der gesund-heitspolitische Sprecher der CSU-Frak-tion im Bayerischen Landtag, BernhardSeidenath, vergangene Woche deut-lich. Er betonte außerdem, dass er »ge-genläufige Gedankenspiele« seitensdes Bundesgesundheitsministeriumsablehne. Schließlich bedeute Arznei-mittelsicherheit auch Patientensicher-heit. Aus diesem Grund müsse die guteVersorgung, die Apotheken durch ih-ren Nacht- und Notdienst, persönlicheBeratung und Arzneimittelherstellungleisteten, unbedingt erhalten bleiben,so Seidenath.

Zum Hintergrund: Seit 2016 dürfenVersender mit Sitz im EU-Ausland ihrenKunden Rabatte auf Rx-Medikamenteanbieten, während deutsche Apothe-ken sich weiter an die hierzulande gel-tende Preisbindung halten müssen. Einentsprechendes Versandverbot für ver-schreibungspflichtige Präparate könn-te die derzeitige Schieflage im Apothe-kenmarkt korrigieren. Eigentlich gibt esauch einen Passus im Koalitionsvertragzu diesem Thema. Doch Bundesge-

sundheitsminister Jens Spahn (CDU)hält das Verbot für nicht mehr zeitge-mäß, um der Situation Rechnung zutragen und führt zudem rechtliche Be-denken ins Feld. Stattdessen will er dieBoni der Versender auf einer Höhe von2,50 Euro deckeln. Den Apothekernstellt er im Gegenzug mehr Geld inAussicht, das unter anderem gezielt inpharmazeutische Dienstleistungenfließen soll.

Auch Manuel Westphal (CSU), der imbayerischen Gesundheits- und Pflege-ausschuss für das Thema Apothekenzuständig ist, bekräftigte die Positionseiner Partei. »Die CSU hat sich immerklar für das Versandhandelsverbot posi-tioniert und tut dies weiterhin. Wirbrauchen auch künftig die Apothekenvor Ort als wichtige Daseins-Dienstleis-ter für eine wohnortnahe Arzneimittel-versorgung.« Nicht ohne Grund exis-tiere das Verbot in mehr alszwei Drittel aller EU-Staaten,hebt die Fraktion hervor.

Seidenath zufolgesind Apotheken eineniedrigschwelligeAnlaufstationen fürgesundheitli-che Proble-

me, die auch ohne Termin aufgesuchtwerden könnten. »Die Apotheke vor Ortist weit mehr als eine Medikamenten-Verkaufsstelle«, sagte er. An einem Dia-log über die Reformvorschläge des Mi-nisters beteilige sich die CSU gerne. Da-bei sollten auch die Möglichkeiten derDigitalisierung zur Sprache kommen»Das Papier-Rezept ist ein Dinosaurier«,so Seidenath.

Neben der CSU hatten sich zuletztauch andere Politiker kritisch zu SpahnsReformplänen geäußert, darunter dersaarländische Finanzminister PeterStrobel (CDU). Er sieht in den Pläneneine Gefahr für die Apotheke vor Ortund will sie vor unfairem Wettbewerbschützen.

An diesem Donnerstag werden sichnun die Apotheker auf der ABDA-Mit-gliederversammlung in Berlin zu denVorschlägen des Gesundheitsministerspositionieren. Viele tun sich insbeson-dere mit den geplanten 2,50-Euro-Bonischwer, da eine solche Regelung letz-lich das Ende der Gleichpreisigkeit be-deutet. /

B AY E R N

CSU hält anVersandverbot festVon Jennifer Evans / Ungeachtet der Pläne von Bundesgesund-heitsminister Jens Spahn (CDU) spricht sich die CSU nach wievor für ein Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigenArzneimitteln aus. In einer Mitteilung verweist die bayerischeLandtagsfraktion auf die Bedeutung der Apotheke vor Ort .

Foto: Fotolia/Xuejun Li

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POLITIK & WIRTSCHAFT

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O N L I N E - P R A X I S

DrEd plant deutscheGeschäftsstelleVon Ev Tebroke / Die Fernbehandlung dürfte hierzulandeerheblich an Fahrt gewinnen, wenn das Verbot der Verordnungohne persönlichen Erstkontakt von Arzt und Patient fällt. DieOnline-Praxis DrEd steht bereits in den Startlöchern und planteine deutsche Geschäftspräsenz.

Die in London ansässige Ärzteplatt-form DrEd will in Deutschland eine Ge-schäftsstelle einrichten. Nach Angabender »Ärztezeitung« hat Firmengründerund Geschäftsführer David Meinertzentsprechende Schritte angekündigtund zwar »im ersten oder zweitenQuartal dieses Jahres«. Zudem ist eineUmfirmierung in »Zava« geplant, ange-lehnt an das französische »Ça va?« (Wiegeht’s?).

Anlass für den Vorstoß ist die Locke-rung des Fernbehandlungsverbots, fürdas sich der Deutsche Ärztetag im Mai2018 ausgesprochen hatte. Vor diesemHintergrund soll es künftig auch Apo-thekern erlaubt sein, Rezepte von Pati-enten einzulösen, die ausschließlich perFernverschreibung ausgestellt wurden.Bislang dürfen Apotheken solche Re-zepte nicht bedienen. Um die Teleme-dizin und insbesondere das elektroni-

sche Rezept voranzutreiben, willBundesgesundheitsminister JensSpahn (CDU) dieses Verbot kippen.

Der Standort der deutschen DrEd-Geschäftsstelle soll entweder inSchleswig-Holstein oder in Baden-Württemberg sein, wie DrEd auf Anfra-ge der Pharmazeutischen Zeitung be-stätigte. Diese beiden Bundesländergelten in Sachen erweiterter Fernbe-handlung als Vorreiter.

In Baden-Württemberg ist DrEd zu-dem bereits seit Mai 2018 im Rahmeneines Modellprojekts mit einer deut-schen Niederlassung in die medizini-sche Versorgung eingebunden. Für dieDauer von zwei Jahren steht Bürgerndort die Möglichkeit offen, eine aus-schließliche Fernbehandlung durchbaden-württembergische Ärzte zunutzen. Wie bei DrEd üblich beant-wortet der Patient dazu bei der Kon-taktaufnahme zunächst einen medizi-nischen Fragebogen. Die Ärzte beur-teilen danach, ob eine telemedizini-sche Beratung und Behandlung sinn-voll ist oder ob der Patient an einePraxis verwiesen werden muss. ImFalle einer Fernbehandlung kann derArzt gegebenenfalls auch ein Rezeptausstellen.

Bislang können solche Verordnun-gen jedoch nur als Privatrezept erfol-gen. Angesichts der angekündigtenGesetzesanpassung will DrEd »mittel-fristig auch Leistungen für Patientender Gesetzlichen Krankenversicherungerbringen«, so Meinertz in der »Ärzte-zeitung«. Für eine bessere Verhand-lungsposition mit Kassen und anderenBeteiligten müsse man »vor Ortsein«. /

Auf demVormarsch: InZukunft könntenmehr Patienten auftelemedizinischeAngebote setzen.

Foto: Fotolia/

Doerr&Frommherz

Jennifer Evans / Das E-Rezept sollteauch für Hilfsmittel und Homecare-Leistungserbringer gelten. Das fordertder Bundesverband Medizintechnolo-gie (BVMed) in seiner Stellungnahmezum Gesetzentwurf für mehr Sicher-heit in der Arzneimittelversorgung(GSAV). Außerdem sollte der Patientmitentscheiden dürfen, welchen Leis-tungserbringer er wählt.

Grundsätzlich begrüßt der BVMedzwar digitale Verordnungen – aller-dings sollten künftig auch Homecare-

BVMed befürchtet ungleichen Wettbewerbbeim elektronischen Rezept

Leistungserbringer E-Rezepte in Emp-fang nehmen dürfen. Zudem fordertder Verband, dass auch Hilfsmittelelektronisch verordnet werden können.

Der BVMed hat Sorge, dass es beiden derzeit im GSAV-Entwurf vorgese-hen Regelungen zum E-Rezept zu Wett-bewerbsverzerrungen kommt. Das Ge-setz sieht vor, neben apothekenpflich-tigen Präparaten auch nicht apothe-kenpflichtige Produkte wie etwa Ver-bandsmittel oder Blutzuckerteststrei-fen digital abrechnen zu können. Letz-

tere kämen aber nicht ausschließlichaus der Apotheke, sondern beispiels-weise auch von Homecare-Unterneh-men, kritisiert BVMed-GeschäftsführerJoachim Schmitt. Das Gleiche gelte fürden nicht apothekenpflichtigen Sprech-stundenbedarf.

Als kritisch sieht der Verband, dassApotheker per Berufsausweis einen Zu-griff auf die Telematikinfrastruktur unddas E-Rezept haben, andere Leistungser-bringer aber nicht. Um einer Ungleich-behandlung vorzubeugen, fordert derVerband, dass eine entsprechende Auto-risierung für eine elektronische Verord-nung losgelöst vom elektronischen Heil-berufsausweis erfolgen sollte. /

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POLITIK & WIRTSCHAFT

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A N T R A G Z U K A S S E N L E I S T U N G E N

Spahn brüskiertden G-BAVon Cornelia Dölger und Jennifer Evans / GesundheitsministerJens Spahn (CDU) will offenbar künftig selbst entscheiden, wanneine Krankenkasse neue Untersuchungs- und Behandlungsmethodenbezahlt. Kritiker sehen die Sicherheit der Patienten in Gefahr.

Künftig soll das Bundesgesundheitsmi-nisterium darüber entscheiden kön-nen, ob eine Behandlung Kassenleis-tung wird. So zumindest steht es ineinem Änderungsantrag für das ge-plante Terminservice- und Versor-gungsgesetz. Als Beispiel nannte Spahnder »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«(FAZ) das Fettabsaugen bei Lipödemen.

Spahns Ressort soll ermächtigt wer-den, »durch Rechtsverordnung ohneZustimmung des Bundesrates Untersu-chungs- und Behandlungsmethoden zubestimmen, die in der Versorgung zu-lasten der Krankenkassen zu erbringensind«, wie es in dem Antrag heißt, derder Pharmazeutischen Zeitung vorliegt.Damit würde der Minister den Gemein-samen Bundesausschuss (G- BA) umge-hen, der als oberstes Beschlussgremi-um üblicherweise über die Aufnahmevon Therapien in den Leistungskatalogder Kassen entscheidet. In der Vergan-genheit hatte sich Spahn immer wiederüber die langen Entscheidungswegeder Selbstverwaltung geärgert und willmit seinem Vorstoß Betroffenen nun»schnell und unbürokratisch« helfen,wie er der »FAZ« sagte.

Prompte Kritik kam vom G-BA-Vor-sitzende Josef Hecken. Mit einer solchen

Ermächtigung des Ministeriums würdeder Weg in die Beliebigkeit und Staats-medizin programmiert, sagte er. Die imSozialgesetzbuch V verankerte Bindungder Versorgungsentscheidungen an dieevidenzbasierte Medizin werde damit

über Bord geworfen, denn nicht ohneGrund müssten die Leistungen der Kas-sen dem Qualitäts- und Wirtschaftlich-keitsgebot entsprechen. Dazu gehöreein Wirksamkeitsnachweis, der »zumin-dest ein positives Nutzen-Schaden-Ver-hältnis voraussetzt«. Dass nun auf die-sen Nachweis ausdrücklich verzichtetwerden solle, könne Patienten direktgefährden, so Hecken.

Auch in der Großen Koalition lösteder Vorstoß scharfen Widerspruchaus. SPD-Fraktionsvize Professor KarlLauterbach lehnte ihn ab. »Wennkünftig die Politik nach Gusto bestim-men würde, was bezahlt wird und wasnicht, würde das Vertrauen der Versi-cherten in den medizinischen Nutzender Leistungen der Gesetzlichen Kran-kenversicherung ausgehöhlt.« Es müs-se mehr wissenschaftliche Prüfungder Wirksamkeit geben, nicht weniger.Auch Parteikollegin Sabine Dittmarhält Spahns Vorhaben für den»völlig falschen Weg«. Sie warnte vormöglichen Problemen mit Blick aufPatientensicherheit und Haftungs-fragen.

Verfahren beschleunigenGrundsätzlich richtig findet Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen),dass der Gesundheitsminister mit seinerForderung Druck aufbaut, um die Ver-fahren der Nutzenbewertung beimG-BA zu beschleunigen. Im Fall der Lipö-dem-Betroffenen hält sie es sogar für»angemessen, wenn die Kosten für eineAbsaugung von den Krankenkassenübernommen werden«. Klein-Schmeinkzufolge haben sich auch bereits Patien-tenvertreter im G-BA dafür ausgespro-chen, die Behandlung in den Leistungs-katalog der Kassen aufzunehmen. /

Jennifer Evans / Das BrandenburgerGesundheitsministerium hat demPharmahändler Lunapharm dauerhaftdie Herstellungs- und Großhandelser-laubnis entzogen. Das berichtet dasARD-Politikmagazin »Kontraste«.

Das Magazin zitiert aus dem ent-sprechenden Bescheid des Gesund-heitsministeriums in Brandenburg. Da-rin heißt es, dass Lunapharm in »quan-titativer wie qualitativer Hinsicht kon-tinuierlich über einen langen Zeitraumhinweg und in schwerwiegender Weise

gegen arzneimittelrechtliche Vorgabenverstoßen hat«. Das Ministerium gehtdemnach außerdem davon aus, dassder Pharmahändler auch in Zukunftseine Tätigkeit nicht in Übereinstim-mung mit dem geltenden Arzneimit-telrecht ausüben wird.

Im vergangenen Juli hatte das Polit-magazin den Skandal um den illegalenHandel mit Medikamenten aufge-deckt. Jahrelang sollen Krebsmedika-mente aus griechischen Kliniken ge-stohlen und in Deutschland verkauft

worden sein. Als die Machenschaftenans Licht kamen, hatten die Behördenin Griechenland davor gewarnt, dassdie Qualität und Wirksamkeit der Me-dikamente nicht mehr gesichert ist.

Laut »Kontraste« geht das Ministeri-um in seinem Bescheid auf einen weite-ren Vorwurf gegen Lunapharm ein. Dem-zufolge soll der Händler das Krebsmedi-kament Herceptin aus Italien vertriebenhaben, obwohl »alle europäischen Groß-händler seit 2014 wüssten oder wissenmüssen, dass es auf legalem Weg – nachwie vor – nicht möglich sei, Herceptin ausItalien zu beziehen«, heißt es. /

Brandenburg: Lunapharm dauerhaft dicht

Jens Spahn will auf kurze Entscheidungs­wege setzen. Foto: Imago/Emmanuele Contini

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POLITIK & WIRTSCHAFT

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Stephanie Schersch / Die Kritik an dengeplanten zusätzlichen Abschlägen aufImpfstoffe reißt nicht ab. Die Herstellerwarnen nun davor, dass sie die Vakzinebei weltweit großer Nachfrage bevor-zugt in anderen Staaten auf den Marktbringen und eben nicht nach Deutsch-land liefern würden.

In Zukunft sollen Pharmaunterneh-men den Krankenkassen Extra-Ab-schläge auf Impfstoffe gewähren.5 Prozent sollen bei regulären Vakzinenfällig werden, ganze 10 Prozent beiGrippe-Impfstoffen, so steht es im Ent-

Impfstoff-Abschläge im TSVG: Herstellerdrohen mit Konsequenzen

wurf für das Terminservice- und Ver-sorgungsgesetz (TSVG). Hinzu kom-men die seit 2011 bereits etabliertenAbschläge, deren Höhe sich an einemeuropäischen Referenzpreis orientiert.

Hintergrund dieser Regelung isteine ebenfalls im TSVG verankerte Ver-pflichtung der Krankenkassen. Sie sol-len in Zukunft grundsätzlich den Preisfür jeden Impfstoff gegen schwerwie-gende Erkrankungen übernehmen. Ra-battverträge mit den Herstellern darfes nicht geben und auch Impfstoff-Ver-einbarungen mit Apothekerverbänden

sollen bald der Vergangenheit angehö-ren. Mit den erhöhten Abschlägenmöchte BundesgesundheitsministerJens Spahn (CDU) nun auf einem neuenWeg die Preise für Impfstoffe regulie-ren.

