6
23 ANKER FÜR DIE EWIGKEIT rapì Elena“ als Thema der Gruppe angab, ist ihre Ikono- graphie keineswegs eindeutig: Nicht die Entführung der jungfräulichen Helena, sondern die Verführung und be- vorstehende erotische Verbindung mit einer reifen Frau ist hier dargestellt. Die Gruppe kann durchaus auch wie bei Francesco Bocchi als Paris und Helena identifiziert werden; die Gebärden des Paares, das Schwert und der Triumph über das erlegte Wildschwein (hier eine Sau) entsprechen am ehesten dem Mythos von Äeneas und Dido, die sich in einer Höhle vereinigten. 27 Der aus Fiesole bei Florenz stammende Bildhauer sig- nierte wie Michelangelo als Florentiner: „VINCENTIVS DE RVBEIS CIVIS FLOREN<TINVS> · OPVS ·“. 28 Wie Michel- angelo bei der vatikanischen Pietà meißelte er seinen Na- men in ein quer über die Brust gelegtes Band. Im Gegen- satz zu Cellinis Perseus (siehe Abb. 13a–c auf S. 210–211 in diesem Band) handelt es sich hierbei tatsächlich um eine Degenhenke. Im Unterschied zu Michelangelo und Celli- ni aber verzichtete de’ Rossi auf die faciebat-Imperfektfor- mel zugunsten des traditionelleren „OPVS“. Bereits bei der früheren Figurengruppe des Hl. Joseph mit dem Christus- knaben hatte Vincenzo dem Substantiv den Vorzug gege- ben und meißelte darüber hinaus nur seinen Vornamen und die Florentiner Herkunftsbezeichnung in das ruinö- se Steinfragment, auf das Joseph seinen linken Fuß stützt: „VINCENTII FIORENT[INI] / OPVS“ 29 Die beiden von der Signaturenforschung bisher un- beachteten Selbstzeugnisse sind an und für sich nicht ungewöhnlich. Mit Blick auf den biographischen Kon- text de’ Rossis jedoch gewinnt vor allem die Signatur der 22 NICOLE HEGENER 27 Grundlegend zur problematischen Ikonographie, zu Datie- rung und Wirkungsgeschichte von Theseus und Helena Regi- ne SCHALLERT: Studien zu Vincenzo de’ Rossi. Die frühen und mittleren Werke (1536–1561), Diss. Univ. Freiburg i. Br. 1995, Hildesheim/Zürich/New York 1998 (= Studien zur Kunstge- schichte, 124), S. 201–223. Die dritte Deutung als Aeneas und Dido schlug erstmals Rodolfo GALLENI: Per una ipotesi inter- pretativa del gruppo scultoreo di Vincenzo de’ Rossi nella Grotta Grande di Boboli, in: Boboli 90. Convegno Interna- zionale di Studi per la Salvaguardia e la Valorizzazione del Gi- ardino, Florenz (9.–11.3.1989), hg. v. Cristina Acidini Luchi- nat/Elvira Garbero Zorzi, 2 Bde., Florenz 1991, Bd. 1, S. 47– 56, vor. 28 Wie bei der vorgängigen, römischen Signatur de’ Rossis ist die Initiale „V“ größer als die übrigen Buchstaben, vgl. die folgende Anm. 29 Die Initialen von „V“ und „F“ sowie das finale „I“ von „VIN- CENTII“ ragen über die übrigen capitalis-Buchstaben hinaus. Abb. 8a, b Federico Zuccari: Jüngstes Gericht (1572–1579), Florenz: S. Maria del Fiore, mit Detail des Selbstbildnisses und der Signatur Abb. 9 Vincenzo de’ Rossi: Theseus und Helena (Mai 1558 – Februar 1560), Florenz: Grotta Grande im Giardino dei Boboli

nierte wie Michelangelo als Florentiner: „VINCENTIVS DE · 26 GLUDOVATZ 2005, S. 134. 27 Ernst Robert CURTIUS: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern 1948, S

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Page 1: nierte wie Michelangelo als Florentiner: „VINCENTIVS DE · 26 GLUDOVATZ 2005, S. 134. 27 Ernst Robert CURTIUS: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern 1948, S

23ANKER FÜR DIE EWIGKEIT

rapì Elena“ als Thema der Gruppe angab, ist ihre Ikono-graphie keineswegs eindeutig: Nicht die Entführung derjungfräulichen Helena, sondern die Verführung und be-vorstehende erotische Verbindung mit einer reifen Frauist hier dargestellt. Die Gruppe kann durchaus auch wiebei Francesco Bocchi als Paris und Helena identifiziertwerden; die Gebärden des Paares, das Schwert und derTriumph über das erlegte Wildschwein (hier eine Sau)entsprechen am ehesten dem Mythos von Äeneas undDido, die sich in einer Höhle vereinigten.27

