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Aus dem Inhalt: Perspektiven der Justiz- und Europapolitik für den Standort Brandenburg Prozessuale Probleme im Zusammenhang mit dem Zulassungsverfahren nach dem 6. VwGOÄndG Praxis der Bodensonderung Die Gebiets- und Strukturreform in Sachsen-Anhalt Referentenentwurf des BMJ zur Rechtsmittel- reform in Zivilsachen Aus dem Rechtsprechungsteil: BGH: Besitzrecht an Gebäuden/Grundstücken aus »hängendem Kaufvertrag« und Sachenrechts- bereinigung OLG Dresden: Zur Verfassungsmäßigkeit des BodensonderungsG BVerwG: Eigentumserwerb von Bodenreformland durch LPG VG Dresden: Verfassungswidrigkeit der ungleichen Beamtenbesoldung in den alten und in den neuen Bundesländern BAG: Wirksamkeit eines Verzichts auf Zusatzrente nach der AO 54 BSG: Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch wegen Verletzung der Hinweispflicht zur Renten- antragstellung 400 54. Jahrgang NOMOS Berlin Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung E 10934 N J Seiten 169-224 Neue Justiz

NJ 4 2000 Cover 2c - neue-justiz.nomos.de · NJ-Abonnentenservice: Die Volltexte der kommentierten und im Leitsatz abgedruckten Entscheidungen können Sie in der Redaktion unter Angabe

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Aus dem Inhalt:

Perspektiven der Justiz- und Europapolitik für den Standort Brandenburg

Prozessuale Probleme im Zusammenhang mitdem Zulassungsverfahren nach dem 6. VwGOÄndG

Praxis der Bodensonderung

Die Gebiets- und Strukturreform in Sachsen-Anhalt

Referentenentwurf des BMJ zur Rechtsmittel-reform in Zivilsachen

Aus dem Rechtsprechungsteil:– BGH: Besitzrecht an Gebäuden/Grundstücken

aus »hängendem Kaufvertrag« und Sachenrechts-bereinigung

– OLG Dresden: Zur Verfassungsmäßigkeit desBodensonderungsG

– BVerwG: Eigentumserwerb von Bodenreformlanddurch LPG

– VG Dresden: Verfassungswidrigkeit der ungleichenBeamtenbesoldung in den alten und in den neuenBundesländern

– BAG: Wirksamkeit eines Verzichts auf Zusatzrentenach der AO 54

– BSG: Sozialrechtlicher Herstellungsanspruchwegen Verletzung der Hinweispflicht zur Renten-antragstellung

40054. Jahrgang

NOMOS Berlin

Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung

E 10934

NJSeiten 169-224

Neue Justiz

RECHTSPRECHUNG

� 01 Verfassungsrecht

BVerfG: Nichtigkeit der HennenhaltungsVO (Kluge) . . . . . . . 192

BVerfG: Zum Auskunftsanspruch im verwaltungsgericht-lichen Verfahren (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

BVerfG: Verfassungswidrigkeit von § 13 BORA (Ls.) . . . . . . 193

VerfG Brandenburg: Verfassungsrechtliche Anforderungen an Zurück-weisung eines Antrags auf Zulassung der Berufungdurch OVG wegen unzureichender Darlegung der Zulassungsgründe (Walter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

VerfG Brandenburg: Kommunalverfassungsbeschwerde gegen Gesetz zur rechtlichen Stabilisierung der Wasserzweck-verbände (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

� 02 Bürgerliches Recht

BGH:Zustellung des Mahnbescheids und Unter-brechung der Verjährung (Fritsche). . . . . . . . . . . . . . 196

BGH:Fristsetzung zur Mängelbeseitigung mit eindeutiger Ablehnungsandrohung bei Werk-vertragsverhältnis (Winkler) . . . . . . . . . . . . . . . . 197

BGH:Zum Zurückbehaltungsrecht des Schuldners und Schadensersatz wegen Nichterfüllung eines Grundstückskaufvertrags (Ls.) . . . . . . . . . . . . . 198

BGH:Keine Anwendung des VermG bei in sog. Sicherungsverwaltung überführtes Privatgrund-stück/Aufwendungsersatz aus Geschäftsführung ohne Auftrag und Verjährung (Schmidt). . . . . . . . . 198

BGH:Kondiktionsanspruch bei gutgläubigem Grund-stückserwerb im Fall einer Verfügung durch Nichtberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

BGH:Haftungsklausel im Bürgschaftsvertrag und Verzugszinsen (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

BGH:Besitzrecht an Gebäuden/Grundstücken aus »hängendem Kaufvertrag« und Sachenrechts-bereinigung (Schramm). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

S. 192

S. 169AUFSÄTZE

I

Neue JustizZeitschrift für Rechtsetzungund Rechtsanwendung

54. Jahrgang, S. 169-224

NJ 4/00

REZENSIONEN

Detlef Burhoff: Handbuch für das strafrechtliche ErmittlungsverfahrenHandbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung

Von Heiko Artkämper

Matthias Jahn: »Konfliktverteidigung« und InquisitionsmaximeVon Uwe Scheffler

S. 191

INFORMATIONEN S. 182

KURZBEITRÄGE

Praxis der BodensonderungRoland Wötzel und Torsten Schwarze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

»Nichts als Großkreise, Zentralismus und Personalabbau?« –Die Gebiets- und Strukturreform in Sachsen-AnhaltAngela Kolb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

S. 178

Perspektiven der Justiz- und Europapolitikfür den Standort BrandenburgKurt Schelter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

Prozessuale Probleme im Zusammenhang mit dem Zulassungsverfahren nach dem 6. VwGOÄndGGerd Laudemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

Herausgeber:

Prof. Dr. Peter-Alexis AlbrechtUniversität Frankfurt a.M. Prof. Dr. Marianne Andrae Universität Potsdam Dr. Bernhard Dombek Rechtsanwalt und Notar, BerlinPräsident der BundesrechtsanwaltskammerDr. Uwe Ewald Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Rainer Faupel Staatssekretär a.D.Georg Herbert Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Ernst GottfriedMahrenholz Vizepräsident desBundesverfassungsgerichts a.D.Dr. Wolfgang Peller Berlin Prof. Dr. Martin Posch Rechtsanwalt, Jena Karin Schubert Ministerin der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt Prof. Dr. Jürgen Schwarze Universität Freiburg Prof. Dr. Horst Sendler Präsident des Bundesverwaltungsgerichts a.D.Dr. Dr. theol. h.c. Helmut SimonBundesverfassungsrichter i.R. Manfred Walther Rechtsanwalt, Berlin Dr. Friedrich Wolff Rechtsanwalt, Berlin

In d iesem Hef t …

DOKUMENTATION

Referentenentwurf des BMJ zur Rechtsmittelreform in Zivilsachen

S. 187

NJ-Abonnentenservice: Die Volltexte der kommentierten und im Leitsatz abgedruckten Entscheidungen können Sie inder Redaktion unter Angabe der Registrier-Nummer kostenlos bestellen. Fax (0 30) 4 42 53 14

II

Neue JustizZeitschrift für Rechtsetzungund Rechtsanwendung

54. Jahrgang, S. 169-224

NJ 4/00

Redaktion: Rechtsanwältin Adelhaid Brandt(Chefredakteurin)Barbara Andrä Dr. Ralf Poscher

Redaktionsanschrift:Anklamer Str. 32, 10115 BerlinTel.: (030) 4 42 78 72/-73Fax: (030) 4 42 53 14e-mail: [email protected]

Internetadresse:http://www.nomos.de/nomos/zeitschr/nj/nj.htm

Erscheinungsfolge: einmal monatlich

Bezugspreis: Jahresabonnement 189,– DM, inkl. MwSt., zzgl. Porto und Versand-kosten

Vorzugspreis: (gegen Nachweis) für Studenten jährl. 50,– DM,inkl. MwSt., zzgl. Porto und Versand-kosten

Einzelheft: 16,50 DM, inkl. MwSt., zzgl. Porto und VersandkostenBestellungen beim örtlichen Buch-handel oder direkt bei der NOMOSVerlagsgesellschaft Baden-Baden. Abbestellungen bis jeweils 30. September zum Jahresende.

Verlag, Druckerei, Anzeigenver-waltung und Anzeigenannahme: Nomos VerlagsgesellschaftWaldseestr. 3-5, 76530 Baden-Baden,Tel.: (0 72 21) 21 04-0Fax: (0 72 21) 21 04-27

Urheber- und Verlagsrechte:Die in dieser Zeitschrift veröffentlich-ten Beiträge sind urheberrechtlichgeschützt. Das gilt auch für die veröf-fentlichten Gerichtsentscheidungenund ihre Leitsätze; diese sind geschützt, soweit sie vom Einsender oder vonder Redaktion erarbeitet und redigiert worden sind. Kein Teil dieser Zeit-schrift darf ohne vorherige schriftlicheZustimmung des Verlags verwendetwerden. Das gilt insbesondere für Ver-vielfältigungen, Bearbeitungen, Über-setzungen, Mikroverfilmungen unddie Einspeicherung und Verarbeitungin elektronischen Systemen.ISSN 0028-3231

Redaktionsschluss: 20. März 2000

In d iesem Hef t …

BGH:Haftung für Schäden aus unsorgfältiger Verwah-rung der Dienstwaffe eines Polizeibeamten (Ls.) . . . 203BGH:Bodenreformflächen als LPG-Eigentum . . . . . . . . . . 203OLG Brandenburg:Zum Aufwendungsersatz für Erhaltungskosten des Verfügungsberechtigten nach dem VermG (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205BayObLG:Zur Nachlassspaltung bei in der ehem. DDR befindlichem Grundeigentum (Schreiber) . . . . . . . . 205OLG Dresden:Zur Auskunftspflicht bei Durchführung des Versorgungsausgleichs (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206OLG Dresden:Zur Verfassungsmäßigkeit des Bodensonde-rungsG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

� 03 Strafrecht

BGH:Zur Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts(Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208BGH:Anforderungen an das Vorliegen einer schutz-losen Lage iSd § 177 Abs. 1 3. Alt. StGB (Ls.). . . . 208BGH:Zur Beurteilung einer Unterbrechung der Verfol-gungsverjährung durch Bußgeldbescheid (Ls.) . . . 208BGH:Zu den Voraussetzungen einer Rechtsbeugung durch DDR-Staatsanwalt bei Anwendung des § 214 StGB/DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

� 04 Verwaltungsrecht

EuGH:Zugang zum Dienst mit der Waffe in der Bundeswehr auch für Frauen (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . 209BVerwG:Eigentumserwerb von Bodenreformland durch LPG (Krüger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209BVerwG:Zur Sachaufklärungspflicht bei umfassender Enteignung eines Flurstücks, das nur teilweise für Enteignungszweck benötigt wurde (Keßler) . . . 212BVerwG:Zur Vermögenszuordnung an Landkreise (Gruber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213BVerwG:Zulage für die Wahrnehmung einer höher-wertigen Funktion im Beitrittsgebiet (Ls.) . . . . . . . . 214OVG Weimar:Politische Bewertung einer nicht verbotenen Partei bei der Gefahrenprognose (Kniesel) . . . . . . . 214OVG Weimar:Untersagung der Verwendung von Trommeln bei der Versammlung einer politischen Partei (Kniesel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214OVG Weimar:Auflage an Veranstalter einer Versammlung bzgl.Verwendung von Fahnenstangen (Kniesel) . . . . . . 214OVG Weimar:Zur Gleichwertigkeit eines in der DDR an einer Militärhochschule erworbenen Bildungs-abschlusses (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

VG Potsdam:Anspruchsvoraussetzungen für Ausgleichs-leistungen nach dem BerRehaG (Ls.) . . . . . . . . . . . . 215VG Dresden:Verfassungswidrigkeit der ungleichen Beamten-besoldung in den alten und in den neuen Bundesländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

� 05 ArbeitsrechtBAG:Wirksamkeit eines Verzichts auf Zusatzrente nach der AO 54 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218BAG:Geltung der Grundsätze der Vergleichbarkeit von Teilzeit- und Vollzeitarbeitnehmern bei der Sozialauswahl auch im öffentlichen Dienst (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220BAG:Vorruhestand und Zusatzrente nach der AO 54 (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220LAG Halle:Zur Beamtenbesoldung im Beitrittsgebiet/Angestellter einer Körperschaft des öffentlichenRechts (Fassbender) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

� 06 SozialrechtBSG:Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch wegen Verletzung der Hinweispflicht zur Rentenantrag-stellung (Ulmer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222BSG:Zum für die Leistungsbemessungsgrenze maßgebenden Gebiet bei der Berechnung von Arbeitslosengeld (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223LSG Halle:Zum Anspruch auf Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute in der DDR (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223LSG Halle:Zur Überprüfung eines bereits vollzogenen unanfechtbaren Erstattungsbescheids nach § 44 SGB X (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

� 07 BerufsrechtBGH:Residenzpflicht des Rechtsanwalts am OLG. . . . . . 223BGH:Rechtsweg und Frist für sofortige Beschwerde in Notarverwaltungssachen (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . 224

Fundgrube 224

Termine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IIIAktuelle Buchumschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IIIZeitschriftenübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX

Beilagenhinweis: Dieser Ausgabe liegt ein Prospektder Nomos Verlagsgesellschaft bei. Wir bittenfreundlichst um Beachtung.

IIINeue Justiz 4/2000

TERMINEDie Evangelische Akademie Meissen veranstaltet in Zusammenarbeitmit dem Sächsischen Richterverein e.V. vom 14. bis 16. April 2000eine Tagung zu dem Thema

»Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat« –Erwartungen an Justizentscheidungen und ihre Akzeptanz.

Die Hoffnung auf Gerechtigkeit und die Praxis des Rechtsstaates sindin den neuen Bundesländern häufig als wenig übereinstimmend erlebtworden. Die Tagung will den Hintergründen dieser Erwartungen nach-gehen, die rechtlichen Grundlagen des »Rechtsstaates« beleuchten,die Akzeptanzprobleme richterlicher Entscheidungen zur Sprachebringen und Verständnis für den Wirkungsrahmen der Justiz bewirken.Folgende Referate sind vorgesehen:• Recht und Gerechtigkeit und ihre Verwirklichung (Prof. Dr. Knut

Amelung, Techn. Universität Dresden)• Recht als »Zeitwert« – die rechtliche Aufarbeitung von DDR-Recht

(VorsRiLG Martin Uebele, Bautzen)• Freiheit und soziale Sicherheit – wie beeinflussen sie unser Gerech-

tigkeitsempfinden und unsere Rechtsprechung? (Steffen Heitmann,Staatsminister der Justiz des Freistaates Sachsen)

• Justiz in den Mühen des Alltags – Akzeptanzprobleme in der Gesell-schaft (Klaus Budewig, Präs. des OLG Dresden/Wolfram Jena, Presse-sprecher im Sächsischen Staatsministerium der Justiz)

• Eigentum als dominierendes Rechtskriterium – Rückgabe vor Ent-schädigung – die Praxis (RA Dr. Roland Wötzel, Leipzig)

In parallel tagenden Arbeitsgruppen wird das Tagungsthema vertieft.Für den 16.4. ist eine Podiumsdiskussion vorgesehen.Tagungsort: Evangelische Akademie Meissen, Freiheit 16, 01662 MeissenTagungsbeitrag: 50 DM zzgl. Unterkunft und Verpflegung Anmeldung und weitere Informationen: Evangelische Akademie Meissen,Freiheit 16, 01662 Meissen. Tel.: (03521) 4706-0, Fax: (03521) 4706-99

*Der 26. Feministische Juristinnentag findet vom 12. bis 14. Mai 2000in Leipzig statt. Die Themen, die in Arbeitsgruppen und Foren unter dem Aspekt femi-nistischer Kritik diskutiert und zu denen ggf. Stellungnahmen erarbei-tet werden, befassen sich u.a. mit Frauenrechten und Globalisierung,feministischer Rechtstheorie, Frauenförderung in der freien Wirtschaftund Befriedungsmöglichkeiten nach dem Kosovo-Krieg. Aktuelle Informationen: unter http://www.uni-leipzig.de/˜femtagWeitere Auskünfte: Jeannine Baillien, Dölitzerstr. 30, 04277 Leipzig.Tel.: (0341) 3017563.

*Zu folgenden aktuellen Themen der offenen Vermögensfragen ver-anstalten die Vereinigung Leipziger Juristentage e.V. und derVerlag für die Rechts- und Anwaltspraxis am 26. Mai 2000 in Leip-zig ein Tagesseminar:• Die Gesetzgebungsvorhaben der 14. Legislaturperiode:

Vermögensrechtsergänzungsgesetz, 2. Vermögensrechtsergänzungs-gesetz, Immobilienrechtsbereinigungsgesetz, Ausblick (RD Dr. Her-mann-Josef Rodenbach, BMF)

• Die Entwicklung des Rechts zu Fragen der »Modrow-Käufe«:Vermögensrechtliche und sachenrechtliche Aspekte des Verkaufs-gesetzes v. 7.3.1990 (MR Gerhard Wittmer, FinMin Bbg.)

• Aktuelle Rechtsprobleme der vermögensrechtlichen Ansprüchevon NS-Verfolgten: Neuere Rechtsprechung und Verfahrenspraxis(RA Andreas Wilhelm, Pollath u. Partner, Berlin)

Veranstaltungsort: Renaissance-Hotel Leipzig, Querstr. 12Teilnahmegebühr: 690 DM Anmeldungen: Verlag für die Rechts- und Anwaltspraxis, Postfach101849. Fax: (02323) 141174

*Termine für die nächsten Sendungen der ZDF-Rechtsserie »Wie wür-den Sie entscheiden?« (jeweils 20.15 Uhr):• 18. April 2000 »Horror-Spiele«: Zur Strafbarkeit eines Erwachsenen,

der Horrorfilme an Kinder und Jugendliche ausleiht• 25. April 2000 »Tödliche Schüsse«: Umfang und Grenzen des

Notwehrrechts anhand des Falles eines Tankwarts, der einenRäuber erschießt, als dieser zum dritten Mal die Tankstelle über-fallen will

• 2. Mai 2000 »Drama im Kreißsaal«: Die Eltern eines Kindes, das beider Geburt eine Herpes-Infektion erleidet, verklagen die Hebammeauf Schadensersatz und Schmerzensgeld

AKTUELLE BUCHUMSCHAUHubert Rottleuthner (Hrsg.)Armer RechtsstaatBeiträge zur Jahrestagung der Vereinigung für Rechtssoziologie in Innsbruck 8.-9. Mai 1998Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2000262 S., brosch., 88,– DM. ISBN 3-7890-6470-XEinsparungen und Verstärkung von Effizienzgesichtspunkten in Justizund Sozialverwaltung drohen mit einem Abbau von rechtsstaatlichenPositionen der Betroffenen einherzugehen. Dies belegen die Beiträge anaussagekräftigen Beispielen aus verschiedenen Bereichen der staatli-chen Systeme. In diesem Band sind die Beiträge zu einer Tagung derVereinigung für Rechtssoziologie, die erstmals in Österreich stattfand,versammelt

Willi FahnenschmidtDDR-Funktionäre vor GerichtDie Strafverfahren wegen Amtsmißbrauch und Korruption im letzten Jahr der DDR und nach der VereinigungBerlin Verlag Arno Spitz, Berlin 2000369 S., kart., 79,– DM. ISBN 3-8305-0005-XDie Dissertation befasst sich mit den Strafverfahren gegen ehem. poli-tische Führungskräfte der DDR. Wegen »Amtsmissbrauch und Korrup-tion« wurde ein großer Teil der ehem. DDR-Prominenz angeklagt (u.a.E. Honecker, E. Mielke, G. Mittag, H. Tisch und A. Schalck-Golodkowski).Alle in diesem Zusammenhang geführten Verfahren werden aufgelistetund inhaltlich beschrieben. Der Autor untersucht auf dieser Grundlageunter Einbeziehung wissenschaftlicher Standpunkte die Strafbarkeitvon vermögensrelevanten Handlungen in einem nicht-rechtsstaatli-chen System. Ein erheblicher Teil der Arbeit widmet sich dabei den Ent-wicklungen in der Wendezeit selbst.

Winfried HassemerStrafen im RechtsstaatNomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2000308 S., geb., 124,– DM. ISBN 3-7890-6154-9Das Strafrecht gilt gemeinhin als Musterbeispiel von Repression undUnterdrückung. Die hier versammelten Arbeiten aus den Jahren 1982bis 1998 setzen sich mit dieser These auseinander und stellen ihr eineKonzeption des Strafrechts als Mittel, das Freiheit sichert, gegenüber.Der Verfasser ist seit 1996 Richter am Bundesverfassungsgericht.

Josef Essser/Eike SchmidtSchuldrecht Band I Allgemeiner TeilTeilband 2: Durchführungshindernisse und Vertragshaftung, Schadensausgleich und Mehrseitigkeit beim SchuldverhältnisEin LehrbuchC. F. Müller Verlag, 8., völlig neu bearb. Aufl., Heidelberg 2000373 S., geb., 98,– DM. ISBN 3-8114-9966-1Der Band komplettiert zusammen mit dem zeitgleich erschienenen2. Teilband des Besonderen Schuldrechts die 8. Auflage des Gesamt-werks. Die Darstellung wurde gründlich überarbeitet, Judikaturzitateund Literaturhinweise sind bis zum Stand Juli 1999 aktualisiert undausgeweitet. Schwerpunkte sind die Vertragshaftung und der Schadens-ausgleich. Hauptanliegen war es wiederum, sowohl Systemverständnisals auch konsistente juristische Problembearbeitung zu fördern. Durch-gehend sind ökonomische, soziale und ökologische Gesichtspunkte indie Rechtsbetrachtung einbezogen.

Josef Esser/Hans-Leo WeyersSchuldrecht Band II Besonderer TeilTeilband 2: Gesetzliche SchuldverhältnisseEin LehrbuchC. F. Müller Verlag, 8., völlig neu bearb. Aufl., Heidelberg 2000315 S., geb., 98,– DM. ISBN 3-8114-0699-XDie Darstellung wurde in allen Einzelheiten überarbeitet. Aufzuneh-men waren hauptsächlich Fortschritte und neue Tendenzen in Recht-sprechung und Lehre im vergangenen Jahrzehnt. Wie schon bei denVorauflagen ist es gleichermaßen Ziel des Lehrbuchs, auch in seinerproblemorientierten Darstellung vor allem den Blick auf Zusammen-hänge zu öffnen: zwischen historischen Entstehungsbedingungen,sozial-wirtschaftlichem Hintergrund und dem positiven Gehalt derNorm, zwischen Teleologie und Dogmatik, zwischen Methodenlehreund Einzelergebnis, und schließlich zwischen den verschiedenen Teil-systemen der Rechtsordnung und des Zivilrechts selbst.

Neue Justiz 4/2000IV

Horst Göppinger/Peter WaxUnterhaltsrechtGieseking Verlag, 7., völlig neu bearb. Aufl., Bielefeld 19991.373 S., geb., 268,– DM. ISBN 3-7694-0571-4Mit dem KindUG wurde zusammen mit den anderen familienrechtli-chen Reformgesetzen das Unterhaltsrecht tiefgreifend umgestaltet. Nacheinem Jahr Erfahrung mit dem neuen Recht, ersten Entscheidungen undVeröffentlichungen hierzu und der ohnehin umfangreichen Rechtspre-chung und Literatur seit Erscheinen der 6. Aufl. 1994 liegt nun eine völ-lig neu bearbeitete Auflage vor. Das Werk, bearbeitet von jetzt 12 Prakti-kern, ist auf dem Stand von April 1999 mit Nachträgen bis zum Juli 1999.Es wendet sich sowohl an Richter, Rechtspfleger, Rechtsanwälte/Fach-anwälte für Familienrecht, Notare, Sachbearbeiter in Jugend- und Sozial-ämtern wie auch an Wissenschaftler in Forschung und Lehre.

Frank PardeyBerechnung von PersonenschädenErmittlung des Erwerbs-, Haushaltsführungs- oder Unterhaltsschadens,auch bei Mithaftung oder ForderungsübergangC. F. Müller Verlag, Heidelberg 2000408 S., kart., 98,– DM. ISBN 3-8114-8798-1Der in der Reihe »Tips und Taktik« erschienene Band erleichtert denZugang zu wichtigen Fragen des Schadensausgleichs im Falle der Beein-trächtigung der Gesundheit, der Arbeitsfähigkeit, der Haushalts-führung und beim Ausfall von Unterhaltsleistungen in bar oder mitunentgeltlichen Arbeiten für die Familie. Zu all diesen Themen wird dieneue Rechtsprechung berücksichtigt. Zahlreiche Berechnungsmodelleund Arbeitshilfen veranschaulichen die Bewertungsgrundsätze. DerVerfasser grenzt die verschiedenen Schadensgruppen gegeneinander abund verdeutlicht Anspruchsberechtigungen. Berechnungsformeln,Checklisten und Muster sind dabei eine wertvolle Hilfe.

Reinhard ReckInsolvenzstraftaten und deren VermeidungVerlag für die Rechts- und Anwaltspraxis, Herne 1999203 S., kart., 68,– DM. ISBN 3-89655-014-4Die strafrechtlichen Auswirkungen des In-Kraft-Tretens der neuen InsOsind weitreichend, jedoch oftmals unbekannt. Der Autor veranschau-licht die Rechtsmaterie mittels zahlreicher Fallbeispiele. 37 Schaubil-der und Checklisten ermöglichen Anwälten, Steuerberatern, aber auchder Unternehmensleitung die Feststellung, ob bestimmte Insolvenz-handlungen den Bereich der Strafbarkeit berühren bzw. wie eineStrafbarkeit vermieden werden kann. Checklisten gibt es z.B. zur Zah-lungsunfähigkeit und drohenden Zahlungsunfähigkeit, zur Überschul-dung, zur Vermeidung der Beitragsvorenthaltung, zur Steuerhinterzie-hung, zum Lieferantenbetrug.

F. Holzwarth/H. Radtke/B. Hilger/G. BachmannBundes-Bodenschutzgesetz/Bundes-Bodenschutz- und AltlastenverordnungHandkommentarErich Schmidt Verlag, 2., neu bearb. u. erw. Aufl., Berlin 2000448 S., kart., 89,– DM. ISBN 3-503-05823-0Der Kommentar wurde um eine detaillierte Erläuterung der BBodSchVerweitert und die Bezüge zwischen Gesetz und Rechtsverordnung auf-gezeigt. Auch die Kommentierung des Gesetzes wurde überarbeitetund anhand der seit der 1. Auflage veröffentlichten Rechtsprechungund Literatur ergänzt. Schwerpunkte sind u.a. die Auswirkungen derneuen Rechtslage auf die Ermittlung, Analyse und Bewertung von Kon-taminationen, der Inhalt von Sanierungspflichten, die Reichweite derdurch das BBodSchG neu geschaffenen Sanierungspflichten bei derErbfolge sowie die Verschmelzung und Spaltung von Unternehmen .

Helmut FouquetDie Sanierungsverantwortlichkeit nach dem Bundes-BodenschutzgesetzC. F. Müller Verlag, Heidelberg 2000129 S., kart., 78,– DM. ISBN 3-8114-9968-8Der Band wendet sich dem besonderen Problemkreis der Sanierungs-verantwortlichkeit zu. Er setzt sich eingehend mit den schon bisherentwickelten Standpunkten der Rechtsprechung und des juristischenSchrifttums auseinander und versucht, überzeugende Lösungen derStreitstände zu entwickeln. Auf diese Weise zeigt sich, dass die Finan-zierung der Altlastensanierung vielfach nicht einzelnen Verantwort-lichen auferlegt werden kann, sondern als Last der Allgemeinheitverbleibt. Der Autor vertieft damit einen speziellen rechtlichen Fra-genkreis der Altlastensanierung.

B. Dammert/P. Kober/H. Rehak/F.-P. WiethDie neue Sächsische BauordnungHandkommentarVerlagsgruppe Jehle-Rehm, München 1999512 S., kart., 84,– DM. ISBN 3-8073-1485-7Der Kommentar macht die neuen bauordnungsrechtlichen Vorschrif-ten aus der Sicht der Praxis transparent und berücksichtigt die jüngsteRechtsprechung. Die Vorschriften werden paragraphenweise erläu-tert, wobei den Erläuterungen jeweils eine Inhaltsübersicht sowieeine Kurzübersicht über die Änderungen des jeweiligen Paragraphenvorangestellt ist. Randnummern machen die Erläuterungen auchüber das Stichwortverzeichnis direkt zugänglich.

Kajo ReutlingerMord ohne SühneUngeklärte KriminalfälleVerlag Das Neue Berlin, Berlin 2000192 S., brosch., 19,90,– DM. ISBN 3-360-00925-8Aus seiner langjährigen Arbeit als Polizeireporter beschäftigen denAutor die bis heute ungeklärten Kriminalfälle. Er zeigt die schwieri-gen Wege der Ermittlungsarbeit durch die Polizei, die mühselige Spuren-suche und auch die Irrpfade, die manche Spur aufzeigt. Im Hinter-grund steht vor allem die Nachkriegszeit, der besondere Status vonBerlin mit seinen verschiedenen Sektoren und die Irrationalität vonMotiven, die Menschen dazu bringen, Verbrechen zu begehen.

Klaus Lüderssen (Hrsg.)»Die wahre Liberalität ist Anerkennung«Goethe und die JurisprudenzNomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2000372 S., geb., 79,– DM. ISBN 3-7890-6314-2Nicht zuletzt Goethes »Amtliche Schriften« geben einen Begriff davon,dass aus seiner sich wechselseitig durchdringenden literarischen undpolitisch-verwaltenden Tätigkeit Annäherungen an das Recht her-vorgehen, wie sie eigentlich erst in unserer Zeit reflektiert werden.Der Band versammelt teils ältere, teils neu geschriebene Aufsätzezum Thema »Goethe und die Jurisprudenz«

Weitere Neuerscheinungen:

Landesrecht BrandenburgHrsg. von A. von Brünneck. Nomos Verlagsgesellschaft, 6. Aufl., Stand:1.1.2000, Baden-Baden 2000. ca. 1.600 S., brosch., 34,– DM. ISBN 3-7890-6603-6.

Landesrecht SachsenHrsg. von P. Musall/Ch. Schifferdecker. Nomos Verlagsgesellschaft,7. Aufl., Stand: 1.1.2000, Baden-Baden 2000. 1.518 S., brosch., 34,– DM.ISBN 3-7890-6583-8.

Landesrecht Sachsen-AnhaltHrsg. von M. Kilian/J. Oehlerking. Nomos Verlagsgesellschaft, 6. Aufl.,Stand: 1.2.2000, Baden-Baden 2000. ca. 1.600 S. brosch., 34,– DM. ISBN 3-7890-6604-4.

Landesrecht ThüringenHrsg. von H. W. S. Dette/H.-J. Gehrke. Nomos Verlagsgesellschaft,7. Aufl., Stand: 1.1.2000, Baden-Baden 2000. 1.466 S., brosch., 34,– DM.ISBN 3-7890-6587-0.

SchuldrechtAllgemeiner Teil. Von Jörn Eckert. Nomos Verlagsgesellschaft, 2. Aufl.,Baden-Baden 2000. 330 S., brosch., 44,– DM. ISBN 3-7890-6353-3.

Strafrecht Besonderer Teil IStraftaten gegen Persönlichkeitsrechte, Staat und Gesellschaft. Von UrsKindhäuser. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2000. 425 S.,brosch., 38,– DM. ISBN 3-7890-6241-3.

Sächsische Bauordnung mit ergänzenden VorschriftenTextausgabe mit Einführung. Von Frank-Peter Wieth. VerlagsgruppeJehle-Rehm, 7. Aufl., München 2000. 296 S., geb., 36,80 DM. ISBN 3-8073-1429-6.

(ausführliche Rezensionen bleiben vorbehalten)

Chefredakteurin:Rechtsanwältin Adelhaid BrandtAnschrift der Redaktion:Anklamer Straße 32 • 10115 Berlin • Tel. (030) 4427872/73 • Fax (030) 4425314 • e-mail: [email protected]

Neue JustizZeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung

Neue JustizZeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung

169Neue Justiz 4/2000

In einem, im Folgenden gekürzt wiedergegebenen, Vortrag vor der PotsdamerJuristischen Gesellschaft am 23.2.2000 hat der brandenburgische Ministerder Justiz und für Europaangelegenheiten für eine »europafähige« Branden-burger Justiz plädiert und die damit einhergehenden Schwerpunktaufgabendargelegt.