Dabei schießt er nach Meinung derIndustrie allerdings weit über das Zielhinaus. »Die Erhöhung des Zwangsra-batts bei Impfstoffen wäre ein Stolper-stein auf dem Weg zu einer besserenImpfstoffversorgung in Deutschland«,sagte die Chefin des Verbands der for-schenden Pharmaunternehmen, BirgitFischer. So könnten die Abschläge etwadazu führen, dass weniger Vakzine aufden Markt kommen. »Wenn etwa dieweltweite Nachfrage größer ist als derverfügbare Impfstoff, greifen Markt-mechanismen«, sagte Fischer undmachte damit deutlich, dass Pharma-hersteller in erster Linie Wirtschaftsun-ternehmen sind. So könne bei mögli-chen Engpässen schlichtweg der Preisdarüber entscheiden, »wohin Impfstoff– der sich nicht per Knopfdruck nach-produzieren lässt – geliefert wird«.

Kritik an den Plänen der Regierunghatte zuletzt auch der Bundesrat geäu-ßert und auf die ohnehin bereits ange-spannte Liefersituation bei einigenImpfstoffen verwiesen. Im Bundesmi-nisterium für Gesundheit ist man hin-gegen der Auffassung, dass die Neure-gelung verlässliche Rahmenbedingun-gen schafft. /

Stephanie Schersch / Der Pharma-großhandel lässt nicht locker und pochtdarauf, Rabatte und Skonti an Apothe-ken noch eindeutiger zu deckeln. Dem-nach lässt die von der Koalition geplan-te Neuregelung ein Schlupfloch offen.

Großhändler müssen für die Beliefe-rung der Apotheken mit rezeptpflichti-gen Arzneimitteln mindestens 70 Centpro Packung erheben – das will Bundes-gesundheitsminister Jens Spahn (CDU)mit dem Terminservice- und Versor-gungsgesetz (TSVG) noch einmal klar-stellen. Zusätzlich dürfen sie wie bislangauch 3,15 Prozent auf den Abgabepreisdes Herstellers aufschlagen, maximal je-doch 37,80 Euro. Hintergrund der Klar-stellung ist ein Urteil am Bundesge-richtshof. Darin hatten die Richter

moniert, derzeit definiere das Gesetzdie 70 Cent nicht eindeutig genug alseinen Fixzuschlag.

Nach Meinung der Großhändler wirddieses Problem mit dem Gesetzentwurfdes Ministers allerdings nicht vollständiggelöst. Zwar heißt es darin, dass Händler

Rabatte und Skonti ausschließlich aufden Herstellerabgabepreis gewährenkönnen und eben nicht auf den Fixzu-schlag. Für Rabatte wird zugleich ein De-ckel definiert, denn diese sollen »nur imRahmen des prozentualen Zuschlags«möglich sein – mehr als 3,15 Prozent wä-ren somit nicht drin. Weniger eindeutigist die Lage jedoch bei den Skonti. So istim Entwurf lediglich von den »im Handelallgemein üblichen Skonti« die Rede.

Der Bundesverband des pharmazeu-tischen Großhandels sieht darin einSchlupfloch. »Notwendig ist daher eineeindeutige Klarstellung, dass die Summeaus Rabatten und Skonti den Rahmendes prozentualen Zuschlags nicht über-schreiten darf«, heißt es in einer Stel-lungnahme. Nur mit einer solch rechtssi-cheren Formulierung sei eine auskömm-liche Vergütung und damit auch künftigeine flächendeckende Versorgung allerApotheken mit Arzneimitteln möglich. /

Rabatte und Skonti: Großhandel willSchlupfloch stopfen

Auch in deraktuellen Grippe-Saison gibt esEngpässe in derVersorgung mitImpfstoffen. InZukunft dürfte eskaum besserlaufen, warnen dieHersteller.

Foto: Shutterstock/

Production Perig

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POLITIK & WIRTSCHAFT

Sachverständigenrat mitneuer BesetzungPZ / Ab 1. Februar sitzenzwei neue Mitglieder imSachverständigenrat zurBegutachtung der Entwick-lung im Gesundheitswesen(SVR). Bundesgesundheits-minister Jens Spahn (CDU)hat die Ökonomin ProfessorBeate Jochimsen (Hochschu-le für Wirtschaft und Recht,Berlin) und den MedizinerProfessor Christof von Kalle

(Deutsches Krebsfor-schungszentrum, Heidel-berg) in das Beratungsgre-mium berufen. Die Neuzu-gänge sollen den Gesund-heitsökonom ProfessorEberhard Wille (UniversitätMannheim) und die Medizi-

nerin Professor Marion Hau-bitz (Universität Hannover)ablösen. Wille war 25 JahreSVR-Mitglied, davon vieleJahre als Vorsitzender. Dassiebenköpfige Expertengre-mium berät die Politik in ge-sundheitspolitischen Fra-gen. Insbesondere soll esaufzeigen, wo Versorgungs-defiziten oder Überversor-gung entgegengewirkt wer-den müsste. Erneut im Gre-mium sind Allgemeinmedizi-ner Professor FerdinandGerlach (Universität Frank-furt), der Gesundheitsöko-nom Professor WolfgangGreiner (Universität Biele-feld), die Pflegewissen-schaftlerin Professor Gabrie-le Meyer (Universität Halle),der GesundheitsökonomProfessor Jonas Schreyögg(Universität Hamburg) unddie Pharmakologin ProfessorPetra Thürmann (UniversitätWitten-Herdecke). /

Schmidtke soll PatientenvertretenPZ / Mehr als zwei Monateist das Amt des Patientenbe-auftragten bereits vakant.Jetzt hat Bundesgesund-heitsminister Jens Spahn(CDU) seine Kandidatin of-fenbar gefunden. Die 52-jäh-rige Herzchirurgin ProfessorClaudia Schmidtke soll in Zu-kunft die Belange der Pati-enten vertreten. Sie selbstpräsentiert sich vor allem alsüberzeugte Medizinerin. Ihrberufliches Leben habe siebislang insbesondere inKliniken verbracht, schreibtsie auf ihrer Homepage. Vie-le Jahre war sie als Oberärz-tin an der Universität Lübecktätigt, zuletzt arbeitete sieam Herzzentrum in Bad Se-geberg. Sie kenne den Alltagin den Kliniken mit all seinenFacetten, so Schmidtke. Mitdiesen Kenntnissen hat sieihrem Vorgänger einiges

voraus. Der Wirtschaftswis-senschaftler Ralf Brauksiepe(CDU) hatte keinerlei ge-sundheitspolitische Erfah-rungen mit ins Amt ge-bracht. Im November 2018gab er seinen Posten nachnur sechs Monaten zurück,um in die freie Wirtschaft zuwechseln. Politisch blicktSchmidtke auf eine Art Blitz-karriere zurück. Erst 2015kam sie zur CDU – »angetrie-

ben von meinem Wunsch,den Hochschulstandort Lü-beck zu stärken«. 2017 wurdesie im Wahlkreis Lübeck alsDirektkandidatin aufgestelltund zog prompt in den Bun-destag ein. /

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Foto: CDU/Jan Kopetzky

Foto: Fotolia/Redpixel

Jahresempfang der Wirtschaft: Gesundheitist nicht käuflichCaroline Wendt, Mainz / Rund 2000Angehörige von 15 verschiedenen Kam-mern der Wirtschaft und der freien Be-rufe aus Rheinhessen und Rheinland-Pfalz haben sich am 9. Januar in Mainz

zum Jahresempfang der Wirtschaftgetroffen. Bei der Podiumsdiskussionmit Ministerpräsidentin Malu Dreyer(SPD) sprach Andreas Kiefer, Präsidentder Apothekerkammer Rheinland-Pfalz, für die Heilberufler.

Kann man Gesundheit kaufen?Nach Meinung von KammerpräsidentKiefer ist das in Deutschland nicht derFall. Lediglich die Leistungen derer, dieheilberuflich arbeiten, könnten hono-riert werden. »Wir leben in einem Landohne Ausgrenzung für Gesundheits-leistungen – wer krank ist, wird ver-sorgt, egal welches Einkommen er hat.Darauf bin ich stolz«, betonte Kiefer.Doch müsse das Gesundheitssystemdurch Marktregeln geschützt werden.Begriffe wie Digitalisierung oderStart-up sollten nicht dazu führen,dass Kapitalanleger mit dem deut-schen Sozialsystem Geld verdienenkönnten. Dies gelte sowohl für

medizinische Versorgungszentren alsauch im Arzneimittelmarkt.

Ministerpräsidentin Dreyer pflichte-te Kiefer darin bei, dass im Mittelpunktder Bemühungen immer das Wohl derPatienten stehen müsse. »Man kann inder Gesundheit nicht alles unter wett-bewerblichen Gesichtspunkte betrach-ten, denn wir haben den Menschen ge-genüber eine Versorgungspflicht«, soDreyer. Weiterhin lobte sie die Bemü-hungen der Apotheker, die unter ande-rem mit dem Versandhandel zu kämp-fen hätten. Neue Projekte wie die ersteelektronische Rezeptsammelstelle inRheinland-Pfalz seien wichtige Schritte,um den Patientenservice weiter zu ver-bessern.

Kiefer wünscht sich hingegen nochmehr Vertrauen seitens der Politik. Diefunktionale Selbstverwaltung müssemehr Anerkennung erhalten. »Wir nut-zen unsere Fachexpertise, um das Wohldes Patienten zu verbessern«, so derKammerpräsident. Mehr staatlicheVorschriften und Kontrollen seien daeher hinderlich. /

Ministerpräsidentin Malu Dreyer bei derPodiumsdiskussion. Foto: IHK Rheinhessen/Sell

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PHARMAZIE

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P S Y C H O P H A R M A K A

Absetzen,aber richtigVon Annette Mende, Berlin / Sind Patienten mit psychischenErkrankungen über die Akutphase hinweg, stellt sich irgendwanndie Frage, ob sie das eingenommene Psychopharmakon gefahrloswieder absetzen können. Bei Neuroleptika und Antidepressivasind dabei unterschiedliche Dinge zu beachten.

Dem Absetzen von Psychopharmakawar beim diesjährigen Kongress derDeutschen Gesellschaft für Psychiatrieund Psychotherapie, Psychosomatikund Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlineine ganze Session gewidmet – und dergrößte Vortragssaal war gefüllt bis aufden letzten Platz. Das große Interessezeigt, wie wichtig in der Behandlungvon psychisch Kranken nicht nur dieAuswahl des am besten geeignetenMedikaments ist, sondern auch diemöglichst gefahrlose Beendigung derEinnahme. Haben Psychopharmakadoch häufig Nebenwirkungen wieGewichtszunahme oder Müdigkeit, diezwar kurzfristig hingenommen wer­den, langfristig aber die Compliancegefährden. Zunächst sprach ProfessorDr. Gerhard Gründer vom Zentral­institut für Seelische Gesundheit inMannheim über Antipsychotika.

»Positivsymptome bei Schizophre­nie beruhen auf einem Dopaminexzessim mesolimbischen System, den wir mit

Antipsychotika zu reduzieren versu­chen«, erklärte Gründer. In der Regelhandele es sich dabei um Dopaminant­agonisten. Der medikamentöse Eingriffin den zentralen Dopaminhaushalt blei­be jedoch nicht folgenlos: Es komme zueiner Heraufregulation von Dopamin­rezeptoren, und zwar gemäß einerbereits 1976 publizierten Untersuchungim Fachjournal »Science« um durch­schnittlich 20 Prozent (196: 326­328).

Das System passt sich anDie langfristige antipsychotische The­rapie induziere also eine Supersensitivi­tät des Dopaminsystems, wodurch sichbeim schlagartigen Absetzen vonNeuroleptika das Rezidivrisiko erhöht.Es sei in einer solchen Situation höher,als es gewesen wäre, wenn der Patientnicht medikamentös behandelt wor­den wäre. Dass das System sich an­passt, zeige sich auch daran, dass dieebenfalls Dopamin­vermittelten Spät­dyskinesien oft erst dann auftreten,

wenn eine langjährige neuroleptischeMedikation beendet wird. Gründer hältdas Konzept der Supersensitivität fürschlüssig, obwohl es, wie er betonte,nicht unumstritten ist.

»Aus diesen Beobachtungen darfman aber nicht ableiten, dass die Be­handlung schlimmer ist als die Erkran­kung selbst«, so der Psychiater. Denn jelänger eine Psychose unbehandelt blei­be, desto schlechter sei die Prognosedes Patienten. Rezidive müssten nachMöglichkeit verhindert werden, unddarin seien Neuroleptika sehr effektiv.In einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr2012 errechnete eine deutsche Arbeits­gruppe im Fachjournal »The Lancet«eine Number needed to benefit von 3.»Das ist hervorragend«, sagte Gründer.Dem gegenüber stand bei den Neben­wirkungen eine Number needed toharm von 20 (DOI: 10.1016/S0140­6736(12)60239­6).

Um Rückfälle zu vermeiden, solltenPatienten mit hohem Risiko daher auchlangfristig medikamentös behandeltwerden, allerdings in der niedrigstenmöglichen Dosis. Die neue S3­Leitlinie»Schizophrenie« enthalte hierzu erst­mals eine Tabelle mit den minimaleneffektiven Dosierungen. Entschiedensich Arzt und Patient für eine Dosis­reduktion oder – nach langjährigerTherapie ohne Rezidiv – sogar für einAbsetzen der Medikation, müsse derPatient jedoch vorher darüber infor­miert werden, dass sich dadurch seinRückfallrisiko erhöht.

Die Dosisreduktion selbst müsse inkleinen Schritten erfolgen, zwischendenen jeweils sechs bis zwölf Wochenvergehen. »Warten Sie lange genug ab,um zu sehen, ob der Patient mit derniedrigeren Dosis auskommt«, rietGründer. Aus Tierversuchen sei be­kannt, dass es ein Jahr oder länger dau­ern kann, bis sich Veränderungen, diedurch Rezeptorantagonisten induziertwurden, wieder normalisiert haben.

Viele Patienten sinderpicht darauf, Psychopharmakaso schnell wie möglichwieder abzusetzen.Das ist jedoch oft nicht ratsam.

Foto: Imago/Westend61

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Antidepressiva beeinflussen andereNeurotransmitter-Systeme im Gehirnals Neuroleptika, meistens unter ande-rem das serotonerge System. Auch beiAntidepressiva ist nach dem Absetzenmit Effekten zu rechnen, die auf einerAnpassung des Körpers an die Pharma-kotherapie beruhen, wie ProfessorDr. Tom Bschor von der SchlossparkKlinik Berlin informierte. So reguliereder Körper etwa unter selektiven Sero-tonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI)gegen, indem er die Anzahl der Sero-toninrezeptoren reduziert. »Wenn

also Parästhesien, die sich wie elektri-sche Stromschläge anfühlen können,und H: hyperarousal, also Ängstlichkeitund Reizbarkeit.

Charakteristisch für Entzugssymp-tome nach Beendigung einer Anti-depressiva-Therapie sei, dass sie raschauftreten, meist schon nach 36 bis96 Stunden, »wenn drei bis fünf Halb-wertszeiten des Medikaments umsind«, sagte Bschor. Die Abhängigkeitvon der Halbwertszeit ist der Grund da-für, dass nach dem Absetzen des SSRIFluoxetin so gut wie nie Entzugssymp-

raum wieder abhängig von der Halb-wertszeit.

Angaben zur Häufigkeit von Ent-zugssymptomen nach Antidepressiva-Therapie schwanken stark. In einer ge-rade erst erschienenen Übersichtsar-beit britischer Forscher lag die Ratezwischen 27 und 86 Prozent, im Durch-schnitt bei 56 Prozent (»Addictive Be-haviors«, DOI: 10.1016/j.addbeh.2018.08.027). Wie häufig sie tatsächlich sind,sei ohne Studien mit Kontrollgruppenicht sicher zu beantworten, so Bschor.Besonders hohe Raten finde man beiParoxetin, Venlafaxin, Trizyklika undMAO-Hemmern, besonders niedrigeneben Fluoxetin bei Agomelatin, daskeine Serotonin-Wiederaufnahme-hemmende Wirkung hat. In der Summeseien Entzugssymptome aber meistenskein schwerwiegendes Problem, solan-ge die Patienten aufgeklärt und ärzt-lich begleitet würden.