Der aus Fiesole bei Florenz stammende Bildhauer sig-nierte wie Michelangelo als Florentiner: „VINCENTIVS DERVBEIS CIVIS FLOREN<TINVS> · OPVS ·“.28 Wie Michel-angelo bei der vatikanischen Pietà meißelte er seinen Na-men in ein quer über die Brust gelegtes Band. Im Gegen-

satz zu Cellinis Perseus (siehe Abb. 13a–c auf S. 210–211 indiesem Band) handelt es sich hierbei tatsächlich um eineDegenhenke. Im Unterschied zu Michelangelo und Celli-ni aber verzichtete de’ Rossi auf die faciebat-Imperfektfor-mel zugunsten des traditionelleren „OPVS“. Bereits bei derfrüheren Figurengruppe des Hl. Joseph mit dem Christus-knaben hatte Vincenzo dem Substantiv den Vorzug gege-ben und meißelte darüber hinaus nur seinen Vornamenund die Florentiner Herkunftsbezeichnung in das ruinö-se Steinfragment, auf das Joseph seinen linken Fuß stützt:„VINCENTII FIORENT[INI] / OPVS“29

Die beiden von der Signaturenforschung bisher un-beachteten Selbstzeugnisse sind an und für sich nichtungewöhnlich. Mit Blick auf den biographischen Kon-text de’ Rossis jedoch gewinnt vor allem die Signatur der

22 NICOLE HEGENER

27 Grundlegend zur problematischen Ikonographie, zu Datie-rung und Wirkungsgeschichte von Theseus und Helena Regi-ne SCHALLERT: Studien zu Vincenzo de’� Rossi. Die frühen undmittleren Werke (1536–1561), Diss. Univ. Freiburg i. Br. 1995,Hildesheim/Zürich/New York 1998 (= Studien zur Kunstge-schichte, 124), S. 201–223. Die dritte Deutung als Aeneas undDido schlug erstmals Rodolfo GALLENI: Per una ipotesi inter-pretativa del gruppo scultoreo di Vincenzo de’ Rossi nellaGrotta Grande di Boboli, in: Boboli 90. Convegno Interna-

zionale di Studi per la Salvaguardia e la Valorizzazione del Gi-ardino, Florenz (9.–11.3.1989), hg. v. Cristina Acidini Luchi-nat/Elvira Garbero Zorzi, 2 Bde., Florenz 1991, Bd. 1, S. 47–56, vor.

28 Wie bei der vorgängigen, römischen Signatur de’ Rossis istdie Initiale „V“ größer als die übrigen Buchstaben, vgl. diefolgende Anm.

29 Die Initialen von „V“ und „F“ sowie das finale „I“ von „VIN-CENTII“ ragen über die übrigen capitalis-Buchstaben hinaus.

Abb. 8a, bFederico Zuccari: Jüngstes Gericht (1572–1579), Florenz: S. Maria del Fiore, mit Detail des Selbstbildnisses und der Signatur

Abb. 9Vincenzo de’ Rossi: Theseus und Helena (Mai 1558 – Februar 1560), Florenz: Grotta Grande im Giardino dei Boboli

Page 2: nierte wie Michelangelo als Florentiner: „VINCENTIVS DE · 26 GLUDOVATZ 2005, S. 134. 27 Ernst Robert CURTIUS: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern 1948, S

Es wurde in der Glyptikforschung vorgeschlagen, Namen im Nominativ, beispielsweise Aristoteiches, Ana-kles und Sosias,81 als die von Künstlern anzusehen.82 DerKünstler hätte in diesen Fällen aus Platzgründen oderaus anderer unbekannter Ursache eine Form des Verbsποιεĩνweggelassen. Hierfür sprechen die drei Signaturendes Onesimos83 im Nominativ und die Nominativsigna-turen des Dexamenos (Abb. 8–9). Dennoch wird nichtfür alle im Nominativ stehenden Namen auf Gemmendiese Schlussfolgerung gezogen. Einige Namen scheinen

bezüglich ihrer Größe und ihrer Anbringungsweise zuauf fällig, wobei die Größe und Sichtbarkeit für Gem-menkünstlersignaturen aber offensichtlich kein Kriteri-um darstellt. So wurde in der Forschung etwa auch diegroße und überdeutliche Namensinschrift des Aristotei-ches wegen der hohen Qualität der Darstellung häufigals Künstlersignatur angesehen.84 Würde der Nomina-tiv aber eindeutig für den Namen des Künstlers stehen,bräuchten Epimenes („EΠIMHNEΣ EΠΩIE“) und Dexa-menos („ΔΕΞΑΜΕΝΟΣ / ΕΠΟΙΕΧΙΟΣ“) nicht eine Form