I. Binnenreform der Justiz

Justizpolitik und Europapolitik haben in Brandenburg, gerade inBrandenburg, mehr miteinander zu tun, als deutsche Juristen erwar-ten mögen. Denn unsere Landesverfassung enthält grundlegendeAussagen zu beiden Politikbereichen: • Nach Art. 52 Abs. 4 hat »Jeder … Anspruch auf ein faires und zügi-

ges Verfahren (…).«• Die Präambel unserer Landesverfassung spricht von der Entschlos-

senheit der Bürgerinnen und Bürger, »das Bundesland Brandenburgals lebendiges Glied der Bundesrepublik Deutschland in einem sicheinigenden Europa und in der einen Welt zu gestalten«.

• Art. 2 Abs. 1 der Landesverfassung definiert Brandenburg schließlichals ein »Land, welches die Zusammenarbeit mit anderen Völkern,insbesondere mit dem polnischen Nachbarn, anstrebt«.

Dieser Verfassungstext gibt uns eine wichtige Wegweisung, wie derStandort Brandenburg ausgestattet werden muss, und ist auch einewichtige Orientierung für die Ausrichtung der praktischen Politik,wie sie im Interesse des Landes und zum Wohl seiner Bürger von denPolitikern verlangt wird:

Zügige Verfahren, wie sie die Landesverfassung vorschreibt, setzeneine angemessene Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaftendes Landes voraus. Ich kenne die personellen Schwierigkeiten, mitdenen vor allem die Verwaltungsgerichtsbarkeit, aber auch die ordent-liche Gerichtsbarkeit, in unserem Land zu kämpfen haben. Wer isteigentlich der Anwalt der Dritten Gewalt, wenn nicht der Justizminis-ter? Und deshalb werde ich mich dafür einsetzen, dass unsere Staats-

anwaltschaften und Gerichte im kommenden Doppelhaushalt eineStellenausstattung erhalten, die uns in den Stand setzt, wenigstens denTrend umzukehren.

Aber nicht nur die personelle Ausstattung, auch die Unterbringungder Gerichte und Staatsanwaltschaften darf nicht den Status unter-schreiten, den die Dritte Gewalt für sich in Anspruch nehmen muss.Wer sich darüber beklagt, dass es um den Rechtsfrieden in unseremLand nicht zum Besten bestellt ist, dass manche Bürger die Autoritätgerichtlicher Entscheidungen nur widerwillig anerkennen, der sollteeinmal daran denken, dass Urteile noch zu oft in Gerichtssälen ver-kündet werden, die schlicht und einfach schäbig sind.

Am 21.2.2000 habe ich den Neubau des AG Cottbus eingeweiht.Für das AG Potsdam, sechs weitere Amtsgerichte, das LG Neuruppinsowie die dortige Staatsanwaltschaft laufen zur Zeit Baumaßnahmenmit geschätzten Gesamtkosten von ca. 115 Mio. DM.

Im Zeitalter moderner Telekommunikation dürfen wir die Justizauch nicht auf Arbeitsmittel verweisen, die längst nicht mehr demStand der Technik entsprechen. Im Gegenteil: Sie muss vor allem dort,wo Bürger und Wirtschaft auf die Arbeit der Justiz angewiesen sind, ander Spitze des technischen Fortschritts stehen. Deshalb wollen wir mitdem elektronischen Grundbuch und – auf mittlere Sicht – auch derelektronischen Ausgestaltung z.B. der Handelsregister, eine technischeStruktur schaffen, mit der wir die praktische Arbeit der Justiz erleich-tern und Bürgern und Unternehmern einen raschen Zugang, also ambesten online, bieten können.

Die Brandenburger Justiz muss also in Zukunft noch bürgerfreund-licher werden. In den neuen Ländern sind die Bürgernähe der Justiz,der ungehinderte Zugang zu ihr und die Verständlichkeit undNachvollziehbarkeit ihrer Entscheidungen noch viel wichtiger als inden alten Ländern. Hier wurde das Wort geprägt, dass die MenschenGerechtigkeit erwartet, aber (nur) den Rechtsstaat bekommen hätten.Ein böses Wort! Und nicht nur deshalb stehen die Gesetzgeber und dieJustiz Tag für Tag vor der Herausforderung zu beweisen, dass dieser Satzschlicht und einfach falsch ist.

Perspektiven der Justiz- und Europapolitik für den Standort BrandenburgProf. Dr. Kurt Schelter, Minister der Justiz und für Europaangelegenheiten des Landes Brandenburg

40054. Jahrgang • Seiten 169-224

Neue Justiz 4/2000170

Eine drastische Verkürzung der Verfahrensdauer ist ein unverzicht-barer positiver Standortfaktor für unser Land und zugleich ein wich-tiger Beitrag zur Bürgernähe unserer Justiz.

Ohne die Verdienste meines Vorgängers im Amt beim Aufbau derBrandenburger Justiz schmälern zu wollen, ist die Ausgangslage derJustiz als in vielen Bereichen notleidend, ja dramatisch anzusehen.

Ich greife nur einige Beispiele heraus: Die Rückstände in der Ver-waltungsgerichtsbarkeit liegen jetzt bei nahezu 25.000 Verfahren. Diedurchschnittliche Verfahrensdauer liegt bei 20 Monaten, bei einemebenfalls unbefriedigenden Bundesdurchschnitt von 16 Monaten.Auch mit dem Urteil in Händen muss die obsiegende Partei wegen derÜberlastung der Gerichtsvollzieher bei der Ausführung von Voll-streckungsaufträgen mit bis zu einem Jahr rechnen, und die Tendenzist steigend: gab es im Jahr 1998 noch 33.000 Aufträge bei denGerichtsvollziehern, so sind sie im vergangenen Jahr auf 65.000angestiegen, haben sich also fast verdoppelt..

Während die Justiz für den Doppelhaushalt 2000/2001 mit Ein-sparungen von rund 50 Mio. DM im Bereich von Bauausgaben und3,6 Mio. DM im Bereich der Sachkosten zur Haushaltskonsolidierungbeitragen kann, werde ich dafür kämpfen, dass die Personalausgabennicht gekürzt und in den Bereichen Grundbuchämter, Gerichtvoll-zieher und Verwaltungsgerichtsbarkeit – zumindest vorübergehend –aufgestockt werden. »Sparen und investieren« heißt die Devise. Allesandere schadet dem Standort Brandenburg.

Wir haben eine Reihe von organisatorischen Maßnahmen ergriffen,mit denen die Binnenreform der Justiz weitergeführt werden soll.Hierzu gehören z.B. der Ausbau von Servicegeschäftsstellen, der bes-sere Zugang zu Rechtsantragstellen und vieles andere mehr.

Zur Bürgernähe der Justiz gehört es auch, die Bürgerinnen und Bür-ger aktiv an der Rechtsprechung und Streitschlichtung zu beteiligen,wie dies schon heute über viele Hundert Schöffen und Schiedsleute imLand geschieht. Das Land wird die neuen Möglichkeiten ausschöpfen,die das Bundesrecht für die außergerichtliche Streitbeilegung schafft.Ich werde dabei auch und in erster Linie auf das ehrenamtliche Enga-gement der bewährten Schiedsfrauen und Schiedsmänner im Land set-zen. Deshalb werde ich dem Kabinett einen Gesetzentwurf vorlegen,dessen Eckpunkte bei der Anhörung Ende des vergangenen Monats imRechtsausschuss des Landtages auf ein positives Echo gestoßen sind.Der Entwurf sieht vor, dass der sachliche Anwendungsbereich beivermögensrechtlichen Streitigkeiten zunächst auf eine Wertgrenzevon 1.200 DM begrenzt werden soll. In räumlicher Hinsicht soll dasobligatorische Güteverfahren zur Vermeidung überlanger Anfahrts-wege auf Fälle beschränkt bleiben, in denen beide Parteien in einemLandgerichtsbezirk wohnen oder ihren Sitz haben. Ähnliches ist auch imstrafrechtlichen Bereich, z.B. für den Täter-Opfer-Ausgleich, denkbar.

II. Europapolitische Aufgaben

Ein Bereich, in dem nach meinem Eindruck die Brandenburger Justiz– kaum anders als in den westlichen Ländern – besonderen Fort-bildungsbedarf hat, ist das Europarecht. Wir müssen uns zuallererstdarüber klar werden, in welch hohem Maß das Europarecht inzwi-schen unser tägliches Leben prägt und Entscheidungen bestimmt, dieJuristen tagtäglich treffen müssen.

Sind wir uns wirklich darüber im Klaren, dass zwischen 60 und 80%des Normbestandes im deutschen Recht inzwischen europarechtlichbeeinflusst sind? Wer von uns weiß, dass das Reisevertragsrecht der§§ 651a-651 l BGB maßgeblich durch eine Richtlinie der EuropäischenGemeinschaft bestimmt ist? Und es wird nicht mehr lange dauern, bisauch vor den brandenburgischen Gerichten Rechtsstreitigkeiten ausVerträgen geführt werden, die über das Internet zwischen Beteiligtenaus verschiedenen Staaten über den Kauf von Waren oder Dienst-leistungen geschlossen wurden.

Die Europapolitik in Brandenburg muss sich auf drei Bereichekonzentrieren: • Europa kann nur als ein Europa der Bürger bestehen. Wir müssen

uns selbst und den Bürgern immer wieder klar machen, wo Branden-burg heute ohne Europa stünde.

• Wir müssen die Stellung Brandenburgs in Europa stärken. • Und wir werden dazu beitragen, dass die Stimme Brandenburgs in

der dynamischen Entwicklung aller Politikbereiche, vor allem derRechts- und Innenpolitik, auf europäischer Ebene noch kräftigerund deutlicher wird.

Ein Europa der Bürger setzt voraus, dass die Bürger ein realitäts-gerechtes Bewusstsein davon haben, was Europa für sie ganz konkretbedeutet. Dieses Verständnis ist selbstverständlich kein besonderesProblem der Brandenburger Justiz, sondern aller Brandenburger.Wir alle machen uns viel zu wenig bewusst, wo wir heute ohne Europastehen würden.

Ein Europa der Bürger braucht selbstbewusste, weltoffene Bürger.Europa braucht Bürger, die sich zu ihrem Vaterland bekennen und sichals Europäer fühlen. Ein gemeinsames Europa verträgt sich aber nichtmit nationaler Überheblichkeit, mit Fremdenfeindlichkeit oder garmit Rassismus. Deshalb hat die Europäische Union neue Zuständig-keiten zur Verhütung und Bekämpfung von Rassismus und Fremden-feindlichkeit durch den Vertrag von Amsterdam erhalten (Art. 29 EUV).Im Zusammenhang damit steht Art. 13 des EG-Vertrages, der es derGemeinschaft erlaubt, »geeignete Vorkehrungen zu treffen, um Dis-kriminierungen (u.a.) aus Gründen der Rasse und der ethnischenHerkunft zu bekämpfen«.

Brandenburg hat sich in einem sehr schmerzhaften Prozess mit denErscheinungsformen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aus-einandergesetzt und unter dem Titel »Tolerantes Brandenburg« einbreit gefächertes Handlungskonzept gegen Gewalt, Rechtsextremis-mus und Fremdenfeindlichkeit ins Werk gesetzt. Im Rahmen diesesKonzepts spielt das Aktionsbündnis der Behörden und der wichtigstengesellschaftlichen Gruppen des Landes eine wichtige Rolle.

Die Stellung Brandenburgs in Europa zu verbessern heißt vor allem,dass wir das Verbindungsbüro des Landes bei der Europäischen Unionin Brüssel personell aufstocken müssen. Wir wollen dabei sein, wenndie Entwürfe von Verordnungen und Richtlinien der EuropäischenUnion anstehen.

Brandenburg wird seine Stimme vor allem in der weiteren Entwick-lung der europäischen Rechts- und Innenpolitik deutlich zu Gehörbringen. Eine wirklich effektive Zusammenarbeit im Rechtswesen setzteuropäische Regelungen voraus. Der Amsterdamer Vertrag und derEuropäische Rat in Tampere haben auf diesem Feld – über den Vertragvon Maastricht hinaus – wichtige neue Akzente gesetzt und neuerechtliche Möglichkeiten geschaffen, die jetzt von der Union und denMitgliedstaaten ausgefüllt werden müssen.

Titel IV des Unionsvertrages, der sich mit der polizeilichen undjustitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen befasst, ist vollständigüberarbeitet worden. Nach Art. 29 EUV verfolgt die Union jetzt »dasZiel, den Bürgern in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und desRechts ein hohes Maß an Sicherheit zu bieten«.

Art. 30 EUV gibt nun weitreichende Möglichkeiten für die polizei-liche Zusammenarbeit. Der Rat soll die Zusammenarbeit durch Europolfördern und es Europol innerhalb von fünf Jahren u.a. ermöglichen,

»die Vorbereitung spezifischer Ermittlungsmaßnahmen der zuständigenBehörden der Mitgliedstaaten, einschließlich operativer Aktionen gemein-samer Teams mit Vertretern von Europol in unterstützender Funktion,zu erleichtern und zu unterstützen und die Koordinierung und Durch-führung solcher Ermittlungsmaßnahmen zu fördern.«

Sie wissen, dass die Bereiche Visa, Asyl, Einwanderung und anderePolitiken, die sich auf den freien Personenverkehr beziehen, als neuerTitel 4 in die erste Säule und in den Vertrag über die EuropäischeGemeinschaft übergeführt worden sind. Die volle Vergemeinschaf-

Aufsätze Schel ter, Perspekt iven der Just iz - und Europapol i t ik für den Standort Brandenburg

171Neue Justiz 4/2000

tung wird nach einer »Probezeit« von fünf Jahren in Kraft treten.Während dieser Zeit gelten eine Reihe von Beschränkungen im Ver-gleich zu den üblichen Gemeinschaftsverfahren, z.B. Einstimmigkeitvon Ratsentscheidungen und begrenzte Zuständigkeit des EuGH.

In der dritten Säule sind neue Instrumente für die Zusammenarbeitgeschaffen worden. Nach Art. 34 des Unionsvertrages kann der Ratnunmehr sog. Rahmenbeschlüsse fassen, die die Mitgliedstaaten hin-sichtlich des zu erreichenden Ziels binden, ihnen jedoch die Wahl derForm und der Mittel überlassen und nicht unmittelbar wirksam sind.

III. Umsetzung der Beschlüsse des Europäischen Rates von Tampere

Im Herbst 1999 hat sich der Europäische Rat bei einem Sondertreffenin Tampere in Finnland erstmalig schwerpunktmäßig mit der Zusam-menarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, mit der Schaffungeines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts befasst, wieer in Art. 29 des Unionsvertrages vorgesehen ist. Die Ergebnisse desGipfels haben sehr gemischte Reaktionen in den Mitgliedstaaten her-vorgerufen. Ich gestehe freimütig, dass aus meiner Sicht die negativenPunkte den zweifellos auch erreichten Fortschritt überwiegen. Aberwir müssen das Beste aus dem machen, was erreicht worden ist. Hierzuzählen die Vereinbarungen über einen besseren Zugang zum Recht inder Europäischen Union: Die gegenseitige Anerkennung gerichtlicherEntscheidungen, eine größere Annäherung im Zivilrecht und spezielleMaßnahmen gegen die Geldwäsche.

Das wichtigste Ergebnis ist die späte Einsicht, dass die justitielleZusammenarbeit der Union der polizeilichen Zusammenarbeit hin-terherhinkt. Als eine konkrete Maßnahme, um diesen Rückstandaufzuholen, hat der Europäische Rat zur Verstärkung der Bekämpfung derschweren Organisierten Kriminalität vereinbart, EUROJUST einzurichten,eine Stelle, in der von den einzelnen Mitgliedstaaten nach Maßgabeihrer Rechtsordnungen Staatsanwälte, Richter oder Polizeibeamte mitgleichwertigen Befugnissen zusammengeschlossen sein sollen.

Ich weiß mich mit dem Generalstaatsanwalt unseres Landes darineinig, dass es eine wichtige Aufgabe sein wird, die BrandenburgerStaatsanwaltschaften europafähig zu machen, und dass EUROJUSTbei der Verbesserung des Rechtshilfeverkehrs in Europa eine wichtigeRolle spielen wird. Wir werden versuchen, dafür im Haushalt2000/2001 auch eine Stelle zu verankern.

Der Europäische Rat von Tampere hat sich für ein gemeinsameseuropäisches Asylsystem ausgesprochen. Die Schaffung gemeinsamerStandards für ein gerechtes und wirksames Asylverfahren und fürgemeinsame Mindestbedingungen für die Aufnahme von Asylbewer-bern unter voller Einbeziehung der Genfer Flüchtlingskonventionsind zu begrüßen. Völlig unzureichend ist aber das Ergebnis der Bera-tungen über die Flüchtlingspolitik.

Ein Beispiel: Regelungen für den vorübergehenden Schutz vonFlüchtlingen sind erst dann zu verantworten, wenn es endlich gelun-gen sein sollte, eine gerechte Lastenteilung bei der Aufnahme vonFlüchtlingen zu vereinbaren. Die Mitgliedstaaten an der Ostgrenze derUnion, Deutschland, Österreich und Italien haben bei weitem diehöchste Anzahl von Flüchtlingen aus Süd-Ost-Europa aufgenommen.Die Schlussfolgerungen der Präsidentschaft enthalten nur einen kur-zen Hinweis auf die Auffassung des Rates, »dass geprüft werden sollte,ob nicht bei einem massiven Strom von Flüchtlingen zwecks vorüber-gehender Schutzgewährung eine Form von Finanzreserve bereitgestelltwerden könnte«. Das ist ein Dokument des nationalen Egoismus!

Die Weigerung, über eine wirklich effektive Form der Lastenverteilungim Sinne von Flüchtlingsquoten auch neu zu diskutieren, zeigt einenernsthaften Mangel an Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten, derDeutschland besonders trifft. Denn jede Form einer solchen Finanz-reserve führt für Deutschland zu einer doppelten Zahlungspflicht: Wir

würden auch weiterhin die größte Zahl von Flüchtlingen zu beherbergenhaben und würden zugleich den größten Anteil eines Flüchtlingsfondsfinanzieren müssen. Dies liegt weder im Interesse Deutschlands nochim Interesse der Flüchtlinge, die bei uns Schutz suchen. Die größte Herausforderung, die vor uns liegt, ist die anstehendeErweiterung der Europäischen Union. Gerade für unser an der bisherigenOstgrenze der Union gelegenes Land handelt es sich dabei um eineFrage von herausragender Bedeutung.

Wir unterstützen den Erweiterungsprozess. Deshalb begrüße ich dieEntscheidung von Helsinki, Beitrittsverhandlungen auch mit der zwei-ten Gruppe von Beitrittskandidaten im nächsten Jahr aufzunehmen.Das scheint mir gerade in Bezug auf die baltischen Staaten und dieLänder, die unmittelbar an die Europäische Union angrenzen, ver-nünftig. Dies macht es auch einfacher, die Aufmerksamkeit auf die ent-scheidende Frage zu lenken: Erfüllt ein Beitrittskandidat die Kriterien,die der Europäische Rat in Kopenhagen als Voraussetzung für einenBeitritt bestimmt hat?

Der letzte Fortschrittsbericht der Kommission zeigt ein differen-ziertes Bild: Während einige Beitrittskandidaten wie die SlowakeiRückstände aufgeholt haben, stellt die Europäische Kommission fest,dass andere Kandidaten, wie Polen oder die Tschechische Republik, inihren Anstrengungen, den acquis communautaire in ihre Rechts-systeme zu übernehmen, nachgelassen haben. Der Bericht zeigt, dassauch in Polen weitere Anstrengungen notwendig sind, um vor allemdie Leistungsfähigkeit der Strafverfolgungsbehörden einschließlichder Polizei und Grenzschutzdienststellen weiter zu verbessern.

Dieser Fortschrittsbericht der Kommission ist eine Herausforderungnicht nur für die Beitrittskandidaten, sondern auch für die Mitgliedstaa-ten und in Deutschland auch für die Länder. Brandenburg ist stolz aufseine besondere Verbindung zu Polen, die auch Eingang in die branden-burgische Landesverfassung gefunden hat, und hat sich auch deshalbstets für den zügigen Beitritt Polens in die Europäische Union eingesetzt.

Gerade wir müssen uns deshalb fragen: Wie können wir unsereAnstrengungen verstärken, Polen dabei zu helfen, die Beitrittskriterienzu erfüllen? Müssen wir noch mehr von unseren ohnehin begrenztenpersonellen Ressourcen den polnischen Nachbarn zur Verfügungstellen, um insbesondere bei der Weiterbildung der Bediensteten derpolnischen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden zu helfen?

Die brandenburgische Justiz leistet hier bereits jetzt vorbildlicheBeiträge. So arbeiten die Staatsanwaltschaften Polens und Branden-burgs – zusammen mit denen Berlins und anderer an Polen angren-zender Bundesländer – bei der Bekämpfung der grenzüberschreitendenOrganisierten Kriminalität eng zusammen. Das Justizministeriumfördert im Rahmen seiner Möglichkeiten die wechselseitigen Kontakteund unterstützt in diesem Zusammenhang auch den Gedanken einesAustauschs von deutschen und polnischen Staatsanwälten.

Im Lauf der vergangenen Jahre haben sich Gerichtspartnerschaftenzwischen Brandenburger Gerichten und Partnergerichten in Polen,bspw. zwischen dem Brandenburgischen OLG und dem für Verwal-tungs- und Steuersachen zuständigen polnischen Hauptverwaltungs-gericht entwickelt.

*Während sich die Europäische Union auf die Erweiterung vorbereitet,muss sie zugleich die europäische Integration vertiefen durch eineÜberarbeitung des geltenden Vertragsrahmens. Eine tiefgreifendeinstitutionelle Reform ist notwendig, um die Union auf eine Mitglieds-zahl von 20 oder mehr vorzubereiten.

Die Erweiterung der Europäischen Union nach Osten, die Mitglied-schaft weiterer Kernstaaten Europas, liegt in der Logik der Geschichte.Es gibt dazu keine Alternative. Aber wir dürfen dieses Projekt nicht alseinen diplomatischen Vorgang abtun. Wir müssen die Sorgen derBürger ernst nehmen und unseren Nachbarn helfen auf dem Weg indie Europäische Union.

Sche l ter, Perspekt iven der Just iz - und Europapol i t ik für den Standort Brandenburg

Neue Justiz 4/2000172

Der Autor informiert im Anschluss an die in NJ 1999, 6 ff., erschieneneDarstellung über prozessuale Fragen, die in der obergerichtlichen Praxis imRahmen des mit dem 6. VwGOÄndG v. 1.11.1996 eingeführten Zulas-sungsverfahrens aufgetreten sind. Er will in erster Linie eine Orientierungs-hilfe für die Praxis geben. Berücksichtigt wurde im Wesentlichen bis zum31.12.1999 veröffentlichte Rechtsprechung.

Vorbemerkung

Nach ca. dreijähriger Rechtsprechung der OVG seit In-Kraft-Treten des6. VwGOÄndG hat sich das Zulassungsrecht als eine erhebliche Hürdefür den Zugang zu den Rechtsmittelverfahren dieser Gerichte erwie-sen. Eine Zulassungsquote von mehr als 30% der Anträge wird nur beieher wenigen OVG erreicht, z.T. bestehen Quoten von unter 10%.Dabei darf allerdings nicht aus dem Blick geraten, dass insbesondereim vorläufigen Rechtsschutzverfahren der Zulassungsgrund der ernst-lichen Zweifel einen breiten Raum einnimmt und dessen Verneinungvielfach einem zurückweisenden Beschwerdebeschluss nach altemRecht nahe kommt. In den Zulassungsquoten findet auch der Um-stand seinen sichtbaren Niederschlag, dass die Rechtsmittelverfahrenüberwiegend keinen Erfolg haben. Es ist hier aber nicht der Raum füreine nähere Betrachtung der Ursachen dieser Entwicklung, die man-che auch in zu strenger formaler Handhabung des Zulassungsrechtsdurch die Gerichte, andere in der ungenügenden Bewältigung desZulassungsrechts durch die Rechtsmittelführer sehen werden; jederhiermit angesprochene Teil der Rechtspflege dürfte Anlass zur Selbst-prüfung haben.

Die Rückkehr zum Rechtsmittelrecht alter Art lediglich in Teilberei-chen, wie sie dem Deutschen Anwaltverein (DAV) für das vorläufigeRechtsschutzverfahren vorschwebt, erscheint aus rechtssystema-tischen Gründen und wegen der Gefahr der Entwicklung einesBerufungsersatzverfahrens nicht angängig, rechtspolitisch mit Blickauf die ablehnende Haltung der 70. Konferenz der Justizministerinnenund -minister gegen solche grundlegenden Änderungsvorschläge zzt.auch nicht durchsetzbar. Eine eigene Zulassungskompetenz des VG isthingegen erwägenswert, wobei zur Vermeidung der Bindung weitererArbeitskraft dort diese Kompetenz entgegen den Vorstellungen desDAV nur zugleich mit der Sachentscheidung und nicht mit einem sichanschließenden zusätzlichen Zulassungsverfahren zu verknüpfenwäre. Dies müsste dann allerdings zu einem Überdenken der für dasVG maßgeblichen Zulassungsgründe und zu einer Harmonisierungmit dem obergerichtlichen Zulassungsverfahren führen. Den Wün-schen des DAV nach Verlängerung von Begründungsfristen solltehingegen in der Hoffnung auf positive Auswirkungen bei der Bewäl-tigung des Zulassungsrechts insbesondere bzgl. der Hauptverfahrennichts im Wege stehen.

I. Einlegung des Zulassungsantrags

Für den Zulassungsantrag ist als bestimmendem Schriftsatz dieSchriftform verbindlich, wobei die Entwicklung der Lebensverhältnis-se Berücksichtigung gefunden hat und die Rechtsmitteleinlegung perFax, dem ein handschriftlich unterschriebenes Original zugrunde lag,zulässig ist.1 Nach der Rechtsprechung des BVerwG gilt dies auch fürdie Btx-Mitteilung mit maschineller Unterschrift.2 Dies will der BGH

wegen der lediglich maschinellen Unterschrift aber nicht gelten lassen(zur Computerfaxübermittlung) und hat den Gemeinsamen Senat derobersten Gerichtshöfe angerufen.3 Der VGH München hält mit einemim Original nur maschinenschriftlich unterschriebenen Fax, dasdem Antragsteller mangels lesbarer Faxanschrift nicht ausreichendzugeordnet werden kann und das keinen gesonderten Hinweis auf dielediglich maschinenschriftliche Unterschrift enthält, die Schriftformnicht für gewahrt.4 Solch elementare Fragen des Prozessrechts sollteder Gesetzgeber selbst – etwa ähnlich dem Referentenentwurf zumZustellreformgesetz, der für die gerichtliche Zustellung die elektro-nische Datenübermittlung zulässt – regeln.

Hinsichtlich der Postulationsfähigkeit ist zu beachten, dass Behördendie Postulationsanforderungen nicht erfüllen, wenn der unterzeich-nende Behördenleiter im Gegensatz zu dem Sachbearbeiter die Anfor-derungen des § 67 Abs.1 VwGO nicht erfüllt.5

Weiterhin strittig ist der Vertretungszwang bei zulassungsfreienBeschwerdeverfahren. Dieser wird von der wohl überwiegenden ober-gerichtlichen Rechtsprechung verneint, nach der die Regelung von§ 67 Abs. 1 Satz 2 VwGO überflüssig wäre, folgte der Vertretungszwangschon generell aus § 67 Abs. 1 Satz1 VwGO.6 Allerdings hat das BVerwGfür die übergangsweise noch zulässig gewesene Berufung den Vertre-tungszwang u.a. mit der Begründung bejaht, die in § 67 Abs. 1 Satz 2VwGO nF genannten Beispiele verdeutlichten, dass ein Rechtsmittelan ein Gericht, bei dem Vertretungszwang besteht, auch dann ent-sprechend seinem Sinn und Zweck diesem Zwang unterliegt, wenn esbei dem Gericht einzulegen ist, das die angefochtene Entscheidungerlassen hat und bei dem selbst kein Vertretungszwang besteht.7

Die Rechtsmitteleinlegung muss auch in Eilfällen bei der erstenInstanz erfolgen; eine Vorabinformation des OVG über die erfolgteAntragseinlegung durch den Zulassungsantragsteller kann in beson-deren Eilfällen jedoch sinnvoll sein. Ist der Zulassungsantrag beim VGeingelegt, kann die Begründung innerhalb der Frist direkt beim OVGeingebracht werden, da dem VG keine Abhilfemöglichkeit zusteht.8

Zuvor sollte das Geschäftszeichen des OVG ermittelt werden. »Vor-sichtshalber«9 die Begründung beim VG einzureichen, birgt in besonde-ren Eilsituationen die Gefahr einer Entscheidung des OVG vor derenKenntnisnahme in sich, der wiederum nur durch gleichzeitige Unter-richtung des OVG begegnet werden könnte. In solchen Eilfällen, indenen sogar ein unwiederbringlicher Rechtsverlust droht, gebietet es dieVerpflichtung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes – grundsätzlichnach entsprechendem gerichtlichen Hinweis – über die Zulassungund das Rechtsmittel selbst in einem Beschluss zu entscheiden.10

Aufsätze

Prozessuale Probleme im Zusammenhang mit dem Zulassungsverfahren nach dem 6. VwGOÄndGVorsRiOVG Gerd Laudemann, Frankfurt/Oder

1 Vgl. nur BVerwGE 81, 32, 35 f.; VGH Mannheim, VBlBW 1990, 335; zur Frist-wahrung vgl. auch BAG, DVP 1999, 482; BFH, NJW 1996, 871; BSG, NJW 1997,1254.

2 BVerwG, NJW 1995, 2121; zur Klageerhebung per E-Mail Grotheer, BB 1999,Heft 34, Die erste Seite, »Justiz und Internet – ein Widerspruch?«.

3 BGH, NJW 1998, 3649; die Entscheidung des Gemeinsamen Senats steht noch aus.4 VGH München, BayVBl 1999, 182.5 BVerwG, BayVBl 1999, 219.6 OVG Münster (10. Senat), NVwZ-RR 1999, 474; OVG Bautzen, NVwZ 1999, 891

(unter Aufgabe entgegengesetzter Rspr.); VGH Mannheim, NVwZ 1998, 753, füreinen Kostenfestsetzungsbeschluss; VGH München, BayVBl 1999, 543; NJW1999, 379, für die zulassungsfreie Beschwerde gegen einen Rechtswegverwei-sungsbeschluss; zur Streitwertbeschwerde vgl. § 5 Abs. 5 GKG.

7 BVerwG, NVwZ 1997, 1211, 1212; NVwZ 1998, 170, 171; für den Vertretungs-zwang bei zulassungsfreien Beschwerdeverfahren vgl. auch OVG Münster(22. Senat), NVwZ 1998, 204.

8 Guckelberger, DÖV 1999, 937, 940.9 Seibert, NVwZ 1999, 113, 114.

10 OVG Frankfurt/Oder, LKV 1999, 235; OVG Münster, NVwZ-RR 1999, 540; OVGWeimar, DVBl 1998, 104; VGH München, BayVBl 1998, 83.