Ein Mangel an geeigneten Studienbestehe auch zur Frage, ob das Abset-zen eines Antidepressivums eine Wie-derkehr der Erkrankung oder sogar ei-nen Rebound, also eine gegenüber derAusgangslage erhöhte Erkrankungs-wahrscheinlichkeit, begünstigen kann.Es gebe zwar jede Menge Wirksam-keitsstudien, in denen Antidepressivamit Placebo verglichen wurden. Aberder für diese Fragestellung interessan-te Zeitraum beginne ja erst nach demAbsetzen – und da seien diese Studienallesamt schon beendet worden.

Erhaltungstherapie nütztUnstrittig sei, dass nach der Akutphaseeiner depressiven Episode eine sechs-bis neunmonatige Erhaltungstherapiesinnvoll ist. Diese senke das Rückfall-risiko enorm, einer Übersichtsarbeitaus dem Jahr 2003 zufolge um mehrals die Hälfte von 41 auf 18 Prozent(»The Lancet«, DOI: 10.1016/S0140-6736(03)12599-8). Ob der Patient da-nach das Medikament absetzen könne,hänge vom individuellen Rückfallrisikoab. »Nach einer ersten depressiven Epi-sode muss man das Antidepressivumsicherlich nicht jahrelang weiterneh-men«, sagte Bschor. Die Entscheidungträfen auch hier der behandelnde Arztund der informierte Patient gemein-sam. Wirkstoffe mit kurzen Halbwerts-zeiten müssten ausgeschlichen wer-den. Ideal seien hierfür flüssigeDarreichungsformen, die jedoch nurbei wenigen Wirkstoffen wie Escitalo-pram, Amitriptylin und Trimipraminzur Verfügung stünden. /

dann plötzlich die Medikamentenwir-kung wegfällt, gibt es für eine gesundeNeurotransmission möglicherweise zuwenige Rezeptoren«, so Bschor – dasbekannte Absetzphänomen von SSRI.

Vielfältige SymptomeNach dem Absetzen von Antidepressi-va seien diverse Entzugssymptomemöglich, die überaus vielfältig seienund teilweise der ursprünglichen Er-krankung ähnelten. Auf Englisch gebees eine Eselsbrücke dafür: FINISH. Dieeinzelnen Buchstaben stehen für F: flu-like symptoms, also grippeähnlicheSymptome, I: insomnia, also Schlafstö-rungen beziehungsweise intensive(Alb-) Träume, N: nausea, also Übelkeitund Erbrechen, I: imbalance, alsoGleichgewichtsstörungen inklusiveSchwindel, S: sensory disturbances,

tome beobachtet werden, weil es einesehr lange Halbwertszeit hat. »Fluoxe-tin schleicht sich gewissermaßen vonselbst aus«, so Bschor.

Entzugssymptome träten nur dannauf, wenn ein Antidepressivum zuvorüber mindestens vier, eher acht Wo-chen genommen wurde. Nach diesemZeitraum steige das Risiko durch einenoch längere Einnahme jedoch nichtweiter an. »Wenn ein Patient ein Anti-depressivum acht Wochen lang einge-nommen hat, dann erhöht sich das Risi-ko für Entzugssymptome nicht da-durch, dass er es noch ein oder fünfJahre länger nimmt«, verdeutlichte derMediziner. Sehr charakteristisch undberuhigend sei zudem, dass sich Ent-zugssymptome meist innerhalb vonzwei bis maximal sechs Wochen spon-tan zurückbilden. Auch hier sei der Zeit-

Manche Patienten leiden nach dem Absetzen von Antidepressiva an plötzlich einschießen-den, stromschlagähnlichen Schmerzen. Foto: Shutterstock/Alice Day

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ACE-Hemmer, AT1-Rezeptorantagonis-ten (Sartane) und der Renin-InhibitorAliskiren sind Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems (RAS). Bedeu-tendster Faktor mit pathophysiologi-scher Relevanz in diesem System ist dasstark vasokonstriktorisch wir-kende Oktapeptid Angio-tensin II, das maßgeb-lich an derBlutdruckregulationbeteiligt ist. Darü-ber hinaus hat esvielfältige indirek-te Gefäßeffekte,da es unter ande-rem die Freisetzungvon Noradrenalin, dieAldosteronsynthese unddie tubuläre Natriumrückresorptionerhöht. Über die Beeinflussung der Bil-dung von Wachstumsfaktoren istAngiotensin II außerdem verantwortlichfür Remodeling-Effekte und die patho-logische Hypertrophie des Myokards.

Hemmstoffe des RASHemmstoffe des RAS gehören zu denerfolgreichsten Arzneimitteln in derBehandlung von Hypertonie sowie vonHerz- und Nierenerkrankungen. DieVerordnungen zulasten der Kranken-kassen waren im Jahr 2017 mit rund9 Milliarden definierter Tagesdosen sohoch, dass sie knapp 60 Prozent desVerordnungsvolumens aller Antihyper-tensiva ausmachten.

Die Erfolgsgeschichte der Hemm-stoffe des RAS begann 1978 mit derEinführung des ACE-Hemmers Capto-pril, dessen Entwicklung auf die Er-kenntnis zurückgeht, wonach das Giftder südamerikanischen GrubenotterBothrops jararaca antihypertensivwirkt. Ungeachtet seines großenErfolgs wurde Captopril aufgrund un-günstiger pharmakokinetischer Eigen-schaften alsbald durch Vertreter derzweiten Generation von ACE-Hemmern

L O S A R TA N

Einst neues Prinzipbei BluthochdruckVon Manfred Schubert-Zsilavecz / Der zweite PZ-Innovations-preis ging 1996 an eine Substanz, die eine neue Ära in der Blut-hochdrucktherapie einläutete: Losartan war der erste Vertreterder AT1-Rezeptorantagonisten und machte den ACE-HemmernKonkurrenz.

wie Enalapril, Ramipril und Lisinoprilabgelöst, die auch heute noch markt-bestimmend sind.

Vor dem Hintergrund des enormentherapeutischen Erfolgs war es in den1970er- und 1980er-Jahren kaum vor-

stellbar, dass sich neben denACE-Hemmern andere

Hemmstoffe des RAS alswirksame und wirt-schaftlich erfolgreicheArzneistoffe etablierenlassen würden. Im ja-panischen Unterneh-

men Takeda führte die-se Ansicht zu einer stra-

tegischen Fehlentschei-dung, da ein firmeneigenes

Patent, das Benzylimidazol-derivate als kompetitive Hemmstoffedes Angiotensin II am AT1-Rezeptor mitantihypertensiver Wirkung beschreibt,nicht weiter verfolgt wurde.

Es dauerte bis 1995, bis das von derFirma DuPont entwickelte Losartan(Lorzaar®) von MSD Sharp & Dohme alserster klinisch relevanter AT1-Rezeptor-antagonist in die Therapie eingeführtwurde. 1996 erhielt diese Sprunginno-vation den PZ-Innovationspreis, einJahr später den Galenus-von-Perga-

mon-Preis. Seit 2010 sind Generika vonLosartan erhältlich.

ACE-Hemmer und Sartane werdenentsprechend der aktuellen Therapie-empfehlungen als Mittel der Wahl zurantihypertensiven Therapie eingesetzt.Einige Vertreter der Sartane (Losartan,Valsartan, Candesartan) sind auch zurBehandlung der Herzinsuffizienz undzur Behandlung der diabetischenNephropathie (Losartan, Irbesartan)zugelassen. Losartan außerdem zurSchlaganfallprävention bei linksventri-kulärer Hypertrophie. Eine Überlegen-heit der Sartane im Vergleich zu ACE-Hemmern ist bei unerwünschten Arz-neimittelwirkungen (Husten, Angio-ödem) zweifelsfrei belegt. Für die Ver-hinderung koronarer Ereignisse ist eineleichte Unterlegenheit der Sartane, beider Vermeidung zerebraler Ereignisseeine geringe Überlegenheit wahr-scheinlich.

Skandal um SartaneEinen nicht unerheblichen und nachwir vor nicht bereinigten Vertrauens-verlust erlebte die Wirkstoffklasse derSartane seit Mitte des letzten Jahresaufgrund von Problemen bei der phar-mazeutischen Qualität der Wirkstoffe,die nahezu ausschließlich in China pro-duziert werden. Seit dem Sommer 2018stehen neben Valsartan auch andereSartane mit Tetrazolpartialstruktur imMittelpunkt eines Arzneimittelskan-dals, bei dem es zu Verunreinigungender Wirkstoffe mit Nitrosaminenkam. /

JUBILÄUM

Seit fast einem Vierteljahrhundertvergibt die Pharmazeutische Zeitungden PZ-Innovationspreis und würdigtdamit das jeweils innovativste Arz-neimittel eines Jahres. Beim diesjähri-gen Pharmacon-Kongress in Meranwird der Preis zum 25. Mal vergeben.Das Jubiläum nimmt die PZ zum An-lass, alle bisherigen Preisträger Revuepassieren zu lassen und beleuchtetsie kritisch. Ließen sie sich in den The-rapiealltag integrieren? Haben sieneue Therapierichtungen induziert?Als Autoren fungieren die Professo-ren Dr. Theo Dingermann undDr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Mit-glieder der externen PZ-Chef-redaktion, sowie der stellvertretendePZ-Chefredakteur Sven Siebenand.

Die Struktur von Losartan ist durch einBenzylimidazol-Template und das für vieleSartane typische Biphenyltetrazolsystemcharakterisiert. Grafik: Wurglics

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Daniela Hüttemann / Benzodiazepinekönnen zu einer so tiefen Sedation füh­ren, dass der Betroffene bei nächtli­chen Gefahren wie einem Einbruch, ei­nem Erdbeben oder Feueralarm nichtaufwacht. Das soll bei einer neuenKlasse von Schlafmitteln anders sein,zeigen nun japanische Wissenschaftlerim Tierexperiment.

Auch während des Schlafs verarbei­tet der Körper sensorische Informatio­nen, was in Gefahrensituationen einschnelles Aufwachen erlaubt. Benzo­diazepine erschweren das Aufwachen,wie eine Studie aus dem Jahr 1987 zeigt,bei der etwa die Hälfte der Patientenunter Triazolam­Einnahme das Piepeneines Rauchmelders verschlief. Zudemhaben Benzodiazepine noch weitereNachteile, weshalb weltweit an ande­ren Schlafmitteln geforscht wird – soauch an dualen Orexin­Rezeptorant­agonisten (DORA). Diese Wirkstoffe sol­

len selektiver in die Schlaf­Wach­Signal­wege des zentralen Nervensystemseingreifen als die bislang verfügbarenSchlafmittel, zum Beispiel soll derHangover­Effekt schwächer sein. Seit2014 ist mit Suvorexant (Belsomra®)bereits ein erster Vertreter dieser Wirk­stoffklasse in Japan, den USA undAustralien zugelassen.

Einen weiteren Vorteil entdecktennun Forscher der Kagoshima­Universi­tät in Japan. Sie gaben Mäusen den ex­perimentellen Wirkstoff DORA­22, Tri­azolam oder Placebo. Ein bis vier Stun­den nach der Applikation setzten sie dieTiere einem Gefahrenstimulus aus: demGeruch eines Fuchses, einem hochfre­quenten Geräusch ähnlich einer Hunde­pfeife oder dem Rütteln ihres Käfigs.Letzteres sollte ein Erdbeben simulieren.

Wie erwartet war das Aufwachennach Triazolam­Gabe signifikant verzö­gert, nicht aber nach Placebo­ oder

DORA­Einnahme. War die Gefahr ge­bannt, konnten die Tiere ruhig weiter­schlafen – und das deutlich schneller alsunter Placebo, schreiben die Forscher imFachmagazin »Frontiers in BehavioralNeuroscience« DOI: 10.3389/fnbeh.2018.00327). Sie führen dies darauf zurück,dass eine Orexin­Rezeptorblockade dieVerarbeitung und Bewertung sensori­scher Informationen (kaum) beeinflusst.Diese sogenannte Gatekeeper­Funktiondes Gehirns bliebe anders als bei denBenzodiazepinen erhalten. /

Neue Schlafmittelklasse: Wachsam beinächtlichem Ernstfall

Auch unter dem Einfluss von Schlafmittelnsollte man im Notfall schnell aufwachen.

Foto: Shutterstock/ruigsantos

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Brigitte M. Gensthaler / Eine Zytosta-tikatherapie lässt bei vielen Patientendie Haare ausfallen – eine sehr belas-tende Nebenwirkung einer Krebsthera-pie. Nach Behandlungsende wachsendie Haare in der Regel wieder. WenigeDaten gibt es allerdings zum anhalten-den Haarausfall.

Wissenschaftler aus Korea und denUSA untersuchten dies nun in einerprospektiven Kohortenstudie. 61 er-wachsene Frauen mit frühem bisfortgeschrittenem Brustkrebs wur-den an der Brustkrebsklinik amSamsung Medical Center in Seoul von Fe-bruar 2012 bis Juli 2013 mit einer adjuvan-ten Chemotherapie (CTX) behandelt. IhreHaarfülle und -dicke wurde vor Beginn

Judith Lorenz / Die perimenopausaleHormontherapie basiert auf der Gabevon Estrogenen als Monotherapie oderin Kombination mit einem Progesteron.Forscher von der Universität Notting-ham sind nun der Frage nachgegangen,inwiefern sich die verschiedenen Wirk-stoffkombinationen und Applikations-formen auf das venöse Thromboembo-lierisiko der Anwenderinnen auswirken.Hierzu werteten sie im »British MedicalJournal« die Daten von mehr als80 000 Britinnen aus, die zwischen1998 und 2017 im Alter zwischen 40und 79 Jahren erstmals eine Venen-thrombose oder Embolie erlitten hat-

ten. Das Vergleichskollektiv bildetenmehr als 391 000 altersgleiche Frauen(DOI: 10.1136/bmj.k4810).

Rund7ProzentderThromboembolie-Patientinnen und rund 6 Prozent derKontrollen hatten innerhalb von dreiMonaten vor dem Zwischenfall Hor-monpräparate – meist in Tablettenform– eingenommen. Insgesamt nahmdurch eine Hormontherapie (unabhän-gig von weiteren begünstigenden Fak-toren wie dem Rauchen) das Thrombo-embolierisiko um 43 Prozent zu.

Im Detail: Bei einer oralen Therapiestieg das Risiko um 58 Prozent. Dabeiführten Estrogen-Monopräparate zu

einer Risikozunahme um 40 Prozentund Estrogen-Progesteron-Kombina-tionen um 73 Prozent. Bezüglich dereinzelnen Wirkstoffe errechnete dieForscher das höchste Erkrankungsrisikofür konjugierte equine Estrogene alleinoder in Kombination mit Medroxypro-gesteronacetat und das geringste fürEstradiol in Kombination mit Dydro-gesteron. Ferner nahm die Thrombo-emboliegefahr mit steigender Estro-gen-Dosis zu.

Frauen, die ein transdermales Hor-monpräparat, beispielsweise ein Pflas-ter, ein Gel oder eine Creme, angewen-det hatten, erkrankten hingegen nichthäufiger an einer Thrombose oder ei-ner Embolie als die Nichtanwenderin-nen. Hierbei spielte es keine Rolle, inwelcher Dosis Estradiol eingesetzt wur-de, ob es allein oder in Kombination miteinem Progesteron appliziert wurdeoder ob die Behandlung zyklisch oderkontinuierlich erfolgte.

Im Vergleich zu oralen Hormonfor-mulierungen scheint die transdermaleApplikation hinsichtlich des venösenThromboembolierisikos die sicherereAlternative darzustellen, so das Teamum Dr. Yana Vinogradova. Dennoch do-miniert in Großbritannien die Tablet-tenverordnung. Sie empfehlen: Insbe-sondere bei Frauen mit erhöhterThromboseneigung, beispielsweise beiÜbergewicht, sollte leitliniengemäßeine parenterale Hormongabe erwo-gen werden. /

Haarverlust nach Chemotherapie kannjahrelang anhalten

gemessen und drei Jahre nachverfolgt(DOI: 10.1634/theoncologist.2018-0184).

Nach sechs Monaten berichtetenknapp 40 Prozent der Frauen über dau-

erhaften Haarverlust; nach drei Jahrenwaren es 42,3 Prozent. Bei den meistenFrauen wuchs das Haar nicht mehr voll-ständig nach. Patientinnen, die eineTaxan-basierte CTX bekommen hatten,waren häufiger betroffen. HäufigstesHaarproblem nach drei Jahren wardünnes Haar (75 Prozent der Frauen),gefolgt von vermindertem Haarvolu-men (53,9 Prozent), allgemeinem Haar-ausfall und grauem Haar (jeweils34,6 Prozent).