57

In der Glyptik existierte das aus der Münzkunst be-kannte Prinzip der Nachahmungssignaturen weiterhinnicht. Tatsächlich scheint jeder einzelne der signieren-den Gemmenmeister aus eigener Motivation seineWerke mit Namen versehen zu haben. Ob der Künstlerselbst sein Werk als so gelungen empfand, dass er es einer Signatur wert fand, also letztlich aus Stolz han-delte, oder dem Wunsch eines Auftraggebers Folge leis-tete, muss unentschieden bleiben.79 Ausgenommen dieFälle, in denen mehrere Signaturen eines Künstlers

überliefert sind oder dieser eine Form des Verbs ποιεĩνauf seinen Werken benutzte, müssen die Deutungensonstiger Namensinschriften auf Gemmen als Künst-lersignatur zweifelhaft bleiben, da sich auf der Grund-lage der überlieferten Material basis keine klaren Regelnfür die Gemmensignatur im Untersuchungszeitraumextrahieren lassen. Die Entscheidung, ob es sich bei einem gravierten Namen um den des Verfertigers oderdes Besitzers der Gemme handelt, ist in vielen Fällennicht möglich.80

56 ANGELA BERTHOLD ANTIKE SIGNATUREN EN MINIATURE

79 Es wäre denkbar, dass der Auftraggeber durch den Namen eines berühmten Künstlers den Wert seines Schmuckstückesnach außen hin sichtbar machen wollte.

80 ZAZOFF 1983, S. 100; zu den Besitzernamen BOARDMAN 1968,S. 66, Nr. 131 (Mandronax), S. 83, Nr. 224 (Pythonax), S. 150,Nr. 561 (Stesikrates).

81 ZAZOFF 1983 Seiten 102–104, 110, 113, 137–141; BOARDMAN

1968, S. 110, Nr. 333 und S. 132, Nr. 427; BOARDMAN ²2001,Seiten 151–152, 197, 421.

82 ZWIERLEIN-DIEHL 2005, S. 330–335.83 BOARDMAN 1968, S. 116, Nrn. 345, 346, 348.84 BOARDMAN 1968, S. 132, Nr. 427.

Abb. 9Dexamenos:

Jaspis-Skarabäoid mitdem Motiv eines

stehenden Reihers ca. 430–410 v. Chr.),Abdruck des Beazley

Archives in Oxfordnach dem Original in

St. Petersburg,Eremitage

(Inv.-Nr. T 1864.2)

Abb. 8Dexamenos: Chalcedon-Skarabäoid mit dem Motiveines fliegenden Reihers (ca. 430–410 v. Chr.),St. Petersburg: The StateHermitage Museum (Inv.-Nr. YOU-24)

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höchsten Gutes durch Dich teilhaft zu werden“). Umsoerstaunlicher ist der folgende Sprung von „DONVM“zum „ME“: „Gerardus schuf mich.“ Auf rätselhafte Wei-se spricht der Stifter, der sich selbst, weil er die Ich-Formvermeidet, wie von außen zu betrachten scheint, dasWerk als distanziertes Akkusativobjekt an, während die-ses selbst sich im selben Atemzug in Ich-Form äußert.Auf dichtem Raum ist ein Perspektivsprung vom Opuszur Persona vollzogen.

Auch diese Schizophrenie war kein isoliertes Phäno-men. Vielmehr erfüllte sie eines der rätselhaftesten Werkeder gesamten Signaturgeschichte: Jan van Eycks mut-maßliches Londoner Selbstporträt (Abb. 11).24 Der Bild-rahmen äußert sich in Ich-Form: „• JOH[ANN]ES • DE •

EYCK • ME • FECIT • AN[N]O • MCCCC33 • 21 • OCTO-BRIS •“ („Jan van Eyck hat mich gemacht im Jahre 1433am 21. Oktober“). Die Frage nach dem Subjekt dieserRede führt fraglos zum Gemälde selbst.25 Umso erstaun-

96 HORST BREDEKAMP

24 GLUDOVATZ 2005, S. 136.25 GLUDOVATZ 2005, S. 126; Reinhard LIESS: Zum Logos der

Kunst Rogier van der Weydens. Die Beweinung Christi in denKöniglichen Museen in Brüssel und in der Nationalgaleriein London, 2 Bde., Münster/Hamburg/London 2000, Bd. 2,S. 772–775.