173Neue Justiz 4/2000

Nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe muss der beigeordneteRechtsanwalt den Berufungszulassungsantrag innerhalb der Frist vonzwei Wochen des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO stellen und abschließendbegründen. Die Monatsfrist des § 124a Abs. Satz 1 VwGO findet keineAnwendung; diese stand ihm für den Prozesskostenhilfeantrag zurVerfügung.11

Vor der Entscheidung über den Zulassungsantrag könnte das OVGauch eine Zwischenentscheidung gem. § 572 Abs. 3 ZPO, § 149 Abs. 1VwGO treffen.12 Ein entsprechender Antrag auf einstweilige Einstellungder Vollstreckung aus einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteilist schon während des Verfahrens auf Zulassung der Berufung gegendieses Urteil zulässig.13

Richtiger Rechtsbehelf gegen eine im Rahmen des vorläufigenRechtsschutzverfahrens ergangene Zwischenentscheidung des VG istim Übrigen ebenfalls der Antrag auf Zulassung der Beschwerde.14

In diesem Fall hat das OVG bei Zulassung keine Kompetenz, bereitseine Sachentscheidung zu treffen; im Fall des Erfolgs des Rechtsmit-tels ist die Sache an das VG zurückzuverweisen.15

Bei dem OVG dürfte die Hauptsache mit dem Antrag auf Zulassungin dem Sinn angefallen sein, dass das OVG auch bereits vor Zulassungder Berufung das Gericht der Hauptsache iSv § 80 Abs. 5, 123 Abs. 2VwGO ist.16

Im Fall übereinstimmender Erledigungserklärungen während desZulassungsverfahrens ist das mit dem Zulassungsantrag befassteGericht nach § 161 Abs. 2 VwGO zuständig, über die Kosten desgesamten Rechtsstreits zu entscheiden und die angegriffene Entschei-dung – deklaratorisch – für wirkungslos zu erklären.17

II. Darlegung des Zulassungsgrundes

Gemäß §§ 124a Abs. 1 Satz 4, 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO sind »in demAntrag« die Gründe darzulegen, aus denen das Rechtsmittel zuzu-lassen ist; innerhalb der Antragsfrist kann allerdings eine gesonderteBegründungsschrift eingereicht werden. Eine Bezugnahme auf denZulassungsantrag in einer Parallelsache, ohne diesen beizufügen undeinen Zulassungsgrund zu benennen, erfüllt die geforderten Anforde-rungen an die Rechtsmittelschrift nicht.18 Die Berücksichtigungeigenen Vorbringens des nicht postulationsfähigen Beteiligten, aufden der Prozessvertreter lediglich ohne eigene Verarbeitung Bezugnimmt, verbietet § 67 Abs. 1 VwGO.19

Darlegen bedeutet mehr, als einen Hinweis geben. Das OVG soll indie Lage versetzt werden, allein auf Grund der Ausführungen desAntragstellers in Verbindung mit der angegriffenen Entscheidung zubeurteilen, ob der geltend gemachte Zulassungsgrund vorliegt (Kurz-formel: benennen, erläutern und substantiieren).20 Nach VGH Kasselmüssen die Zulassungsgründe zwingend benannt werden.21 Eine ein-deutige konkludente Bezeichnung des Zulassungsgrundes dürfte vonder Praxis aber regelmäßig noch für ausreichend gehalten werden.22

An die Erläuterung und Substantiierung sollten keine zu hohenAnforderungen gestellt werden; dies gilt insbesondere, wenn dieFehlerhaftigkeit des Ergebnisses der erstinstanzlichen Entscheidunggreifbar ist.23 Der Zugang zu der nächsten Instanz darf durch dieGerichte nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zurechtfertigender Weise erschwert werden.24

Aus verfassungsrechtlicher Sicht hat das VerfG Brandenburg fest-gestellt: Welche Anforderungen ein OVG insoweit anlege, ob es strengoder eher großzügig vorgehe, sei jedoch, solange es sich in dem verfah-rensrechtlich vorgegebenen Rahmen bewege und keine sachwidrigenund unzumutbaren Maßstäbe anlege, seine Sache.25 Diese Formu-lierung darf allerdings nicht im Sinne eines Beurteilungsspielraums desOVG missverstanden werden, der zu einer obergerichtlichen Subjek-tivität führen würde, welche Annahme nicht der Rechtsprechung desBVerfG entsprechen würde.26 Beim Zulassungsgrund der ernstlichen

Zweifel müssen die tatsächlichen und rechtlichen Bedenken gegen dietragenden Entscheidungsgründe aufgezeigt werden,27 beim Verpflich-tungsbegehren muss der Anspruch schlüssig aufgezeigt werden.28

Die Prüfung beschränkt sich dann auf die vom Antragsteller – inner-halb der Antragsfrist – vorgetragenen Gesichtspunkte.29

An die ausdrückliche Zuordnung gerügter Verstöße zu einem bestimm-ten Zulassungsgrund ist das OVG gebunden.30 Nach VerfG Brandenburgist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das OVG denGesetzgeber beim Wort nimmt und den jeweiligen Zulassungrund nuranhand dessen prüft, was der Rechtsmittelführer vorgetragen hat.31

Sofern ein Zulassungsgrund nicht benannt wird, führt ein solcherZulassungsantrag nicht automatisch zur Annahme, der Zulassungs-grund der ernstlichen Zweifel sei dargelegt; dieser kann allerdings ein-deutig konkludent geltend gemacht sein.32 Stützt sich die angefoch-tene Entscheidung auf mehrere das Ergebnis selbständig tragendeGründe, ist jede von ihnen mit einem Zulassungsgrund anzugreifen.33

Bei der Resultatsprüfung nach Darlegung von Richtigkeitszweifelnist das OVG, soweit es das Urteil auch zu Lasten des Rechtsmittel-führers kontrollieren muss, nicht auf den Zulassungsantrag und dasUrteil beschränkt. Durch eine solche Prüfung erfolgt keine mit seinemSinn und Zweck unvereinbare Ausweitung des Zulassungsverfahrens,sondern es wird im Gegenteil dem Beschleunigungsgedanken desZulassungsrechts Rechnung getragen.34 Insoweit muss ggf. zuvorrechtliches Gehör gewährt werden. Diese Gründe müssen aber auf derHand liegen und deren Heranziehung darf nicht über den Aufwandhinausgehen, der in einem Zulassungsverfahren vernünftigerweise zuleisten ist.35 So entfällt nach OVG Bautzen das Rechtsschutzbedürfnisfür die Weiterverfolgung eines zunächst erfolgversprechenden Antragsauf Zulassung der Beschwerde, wenn die Behörde – auch nach Ablaufder Antragsfrist – einen Änderungsbescheid erlässt, auf Grund dessensich die geltend gemachten Zweifelsfragen nicht mehr ergeben.36

Laudemann, Prozessuale Probleme im Zusammenhang mit dem Zulassungsver fahren …

11 VGH Mannheim, NVwZ 1999, 205, 206; BVerwG, DVBl 1999, 1662, zur Bei-ordnung gem. § 173 VwGO iVm § 78b ZPO; zum Vertretungszwang für denZulassungsantrag gegen den ablehnenden erstinstanzlichen PKH-Beschluss vgl.Laudemann, NJ 1999, 6 ff., 10, 11 Fn 77-82; OVG Bautzen, NVwZ 1999, 784;OVG Hamburg, FEVS Bd. 49/1999, 15; OVG Saarlouis, FEVS Bd. 48/1998, 366.

12 OVG Lüneburg, NVwZ 1999, 209; OVG Weimar, NVwZ 1999, 892; VGH Mün-chen, BayVBl 1999, 733; OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 29.7.1999 – 1 B 78/99.

13 OVG Berlin, NVwZ-RR 1999, 811.14 OVG Münster, NWVBl. 1999, 351.15 VerfGH Berlin, NVwZ 1999, 1332 f.16 VGH München, DVBl 1999, 1664, 1665 f. mwN; a.A. VG Freiburg, VBlBW 1999,

316.17 VGH München, BayVBl 1999, 309; OVG Frankfurt/Oder, Beschl v. 21.5.1999 –

4 B 47/99.18 OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 1.12.1999 – 4 B 139/99; BVerwG, Beschl. v.

17.10.1966 – IV B 150/66; BGH, NJW 1998, 1647, fordert sogar beglaubigteAbschrift; BAG, NJW 1966, 565 mwN, lässt im Einzelfall einfache Abschrift aus-reichen.

19 BVerwG, NVwZ 1999, 643; VGH Mannheim, DVBl 1999, 474 = DÖV 1999, 391.20 Vgl. zur zusammenfassenden Darstellung der Rspr. VfGBbg., Beschl. v. 28.4.1999

– 8/99; OVG Schleswig, NVwZ 1999, 1354.21 VGH Kassel, NVwZ 1998, 1320.22 OVG Frankfurt/Oder, ZfB 1999, 127, 128; Beschl. v. 25.10.1999 – 4 B 64/98.23 OVG Münster, NVwZ 1998, 530 ff. bei offensichtlicher Fehlerhaftigkeit; vgl. zur

greifbaren Gesetzwidrigkeit in anderem Zusammenhang auch BVerwG, NVwZ-RR 1996, 422; OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 18.11.1998 – 4 E 76/98.

24 BVerfG, Beschl. v. 28.1.2000 – 2 BvR 2151/97; BVerfGE 84, 366; BVerfGE 69,381, 5; DVBl 1995, 35 f.

25 VerfGBbg., DVBl 1999, 1722, 1724 = NJ 2000, 193 (bearb. Walter), in diesem Heft.26 BVerfGE 54, 277, 292, 4 ff.; Berkemann, DVBl 1998, 456.27 OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 13.10.1999 – 2 A 184/99.28 OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 24.8.1999 – 4 B 87/99.29 OVG Frankfurt/Oder, ZfB 1999, 127; vgl. auch NJ 1999, 6 Fn 9-14.30 OVG Bautzen, SächsVBl 1998, 292.31 VerfGBbg., aaO (Fn 25).32 OVG Frankfurt/Oder, ZfB 1999, 127, 128; OVG Münster, NWVBl. 1999, 269.33 OVG Frankfurt/Oder, LKV 1999, 34; OVG Münster, NJW 1998, 2844; OVG

Weimar, ThürVBl 1998, 93, 94.34 OVG Bln., NVwZ 1998, 1318, 1319; OVG Bautzen, DÖV 1998, 435; OVG Hamburg,

NVwZ 1997, 1231; OVG Münster, NVwZ 1998, 472; Seibert, NVwZ 1999, 113, 119,120; OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 13.10.1999 – 2 A 184/99; Happ, »Die Dar-legung ernstlicher Zweifel an der Richigkeit des Urteils«, BayVBl 1999, 577, 581.

35 OVG Münster, NVwZ 1999, 202, 205, offen gelassen, ob dies direkt aus § 124Abs. 2 Nr. 1, 2 VwGO oder analog § 144 Abs. 4 VwGO folgt.

36 OVG Bautzen, NVwZ-RR 1999, 215.

Neue Justiz 4/2000174

III. Zulassungsgründe

1. »Ernstliche Zweifel«

Die Auffassung,37 solche Zweifel lägen bereits dann vor, wenn derErfolg des Rechtsbehelfs nicht offensichtlich ausgeschlossen sei, hatin der Rechtsprechung ersichtlich keinen Niederschlag gefunden.

Im theoretischen Ansatz differieren in der obergerichtlichen Recht-sprechung weiterhin zwei Auffassungen.38 Zum einen wird zur Erfül-lung dieses Zulassungsgrundes gefordert, es müssten mehr Gründedafür sprechen, dass die erstinstanzliche Entscheidung wahrscheinlichder Überprüfung nicht standhält. Der Erfolg des Rechtsmittels müssewahrscheinlicher sein als der Misserfolg, eine gleiche Wahrschein-lichkeit – nur möglicher Erfolg – genüge nicht. Nur ein solches engeresVerständnis gebe dem Zulassungsgrund der tatsächlichen oder recht-lichen Schwierigkeiten einen eigenen Anwendungsspielraum.39 Zumanderen wird es für ausreichend gehalten, dass Erfolg oder Misserfolgmindestens ebenso wahrscheinlich sind.40 Eine solche Auslegung wirddem Anliegen des Gesetzgebers41, den Zugang zur zweiten Instanz ausGründen der Einzelfallgerechtigkeit zu eröffnen, wohl eher gerecht.Vom Ansatz her wird mit dieser Interpretation eine zu restriktiveHandhabung dieses Zulassungrundes vermieden. Dieser Auffassungdürften auch diejenigen Obergerichte zuzuordnen sein, die auf dasGewicht der ernstlichen Zweifel abstellen, ohne ausdrücklich einÜberwiegen der Zweifel festzustellen. Mit Blick auf die festgestellteGewichtigkeit der Zweifel dürfte der praktische Unterschied abervielfach geringer sein, als der differierende theoretische Ansatz diesvermuten lässt. Dass die ernstlichen Zweifel sich lediglich auf dieBegründung beziehen müssten und nicht das Ergebnis,42 hat sichobergerichtlich nicht durchgesetzt.43 Die Zweifel können wohl auchaus der Verletzung von Verfahrensvorschriften folgen, da insoweit§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO keine Ausschließlichkeitsfunktion entfaltet.44

Strittig ist weiterhin die Frage der Berücksichtigung nachträglichvorgetragener – erstinstanzlich vorhanden gewesener – oder späterentstandener tatsächlicher oder rechtlicher Umstände. Ein erheblicherTeil der Obergerichte vertritt die Auffassung, dass nachträgliche Ver-änderungen der Sach- oder Rechtslage wegen des auf Beschleunigungund auf die Überprüfung der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichenEntscheidung angelegten Zulassungsverfahrens nicht zu berücksich-tigen seien.45 Für Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes wird dieUnbeachtlichkeit nachträglich entstandener Tatsachen z.T. aus derRegelung von § 80 Abs. 7 VwGO gefolgert.46 Die gegenteilige Auffas-sung richtet sich demgegenüber schwerpunktmäßg an der objektivenRichtigkeit der Entscheidung nach dem maßgeblichen Fachrecht aus.Eine zeitliche Zäsur wird dann jedoch aus der Begründungsfrist für denZulassungsantrag hergeleitet.47

Neue Tatsachen müssen nach letzterer Meinung nicht nur behaup-tet, sondern substantiiert und glaubhaft gemacht werden.48

2. »Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten«

Trotz seiner Auffangfunktion ist dieser Zulassungsgrund nicht ohneweiteres von Amts wegen inzidenter zu prüfen, wenn der geltendgemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel nicht besteht.49

Jedoch kann er im Einzelfall konkludent geltend gemacht sein, soferner in dem Zulassungsantrag der Sache nach hinreichend klar zum Aus-druck kommt. Eine solche Interpretation werden insbesondere dieGerichte erwägen, die zur Darlegung der ernstlichen Zweifel ein Über-wiegen der für die Rechtswidrigkeit des Entscheidungsergebnissessprechenden Gründe fordern.50 Können sich diese Gerichte zu einersolchen Prognose nicht entschließen, liegt die Annahme von recht-lichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten nahe.

Weitergehend wird z.T. gefordert, dass die Ergebnisoffenheit geradeauf der Komplexität der Rechtssache, also auf ihren besonderen

tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten beruhen müsste. Diesdeutet auf ein abstraktes Verständnis dieses Zulassungsgrundes hin,indem darauf abgestellt wird, dass die Rechtssache hinsichtlich deraufgeworfenen tatsächlichen oder rechtlichen Fragen im Schwierig-keitsgrad signifikant vom Spektrum der verwaltungsgerichtlichenVerfahren abweicht.51 Das würde eine vergleichende Betrachtung undBestimmung eines Schwierigkeitsmaßstabes im Vergleich zu einem»Normalprozess« erfordern, wobei auch dessen rechtlicher odertatsächlicher Aufwand bestimmt werden müsste. Dies dürfte alles sowenig griffig sein, dass auf die Festlegung eines in dieser Form verall-gemeinernden Maßstabes verzichtet werden sollte.52

Es kommt auch nicht darauf an, ob im erstinstanzlichen Verfahrenüberdurchschnittlich schwierige Tatsachen- oder Rechtsfragen zubewältigen waren; hat das VG diese geklärt, stellen sich diese Problemeim Rechtsmittelverfahren nicht mehr.53 Maßgeblich hat hiernach zusein, ob die Fragen bereits im Zulassungsverfahren mit der erforder-lichen Sicherheit zur Entscheidungsfindung vom Gericht zu beant-worten sind.54 Eine unterbliebene Übertragung auf den Einzelrichtererster Instanz indiziert daher diesen Zulassungsgrund noch nicht.55

Aufsätze Laudemann, Prozessuale Probleme im Zusammenhang mit dem Zulassungsver fahren …

37 Roth, VerwArch. 1997, 416, 432 ff.; vgl. auch die Darstellung von Seibert, DVBl1997, 932 f., sowie des Verf. in NJ 1999, 6 ff., 7.

38 Vgl. hierzu Guckelberger, DÖV 1999, 937, 941; Seibert, NVwZ 1999, 113, 115,sowie die Nachw. in NJ 1999, 7 Fn 19, 20.

39 OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 17.11.1999 – 2 A 112/98; OVG Lüneburg (1. Senat),NVwZ 1999, 431; OVG Münster, NVwZ 1999, 202, 204.

40 Vgl. OVG Lüneburg (12. Senat), DVBl 1999, 478, 479, mit ausführl. Begründungauch zu den Darlegungsanforderungen; OVG Schleswig, NVwZ 1999, 1354,1356; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 758, 759; wohl auch OVG Greifswald,NVwZ-RR 1999, 476, bei nicht abschließend zu beurteilenden, aber durchaushinreichenden Erfolgsaussichten; in der Tendenz wohl auch OVG Bautzen, DÖV1999, 836 = NVwZ-RR 1999, 809, 810, mit der Feststellung der Ergebnisoffenheitwegen der Erforderlichkeit aufwendiger und z.T. erstmaliger Aufarbeitung desmaßgeblichen Streitstoffs dazu, ob die angegriffene Entscheidung zutreffendbleibt, obwohl Überwiegendes gegen die Richtigkeit der tragend herangezogenenBegründung spreche; offen gelassen von OVG Berlin, NVwZ 1998, 197 u. 1318;vgl. auch Schenke, NJW 1998, 81, 91; Schmidt, NVwZ 1998, 694, 697 f.

41 BT-Drucks. 13/3993, S. 13.42 VGH Mannheim (9. Senat), NVwZ 1998, 196.43 OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 8.1.1998 – 1 B 115/97, Beschl. v. 4.3.1998 – 4 B

10/98; OVG Lüneburg, NVwZ 1997, 1225; OVG Berlin, NVwZ 1998, 1318, 1319;OVG Münster, NVwZ 1997, 1224; OVG Hamburg, DVBl 1997, 1333, NVwZ1998, 863; VGH Kassel, DVBl 1998, 1033; OVG Weimar, ThürVBl 1998, 42; VGHMannheim, NVwZ 1997, 1230.

44 VGH Mannheim, NVwZ 1999, 1357 mwN.45 OVG Bautzen, NJ 1999, 503; VGH Kassel, InfAuslR 1998, 438, 439, 440 = DVBl

1998, 1033; VGH Mannheim, DVBl 1998, 486 (14. Senat), NVwZ 1998, 199(1. Senat), 414 (14. Senat); 758 (11. Senat); OVG Münster (15. Senat), DVBl 1997,1337; OVG Berlin, NVwZ 1998, 1093; offen gelassen von BVerwG, NVwZ 1998,1179.

46 OVG Berlin, NVwZ-RR 1999, 211, das allerdings auch nachgeschobenen Tat-sachenvortrag wohl generell für unbeachtlich hält.

47 Unter ausführlicher Darstellung des Standes der Rspr. OVG Lüneburg, DVBl 1999,476 – für Änderungen bis zum Ablauf der Antragsfrist, jedoch keine Berücksich-tigung von verschuldet nicht vorgebrachten Umständen, so wohl schon OVGLüneburg, DVBl 1998, 492; OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 4.1.2000 – 4 B 133/99;OVG Hamburg, DVBl 1998, 1087, 1088; OVG Münster, NVwZ 1998, 754; OVGKoblenz, DVBl 1998, 241 = NVwZ 1998, 302; NVwZ 1998, 1094; VGH Kassel,NVwZ 1998, 755; OVG Weimar, DVBl 1998, 849 – Fall betraf eine Änderungwährend des Laufs der Frist für den Zulassungsantrag; VGH München, BayVBl1998, 154 – in einem Fall von neuem Vortrag im Zulassungsantrag; grundsätz-lich mit Überblick über die Lit. u. Rspr.: Seibert, NVwZ 1999, 113, 116 ff., 118.

48 VGH Mannheim, NVwZ 1998, 414; OVG Lüneburg, DÖV 1998, 435; OVG Frank-furt/Oder, Beschl. v. 2.12.1999 – 2 A 148/98.

49 Vgl. Laudemann, NJ 1999, 6 ff., 8 Fn 31-35.50 OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 17.11.1999 – 2 A 112/98 – mwN und ausführ-

licher Begründung; OVG Münster, NVwZ 1999, 202, 204, geht von konkluden-ter Geltendmachung aus, wenn der Zulassungsgrund der Sache nach – allerdingsim Rahmen der ernstlichen Zweifel – dargelegt wird; OVG Koblenz, NVwZ 1998,1094, 6, sieht den Zulassungsgrund als von der Rüge der ernstlichen Zweifel alsgrundsätzlich mitumfasst an.

51 OVG Münster, NVwZ 2000, 86 ff.; VGH Mannheim, NVwZ 1997, 1230, NVwZ1998, 1206; wohl auch OVG Lüneburg, NVwZ 1998, 1225, 1227; Bader, NJW1998, 413; Schenke, NJW 1997, 81, 91.

52 Berkemann, DVBl 1998, 456; Schmidt, NVwZ 1998, 698; a.A. OVG Münster,NVwZ 2000, 86, 88.

53 OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 19.4.1999 – 4 B 152/98.54 OVG Schleswig, NVwZ 1999, 1354, 1356; OVG Münster, NVwZ 1999, 202, 204;

OVG Weimar, ThürVBl 1998, 93; DVBl 1998, 489; OVG Koblenz, NVwZ 1998,1094; OVG Lüneburg, NVwZ 1997, 1229; OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v.9.7.1998 – 4 A 221/97; vgl. auch Guckelberger, DÖV 1999, 937, 942.

55 OVG Münster, DÖV 1999, 837; NWVBl 1999, 350.

175Neue Justiz 4/2000

Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wird sich für Ver-fahren nach §§ 80 Abs. 5, 80a VwGO nicht ohne weiteres anbieten,weil diese nicht der Klärung rechtlich oder tatsächlich schwierigerFragen dienen, vielmehr solche Umstände in die vorzunehmendeInteressenabwägung einzustellen sind.56 Bei ungenügender Gewich-tung dieses Umstandes stellt sich eher die Frage der ernstlichenZweifel. Anders ist dies vom Grundsatz her bzgl. spezifischer Fragendes vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zu beurteilen, die im Haupt-verfahren nicht geklärt werden können. Soweit das OVG allerdingsmaßgeblich auf eine Vorausbeurteilung der Erfolgsaussichten in derHauptsache abstellen will und dabei die als besonders schwierigbezeichneten Fragen zu prüfen hat, dürfte konsequenterweise auch imVerfahren nach § 80 VwGO eine Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 2VwGO in Betracht kommen. Hiernach bestimmt sich die Zulassungnach dem Prüfprogramm des OVG.57 Ebenso kann sich dies im Ver-fahren nach § 123 VwGO darstellen, sofern materielles Recht – insbe-sondere Grundrechtspositionen – eine entsprechend vertiefte Prüfungfordern.58

3. »Grundsätzliche Bedeutung«

Mit Blick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zu dem entspre-chenden Revisionszulassungsgrund der Rechtsgrundsätzlichkeit(§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) besteht für das Berufungszulassungs-verfahren insoweit ersichtlich keine divergierende obergerichtlicheRechtsprechung, so dass auf die diesbezügliche Judikatur verwiesenwird.59 Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist die Rechts- oderTatsachenfrage auszuformulieren und substantiiert zu erläutern, warum sie entscheidungserheblich ist. Sodann hat der Antragstellerdarzustellen, dass die Frage noch nicht geklärt und warum sie im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiter-entwicklung des Rechts klärungsbedürftig ist. Beim OVG kann sich diegrundsätzliche Bedeutung auch allein aus den verallgemeinerungs-fähigen Auswirkungen ergeben, welche die in der Berufung zuerwartende Klärung von Tatsachenfragen haben wird.60 Bezüglichder Beurteilung der maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse ist imEinzelnen darzulegen, welche Anhaltspunkte für eine andere Tat-sacheneinschätzung bestehen. Dabei muss der Zulassungsantraginsbesondere erkennen lassen, warum das VG die tatsächlichen Ver-hältnisse unzutreffend beurteilt haben soll, dass etwa einschlägigesErkenntnismaterial unberücksichtigt geblieben sei, dass das Gewichteiner abweichenden Einschätzung verkannt worden sei oder dass dieBewertungen des VG nicht haltbar seien.61 Die Frage muss beimBerufungsgericht noch zur Überprüfung anstehen, damit für dasBerufungsverfahren noch erheblich und also klärungsfähig sein.62

Nach OVG Lüneburg kann bei gefestigter Rechtsprechung des zustän-digen Senats auch bei divergierender Rechtsprechung der OVG eineZulassung mit dem Ziel, in der Folge eine höchstrichterliche Klärunganzustreben, nicht erfolgen.63 Diese allein auf die zweite Instanzbegrenzte Sicht erscheint nicht zweifelsfrei, kann sie doch in letzterKonsequenz eine höchstrichterliche Klärung völlig unterlaufen.

Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren muss sich die Grundsätz-lichkeit nach überwiegender obergerichtlicher Rechtsprechung aufFragen der Auslegung der Regelungen des vorläufigen Rechtsschutz-verfahrens beziehen, die nicht zum Gegenstand der Klage in derHauptsache gemacht werden können.64 Weitergehend wird dies z.T.beurteilt, wenn die Rechtsschutzgarantie eine Vorwegnahme derHauptsacheentscheidung gebietet.65 Dies erscheint allerdings auch insolchen Fällen nicht zweifelsfrei, da unabhängig von der Frage derPrüfdichte hinsichtlich materieller Rechtsfragen im vorläufigenRechtsschutzverfahren mit Blick auf die Gewährung effektiven Rechts-schutzes Entscheidungen in vorläufigen Rechtsschutzverfahren stetsunter dem Vorbehalt der abschließenden Klärung im Hauptsache-verfahren stehen. Dementsprechend besteht für das VG auch keine

rechtliche Bindungswirkung im Hauptverfahren an die Entscheidungdes OVG im betreffenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren.66

Anders könnte dies zu beurteilen sein, wenn ersichtlich eineKlärung im Hauptverfahren (z.B. wegen erkennbarer Erledigung) niezu erreichen sein wird. Weitergehend lässt es VGH Mannheim genügen,dass die klärungsbedürftige Frage im Beschwerdeverfahren einerKlärung näher gebracht bzw. einer vorläufigen Klärung zugeführtwird.67 Dies folge aus der lediglich entsprechenden Anwendung diesesZulassungsgrundes gem. § 146 Abs. 4 VwGO.

4. »Divergenz«

Dieser Zulassungsgrund (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) stellt sich alsUnterfall der grundsätzlichen Bedeutung dar.68 Wegen des wechsel-seitigen systematischen Abhängigkeitsverhältnisses erfasst die frist-gemäße, begründete Darlegung der Grundsätzlichkeit zugleich densich später ergebenden Zulassungsgrund der Divergenz.69 Der hier-nach ausnahmsweise mögliche Wechsel vom Zulassungsgrund dergrundsätzlichen Bedeutung auf den der Divergenz begründet jedochkein allgemeines Wahlrecht zwischen den Zulassungsgründen, wennder Rechtsmittelführer den richtigen Zulassungsgrund hätte bezeich-nen und dem Darlegungserfordernis entsprechend hätte genügenkönnen.

Hiervon will der VGH Mannheim70 ersichtlich auch dann ausgehen,wenn die grundsätzliche Klärung erst nach dem erstinstanzlichenUrteil des OVG dem Rechtsmittelführer aber vor Ablauf der Antrags-frist bekannt war oder sein musste. Dies erscheint mit Blick auf diekurze Begründungsfrist und der nahe liegenden Umdeutungsmög-lichkeit recht fraglich.71

Wegen der sich in der Praxis häufig zeigenden Schwierigkeiten imUmgang mit diesem Zulassungsgrund sei noch einmal kurz ange-merkt72: Die Divergenz von einem der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGOgenannten Gerichte ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn derZulassungsantrag einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene

Laudemann, Prozessuale Probleme im Zusammenhang mit dem Zulassungsver fahren …

56 OVG Münster, NVwZ 1997, 1004; VGH Mannheim, DVBl 1997, 1329, NVwZ-RR1998, 32; weitergehend OVG Greifswald, SächsVBl 1998, 274.

57 OVG Weimar, ThürVBl 1998, 278, 279.58 VGH München, DVBl 1999, 1663; OVG Greifswald, NJ 1998, 496 (bearb. Flint);

vgl. auch BVerfG, DVBl 1996, 1367.59 Vgl. Laudemann, NJ 1999, 6 ff., 8, 9 Fn 41-45.60 OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 14.4.1998 – 4 A 171/97; VGH Mannheim, VBlBW

1997, 298.61 VerfGBbg, Beschl. v. 17.9.1998 – 17/98, mwN.62 OVG Koblenz, NVwZ 1999, 1127; VfGBbg, Beschl. v. 21.10.1999 – 26/99, S. 14.63 OVG Lüneburg, FEVS Bd. 49/1999, 421.64 OVG Frankfurt/Oder, Beschl.v. 1.11.1999 – 4 B 42/99, Beschl. v. 27.10.1998 –

4 B 148/98; OVG Bautzen, NVwZ 1998, 308; VGH Kassel, NVwZ 1998, 755, DVBl1998, 243; OVG Münster, DVBl 1997, 1337, NVwZ 1998, 306; VGH München,NVwZ-RR 1998, 204, NVwZ 1999, 345; VGH Mannheim, NVwZ 1998, 305; OVGHamburg, NVwZ 1997, 690; a.A. OVG Berlin, NVwZ-Beilage 1/1998, 47, das trotzder Zulassung wegen Grundsätzlichkeit im Verfahren nach § 123 VwGO bzgl. desmaßgeblichen Anordnungsanspruchs nach § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG ausführt:»Der Senat beantwortet die zuvor genannte Rechtsfrage in diesem nur vorläu-figen Rechtsschutzverfahern bei der dort nur möglichen summarischen Prüfungdahin …«, Die betreffende Rechtsfrage ist nach Auffassung des VGH Kassel soschwierig, dass nur aufgrund einer Güterabwägung entschieden wurde, NVwZ-Beilage I 6/1999, 53.

65 So OVG Weimar, ThürVBl 1998, 278, 280; OVG Greifswald, SächsVBl 1998, 274;OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1999, 697 – für den Fall, dass das VG wesentlich seineEntscheidung auf die Beantwortung einer materiellen Frage gestützt hat.

66 OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 1.11.1999 – 4 B 42/99; nicht völlig unproble-matisch dürfte es daher vom theoretischen Ansatz her sein, wenn OVG Greifs-wald eine Klärungsbedürftigkeit für den Fall verneint, dass die Klärung bereitsim vorläufigen Rechtsschutzverfahren erfolgt ist, DÖV 1999, 836.

67 VGH Mannheim (9. Senat), NVwZ 1999, 1357 = DVBl 1999, 1663, 1664.68 BVerfG, Beschl. v. 28.1.2000 – 2 BvR 2125/97 – mwN; BVerwGE 59, 87, 93;

BVerfG, NVwZ 1993, 465, 466; OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 1.11.1999 –4 B 42/99.

69 BVerfG, InfAuslR 1999, 36; NVwZ 1993, 465; BVerwG, NVwZ 1996, 1010;BVerwG, NVwZ 1993, 465.

70 VGH Mannheim, VBlBW 1999, 374.71 Vgl. zur Umdeutungsverpflichtung BVerfG, Beschl. v. 28.1.2000 – 2 BvR 2125/97.72 Vgl. Laudemann, NJ 1999, 6 ff., 8, Fn 46-51.

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Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem dieVorinstanz einem in der Rechtsprechung der in § 124 Abs. 2 Nr. 4VwGO genannten Gerichte aufgestellten eben solchen die Entschei-dung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschriftwidersprochen hat.73 Eine vergleichbare Rechtsfrage aus einemanderen Rechtsgebiet genügt nicht.74 Obergerichtliche »obiter dicta«sind grundsätzlich unmaßgeblich.75 Die Abweichung muss zu einerEntscheidung der genannten Gerichte bestehen; hierzu zählenZulassungsbeschlüsse nicht, weil mit einem solchen Beschluss diestreitige Rechts- oder Tatsachenfrage nicht entschieden wird.76 Alleindas Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendungvon Rechtssätzen, die eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genann-ten Gerichte in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt wederden Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenz noch denen einerGrundsatzrüge. Die Divergenz muss zu der Rechtsprechung des imInstanzenzug übergeordneten OVG – bzw. der weiteren genanntenGerichte – bestehen.