Dauerhafter CTX-induzierter Haar-verlust sei eine häufige Nebenwir-

kung bei Brustkrebspatientinnen,folgern die Forscher um DanbeeKang im Fachjournal »The Onco-

logist«. Ärzte sollten die Frauen vorder Therapie darüber aufklären und

unterstützende Maßnahmen anbieten,um die Lebensqualität möglichst wenigzu belasten. /

Hormonersatztherapie: Am besten mitPflaster, Gel oder Creme

Foto: Fotolia/Zlatan Durakovic

Das Für und Widereiner Hormon­ersatztherapiemuss sorgfältigabgewogenwerden.

Foto: Your Photo Today

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Antidepressiva: Senioren sind unter- undüberversorgtAnnette Mende / Depressiv zu sein, istkeine normale Alterserscheinung. Eineraktuellen Studie zufolge sind ältereMenschen mit depressiven Symptomenmassiv mit Antidepressiva unterver­sorgt. Gleichzeitig zeigt die Untersu­chung aus Deutschland aber auch, dassviele Ältere Antidepressiva verordnetbekommen, ohne dass sie depressiv sind.

Die im »International Journal of Ger­iatric Psychiatry« erschienene Arbeitstellt eine Auswertung der popula­tionsbasierten Kohortenstudie ESTHERdar, in die im Saarlandzwischen Juli 2000und Dezember 2002ursprünglich knapp1000 Personenbei Hausarzt­besuchen ein­

geschlossen wurden. Für die vorliegen­de Analyse konnten die Daten von3117 Teilnehmern des dritten Follow­ups aus den Jahren 2008 bis 2010herangezogen werden. Die Probandenwaren zwischen 55 und 85 Jahre alt undlebten nicht in Alten­ oder Pflege­heimen. Über depressive Symptomegaben sie mithilfe des standardisiertenFragebogens PHQ­8 Auskunft; ihrekomplette Medikation wurde voneinem Studienarzt bei einem Haus­besuch erfasst (DOI: 10.1002/gps.5047).

Wie die Autoren um Dr. Friederike H.Böhlen von der Universität Heidelberg

berichten, waren bei 163 Teilneh­mern (5,2 Prozent) die Kriterien

für eine Major Depression er­füllt. Von diesen hatten jedoch63 niemals die Diagnose Depres­

sion gestellt bekommen. Nur 37der depressiven Patienten erhiel­

ten Antidepressiva (22,7 Pro­zent) und acht eine Psycho­therapie (4,9 Prozent), vierwurden sowohl pharmako­logisch als auch psycho­logisch behandelt. Dass

ältere Menschen häufig psychischeBeschwerden zu ignorieren versuchen,zeigte sich auch in dieser Studie: Ledig­lich 50 der depressiven Teilnehmer –noch nicht einmal jeder Dritte – gabenan, aufgrund ihrer seelischen Belas­tung Hilfe in Anspruch nehmen zu wol­len. Patienten, die bereit waren, Hilfezu akzeptieren, bekamen diese dannaber auch häufiger.

Der eklatanten Unterversorgungmit Antidepressiva stand jedoch aucheine hohe Überversorgung gegenüber:96 von 230 Verordnungen über einAntidepressivum (41,7 Prozent) warenfür Personen ohne Depression ausge­stellt worden. In der Diskussion der Er­gebnisse räumen die Autoren zwar ein,dass auf andere mögliche Indikationen,beispielsweise chronische Spannungs­kopfschmerzen, nicht kontrolliert wur­de. Diese dürften jedoch nicht denLöwenanteil der Antidepressiva­Verordnungen ausgemacht haben.

Alles in allem unterstreicht dasErgebnis einmal mehr, dass bei älterenPatienten gezielt nach depressivenSymptomen gefragt werden sollte, umdiese nicht zu übersehen. Liegt eineAntidepressiva­Verordnung vor, solltedie Indikation regelmäßig überprüftwerden. /Foto: Shutterstock/giorgiomtb

Kerstin A. Gräfe / Die US­amerikani­sche Gesundheitsbehörde FDA hatRavulizumab (Ultomiris™) zur Behand­lung erwachsener Patienten mit par­oxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie(PNH), einer seltenen und lebensbe­drohlichen Blutkrankheit, zugelassen.Der Antikörper ist ein lang wirksa­mer Komplementhemmer, der dieHämolyse verhindert. Für Europaist die Zulassung beantragt.

Die PNH ist eine sehr seltene,teilweise äußerst schwer verlau­fende Blutkrankheit, von der über­wiegend jüngere Patienten betroffensind. Der Name beruht auf der klinischenErscheinung der Erkrankung, da bei eini­gen Patienten unvermittelt (paroxys­mal) nächtlich oder früh morgens eineRot­ beziehungsweise Dunkelfärbungdes Urins auftritt (Hämoglobinurie).Ursache ist eine erworbene somatischeMutation im Phosphatidyl­Inositol­Gly­

kan­A (PIG­A)­Gen in den multipotentenhämatopoetischen Stammzellen desKnochenmarks. In der Folge hat die Zell­membran keinen Schutzfaktor mehr ge­gen den Komplementfaktor C5 und wird

gegen die Komplementkomponente C5richtet. Auch Ravulizumab bindet mithoher Affinität an das Protein C5 desKomplementsystems, hat aber einedrei­ bis viermal längere Halbwertszeit.Daher muss der neue Antikörper nur alleacht Wochen intravenös gegeben wer­den, während Eculizumab alle zweiWochen appliziert wird. Für die Patien­ten sinkt damit die Zahl der Infusionenvon 26 auf 6 pro Jahr.

Die US­Zulassung basiert auf einerPhase­III­Studie mit 246 PNH­Patien­ten, in der beide Präparate miteinanderverglichen wurden. Ravulizumab wardarin Eculizumab statistisch nicht un­terlegen. Als koprimäre Wirksamkeits­endpunkte waren das Vermeiden vonTransfusionen und die Normalisierungdes Laktatdehydrogenase­Werts defi­niert. Letzterer ist ein Marker für denGrad der Hämolyse. Als häufige Neben­wirkungen traten Kopfschmerzen undInfektionen der oberen Atemwegeauf. /

Seltene Blutkrankheit: US-Zulassung fürRavulizumab

Foto: Shutterstock/Von FlashMovie

intravasal lysiert. Es treten hämolytischeAnämie, Thrombophilie und Panzyto­penie (eine starke Verminderung derBlutzellen aller Systeme) auf.

Die Standardtherapie besteht in ei­ner Behandlung mit dem monoklonalenAntikörper Eculizumab (Soliris®), der sich

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N I E R E N E R S AT Z V E R FA H R E N

Komplexe Medikationbei DialysepatientenVon Christine Przybylok und Anka C. Röhr / Die Zahl dialyse-pflichtiger Menschen ist in den letzten Jahren stetig gestiegen.Derzeit sind in Deutschland etwa 80 000 Patienten abhängig voneiner dauerhaften Nierenersatztherapie. Ein Nierenversagen mitDialysepflicht hat zahlreiche Folgen und erfordert eine komplexePharmakotherapie.

Die möglichen Ursachen für einenFunktionsverlust der Nieren sind viel­fältig. Neben einer meist über Jahrelangsam fortschreitenden chronischenNierenschädigung kann auch ein aku­tes Organversagen zur Dialysepflichtführen.

Mehr als 2 Millionen Menschen inDeutschland leiden an einer chroni­schen Nierenerkrankung mit einerEinschränkung der Organfunktion aufweniger als 60 Prozent. Nur etwajeder Dritte weiß davon. KlinischeSymptome treten vielfach erst in fort­geschrittenen Stadien der dann meistirreversiblen Niereneinschränkung auf.Eine fortschreitende Schädigung führtletztlich zum kompletten Funktions­verlust der Nieren und macht eineNierenersatztherapie erforderlich undüberlebenswichtig.

Bei mehr als der Hälfte der Patien­ten ist eine dialysepflichtige Nierenin­suffizienz auf die langjährigen Folgender Zivilisationskrankheiten Diabetesmellitus (35 Prozent) und Bluthoch­druck (23 Prozent) zurückzuführen.Weitere häufige Ursachen für einendauerhaften Funktionsverlust sind ent­zündliche und infektiöse Erkrankun­gen, angeborene Organdefekte oderStörungen im Bereich der ableitendenHarnwege. Der Patient braucht lebens­lang eine Nierenersatztherapie.

Kommt es innerhalb von Stundenbis Tagen plötzlich zu einer deutlichenNierenfunktionsverschlechterung (mitAbnahme der Filtrationsleistung ummindestens 25 Prozent), spricht manvon akutem Nierenversagen. Dies kannsowohl bei bislang uneingeschränkterNierenfunktion als auch bei vorbeste­hender chronischer Nierenerkrankungauftreten. Je nach Ausmaß der Organ­schädigung ist eine vorübergehendeoder auch dauerhafte Nierenersatz­therapie mittels Dialyse erforderlich.

Nach dem Ort der Schädigung wirdeine prärenale, intrarenale oder post­renale Genese des akuten Nieren­versagens unterschieden. HäufigsteUrsachen sind eine Verminderung deszirkulierenden Blutvolumens, medika­mentös­toxische Schäden oder einemechanische Behinderung des Harn­abflusses.

Wie funktioniert dieBlutwäsche?Wenn die Nieren ihre physiologischeFunktion der Elimination von Abbau­produkten und Fremdstoffen aus demBlut nicht mehr erfüllen können, muss

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dieser Vorgang maschinell simuliertwerden.

In der Vergangenheit war die Effek-tivität diverser Dialyseverfahren be-grenzt. Dagegen erlauben moderneTechniken (»High-Flux-Techniken«)mittlerweile eine stabil hohe Elimina-tionsrate endogener Abbauprodukte.Um die dafür erforderliche hohe Blut-flussrate zu gewährleisten, ist entwe-der ein am Unterarm operativ angeleg-ter Gefäßkurzschluss zwischen Arterieund Vene (Shunt) oder ein speziellerzentraler Venenkatheter erforderlich.

Über eine Punktion des Shunts oderdes Katheterlumens wird der Patientan einen extrakorporalen Kreislauf an-geschlossen. Hier wird das Blut übereine Pumpe in einen Dialysefilter gelei-tet, in dem Hohlfasern Löcher definier-ter Porengröße bilden. Alle molekula-ren Blutbestandteile, die kleiner sindals die Poren, können prinzipiell überden Filter eliminiert werden. ZelluläreBlutbestandteile und Proteine wie Al-bumin werden nicht filtriert, währendkleinere Abbauprodukte wie Kreatinin,Harnstoff oder Elektrolyte die Mem-bran des Filters frei passieren.

Allen Verfahren ist gemeinsam, dassdas Blut im externen Kreislauf nichtkoagulieren darf. Dazu werden beiambulanten Verfahren in der RegelHeparine systemisch verabreicht.Neuerdings werden diese abgelöst vonCitratlösungen, die nur regional imextrakorporalen Kreislauf angewendetwerden. Citrat bindet das im Blutenthaltene Calcium, das als zentralerFaktor zur Blutgerinnung notwendigist. Vor dem Rückfluss des Bluts in denPatienten wird Calcium in physiolo-gischer Menge substituiert.

Ambulante VerfahrenDas in der Nierenersatztherapie ver-breitetste Verfahren ist die intermit-tierende Hämodialyse. Dazu werdendie Patienten in der Regel dreimalwöchentlich in ambulanten Dialyse-Einrichtungen vier bis fünf Stundenbehandelt. Der Stofftransport beruhtin erster Linie auf der Diffusion aneiner semipermeablen Filtermembran(Grafik 1). Er folgt dem Konzentra-tionsgradienten zwischen Blut undDialyseflüssigkeit, die eine definierteZusammensetzung an Blutsalzen undweiteren Substanzen, zum BeispielGlucose, aufweist.

Insbesondere niedermolekulareSubstanzen können so effektiv elimi-niert werden. Sie befinden sich am

In Deutschlandsind etwa80 000 Menschenabhängig vonder Dialyse.

Foto: BVMed

Dialyse-lösungZufluss(frisch)

DialysatAbfluss(verbraucht)

Blutpumpe

Dialysator (Filter)

Dialysatpumpe

gereinigtesBlut

entnommenesBlut

Querschnitt durchden Dialysefilter

Längsschnitt durch eine Hohlfasermembran

Arzneistoffmoleküle,teilweise an Erythrozytengebunden

Arzneistoffmoleküle,hoch proteingebunden

Arzneistoffmoleküle,nicht proteingebunden

Erythrozyten

Hohlfasern(bis zu 20000je Dialysefilter)

Plasmaproteine

Schema einesDialysegerätes

Patient

Querschnittdurch eineHohlfaser

BlutFließrichtung

DialysatFließrichtung

Grafik 1: Intermittierende Hämodialyse: Der Stofftransport erfolgt durch Diffusion an einersemipermeablen Membran. Grafik Stephan Spitzer

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Ende der Behandlung im sogenanntenDialysat, der Dialyselösung nach demFilter, die verworfen wird. Die Blut- undDialysatflussraten sind – verglichen mitden kontinuierlichen Verfahren – ext-rem hoch, sodass diese Art der Nieren-ersatztherapie nur für kreislaufstabilePatienten geeignet ist.

In Deutschland kommt sehr seltendie Peritonealdialyse zum Einsatz. Hier-bei erfolgt die Blutwäsche ohne ma-schinelle Unterstützung am Bauchfelldes Patienten als semipermeablerMembran. Über einen speziellen Dialy-sekatheter werden größere MengenFlüssigkeit in den Peritonealraum in-fundiert und nach einigen Stundenwieder abgelassen. Ein großer Vorteildieser Form der Dialyse ist die Unab-hängigkeit von einer Dialyse-Einrich-tung, da die Patienten die Peritoneal-dialyse selbst zu Hause ausführen. Dieserfordert auf der anderen Seite ein ho-hes Maß an Eigenverantwortlichkeitund Verständnis im Umgang mit der

Erkrankung. Diese Voraussetzungensind bei älteren multimorbiden Patien-ten häufig nicht gegeben.

Stationäre VerfahrenIm stationären Sektor wird häufig einekontinuierliche Nierenersatztherapieangewendet. Aufgrund ihres mehrtägi-gen dauerhaften Einsatzes werden nie-renpflichtige Kumulate auch bei niedri-gen Flussraten effektiv eliminiert. DieseMethode wird zum Beispiel bei kreis-laufinstabilen septischen Patienten imakuten Nierenversagen angewendet.

Zwei Techniken kommen hier zumEinsatz: die Hämodialyse und die Hä-mofiltration. Im Gegensatz zur be-schriebenen Hämodialyse erfolgt beider Hämofiltration der Stofftransporthauptsächlich mittels Konvektion (Gra-fik 2). Dem Blut des Patienten werdendurch Druck am Filter große Mengenan Flüssigkeit entzogen; die Elimina-tion gelöster, vor allem größerer Mole-küle erfolgt durch Mitnahme mit dem

Wasserstrom. Eine Dialyseflüssigkeitist nicht erforderlich. Der Patient erhältzum Ausgleich des entstehenden Flüs-sigkeitsdefizits kontinuierlich eine Sub-stitutionslösung, in der Regel direktnach der Filtereinheit in den Dialyse-kreislauf.

Werden die Prinzipien des diffusi-ven und konvektiven Stofftransportskombiniert, spricht man von Hämodia-filtration. Auf diesem Weg kann die Ge-samtmenge der entfernten Giftstoffe– und damit die Effektivität der Blut-wäsche – gesteigert werden.

Als neuestes Verfahren hat sich imstationären Umfeld die slow low effici-ent daily dialysis (SLEDD) etabliert. Sieliegt mit einer Dialysedauer von zehnbis zwölf Stunden zwischen der klassi-schen intermittierenden und der kon-tinuierlichen Nierenersatztherapie. Sieerlaubt eine intermittierende Dialyseauch bei hämodynamisch nicht stabi-len Patienten.

Entwickelt sich aus dem akuten Nie-renversagen eine chronisch dialyse-pflichtige Niereninsuffizienz, wird vonder kontinuierlichen Nierenersatzthe-rapie stationär auf die intermittierendeDialyse gewechselt. Diese kann beiBedarf ambulant und dauerhaftweitergeführt werden.