Abb. 10Gerardus: Taufbecken (1226/1227), Osnabrück: Dom

Abb. 9Riquinus: Selbstporträt neben dem Sündenfallrelief auf der Nowgoroder Bronzetür (um 1152–1154), Now-gorod: Kathedrale St. Sophien

licher erscheint, dass die Inschrift des oberen Bildrah-mens mit dem Künstler ein zweites Ich einfügt. Mitdem „• ALC • IXH • XAN •“ („Wie ich vermag“) aber äu-ßert sich Jan van Eyck selbst durch sein eigenes Motto.26

Dass, wie Robert Scheller es vermutet hat, hier eineDemuts formel im Sinne des „[mehr] als ich vermag“mitschwingt, ist zu bezweifeln; diese Deutung stammtaus einer Zeit, in der die Selbstminderung als Zeichenechter Frömmigkeit gewertet wurde, ohne zu bedenken,

dass hier jene Formel der „affektierten Bescheidenheit“mitschwingt, die ihren Anspruch in kalkulierter Zurück-nahme verhüllt.27

Vielmehr bezeugt das Nebeneinander von Objektund Persona eine Spannung zwischen Artefakt und Organismus, die in ihrer Widersprüchlichkeit bestrickt.Das Grundproblem, wieso das Werk, obwohl geschaf-fen, mit Seele ausgestattet zu sein scheint, wird in die-ser Dichotomie zwischen dem „ICH“ des Künstlers unddem me des von ihm geschaffenen Werkes auf eine un-nachahmliche Weise geschärft. Dem Motto des Schöp-fers, das bereits als eine eigene, in Ich-Form formulier-te Signatur gelten kann, widerspricht die zweite, eben-

97DIE ICH-WERDUNG DES WERKES IM MITTELALTER

26 GLUDOVATZ 2005, S. 134.27 Ernst Robert CURTIUS: Europäische Literatur und lateinisches

Mittelalter, Bern 1948, S. 93–95, S. 410–415.

Abb. 11Jan van Eyck: Mann

mit dem roten Turban(1433), London: The

National Gallery

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meler“ (ohne Nennung der Gemahlin, also wohl ver-witwet).4 Die Identität des Conrad von Soest mit dem„Maler Conrad“ ist Konjektur der Forschung; die Na-mensnennung des Malers „Conrad von Soest“ auf derInschrift in Bad Wildungen wird hier zum Indiz. Dassdas Marienretabel in Dortmund dem Maler des Wildun-ger Retabels zugewiesen wird, verdankt sich stilkritischerAnalyse, der wiederum die Namensnennung „conrad“auf dem Marientod als Beleg gelegen kommt. Diese stil-kritische Zuschreibung des Marienretabels an Conradvon Soest gilt als gesichert, und die großen Unterschie-de zwischen beiden Gemäldezyklen werden allgemeinund plausibel als beeindruckende Entwicklung des Ma-lers gewertet. Wenige weitere Gemälde lassen sich diesemMeister wohl sicher zuordnen, noch einmal eine kleineZahl wird kontrovers diskutiert.

Die Bedeutung, welche die Bildfindungen Conradszu seiner Zeit entfaltet haben, wird vor allem an ihremgroßen Einfluss auf die Malerei der ersten Hälfte des15.  Jahrhunderts deutlich. Die beiden Altarwerke dokumentieren die präzise Kenntnis der franko-flämi-schen Hofkunst des ausgehenden 14. Jahrhunderts, da-runter so vieler Werke der Buchmalerei, dass mit gutenGründen von einer Reise des Malers nach Paris ausge-gangen wird. Diesen Aufenthalt datiert die Forschung– die plausibel die Auseinandersetzung mit der seiner-zeit neuesten Kunstproduktion voraussetzt – noch indas 14. Jahrhundert. Üblicherweise wird das Datum desHeiratsvertrages als terminus ante quem herangezogen,doch unterlegt man hier ein Biographiemodell, das eineGesellenreise als standardisierte biogra phische Stationund die Sesshaftigkeit nach der Eheschließung unter-

118 BARBARA WELZEL

Abb. 2Conrad von Soest: Marienaltar, Mitteltafel mit dem Marientod (um 1420), Dortmund: Marienkirche

stellt. Hier ist von historischer Seite durch Wilfried Rei-ninghaus zur Vorsicht gemahnt worden: Weder hält dasBiographiemodell für die Jahre um 1400 stand, nochendete das Reisen mit der Eröffnung einer Werkstatt.5