Bezüglich vorläufiger Rechtsschutzverfahren gilt das oben imRahmen des Zulassungsgrundes der Grundsätzlichkeit Gesagte ent-sprechend. Sofern sich die Zulassungsgründe der Grundsätzlichkeitoder Divergenz auf die im Klageverfahren zu lösenden Problemebeziehen, dürfte regelmäßig eine Zulassung im Beschwerdeverfahrenüber den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu erreichensein. Dem entspricht eigentlich die Feststellung des VGH Mannheim 77,dass es dem Zulassungsgrund der Divergenz eigentümlich sei, dass dieVorinstanz eine Tat- oder Rechtsfrage gerade – und zwar divergierend– entschieden hat und hierauf gestützt hat. Damit sei das Entschei-dungsprogramm bestimmt. Die Divergenzzulassung komme mithinnicht nur in Ausnahmefällen in Betracht. Während damit wegen derDivergenz wohl leicht ernstliche Zweifel eine Zulassung rechtfertigenkönnen, bleibt zweifelhaft, inwieweit das vorläufige Rechtsschutz-verfahren der Divergenzklärung dienen kann. Ausgehend von demVerständnis der Divergenzrüge als Unterfall der Grundsatzrüge dürfteeine lediglich vorläufige Klärung materieller Rechtsfragen, wie sie imvorläufigen Rechtsschutzverfahren regelmäßig nur möglich ist, demZulassungsgrund nicht entsprechen. Soweit OVG Lüneburg78 in diesemZusammenhang sogar den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifelfür nicht einschlägig hält, wenn eine Divergenz zur Rechtsprechungdes OVG vorliegt und dieses an seiner – von der erstinstanzlichenEntscheidung abweichenden – Rechtsprechung nicht mehr festhält,könnte eine solche Änderung der Rechtsprechung auch erst nachZulassung wegen ernstlicher Zweifel mit Blick auf die bestehendeRechtsprechung judiziert werden.79

5. »Verfahrensmangel«

Dieser ebenfalls dem entsprechenden revisionsrechtlichen Zulas-sungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nachgebildete Zulassungs-grund (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) setzt voraus, dass durch unrichtigeAnwendung oder Nichtanwendung einer prozessualen Vorschrift dasGerichtsverfahren fehlerhaft geworden ist.80

In der Praxis hat einen Schwerpunkt die Rüge der Verletzung desrechtlichen Gehörs. Nach OVG Koblenz kann mit der Rüge der Verlet-zung des rechtlichen Gehörs der Antrag auf Zulassung der Berufunggegen einen Gerichtsbescheid deshalb nicht begründet werden, weilerstinstanzlich der Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt werdenkann.81 Zur Darlegung der Verletzung des Anspruchs auf rechtlichesGehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) gehört regelmäßig die substantiierteAngabe, was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörsvorgetragen worden und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung desgeltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre.82 Dies giltjedenfalls, wenn sich die behauptete Verletzung des rechtlichenGehörs nur auf einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichts-punkte der getroffenen Entscheidung bezieht.83 Dieses Darlegungs-

erfordernis gilt nach der Rechtsprechung des BVerwG jedoch nicht,wenn der Verfahrensbeteiligte aufgrund der Eigenart des Verstoßesgegen den Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs objektivnicht in der Lage ist, Ausführungen darüber zu machen, was er bei ord-nungsgemäßer Prozessführung vorgetragen hätte, weil der Gehörs-verstoß den gesamten Prozessstoff erfasst, z.B. bei versagter Teilnahmean der mündlichen Verhandlung oder rechtswidriger Verweigerungder Akteneinsichtnahme.84 Dem liegt zugrunde, dass bei absolutenRevisionsgründen die Kausalität des Verfahrensmangels für die Ent-scheidung unwiderleglich vermutet wird und die Revisionsbegrün-dung deshalb grundsätzlich keine Ausführungen darüber enthaltenmuss, inwiefern das angefochtene Urteil auf dem Mangel beruht. Nurin den Fällen, in denen sich die Rüge der Verletzung des rechtlichenGehörs lediglich auf einzelne Feststellungen und rechtliche Gesichts-punkte bezieht, setzt die schlüssige Rüge eine substantiierte Darlegungdessen voraus, was vorgetragen worden wäre und inwiefern beiBerücksichtigung des übergangenen Sachvortrags oder Beweisantragseine andere Entscheidung möglich gewesen wäre.85

Artikel 103 GG ist keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflichtdes Richters zu entnehmen, weshalb das Gericht grundsätzlich nichthiernach verpflichtet ist, auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen.Es kommt jedoch im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags gleich,wenn das Gericht ohne Hinweis Anforderungen an den Sachvortragstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeglei-ter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte.86

Praktisch bedeutsam ist weiterhin das Problem der Ablehnung vonBeweisanträgen. Kein Schutz besteht davor, dass ein angebotenerBeweis zulässigerweise aus Gründen des formellen oder materiellenRechts nicht erhoben wird.87 So darf die Einholung eines beantragtenBeweises wegen mangelnder Eignung des Beweismittels nach all-gemeinen Grundsätzen abgelehnt werden. In diesem Sinne ist einBeweisantrag auch unerheblich, der einen unzulässigen Ausfor-schungsbeweisantrag darstellt, in dem lediglich unter formalemBeweisantritt Behauptungen aufgestellt werden, für deren Wahrheits-gehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht.88

Für eine Wahrunterstellung entscheidungserheblicher Tatsachenbesteht im Verwaltungsprozess aber kein Raum.89 Im Übrigen musssich der Rechtsmittelführer aller ihm zur Verfügung stehendenprozessualer Mittel bedienen, um einen Verfahrensverstoß schonerstinstanzlich abzuwenden.90

Der Verfahrensmangel muss der Beurteilung des OVG noch unter-liegen. Dies ist nicht der Fall, wenn die dem Endurteil vorausgegan-

Aufsätze Laudemann, Prozessuale Probleme im Zusammenhang mit dem Zulassungsver fahren …

73 BVerwG, VIZ 1999, 409, 410 = NJ 1999, 441 (Leits.); OVG Hamburg, NVwZ 1999,430.

74 BVerwG, NVwZ 1999, 406.75 OVG Hamburg, NVwZ 1999, 430, zu dem Fall einer Abweichung vom obiter dic-

tum im Leitsatz, mit dem die entspr. Rechtsfrage gerade geklärt werden sollte.76 VGH Kasssel, InfAuslR 1999, 480, zu § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG.77 VGH Mannheim, DVBl 1999, 1663.78 OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1999, 697.79 OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 1.11.1999 – 4 B 42/99.80 OVG Schleswig, NVwZ 1999, 1354, 1355; vgl. Laudemann, NJ 1999, 6 ff., 9,

Fn 52-59.81 OVG Koblenz, DÖV 1999, 36.82 BVerwG, VIZ 1999, 409, 410 = NJ 1999, 441 (Leits.).83 BFHE 157, 255.84 BVerwG, DVBl 1994, 90; NJW 1995, 1441; NJW 1993, 80; VGH Kassel, DVBl

1999, 1668; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1998, 687, 688.85 Vgl. den ausführlichen Vorlagebeschl. des BFH an den Großen Senat, NVwZ-RR

1999, 75 ff. 86 BVerfG, NJW 2000, 275; E 66, 116, 147; E 84, 188, 190.87 BVerfG, NVwZ-Beilage Nr. I 6/1999, 51 f.88 BVerwG, NVwZ-RR 1999, 208.89 BVerwG, NVwZ-RR 1990, 510.90 OVG Frankfurt/Oder, ZfB 1999, 127, 128, zur Rüge des Verstoßes gegen den

Amtsermittlungsgrundsatz; BVerwG, NVwZ 1999, 65, zum Rügeverlust im Asyl-prozess bzgl. Mängel der Dolmetscherübersetzung; bzgl. der Anforderungen desrechtlichen Gehörs an die Einführung einer Erkenntnisliste: OVG Münster,NVwZ-Beilage 1/1999, 2; BVerfG, NVwZ 1993, 769; DVBl 1995, 847; BVerwG,NJW 1980, 1972, 1973; OVG Weimar, InfAuslR 1998, 519, 520.

177Neue Justiz 4/2000

gene Entscheidung der ersten Instanz schlechthin unanfechtbar ist.Das gilt z.B. bzgl. der Überprüfung der Übertragungsvoraussetzungenauf den Einzelrichter (§ 6 Abs. 4 VwGO).91 Dies folgt auch aus § 173VwGO iVm §§ 512, 548 ZPO.92

IV. Berufungsverfahren

Mit der Zustellung des Zulassungsbeschlusses wird das Antragsver-fahren als Berufungsverfahren (§ 124a Abs. 2 Satz 4, Abs. 3 VwGO)fortgesetzt.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Wirksamkeit des Nichtzulassungs-beschlusses ist dessen Herausgabe aus dem Gerichtsgebäude zur Beför-derung mit der Post, nicht bereits die Übergabe durch den Geschäfts-stellenbeamten in den zur Absendung führenden Geschäftsbetrieb,sofern die Möglichkeit der Rückholung aus dem Geschäftsbetrieb zumZweck der Abänderung besteht.93

Dasjenige von mehreren erstinstanzlichen Klagebegehren, hin-sichtlich dessen kein Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt wird,gelangt auch dann nicht in die Berufungsinstanz, wenn das Beru-fungsgericht – über den eingeschränkten Zulassungsantrag hinaus-gehend – die Berufung auch hinsichtlich dieses Begehrens zulässt.94

Ein Anschlussrechtsmittel kann nach VGH Mannheim nur im streit-gegenständlichen Rahmen des zugelassenen Rechtsmittels eingelegtwerden; die Möglichkeit einer selbständigen Anschlussrechtsmittel-einlegung ist nach erfolgter Zulassung bzw. Ablauf der Zulassungs-fristen nicht mehr möglich.95 Andernfalls würden die gesetzlichenZulassungsregelungen unterlaufen. Eine Anschließung kann deshalbnur nach Zulassung hinsichtlich des Streitgegenstandes erfolgen, derGegenstand des zugelassenen Rechtsmittels ist. Besondere Bedeutunghat dies bei partiellem erstinstanzlichen Obsiegen bzw. Unterliegenbzgl. rechtlich selbständiger, abtrennbarer Streitgegenstände, so dassim Umfang des Unterliegens vom Rechtsmittelgegner selbständig dieZulassung zu beantragen ist. Eine innerhalb der Berufungsbegrün-dungsfrist erfolgte Anschließung als selbständig zu bezeichnen,96

dürfte mit Blick auf das Zulassungsverfahren verfehlt sein. Nach VGHMünchen stellt die unselbständige Anschlussbeschwerde allerdingskein Rechtsmittel, sondern einen Gegenantrag zum Hauptantrag darmit dem Ziel der Abänderung der Entscheidung zu Ungunsten desBeschwerdeführers.97 Ein praktisch bedeutsamer Anwendungsbereichfür eine unselbständige Anschlussberufung im Zulassungsverfahrenwird sich hiernach kaum ergeben. Der systemwidrig gewordene Wort-laut von § 127 VwGO sollte dem Gesetzgeber Anlass zum Überdenkender Regelung geben.

Mit der Zulassung läuft die gesetzliche (Monats-)Frist für dieBegründung der Berufung (§ 124a Abs. 3 VwGO). Die Frist ist zwar aufAntrag – im Gegensatz zur Frist des Zulassungsantrags – verlängerbar(§ 124a Abs. 3 Satz 3 VwGO), jedoch dann nicht mehr, wenn die Fristbereits abgelaufen ist.98 Die Begründung hat grundsätzlich gesondertzu erfolgen, es kann hierzu jedoch auch auf Teile der Begründung desZulassungsantrags Bezug genommen werden. Auch wenn im Zulas-sungsantrag bereits ein Berufungsantrag gestellt und dieser – zusätz-lich – begründet wurde, darf ein zusätzlicher Schriftsatz – ggf. mitBezugnahmen – nach der Zulassungsentscheidung nicht fehlen.99

Allerdings kann sich ein solcher Antrag auch im Wege der Auslegungeindeutig ergeben, was regelmäßig für den Klageabweisungsantraggilt.100 Über die Begründungspflicht ist in dem zuzustellendenZulassungsbeschluss zu belehren.101 Bei fehlender oder mangelhafterBelehrung läuft die Jahresfrist von § 58 Abs. 2 VwGO, sofern derZulassungsbeschluss zugestellt wurde. Nicht ordnungsgemäß ist eineBelehrung, die dem Beschluss beigefügt und lediglich von einemRichter unterschrieben ist; als Entscheidungsbestandteil muss auch dieRechtsmittelbelehrung über die Begründungspflicht von der Unter-zeichnung der entscheidenden Richter gedeckt sein.102

Mit Blick auf die Zurechnung von Verschulden eines Vertreters beiFristversäumnissen sei für die Behörden erwähnt: Die für eineProzessvertretung durch Rechtsanwälte entwickelten Grundsätzegelten sinngemäß auch für den Fall der Prozessvertretung von juristi-schen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden nach § 67Abs. 1 Satz 3 VwGO durch Beamte oder Angestellte mit Befähigungzum Richteramt oder Diplomjuristen im öffentlichen Dienst. Auchhier muss ein Beteiligter für ein Verschulden seines Vertretungs-berechtigten einstehen. Es gelten insoweit keine anderen oder etwamilderen Anforderungen.103 Zwar bleibt es dem Vertreter unbenom-men, sich sog. juristischer Hilfspersonen zu bedienen, deren Verschul-den dem Vertretenen bei Beachtung der geforderten Auswahl undÜberwachung nicht zuzurechnen ist. Es ist dem Vertreter aber ver-wehrt, sich im Fall einer Fehlleistung in die Position der Hilfspersonzurückzuziehen, damit seine Behörde für sein Verschulden nichteinzutreten braucht.104

In diesem Zusammenhang sei zur Fristenkontrolle bei EDV-gestütz-tem Fristenkalender angemerkt, dass im Hinblick auf die spezifischenFehlermöglichkeiten bei der Eingabe der Datensätze spezielle Kontroll-maßnahmen gefordert sind. Dies kann etwa durch Ausgabe der ein-gegebenen Einzelvorgänge über einen Drucker zwecks Kontrolle derRichtigkeit der Eingabe und deren Erfassung durch das EDV-Programmgeschehen.105 Die parallele Führung eines schriftlichen Fristenkalen-ders wird dann nicht gefordert, wenn der EDV-Fristenkalender voneiner Fachfirma erstellt wurde.106

V. Schlussbemerkung

Manch noch bestehender gesetzgeberischer Handlungsbedarf hin-sichtlich des Zulassungsrechts mag angemahnt werden. Unabhängigdavon ist die gestiegene Verantwortung der Prozessführenden imUmgang mit dem einschlägigen Verfahrensrecht des Verwaltungs-prozesses zu konstatieren. Diesem Fakt, der im Zivilprozess wegen desdort geltenden Beibringungsgrundsatzes schon seit eh galt, muss indem grundsätzlich weiterhin vom Untersuchungsgrundsatz geprägtenVerwaltungsprozess im Hinblick auf die gewollte Begrenzung dieserMaxime durch das Zulassungsrecht in der Praxis entsprechend Rech-nung getragen werden. Wie den Boten im Aias trifft vielleicht auch dasOVG mancher Vorwurf zu Unrecht.

Laudemann, Prozessuale Probleme im Zusammenhang mit dem Zulassungsver fahren …

91 OVG Saarlouis, NVwZ 1998, 645; vgl. auch OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 163;OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 3.11.1999 – 2 A 224/99 A; zur Bindung beiÄnderung der Geschäftsverteilung BFH, NVwZ 1998, 1334; zu den Anforderun-gen der Darlegung des Verstoßes gegen den gesetzlichen Richter VGH Mann-heim, VBlBW 1998, 419.

92 Für die Aufhebung des Übertragungsbeschlusses auf den Einzelrichter durch dieKammer vgl. OVG Koblenz, NVwZ-Beilage I 3/1999, 26.

93 Vgl. BVerwGE 95, 64.94 BVerwG, NVwZ 1999, 642.95 VGH Mannheim, NVwZ 1998, 1320, 1322; Kuhla, in: Kuhla/Hüttenbrink,

Der Verwaltungsprozeß, 2. Aufl. 1998, F Rn 77; Happ, in: Eyermann, VwGO,10. Aufl. 1998, Rn 4 zu § 127; Seibert, DVBl 1997, 940; Bader, NJW 1998, 413; fürdie Anschlussberufung im Asylrecht: BVerwG, NVwZ-RR 1997, 253; vgl. zumRevisionsrecht: BVerwG, BayVBl 1981, 374; BGH, NJW 1995, 1956.

96 So noch Redecker/v. Oertzen, VwGO, 12. Aufl. 1997, Rn 5 zu § 127 VwGO; Kopp,VwGO, 11. Aufl. 1998, Rn 8 zu § 127.

97 VGH München, BayVBl 1999, 182, 183 = DVBl 1999, 476.98 OVG Münster, NWVBl 1999, 270.99 BVerwG, AuAs 1998, 249 = NVwZ 1998, 1311; VGH Mannheim, NVwZ 1999,

207; OVG Münster, NVwZ 1999, 208 = NWVBl 1999, 270; OVG Lüneburg, FEVSBd 49/1999, 545, 546.

100 BVerwGE 12, 189, 190; OVG Frankfurt/Oder, Urt. v. 12.8.1999 – 4 A 231/99.101 BVerwG, NVwZ 1998, 1311; BVerwG, Beschl. v. 29.9.1998 – 9 C 21 u. 26/98; OVG

Lüneburg, NVwZ-Beilage 1997, 92; a.A. noch OVG Weimar, DÖV 1998, 84; OVGBautzen, NVwZ 1997, 1003.

102 BVerwG, Urt. v. 4.10.1999 – 6 C 31/98.103 BVerwG, NVwZ-RR 1996, 60, 61; OVG Frankfurt/Oder, ZfSH/SGB 1999, 606 ff.104 BVerwG, Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 89.105 BGH, NJW 1995, 1756, 1757 = NJ 1995, 447 (Leits.); NJW-RR 1997, 698; OVG

Frankfurt/Oder, ZfSH/SGB 1999, 606, 609.106 BGH, NJW 1997, 327 = NJ 1997, 111 (Leits.).

Neue Justiz 4/2000178

Praxis der BodensonderungDr. Roland Wötzel, Rechtsanwalt,und Torsten Schwarze, LL.M, Referendar, beide Leipzig

Die mit der Anwendung des Bodensonderungsgesetzes verbundenen Prob-leme sind für die neuen Bundesländer von großer praktischer Bedeutung.Dennoch ist die Anzahl der bisher dazu veröffentlichen Gerichtsentschei-dungen gering. Eine nähere Untersuchung einiger der wesentlichen Frage-stellungen erscheint dringend nötig. Die Autoren gehen im Folgenden aufverfassungsrechtliche Aspekte und auf Einzelheiten bei der Verfahrens-durchführung ein.

1. Einleitung

Durch das BodensonderungsG (BoSoG) v. 20.12.19931 sollen boden-rechtliche Probleme in den neuen Bundesländern bewältigt werden,die insbesondere daraus resultieren, dass Grundstücke vielfach ohneRücksichtnahme auf die Grundstücksgrenzen und ohne vorherigeKlärung der Eigentumsverhältnisse für die Bebauung im komplexenWohnungsbau in Anspruch genommen wurden.2 Das Gesetz erfasstschätzungsweise 10% der Neubauviertel in den neuen Bundes-ländern.3 Für die Klärung dieser Verhältnisse sind die vorhandenenInstrumente der Vermessung und die Regelungen des Sachenrechts-bereinigungsG nicht ausreichend.4 Mit dem BoSoG wird ein recht-liches Instrumentarium zur Verfügung gestellt, das die registerbezo-gene Vorbereitung und den Vollzug der Sachenrechtsbereinigung inden genannten Fällen ermöglicht.5 Das Ergebnis des Bodenson-derungsverfahrens ist regelmäßig die vollständige Enteignung desGrundstückseigentümers6 und die Bildung neuer Grundstücke, dieden Nutzern von Teilflächen der bisherigen Grundstücke zugeteiltwerden.

2. Verfassungsrechtliche Bedenken

Das OLG Dresden setzt sich in seinem Beschluss v. 13.12.19997

ausführlich mit der Vereinbarkeit des BoSoG mit dem Grundgesetzauseinander. Zugrunde liegt folgende Rechtslage: Das BoSoG, ebensowie § 6 Nr. 2 SachenRBerG, findet auf Fälle Anwendung, in denen inder DDR privater Grund und Boden ohne vorherige Klärung derEigentumsverhältnisse zur Bebauung im komplexen Wohnungsbau inAnspruch genommen wurde, so dass an den errichteten Gebäudenkein selbständiges Gebäudeeigentum entstehen konnte. Vielmehrsind die Gebäude gem. § 295 ZGB wesentlicher Bestandteil desGrundstücks und damit Eigentum des Grundstückseigentümers.Die Regelung des Ankaufspreises in §§ 19 ff. SachenRBerG bzw. dieBestimmungen über die Berechnung der Entschädigung nach § 15BoSoG, die sich an den Regelungen des SachenRBerG über den Ankaufs-preis orientieren, gleichen aber nur den Wert des baureifen, alsounbebauten Grundstücks aus, der zwischen Grundstückseigentümerund Nutzer geteilt wird. Der Wert der Gebäude, die im Normalfallselbständiges Eigentum des Nutzers sind, wird nicht berücksichtigt,so dass der Grundstückseigentümer im Falle der Bodensonderunghinsichtlich des Gebäudewertes entschädigungslos enteignet wird.

Das OLG Dresden hält dieses Ergebnis mit dem GG vereinbar, dadie Regelungen des BoSoG vom gesetzgeberischen Ermessen nochgedeckt und durch Art. 143 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich abgesichertseien.8 Auch habe der Grundstückseigentümer zu keinem Zeitpunktdamit rechnen können, dass er sein Grundstück vollständig in Naturzurückbekommt. Außerdem habe der Grundstückseigentümer zurWerterhöhung des Grundstücks durch die Bebauung nicht beige-tragen.

Dennoch sind Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungangebracht. Zwar ist in der Rechtsprechung des BVerfG anerkannt,

dass dem Gesetzgeber bei der Neuordnung eines Rechtsgebietes einbesonders weites Gestaltungsermessen zusteht, so dass er Rechtsposi-tionen verkürzen und umformen kann, soweit verfassungsrechtlichlegitime Gründe dies erfordern und die Neuregelung dem berechtig-ten Vertrauen des Rechtsinhabers auf den Fortbestand seiner RechteRechnung trägt.9 Allerdings wurde mit dem BoSoG eine bundes-gesetzliche Regelung geschaffen, die in vollem Umfang das GG zubeachten hat. Artikel 143 Abs. 3 GG, der auf Eigentumseingriffe vordem 3.10.1990, insbesondere auf besatzungsrechtliche Enteignungen,bezogen ist,10 kann zur Legitimation des BoSoG nicht herangezogenwerden. In den hier zur Diskussion stehenden Fällen hat zu DDR-Zeiten kein Eingriff in das Eigentum stattgefunden, vielmehr wurdegerade versäumt, die nach dem AufbauG11 und dem BaulandG12

gesetzlich vorgesehene und vorgeschriebene13 Enteignung vorzuneh-men. Der Eingriff in das Eigentum findet erst jetzt statt und das BoSoGleistet Vollzugshilfe für nachlässig arbeitende DDR Behörden, die vonden ihnen zustehenden gesetzlichen Befugnissen keinen Gebrauchmachten. Das BoSoG vertieft damit den zu DDR-Zeiten geschaffenenrechtswidrigen Zustand.

Auch geht es nicht darum, dem Grundstückseigentümer das Grund-stück in natura zu verschaffen, sondern allein um die Frage, ob derWert der Immobilie bei der Berechnung der Höhe der Entschädigunggesondert zu berücksichtigen ist. Unwesentlich ist dabei, dass derGrundstückseigentümer zur Wertsteigerung des Grundstücks durchdie Bebauung nicht beigetragen hat, da er durch die ihm abverlangteDuldung der Bebauung Inhaber der eigentumsrechtlichen Rechts-position geworden ist. Ein schützenswertes Vertrauen auf Seiten derGrundstücksnutzer, das einen entschädigungslosen Entzug desGebäudewertes rechtfertigen würde, konnte nicht entstehen, da essich bei den Nutzern überwiegend um Rechtsnachfolger ehem. DDRWohnungsbaugenossenschaften handelt, denen das Rechtssystem derDDR mit seinen Enteignungsmöglichkeiten geläufig war. Den Grund-stücksnutzern war daher bekannt, dass die von ihnen genutztenGebäude ohne die rechtlich vorgeschriebene Klärung der Eigentums-verhältnisse an Grund und Boden errichtet wurden. Da das Recht derDDR in § 295 ZGB aber vorsah, dass Gebäude ohne vorherige Klärungder Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden wesentlicher Bestand-teil des Eigentums am Grundstück werden, konnten die Nutzer kaumdarauf vertrauen, ihnen würden die Gebäude dennoch kostenlosübertragen werden.

3. Durchführung des Bodensonderungsverfahrens

Die Einleitung des Sonderungsverfahrens unter den in § 6 Abs. 1BoSoG genannten Voraussetzungen14 bewirkt in den Fällen derergänzenden und komplexen Bodenneuordnung gem. § 1 Nr. 3 u. 4BoSoG zunächst eine Verfügungssperre mit Genehmigungsvorbehaltder Sonderungsbehörde für den betroffenen Grundstückseigentümer,

Kurzbe i t räge

1 Gesetzes über die Sonderung unvermessener und überbauter Grundstücke nachder Karte, in Kraft seit 25.12.1993, BGBl. I S. 2182, 2215.

2 BT-Drucks. 12/5553, v. 12.8.1993, S. 136.3 Ebenda.4 Ebenda.5 BT-Drucks. 12/5553, S. 137; vgl. auch Eickmann-Thöne, Sachenrechtsbereini-

gung, Vor § 1 BoSoG Rn 12.6 Eickmann-Böhringer, Sachenrechtsbereinigung, Art. 233 § 2a EGBGB Rn 20;

Staudinger-Rauscher, BGB, Art. 233 § 2a EGBGB Rn 10.7 OLG Dresden, Beschl. v. 13.12.1999, NJ 2000, 207, in diesem Heft.8 Ebenda.9 BVerfGE 58, 300; 70, 101 (114).

10 BVerfGE 84, 90 = NJ 1991, Sonderh., I.11 Gesetz v. 6.9.1950, GBl. I S. 965.12 Gesetz v. 15.6.1984, GBl. I S. 201.13 Rohde, Bodenrecht, S. 510 f.14 Dazu näher Thietz-Bartram, »Leitfaden zur Bodensonderung – Anmerkungen zur

Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Bodensonderung (VwVBoSoG)«, VIZ1998, 500 ff., 501.

179Neue Justiz 4/2000

die nach § 6 Abs. 4 BoSoG durch einen Sonderungsvermerk, der indas Grundbuch eingetragen wird, gesichert werden kann.15 Die Ein-tragung des Sonderungsvermerks in das Grundbuch, die vom Gesetz-geber wegen des damit verbundenen Verwaltungsaufwandes alsAusnahme vorgesehen wurde,16 dürfte sich tatsächlich zum Regelfallbei der Durchführung der ergänzenden und komplexen Bodenneu-ordnung entwickelt haben. Ferner hat die Einleitung des Boden-neuordnungsverfahrens die Fälligkeit des vom Nutzer nach Art. 233§ 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB zu zahlenden Nutzungsentgelts zur Folge.17

Die Einleitungskompetenz liegt gem. § 6 BoSoG bei der Sonde-rungsbehörde. Dies ist in den Fällen der ergänzenden und komplexenBodenneuordnung nach § 10 BoSoG die Gemeinde, in anderen Fällendie für die Führung des Liegenschaftskatasters zuständige Behörde.Lediglich die Durchführung des Sonderungsverfahrens kann nach § 10BoSoG von der Sonderungsbehörde auf eine andere geeignete Stelleübertragen werden. Innerhalb der Gemeinde kann die Durchführungdes Verfahrens auf jede geeignete Dienststelle der Verwaltung über-tragen werden.18 Zweifelhaft ist, ob der Umlegungsausschuss derGemeinde mit der Durchführung der Bodensonderung betraut werdenkann,19 da die Kompetenzen dieses Ausschusses die Durchführung vonEnteignungen regelmäßig nicht umfassen. Der Umlegungsausschusswird gem. § 46 Abs. 2 BauGB als freiwilliger Ausschuss zur Durch-führung des Umlegungsverfahrens nach dem BauGB gebildet.20

Dem Umlegungsausschuss fehlt die Kompetenz zur Durchführungvon Enteignungen. Aufgrund seiner Unabhängigkeit und Weisungs-ungebundenheit kann der Umlegungsausschuss im Sonderungs-verfahren, das ein Enteignungsverfahren ist, nicht als eine geeigneteStelle iSd § 10 BoSoG zur Durchführung des Bodenneuordnungs-verfahrens und der damit verbundenen Enteignungen angesehenwerden.

Die Sonderungsbehörde legt das Plangebiet nach pflichtgemäßemErmessen fest. Die Festlegung des Plangebietes soll gem. Tz. 3.3. VwV-BoSoG21 die zweckmäßige Durchführung des Verfahrens und dessenraschen Abschluss ermöglichen. Der Sonderungsbescheid hat über dasgesamte Sonderungsgebiet zu entscheiden, da er den Sonderungsplan,der gem. § 8 Abs. 1 BoSoG das von der Sonderungsbehörde bestimmtePlangebiet umfasst, nach § 7 Abs. 1 BoSoG verbindlich feststellt.Eine nach allgemeinem Verwaltungsrecht zulässige Teilentscheidung22

ist damit hinsichtlich des festgelegten Plangebietes unzulässig.23

Da das Sonderungsverfahren regelmäßig die vollständige Enteignungder Grundstückseigentümer zur Folge hat,24 würden die Interessen derGrundstückseigentümer, die sich aus diesem Grunde regelmäßig aufein Entschädigungsinteresse reduzieren, bei einer Teilentscheidungnur unzureichend berücksichtigt und damit unverhältnismäßigbeeinträchtigt.25 Zudem dürfte auch aus tatsächlichen Gründen eineTeilentscheidung innerhalb des festgelegten Plangebietes regelmäßignicht zweckmäßig sein, da die Entscheidung auf einer einheitlichenPlanungskonzeption beruht.

Die durch den Sonderungsbescheid bewirkten Änderungen derEigentumsrechte an den im Plangebiet belegenen Grundstückenwerden gem. § 13 Abs. 1 BoSoG mit dessen Bestandskraft wirksam.Der Eigentumsübergang kann aufgrund der eindeutigen Regelungdes § 13 BoSoG nicht durch die Anordnung der sofortigen Voll-ziehbarkeit gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO vorverlegt werden.26 In denFällen der ergänzenden und komplexen Bodenneuordnung ist mitdem Bescheid gem. § 5 SPV über die Entschädigungsleistungen zuentscheiden.27

Die Höhe des Entschädigungsbetrages bestimmt sich nach denVorschriften des SachenRBerG für den Ankaufsfall, sofern der zu ent-schädigende Rechtsverlust Gegenstand des SachenRBerG ist.28 Dabeiist gem. § 20 Abs. 3 SachenRBerG ein durchschnittlicher Bodenwertaller im Plangebiet belegenen Grundstücke zu ermitteln. Dieserdurchschnittliche Bodenwert wird aus dem nach den Vorschriften desSachenRBerG ermittelten Bodenwert der im Plangebiet belegenen

Grundstücke, also regelmäßig aus deren Bodenrichtwert gem. § 19Abs. 5 SachenRBerG, gebildet. Dabei ist auf den Zustand und die Lageder Grundstücke vor der Durchführung der Bodensonderung abzu-stellen. Eine unterschiedliche Bewertung von Teilflächen innerhalbeines Grundstücks ist unzulässig, da die Bodenwerte stets grund-stücksbezogen ermittelt werden.29

Das Gesetz selbst enthält keinen Stichtag für die Ermittlung des fürdie Berechnung der Entschädigung relevanten Bodenwertes. Wegendes Verweises des BoSoG auf die Vorschriften des SachenRBerG für denAnkaufsfall wird teilweise davon ausgegangen, dass der Bodenwert indem Zeitpunkt des Verfahrens festgestellt werden müsse, der dem derAbgabe eines Kaufangebotes im Verfahren nach dem SachenRBerGentspricht.30 Diese Vorgehensweise ist jedoch für ein administrativesEnteignungsverfahren wie das Bodensonderungsverfahren ungeeig-net, da sich tatsächlich kein der Abgabe eines Vertragsangebotes ent-sprechender Zeitpunkt findet.31 Andererseits wird auf den Zeitpunktabgestellt, zu dem die Sonderungsbehörde den Bescheid erlässt.32

Dieses Vorgehen entspricht dem des Enteignungsverfahrens nach § 95BauGB. Richtig dürfte es jedoch sein, für die Ermittlung des maßgeb-lichen Bodenwertes auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Boden-sonderungsverfahrens abzustellen.33 Das Interesse des Eigentümers,dessen Grundstück in ein Verfahren der Bodenneuordnung einbe-zogen wurde, beschränkt sich ab diesem Zeitpunkt regelmäßig auf denEntschädigungswert, da er mit einer vollständigen Enteignung zurechnen hat. Nach Eröffnung des Verfahrens erfolgende Wertsteige-rungen oder Wertverluste, die infolge der Dauer des Verfahrenserheblich sein können, kommen dem Eigentümer weder zugute, nochgehen sie zu seinen Lasten. Das Abstellen auf diesen Zeitpunkt istzudem deshalb geboten, weil eine umfangreiche Regelung zur Ermitt-lung des relevanten Bodenwertes wie in § 95 BauGB, die Wertver-änderungen des Grundstücks berücksichtigt, im BoSoG fehlt, so dassnur durch die Festlegung des Bodenwertes im Zeitpunkt der Eröffnungdes Verfahrens sonst möglichen Wertmanipulationen vorgebeugtwerden kann.34

Über die von den Begünstigten des Verfahrens zur teilweisenFinanzierung des Entschädigungsbetrages zu zahlende Ausgleichs-leistung kann nach § 15 Abs. 6 BoSoG getrennt von den Entschä-digungsleistungen entschieden werden. Deren Höhe richtet sichgem. § 20 Abs. 5 SachenRBerG nach dem Bodenwert der neu gebilde-ten und den Nutzern zugeteilten Grundstücke, der wiederum nach

Wötze l /Schwarze , Prax is der Bodensonderung

15 Vgl. § 8 SonderungsplanVO (SPV) v. 2.12.1994, BGBl. I S. 3701.16 BT-Drucks. 12/5553; Eickmann-Thöne, aaO (Fn 5), § 6 BoSoG Rn 24.17 Dazu ausführl. Wötzel/Schwarze, NJ 1998, 629 ff.18 Eickmann-Thöne, aaO (Fn 5), § 10 BoSoG Rn 3.19 So aber OLG Dresden, aaO (Fn 7), insoweit nicht abgedr.20 Vgl. § 5 SächsUAVO.21 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Bodensonderung v. 17.12.1997, BAnz.