Niereninsuffizienz hatviele FolgenMit fortschreitender Organschädigungwird die Elimination von Flüssigkeitund harnpflichtigen Substanzen zu-nehmend insuffizient – aber die Nierebüßt nicht nur ihre exkretorische Funk-tion ein. Zusammen mit dem sukzessi-ven Ausfall der systemregulierendenund hormonsekretorischen Funktionenkann es im Verlauf einer chronischenNierenerkrankung zu zahlreichen rena-len und extrarenalen Komplikationenkommen. Diese müssen auch in derArzneimitteltherapie berücksichtigtwerden.

Wie die Dauermedikation eines dialy-sepflichtigen Patienten aussehen kann,wird am Beispiel des 69-jährigen HerrnJ. H. erklärt. Der Mann ist seit neunMonaten dialysepflichtig aufgrund einerhypertensiven Nephropathie.

HypertonieEin erhöhter Blutdruck ist häufig nichtnur Ursache für die Entwicklung einerNiereninsuffizienz, sondern aufgrundder gestörten Blutdruckregulation beimehr als 90 Prozent der Patienten zuBeginn der Dialysepflicht eine behand-

FiltratAbfluss(verbraucht)

Blutpumpe

Dialysator (Filter)

gereinigtesBlut

Substitutionslösungim Postdilutionsmodus

Substitutionslösungim Prädilutionsmodus

(alternativ)

entnommenesBlut

Schema einesFiltrationsgerätes

Grafik 2: Kontinuierliche Nierenersatztherapie mittels Hämofiltration: Der Stofftransporterfolgt vorwiegend mittels Konvektion. Grafik Stephan Spitzer

Hypertonie isthäufig die Ursache,aber auch eineFolge deschronischenNierenversagens.Eine regelmäßigeBlutdruckkontrollegehört zumTherapie-management.

Foto: AOK

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lungsbedürftige Begleit- beziehungs-weise Folgeerkrankung. Die arterielleHypertonie ist eine der wesentlichenUrsachen für die hohe kardiovaskuläreMortalität bei Dialysepatienten (1).

Neben einer gesteigerten Natrium-und Wasserretention spielt für die Ent-stehung eine pathologische Übersti-mulation vasopressorischer Systeme,zum Beispiel des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS), eine Rolle.

Eine ausreichend hoch dosierte undgegebenenfalls kombinierte Diuretika-Therapie soll eine größtmögliche Urin-ausscheidung erhalten. Zudem ist einekonsequente medikamentöse Blocka-de des RAAS durch ACE-Hemmer oderAT1-Rezeptorantagonisten wichtig zuroptimalen Blutdruckeinstellung.

Daneben sind – vor allem bei Patien-ten ohne Urinproduktion – der maschi-nelle Volumenentzug während derDialyse sowie eine konsequente Ein-schränkung der täglichen Salz- undFlüssigkeitsaufnahme von Bedeutung.Potenziell behandlungsassoziierte Blut-druckschwankungen, bedingt durch dieKreislaufbelastung an der Dialyse, sindbei der Dosierung und Dosisverteilungder Medikamente zu beachten.

Herr J. H. kann mit einer Vierfach-therapie eine ausreichende Blutdruck-kontrolle mit Restharnbildung errei-chen (Tabelle).

Metabolische Azidose undHyperkaliämieMit zunehmendem Funktionsverlustder Niere geht die Kapazität zur Säure-

elimination und Rückresorption vonBicarbonat verloren. Es entsteht einechronische metabolische Azidose, diewiederum zahlreiche Prozesse wie denKnochen- und den Zuckerstoffwechselsowie die Blutbildung ungünstig beein-flusst. Ferner kann die saure Stoff-wechsellage eine bestehende Hyper-kaliämie-Neigung noch verstärken unddas ohnehin bestehende Risiko vonHerzrhythmusstörungen durch die ver-minderte Ausscheidung von Kaliumsteigern.

Neben einem Ausgleich des Säure-Basen- und Elektrolythaushalts durchentsprechende Dialyselösungen mithohem Bicarbonat- und niedrigem Kali-umgehalt brauchen manche Patienten

zusätzlich eine Substitution von ora-lem Bicarbonat. Zur Vermeidung einerHyperkaliämie ist eine kaliumsparendeDiät beziehungsweise der Einsatz vonKationenaustauschern zur Reduktionder intestinalen Kaliumresorption er-forderlich. Eine medikamentöse RAAS-Blockade muss gegebenenfalls dosis-reduziert oder abgesetzt werden.

Bei Patient J. H. ist eine Korrekturder Azidose nicht notwendig.

Mineral- undKnochenstoffwechselPhosphatretention und eine reduzierterenale Calcitriol-Synthese aus den inak-tiven Vorstufen mit erniedrigten Calci-umspiegeln lösen eine übermäßige

Arzneistoff Einzeldosis Dosierungsschema Besonderheiten

Hypertonie

Furosemid 500 mg 1/2 – 1/2 – 0

Ramipril 5 mg 1 – 0 – 1/2 an Dialysetagen 1 – 0–0

Metoprolol 47,5 mg 1 – 0 – 1

Amlodipin 5 mg 1 – 0 – 0 nur an Nicht-Dialysetagen

Mineral- und Knochenstoffwechsel

Calcitriol 0,25 µg 1 – 0 – 0 nur an Dialysetagen

Sevelamercarbonat 800 mg 2 Tabletten zur Hauptmahlzeit

Calciumacetat 450 mg 1 – 2 – 1

Renale Anämie

Eisen(III)-gluconat 40 mg 1x pro Woche (z.B. montags) intravenös

Erythropoietin 3000 I. E. 2x pro Woche (z.B. montagsund freitags)

intravenös oder subkutan

Tabelle: Medikation des dialysepflichtigen Patienten J. H. aus dem Fallbeispiel

Extrarenale Komplikation: Der gestörte Knochenstoffwechsel erhöht die Bruchgefahr.Foto: Fotolia/Mat Hayward

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Bildung von Parathormon in derNebenschilddrüse aus. In Summe füh­ren diese Prozesse zur renalen Osteo­dystrophie, einer sowohl quantitativenals auch qualitativen Schädigung derKnochensubstanz. Neben Mineralisa­tionsstörungen mit erhöhter Fraktur­gefahr resultieren aus den gestörtenRegelkreisen auch extraossäre Ver­kalkungen mit Gefahr der überschie­ßenden Bildung von Kalk in denBlutgefäßen (2).

Die Pfeiler einer Therapie sind einephosphatarme Ernährung und Einnah­me von Phosphatbindern sowie die Sub­stitution von aktiviertem Vitamin Dunter engmaschiger Überwachung derSerumspiegel von Calcium, Phosphatund Parathormon. Je nach Konstellationder Elektrolytwerte stehen als Phosphat­binder calciumhaltige (Beispiel Calcium­acetat) oder calciumfreie (Beispiel Seve­lamer) Präparate zur Verfügung.

Häufig muss der Patient mehrerePräparate einnehmen, um Phosphat­werte im Zielbereich zu erreichen. Gas­trointestinale Nebenwirkungen tragen

jedoch maßgeblich zur Noncompliancebei. Da zudem viele Patienten die phos­phatarme Diät kaum einhalten, ist dieKontrolle der Hyperphosphatämiehäufig schwierig.

Neben dem Ausgleich einer Hypo­calciämie und einer Verbesserung derKnochenmineralisation zielt die Substi­tution mit aktiviertem Vitamin D aufeine Antagonisierung der überschie­ßenden Parathormon­Produktion ab.Zur Vermeidung extraossärer Verkal­kungen muss eine Erhöhung der Se­rumcalciumspiegel vermieden und dieDosis entsprechend der Laborwerteangepasst werden.

Lassen sich die Parathormonspiegelmit diesen Maßnahmen nicht senkenund kommt eine operative Entfernungder Nebenschilddrüse nicht infrage,stehen als medikamentöse AlternativeCalcimimetika wie Cinacalcet zur Ver­fügung.

Herr J. H. braucht eine Kombinationaus calciumfreien und calciumhaltigenPhosphatbindern, zusätzlich zu akti­viertem Vitamin D (Tabelle).

Renale AnämieEine gestörte Blutbildung durch einenMangel an Erythropoietin, Störungendes Eisenstoffwechsels sowie eine ver­kürzte Lebenszeit der roten Blutkörper­chen und chronische Blutverluste ver­ursachen häufig eine Blutarmut beiDialysepatienten. Dies beeinträchtigtdie körperliche und kognitive Leis­tungsfähigkeit und verschlechtert diekardiale Funktion.

Um dies zu vermeiden, kommen zurAnhebung der Hämoglobinwerte ne­ben einer in der Regel intravenösenEisensubstitution auch Erythropoese­stimulierende Agenzien (ESA) zum Ein­satz. Der Zielwertbereich liegt niedri­ger als bei nierengesunden Patienten.Die Hb­Werte darüber hinaus anzuhe­ben, erhöht unter anderem dasRisiko für kardiovaskuläre Komplikatio­nen wie Schlaganfälle und thrombo­embolische Ereignisse sowie Blut­druckentgleisungen (3).

Typischerweise müssen Eisen undErythropoietin nicht täglich substitu­iert werden. Eine ein­ bis dreimal wö­chentliche Gabe reicht in der Regel aus,um den gewünschten Effekt zu erzie­len. Auch Herr J. H. bekommt eine The­rapie gegen die Anämie (Tabelle).

Arzneistoffdosierung beiDialysepatientenNeben der Elimination von Abbaupro­dukten können moderne Dialysema­schinen durch die hohen Flussratenund die reproduzierbare Porengrößeder Filter auch chemisch definierteArzneistoffe effektiv aus dem Blut ent­fernen. Bei Patienten mit Nierenersatz­therapie lohnt sich immer ein kritischerBlick auf die Medikation.

Grundsätzlich gilt: Substanzen, de­ren klinischer Effekt gemessen werdenkann, zum Beispiel Antihypertonika,können in sehr niedrigen Dosen gestar­tet und bis zum gewünschten Effektgesteigert werden. Wirkstoffe, die un­abhängig von der Nierenfunktion aus­geschieden werden, sind gegenübernierenpflichtigen Substanzen mög­lichst zu bevorzugen. Jedoch lässt sichdie Nierenpflichtigkeit eines Wirkstoffsnicht automatisch auf seine Dialysier­barkeit übertragen.

Außerdem ist zu beachten, dasschronisch kranke Dialysepatienten mitihren meist langen medizinischen Vor­geschichten häufig sensibler gegen­über Neben­ und Wechselwirkungenreagieren, vor allem mit zunehmen­dem Lebensalter. Diese pharmako­

Dialysepatientenbrauchen vieleMedikamente.

Foto: Fotolia/

Gundolf Renze

Verträgt sich das neue Medikament mit der Dialyse? Bei nierenkranken Patienten solltenApotheker die gesamte Medikation im Blick behalten. Foto: Fotolia/Ivan Gligorijevic

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dynamische Sensibilität muss berück-sichtigt werden.

Für die Frage, wie stark ein Arznei-stoff über eine Nierenersatztherapieeliminiert wird, ist die Kenntnis seinerProteinbindung von zentraler Bedeu-tung. Aufgrund der Filtereigenschaftenals semipermeable Membran werdenWirkstoffe, die an große Blutbestand-teile wie Proteine gebunden sind, nichtüber die Membran eliminiert. Insge-samt werden Substanzen mit geringerProteinbindung, bei hoher Dosis undgeringem Verteilungsvolumen mit ho-her Wahrscheinlichkeit stark aus demBlut eliminiert (4). Je nach Indikationkann dies bis zum Wirkverlust nacheiner Dialysesitzung führen, zum Bei-spiel bei Antiepileptika.

Umgekehrt ist die Elimination durchein Dialysegerät bei Wirkstoffen mitgroßem Verteilungsvolumen, geringenDosen und hoher Proteinbindung inder Regel klein. Im besten Fall hat dannweder die Einschränkung der Nieren-funktion noch die Dialyse einen ent-scheidenden Einfluss auf die pharma-kodynamische Effektivität der Thera-pie (5).

Beginn der Dialyse: Dauer-medikation anpassenÜberlegungen zur Anpassung der Arz-neimitteltherapie bei Dialysepatientensollen am Beispiel der 76-jährigen FrauP. P. erläutert werden.

Frau P. P. leidet seit vielen Jahrenunter chronischer Niereninsuffizienz,arterieller Hypertonie, Typ-2-Diabetesund seit einiger Zeit zusätzlich untereinem neuropathischen Schmerzsyn-drom in den Beinen. Bei steigendenNierenwerten und einer drohendenEntgleisung des Kaliumspiegels wirdihr ein Dialyse-Shunt gelegt und mitder ambulanten Dialyse dreimal wö-chentlich begonnen.

Vor Dialysebeginn nahm Frau P. P.dauerhaft folgende Wirkstoffe ein:Bisoprolol, Hydrochlorothiazid, Gaba-pentin, Metformin und Pravastatin.Der Arzt möchte die Dauermedikationfortsetzen. Zunächst erfolgt eine Inter-pretation der Wirkstoffelimination beiDialyse.• Bisoprolol wird nur in geringem Aus-

maß über die Dialyse eliminiert undkann in der Dauermedikation mitgewohnter Dosierung fortgeführtwerden.

• Hydrochlorothiazid muss in die lumi-nalen Zellen der distalen Nierentubuligelangen, um seine Wirkung am

DIE AUTORINNENChristine Przybylokstudierte Humanmedi-zin an der UniversitätUlm und ist seit 2010 alsAssistenzärztin in denMedizinischen Klinikenam Klinikum Heidenheim tätig. DieFachweiterbildung Nephrologie erfolg-te am Katharinenhospital Stuttgart undam KfH Dillingen. Sie ist als Fachärztinfür Innere Medizin und Nephrologieschwerpunktmäßig im Bereich ambu-lante und stationäre Hämodialyse tätig.

Anka Röhr studierte Pharmazie in Würz-burg und ist seit Juni 2011 als Apothekerinim Klinikum Heidenheim tätig. Sie hatdie Weiterbildung zur Fachapothekerinfür Klinische Pharmazie, Bereichsweiter-bildung Infektiologie, absolviert und

wurde mit einer Arbeit zurDosierung von Antiinfek-tiva bei Patienten mitNierenersatzverfahrenpromoviert. Dr. Röhr istDelegierte der Landesapo-thekerkammer Baden-Württemberg.Ihre Arbeitsschwerpunkte in der Klinik-apotheke sind Therapeutisches DrugMonitoring und Arzneimittelinformation.

Christine Przybylok,Medizinische Klinik II, Kliniken LandkreisHeidenheim gGmbH

Dr. Anka C. Röhr,Apotheke der Kliniken LandkreisHeidenheim gGmbH, Schloßhau-straße 100, 89522 Heidenheim, E-Mail:[email protected]

Natrium-Chlorid-Cotransporter aus-üben zu können. Bei einer stark einge-schränkten Nierenfunktion mit Krea-tinin-Clearance unter 30 ml/min istdies nicht mehr möglich. Zum einenunterbleibt damit die blutdrucksen-kende diuretische Wirkung, zum an-deren kumuliert der Wirkstoff im sys-temischen Kreislauf und kann dortvermehrt zu metabolischen Neben-wirkungen beitragen. Die Substanzist damit weder für niereninsuffizien-te Menschen noch für Dialysepatien-ten geeignet. Schleifendiurektikaunterliegen dieser Limitation nicht,sodass sie eine gute Alternative zumHydrochlorothiazid darstellen. Durchden High Ceiling Effekt lässt sichzudem teilweise eine gewisse Rest-diurese mit ihnen erhalten (wie imvorigen Abschnitt beschrieben).

• Metformin ist wegen des gesteiger-ten Risikos einer Lactatazidose kon-traindiziert bei Patienten unter Dialy-se. Hier ist eine Umstellung auf eineinsulinbasierte Therapie zu erwägen.

• Pravastatin bleibt relativ unbeein-flusst von einer Einschränkung derNierenfunktion. Ebenso wird die Sub-stanz nur moderat dialysiert. Anhandeines Monitorings der Lipidwertekann der Arzt ohne Weiteres auf einmögliches verändertes Ansprechenreagieren.

• Ganz anders bei Gabapentin: Die Sub-stanz wird fast ausschließlich über dieNieren eliminiert. Bei Nierenfunk-tionseinschränkung ist daher eine

stringente Dosisreduktion erforder-lich. Zusätzlich ist durch das kleineVerteilungsvolumen und die geringeProteinbindung die Ausscheidung beiDialyse extrem hoch. Die Eliminationaus dem Körper findet fast aus-schließlich durch die Dialyse statt.Somit muss der Wirkstoff an Dialyse-tagen zwingend nach der Dialyseeingenommen werden.