So mag der Maler auch nach seinem Parisaufenthalt imausgehenden 14. Jahrhundert weitere Reisen unternom-men haben. In jedem Fall dürfen die Gemälde des Con-rad von Soest als herausragende Beispiele einer Kunstgelten, die in ihrer materiellen Pracht und in ihrem aris-tokratischen Repräsentationsgestus (Verwendung kost-barer Pigmente und kostbaren und durch Punzierungenwie eine Goldschmiedearbeit verzierten Goldes, dasSchönheits ideal der Figuren, ihre Gewandung in den lu-xuriösen Sei den stoffen, ihre eleganten Gesten etc.) denEliten ihrer Zeit gemäß war.6

Der Heiratsvertrag – wenn er denn die Verheiratungdes Malers mit der niederadeligen Gertrud von Müns-ter dokumentiert – belegt einen gesellschaftlichen Sta-tus des Conrad von Soest, der für einen Maler unge-wöhnlich war. Er verkehrte demzufolge auf Augenhöhemit den Fernkaufleuten der Hansestadt Dortmund – also jenen Dortmundern, die zu den führenden Fami-lien im hansischen Handel zwischen Brügge, Bergen,Visby/Gotland und Nowgorod gehörten. Das wohlgleichzeitig entstandene Altarwerk in der Reinoldikircheist Zeugnis der stolzen Demonstration von Handels-macht. Es zählt zu den wenigen aus der Frühzeit derniederländischen Exportkunst erhaltenen Altarwerkenund trägt neben den bedeutenden und höchst qualität-

vollen Figuren im Schrein den umfangreichsten erhal-tenen Gemäldezyklus der niederländischen Malerei vorJan van Eyck auf den Innenflügeln.7 Überhaupt scheintman in Dortmund das Luxusgut Kunst immer wiederals Ausweis einer Fernhandelskultur importiert zu haben,während man aus Dortmund Werke der Metallverarbei-tung bis hin zur Goldschmiedekunst exportierte.

4 Im Katalog FERNE WELTEN – FREIE STADT 2006 haben ThomasSchilp und ich noch einmal versucht, Quellenlage und Gemäl-debefund im Cross-over von Stadtgeschichte und Kunstge-schichte zusammenzubringen; siehe neben den Beiträgen zuden beiden Retabeln, Anm. 1 und 2, zum Ehevertrag FERNE WEL-TEN – FREIE STADT 2006, S. 172–173, Kat.-Nr. 75 (Thomas Schilp),zum Buch der Nikolai-Bruderschaft S. 174, Kat.-Nr. 76 (ThomasSchilp), zum Buch der Marien-Bruderschaft S. 249–247, Kat.-Nr.160 (Thomas Schilp), zur Tafel mit den hl. Paulus und Reinol-dus in der Alten Pinakothek in München S. 182–183, Kat.-Nr.79a,b (Katalogteil von Barbara Welzel), zur Tafel mit der hl. Do-rothea und der hl. Odilia im Westfälischen Landesmuseum inMünster S. 183–184, Kat.-Nr. 80a,b (Barbara Welzel), sowie, imselben Band, die Beiträge von Thomas SCHILP: Der Bürger Con-rad von Soest, S. 175, und Barbara WELZEL: Der Maler Conradvon Soest, S. 176–177. Vgl. auch Monika FEHSE: Der Städter Conrad von Soest – eine sozialgeschichtliche Einordnung, in:Dortmund und Conrad von Soest im spätmittelalterlichenEuropa, hg. von Thomas Schilp/Barbara Welzel, Bielefeld 2004(= Dortmunder Mittelalter-Forschungen, 3), S. 259–273.

5 Wilfried REININGHAUS: Wanderungen von Malern und ande-ren Handwerkern im Mittelalter, in: Dortmund und Conradvon Soest im spätmittelalterlichen Europa, hg. von Thomas

Schilp/Barbara Welzel, Bielefeld 2004 (= Dortmunder Mit-telalter-Forschungen, 3), S. 123–140.

6 Birgit FRANKE: Magnifizenz. Die Tugend der Prachtentfaltungund die französische Kunst, in: Dortmund und Conrad vonSoest im spätmittelalterlichen Europa, hg. von Thomas Schilp/Barbara Welzel, Bielefeld 2004 (= Dortmunder Mittelalter-For-schungen, 3), S. 141–161; vgl. auch Bernd CARQUÉ: Stil und Erinnerung. Französische Hofkunst im Jahrhunderts Karls V.und im Zeitalter ihrer Deutung, Göttingen 2004 (= Veröffent-lichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 192).