Nr. 25a v. 6.2.1998.22 Vgl. dazu Kopp, VwGO, 6. Aufl., § 9 VwVfG Rn 37.23 A.A. OLG Dresden, aaO (Fn 7), insoweit nicht abgedr.24 Vgl. Fn 5.25 BVerfGE 45, 297; 53, 336.26 Dazu ausführlich Wötzel/Schwarze, VIZ 1999, 190; a.A. Thietz-Bartram, VIZ

1998, 502.27 Vgl. auch Tz. 7.7 u. 7.8 VwVBoSoG.28 Für die übrigen Fälle sieht § 15 Abs. 2 BoSoG eine Entschädigung nach den Vor-

schriften des BauGB vor.29 Falsch daher das OLG Dresden, aaO (Fn 7), insoweit nicht abgedr., das eine

unterschiedliche Bewertung von Teilflächen aufgrund unterschiedlicher Nut-zungsart innerhalb eines Grundstücks für zulässig hält.

30 Thietz-Bartram, VIZ 1998, 503, der diesen Zeitpunkt in der Auslegung desSonderplanentwurfs sieht; tatsächlich spricht aber viel dafür, die Bindungs-wirkungen eines zivilrechtlichen Vertragsangebotes in den Verfahren der Boden-neuordnung nach § 1 Nr. 3 u. 4 BoSoG bereits mit Einleitung des Verfahrensentsprechend als gegeben zu sehen, da bereits jetzt die vollständige Enteignungder Grundstückseigentümer regelmäßig feststeht.

31 So auch OLG Dresden, aaO (Fn 7), insoweit nicht abgedr.32 Ebenda.33 So LG Leipzig, Beschl. v. 11.9.1998, Az: 13 O 1673/98.34 Vgl. zur Rechtslage im SachenRBerG Eickmann-Bischoff, Sachenrechtsbereini-

gung, § 19 SachenRBerG Rn 6 ff.

Neue Justiz 4/2000180

den Bestimmungen des SachenRBerG zu bestimmen ist.35 Auf dieseWeise wird sichergestellt, dass kein Nutzer mehr für das ihm zuge-teilte Grundstück zahlen muss, als er im Ankaufsfall nach demSachenRBerG zahlen müsste. Die Ausgleichsleistungen sind auchinsoweit unabhängig von den Entschädigungsleistungen, als § 20Abs. 5 SachenRBerG den Zeitpunkt für deren Bemessung auf den Zeit-punkt der Bestandskraft des Bescheides festsetzt.36 Eine gegenseitigeAbhängigkeit der Entschädigungs- und Ausgleichsleistungen bestehtdaher nicht.37

4. Gerichtliches Verfahren

Die Rechtmäßigkeit des Sonderungsbescheides kann nach Durch-führung eines verwaltungsrechtlichen Widerspruchsverfahrens gem.§ 18 Abs. 1 BoSoG gerichtlich überprüft werden.38 Beteiligte desGerichtsverfahrens sind alle am Sonderungsverfahren Beteiligten,sofern sie in ihren Rechte durch die Gerichtsentscheidung betroffensein können.39 Allerdings ist nur derjenige Beteiligte berechtigt, einenAntrag auf gerichtliche Überprüfung des Bescheides zu stellen, dergem. § 18 Abs. 2 Satz 2 BoSoG geltend machen kann, durch denBescheid in seinen Rechten verletzt zu sein. Der Antrag bedarf dahereiner diesbezüglichen Begründung.40 Die gleiche Voraussetzunggilt auch für das dem erstinstanzlichen Gerichtsverfahren nach-folgende Beschwerdeverfahren gem. § 19 BoSoG.41 Daraus folgt fürdie Praxis, in der es im gerichtlichen Verfahren überwiegend umden Betrag der Entschädigungs- und Ausgleichsleistungen gehenwird, dass den Begünstigten des Bodenneuordnungsverfahrens dieBeschwerdebefugnis fehlt, wenn das LG in erster Instanz auf Antragder Grundstückseigentümer den Bescheid wegen zu niedrig festge-setzter Entschädigungsleistungen aufhebt. Die Begünstigten sinddann also nicht berechtigt, die Entscheidung des LG durch dieBeschwerde überprüfen zu lassen. Da die Ausgleichsleistungen vonden Entschädigungsleistungen nach Höhe und Art der Festsetzungunabhängig sind, haben die Begünstigten bei einer gerichtlichenErhöhung der Entschädigung keine automatische Erhöhung der vonihnen zu erbringenden Ausgleichszahlung zu befürchten, so dass eineRechtsverletzung durch die gerichtliche Entscheidung bei ihnenausgeschlossen ist.42

Hinsichtlich der Kostenentscheidung des gerichtlichen Verfahrensverweist § 18 Abs. 5 BoSoG auf § 228 BauGB. Zweifelhaft ist aber, obder Streitwert des gerichtlichen Anfechtungsverfahrens wie in Bau-landsachen üblich43 dem objektiven Verkehrswert des Grundstücksentspricht.44 Im Unterschied zum Verfahren in Baulandsachen, indem gem. § 95 BauGB der volle Verkehrswert des Grundstücks zuentschädigen ist, steht im Bodenneuordnungsverfahren maximal derhälftige Bodenwert zur Disposition. Auch bei einem Verfahren, dasszur Aufhebung des Sonderungsbescheides führt, beläuft sich dasInteresse der Antragsteller höchstens auf diesen Betrag, da der objek-tive Verkehrswert des Grundstücks von keinem Beteiligten in demVerfahren realisiert werden kann. Der Streitwert des gerichtlichenVerfahrens ist daher gem. § 3 ZPO auf den Wert der Entschädigungfestzusetzen.

»Nichts als Großkreise, Zentralismusund Personalabbau?« – Die Gebiets-und Strukturreform in Sachsen-AnhaltProf. Dr. Angela Kolb, Hochschule Harz, Fachbereich Verwaltungswissenschaften, Halberstadt

Nachdem in Sachsen-Anhalt vier Jahre lang Ansätze zu einer Verwal-tungsmodernisierung diskutiert worden sind und immer wieder Kritikan der, gemessen an der Einwohnerzahl, aufgeblähten Landesverwal-tung und der großen Zahl von Gemeinden, geübt wurde,1 hat derInnenminister des Landes, Manfred Püchel, am 20.12.1999 ein »Leitbildzur Gebiets- und Strukturreform« vorgelegt.2 Er will die Kommunal-reform mit einer Verwaltungsreform verbinden. Hintergrund sindBefürchtungen, Sachsen-Anhalt werde wegen seiner überteuertenVerwaltung eine schlechte Ausgangsposition beim Verteilungskampfum den Länderfinanzausgleich haben.

Das Leitbild enthält konkrete Vorgaben zur zukünftigen Größe vonSelbstverwaltungskörperschaften: • Es sind Einheitsgemeinden mit mindestens 7.000 Einwohnern zu bilden;• Verwaltungsgemeinschaften sollen bei Abschaffung des Modells der

Trägergemeinde und mit einer Mindestgröße von 10.000 Einwohnernbeibehalten werden; die Erreichbarkeit des Verwaltungszentrums darfeine Entfernung von 15 km Luftlinie nicht überschreiten; Gemeindenim Bereich von Verwaltungsgemeinschaften müssen i.d.R. mindestens1.200 Einwohner stark sein;

• In einem Landkreis sollen mindestens 150.000 Einwohner leben, dieEntfernung zwischen Gemeinde und Kreisverwaltung soll dabei nichtmehr als 45 km Luftlinie betragen.

Ziel ist es, die Kommunalreform in zwei Phasen zu vollziehen. In derersten Phase sollen die Gemeinden und Landkreise bis Ende des Jahres2002 nach dem Prinzip der Freiwilligkeit entscheiden, wer mit wemzusammengeht. Daran schließt sich eine staatliche Phase mit einerparlamentarischen Entscheidung bis zum Jahr 2003 an. Bereits 2004soll in den neuen Strukturen gewählt werden.

Auf der staatlichen Ebene ist beabsichtigt, die Zahl der Ministerienum zwei Ressorts zu verringern und die drei Regierungspräsidien biszum Jahre 2005 aufzulösen. An deren Stelle sollen als Mittelinstanz einLandesverwaltungsamt mit Sitz in Halle sowie Außenstellen in Magde-burg und Dessau eingerichtet werden. Die derzeit 15 Landesoberbehör-den sollen bis zum Jahre 2005 um die Hälfte verringert, die (staat-lichen) Behörden der Ortsinstanz um ein Drittel reduziert werden.

Angesichts des geteilten Echos, das die Vorschläge in der Öffent-lichkeit gefunden haben, hat der 1998 neu gegründete FachbereichVerwaltungswissenschaften der Hochschule Harz in Halberstadt denAnfang gemacht und am 26.1.2000 eine Plattform für die Diskussiongeboten. Die innenpolitischen Sprecher der im Landtag vertretenenParteien, Vertreter des Innenministeriums, der kommunalen Spitzen-verbände, Landräte und Verwaltungswissenschaftler wurden einge-laden, um ihre Meinung zu den Anforderungen an eine moderne undbürgerfreundliche Verwaltung zu äußern und auf Fragen von Bürgernund betroffenen Kommunalpolitikern zu antworten.

In der vom Dekan des Fachbereichs, Prof. Rainer O. Neugebauer,moderierten Veranstaltung sollten sich die Podiumsteilnehmer u.a. zuder Frage äußern, wie sie sich die Verwaltung im Jahre 2010 vorstellen.Dr. Klang, der für den kommunalpolitischen Teil maßgebliche Autor

Kurzbe i t räge Wötze l/Schwarze , Prax is der Bodensonderung

35 Thietz-Bartram, VIZ 1998, 504.36 Zur Begründung vgl. BT-Drucks. 12/5992, S. 119.37 Anders offenbar OLG Dresden, aaO (Fn 7), insoweit nicht abgedr.38 Dazu näher Thietz-Bartram, VIZ 1998, 504.39 Eickmann-Thöne, aaO (Fn 5), § 18 BoSoG Rn 25.40 Thietz-Bartram, VIZ 1998, 505.41 Ebenda, teilweise abweichend OLG Dresden, v. 13.12.1999, aaO (Fn 7), insoweit

nicht abgedr., das eine Begründung der Beschwerde für entbehrlich hält.42 A.A. OLG Dresden, aaO (Fn 7), insoweit nicht abgedr.43 BGHZ 48, 200; 50, 291.44 OLG Dresden, aaO (Fn 7), insoweit nicht abgedr.

l In Sachsen-Anhalt gibt es 33 Landesbedienstete auf 1.000 Einwohner. Die2,7 Mio Einwohner des Landes leben in 1.300 Gemeinden, von denen 70%weniger als 1.200 Einwohner haben. 3/4 der Gemeinden sind zu Verwaltungs-gemeinschaften zusammengeschlossen. Zwölf der insgesamt 21 Landkreisehaben weniger als 100.000 Einwohner, obwohl im Leitbild für die Kreisgebiets-reform 1994 von 100.000 bis 120.000 Einwohnern als anzustrebende Mindest-zahl die Rede gewesen ist.

2 Die Zukunft sichern – Leitbild für Sachsen-Anhalt, Pressemitt. Nr. 173/99 v.20.12.1999.

181Neue Justiz 4/2000

des Leitbildes im Innenministerium, umriss zunächst dessen Kern-punkte: Die Verwaltung im Jahre 2010 müsse gut und billig sein undalle Bürger zufrieden stellen. Das bedeute mehr Verantwortung für dieKommunen, die diese Aufgabe aber nur erfüllen könnten, wenn sievorher »fit gemacht« worden seien. Im Gegensatz zu anderen Bun-desländern sei die 1994 durchgeführte Kreisgebietsreform nicht miteiner Gemeindegebietsreform verbunden worden. Eine mit dieserProblematik befasste Arbeitsgruppe sei zu dem Ergebnis gekommen,dass zum Handlungsbedarf keine Alternativen bestehen. Was soll nunim Einzelnen passieren? Das Leitbild gehe davon aus, dass die Auf-gaben zwischen staatlicher und kommunaler Ebene neu verteiltwürden. Dies sowie eine effektive Kommunalaufsicht erfordertengrößere Kommunen und Landkreise, die dem Wettbewerb innerhalbund außerhalb des Landes gewachsen sind. Der Stein sei nun insWasser geworfen, das vorgestellte – und demnächst auch im Volltextverfügbare – Papier solle dazu dienen, über Strukturen nachzudenkenund die Lösungsansätze weiter zu entwickeln.

Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag, CurtBecker, sieht das Vorhaben als allgemeine Reform, die zunächst eineAufgabenkritik erfordere: Verwaltung müsse bürgernah (beratend undhelfend), sparsam und übersichtlich sein. Diesbezüglich kritisierteer die Zahl der staatlichen Beamten und fordert, dass der Staat aufAufgaben verzichtet. Er stellte in Frage, dass für jede Garage eineBaugenehmigung erforderlich sei, schließlich seien der HalberstädterDom – und der Naumburger auch – ohne dieses Siegel ausgekommen.Es sei erforderlich, alle Aufgaben in einen Topf zu werfen und neu zuverteilen, was sowohl eine Privatisierung von Aufgaben als auch eineVerlagerung »von oben nach unten« verlange. Becker kritisierte in demvorgelegten Leitbild insbesondere das Missverhältnis zwischen staat-licher und kommunaler Ebene. Während der kommunalen Ebenemehr als 150 Seiten gewidmet seien, gebe es zur staatlichen Ebenegerade einmal 12 lapidare Seiten. Es sei nicht hinnehmbar, dass dieLandkreise – als die einzige Ebene, mit denen die Bürger eine Identitätverbinde – kaputtgemacht würden. Mit der Forderung »Hände wegvon den Gemeinden!« plädierte er dafür, zunächst die staatliche Ver-waltung zu reformieren.

Dr. Helga Paschke, kommunalpolitische Sprecherin der PDS-Fraktionim Landtag, widersprach Dr. Klang aus dem Innenministerium.Verwaltung müsse nicht billig, sondern »ihren Preis wert sein«. EineReform dürfe nicht aus Finanznot durchgeführt werden. Es kommeentscheidend darauf an, dass der Bürger Partner sei und mitgestaltenkönne. Dazu müsse erst einmal gründlich entstaubt werden.

Auch wenn es nach den Worten von Dr. Ronald Brachmann (SPD)innerhalb der SPD keine volle Rückendeckung gebe, bestehe dochüberwiegend Übereinstimmung mit dem Leitbild. Er betonte, dassStellenabbau nicht gleichbedeutend mit Personalabbau sei und unter-strich nachdrücklich, dass »von oben nach unten gekehrt werdenmüsse«. Man könne die Gemeinden allerdings nicht unangetastetlassen. Ohne Kommunalreform sei ein zweistufiger Verwaltungs-aufbau mit Landkreisen, die eine Bündelungsfunktion wahrnehmen,nicht denkbar. Er sieht in Sachsen-Anhalt großen Nachholbedarf fürdie Verwaltungsmodernisierung und plädierte für einen neuen Typusvon Verwaltungsangestellten.

Halberstadts Landrat Henning Rühe (parteilos) forderte genauereAngaben darüber, welche Aufgaben von »oben nach unten« verlagertwerden sollen. Voraussetzung hierfür sei aber ein vernünftiger Aus-gleich, d.h. eine Finanzausstattung, die die Landkreise und Kommu-nen auch in die Lage versetze, die zusätzlichen Aufgaben sachgerechtzu erfüllen. In den letzten Jahren seien den Landkreisen immer neueAufgaben übertragen worden, die diese erfüllt hätten, ohne dass dieKreisumlage erhöht worden sei.

Karl Gertler, Geschäftsführer des Landkreistages, kritisierte dasLeitbild als »pures Zahlenwerk«. Eine Maßstabsvergrößerung bedeuteweniger Kommunalpolitiker und damit weniger Bürgerbeteiligung

und fehlende bürgerschaftliche Kontrolle des Verwaltungshandelns.Als negative Beispiele hierfür verwies er auf die Ausgliederung vonPolizei- und Schulverwaltung aus den Regierungspräsidien. Es kommein erster Linie darauf an, Aufgaben verwaltungsmäßig zu bündeln.Dazu hätte auch er gern vom Land gewusst, welche Aufgaben konkretauf Orts- und Kreisebene verlagert werden sollen.

Der Verwaltungswissenschaftler Prof. Michael Kausch (HochschuleHarz) verwies darauf, dass die Kosteneinsparung infolge größerer Ver-waltungseinheiten nicht das Problem für den Bürger sei. Die Verwal-tung müsse zum Bürger kommen, der eine gute Serviceleistung, kurzeBearbeitungszeiten und geringe Kosten erwarte. Er forderte deshalbdie Einrichtung von »Bürgerservicebüros« als Anlaufstellen für denBürger, ohne dass die entsprechenden Aufgaben auch dort erfülltwerden müssten. Dies sei vor allem eine Frage der Technik und der Ver-waltungsorganisation. Die Reform werde demnach keinesfalls billig.

»Wie soll es nun weitergehen?« fragte Dieter Mlynek, Abteilungsleiterfür Kommunalangelegenheiten im Innenministerium, zum Abschlussder ersten Podiumsrunde. Er sei positiv überrascht, dass Einigkeit überdie Notwendigkeit einer Reform bestehe. Das Leitbild sei abstraktformuliert worden; nun gehe es an die schwierigere Aufgabe: die Aus-arbeitung von Details unter Beteiligung der anderen Ministerien.Dabei seien auch historische Zusammenhänge zu beachten, dieanhand von Archivunterlagen untersucht werden sollen. Sachsen-Anhalt habe als letztes Land, das eine Verwaltungsreform in Angriffnehme, den Vorteil, Fehler, die anderswo gemacht worden seien,zu vermeiden.

Die Fragen aus dem Publikum ließen zunächst die Befürchtungerkennen, dass eine Reform auf Landesebene durch die seit Jahrendiskutierte Länderneugliederung im Bundesmaßstab in Frage gestelltwerden könnte. Hierzu bestand auf dem Podium Einigkeit, dass einLänderzuschnitt zwar notwendig, aber – wie das Beispiel von Berlin undBrandenburg gezeigt hat – unrealistisch ist. Auch die Zukunft derVerwaltungsgemeinschaften wurde kritisch hinterfragt. Hierzu wurdenunterschiedliche Auffassungen geäußert. Während einerseits einge-schätzt wurde, dass sich die Verwaltungsgemeinschaften bewährt haben,wurde auf der anderen Seite eine Verbesserung der gesetzlichen Grund-lagen gefordert. Nach dem Vorschlag des Innenministeriums hat dieEinheitsgemeinde Vorrang. Verwaltungsgemeinschaften sollen nur dortfortbestehen, wo sie auch funktionieren, was bedeutet, dass keine neuengegründet werden dürfen. Von dem Modell der Trägergemeinde willman sich angesichts der aufgetretenen Schwierigkeiten verabschieden.

Die Frage, welche Anreize das Land Sachsen-Anhalt anbietet, um esfür Kommunen mit einem ausgeglichenen Haushalt attraktiver zumachen, mit einer hoch verschuldeten Kommune zusammenzu-gehen, wurde mit dem Hinweis auf die finanziellen Spielräume desLandeshaushalts nur unbefriedigend beantwortet. Hier wird es injedem Fall eine Einzelprüfung geben.

Nach angeregter und trotz der kontroversen Meinungen diszipli-nierter Diskussion war der Vertreter des Innenministeriums zufrieden.»Der Stein ist ins Wasser geworfen, die Diskussion läuft.« Die Teil-nehmern konnten mit dem Gefühl nach Hause gehen, dass der Kom-munalverwaltung kein fertiges Modell übergestülpt werden soll, ohnedie jeweiligen Besonderheiten vor Ort zu berücksichtigen. So betonteder Dekan des Fachbereichs Verwaltungswissenschaften am Ende zuRecht, dass dies sicher nicht die letzte Diskussion zur Verwaltungs-reform gewesen sein wird. Jetzt seien zunächst die Kommunalpoliti-ker gefragt, um zu überlegen, wie sie den Vorstellungen des Bürgersvon einer modernen und bürgerfreundlichen Verwaltung und damitauch den Vorgaben des Leitbildes näher kommen können. Auch wennder Stein vorerst nur geringe Wellenbewegungen ausgelöst habe,dürften sich diese spätestens dann verstärken, wenn die Verteilungs-kämpfe beginnen.

Den Beteiligten bleibt allerdings nicht sehr viel Zeit für Diskus-sionen. Nach den Vorstellungen von Innenminister Püchel soll die

Kolb, »Nichts a l s Großkre i se , Zentra l i smus und Personalabbau?« …

In format ionen Kolb, »Nichts a l s Großkre i se , Zentra l i smus und Personalabbau?« …

BUNDESGESETZGEBUNG

Auswertung der BGBl. 2000 I Nr. 6 bis 9Die VO zur Änderung der Bußgeldkatalog-VO undder Fahrerlaubnis-VO v. 25.2.2000 sieht ab dem1.5.2000 höhere Bußgelder (statt bisher 450DM bis zu 950 DM) bei extremen Geschwin-digkeitsüberschreitungen im Straßenverkehrvor, sofern zugleich gegen weitere Vorschrif-ten verstoßen wird (z.B. durch rechtswidrigesÜberholen). Erhöht wurden u.a. auch dieVerwarnungsgelder für die rechtswidrigeBenutzung von Busspuren, vorschriftswidri-ges Abbiegen oder Wenden, Rückwärtsfahrenin Einbahnstraßen und für die nicht aus-reichende Sicherung von Ladungen. (BGBl. INr. 7 S. 141)

Mit dem Gesetz zur Umsetzung von Richtliniender Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebietdes Berufsrechts der Rechtsanwälte v. 9.3.2000ist die Niederlassungsmöglichkeit für Rechts-anwälte innerhalb der EU liberalisiert wor-den. Nunmehr kann der Beruf des Rechts-anwalts in einem anderen EU-Mitgliedstaatals dem, in dem die Qualifikation erworbenwurde, ausgeübt werden, ohne dass einezusätzliche Prüfung erforderlich ist oderAnpassungslehrgänge abgeleistet werdenmüssen. Nach einer dreijährigen Tätigkeit imAufnahmestaat unter der Berufsbezeichnungdes Herkunftslandes kann diesen Anwältendann unter bestimmten Voraussetzungendie Vollintegration in die Anwaltschaft desAufnahmestaates gewährt werden. Das Arti-kelgesetz ist am 14.3.2000 vollständig in Kraftgetreten. (BGBl. I Nr. 9 S. 182)

GESETZESINITIATIVEN

Rechtsmittelreform in ZivilsachenDer Referentenentwurf des BMJ für ein Zivil-prozessreformG (siehe S. 187 ff., in diesem Heft)ist insbesondere von der Anwaltschaft scharfkritisiert worden. Der darin enthaltene Maß-nahmekatalog, mit dem u.a. die Kontrolle dererstinstanzlichen Entscheidung durch diezweite Instanz wesentlich eingeschränkt wer-den soll, stelle eine »Bedrohung für die Rechts-

sicherheit im Zivilrecht« dar (Dr. U. Scharf,Vizepräsident der BRAK). So seien bereitsheute mehr als 40% der erstinstanzlichenUrteile unrichtig und müssten in der zweitenInstanz abgeändert werden. Kritisiert wurdeauch, dass die Anwaltschaft in der vorberei-tenden Diskussion zur Erarbeitung des Ent-wurfs nicht ausreichend gehört worden sei.Auf einem Anfang Febr. in Berlin stattgefun-denen zweitägigen DAV-Forum »Justizreform– Zivilprozess« war das Reformvorhaben vonden ca. 650 Teilnehmern (Anwälte, Richterund Vertreter aus den Justizministerien derLänder) im Wesentlichen abgelehnt worden.»Die Reform ist berufsübergreifend in beacht-lichem Umfange unwillkommen«, so F. Busse,Vors. des DAV-Ausschusses »Justizreform«, inseiner Zusammenfassung der Ergebnisse. Der Deutsche Richterbund hat hingegenerklärt, dass der Entwurf durchaus eine Reiheakzeptabler Änderungen vorsehe. Das betreffebspw. einen einheitlichen Berufungs- undBeschwerderechtszug zu den OLG und dengrundsätzlichen Verzicht auf eine zweiteTatsacheninstanz. Auf entschiedene Ableh-nung stieß aber der vorgesehene fast völligeVerzicht »auf das qualitätssichernde Kollegial-prinzip bei den LG und dessen massiveAushöhlung bei den OLG«. Der DRB bleibeweiterhin gesprächsbereit und werde sich»um substanzielle Verbesserungen des Ent-wurfs bemühen«.

(aus: Pressemitt. des DAV v. 8.2.2000,der BRAK v. 1.3.2000 u. des DRB v. 1.3.2000)

Zugang von Frauen zur BundeswehrZur Gesetzesinitiative der F.D.P., über eineÄnderung des GG Frauen den gleichberech-tigten Zugang zur Bundeswehr zu ermög-lichen (siehe Inform. in NJ 1999, 638), habender federführende Rechtsausschuss und derAusschuss für Familie, Senioren, Frauen undJugend am 23.2.2000 eine öffentliche Anhö-rung durchgeführt. Nach Auffassung vonProf. M. Zuleeg (Univ. Frankfurt/M.) gründesich der nach dem EuGH-Urt. v. 11.1.2000 inder Rs. Tanja Kreil (Leits. in diesem Heft, S. 209)europarechtlich gebotene Zugang für Frauenzum freiwilligen Dienst in allen Bereichen derBundeswehr auf die RL 76/207/EWG. Zu deren

Umsetzung müsse das GG nicht geändertwerden. Denn aus Systematik und Zweck vonArt. 12a Abs. 4 Satz 2 GG gehe hervor, dassnur dienstverpflichtete Frauen keinen Dienstan der Waffe tun dürften, freiwillige Soldatin-nen jedoch Wehrdienst jeglicher Art leistenkönnten. Prof. V. Epping (Univ. Münster) wiesdarauf hin, dass dieser, von ihm geteilten Auf-fassung allerdings weite Teil des juristischenSchrifttums sowie höchstrichterliche Rspr.entgegenstünden; insofern bedürfe es einerverfassungsrechtlichen Klarstellung durch Auf-hebung der entsprechenden Bestimmung. (aus: www.Bundestag.de/aktuell/hib v. 23.2.2000)

Ausnahmen vom AuslieferungsverbotDie Bundesregierung hat einen Gesetzentwurfzur Änderung des GG (BT-Drucks. 14/2668)vorgelegt, mit dem durch eine abweichendeRegelung von Art. 16 Abs. 2 GG ermöglichtwerden soll, dass Deutsche künftig an einenMitgliedstaat der EU oder an einen inter-nationalen Gerichtshof ausgeliefert werdenkönnen. Die GG-Änderung sei ein konkreterSchritt zur Verwirklichung der von der Sonder-tagung des Europäischen Rates im Okt. 1999in Tampere formulierten Ziele zum weiterenAusbau der europäischen Rechtsgemeinschaft.(aus: www.Bundestag.de/aktuell/hib v. 17.2.2000)

Verwaltungsvorschriften zum Staatsangehörig-keitsgesetz

Am 16.2.2000 haben Staatsminister Behrend(Nordrhein-Westfalen) und Senator Werthe-bach (Berlin) die Mitglieder des Innenaus-schusses des Bundestags über unterschiedlicheAnwendungsansätze und Auslegungen der all-gemeinen Verwaltungsvorschriften der Bun-desländer bei der Umsetzung der Änderung desStaatsangehörigkeitsG unterrichtet. Nach denVerwaltungsvorschriften hat die Einwande-rungsbehörde zu prüfen, ob bei der Ermessens-einbürgerung Mehrstaatigkeit hingenommenwerden kann. Dabei wurde ein Ausnahmeka-talog vereinbart, der für die Verwaltungspraxisbeispielhaft zugrunde gelegt werden soll. Beider Miteinbürgerung eines Ehegatten werdengrundsätzlich ausreichende Kenntnisse derdeutschen Sprache vorausgesetzt. Der Einbür-gerungsbewerber soll einen deutschsprachigen

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freiwillige Phase bis zum Jahre 2002 abgeschlossen sein. Ziel muss esdemnach sein, schnellstmöglich die konkreten Ziele abzustecken,um einen »Fahrplan« zur Umsetzung der Verwaltungsstrukturreformfestzulegen. Da die beabsichtigte Übertragung von staatlichenAufgaben auf die Kommunen entsprechende Änderungen der gesetz-lichen Vorgaben voraussetzt, sollte auch hier ganzheitlich vorgegan-gen werden.

Der Fachbereich Verwaltungswissenschaften der Hochschule Harzwird sich auch in Zukunft einmischen und neben einer Plattform fürDiskussionen mit seinem wissenschaftlichen Know-how den Kom-munen Rat und Unterstützung bei der Umsetzung der vor ihnenstehenden schwierigen Aufgaben anbieten. Das gilt auch für die engmit der Verwaltungsstrukturreform verbundenen Fort- und Weiter-bildungsmaßnahmen.

Text des alltäglichen Lebens lesen, verstehenund die wesentlichen Inhalte mündlich wie-dergeben können. Einige Länder (z.B. Bayern)haben dabei Wert auf die Möglichkeit zurDurchführung eines schriftlichen Tests gelegt.Die Innenstaatssekretäre der Länder und desBundes waren sich einig, dass die Verwal-tungsvorschriften dem nicht entgegenstehen.

(aus: blickpunkt bundestag Nr. 2/00 u.Pressemitt. des BMI v. 18.2.2000)

Zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts sieheG. Renner, NJ 2000, 15 ff.