Bedeutend bei Dialysepatienten isteine regelmäßige Reevaluation dermedikamentösen Therapie anhand derklinischen und labordiagnostischenParameter und anhand des subjektivenWohlbefindens des Patienten. /

Literatur

1) Becker, G. J., et al., KDIGO Clinical PracticeGuideline for the Management of BloodPressure in Chronic Kidney Disease. KidneyInternational Supplements 2 (2012) 363–369.

2) Ketteler, M., et al., KDIGO-Leitlinien zu denStörungen des Mineral- und Knochenhaus-halts bei chronischer Nierenerkrankung.Nephrologe 4 (2009) 433–436.

3) McMurray, J. J. V., et al., KDIGO Clinical Practi-ce Guideline for Anemia in Chronic KidneyDisease. Kidney International Supplements2 (2012) 279-335.

4) Czock, D., et al., Dosierung von Antiinfektivabei Nierenversagen und Nierenersatzthera-pie in der Intensivmedizin. Empfehlungender Sektionen Niere der DGIIN, ÖGIAIN undDIVI. Med Klin Intensivmed Notfmed 113(2018) 384–392.

5) Smyth, B., Jones, C, Saunders, J., Prescribingfor patients on dialysis. Aust Prescr. 39 (2016)21–24.

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Zusammensetzungpasst in dieser SaisonDaniela Hüttemann / Die Grippesaison hat noch nicht richtigbegonnen. In Deutschland treten bislang nur vereinzelt Grippe­erkrankungen auf. Erste Untersuchungen legen nahe, dass diediesjährige Impfstoffzusammensetzung gut zu den zirkulierendenViren passt. Allerdings gibt es kaum noch Vakzine.

Seit Anfang Oktober erfasst die Arbeits-gemeinschaft (AG) Influenza am Ro-bert-Koch-Institut (RKI) wieder dasGrippegeschehen in Deutschland. DemRKI wurden während der drei Wochenvom 15. Dezember bis einschließlich4. Januar 1205 labordiagnostisch bestä-tigte Influenza-Fälle übermittelt. Insge-samt wurden in dieser Saison bislang2433 Meldungen gezählt, darunter auchsechs Influenza-bedingte Todesfälle.Eine erhöhte Grippeaktivität ist derzeithierzulande nur vereinzelt zu beobach-ten, beispielsweise in der Region umUlm, im südlichen Brandenburg, nörd-lich von Berlin und rund um Wismar.Bislang kursieren vor allem Respiratori-sche Synzytial- und Rhinoviren.

Obwohl die Zahl der Meldungen vonlaborbestätigten Influenzafällen in denvergangenen Wochen zugenommenhat, habe die Grippewelle nach Defini-tion der AG Influenza noch nicht begon-nen. Zum Vergleich: In der Vorsaisonhatte es bis zum 5. Januar 2018 bereits3736 Influenzafälle gegeben, die Grip-pewelle begann offiziell in der letzten

Kalenderwoche des Jahres 2017. Die vo-rige Grippesaison gilt als die stärksteseit Beginn der genauen Erfassung 2001mit insgesamt rund 334 000 labor-diagnostisch bestätigten Fällen, schät-zungsweise 9 Millionen grippebeding-ten Arztbesuchen, 5,3 Millionen Influen-za-assoziierten Arbeitsunfähigkeitenund rund 60 000 labordiagnostischbestätigten Krankenhauseinweisun-gen. Die offizielle Schätzung zu denTodesfällen ist noch nicht verfügbar;vermutlich waren es mehr als 20 000.

Jede Saison ist andersStarke und schwache Grippewellenwechseln sich häufig ab, was allerdingskeine Garantie ist, dass diese Saisonmilder verlaufen wird als die vergange-ne. Bislang scheint die Zusammenset-zung der empfohlenen tetravalentenImpfung gut zu den identifiziertenViren des Typs A zu passen. Dem Wo-chenbericht der AG Influenza zufolgewurden alle isolierten A(H1N1)pdm09-Viren vom gegen den Impfstammgerichteten Referenzserum im Häm-

agglutinationshemmtest sehr gut er-kannt. Auch die A(H3N2)-Viren reagier-ten mit dem entsprechendenImpfstamm-Referenzserum.

Durch die starke Epidemie im letztenJahr und die Änderung des Impfstoffsvon tri- auf tetravalent war die Nachfra-ge nach der Grippeschutzimpfung indieser Saison deutlich höher als in denVorjahren. Für diese Saison hatte dasPaul-Ehrlich-Institut (PEI) 15,7 MillionenImpfstoffdosen freigegeben, rund eineMillion mehr, als in der Vorsaison ver-impft worden war. Doch bereits seitNovember gibt es bundesweit Impf-stoffmangel, der derzeit mit Importenaus dem EU-Ausland nur minimal beho-ben werden kann. »Wir hatten eineenorm erhöhte Nachfrage«, sagt zumBeispiel der Sprecher des BayerischenApothekerverbands, Thomas Metz.Trotz der Importe aus dem Ausland istderzeit kein Impfstoff mehr zu haben.In den vergangenen Jahren wurde aberauch mehr Impfstoff produziert:2017/2018 gab das PEI 17,9 MillionenDosen frei, 2016/2017 etwa 16 Millionenund 2015/2016 fast 20,9 Millionen.

Die Herstellung der Impfstoffe wirdMonate vor der Auslieferung geplant.Sobald die WHO die Zusammenset-zung für die Nordhalbkugel im Februarempfiehlt, läuft die Produktion an. DieApotheken müssen in der Regel bisMärz bestellen. Die Herstellung derAntigene mit einer Viruszucht in Hüh-nereiern dauert einige Monate. Im No-vember produzieren die Pharmafirmendann bereits den Impfstoff für die Süd-halbkugel, daher ist eine Nachproduk-tion kaum möglich.

Schneller herstellen lässt sichGrippeimpfstoff, wenn die benötigtenAntigene in Zellkultur produziert wer-den. Ein solcher zellbasierter Impfstoffist derzeit in Deutschland nicht aufdem Markt. Ende 2018 erhielt aber dasPharmaunternehmen Seqirus eine EU-Zulassung für den zellbasierten saiso-nalen Grippeimpfstoff Flucelvax® Tet-ra. Der Impfstoff soll in der kommen-den Grippesaison 2019/2020 zur Verfü-gung stehen. /

In der nächstenGrippesaison soll eintetravalenter zellbasierterImpfstoff auf den deutschenMarkt kommen.

Foto: Shutterstock/Numstocker

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Winziger Schwamm saugt Zytostatikaaus dem BlutAnnette Mende / Zytostatika schädi-gen alle Zellen, die sich schnell teilen –Krebszellen, aber auch gesundeKörperzellen. Um Letztere bei einerChemotherapie zu schützen, habenUS-Forscher jetzt einen winzigen Filterfür Zytostatika entwickelt. Er sollvorübergehend in einem Blutgefäßplatziert werden und dort überschüssi-ge Zytostatika aufsaugen.

Das Medizinprodukt, das die For-scher um Dr. Hee Jeung Oh von der Uni-versity of California im Fachjournal»ACS Central Science« präsentieren,stammt aus dem 3-D-Drucker und ent-hält ein nanostrukturiertes, schwamm-artiges Polymer, das spezifisch dasZytostatikum Doxorubicin absorbiert.Blutzellen können den Filter problemlospassieren. Bei Schweinen extrahierteder Filter nach einer Injektion von Doxo-rubicin 64 Prozent des Zytostatikums

aus dem Blut. Schädliche Nebeneffektewie Gerinnselbildung oder Gefäßwand-verletzung wurden nicht beobachtet(DOI: 10.1021/acscentsci.8b00700).

Der Filter könnte über einen Katheterin einem geeigneten Blutgefäß platziertund für die Dauer der Zytostatika-Infu-

sion dort belassen werden, so die For-scher. Auf diese Weise könnte die Zyto-statika-Dosis, der die Tumorzellen aus-gesetzt sind, beibehalten oder gestei-gert werden, während die Belastung fürden Rest des Körpers gesenkt würde. DieForscher wollen das Prinzip bei Leber-krebs weiterentwickeln, halten es aberprinzipiell für geeignet zur Therapie allersolider Tumoren, wenn sie auf ein be-stimmtes Organ beschränkt sind. /

Mit dem winzigen Zytostatika-Filter wollen US-Forscher dazu beitragen, die Nebenwirkungs-raten der Chemotherapie zu senken. Foto: ACS Central Science/Hee Jeung Oh

Daniela Hüttemann / Bislang gibt eskeine Impfung gegen das weit verbrei-tete Epstein-Barr-Virus (EBV). Forscherdes Deutschen Krebsforschungszen-trums (DKFZ) haben einen neuen An-satz entwickelt.

Schätzungen zufolge sind mehr als90 Prozent der Weltbevölkerung mitEBV infiziert. Als Erstinfektion kann derErreger aus der Familie der Herpesvireneine infektiöse Mononukleose, dasPfeiffersche Drüsenfieber, auslösen.Nach der Infektion verbleibt es lebens-lang im Körper. Das zentrale Problembei der Entwicklung einer Schutzimp-fung liege darin, dass das Virus in sei-nem Lebenszyklus verschiedene Pha-sen durchläuft, heißt es in einer Mittei-lung des DKFZ: Nach der Infektion be-findet es sich meist in einer latentenPhase, in der es scheinbar ruhig in infi-zierten B-Zellen des Immunsystemsverbleibt. Wird das Virus reaktiviert,entstehen in der lytischen Phase neuePartikel, die freigesetzt werden.

»In beiden Phasen stellt EBV ein sehrunterschiedliches Repertoire an Prote-inen her«, erklären die DKFZ-Forscherum Dr. Henri-Jacques Delecluse. Bishe-

rige Impfstoffkandidaten konnten kei-nen genügenden Schutz hervorrufen,da sie nur Proteine aus einer der beidenPhasen enthielten. Gemeinsam mitWissenschaftlern des Helmholtz-Zen-trums München und der UniversitätHeidelberg entwickelte das Team umDelecluse nun eine neue Strategie füreinen Impfstoff, wie es im Fachjournal»PLOS Pathogens« berichtet (DOI:10.1371/journal.ppat.1007464).

»Wir wissen, dass sich die Immun-antwort bei gesunden EBV-infizierten

Menschen gegen Proteine beiderLebensphasen richtet«, sagt Delecluse.»Daher lag es für uns auf der Hand, ei-nen Impfstoff zu entwickeln, der diesberücksichtigt und ebenfalls Antigeneaus beiden Phasen enthält.« Wie ande-re Gruppen zuvor benutzte sein Teamvirusähnliche Partikel, Virushüllenohne Erbmaterial des Erregers, gegendie der Körper eine Immunantwort auf-bauen kann. Neu sei nun, dass dasDKFZ-Team diese Partikel zusätzlichmit Proteinen der latenten Phase aus-gestattet hat.

Die Forscher testeten den experi-mentellen Impfstoff an Mäusen, derenKnochenmark durch humanes Kno-chenmark ersetzt worden war. Dadurchwaren die Tiere mit einem weitgehendmenschlichen Immunsystem ausge-stattet. Nach der Injektion entwickel-ten die Mäuse eine spezifische Immun-antwort, an der auch T-Zellen beteiligtwaren, und waren vor einer Infektionmit EBV geschützt.

»Wir haben bewiesen, dass dieserAnsatz für die Entwicklung eines Impf-stoffs gegen EBV prinzipiell funktio-niert«, sagt Delecluse. AIs nächstesgehe es darum, diesen Prototyp einerEBV-Schutzimpfung weiterzuentwi-ckeln und Schritt für Schritt für den Ein-satz bei Menschen zu prüfen. /

Epstein-Barr-Virus: Neuer Ansatz beiImpfstoffentwicklung

Das Epstein-Barr-Virus gehört zu den Herpes-viren. Foto: Shutterstock/Kateryna Kon

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In den Tagen und Wochen nach derIntervention ging die Häufigkeit desFlashbacks, auf den der Patient fokus-siert hatte, deutlich zurück. Nichtfokussierte Flashbackinhalte suchtendie Patienten dagegen mit relativ kon-stanter Häufigkeit heim. Über die Wo-chen wurden so nacheinander ver-schiedene Flashbacks abgearbeitet,die anschließend jeweils seltener auf-traten. Insgesamt ging die Anzahl derFlashbacks von fokussierten Situatio-nen um durchschnittlich 64 Prozentzurück, die von nicht fokussierten Si-tuationen nur um 11 Prozent. Von den20 Teilnehmern sprachen 16 auf dieIntervention an, berichten die Auto-ren im »Journal of Consulting and Cli-nical Psychology« (DOI: 10.1037/ccp0000340).

Der Erfolg der Methode beruht denForschern zufolge auf den Prinzipiender Interferenz und der Gedächtnis-

konsolidierung. Wenn Patientensich eine belastende Erinne-rung detailliert ins Ge-dächtnis rufen, aktiviertdas vermutlich Gebietefür räumlich-bildliche

Verarbeitung im Gehirn. VergleichbareAreale könnten auch für das Spielenvon Tetris bedeutsam sein. Beide Auf-gaben benötigen also vergleichbareund begrenzte Ressourcen, es kommtzur Interferenz.

Immer wenn ein Patient den Inhalteines Flashbacks bewusst wiedererin-nert, wird die damit verbundene Ge-dächtnisspur kurzzeitig labil. Wenn indieser Zeit eine Interferenz stattfindet,könnte die Gedächtnisspur abge-schwächt wieder eingespeichert wer-den, also eine Gedächtniskonsolidie-rung stattfinden.

Kein Ersatz für die TherapieIn einer Pressemitteilung der Universi-tät betont Kessler die praktische Be-deutung des Ergebnisses. Man hoffe,eine Behandlung ableiten zu können,die Patienten auch allein durchführenkönnen, wenn kein Therapieplatz ver-fügbar ist. »In unserer Studie wurdedie Intervention zwar von einemTeammitglied begleitet, aber dieseshat keine aktive Rolle eingenommen.«Eine PTBS lasse sich mit den verfüg-baren Therapien gut behandeln, aller-dings gebe es viel mehr Patienten alsTherapieplätze.

Wichtig sei, dass die Intervention einekomplexe Traumatherapie nicht erset-zen kann, sondern lediglich ein zentralesSymptom, die Flashbacks, lindert. BevorTetrisspielen traumatisierten Menschen

offiziell empfohlen werdenkann, müssen allerdings erst

weitere Studien mitKontrollgruppen unddeutlich größerenPatientenzahlen die

Wirksamkeitbestätigen. /

C O M P U T E R S P I E L

Tetris zur Trauma-BewältigungVon Annette Mende / Tetris am Computer zu spielen, kannPatienten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung dabeihelfen, Erinnerungen an traumatische Erlebnisse zu verdrängen.Die PTBS wird damit zwar nicht grundsätzlich behandelt, dergezielte Einsatz des Computerspiel-Klassikers könnte aber dieWartezeit auf einen Psychotherapie-Platz überbrücken helfen.

Foto: Fotolia/altanaka

Ein wichtiges Symptom der posttrau-matischen Belastungsstörung (PTBS)sind unwillkürlich wiederkehrendebildliche Erinnerungen an die traumati-schen Erlebnisse, sogenannte Flash-backs. Vor wenigen Jahren konntenForscher aus Großbritannien undSchweden zeigen, dass sich solcheFlashbacks bei Unfallopfern abmildernlassen, wenn diese innerhalb von sechsStunden nach dem Unfall 20 Minutenlang Tetris spielen. Doch hilft das ge-zielte Zocken auch Patienten mit PTBS,deren Trauma schon Jahre zurückliegt?Dieser Frage ging jetzt ein Forscher-team um Professor Dr. Henrik Kesslervon der Ruhr-Universität Bochum nach.

An der Studie nahmen 20 Patiententeil, die zur Behandlung einer komplexenPTBS stationär in der Klinik waren. DieProbanden absolvierten dort die üblichenEinzel- und Gruppentherapien sowie einespezielle Intervention: Einmal pro Wocheschrieben sie eine ihrer belastendenErinnerungen auf ein Blatt Papier,das sie danach zerrissen, ohneüber den Inhalt zu sprechen.Anschließend spielten sie für25 Minuten Tetris.