7 Barbara WELZEL: Mittelalterliche Kunst in Dortmund heute– Und: das Altarwerk der Reinoldikirche als Ort der Verge-genwärtigung von Geschichte, in: Städtische Repräsentati-on. St. Reinoldi und das Rathaus als Schauplätze des Dort-munder Mittelalters, hg. von Nils Büttner/Thomas Schilp/Barbara Welzel, Bielefeld 2005 (= Dortmunder Mittelalter-Forschungen, 5), S. 11–39, sowie, im selben Band, EvelynBERTRAM-NEUNZIG: Das Hochaltarretabel der DortmunderReinoldikirche – Ein herausragendes Zeugnis franko-flämi-schen Kunstschaffens aus den Werkstätten der burgundi-schen Niederlande, S. 181–203; Evelyn BERTRAM-NEUNZIG: DasAltarretabel in der Dortmunder St. Reinoldikirche, Bielefeld2007 (= Dortmunder Mittelalter-Forschungen, 10).

119NAMENSNENNUNG UND MEMORIA BEI CONRAD VON SOEST

Abb. 3Conrad von Soest: Marienaltar, Mitteltafel mit dem Marientod,Ausschnitt (um 1420), Dortmund: Marienkirche

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vollendet auch immer Cellinis Christus ist. Es liegt je-doch näher, darin den Stolz des Künstlers als „neuemPolyklet“ zu erkennen, der nicht nur beim Guss des Per-seus, sondern auch bei diesem marmornen Christus dasvon Plinius d. Ä. beschriebene ex-uno-lapide-Ideal be-wusst angestrebt und erfolgreich gemeistert hat.

Das Prinzip des Wettstreits bestimmte und beflügel-te die Arbeit der Künstler in Florenz und Rom wie kei-ne anderen. Dies kann an der Geschichte des faciebatdemonstriert werden. Die Gruppe der von Tobias Burgermittelten 46 faciebat-Bildhauersignaturen des 16. Jahr-hunderts brachte eine Wende in der Signierpraxis, diezuvor von opus- und fecit-Signaturen bestimmt wordenwar. Im Imperfekt signierten in exzessiver Weise derAretiner Andrea Sansovino (1467–1529) und sein Schü-ler, der Florentiner Jacopo d’Antonio Tatti (1486–1570),der den Namen seines Lehrers angenommen hatte; al-lein fünf faciebat-Signaturen sind für Andrea, 21 ent-

sprechende Belege für Jacopo überliefert.73 Den fünfvon Bandinelli beziehungsweise nur zwei von Celliniüberlieferten faciebat-Signaturen kommt jedoch geradewegen ihrer relativen Seltenheit eine besondere Bedeu-tung zu, dies nicht allein, weil zwei davon durch dieProminenz der Aufstellung auf der Piazza della Signoriakaum übertroffen werden konnten. Bandinellis Œuvre,das vom paragonalen Wettstreit mit den Bildwerken Mi-chelangelos auf der einen und jenen der Antike auf deranderen in besonderer Weise geprägt ist, weist eine sin-guläre Vielzahl von Signaturen und künstlerischenSelbstzeugnissen auf, wobei den mit faciebat nobilitier-ten Werken jeweils eine Schlüsselrolle zukommt.74 Dasasketische Signierverhalten Cellinis zeigt, wie bedachtdieser mit dem plinianischen Etikett des angeblich auseinem Block geschlagenen Laokoon umging, der seiner-seits aus wohl sieben Blöcken geschaffen wurde: Er ver-wendete es ausschließlich für den ohne Anstückungen

211FACIEBAT, NON FINITO UND ANDERE IMPERFEKTE

73 BURG 2007, S. 184–185; zu den Signaturen von Andrea undJacopo Sansovino HEGENER 2008, S. 246–247.

74 Dieser Problematik widmet sich HEGENER 2008.

Scudi geschätzt und verlangte ein stolzes Honorar inHöhe von 1500 Scudi, so dass Cosimo sich genötigt sah,die Arbeit von Ammannati und Vincenzo de’ Rossischätzen zu lassen. Im August 1565 erwarb der Herzogden Gekreuzigten und ließ ihn in den Palazzo Pitti brin-gen, wo er in seiner Privatkapelle Aufstellung findensollte, doch verblieb dieser bis zu Cosimos I. Tod (1574)in einer Holzkiste. Erst 1570 erhielt Cellini mit 700 Scu-di weniger als die Hälfte seiner Forderung. GroßherzogFrancesco I. verschenkte den Christus 1576, also fünfJahre nach Cellinis Tod, an Philipp II. So gelangte die-ser zunächst nach Madrid und dann nach San Lorenzoel Real im Escorial, wo er nicht am Hauptaltar, sondernin der Kapelle des oberen Chores aufgestellt wurde undbis zu seiner Wiederentdeckung durch Eugène Plon(1882) vergessen war.70