AltschuldenhilfeMit dem Ziel einer Entlastung ostdeutscherWohnungsunternehmen hat das Bundes-kabinett am 23.2.2000 eine Novelle zumAltschuldenhilfeG beschlossen. Danach solldie Privatisierungsauflage zum Abzahlen derDDR-Altschulden für die meisten Wohnungs-unternehmen rückwirkend zum 31.12.1999gestrichen werden. Nach der jetzigen Rege-lung müssen ostdeutsche Wohnungsunter-nehmen 15% ihres Bestandes bis Ende 2003privatisieren. Aus einer Antwort der Bundes-regierung (BT-Drucks. 14/2743) auf eineKleine Anfrage der PDS geht hervor, dassbislang 275.392 von insgesamt 362.148 priva-tisierungspflichtigen Wohnungen in Privat-eigentum überführt wurden 64.882 Wohnun-gen seien direkt an die Mieter, 126.072 anZwischenerwerber und 39.876 Wohnungenan Dritte veräußert worden. Zum 31.12.1999hätten 838 Wohnungsunternehmen ihrePrivatisierungsverpflichtung erfüllt. 326 Unter-nehmen hätten einen Antrag gestellt, einePrivatisierungsverpflichtung nicht vertretenzu müssen; davon seien bis Ende 1999 196genehmigt worden.Die Novelle ist bei den Wohnungsunterneh-men in den neuen Ländern bereits auf heftigeKritik gestoßen: In den Genuss der Vergünsti-gung kämen nur jene Wohnungsunterneh-men, die das Gros der Verpflichtung erfüllthätten; den meisten würden hingegen neueBelastungen drohen.Der Bundestag hatte am 21.1.2000 einenGesetzentwurf der PDS (siehe Inform. in NJ2000, 21 f.) abgelehnt, mit dem eine rückwir-kende Aufhebung des Gesetzes erfolgen sollte. (aus: Berliner Zeitung v. 24.2.2000, www.Bundestag.de/aktuell/hib v. 7.3.2000, Die Weltv. 29.2.2000 u. blickpunkt bundestag Nr. 1/00)

JuristenausbildungZur Reformierung der Juristenausbildung hatdie F.D.P. einen Gesetzentwurf (BT-Drucks.14/2666) vorgelegt. Danach soll einheitlicheine generell berufsqualifizierende »gediegenewissenschaftliche Grundausbildung« erfolgenund das Abschlussexamen in die Verantwor-tung der Universitäten zurückgegeben wer-den. Im Anschluss daran soll vom Staat fürdie Berufssparten Justiz, Anwaltschaft und

öffentliche Verwaltung jeweils ein besondererVorbereitungsdienst, der mit einem Staats-examen abschließt, eingerichtet werden. EineAusrichtung der gesamten Juristenausbildungauf die »Befähigung zum Richteramt« seinicht mehr erforderlich, da nur noch wenigerals 2% eines Volljuristenlehrgangs in denRichterberuf gelangten. Lediglich 3% fändenAufnahme in die hoheitliche Verwaltung;58% gingen in den Anwaltsberuf.(aus: www.Bundestag.de/aktuell/hib v. 17.2.2000)

Altersansprüche von ehem. Ost-Bahn- und -Postangestellten

Die PDS hat in einem Antrag (BT-Drucks.14/2729) darauf hingeweisen, dass nach zweiUrteilen des BSG v. 10.11.1998 (NJ 1999, 389 ff.)Einkünfte von ehem. DDR-Mitarbeitern derDeutschen Reichsbahn und der DeutschenPost rentenrechtlich anerkannt werden müs-sen. Bisher würden sich die Rentenversiche-rungsträger jedoch weigern, die BSG-Urteileumzusetzen. Da im Zuge der Wiedervereini-gung dazu keine Regelungen getroffen wor-den seien, wird die Bundesregierung aufge-fordert, nunmehr eine rechtliche Regelung zuschaffen, die den Altersansprüchen der ehem.Beschäftigten in der DDR gerecht wird. (aus: www.Bundestag.de/aktuell/hib v. 21.2.2000)

BUNDESGERICHTE

BVerfG: Kein Schadensersatzanspruch gegenPDS wegen politischer Verfolgung in der DDR

Mit Beschl. v. 7.2.2000 (1 BvR 262/99) hat dasBVerfG entschieden, dass in der DDR poli-tisch verfolgte Bürger keinen Anspruch aufSchadensersatz gegen die PDS bzw. die BvS alsTreuhänderin des SED-Altvermögens haben.Es hat damit die Verfassungsbeschwerdeeines Bf., der mit seiner Klage wegen Ver-dienstausfalls während seiner Inhaftierung inder DDR vor dem LG Berlin und dem BGHerfolglos geblieben war, nicht zur Entschei-dung angenommen. Der BGH habe nachAuffassung des BVerfG zu Recht eine Haftungder PDS und der BvS aus den Vorschriften desDeliktsrechts und des Staatshaftungsrechtsausgeschlossen und insoweit die Grenzeneiner unzulässigen Normanwendung nichtüberschritten.

(aus: Pressemitt. des BVerfG Nr. 22/00)

BVerfG: Unterschiedliche Kriegsopferrente in alten und neuen Ländern mit GG unvereinbar

Mit Urt. v. 14.3.2000 (1 BvR 284/96 u.1659/96) hat das BVerfG auf Verfassungs-beschwerden entschieden, dass es mit Art. 3Abs. 1 GG unvereinbar ist, dass die den Kriegs-opfern nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Bundesver-sorgungsG (BVG) gewährte Beschädigten-grundrente in den alten und neuen Ländernbei gleicher Beschädigung ungleich hoch ist.

§ 84a BVG sei ab dem 1.1.1999 nichtig. Mitdem 1.1.1991 waren Leistungen nach demBVG auf das Beitrittsgebiet erstreckt worden.Der EinigungsV sah jedoch insbesonderefür Renten besondere Regelungen vor, diebewirkten, dass die unterschiedlichen Ein-kommen der Rentenversicherten in den altenund neuen Ländern und deren Entwicklung indie Berechnung der Grundrenten für Kriegs-opfer einflossen. Spätestens seit 1998, so dasBVerfG, sei für den Gesetzgeber erkennbargewesen, dass die Geldleistungen der Kriegs-opferversorgung Ost das LeistungsniveauWest in absehbarer Zeit nicht erreichen wür-den. Da eine Gleichstellung bis auf Weiteresnicht mehr abzusehen sei, werde die durch§ 84a BVG nur auf Zeit angestrebte Ungleich-behandlung zu einer solchen auf Dauer.Dies sei im Hinblick auf das Gleichheitsgebotdes GG nicht zu rechtfertigen, und die Grund-beschädigtenrente sei ab dem 1.1.1999 nachMaßgabe dieser Entscheidung auf Antraganzupassen.Die Grundrente der ostdeutschen Kriegsopferbeträgt derzeit 86,71% des West-Niveaus. Siewird nunmehr um ca. 580 DM im Jahr aufge-stockt. Die Kosten werden nach Angaben desBMA auf jährlich ca. 40 Mio. DM bei 60.000Empfängern geschätzt.

(aus: Pressemitt. des BVerfG Nr. 29/00 u. Pressemitt. des BMA v. 14.3.2000)

BVerfG: Zur Veröffentlichung einer IM-Liste Mit Beschl. v. 23.2.2000 (1 BvR 1582/94) hatdas BVerfG die Verfassungsbeschwerde desVereins »Neues Forum« gegen das gerichtlichausgesprochene Verbot, eine Liste mit Namenvon IM des MfS auszulegen, nicht zur Ent-scheidung angenommen. Die Gerichte hättenzwar das Recht des Bf. auf MeinungsfreiheitiSd Art. 5 Abs. 1 GG nicht hinreichend berück-sichtigt; eine grobe Verkennung von Grund-rechten lasse sich jedoch nicht feststellen.Der BGH hatte auf die Klage einer in dieserListe aufgeführten Kl. mit Urt. v. 12.7.1994(NJ 1995, 34) die Auffassungen der Vorin-stanzen bestätigt und festgestellt, dass der Bf.mit der Veröffentlichung selbst dann dasPersönlichkeitsrecht der Kl. verletzt habe,wenn diese als IM tätig gewesen sei. Bei derAbwägung zwischen dem Grundrecht des Bf.auf Meinungsfreiheit und dem Persönlich-keitsrecht der Kl. hätten die Gerichte – so dasBVerfG – dem Veröffentlichungsinteresse desBf. zu wenig Bedeutung beigemessen. Der Bf.wollte mit der Auslegung der Liste zum Ver-ständnis der Tätigkeit des MfS beitragen undan der politischen Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit teilnehmen. Dieses Anliegensei von Art. 5 Abs. 1 GG geschützt. Der Zeit-abstand zwischen IM-Tätigkeit und Auslegender Liste schränke diesen Schutz grundsätz-lich nicht ein.

(aus: Pressemitt. des BVerfG Nr. 33/00)

183Neue Justiz 4/2000

In format ionen

BGH: Rechtsprechung zur Haftung des Auftrag-gebers für Vorunternehmer geändert

Mit Urt. v. 21.10.1999 (VII ZR 185/98) undv. 13.1.2000 (VII ZR 38/99) hat sich der BGHerneut mit der Frage befasst, ob und inwieweitder Auftraggeber eines Bauwerks dafür haftet,dass ein Nachunternehmer seine Werkleis-tung nicht in der vereinbarten Zeit erbringenkann, weil der Vorunternehmer seine Leis-tung nicht zeitgerecht oder ordnungsgemäßerbracht hat. Dabei hat der BGH zunächstseine frühere Rspr. bestätigt, dass die durchfehlerhafte Werkleistungen des Vorunterneh-mers bedingten Verzögerungen dem Auftrag-geber nicht zugerechnet werden könnten.Ausdrücklich aufgegeben hat der BGH jedochseine frühere Ansicht, dass eine Haftung indiesen Fällen nicht in Betracht kommt. DemNachunternehmer stehe Anspruch auf ange-messene Entschädigung zu, wenn der Auf-traggeber durch das Unterlassen einer bei derHerstellung des Werkes erforderlichen Mitwir-kungshandlung in Annahmeverzug komme.Dieser liege vor, wenn der Auftraggeber seineLeistung nicht oder nicht rechtzeitig erbringt,der Unternehmer seinerseits leisten darf, zurLeistung bereit und imstande ist und seineLeistung wie geschuldet anbietet.

(aus: Pressemitt. des BGH Nr. 15/00)

BGH: Keine Verjährung von DDR-Doping zum Nachteil uneingeweihter Minderjähriger

Der BGH hat mit Beschl. v. 9.2.2000 (5 StR451/99) die Revision eines Sportarztes gegenseine Verurteilung wegen Beihilfe zur Körper-verletzung durch das LG Berlin zu einerGeldstrafe als unbegründet verworfen. Gegen-stand der Verurteilung war die Mitwirkungdes Angekl. an der Verabreichung von Doping-mitteln an neun minderjährige Hochleis-tungsschwimmerinnen in der DDR in denJahren 1975 bis 1984. Die Mädchen und ihreEltern waren über die Dopingvergabe nichtunterrichtet worden. Der Einsatz der Anabo-lika hatte zu Störungen im Hormonhaushaltund Fettstoffwechsel geführt. Bei mehrerender Sportlerinnen waren signifikante Folge-schäden in Form von Stimmvertiefung, viri-lisierender Behaarung und Leberschädenaufgetreten. Der BGH hat die Auffassung desLG gebilligt, dass Fälle des staatlich zentralgelenkten Einsatzes gesundheitsgefährdenderDopingmittel gegen nicht eingeweihte Min-derjährige in der DDR bis zum Eintritt derdeutschen Einheit nicht verjährt sind.

(aus: Pressemitt. des BGH Nr. 12/00)

BVerwG: Anspruch auf islamischen Religions-unterricht an öffentlichen Berliner Schulen

Das BVerwG hat mit Urt. v. 23.2.2000 (6 C5/99) ein Urteil des OVG Berlin bestätigt,welches der islamischen Föderation Berline.V. – nach noch ausstehender behördlicherPrüfung der Lehrpläne – einen Anspruch auf

Erteilung islamischen Religionsunterrichts anöffentlichen Schulen Berlins zugesprochenhatte. Gegen die dem klagenden Dachver-band vom OVG zuerkannte Eigenschaft alsReligionsgemeinschaft iSv § 23 Berl.SchulG seiaus bundesrechtlicher Sicht nichts einzuwen-den. Es handele sich ausschließlich um eineFrage des Berliner Landesrechts, für dessenAuslegung das BVerwG nicht zuständig sei.

(aus: Pressemitt. des BVerwG Nr. 6/00)

BAG: Zivilrechtsweg für Klagen ehem. Ostarbei-ter auf Entschädigung für Zwangsarbeit

Das BAG hatte darüber zu entscheiden, wel-cher Rechtsweg eröffnet ist, wenn polnischeund ehemals sowjetische Staatsangehörige inDeutschland gegen deutsche UnternehmenKlage auf Entschädigung wegen Zwangsarbeiterheben. Die Kl. waren zwischen 1940 und1943 zur Zwangsarbeit nach Deutschlandgebracht worden, wo sie unentgeltlich sechsTage in der Woche je 12 Stunden arbeitenmussten. Das LAG München hatte in zweiFällen die Zuständigkeit der ArbG bejaht; dieLAG Nürnberg, Frankfurt/M., Stuttgart undKiel hatten die bei ihnen anhängigen Verfah-ren an die örtlich zuständigen LG verwiesen.Mit Beschl. v. 16.2.2000 (5 AZB 32/99 u.a.) hatdas BAG festgestellt, dass es sich hierbei umbürgerlich-rechtliche Streitigkeiten handele,für die die Zivilgerichte zuständig seien.Die Beteiligung staatlicher Stellen änderedaran nichts. Die Zwangsarbeiter seien nichtArbeitnehmer der bekl. Unternehmen gewe-sen; die Arbeit sei nicht freiwillig, sondernzwangsweise erbracht worden. Selbst dienationalsozialistischen Bestimmungen seiendavon ausgegangen, dass es sich um »Beschäf-tigungsverhältnisse eigener Art« gehandelthabe.

(aus: Pressemitt. des BAG Nr. 17/00)

TERMINVORSCHAU/BUNDESGERICHTE

Bundesverfassungsgericht – Jahr 2000 (Auswahl)– Verfassungsbeschwerden zur Frage, inwie-weit eine frühere Beteiligung von DDR-Rich-tern und -Staatsanwälten an politischen Straf-verfahren nach § 1 ReNotPrüfG heute einerBetätigung als Rechtsanwalt oder Notar entge-gengehalten werden kann (1 BvR 661/96 u.a.)– Verfassungsbeschwerden zur Singularzulas-sung nach § 25 BRAO (1 BvR 334/97 u. 335/97)– Verfassungsbeschwerden gegen verschie-dene Vorschriften des EALG (1 BvR 2307/94u.a.); mündliche Verh. am 11.4.2000– (Evtl.) Normenkontrollantrag und Verfas-sungsbeschwerden gegen Einführung desUnterrichtsfachs LER (1 BvF 1/96 u.a.)– Vorlage verschiedener SG zu Fragen derVerfassungsmäßigkeit der sozialrechtlichenBehandlung von einmal gezahltem Arbeits-entgelt (1 BvL 1/98 u.a.)

– Verfassungsbeschwerde der Religions-gemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutsch-land, Berlin, wegen Verleihung des Körper-schaftsstatus (2 BvR 1500/97)

Bundesverwaltungsgericht – Jahr 2000 (Auswahl)– Entlassung aus dem Beamtenverhältniswegen MfS-Tätigkeit; Kriterien für die Unzu-mutbarkeit weiterer Beschäftigung (2 C 26/ 99)– Arbeitszeit der Bundesbeamten im Beitritts-gebiet (2 C 42/99); Vorinstanz: VG Berlin,NJ 2000, 107– Ende der berücksichtigungsfähigen Verfol-gungszeit nach dem BerRehaG (3 C 34/99)– Bergfreiheit für Bodenschätze in der ehem.DDR (7 C 88/99)– Vermögensrückgabe aufgrund russischerRehabilitierung (7 C 91/99)– Rückübertragung von Grundstücken auf-grund eines – jetzt aufgehobenen – sowjeti-schen Militärtribunal-Urteils (8 C 16/99) – Restitution bei Eigentumsverlust infolgeEntschuldung landwirtschaftlicher Betriebe(7 C 43/98 u.a.) – Anspruch auf Übereignung eines Ersatz-grundstücks nach dem VermG (8 C 22 u.29/99)

Bundesarbeitsgericht – bis Mai 2000 (Auswahl)– »Ersatzruhetag« iSd § 11 Abs. 3 ArbeitszeitG(9 AZR 396/99; Vorinstanz: LAG Chemnitz;Termin: 11.4.2000)– Außerordentliche Kündigung von Tarif-verträgen des Baugewerbes im Beitrittsgebiet(4 AZR 170/99; Vorinstanz: LAG Berlin; Termin:26.4.2000)– Anwendungsbereich tariflichvertraglicherBesitzstandsregelungen (9 AZR 318/99; Vor-instanz: LAG Halle; Termin: 11.4.2000)

LANDESGERICHTE

VerfGH Sachsen: Organklage gegen Ausführungs-bestimmungen des AbgeordnetenG unzulässig

Der Sächs. VerfG hat am 9.3.2000 eineOrganklage und einen Antrag auf Erlass einereinstweiligen Anordnung von 21 Abgeordne-ten des Sächsischen Landtags als unzulässigverworfen (3-I-00 u. 4-I-00). Die Abgeordne-ten hatten sich gegen Ausführungsbestim-mungen des Landtagspräsidiums zum Sächs.AbgeordnetenG gewandt, nach denen dieGehälter von angestellten Mitarbeitern derAbgeordneten ab dem 1.4.2000 nicht mehrvom Landtag erstattet werden, falls diesekeine persönliche Erklärung zu einer even-tuellen früheren MfS-Mitarbeit abgeben. Daes sich lediglich um den Vollzug einer Vor-schrift des AbgeordnetenG handele, könntendie Ausführungsbestimmungen selbst nichtGegenstand einer verfassungsgerichtlichenOrganklage sein.(aus: Pressemitt. des VerfG Sachsen v. 13.3.2000)

Neue Justiz 4/2000184

UNIVERSITÄTEN

Humboldt-Universität zu BerlinAuf Initiative der Freunde und Förderer derFachschaft Jura der Humboldt-Universität zuBerlin e.V. soll an der Universität eine juris-tische Stellenbörse für Studenten, Referendareund Absolventen eingerichtet werden. DerVerein will die jungen Juristen während ihresStudiums und bei der Arbeitssuche begleitenund unterstützen. Zudem soll die juristischeBibliothek durch Geld- und Bücherspendengefördert werden. Kontaktadresse: Humboldt-Universität zuBerlin, Förderverein Fachschaft Jura, Unterden Linden 6, 10099 Berlin, Tel. (030) 2093-3409, Fax: 2093-3323, e-mail: [email protected]

Universität GreifswaldGegen die vom WissenschaftsministeriumM-V angeordnete grundsätzliche Einführungvon Zeitprofessuren hat die Universität vordem VG Schwerin Klage erhoben. Die allge-meine alternative Ausschreibung von Profes-suren undifferenziert auf Lebenszeit wie auchauf Zeit verstoße gegen Bundes- und Landes-recht und bedeute zudem einen Wettbewerbs-nachteil gegenüber anderen Bundesländern.

(aus: Berliner Zeitung v. 9.3.2000)

NEUE BUNDESLÄNDER

Im Verein der Eigenheim- und Grundstücksbesit-zer (VMEG) sind derzeit über 12.000 Berlinerund Brandenburger organisiert. Er ist derbundesweit größte Verein im (Dach-)VerbandDeutscher Grundstücksnutzer und siehtsich als Interessenvertretung der Nutzer vonEigenheimen, Kleingärten, Wochenendgrund-stücken, Garagen und Campingplätzen. Ersetzt sich für sozial verträgliche Pachtpreiseein, gegen überhöhte Wassergebühren und zuhohe Selbstbeteiligung bei öffentlichenStraßensanierungen. Der VMEG verfügt bisherüber 28 Regionalgruppen in Berlin, acht inBrandenburg und zwei in Sachsen. Am22.2.2000 ist für den Landkreis Dahme-Spreewald (Land Brandenburg) eine weitereRegionalgruppe gegründet worden.

(aus: Berliner Zeitung v. 19./20.2.2000)

BerlinZum neuen Präsidenten des Verfassungs-gerichtshofs Berlin hat das Abgeordnetenhausam 9.3.2000 den 41-jährigen Prof. Dr. HelgeSodan (Freie Universität Berlin) auf siebenJahre gewählt. Er löst Prof. Dr. Klaus Finkelnburgab, der sein Amt als Präsident ein Jahr längerals geplant ausüben musste, da sich die Frak-tionen erst Anfang März 2000 auf die fünf neuzu wählenden Kandidaten für den VerfGHBerlin geeinigt hatten. Als Richter wurden

gewählt: der CDU-BundestagsabgeordneteDietrich Mahlo, der von den Grünen vorge-schlagene Rechtsanwalt Klaus-Martin Groth,der SPD-Kandidat RiVG Frankfurt/OderAndreas Knuth und die von der PDS nominierteRechtsanwältin und Vizepräsidentin der Ligafür Menschenrechte Martina Zünkler.

(aus: Berliner Zeitung v. 10.3.2000)

1999 wurde die Zahl der vor dem AG Tiergar-ten durchgeführten beschleunigten Verfahrenum 319 auf 2.929 gesteigert (1997: 2.196;1998: 2.610). Neben der damit verbundenenEntlastung der Strafjustiz konnte zugleichdem Ziel einer kürzeren Verfahrensdauer vorden Gerichten Rechnung getragen werden.Der auch für das Justizressort zuständigeRegierende Bürgermeister Eberhard Diepgenwies darauf hin, dass für die laufende Legis-laturperiode eine vermehrte Durchführungbeschleunigter Verfahren, insbesondere imBereich der Jugendkriminalität, beabsichtigt sei.

(aus: Pressemitt. der Senatsverwaltung f. JustizNr. 10/00)

Die Senatsverwaltung für Justiz hat weitere60 Notarstellen ausgeschrieben. Die Ausschrei-bung ist im ABl. für Berlin v. 31.3.2000 miteiner Ausschreibungsfrist bis zum 2.5.2000bekannt gemacht worden.

BrandenburgMit der Geschäftsordnung des LandtagesBrandenburg v. 28.2.2000 werden u.a. Konsti-tuierung, Sitzungen, Redeordnung und Gesetz-gebungsverfahren im Einzelnen geregelt.Die insgesamt sechs Anlagen beinhalten u.a.Verhaltensregeln für die Landtagsmitglieder,eine VerschlusssachenO und die Immunitäts-richtlinie. (GVBl. I Nr. 2 S. 14)

Sachsen-AnhaltDie SPD-Landtagsfraktion hat sich am 7.3.2000für eine Novelle des Sicherheits- und OrdnungsG(SOG) von 1991 ausgesprochen, mit der derPolizei u.a. gestattet sein soll, verdachtsunab-hängige Straßenkontrollen vorzunehmen,Platzverweise gegen Störer auszusprechenund bestimmte Kriminalitätsschwerpunktemit Videokameras zu überwachen. Die SOG-Novelle wird von der PDS strikt abgelehnt,von der CDU hingegen unterstützt.

(aus: F.A.Z. v. 9.3.2000)

ThüringenDie Thüringer Landtagspräsidentin hat denAntrag auf ein Volksbegehren des Bündnisses»Mehr Demokratie in Thüringen«, dem u.a.der DGB, mehrere Einzelgewerkschaften,Bündnis 90/Die Grünen und die PDS ange-hören, als unzulässig abgewiesen. Das Bünd-nis strebt eine Änderung der Landesverfas-sung an, indem das derzeit festgeschriebeneQuorum für Volksbegehren (Unterschriften

von 14% aller wahlberechtigten Bürger) auf4% gesenkt werden soll. Die Landtagspräsi-dentin wies darauf hin, dass das Vorhabenzwar von mehr als den erforderlichen 5.000Stimmberechtigten unterstützt worden sei,aber einige Formfehler aufweise. So enthalteder Zulassungsantrag ein verfassungsändern-des und ein darauf beruhendes einfachesGesetz, die in einem Entwurf zusammen-gefasst seien. Nach einem BVerfG-Urteil hät-ten jedoch zwei getrennt formulierte Gesetz-entwürfe vorgelegt werden müssen.Das Quorum für Volksbegehren liegt z.B. inBrandenburg bei 4% und in Sachsen bei 12%.

(aus: Neues Deutschland v. 24.2.2000)

BUNDESORGANISATIONEN

Europäische JuristinnenvereinigungVom 17.-19.3.2000 fand in Berlin unter demThema »Strategien zur Durchsetzung desRechts auf Chancengleichheit« der Grün-dungskongress einer Europäischen Juristin-nenvereinigung mit ca. 300 Teilnehmerinnenaus 20 Ländern statt. Einer Initiative des Deut-schen Juristinnenbundes (djb), des WomanLawyer Forums (Großbritannien) und desVereins Österreichischer Juristinnen folgendwollen sich Juristinnen aus allen Mitglied-staaten der Europäischen Union vernetzen,ihren spezifischen Sachverstand in Expertin-nen-Teams bündeln und so den Frauenrech-ten in der EU mehr Geltung verschaffen. DerVerband soll den Namen »European WomenLawyers Association (EWLA)« führen. Mitgliedkann jede ausgebildete oder angehendeJuristin bzw. jede rechtsfähige Vereinigungvon Frauen mit juristischen Berufen werden,die ihren Sitz in einem der EU-Mitgliedslän-der hat. Neben der Bundesjustizministerin,Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, und anderennamhaften Juristinnen aus der EU nahm auchCherie Booth, Ehefrau des britischen Premier-ministers, an dem Kongress teil.

(aus: Pressemitt. des djb v. 19.3.2000)

RAK Sachsen und Sachsen-AnhaltGegen die Streichung der Konkurrenzschutz-klausel für Ost-Anwälte haben die RAK vonSachsen und Sachsen-Anhalt beim BVerfGBeschwerde eingelegt. Mit dem ÄndG zurNeuordnung des Berufsrechts der Rechts-anwälte und der Patentanwälte v. 17.12.1999war § 78 ZPO neu gefasst worden (siehe Infor-mation in NJ 2000, 77). Nach der Neuregelungkann ab dem 1.1.2000 jeder bei einem Amts-oder Landgericht zugelassene Rechtsanwaltbundesweit vor allen AG und LG in sämt-lichen Verfahren auftreten. Die Zulassung derWestkollegen auch vor ostdeutschen Gerich-ten sehen viele Anwälte in den neuen Bun-desländern als Benachteiligung an.

(aus: Mitteldeutsche Zeitung v. 11.2.2000)

185Neue Justiz 4/2000

In format ionen

STATISTIK

Geschäftsstand beim EuGHMRAus den 41 Mitgliedstaaten des Europaratessind beim Europäischen Gerichtshof fürMenschenrechte in Strassburg im Jahre 1999mehr als 200.000 Beschwerden eingegangen.In seinem Jahresbericht wies der Präsident desGerichtshofs, der Schweizer Prof. Dr. L. Wild-haber, darauf hin, dass damit in den vergan-genen zwei Jahren die Zahl der Beschwerdenum 75% gestiegen sei. Der EuGHMR mit 41Richtern hat 1999 177 Urteile (1998: 161)verkündet; ca. 3.500 Beschwerden wurden fürunzulässig erklärt bzw. die Verfahren aufandere Weise beendet. Die meisten Beschwer-den wegen angeblicher Menschenrechtsver-letzungen richteten sich 1999 gegen Italien(3.652), Polen (2.898) und Frankreich (2.586).Knapp 2.000 Beschwerden betrafen Deutsch-land. Eine Verletzung der EMRK stellte derGerichtshof in 44 Fällen gegen Italien, in 18gegen die Türkei, in 16 gegen Frankreich undin 12 gegen Großbritannien fest. Deutschlandwurde 1999 nicht verurteilt. Über mehr als12.000 Beschwerden ist noch nicht entschie-den worden. Um die Verfahren in angemes-sener Zeit abschließen zu können, appellierteder Präsident an die Mitgliedstaaten, demGerichtshof mehr Geld zu bewilligen, damitmehr Personal eingestellt werden könne.

(aus: F.A.Z. v. 25.1.2000)

Geschäftsstand bei den Bundesgerichten1999 wurden beim Bundesverfassungsgericht4.885 neue Verfahren (1995: 5.911; 1998:4.783) anhängig, darunter 4.729 Verfassungs-beschwerden. Nur 2,6% aller Verfassungs-beschwerden waren erfolgreich. Erledigtwurden 5.208 Verfahren (darunter 71 Senats-entscheidungen). Die Verfahrensdauer beiVerfassungsbeschwerden lag in knapp 70%der Fälle bei einem Jahr. Am 1.1.2000 wareninsgesamt noch 2.870 Verfahren anhängig.Einen Schwerpunkt bei den noch anhängigenVerfahren stellen die sog. wiedervereinigungs-bedingten Rechtsfragen dar. Sie betreffen dasDienstrecht (Institutionsfragen, ungleicheVergütung in Ost und West), strafrechtlicheRehabilitierungsverfahren, offene Vermögens-fragen, sozialrechtliche und familienrecht-liche Probleme.

(aus: BVerfG-Jahresstatistik 1999)

Die 12 Zivilsenate des Bundesgerichtshofsverzeichneten 1999 einen Eingang von4.408 Revisionen (1997: 4.255). Bei den Neu-eingängen dominierten erneut Streitwertrevi-sionen, die 95,8% ausmachten; Zulassungs-revisionen fielen hingegen nur mit 3,4% an.Zum erneuten Anstieg der Eingangszahlenhaben maßgeblich Revisionen aus den fünfneuen Bundesländern beigetragen. Mit 749Eingängen (1998: 706) erfolgte hier gegen-

über 1996 ein Zuwachs um 51,6%. Erledigtwurden insgesamt 4.027 Revisionen (1998:4.187). Ende 1999 waren noch 4.101 Revisio-nen anhängig, was einer Zunahme um 10,3%entspricht. Die Dauer der erledigten Verfah-ren blieb konstant: Ca. 30% aller Revisionenwurden innerhalb von sechs Monaten, weitere41% innerhalb von zwölf Monaten erledigt.Bei den fünf Strafsenaten ist die Zahl derRevisionen (einschl. Vorlegungssachen) mit3.192 Eingängen gegenüber 1998 (3.443)weiterhin leicht rückläufig. Aus den neuenBundesländern gingen 440 (1998: 472) Revi-sionen ein; deren Zahl blieb damit – imGegensatz zu Zivilsachen – in etwa konstant.Der Bestand an Revisions- und Vorlegungs-sachen betrug Ende 1999 326 (1998: 383).Die Erledigungsdauer lag in 67% der durchUrteil entschiedenen Revisionen bei dreiMonaten, in weiteren 27% bei sechs Monaten.Das Jahr 1999 war durch einen starken perso-nellen Wandel geprägt. So wurden zwölf derinsgesamt 123 Richterstellen neu besetzt. Indiesem Jahr werden außer dem Präsidentenplanmäßig ein Vorsitzender und acht Bun-desrichter pensioniert; 2001 sind es nocheinmal fünf Vorsitzende und sechs Richter.

(aus: BGH-Jahresstatistik 1999)

Beim Bundesverwaltungsgericht waren 19993.274 Eingänge (1998: 3.944) zu verzeichnen.Dieser Rückgang beruht vor allem auf einerstarken Abnahme von Asylsachen (-36%). DieGesamtzahl der aus den fünf neuen Bundes-ländern eingegangenen Streitsachen ist mit1.022 Verfahren (1998: 815) um 25,4% gestie-gen. Um rd. 35% haben hierbei die Verfahrenaus dem Bereich der offenen Vermögens-fragen (insgesamt 861 Sachen) zugenommen.Die Zahl der Erledigungen betrug 3.501 (1998:4.028). Ende 1999 waren noch 801 Verfahrenanhängig. Die Erledigungsdauer konnte gegen-über dem Vorjahr erneut verringert werden.Sie lag in den durch Urteil entschiedenenVerfahren bei etwas über zehn Monaten, inBeschlusssachen bei knapp drei Monaten.In diesem Jahr werden neben der Vizepräsi-dentin drei weitere Vorsitzende Richter in denRuhestand treten; in den beiden nächstenJahren folgen weitere vier Vorsitzende, dar-unter auch der Präsident des Gerichts.

(aus: Pressemitt. des BVerwG Nr. 5/00)

Beim Bundesarbeitsgericht waren am 1.1.1999insgesamt 1.163 Rechtsstreitigkeiten (1998:1.153) anhängig. Hinzu kamen 1.939 neueSachen (1998: 2.294), darunter 707 Revisio-nen und 1.047 Nichtzulassungsbeschwerden.Erledigt wurden im Geschäftsjahr insgesamt1.966 Sachen (u.a. 759 Revisionen und 1.046Nichtzulassungsbeschwerden). Die Zahl derEnde 1999 noch anhängigen Rechtsstreitig-keiten betrug 1.136.