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Annette Mende / Die Zusammenset-zung des Mikrobioms in Nase und Ra-chen entscheidet mit darüber, ob einMensch für eine Grippeinfektion anfäl-lig ist oder nicht. Eine praktische Bedeu-tung hat dieser Befund aus einer Beob-achtungsstudie in Nicaragua zunächstnicht. Prinzipiell könnte das Mikrobiomaber vielleicht als Schutzschild gegendie Grippe in Stellung gebracht werden.

Die Zellen der Atemwege sind bei ei-ner Grippeinfektion sowohl Eintritts-pforte als auch erster Vermehrungsortdes Erregers. Diese Zellen sind besiedeltvon einer komplexen bakteriellen Le-bensgemeinschaft, dem nasalen/oro-pharyngealen Mikrobiom. Durch eineRegulation der Immunantwort könntendie kommensalen Bakterien dazu bei-tragen, eine Infektion mit dem Influen-zavirus abzuwehren. Diese Überlegun-gen stellt eine Gruppe um Kyu Han Leevon der University of Michigan aktuellim Fachjournal »PLOS one« an (DOI:10.1371/journal.pone.0207898).

Die Wissenschaftler untersuchtendaher in einer Studie in 48 nicaraguani-schen Haushalten, ob eine bestimmteZusammensetzung des Mikrobioms dieWahrscheinlichkeit einer Influenzain-fektion hebt oder senkt. In den Haushal-ten, in denen jeweils eine Indexpersonan Grippe erkrankt war, kam es in derFolge zu 71 Ansteckungen. Die Forscheridentifizierten abhängig von bestimm-

Nasen-Rachen-Mikrobiom: BakteriellerSchutzschild gegen Grippe

ten dominierenden Bakterienarten fünfverschiedene Mikrobiom-Typen, von de-nen einer vor einer Infektion zu schüt-zen schien. Träger dieses Typs waren inder Hauptsache Erwachsene. Sie er-krankten trotz des häuslichen Kontaktsmit der Indexperson seltener selbst anGrippe als Träger der anderen Typen.

Frühere Studien hatten darauf hin-gedeutet, dass sich die bakterielleBesiedelung des Nasen-Rachenraumswährend einer Grippeerkrankung un-vorteilhaft verändert. So konnte ge-zeigt werden, dass häufige Erreger bak-terieller Lungen- oder Mittelohrentzün-dungen wie Streptococcus pneumoniaeund Staphylococcus aureus deutlich zu-nehmen – wahrscheinlich ein Grund für

die erhöhte Anfälligkeit für bakterielleSuperinfektionen von Influenzapatien-ten. Die Forscher erfassten in ihrer Stu-die daher auch, ob beziehungsweisewie sich das Mikrobiom der Studienteil-nehmer während des 13-tägigen Beob-achtungszeitraums veränderte. Siestellten große Veränderungen fest, al-lerdings nicht nur bei den Grippepatien-ten, sondern auch bei denjenigen, diegesund geblieben waren.

Zusammenfassend lässt sich alsosagen, dass das Mikrobiom in Nase undRachen einem steten Wandel unter-worfen ist, wobei eine bestimmte Zu-sammensetzung mit einer niedrigerenErkrankungswahrscheinlichkeit an In-fluenza assoziiert ist. Ob es tatsächlichdie Bakterien sind, die vor Grippe schüt-zen, und ob sie sich womöglich präven-tiv einsetzen lassen, muss in künftigenStudien untersucht werden. /

Bestimmte Mikro-biota in Nase undRachen scheinenvor Grippe zuschützen. Sie warenin der Studie beiKindern seltenerzu finden als beiErwachsenen.

Foto: Shutterstock/

ToskanaINC

Daniela Hüttemann / In nur zwei Län-dern weltweit sind im vergangenen Jahrnoch Poliomyelitis-Fälle aufgetreten:Afghanistan und Pakistan. Die Ausrot-tung des ausschließlich humanpathoge-nen Erregers liegt nun in greifbarerNähe. Vor 30 Jahren erlitten noch jedesJahr mehr als 350 000 Kinder in mehrals 125 Ländern dauerhafte Lähmungendurch eine Infektion mit dem Polio-Wildtyp-Virus. 2018 waren es dagegendank umfangreicher Impfkampagnennur noch 30 Fälle weltweit. Diese tratenausschließlich in Afghanistan und Pakis-tan auf. Die Weltgesundheitsorganisati-on (WHO) und ihr Partner, die GlobalePolio Eradikations-Initiative, sind festentschlossen, das Virus auch in seinen

letzten Refugien zu eliminieren. Es wärenach den Pocken die zweite Krankheit,die die Menschen erfolgreich ausrotten.

»Wir müssen auf den letzten Meternalle unser Bestes geben, um Polio ein füralle Mal aus der Welt zu schaffen«, sag-te WHO-Generaldirektor Dr. TedrosAdhanom Ghebreyesus bei einem Be-such in den beiden betroffenen Ländernzu Beginn dieses Jahres.

Wichtigste Maßnahme ist die flä-chendeckende Impfung aller Kinder,was aufgrund mangelnder Infrastruk-tur, abgelegener Regionen, Migration,bewaffneter Konflikte und Widerstän-den gegen die Impfung in Pakistan undAfghanistan als schwierig gilt. Auch inanderen Ländern dürfen, bis das großeZiel erreicht ist, die Impfungen nichtnachlassen. Da das Virus hochanste-ckend ist, könnte es sich bei mangeln-dem Impfschutz in der Bevölkerungwieder rasend schnell ausbreiten. /

Polio-Ausrottung ist in greifbarer Nähe

Durch große Impfkampagnen ist Polio fastausgerottet. Foto: Unicef/Asselin

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MAGAZIN

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2018 war weltweit kein einfaches Jahr.Die Hilfsorganisation Apotheker ohneGrenzen startete zwar keinen großenNothilfeeinsatz, ist und bleibt aber inzahlreichen Ländern aktiv. Mittlerweilezählt der Verein fast 2000 Mitglieder,darunter viele aktive Apotheker, die an

Schulungen, Spendenaktionen und na-türlich Einsätzen teilgenommen haben.

»Unser Verein lebt und wächst, un-sere Projektarbeit geht durch das großeEngagement unserer Mitglieder erfolg-reich weiter, die Zeit, Geduld, Arbeitund Geld für den guten Zweck spen-den«, resümiert der AoG-Vorstandsvor-sitzende Jochen Schreeck im Mitglie-der-Rundschreiben Ende des vergan-gen Jahres. Ein Highlight 2017 war dieAoG-Sommertour, organisiert von denRegionalgruppen des Vereins. Nachdem Start in Berlin steuerten immerwieder andere Freiwillige den AoG-Bullikreuz und quer durch Deutschland biszum Ziel, der Expopharm in München.Die Ehrenamtlichen informierten über

H I L F S O R G A N I S AT I O N E N

»Es geht nicht umschnelle Erfolge«Von Brigitte M. Gensthaler und Daniela Hüttemann / Mit langemAtem, Empathie und Kompetenz unterstützen pharmazeutischeHilfsorganisation in Deutschland und weltweit Menschen in Not.Bereits im zweiten Jahr läuft das gemeinsame Projekt von Apo-theker ohne Grenzen (AoG) und Apotheker Helfen (AH) in Uganda.

Alène ist Krankenschwester und hat den haitanischen Gesundheitsposten Medi-Pharma inEigeninitiative gegründet. Foto: AoG

se-Kröner-Fresenius-Stiftung für dasseit vielen Jahre erfolgreiche Projekt inArgentinien, bei dem chronisch kran-ken Slum-Bewohnern von Buenos Aireseine medizinische und pharmazeuti-sche Versorgung garantiert wird. Zu-dem hat der Verein eine neue Stiftunggegründet. Spenden und Preisgelderfließen nun in die laufenden und auchin neue Projekte.

In der Demokratischen RepublikKongo starteten in diesem Jahr zweineue Projekte: In Maluko nahe derHauptstadt Kinshasa unterstützt AoGdie Errichtung einer neuen Krankensta-tion. In der Region Boma hilft der Ver-ein bei der Verbesserung der pharma-zeutischen Versorgung. »Ich hoffe,

dass wir von Apotheker ohne Grenzendadurch in diesem Land auch einigeFunken der Hoffnung entfachen«, soSchreeck, der selbst zum Projektauf-takt im Kongo war. »Die Menschendort haben es sicher nötig und ver-dient«, so der Apotheker angesichts dergroßen Armut, des Bürgerkriegs undeiner neuen Ebola-Epidemie. Aktuellsteht das Land vor Neuwahlen, Medi-enberichten zufolge droht Chaos.

In Burundi startet AoG 2019 ein neu-es Patenschaft-Programm. Auch inUganda, Kenia, Sierra Leone und Tansa-nia ist der Verein aktiv. Zudem laufenweiterhin unterschiedlichste Projektein Bangladesch, Nepal, Syrien/Türkei,Mexiko und Argentinien. »Das Jahr bottraurige Nachrichten von Flüchtlingenweltweit, von Venezuela bis Myanmar;aber ein neues AoG-Projekt in Bangla-desch hilft den geflüchtetenRohingya«, schreibt AoG-Geschäfts-führerin Eliette Fischbach im aktuellenNewsletter.

Kleines Projekt mit großerWirkungAuch in Haiti bleibt der Verein aktiv.Seit März 2018 finanziert AoG einenArzt für den Gesundheitsposten Medi-Pharma in Baudin, drei Autostundenentfernt von der Hauptstadt Port-au-Prince. Gegründet wurde das kleineZentrum in Ermangelung staatlicherHilfe von einer einheimische Kranken-schwester in Eigeninitiative, das nun fi-nanziell und fachlich von AoG unter-stützt wird, zum Beispiel durchpharmazeutische Schulungen und Op-timierung der Warenwirtschaft.

In Deutschland laufen neben Fund-raising, Öffentlichkeitsarbeit und Ein-satzkräfteschulungen ebenfalls zweierfolgreiche Projekte weiter: In Mainzund Berlin hilft AoG, die Gesundheits-versorgung von Bedürftigen sicherzu-stellen. Zudem gibt es ein neues Für-sorge-Programm für die Einsatzkräfte.»Insgesamt haben sich unsere Tätig-keitsfelder 2018 konsolidiert und er-weitert«, so der VorstandsvorsitzendeSchreeck. Für das neue Jahr blickt derVerein gut aufgestellt und hoffnungs-voll in die Zukunft.

Apotheker Helfen in AfrikaSenegal, Uganda und Togo: Ein Schwer-punkt der Langzeitprojekte der Hilfsor-ganisation Apotheker Helfen liegt tra-ditionell in Afrika. Während AH dieMutter-Kind-Häuser im Senegal seitJahren fachlich begleitet, startet in

die Arbeit des Vereins, sammelten ins-gesamt mehr als 10 000 Euro Spenden-gelder und gewannen auch neue Mit-glieder.

Zudem erhielt AoG den mit 100 000Euro dotierten Preis für MedizinischeEntwicklungszusammenarbeit der El-

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Spendenkonten:

Apotheker ohne Grenzen Deutschland e.V.IBAN: DE 88 3006 0601 0005 0775 91

Apotheker Helfen e. VIBAN: DE 02 3006 0601 0004 7937 65

Beide Konten:Deutsche Apotheker- und Ärztebank:BIC: DAAEDEDDXXX

Togo gerade ein neues Projekt im Kran-kenhaus von Bassar.

Patientenversorgung und Geburts-hilfe bis spät in die Nacht: Das ist imMutter-Kind-Haus (Maternité) vonToubab Diallaw im Senegal fast schonnormal. Die Geburtsstation boomt.Von Juli bis Oktober kamen hier 123 Kin-der zur Welt. Zudem suchen jeden Mo-nat zwischen 300 und 650 Patientenmedizinische Hilfe in der Gesundheits-station. »Die Hebamme Mame Diarraleitet die Maternité mit ihrem Teammit großer Kompetenz und Empathie«,berichtet Projektkoordinator Dr. Ger-hard Gensthaler von seiner Projektrei-se. Auch in der Maternité in MedinaThioub arbeite ein engagiertes Teamum die Hebamme Seynabou Diouf.

Beide Einrichtungen haben ihr Me-dikamentenlager mit Unterstützungvon Apotheker Helfen in den vergange-nen Jahren optimiert. »Man brauchteinen langen Atem«, sagt Gensthaler.Regelmäßig überprüft er Dokumenta-tion und Warenlager und trainiert mitden pharmazeutisch verantwortlichenMitarbeitern. »Die kontinuierliche Ar-beit trägt Früchte: Alle Ein- und Aus-gänge werden systematisch erfasstund das Lagerprinzip First in – first outwird konsequent umgesetzt.« Ein gu-tes Management helfe, Finanzmittelgezielt einzusetzen und den Verfall von

Medikamenten zu reduzieren. Derzeitprüft AH mit den Partnern in Toubab,ob eine Erweiterung der Gesundheits-station sinnvoll und machbar ist. »Un-ser Ziel ist es, die Gesundheitsversor-gung der Patienten und Mütter zu si-chern und die pharmazeutische Qualifi-kation des Personals weiter zu stei-gern.«

Gesundheitsnetz in UgandaMit dem Bau und Betrieb von sechs Ge-sundheitszentren im Kibaale District inUganda will Apotheker Helfen die Arz-neimittelversorgung in der RegionSchritt für Schritt verbessern. Projekt-partner sind Emesco DevelopmentFoundation und Apotheker ohne Gren-zen. Ziel ist es, eine eigene Arzneimit-telversorgung für die Gesundheitsein-richtungen aufzubauen. Dem dientenauch Workshops, in denen die Apothe-ker von AH und AoG mit den Mitarbei-tern der Gesundheitszentren diewichtigsten Prinzipien der Arzneimit-tellagerhaltung diskutierten und anStandards arbeiteten.

Das jüngste Projekt, ein Gesund-heitszentrum in Kitutu, soll im Frühjahr2019 eingeweiht werden und vor allemMütter und Kinder medizinisch versor-gen. AH-Geschäftsführer Dr. AndreasWiegand weist auf die Bedeutung derPrävention hin: »Dann können die fast

2000 Schülerinnen und Schüler vonvier in der Nähe liegenden Grundschu-len regelmäßig untersucht werden.Denn Impfungen, die ausreichendeVersorgung mit Vitamin A sowie dierichtige Behandlung von Lungenent-zündung, Durchfall und Malaria tragendazu bei, die Kindersterblichkeit zu ver-ringern«.

Die Projekte in Uganda sind aufmehrere Jahre angesetzt. Es gehe nichtum schnelle Erfolge, erklärt Wiegand.»Wir planen unsere Projekte kontinu-ierlich mit dem Ziel, die Gesundheits-stationen solide in den Dörfern zu ver-ankern und qualifizierten Mitarbeiterneinen sicheren Arbeitsplatz in ihrer Hei-mat zu bieten.«

In der Klinikapothekevon BassarNoch ganz am Anfang steht ein Projektmit dem Krankenhaus in Bassar/Togoim Rahmen der Klinik-Partnerschaftzwischen dem Klinikum Nürnberg,dem Verein Fi Bassar und dem togolesi-schen Hospital. Im November reiste Sa-bine Ditz von Apotheker Helfen mit ei-ner Delegation erstmals nach Togo, umdie Krankenhausapotheke in Augen-schein zu nehmen und mit einheimi-schen Kollegen über eine fachliche Un-terstützung zu sprechen.

Große Mängel stellte die MünchnerApothekerin bei der Information derPatienten fest. Ausgeeinzelte Blister,Tütchen ohne Beschriftung: Wie sollder Patient zu Hause wissen, welchesMedikament er wann einnehmenmuss? Keiner der Mitarbeiter in derApotheke hat eine formale pharmazeu-tische Ausbildung und der Bedarf anFachwissen für Apotheker und PTA istgroß. Aber was ist konkret nötig undhilfreich? »Mit jedem Projektpartnerdie richtigen Antworten auf dieHerausforderungen zu finden, das istunser Ziel. Das muss immer wieder neuerarbeitet werden«, sagt Wiegand. Die-se Arbeit beginnt im Januar gemein-sam mit den Mitarbeitern in Bassar. /

ApothekerinSabine Ditz,ehrenamtlicheEinsatzkraft beiApotheker Helfen,mit einemeinheimischenMitarbeiter in derKlinikapothekevon Bassar

Foto: AH

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E U R O PA

Neue EU-Verordnung fürTierarzneimittelVon Michael Jung, Berlin / Nach über vier Jahren ist es endlich so weit: Die Verordnung (EU) 2019/6über Tierarzneimittel wurde am 7. Januar 2019 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht1.Die ungewöhnlich lange Dauer des Gesetzgebungsverfahrens, das im September 2014 durch dieEU-Kommission eingeleitet worden war, verdeutlicht die schwierige Entscheidungsfindung zwischenden Mitgliedstaaten und dem Parlament. Dieser Beitrag erläutert die für die Apotheker wichtigstenInhalte der neuen Vorschriften.