Auf seine erfolgreiche tour de force als Marmor-bildner war Cellini ungemein stolz. Die eigene Wert-schätzung des Gekreuzigten, den Cellini in seinem Tes-tament vom August 1555 und in einem Brief an Cosi-mo I. vom 26. Dezember 1557 liebevoll als „il mio belCristo“ bezeichnete, ist aus der Signatur ersichtlich, dieer in capitalis antiqua auf die Unterseite des nach hintenschräg abfallenden Suppedaneums einmeißelte (Abb.14b).71 Das große Format der Fußstütze Christi und dieGröße der Inschrift lassen vermuten, dass Cellini diesesa priori für die Aufnahme seines Namens bestimmt hat-te. Der Ankauf des dabei verwendeten schwarzen Mar-mors ist für den 27. November 1557 dokumentiert: Für21 Lire kaufte Cellini „un pezzo di marmo nero avutoper fare la croce del mio Cristo“ bei der Florentiner Ope-ra di S. Giovanni Battista.72 Ohne Rücksicht auf die Zei-lenumbrüche überziehen die großen Buchstaben der In-schrift gleichmäßig die hochrechteckige Fläche: „BEN-VEN / VTVS · CEL / LINVS · CIV / IS · FLORE / NT<INVS>· FACIEB / AT · MDLX II ·“

Der Wortlaut stimmt abgesehen vom Datum 1562exakt mit jenem der Perseus-Signatur überein. Diese nurvermeintliche Unoriginalität bezeugt, dass Cellini, derausschließlich den Perseus und den Gekreuzigten mit ei-ner Signatur versah, diese als seine beiden großen Meis-terwerke verstand. Ganz bewusst wählte er die antikeplinianische Imperfektformel, die in Verbindung mit

der Angabe der Florentiner Herkunft eine Brücke vonsich über Michelangelo und Bandinelli zu den großenBildhauern der Antike schlägt. Mit der Signatur über-spielt Cellini zugleich das Scheitern des großen Projek-tes vom eigenen, als ein komplexes Ensemble aus Archi-tektur, Skulptur und Malerei geplanten Künstlergrab-mal. Man könnte also das Imperfekt faciebat als Hinweisauf das non finito dieser Unternehmung deuten, wie

210 NICOLE HEGENER

70 Vgl. POPE-HENNESSY 1986, 257; Eugène PLON: Benvenuto Cel-lini, orfèvre, médailleur, sculpteur. Recherches sur sa vie, surson œuvre et sur les pièces qui lui sont attribuées, Paris1883.

71 Eine Blitzlichtaufnahme findet sich bei Juan LÓPEZ GAJATE: ElCristo Blanco de Cellini, Madrid 1995 (= Estudios Superiores

del Escorial), S. 296, Abb. 102 (dort noch ohne die Einlagevon Gold in die Lettern).

72 Vgl. den Ricordo vom 12. Februar 1558, Biblioteca Riccardia-na Florenz, Cod. Riccard. 2788, c. 72 t., siehe Piero CALAMAN-DREI: Scritti e inediti Celliniani, hg. von Carlo Cordié, Florenz1971, S. 64.

Abb. 13a, b, cBenvenuto Cellini: Perseus (1545–1554), Florenz: Loggia deiLanzi, mit Details der Signatur

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und die scheinbare Affirmation kippt in ihr Gegenteil.Schließlich führte Richter das Begehren ganz ad absur-dum, indem er beim Signieren zwei Exemplare der Ker-zen-Graphik mit dem Namen „Joseph Beuys“ versah.Streng juristisch gesehen, mag dies dem Tatbestand derUrkundenfälschung gleichkommen, allerdings ohne Be-reicherungsabsichten. Die Falschheit der Signatur än-dert nichts an der Authentizität des Kunstwerks, da derName hier Teil des künstlerischen Konzepts ist. Wennder Künstler eine Täuschung der personalen Identitätdes Signierenden vornimmt, persifliert er letztendlichden Wunsch des Kunstbetriebs nach der beglaubigtenEchtheit der Arbeit. Eine solche Dekonstruktion oderAufhebung des in der Signatur personifizierten Künst-lersubjekts ist ein kunsthistorisch wohl einmaliger Vor-gang, zumal der erzielte Mehrwert nicht kommerziell,sondern nur kunsttheoretisch zu begründen ist.