(aus: Pressemitt. des BAG Nr. 14/00)

Beim Bundessozialgericht wurden 1999 insge-samt 2.250 Verfahren anhängig (1998: 2.285),davon 556 Revisionen und 1.694 Nichtzulas-sungsbeschwerden. Ein starker Rückgang derEingänge war insbesondere bei Streitigkeitenim Kassen- und Vertragsarztrecht zu verzeich-nen; einen Zuwachs gab es hingegen beiRenten- und Arbeitslosenversicherungsstrei-tigkeiten. Erledigt wurden 2.265 Verfahren(1998: 2.382). Die Verfahrensdauer konntegegenüber dem Vorjahr deutlich gesenkt wer-den; etwa 70% aller Revisonen und nahezualle Nichtzulassungsbeschwerden wurdeninnerhalb von zwölf Monaten erledigt.

(aus: Presse-Sonderbericht des BSG Nr. 2/00)

Regelung offener VermögensfragenBis zum Stichtag 31.12.1999 sind knapp 93%der Eigentumsfälle erstinstanzlich erledigt.Von den einst 2,1 Mio. beanspruchten Immo-bilien im Ostteil Deutschlands steht beica. 150.000 noch eine erste Entscheidung imVerwaltungsverfahren aus; rd. 13.000 Ent-scheidungen liegen den Widerspruchsbe-hörden vor. Darüber hinaus sind ca. 11.500Verfahren vor den Verwaltungsgerichten an-hängig. Der Personalbestand sank im 4. Quar-tal 1999 in den örtlichen Ämtern und imLARoV Berlin, mit Ausnahme von Thüringen,im Durchschnitt um weitere 6%. Die Zahl derMitarbeiter in den insgesamt noch 83 Ämternund sechs Landesämtern ging von ehemals5.220 zwischenzeitlich auf 2.536 zurück.

(aus: Pressemitt. des BARoV Nr. 1/00)

FachanwälteNach einer Fachanwalts-Statistik der RAKOldenburg ist die Bereitschaft zur Qualifizie-rung als Fachanwalt in den Bundesländernunterschiedlich ausgeprägt. Im Vergleich mitden Mitgliedern der 24 anderen regionalenKammern nimmt Berlin mit 5,5% verliehe-nen Titeln »Fachanwalt« bzw. »Fachanwältin«dabei einen Schlussplatz ein (Stand: 1.1.1999).Dahinter folgen Sachsen-Anhalt, Thüringen,Sachsen und Brandenburg. Führend ist inso-weit die RAK Hamm mit bereits 15,4% Fach-anwälten. Auf die einzelnen Rechtsgebieteverteilt ergeben sich bundesweit folgendeZahlen: Arbeitsrecht: 2,9%; Steuerrecht: 2,8%;Familienrecht: 2,3%; Verwaltungsrecht: 0,7%;Strafrecht: 0,5%; Sozialrecht: 0,4%.

(aus: Berliner Anwaltsblatt 2000, 47)

PERSONALNACHRICHTEN

BundesverwaltungsgerichtEnde 1999/Anfang 2000 wurden zu Richternam BVerwG ernannt: MinDgt Dr. Harald Dörig(zuletzt Thüringer Wissenschaftsministe-rium), RiOVG Stephan Gatz (zuletzt OVG Mag-deburg) und RiVGH Dr. Alexander Jannasch(Baden-Württemberg).

Neue Justiz 4/2000186

187Neue Justiz 4/2000

Rechtsmittelreform in Zivilsachen

Das BMJ hat Ende 1999 einen umfänglichen Referentenentwurf für ein Gesetzzur Reform des Zivilprozesses (ZivilprozessreformG – ZPO-RG) vorgelegt, dernach ersten Diskussionen in der Richter- und Anwaltschaft bereits auf Kritikgestoßen ist (siehe dazu S. 182, in diesem Heft). Die Bundesjustizministerinwill ab Mai d.J. die Praxistauglichkeit ihre Vorschläge in einigen Bundes-ländern (Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und in einem neuenBundesland) erpoben lassen. Im Folgenden werden Auszüge aus dem allge-meinen Begründungsteil abgedruckt.

I. Warum eine Reform des Zivilprozesses?Die Verhandlungskultur, die Funktion der Rechtsmittelzüge und derGerichtsaufbau genügen den berechtigten Ansprüchen der rechtsuchen-den Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft nicht mehr … Dieangestrebte Qualitätsverbesserung des Zivilprozesses kann nur mit einergrundlegenden Reform erreicht werden. Sie muss sich an folgenden Leit-linien orientieren:• Die streitschlichtenden Elemente im Zivilprozess müssen gestärkt wer-

den. Eine gütliche Einigung zwischen den Parteien in einem möglichstfrühen Prozessstadium ist die effizienteste und zugleich bürgerfreund-lichste Form der Erledigung eines Rechtsstreits.

• Der Gang des Verfahrens bis zur Entscheidung muss für die Parteientransparenter und nachvollziehbarer werden. …

• Mit der Stärkung der ersten Instanz geht die Umgestaltung der zweiteneinher. Die Berufungsinstanz soll sich auf den vom Eingangsgericht fest-gestellten Sachverhalt stützen und ganz auf ihre genuine Aufgabe derFehlerkontrolle und -beseitigung konzentrieren. Der Rechtsuchende sollsich darauf verlassen können, dass die in erster Instanz ohne Rechtsfehlerfestgestellten Tatsachen im höheren Rechtszug Bestand haben.

• Die Berufungsverfahren müssen beschleunigt werden. Der Bearbei-tungsaufwand für aussichtslose Rechtsmittel muss im Interesse derPartei, die in erster Instanz überzeugend obsiegt hat, reduziert werden.Zugleich soll die zeitaufwendige Zurückverweisung von der zweiten andie erste Instanz auf unverzichtbare Ausnahmefälle beschränkt werden.

• Das spezielle »Know-How« der Berufungsinstanz soll effizient in einemeinheitlichen Berufungsgericht gebündelt werden.

• Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels darf nicht vom Geldbeutel abhän-gen. Die Abgrenzung zu Zivilsachen mit geringem Streitwert ist auf einefür eine funktionierende Justiz unerlässliche Höhe abzusenken. DieWertgrenzen müssen zudem durchlässiger gestaltet werden, damit Fällevon grundsätzlicher Bedeutung unabhängig vom Wert des Streitgegen-standes in die nächsthöhere Instanz gelangen können. Daraus folgtauch der Abschied von der geltenden Streitwertrevision. …

II. Derzeitige SituationDas geltende Zivilprozessrecht wird diesen Ansprüchen nicht gerecht.Der vom Gesetzgeber in den letzten Jahren eingeschlagene Weg dersog. Rechtspflegeentlastungsgesetze hat sich als letztlich untauglichesSteuerungsinstrument erwiesen, weil nicht die Ursachen der Defizite ange-gangen wurden, sondern lediglich die Symptome. Er hat weder eine echteEntlastung der Justiz noch gar die Verbesserung von Bürgernähe, Effizienzoder Transparenz gebracht. Erkennbar sind vielmehr immer deutlicherstrukturelle Mängel, die nicht länger hingenommen werden können. …

III. Folgerungen: Struktureller LösungsansatzDer Entwurf wird durch eine strukturelle Neugestaltung wesentlicherBereiche des Zivilverfahrensrechts – vor allem des Rechtsmittelrechts – dievorhandenen … knappen Ressourcen der Justiz besser nutzbar machenund die Überlast der Zivilgerichtsbarkeit abbauen. Wesentliche Ziele sind– die verfahrensrechtliche Stärkung des Schlichtungsgedankens im

Zivilprozess durch die Einführung einer obligatorischen Güteverhand-lung,

– die Erhöhung der Transparenz richterlicher Entscheidungsfindungdurch die Erweiterung der richterlichen Aufklärungs- und Hinweis-pflichten,

– der Abbau der streitwertabhängigen Zugangsbarrieren zum Rechtsmittel,– eine stringente Funktionsdifferenzierung der Rechtsmittelebenen,– die Schaffung von verfahrensökonomischen Erledigungsmöglichkeiten

je nach Erfolgsaussicht oder rechtlicher Bedeutung einer Streitsache,– Wegbereitung für eine Harmonisierung der Verfahrensordnungen.… Dies führt zu folgenden Leitlinien der Neukonzeption:

1. Stärkung der ersten InstanzUnabdingbare Voraussetzung zur Erreichung des Ziels einer streitbeen-denden Funktion der ersten Instanz und damit einer Verfahrensbeschleu-

nigung ist die inhaltliche und personelle Stärkung der Eingangsinstanz.Alle Möglichkeiten einer einvernehmlichen Konfliktregelung zwischenden Parteien müssen genutzt werden, damit in einem möglichst frühenProzessstadium Rechtsfrieden eintritt.Der Entwurf erweitert deshalb die materielle Prozessleitungs- und Hin-weispflicht des Gerichts (§ 139 ZPO) erheblich. Der Richter soll die Sach-und Rechtslage mit den Parteien umfassend erörtern und darlegen, wennseine Beurteilung von dem Vortrag einer Partei abweicht. Die richterlicheEntscheidungsfindung soll für die Parteien transparenter werden, damitder Prozessstoff schneller auf die entscheidungserheblichen Fragenbeschränkt werden kann. Wenn die Parteien auf diese Weise in das Ver-fahren einbezogen werden, werden sie eher geneigt sein, ein streitigesUrteil, auch wenn es gegen sie ausfällt, zu akzeptieren. Ferner enthält derEntwurf Regelungen zur Erweiterung prozessualer Aufklärungs- und Vor-lagepflichten in den Bereichen des Urkunden- und Augenscheinsbeweises.Die Möglichkeiten zur gütlichen Einigung und zur außergerichtlichenStreitschlichtung werden durch Einführung einer dem arbeitsgerichtlichenVerfahren angenäherten Güteverhandlung und Erleichterungen beimAbschluss eines gerichtlichen Vergleichs außerhalb einer mündlichenVerhandlung erweitert. Ergänzt werden die Regelungen durch Erleichte-rungen bei der Abfassung von Urteilen und durch die Übernahme vonVorschlägen aus dem Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung des zivil-gerichtlichen Verfahrens und des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit(BT-Drucks. 14/163). …

2. Abbau der Wertgrenzen für den Zugang zum RechtsmittelNach dem Entwurf werden die Zugangschancen zum Rechtsmittelgrundsätzlich bei allen Urteilen gleichermaßen gewährleistet. Der gene-relle Ausschluss des Rechtsmittels der Berufung bei Beschwerdewertenunter 1.500 DM wird deshalb ebenso aufgegeben wie die Streitwertrevi-sion. Außerdem entfällt der grundsätzlich zweigliedrige Instanzenaufbaufür amtsgerichtliche Verfahren; auch amtsgerichtliche Urteile könnenkünftig in die Revisionsinstanz zum BGH gelangen, wenn eine grundsätz-liche Rechtsfrage zu entscheiden ist.Der Entwurf senkt die Berufungssumme auf 1.200 DM ab und führt bei dendarunter liegenden Beschwerdewerten eine Zulassungsberufung bei grund-sätzlicher Bedeutung der Sache ein. Dies wird auch zu einer Entlastung desBVerfG führen … .Der Entwurf führt die allgemeine Zulassungsrevision ein, mit der gewähr-leistet wird, dass unabhängig vom Beschwerdewert des Berufungsurteils dieZugangschance zum Revisionsgericht gegeben ist. Hat das Berufungsgerichtdie Revision nicht zugelassen, kann diese Entscheidung mit einer beimRevisionsgericht einzulegenden Nichtzulassungsbeschwerde angefochtenwerden. Damit werden die prozessualen Voraussetzungen für eine schnel-lere Entscheidung grundsätzlicher Rechtsfragen durch den BGH geschaffen.

3. Funktionsdifferenzierung der RechtsmittelinstanzenEiner der zentralen Punkte des Entwurfs ist die Umgestaltung der Beru-fungsinstanz zu einem Instrument der Fehlerkontrolle und -beseitigung.Dies bedeutet: Das Berufungsgericht wird (nur) von solchen Tatsachen-feststellungen entlastet, die bereits die erste Instanz rechtsfehlerfrei undvollständig getroffen hat. Es soll außerdem die Sache – ggf. nach Beweis-aufnahme, soweit diese erforderlich ist – möglichst abschließend ent-scheiden; die Zurückverweisung an die erste Instanz soll im Interesse derVerfahrensbeschleunigung die Ausnahme bilden.Eine klare Funktionszuweisung zwischen den Instanzen erreicht der Ent-wurf zudem dadurch, dass die Aufgabe der Durchsetzung der Einzelfall-gerechtigkeit im Rechtsmittelzug in erster Linie der Berufungsinstanz über-tragen wird, während beim BGH die Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen,die Aufgaben der Rechtsfortbildung und der Wahrung der Rechtseinheitkonzentriert werden.Weitere Maßnahme der klaren Funktionszuweisung ist die Konzentrationder Berufungen bei den OLG. Der Rechtsmittelzug wird damit für denRechtsuchenden transparenter und fördert die Einheitlichkeit der Recht-sprechung.

4. Vereinfachte Erledigungsmöglichkeit für substanzlose RechtsmittelDer Entwurf sieht im Berufungsrecht die Einführung eines Annahme-verfahrens vor, in dem Berufungen ohne hinreichende Erfolgsaussichtund ohne grundsätzliche Bedeutung ohne mündliche Verhandlungabschließend erledigt werden können. Derzeit sind über 50% aller Beru-fungen erfolglos. In diesen Fällen ergibt sich durch das Annahmeverfah-ren ein erheblicher verfahrensbeschleunigender Effekt durch schnellereRechtskraft und Vollstreckbarkeit, ohne dass damit eine Verkürzung vonRechtsschutzmöglichkeiten zu besorgen ist. …

Dokumentat ion

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Dokumentat ion Rechtsmit te l re form in Z iv i l sachen

5. EinzelrichterEine Funktionsdifferenzierung ist auch im Verhältnis zwischen dem Kolle-gialspruchkörper und seinen einzelnen Mitgliedern geboten. In tatsächlichund rechtlich nicht besonders schwierigen Sachen ist der Einsatz einesMitglieds des Kollegialspruchkörpers als Einzelrichter ausreichend, umeinen Rechtsstreit in mindestens gleicher Qualität zu erledigen wie derKollegialspruchkörper. Rechtstatsächliche Untersuchungen zum Einzel-richtereinsatz in erster Instanz zeigen, dass Akzeptanzprobleme nichtfestzustellen sind, die Vergleichsquote vielmehr höher und die Berufungs-quote niedriger als beim Kollegialspruchkörper ist. Das Festhalten amKollegialsystem im Übrigen gewährleistet, dass in schwierigen Fällen dasbewährte Mehraugenprinzip erhalten bleibt und das Kollegium seinerAusbildungsfunktion bei jungen Richterinnen und Richtern nachkommenkann.

IV. Grundzüge der Reform1. Neuregelungen im Verfahren erster Instanza) GüteverhandlungAngesichts der unverändert hohen Belastung der Zivilgerichtsbarkeit istes notwendig, ein stärkeres Augenmerk auf eine gütliche Streitbeilegungin einem möglichst frühen Prozessstadium zu legen. Eine gütliche Eini-gung zwischen den Parteien dient zudem dem Rechtsfrieden nachhaltigerals eine Streitentscheidung durch Urteil. Der Gütegedanke wird deshalbdurch die Einführung einer obligatorischen Güteverhandlung im Zivil-prozess institutionell stärker verankert. Der Gütetermin hat sich imarbeitsgerichtlichen Verfahren (§ 54 ArbGG) bewährt und trägt zu dessenhoher Vergleichsquote (39,6% [1997]) bei. Wenn auch ein Rückschluss aufdie Zivilgerichtsbarkeit wegen der unterschiedlichen Rechtsmaterie undStreitkultur mit Unsicherheiten behaftet ist, lässt sich doch erwarten,dass die Einführung einer obligatorischen Güteverhandlung positiveWirkungen auf die derzeit unbefriedigende erstinstanzliche Vergleichs-quote vor dem AG (9,4% [1998]) und vor dem LG (16,4% [1998]) habenwird.Die Güteverhandlung (§§ 278, 279 Abs. 1 ZPO-E) soll in persönlicherAnwesenheit der Parteien stattfinden. Dies gibt dem Gericht die Gelegen-heit, den Sachverhalt durch Befragung der Parteien umfassend aufzuklärenund dadurch ein solides Fundament für einen begründeten Vergleichs-vorschlag zu schaffen. Diese Lösung sichert die Vergleichsbereitschaft derParteien besser als ein isolierter Gütetermin, der überdies die Justiz vorschwere organisatorische Probleme stellen und in den rund 40% aller erst-instanzlichen Verfahren (ca. 770.000 jährlich), in denen nur ein Terminerforderlich ist, mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Verzögerungführen würde.Einer obligatorischen Güteverhandlung in der Berufungsinstanz bedarf esnicht (§ 525 Satz 2 ZPO-E), da sie zur künftigen Funktion des Rechtsmit-tels nicht passt und zudem die Konzentration der Berufungssachen beimOLG gefährden würde.b) Stärkung der materiellen ProzessleitungsbefugnisDie Umgestaltung des Berufungsverfahrens zu einer Instanz der Fehler-kontrolle und -beseitigung hat zur Folge, dass die Verantwortung für dieRekonstruktion des entscheidungserheblichen Sachverhalts sich im Wesent-lichen auf die erste Instanz konzentriert. …Durch die Konzentration der Sachverhaltsfeststellung auf die erste Instanzwerden die Eingangsgerichte nicht unzumutbar belastet. Nach den Ergeb-nissen der von Prof. Rimmelspacher durchgeführten rechtstatsächlichenUntersuchung zeigt sich, dass nur in 16,6% aller Berufungsverfahren vordem OLG und in 12,8% aller Berufungsverfahren vor dem LG neueAngriffs- und Verteidigungsmittel geltend gemacht werden. Selbst wennman unterstellt, dass die Parteien in nahezu allen dieser allenfalls 25.000Berufungsverfahren die neuen Angriffs- oder Verteidigungsmittel bereits inerster Instanz vorbringen könnten, wären lediglich knapp 1% aller erst-instanzlichen Verfahren von einer Mehrbelastung durch weiteren erheb-lichen Tatsachenvortrag betroffen. Selbst wenn man weiter annehmenwürde, dass sich der richterliche Arbeitsaufwand in diesen Verfahren durchvermehrte Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung um 25% erhöhenwürde, würde dies allenfalls zu einer Mehrbelastung i.H.v. rund 10 Rich-terstellen führen. …c) EinzelrichterDer Entwurf sieht die Einführung des originär zuständigen Einzelrichtersfür Streitigkeiten mit einem Streitwert bis zu 60.000 DM vor. Die Ein-führung der originären Zuständigkeit eines Einzelrichters für diesenStreitwertbereich ermöglicht eine sachgerechte Verteilung der Verfahrenzwischen Einzelrichter und Kollegium. Verfahren, die besondere Schwie-

rigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweisen oder grundsätzlicheBedeutung haben, sind nach wie vor von der Kammer zu entscheiden. …Für Streitigkeiten über 60.000 DM soll es dagegen bei der (Ausgangs-)Zuständigkeit der Zivilkammer bleiben; die Kammer soll jedoch auch indiesem Streitwertbereich Sachen ohne besondere Schwierigkeiten undohne grundsätzliche Bedeutung dem Einzelrichter zur Entscheidungübertragen. …Der belastungsmindernde Effekt der vorgesehenen Einzelrichterregelungist erheblich: Der Einzelrichter darf nur Rechtsstreitigkeiten, die besondereSchwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweisen oder grund-sätzliche Bedeutung haben, auf die Kammer übertragen, umgekehrt darfdie Kammer auch nur unter diesen Voraussetzungen von einer Übertra-gung auf den Einzelrichter absehen. Demnach reicht nicht jede, sondernnur eine erheblich über dem Durchschnitt liegende Schwierigkeit für dieBejahung der Kammerzuständigkeit aus. Der Einzelrichter wird also künf-tig etwa 70% der derzeit bei der Kammer eingehenden Verfahren selbst zuentscheiden haben …

2. Neukonzeption der Berufungsrechtsa) Funktionsdifferenzierung der Rechtsmittel: Neudefinition der BerufungsfunktionDas Berufungsverfahren wird durch die Reform grundlegend umgestaltet.Die unökonomische und rechtsstaatlich nicht gebotene Ausgestaltung derBerufung als volle zweite Tatsacheninstanz wird aufgegeben. Das Beru-fungsrecht wird den spezifischen Erfordernissen der Kontrolle erstinstanz-licher Verfahren und Entscheidungen angepasst. Der bisherige § 525 ZPO,der die Neuverhandlung des Rechtsstreits vor dem Berufungsgerichtvorsieht, wird durch den neuen § 529 ZPO-E, der den Prüfungsumfang desBerufungsgerichts bestimmt, abgelöst. Funktion der Berufung wird eskünftig sein, das erstinstanzliche Verfahren und Urteil auf die Einhaltungdes vom Berufungsführer als verletzt geltend gemachten entscheidungs-relevanten Rechts zu überprüfen und etwaige Fehler zu beseitigen. Damitwerden nicht nur die eigentliche Funktion der Berufung im Gesamt-rechtsmittelsystem deutlicher als bislang hervorgehoben, sondern zugleichauch die Voraussetzungen für eine effektivere und bürgerfreundlichereAusgestaltung des Berufungsrechts geschaffen.Konsequenz der Funktionsdifferenzierung zwischen den Instanzen ist diein § 529 ZPO-E festgeschriebene Bindung des Berufungsgerichts an rechts-fehlerfreie und vollständige Tatsachenfeststellungen in erster Instanz,soweit nicht zulässiges neues Parteivorbringen in der Berufungsinstanz(vgl. § 531 ZPO-E) anderweitige Feststellungen rechtfertigt. Was das Aus-gangsgericht ohne Rechtsfehler und vollständig festgestellt hat, ist damitauch in der Berufungsinstanz maßgeblich. Reine Feststellungsrügen, diedie Berufung darauf stützen, das angefochtene Urteil beruhe auf unzutref-fenden Feststellungen zum Sachverhalt, weil das Erstgericht zwar keineVerfahrensnorm verletzt habe, aber gleichwohl zu einer anderen Überzeu-gung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer Tatsachenbehauptunghätte kommen müssen, verlieren damit ihre Relevanz. …b) Das Annahmeverfahren in der Berufungsinstanz Mehr Effizienz und Bürgerfreundlichkeit schafft das neue Recht mit derEinführung des Annahmeverfahrens für die Berufung. Der erste Abschnittdes Berufungsverfahrens wird künftig durch das Annahmeverfahrengeprägt. Im Annahmeverfahren prüft das Berufungsgericht, ob die Beru-fung in zulässiger Weise eingelegt und begründet worden ist sowie ob siehinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder eine Rechtsfrage von grund-sätzlicher Bedeutung betrifft. Liegen diese Voraussetzungen vor, nimmtdas Berufungsgericht die Berufung durch Beschluss an und das Berufungs-verfahren wird weiter durchgeführt. Liegen diese Voraussetzungen nichtvor, lehnt das Berufungsgericht die Annahme der Berufung ohne münd-liche Verhandlung durch Beschluss ab. Damit endet das Berufungsver-fahren und das angefochtene erstinstanzliche Urteil wird rechtskräftig.Das Annahmeverfahren gestaltet den Rechtsschutz für den Bürger effek-tiver: Ist die Berufung ohne Erfolgsaussicht und betrifft sie auch keineRechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, so erhält die in erster Instanzerfolgreiche Partei deutlich schneller als bislang die Gewissheit über dieEndgültigkeit ihres Obsiegens. Zugleich werden damit für in der erstenInstanz unterlegene Beklagte die Anreize vermindert, durch die Einlegungdes Rechtsmittels der Berufung die Vollstreckung des titulierten Anspruchshinauszuzögern (»Justizkredit« durch Rechtsmittelausschöpfung). Die Zahlder aus solchen sachfremden Erwägungen eingelegten Rechtsmittel wirdsich damit voraussichtlich verringern.Das Annahmeverfahren führt dabei zu keiner Rechtsschutzverkürzung:Da die Berufung nicht nur bei grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache,sondern immer schon dann anzunehmen ist, wenn sie hinreichende

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Aussicht auf Erfolg hat, werden berechtigte Berufungseinlegungen dasStadium des Annahmeverfahrens stets erfolgreich durchlaufen und behaup-tete Rechtsverletzungen im Berufungshauptverfahren entsprechenderPrüfung unterzogen.Das Annahmeverfahren führt für die Parteien zu einer Kostenersparnis:Aussichtslose und Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht aufwer-fende Berufungsverfahren sind bereits im Annahmeverfahren zu erledigen,so dass eine mündliche Verhandlung und die damit anfallenden Ver-handlungsgebühren vermieden werden. …Das Annahmeverfahren verspricht erhebliche Effizienzgewinne für dieGerichte: Das Berufungsgericht bekommt mit dem Annahmeverfahrenein Instrument an die Hand, das es ihm erlaubt, aussichtslose und Fragenvon grundsätzlicher Bedeutung nicht aufwerfende Berufungsverfahrenschnell und ohne den in diesen Fällen unnötigen Aufwand einer münd-lichen Verhandlung zu erledigen.Diese Auswirkung ist für die Gerichte nach den Erfahrungen mit der Ein-führung der Zulassungsberufung durch die 6. VwGO-Novelle erheblich.So sind in der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Erledigungszahlen proRichter bei den OVG von 54 im Jahre 1995 (Jahr vor der Einführung derZulassungsberufung) auf 78 im Jahre 1998, mithin um 44,4% angestiegen.Zugleich sind die Eingänge von 14.513 (1995) um 21,3% auf 11.428 (1998)zurückgegangen. …Die mitunter gegen die Annahmeberufung ins Feld geführte Kritik an derZulassungspraxis der OVG überzeugt nicht. Zum einen sind die Annahme-gründe in § 522 ZPO-E einfacher und klarer formuliert, als dies aufgrundder erst im weiteren Gesetzgebungsverfahren zur 6. VwGO-Novelle in§ 124 Abs. 2 VwGO endgültig gefassten Zulassungsgründe in der VwGO derFall ist. Zum anderen ist zu bedenken, dass die Erfolgsquote der Berufun-gen in verwaltungsgerichtlichen Verfahren schon vor In-Kraft-Treten der6. VwGO-Novelle erheblich niedriger war als diejenige in der Zivil-gerichtsbarkeit. Es kann deshalb auch nicht verwundern, dass die OVGBerufungen nicht in dem Maße zulassen, wie dies in der Zivilgerichtsbar-keit zu erwarten ist.c) Einheitlicher Berufungsrechtszug und Stärkung der RechtseinheitDer Entwurf weist die Verhandlung und Entscheidung sämtlicher Beru-fungsverfahren dem OLG zu. Dieses wird deshalb künftig sowohl über dieBerufungen gegen die Urteile der LG als auch über Berufungen gegen dieUrteile der AG zu entscheiden haben. Der derzeitige gespaltene Rechtsweg im Berufungsverfahren in Zivilsachen(LG als Berufungsinstanz gegen amtsgerichtliche Urteile, § 72 GVG, OLGgegen landgerichtliche Urteile, § 119 Abs. 1 Nr. 3 GVG) kollidiert mit demPrinzip einer stimmigen Funktionsdifferenzierung für die einzelnenInstanzen und dem Ziel, die Justiz transparenter zu organisieren. Auch derGedanke einer Angleichung des Verfahrensrechts für die einzelnenGerichtszweige lässt einen gespaltenen Rechtsweg als unbefriedigenderscheinen. Die Konzentration der Berufungsverfahren auf der Ebene der OLG gewähr-leistet ein höheres Maß an Rechtseinheitlichkeit, insbesondere bei derAnwendung der verfahrensrechtlichen Regelungen. Sie eröffnet zudem dieChance, in Fragen grundsätzlicher Bedeutung eine oberstgerichtlicheRechtsprechung herbeizuführen und damit Rechtsfragen zu klären, diebislang wegen der grundsätzlichen Unanfechtbarkeit landgerichtlicherBerufungsurteile von höchstrichterlicher Entscheidung ausgenommensind. Ferner hilft die Konzentration des Berufungsverfahrens bei demhöher angesiedelten OLG, die Akzeptanz des Annahmeverfahrens und desEinzelrichtereinsatzes im Berufungsverfahren zu stärken. …d) Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten für den Bürger im Berufungsverfahren… Der Entwurf setzt die für die Zulässigkeit der Berufung notwendigeBeschwerdesumme von derzeit 1.500 DM auf 1.200 DM (600 Euro) herab(§ 512 Abs. 1 ZPO-E) und harmonisiert damit zugleich die Berufungs-wertgrenze mit der Wertgrenze für das – bei Streitwerten bis 1.200 DMmögliche – vereinfachte amtsgerichtliche Verfahren nach § 495a ZPO.Darüber hinaus führt der Entwurf bei Beschwerdewerten bis 1.200 DM eineZulassungsberufung ein: Das erstinstanzliche Gericht hat auf Antrag dieBerufung zuzulassen, wenn mit ihr Rechtsfragen von grundsätzlicherBedeutung aufgeworfen werden (§ 512 Abs. 2 bis 6 ZPO-E). Damit kannkünftig jeder Rechtsstreit, der eine Frage von grundsätzlicher … Bedeu-tung beinhaltet, unabhängig von dem Erreichen eines bestimmten Streit-oder Beschwerdewerts in die Berufungsinstanz gelangen und – aufgrundder Umgestaltung der Revision zu einer reinen Zulassungsrevision (s.u.) –ggf. vom BGH höchstrichterlich entschieden werden. …

Die Reform erweitert nicht nur die Rechtsschutzmöglichkeiten für denBürger, sie gestaltet diese auch effizienter: § 540 ZPO-E fasst die Voraus-setzungen, unter denen das Berufungsgericht den Rechtsstreit an dasAusgangsgericht zurückverweisen kann, deutlich enger als bisher. Durchdas zusätzliche Erfordernis eines Zurückverweisungsantrags einer Parteiwird dem Interesse der Parteien an einer möglichst abschließenden Ent-scheidung durch das Berufungsgericht angemessen Rechnung getragen.e) Ressourcenbewusster Personaleinsatz im Berufungsverfahren … Das bisherige Recht sieht in der Berufungsinstanz nur den vorbereiten-den Einzelrichter vor (§ 524 ZPO). Aufgrund der neuen Funktion derBerufungsinstanz als Instrument der Fehlerkontrolle und -beseitigung isteine Lockerung des Kollegialprinzips indessen auch beim Berufungsgerichtangezeigt. …Der Reformentwurf sieht deshalb in § 528 ZPO-E die obligatorischeÜbertragung des Berufungsrechtsstreits auf den Einzelrichter vor, wenn dieerstinstanzliche Entscheidung von einem Einzelrichter erlassen ist undbesondere Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art oder ent-scheidungserhebliche Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung einerÜbertragung nicht entgegenstehen. Diese Übertragungsentscheidung darfallerdings erst ergehen, wenn der Senat die Berufung wegen hinreichenderAussicht auf Erfolg angenommen hat. Dadurch wird gewährleistet, dass dasAnnahmeverfahren in der Hand des gesamten Berufungssenats bleibt.