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Unmittelbare Geltungab 2022Um die Wirkung der neuen Verord-nung richtig einschätzen zu können,muss man den mit ihr verbundenenSystemwechsel berücksichtigen. Bis-lang ist das europäische Arzneimittel-recht in zwei getrennten Richtliniengeregelt: die Richtlinie 2001/83/EGbeinhaltet den »Gemeinschaftskodex

für Humanarzneimittel«, die Richtli-nie 2001/82/EG denjenigen für Tier-arzneimittel. Diese Richtlinien geltenin den Mitgliedstaaten nicht unmit-telbar, sondern müssen von ihnen inihr nationales Recht umgesetzt wer-den. Dabei besteht wegen der im Arz-neimittelrecht vorgesehenen Vollhar-monisierung grundsätzlich keinSpielraum für nationale Abweichun-gen. In Deutschland hat sich der Ge-setzgeber dazu entschieden, beideRichtlinien einheitlich im Arzneimit-telgesetz (AMG) umzusetzen.

Mit der Tierarzneimittelverordnung,die gemäß Artikel 160 ab dem 28. Janu-ar 2022 – also drei Jahre nach ihrem In-krafttreten – unmittelbar in jedem Mit-gliedstaat gilt, ändert sich dies. EineUmsetzung im nationalen Recht ist beiVerordnungen nicht erforderlich. Um

der Rechtsklarheit willen ist es sogargar nicht zulässig, die Verordnungsin-halte im nationalen Recht zu wiederho-len. Insoweit besteht also Anpassungs-bedarf im AMG, da die allermeisten aufTierarzneimittel bezogenen Vorschrif-ten gestrichen werden müssen. Ledig-lich in Teilbereichen, die von der Ver-ordnung nicht erfasst werden oder beidenen sie ausdrücklich Spielräumelässt, können die Mitgliedstaaten nochergänzende Regelungen erlassen. Vorvergleichbaren Situationen steht derdeutsche Gesetzgeber übrigens zumBeispiel im Zusammenhang mit derEU-Datenschutzgrundverordnung oderder EU-Medizinprodukteverordnung.

Der europäische Gesetzgeber be-gründet diesen Systemwechsel damit,dass die Verordnung »klare, ausführli-che und direkt anwendbare Bestim-

1) Ein Auszug der Verordnung (sie umfasst imAmtsblatt 125 Seiten) ist in den Amtlichen Be-kanntmachungen dieser Ausgabe abgedruckt.Der vollständige Text des Amtsblatts ist unterhttps://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=OJ:L:2019:004:TOC frei abrufbar. Indem Amtsblatt sind außerdem zwei weitereVerordnungen veröffentlicht, die sich aufArzneifuttermittel und Anpassungen des zen-tralen Zulassungsverfahrens beziehen.

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mungen« setze. Dies gewährleiste,dass ihre Inhalte in der gesamten Uni-on gleichzeitig und in harmonisierterWeise durchgeführt würden. Ob dieseHoffnung begründet ist, wird sich zei-gen. Die ersten Erfahrungen mit derEU-Datenschutzgrundverordnung las-sen gewisse Zweifel zu, da es nach wievor hauptsächlich die jeweiligen natio-nalen Behörden sind, welche für die An-wendung zuständig sind. Bis es tat-sächlich einheitliche Auslegungsgrund-sätze gibt, müssen extensive Abstim-mungsprozesse und ggf. sogar Klärun-gen durch den Europäischen Gerichts-hof erfolgen. Dies kann Jahre dauernund stellt gegenüber dem bisherigenSystem der Richtlinien, das mehr Rück-sicht auf die historisch gewachsenenBesonderheiten in den Mitgliedstaatennimmt, nicht unbedingt einen Vorteildar. Für die Rechtsanwender wird dieLage – wie aktuell das Datenschutz-recht belegt – auch deutlich kompli-zierter, da sie gleichzeitig die europä-ische Verordnung und das ergänzendenationale Recht nebeneinander lesenmüssen. Dementsprechend hatte dieABDA in ihrer Stellungnahme zum Ver-ordnungsentwurf angeregt, die jahr-zehntelang bewährte Richtliniensyste-matik beizubehalten und nur inhaltlichzu modernisieren. Dem ist der europä-ische Gesetzgeber aber nicht gefolgt.

AnwendungsbereichDie Verordnung regelt gemäß Artikel 1Inverkehrbringen2, Herstellung, Ein-und Ausfuhr, Abgabe, Vertrieb, Phar-makovigilanz, Kontrolle und Verwen-dung von Tierarzneimitteln. Sie giltgemäß Artikel 2 Abs. 1 für gewerblichoder mit industriellen Verfahren zube-reitete Tierarzneimittel. Dies entsprichtdem bestehenden Fertigarzneimittel-begriff aus den EU-Richtlinien. Nichterfasst sind demnach Rezepturen (»for-mula magistralis«) und Defekturen(»formula officinalis«), die in Apothe-ken hergestellt werden. Allerdingssieht Artikel 2 Abs. 6 vor, dass für dieseArzneimittel gleichwohl das Kapitel VIImit seinen Vorgaben für Abgabe undAnwendung zu beachten ist.

EinzelhandelAnders als die bisherige EU-Richtlinieerfasst die neue Verordnung also aus-drücklich auch den Einzelhandel mitTierarzneimitteln. Hiergegen hatte dieABDA in ihrer Stellungnahme grund-sätzliche Bedenken geltend gemacht,da angesichts des Subsidiaritätsprin-

zips ein wirklicher Bedarf für ein Tätig-werden des europäischen Gesetzge-bers nicht ersichtlich war. Letztlich hatman sich auf rudimentäre Vorgaben andie Mitgliedstaaten verständigt und ih-nen einen weiten Spielraum gelassen.Artikel 103 Abs. 1 regelt, dass die Be-stimmungen über den Einzelhandeldurch nationales Recht festgelegt wer-den, sofern in dieser Verordnung nichtsanderes bestimmt ist. Dies führt insbe-sondere dazu, dass die Apotheken-pflicht, das tierärztliche Dispensier-recht oder die Preisgestaltung in derVerantwortung der Mitgliedstaatenliegen. Voraussetzung ist lediglich, dassentsprechende Bestimmungen durchden Gesundheits-, Tier- oder Umwelt-schutz gerechtfertigt sind (Artikel 103Abs. 6). Damit wurde wesentlichen For-derungen der ABDA Rechnung getra-gen. Gleichfalls Erfolg hatte die ABDAdamit, eine im ursprünglichen Vor-schlag enthaltene Bedingung zu strei-chen, wonach der Bezug und Verkaufbestimmter Tierarzneimittel (zum Bei-spiel Anabolika oder Parasitenabwehr-mittel) einer behördlichen Sonder-erlaubnis bedurft hätte, was unnötigenbürokratischen Aufwand für Apothe-ken bedeuten würde.

Gemäß Artikel 103 Abs. 2 dürfen Ein-zelhändler Tierarzneimittel nur von In-habern einer Großhandelserlaubnis be-ziehen. Im nationalen Recht kann ge-mäß Artikel 99 Abs. 4 zusätzlich dieAbgabe kleiner Mengen durch einenEinzelhändler an einen anderen erlaubtwerden. § 17 Abs. 6c ApBetrO muss alsonicht geändert werden.

Für verschreibungspflichtige Tier-arzneimittel enthält Artikel 103 Abs. 3eine Pflicht zur lückenlosen Dokumen-tation. Im Vergleich zum geltenden§ 19 ApBetrO dürfte insoweit kein Zu-satzaufwand entstehen. Gleiches giltfür die in Artikel 103 Abs. 5 enthaltenePflicht zur jährlichen Inventur. Der ur-sprüngliche Vorschlag der EU-Kommis-sion hatte darüber hinaus vorgesehen,auch alle Ein- und Verkäufe nicht-ver-schreibungspflichtiger Tierarzneimit-teln zu dokumentieren. Hiergegen hatdie ABDA erfolgreich Bedenken erho-ben. Es steht den Mitgliedstaaten nunfrei, ob sie dies vorschreiben.

VersandhandelBemerkenswert ist die sehr restriktiveRegelung des Versandhandels. Artikel104 Abs. 1 statuiert ein generelles Ver-sandverbot für verschreibungspflichti-ge Tierarzneimittel. Hier stellt der euro-

päische Gesetzgeber selbst also fürTierarzneimittel strikte Bedingungenauf, die auf nationaler Ebene aktuell fürHumanarzneimittel politisch sehr kon-trovers diskutiert werden und derenunionsrechtliche Zulässigkeit dort voninteressierter Seite infrage gestelltwird3.

Artikel 104 Abs. 2 und 3 gestattenden Mitgliedstaaten lediglich, in eige-ner Verantwortung für ihren eigenenHoheitsbereich den Versand verschrei-bungspflichtiger Arzneimittel zu erlau-ben. Dieser darf aber keinesfalls grenz-überschreitend in andere oder aus an-deren Mitgliedstaaten erfolgen. Auchmüssen dabei strenge Anforderungengestellt werden (individuelle Versand-erlaubnis, sichere Versandstrukturen,strikte Beachtung der tierärztlichenVerschreibung, Überwachung undSanktionen). Wenn ein Mitgliedstaatden Versand erlaubt, muss er die EU-Kommission und die anderen Mitglied-staaten darüber informieren.

Alle Versandhändler unterliegen ge-mäß Artikel 104 Abs. 4 einer behördli-chen Kontrolle. Sie sind verpflichtet,auf ihren Internetseiten zusätzlichePflichtangaben zu machen (Artikel 104Abs. 5), die insbesondere ein einheitli-ches EU-Logo (Artikel 104 Abs. 6) bein-halten. Die Sinnhaftigkeit und den Nut-zen eines solchen Logos hatte die ABDAin ihrer Stellungnahme angesichts derErfahrungen aus dem Humanarznei-mittelbereich bezweifelt, da es sichdort als fälschungsanfällig erwiesenhat. Im Übrigen hat jeder Mitgliedstaatdas Recht, eigene ergänzende Bedin-gungen für den Versandhandel zu er-lassen, soweit sie aus Gründen des Ge-sundheitsschutzes gerechtfertigt sind(Artikel 104 Abs. 10).

2) Der im Unionsrecht verwendete Begriff des»Inverkehrbringens« ist nicht deckungsgleichmit demjenigen des deutschen AMG. Wäh-rend das Unionsrecht hiermit die »erstmaligeBereitstellung« durch den Hersteller meint(Artikel 4 Nr. 35), versteht das deutsche Rechthierunter das Vorrätighalten und die Abgabedurch jeden Beteiligten der Handelskette(§ 4 Abs. 17 AMG).

3) Ein Versandverbot für verschreibungspflich-tige Humanarzneimittel wurde sowohl in derRechtsprechung des Europäischen Gerichts-hofs (Urteil vom 11. Dezember 2003, C-322/01»Deutscher Apothekerverband«) als auch inArtikel 85c Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EGausdrücklich dem Wertungsspielraum derMitgliedstaaten überantwortet, was dieseArgumentation sehr fraglich erscheinen lässt.

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RECHT

TierärztlicheVerschreibungenWelche Tierarzneimittel bei ihrer Zu­lassung als verschreibungspflichtigeingestuft werden, ergibt sich ausArtikel 34. Dieser nennt insbesondereBetäubungsmittel, Antibiotika undalle Arzneimittel zur Behandlung vonder Lebensmittelgewinnung dienen­den Tiere.

Die Abgabe verschreibungspflichti­ger Tierarzneimittel erfolgt nach wievor nach Maßgabe des geltenden nati­onalen Rechts (Artikel 105 Abs. 9). Fürdie Verschreibungen selbst statuiertdie Verordnung einige restriktive Krite­rien. So sieht Artikel 105 Abs. 3 vor, dassVerschreibungen erst nach einer klini­schen oder anderen angemessenenUntersuchung des tierischen Gesund­heitszustands ausgestellt werden dür­fen. Antimikrobiell wirksame Tierarz­neimittel zur Metaphylaxe dürfen nurnach Diagnose einer Infektionskrank­heit verschrieben werden, der Tierarztmuss dies rechtfertigen können (Ar­tikel 105 Abs. 1 und 2). Die Gültigkeitder Verschreibung ist in diesem Fallauf fünf Tage beschränkt (Artikel 105Abs. 10). Diese Maßnahmen stehen im

Zusammenhang mit anderen Regelun­gen der Verordnung, welche auf einenverantwortungsvolleren Gebrauch vonAntibiotika in der Tierhaltung und eineEindämmung des Risikos von Resistenz­bildungen abzielen. Dies ist ein priori­tätes Ziel des Gesetzgebers beim Erlassdieser Verordnung gewesen.

Mindestinhalte der Verschreibungsind in Artikel 105 Abs. 5 aufgelistet. DieMenge der verschriebenen Arzneimit­tel muss den Erfordernissen entspre­chen (Artikel 105 Abs. 6). Gemäß Artikel105 Abs. 7 sind Verschreibungen in dergesamten Union gültig. Die EU­Kom­mission kann per Durchführungsbe­schluss ein Musterformular – auch fürelektronische Verschreibungen – fest­legen (Artikel 105 Absatz 8).

Tierärzten, die unter Berufung aufdie Dienstleistungsfreiheit vorüberge­hend grenzüberschreitend tätig sind,gestattet Artikel 111 grundsätzlich dasMitführen von Tierarzneimitteln ausseinem Heimatmitgliedstaat in einerMenge, die für die Behandlung der vonihm betreuten Tiere entspricht. Diessteht allerdings unter dem Vorbehalt,dass er die beruflichen Regeln (»gutetierärztliche Praxis«) des Gastmitglied­staats beachtet. Ein Verkauf von Tier­arzneimitteln an Tierhalter muss zu­dem durch das Recht des Gastmitglied­staats erlaubt sein.

WerbungÖffentlichkeitswerbung für verschrei­bungspflichtige Tierarzneimittel ist ge­mäß Artikel 120 Abs. 1 grundsätzlich

untersagt. Für andere Werbung statu­iert Artikel 119 einige Kriterien, die ein­zuhalten sind. Zudem können dieMitgliedstaaten weitere Restriktionenbeschließen. Die Absatzförderung fürTierarzneimittel gegenüber Tierärztenoder Händlern regelt Artikel 121, dessenInhalte sich an den Regelungen fürHumanarzneimittel orientieren.

ÜbergangsvorschriftenArtikel 152 Abs. 1 bestimmt, dass alle vordem 28. Januar 2022 auf der Grundlageder bestehenden Vorschriften erteiltenZulassungen für Tierarzneimittel ihreGültigkeit behalten, wobei sie dannkünftig den einschlägigen Bestimmun­gen der Verordnung unterliegen. EineAusnahme greift nur für solche antimi­krobiell wirksamen Arzneimittel, dieBehandlungen von Menschen vorbe­halten bleiben sollen und in einer nochzu erlassenden delegierten Verordnungder EU­Kommission aufgeführt sind.

Sofern bestimmte Tierarzneimittelden neuen Bestimmungen nicht ent­sprechen sollten, dürfen sie gleichwohlnoch fünf Jahre lang gehandelt werden(Artikel 152 Abs. 2)4. /

4) Im Amtsblatt ist ein redaktioneller Fehlerenthalten, da hier das Datum 29. Januar 2027als Beginn der Frist genannt ist. Richtig ist2022 als Jahr des Geltungsbeginns der Ver­ordnung, wie sich aus den Gesetzgebungs­materialien ergibt (vgl. Dokument PE­CONS45/1/18 REV1).

Anschrift des VerfassersMichael Jung, Syndikusrechtsanwalt,Referent Europa­ und Kammerrecht,ABDA – Bundesvereinigung DeutscherApothekerverbände e. V., 10117 Berlin,E­Mail: [email protected]

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PHARM. ZTG. | 164 JG. | 17. 1. 2019 | 3. AUSG. 107

IMPRESSUM

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DER APOTHEKER ISSN 0031-7136

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