8. Die Probleme mit Kopien und Fälschungen

In jeder Hinsicht befremdlich und problematisch mu-tet hingegen der Hintergrund eines Rechtsstreits um einGemälde von Jörg Immendorff an. Im Sommer 2008waren gegen den im Mai 2007 verstorbenen KünstlerBetrugsvorwürfe laut geworden. Das Düsseldorfer Land-

gericht musste damals die Frage prüfen, ob Immendorff1999 eine von einem Atelierassistenten gemalte Kopieeines Gemäldes aus der Café de Flore-Reihe als eigene Arbeit ausgegeben und verkauft hatte, was Betrug zumNachteil des Erwerbers gewesen wäre. Es ist zwar unge-wöhnlich, aber legitim, Kopien eigener Werke anzufer-tigen oder als Werkstattkopien ausführen zu lassen. Aller-dings ist der Künstler verpflichtet, diese Produktions-modalitäten anzugeben. Er darf nicht behaupten, er habedas Bild selbst gemalt, denn dann – und nur dann – wärees eine Fälschung, selbst wenn er es eigenhändig sig-niert hätte. Da jedoch ein Betrug nicht eindeutig nach-gewiesen werden konnte, wurde das Gerichtsverfahreneingestellt.

Was aber sind jene Gemälde, die Immendorffs Assis-tenten während seiner letzten Lebensjahre angefertigthaben, als er aufgrund einer unheilbaren Muskelläh-mung nicht mehr in der Lage war, selbst zu malen undzu signieren? Ab 2004 sind seine Ölbilder, Zeichnungenund Druckgraphiken nicht mehr eigenhändig, sondernmit Stempeln und Schablonen signiert worden, woge-gen grundsätzlich nichts einzuwenden ist. Denn dieseArbeiten sind unter Immendorffs künstlerischer Verant-wortung entstanden, dann von ihm autorisiert wordenund gelten somit als Originale. Da er sie thematisch undmotivisch konzipiert und in der Ausführung beaufsich-tigt hat, lag die Produktion vollständig unter seiner

402 HUBERTUS BUTIN

Kontrolle. Diese Praxis ist nicht ungewöhnlich, zumalviele erfolgreiche Künstler ihre Werke in großen Ateliersbisweilen von Assistenten produzieren ließen oder las-sen – man denke an Lucas Cranach, Peter Paul Rubensund Rembrandt van Rijn bis zu Andy Warhol, JeffKoons, Damien Hirst und Olafur Eliasson. Im Gegensatzzur zeitgenössischen Kunst wird bei Alten Meistern allerdings versucht, genau zu differenzieren, wie hochder eigenhändige Anteil des Künstlers an der Ausfüh-rung gewesen ist, indem etwa penibel zwischen alleineigenhändiger Produktion, Replik, Werkstattarbeit undKopie unterschieden wird. Bei Immendorff hat es denAnschein, als könne man die ganze Bandbreite dieserverschiedenen Kategorien antreffen inklusive tatsächli-cher Fälschungen, was das Ansehen des Künstlers mitt-lerweile nachhaltig beschädigt hat.

Takashi Murakami, der momentan erfolgreichsteKünstler Japans, entwirft seine Gemälde am Computerund überlässt die Ausführung vollständig einem um-fangreichen Mitarbeiterstab. Probleme wie bei Immen-

dorff gibt es hier nicht, denn neben der handschriftli-chen Signatur des Künstlers werden alle an der Produk-tion beteiligten Assistenten – mitunter bis zu zwanzigPersonen – auf der Rückseite der Bilder namentlich auf-geführt. Dies ist zweifellos eine ungewöhnliche Vorge-hensweise, aber für den Urheberschaftsnachweis letzt-endlich vorbildlich, da jede Unklarheit von vornhereinvermieden wird.

9. Das Authentizitätsversprechen des Fingerabdrucks

Abschließend sollen die beiden in Berlin lebenden Künst-ler Andreas Slominski und Jonathan Monk erwähnt wer-den, die sich beide der bereits bei Marcel Duchamp undPiero Manzoni erwähnten Form des Signierens mit einem Fingerabdruck zugewandt haben; eine Praxis, derauch Lucio Fontana Mitte des 20. Jahrhunderts nachge-gangen ist. Seit etwa Anfang der 1990er Jahre signiert

403DIE CRUX MIT DER SIGNATUR

Abb. 9Gerhard Richter: Kerze I(1988), Offsetdruck aufPapier, Privatsammlung

Abb. 8Marcel Broodthaers: La Signature (1969), Siebdruck auf Paus papier, Brüssel: Sammlung Herman und Nicole Daled