3. Neukonzeption der Revisionsrechtsa) Einführung einer allgemeinen Zulassungsrevisionaa) Die bestehenden Regelungen zum Revisionszugang haben dazugeführt, dass die Arbeitskraft der Zivilsenate zu weit mehr als 80% durchdie Bearbeitung von Revisionen gebunden wird, die weder rechtsgrund-sätzliche Bedeutung haben noch einen durchgreifenden Rechtsfehler desangefochtenen Urteils aufzeigen. Die Zahl der am Jahresende unerledigtenRevisionen stieg zwischen 1979 und 1998 von 2.096 auf 3.719. Das Anstei-gen des Geschäftsanfalls beruht in erster Linie auf einem überproportio-nalen Zuwachs der Wertrevisionen, die im Vergleichszeitraum um 135%zugenommen haben. Demgegenüber ist die Zahl der von den OLGzugelassenen Revisionen von 353 im Jahr 1979 auf 163 im Jahr 1998zurückgegangen. Das bedeutet, dass Revisionsverfahren beim BGH zumehr als 95% aus Fällen hervorgehen, in denen die Wertrevision statthaftist, obwohl diese bei den streitigen Berufungsurteilen der OLG nur einenAnteil von etwa einem Viertel ausmachen. Hinzu kommt, dass die Zahl derUrteile in der Revision ab-, die Zahl der Ablehnungen der Annahme nach§ 554b ZPO hingegen zunimmt. Während 1979 noch 803 Revisionendurch streitiges Urteil und 767 Fälle durch Ablehnung der Annahme erle-digt wurden, waren es 1998 nur noch 607 Urteile (= 14,5%); in 2141 unddamit in mehr als der Hälfte der Revisionsverfahren wurde die Annahmeder Revision abgelehnt. …bb) An die Stelle der Wertrevision setzt der Entwurf daher die Grundsatz-revision und gestaltet den Zugang zum Revisionsgericht einheitlich. Erorientiert sich dabei an den für das Familienrecht bereits heute geltendenRegelungen (§ 621d ZPO) und geht von der Grundüberlegung aus, dasssich eine Neuordnung des Rechts des Zugangs zur Revision in erster Liniean dem Zweck des Rechtsmittels der Revision ausrichten muss. …cc) Die Grundsatzrevision sichert dem Revisionsgericht eine maximaleWirkungsbreite. Das Wertkriterium ist ein Zugangsmerkmal, das nurgeeignet ist, die Eigenbedeutung der einzelnen Rechtssache zu erfassen.Dagegen bedeutet das Merkmal der Grundsätzlichkeit, dass der zu ent-scheidenden Rechtsfrage gerade eine über den Rahmen des Einzelfalleshinausgehende Bedeutung zukommt, weil ihre Beantwortung nicht nurzur Entscheidung dieses Falles, sondern zugleich auch mit Rücksicht aufdie Wiederholung ähnlicher Fälle erforderlich erscheint. Diese Wirkun-gen eines Revisionsurteils auf unbestimmt viele andere, anhängige oderkünftige Verfahren sind, auch wenn das Urteil in einem Prozess mitmittlerem oder geringem Beschwerdewert erlassen wird, weitergehendals die Wirkungen eines nur für das jeweilige Verfahren bedeutsamenUrteils. …dd) Die gegen eine solche Gestaltung des Zugangs zum Revisionsgerichterhobenen Bedenken sind unbegründet:Ein Verlust der erforderlichen Breite des Anschauungsmaterials für dasRevisionsgericht ist schon deshalb nicht zu befürchten, weil die Befassungdes BGH mit der Entscheidung über Nichtzulassungsbeschwerden zurErweiterung des Anschauungsmaterials beitragen wird. Daneben wird derBGH aus seiner eigenen Judikatur und der Rechtsprechung andererGerichte, vor allem der OLG, die rechtstatsächlich notwendigen Erkennt-nisse erschließen können.

Rechtsmit te l re form in Z iv i l sachen

Neue Justiz 4/2000190

Dokumentat ion Rechtsmit te l re form in Z iv i l sachen

Die Gefahr einer Rechtserstarrung entsteht nicht, weil das Revisionsgerichtsich veranlasst sehen kann und wird, eine bereits entschiedene Rechtsfrageerneut zu durchdenken und zu behandeln, wenn hierzu neue Gesichts-punkte vorgetragen werden. Ebenfalls nicht zu befürchten ist die Gefahreiner Minderung der Überwachungsfunktion des BGH. Diese wirkt schondann, wenn nur die Möglichkeit eines Eingreifens des Revisionsgerichtsbesteht. Sie wird zudem durch das im Entwurf vorgesehene System derGrundsatzrevision mit Nichtzulassungsbeschwerde eher gestärkt.Schließlich erscheint auch die Gefahr der Unanfechtbarkeit offensichtlichunrichtiger Berufungsurteile gering, weil das Berufungsgericht in einemsolchen Fall entweder von einer höchstrichterlichen Entscheidung abge-wichen sein wird (s. unten ee) oder zutage tritt, dass sich in der Recht-sprechung des Berufungsgerichts Rechtsfehler eingeschlichen haben, diewegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zur Zulassung der Revi-sion führen müssen.ee) Neben dem Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Sacheerfordert die Vereinheitlichungsfunktion des Rechtsmittels der Revision,diese auch dann zuzulassen, wenn das Berufungsgericht von einer Ent-scheidung des Revisionsgerichts abweicht. Hingegen sieht der Entwurfdavon ab, die Divergenz zwischen verschiedenen Berufungsgerichtenausdrücklich als Zulassungsgrund vorzusehen. Das bedeutet aber nicht,dass in solchen Fällen stets eine Zulassung ausscheidet, denn in wichtigenFällen abweichender Entscheidungen zweier OLG wird die betreffendeRechtsfrage zumeist auch von grundsätzlicher Bedeutung sein.b) Zulassungsentscheidung durch das BerufungsgerichtDie Zulassungskompetenz weist der Entwurf dem Berufungsgericht zu.Mit dem OLG entscheidet über die Zulassung der Revision ein Gericht, dasmit dem Prozessstoff und den Rechtsfragen des Falles bereits vertraut ist,während sich das Revisionsgericht erst einarbeiten müsste. Außerdemdient diese Vorgehensweise der Rechtsmittelklarheit, weil schon bei Erlassdes Berufungsurteils eine Entscheidung darüber vorliegt, ob die Revisionstatthaft ist. Die Übertragung auf das Instanzgericht entspricht auch denRegelungen der anderen Verfahrensordnungen (§ 132 Abs. 1 VwGO, § 72Abs. 1 ArbGG, § 115 Abs. 1 FGO, § 160 Abs. 1 SGG). An die Zulassungs-entscheidung des Berufungsgerichts ist das Revisionsgericht gebunden.c) NichtzulassungsbeschwerdeHat das OLG über die Zulassung der Revision zu entscheiden, so erscheintes erforderlich, die Nichtzulassungsbeschwerde an den BGH zu eröffnen,wenn das OLG die Revision nicht zugelassen hat. … Das Revisionsgerichtentscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Mit der Ablehnung derZulassung durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig. Lässt dasRevisionsgericht auf die Nichtzulassungsbeschwerde die Revision zu, gehtdas Beschwerdeverfahren unmittelbar in das Revisionsverfahren über.Diese Verbreiterung der Zugangsmöglichkeiten zum Revisionsgericht unddie angespannte derzeitige Belastungssituation beim BGH machen es– obwohl Wertgrenzen generell als Steuerungsinstrument für die Zugangs-regulierung wegfallen sollen – erforderlich, zur Vermeidung einer nichtauszuschließenden Überlastung des BGH für eine Übergangszeit, in der dieEntwicklung beobachtet werden kann, die Nichtzulassungsbeschwerdestreitwertabhängig zu begrenzen. Auf der Grundlage einer Übergangs-regelung, die einen Zeitraum von fünf Jahren umfasst, ist mit einer spür-baren Entlastung des BGH zu rechnen, ohne die generelle Möglichkeit zubeeinträchtigen, in Grundsatzfragen höchstrichterliche Entscheidungenherbeizuführen. …Die Wertgrenze für die vorläufige Beschränkung der Zulassungsbeschwerdesetzt der Entwurf – entsprechend der Herabsetzung der Berufungssumme –auf 40.000 DM fest und führt damit die Wertgrenzenerhöhung des Rechts-pflegevereinf.G v. 17.12.1990 (BGBl. I S. 2847) wieder auf den davorgeltenden Wert zurück. In der Übergangszeit besteht Gelegenheit,Grundsätze zur Zulassung der Revision zu entwickeln, die sich auch aufdie Zulassungspraxis der OLG auswirken werden. Es ist zu erwarten, dasshierdurch längerfristig die Zahl der Nichtzulassungsbeschwerden rück-läufig sein wird. Davon wird es letztlich abhängen, ob und ggf. wann dieBeschränkung für die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde einge-schränkt oder aufgehoben werden kann.

4. Neukonzeption des Beschwerderechts… Die Neuregelung des Beschwerderechts gilt nur für die Beschwerden, diedem Recht der ZPO unterliegen. Das Verfahren in Angelegenheiten derfreiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) wird inhaltlich davon nicht berührt.a) Angleichung des Beschwerderechtszuges an den HauptsacherechtszugDurch die Übertragung der dreigliedrigen Funktionsdifferenzierung in derHauptsache auf den Beschwerderechtszug werden die Beschwerden bei den

OLG und die neu eingeführten Rechtsbeschwerden beim BGH konzen-triert. Das OLG wird also künftig einheitlich über alle Beschwerden gegenEntscheidungen der AG und LG befinden, während der BGH über Rechts-beschwerden gegen oberlandesgerichtliche Beschlüsse entscheidet. DasRechtsmittel der weiteren Beschwerde, die gegenwärtig unter engen Vor-aussetzungen in den Verfahren gegeben ist, die vom AG ausgehen (…),wird durch die Rechtsbeschwerde ersetzt, während die bisherigen revi-sionsähnlich ausgestalteten weiteren Beschwerden (§ 568a ZPO) undErstbeschwerden (…) zum BGH durch die Neukonzeption des Berufungs-verfahrens und die Beschränkung der Einspruchsverwerfungsentschei-dung auf die Urteilsform (§ 341 Abs. 2 ZPO-E) obsolet geworden sind.b) Generelle Befristung der BeschwerdeDer Entwurf führt zum Zwecke der Verfahrensvereinfachung und -beschleu-nigung eine generelle Befristung der Beschwerde ein, wie sie auch dieVwGO, die FGO und das SGG vorsehen, und schafft insoweit die bisherigeUnterscheidung zwischen der einfachen (unbefristeten) und der sofortigen(befristeten) Beschwerde (§ 577 ZPO) ab. …c) BegründungserfordernisNach der Konzeption des Entwurfs soll der Beschwerdef. seine Beschwerdebegründen. Damit wird im Beschwerderecht erstmals ein Begründungs-erfordernis aufgestellt, das das Verfahren vereinfacht und beschleunigt, ohneden Beschwerdef. bei ausbleibender Begründung sofort durch eine Verwer-fung des Rechtsmittels als unzulässig zu sanktionieren. Erst bei Verstrei-chenlassen einer richterlich gesetzten Begründungsfrist kommt als Sanktioneine Präklusion seines Vorbringens in Betracht (§ 571 Abs. 3 ZPO-E). …d) Abhilfemöglichkeit des AusgangsgerichtsDer Entwurf dehnt die Abhilfebefugnis des Erstgerichts, die nach gelten-dem Recht nur für die einfachen Beschwerden gilt (§ 571 ZPO), nunmehrauf alle (generell befristeten) sofortigen Beschwerden aus. Vorbild für dieseRegelung sind die anderen Verfahrensordnungen (VwGO, FGO und SGG),die seit Anbeginn bei ihren generell befristeten Beschwerden eine Abhilfedurch das Ausgangsgericht zulassen. Die Abhilfemöglichkeit erhält denVerfahrensbeteiligten die Instanz. Sie ermöglicht dem Erstrichter eineschnelle Selbstkorrektur und erreicht auf diese Weise sowohl eine Ver-fahrensverkürzung als auch eine Entlastung des Beschwerdegerichts.Durch die Einführung der generellen Abhilfebefugnis im Beschwerderechtwird es nunmehr auch dem Rechtspfleger wieder möglich, einerBeschwerde im Kostenfestsetzungsverfahren abzuhelfen. Diese Befugnishatte er mit dem In-Kraft-Treten des 3. RPflÄndG am 1.10.1998 (BGBl. IS. 2030) verloren. …e) PräklusionIm Gegensatz zum neu geregelten Berufungsrecht bleibt der Charakter desBeschwerdeverfahrens als einer zweiten Tatsacheninstanz erhalten …Um aber auch in der Beschwerdeinstanz einen schrankenlosen und damitverfahrensverzögernden Vortrag neuer Tatsachen und Beweise zu ver-hindern, soll dem Gericht die Möglichkeit eingeräumt werden, nach demVorbild des § 296 Abs. 1, 4 ZPO verspätetes Vorbringen zu präkludieren.Denn auch von den Beteiligten eines Beschwerdeverfahrens kann einbeschleunigtes, auf Prozessförderung bedachtes Vorbringen verlangt werden.f) Ressourcenbewusster Personaleinsatz im BeschwerdeverfahrenDurch den Entwurf wird der originäre Einzelrichter in allen Beschwerdever-fahren eingeführt, in denen ein amts- oder landgerichtlicher Einzelrichterdie angefochtene Entscheidung erlassen hat … Zur Vermeidung von Akzep-tanzverlust wird über die Beschwerde gegen eine Kollegialentscheidungweiterhin ein Kollegium befinden, da es hier aus Gründen der Verfahrens-vereinfachung und -verkürzung kein dem Annahmeverfahren der Beru-fungsinstanz vergleichbares Vorprüfungsverfahren durch den Senat gibt.g) Einführung einer RechtsbeschwerdeDie neu eingeführte Rechtsbeschwerde ermöglicht nunmehr auch imBereich der Nebenentscheidungen die höchstrichterliche Klärung grund-sätzlicher Rechtsfragen. Mit dieser Eröffnung des Zugangs zum BGH kanndie teilweise sehr unterschiedliche Rechtsprechung der OLG (z.B. imKostenrecht) vereinheitlicht werden. Die Rechtsbeschwerde dient der Über-prüfung der Rechtsanwendung und ist daher revisionsähnlich ausgestal-tet. Sie ist gegeben, wenn das OLG sie wegen grundsätzlicher Bedeutungoder Divergenz zugelassen hat oder wenn sie im Gesetz ausdrücklich vor-gesehen ist und der BGH sie aufgrund der gleichen Voraussetzungen fürzulässig erachtet. Der Entwurf sieht im Hinblick darauf, dass es sich i.d.R.um weniger bedeutsame Nebenentscheidungen handelt, eine Nichtzulas-sungsbeschwerde nicht vor. Das Rechtsinstitut der Rechtsbeschwerde lässtdas umständliche Vorlageverfahren (z.B. in § 7 InsO) entfallen und eignetsich als zentrales Modell für andere Gesetze.

191Neue Justiz 4/2000

Detlef BurhoffHandbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren2. Aufl., 1.178 Seiten, geb., mit CD-ROM, 188 DM

Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung3. Aufl., 917 Seiten, geb., 158 DMVerlag für die Rechts- und Anwaltspraxis, Herne/Berlin 1999

Binnen kürzester Zeit sind die Handbücher für das strafrechtlicheErmittlungsverfahren und die strafrechtliche Hauptverhandlung neuerschienen; sie sind wiederum erweitert worden und naturgemäß aktua-lisiert (Stand: Juni/Aug. 1999). Den üblicherweise methodisch orientier-ten Leser mag es zunächst befremden, dass die Handbücher alphabetischnach Stichpunkten geordnet sind; schnell wird er aber die Vorzüge einerderartigen Darstellungsweise schätzen lernen und nicht mehr missenwollen, wenn er – unter zu Hilfenahme der praktischen Ausklappseitenam Ende, die glücklicherweise dem festen Einband nicht zum Opfergefallen sind – spontan zu Problemkreisen Stellung nehmen soll oder sichmit dem aktuellen Meinungsstand vertraut machen möchte. Entspre-chend dem Stand der Technik ist dem Handbuch für das Ermittlungsver-fahren eine CD-ROM für IBM-kompatible PC’s beigefügt, die – einfach zubedienen – immerhin alle genannten Entscheidungen des BGH der amt-lichen Sammlung im Volltext umfasst. Besondere Aktualität, die über dieBenutzerfreundlichkeit sonstiger Handbücher weit hinausgeht, erzieltBurhoff dadurch, dass die Verfahrenstipps beider Handbücher über dieHomepage des Autors (http://www.burhoff.de) aktualisiert und via Inter-net dem Benutzer zur Verfügung gestellt werden. Positiv hervorzuhebenist auch, dass die Neuauflagen vielen Stichwörtern umfangreiche Litera-turhinweise voranstellen, die einen schnellen Zugriff auf weitergehendeLiteratur – bis hin zu Monographien – ermöglichen und Überschnei-dungen durch Querverweise ersetzen. Zahlreiche Musteranträge für beideVerfahrensstadien, von denen nach der Erfahrung des Rezensentenbereits vielfach (erfolgreich) Gebrauch gemacht worden ist, und einedurchweg leserfreundliche Gestaltung runden das Bild einer gelungenenDarstellung ab. Wenn überhaupt Raum für »Kritik« bleibt, so ist dies derRuf nach einem Handbuch auch für das Vollstreckungsverfahren.

Das Handbuch für das strafrechtliche Ermittungsverfahren widmet sicheiner Verteidigungsstrategie, die vielen Strafverteidigern – und dies wohlnicht nur aus gebührenrechtlicher Sicht – fremd zu sein scheint, der ausder Sicht des Beschuldigten aber oftmals vorrangige Bedeutung zukom-men muss: Der Vermeidung einer öffentlichen Hauptverhandlung durchaktive Interessenvertretung bereits im Ermittlungsverfahren. Dabeiwerden auch aktuellste Probleme ansprechend aufgearbeitet und – diesgilt für beide Handbücher – optisch (Schaubilder, Checklisten, Querver-weise) und bibliographisch (Stichwortverzeichnis, Paragraphenregister,Konkordanzenverzeichnis, ausklappbares Schlagwortverzeichnis) vor-bildlich präsentiert. Besonders soll auf die verständlichen Ausführungenzu interdisziplinären Wissenschaften (z.B. Kriminaltechnik, Medizin,Psychiatrie) hingewiesen werden, denen in jüngster Zeit stetig steigendeBedeutung auch für den Juristen zukommt.

Im Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung fallen die durch-weg gelungenen Antragssimile ins Auge, mit denen der Verteidiger – aberauch Staatsanwalt und Nebenklägervertreter – auf die »Bitte« des Vorsit-zenden um schriftliche Niederlegung etwa eines Beweisantrags jederzeitschnell und zutreffend reagieren und diesen druckreif zu Protokoll gebenkann. Dass alle angesprochenen Probleme – und viele weitere sind ineiner Hauptverhandlung kaum denkbar – umfangreich für den Praktikeraufgearbeitet wurden, bedarf kaum noch der Erwähnung. Hier zahlt sichdann auch die Darstellungsweise von Burhoff am stärksten aus, ermög-licht doch nur sie einen jederzeitigen und schnellen Zugriff auf aktuellauftretende, relativ isolierte Problemkreise; Spontaneität ist gerade imRahmen einer strafrechtlichen Hauptverhandlung überwiegend gefragt,da ansonsten zahlreiche Revisionsmöglichkeiten – je nach Sichtweise –eröffnet, verpasst oder verwirkt werden können. Auch aus diesemGrunde sollten selbst erfahrene Strafkammermitglieder nicht vor einemBlick in die Handbücher zurückscheuen.

Als Fazit bleibt festzuhalten: Der Autor bietet mit seinen beiden Bän-den sowohl dem erfahrenen Praktiker als auch dem Berufsanfänger eineschier unerschöpfliche Vielzahl interessanter Erkenntnisquellen; auchneue, (noch) nicht der h.M. entsprechende Lösungswege werden vorge-stellt, wobei diese aber stets als solche gekennzeichnet sind. Vor diesemHintergrund kann nur die Empfehlung zahlreicher Vorrezensentenwiederholt werden, dass »die Burhoffs« Standardwerke nicht nur fürStrafverteidiger, sondern – sowohl aus Gründen der Waffengleichheit alsauch wegen der Aktualität, Komplexität, prozessualen Umfänglichkeitund Objektivität der Ausführungen – auch für ermittelnde Polizeibeamte,Staatsanwälte und Richter darstellen. Es sind Arbeitshandbücher fürden täglichen Gebrauch, nicht aber dekorativ für den Bücherschrank.Prädikat: Uneingeschränkt empfehlenswert.

Staatsanwalt Dr. Heiko Artkämper, Dortmund

Matthias Jahn»Konfliktverteidigung« und InquisitionsmaximeNomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1998387 Seiten, brosch., 88 DM

Jahn legt zum Thema der sog. Konfliktverteidigung, das in den letztenJahren nicht zuletzt aufgrund einiger spektakulärer Gerichtsentscheidun-gen (z.B. LG Wiesbaden, StV 1995, 239) zunehmend in das Rampenlichtgerückt ist, als erster eine Monographie vor, die in ihrem Anspruch wieauch in dessen Umsetzung weit über eine bloße Dissertation hinausgeht.

Dreh- und Angelpunkt ist der von Jahn anstelle des Terminus »Konflikt-verteidigung« gewählte, mir bis dato nicht geläufige Ausdruck »kompen-satorische Verteidigung«. Dieser Begriff ist von ihm nicht als bloßerEuphemismus gewählt worden, sondern ist Ausfluss seiner Sichtweise:Im deutschen Strafprozess habe die Verteidigung gegenüber Gericht undStaatsanwaltschaft eine schlechtere Rechtsposition als in anderen Rechts-kreisen (S. 145), die es durch Ausnutzung der von der StPO gewährtenRechte und Freiräume zu kompensieren gelte (S. 94). Demzufolge siehtJahn »Konfliktverteidigung« – bisher ein eindeutig negativ besetzter Begriff,der nur offen ließ, inwieweit sie nur unseriös und lästig oder schon strafbarist – als (Wieder-)Herstellung der Gewaltenteilung »auf der Mikroebene desStrafprozesses« (S. 146): »Damit kann auch die Tätigkeit, die von denanderen Verfahrensbeteiligten als Verfahrensblockade empfunden wird,Aufgabe des Verteidigers sein … Im Wortsinn bedeutet compensatio nichtsanderes als die Ausgleichung eines Fehlers« (S. 149).

Von diesem Ansatz aus kommt Jahn zu weitreichenden Folgerungen:Zum einen sei die Fremdkontrolle »missbräuchlicher« Strafverteidigungstrikt positivistisch allein auf die in der StPO geregelten Fälle beschränkt;einer wie auch immer gearteten geschriebenen oder ungeschriebenenMissbrauchsklausel wird eine klare Absage erteilt (S. 261 ff.). Zum anderensei die prozessuale Zulässigkeit von Verteidigerhandeln kein Abgrenzungs-kriterium für die Strafbarkeit wegen Strafvereitelung (S. 314 ff.): Kompen-satorische Verteidigung, soweit sie das Strafverfahren und dessen Abschlussbehindert, erschwert oder vereitelt, sei grundsätzlich keine tatbestands-mäßige Strafvereitelung, sofern nicht die Handlung des Verteidigers selbsteinen Straftatbestand außerhalb der Normen verwirklicht, die gerade denstaatlichen Sanktionenanspruch sichern wollen (S. 273, 352).

Jahns Gedanke, Konfliktverteidigung als kompensatorische Verteidigungzu verstehen, ist zunächst einmal insoweit bestechend, als der entsprechendagierende »neue Strafverteidigertypus« (Hanack, StV 1987, 501) mehr oderweniger zeitgleich mit der »Kehrtwende von 1974« (S. 115) in der Strafpro-zessrechtsreform, also der beginnenden Verschiebung der Machtbalance zuLasten des Beschuldigten, ins Blickfeld rückte. Die damit einhergehendeKlimaverschlechterung, der Versuch, den Verlust von Rechten irgendwieauszugleichen, mag zu Konfliktverteidigungsstrategien geführt haben. DerGedanke liegt nahe, dass insoweit Änderungen des Strafverfahrensrechts,die Verteidigeraktivitäten eher drosseln wollen, genau das Gegenteil errei-chen (näher Scheffler, in: Strafverteidigervereinigungen [Hrsg.], AktuellesVerfassungsrecht und Strafverteidigung, 1996, S. 284 f. mwN).

Freilich bleibt zu fragen, ob Jahn dann nicht bei seinem Ansatz einenSchritt hätte weitergehen sollen und anstatt das zweite große seitdembeobachtete Phänomen, die sog. Verständigung, als »gegenläufige Ten-denz« (S. 110) zu bezeichnen, sie als zweite Alternative kompensatorischerVerteidigung hätte erkennen sollen: Auch bei der Verständigungsstrategiedes Verteidigers geht es darum, dem Inquisitionscharakter des Prozessesentgegenzuwirken, indem ein beidseitiges Geben und Nehmen angestrebtwird. Konfliktverteidigung und Verständigung sind sehr viel verwandter,als gemeinhin angenommen wird. Sie sind entgegen Jahn keine »konträrenModelle« (S. 30), sie kommen sogar häufig gemeinsam vor, sind dochGerichte und Staatsanwaltschaft zur Verständigung häufig nur vor demHintergrund von Konfliktverteidigung zu motivieren. Vielleicht würdesich der Begriff der kompensatorischen Verteidigung also eher als Ober-begriff für Konfliktverteidigung und Verständigung eignen.

Noch eines zum Begriff der kompensatorischen Verteidigung. Zwar binich grundsätzlich mit Jahns Analyse zu den Ursachen dieses Phänomenseinverstanden; ich habe aber doch meine Probleme damit, wenn Jahnnormativ folgert, Verfahrensblockade könne »Aufgabe des Verteidigers«sein (S. 149). Konfliktverteidigung als eine Art Widerstandsrecht gegen ein»schlechtes« Strafprozessrecht, gar als eine Widerstandspflicht? Jahnspricht hier jedenfalls von einer »Analogie zu § 32 StGB« und der »Idee derKompensation (§ 199 StGB)« (S. 150 f.). Aber hat er nicht in seinem»Versuch einer Phänomologie kompensatorischer Verteidigung« (S. 38 ff.)sogar Verhaltensweisen wie die »Vernichtung von Verfahrensakten« (S. 42),»Tätlichkeiten in der Hauptverhandlung« (S. 44) und die »Verrichtungmenschlicher Bedürfnisse im Sitzungszimmer« (S. 44 Fn 78) aufgeführt?Hier scheint mir doch – zumindest! – eine klare Differenzierung zu fehlen.

Trotz dieser kritischen Anmerkungen hat Jahn ein wichtiges Buchgeschrieben und einen längst überfälligen Kontrapunkt zu der allgegen-wärtigen negativen Einschätzung von Konfliktverteidigung gesetzt.

Prof. Dr. Dr. Uwe Scheffler, Frankfurt (Oder)

Rezens ionen

Neue Justiz 4/2000192

01 VERFASSUNGSRECHT

� 01.1 – 4/00

Tierschutz/Käfighaltung von LegehennenBVerfG, Urteil vom 6. Juli 1999 – 2 BvF 3/90

GG Art. 12, 14, 80 Abs.1; TierSchG §§ 1, 2, 2a; HHVO § 2

1. a) Eine Verordnung, die auf mehreren Ermächtigungsgrundlagenberuht, muss diese vollständig zitieren.b) Eine Missachtung des Zitiergebots des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GGführt zur Nichtigkeit der Verordnung.2. Zur Vereinbarkeit des § 2 Abs. 1 u. 2 der VO zum Schutz von Lege-hennen bei Käfighaltung (HennenhaltungsVO) mit § 2a Abs. 1 iVm§ 2 Nr. 1 TierSchG.

Problemstellung:Seit langem ist streitig, ob die HennenhaltungsVO (HHVO) v.10.10.1987 (BGBl. I S. 2622) mit dem TierSchG vereinbar ist. DasBVerfG hat mit seinem Urteil gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, das aufeinen Antrag auf abstrakte Normenkontrolle des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Jahre 1990 zurückgeht, entschieden, dass dieHennenhaltungsVO mit höherrangigem Recht nicht vereinbar ist.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Das BVerfG erklärt die HHVO, eine Rechtsverordnung des Bundes, fürnichtig. Das Gericht stellt in diesem Zusammenhang klar, dass diegem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG vorzunehmende Prüfung der Vereinbar-keit einer Rechtsverordnung mit dem GG die Prüfung der Frage vor-aussetzt, ob die Rechtsverordnung mit dem einfachen Bundesrechtvereinbar ist. Denn das ist Voraussetzung dafür, dass überhaupt derGegenstand der verfassungsgerichtlichen Überprüfung – die Rechts-verordnung als solche – vorhanden ist. Eine mit höherrangigem(Gesetzes-)Recht unvereinbare Rechtsverordnung ist bereits wegen desdem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 GG entnehmbaren Vorranges desGesetzes regelmäßig nichtig, so dass es der Überprüfung anhand vonEinzelnormen des GG nicht mehr bedarf.

Als Prüfungsmaßstab für die somit aufgeworfene Frage zieht dasBVerfG § 2a iVm § 2 TierSchG heran, wobei es vorab klärt, dass dieseNormen ihrerseits verfassungsgemäß sind. Der Bund besitze gem. Art. 74Nr. 20 GG die Gesetzgebungszuständigkeit für den Tierschutz und habeim Übrigen durch § 2a TierSchG eine Ermächtigungsnorm geschaffen,die hinsichtlich Inhalt, Zweck und Ausmaß den Anforderungen desArt. 80 Abs. 1 Satz 2 GG entspreche. Hinsichtlich des Ausmaßes derdem Verordnunggeber erteilten Rechtsetzungsmacht trifft das BVerfGdie verallgemeinerungsfähige und höchst bedeutsame Aussage, dass§ 2a TierSchG die Intention des Gesetzgebers zu entnehmen sei, eineIntensivierung des Tierschutzes zu erreichen, deren Obergrenze erindessen nicht selbst abschließend festlege, sondern diese sich aus denGrundrechten der Tierhalter ergebe. Der Gesetzgeber habe auch demParlamentsvorbehalt bei Schaffung des § 2a TierSchG genügt, da erdurch eine Reihe von Regelungen – unter ihnen § 2a selbst – zuerkennen gegeben habe, dass er die Käfighaltung von Legehennen alsUnterfall landwirtschaftlicher Tierhaltung im Grundsatz billige.

Der Verordnunggeber habe – so das BVerfG weiter – den durch § 2avorgezeichneten Rahmen, der durch § 2 Nr. 1 u. 2 sowie den in § 1Satz 1 TierSchG bezeichneten Gesetzeszweck konkretisiert werde undder auf einen Interessenausgleich zwischen der Förderung des ethischbegründeten Tierschutzes und den Grundrechten der Tierhalterhinauslaufe, verletzt. Konkret liege eine Verletzung des durch § 2aTierSchG in Bezug genommenen § 2 Nr. 1 TierSchG vor. Von letzt-genannter Norm werde auch das Schlafbedürfnis der Tiere umfasst,das, anders als die in § 2 Nr. 2 TierSchG geregelte Möglichkeit zur art-gemäßen Bewegung, keinen besonderen Einschränkungen unterliege.Das Schlafbedürfnis der Tiere sei vom Begriff der »Möglichkeit zur

artgemäßen Bewegung« nicht berührt, so dass die in Nr. 2 genanntenEinschränkungsmöglichkeiten hier nicht in Betracht kämen.

Aufgrund dieser Prämisse kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, dassdie in § 2 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 HHVO getroffene Regelung, wonach fürjede Henne eine uneingeschränkt benutzbare Käfigbodenfläche vonmindestens 450 cm3 vorhanden sein müsse, der in § 2 Nr. 1 TierSchGgetroffenen Gesetzes-Vorgabe nicht entspreche. Denn es zeige sich beieinem Vergleich der durchschnittlichen Körpergröße einer ausge-wachsenen Legehenne (47,6 x 14,5 x 38 cm) mit der vorgesehenenKäfigbodenfläche von 450 cm3, dass in mit 4,5 oder 6 Hennen besetz-ten Käfigen, die weitgehend üblich seien, ein ungestörtes gleichzei-tiges Ruhen der Hennen, also eine Befriedigung ihres Schlafbedürf-nisses, nicht möglich sei. Es sei auch nichts dafür ersichtlich, dass esdem artgemäßen Ruhebedürfnis einer Henne entsprechen könne,gemeinsam mit anderen Hennen auf- oder übereinander zu schlafen.Auch die in § 2 Abs. 1 Nr. 7 HHVO geregelte Futtertroglänge von 10 cmerlaube es den Hennen nicht, ihren artgemäßen Bedürfnissen ent-sprechend, ihre Nahrung gleichzeitig aufzunehmen. Das BVerfG stelltklar, dass allein diese Kontrolle »anhand numerischer Größen«genüge, um die Unvereinbarkeit von §§ 2 Abs. 1 Satz 1 u. Nr. 7 Satz 1,1. Halbs. HHVO mit der Ermächtigung des § 2a Abs. 1 iVm § 2 Nr. 1TierSchG festzustellen. Der Frage, ob die in § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHVOgeregelten Käfigbodenflächen und die dadurch bewirkten Einschrän-kungen artgemäßer Bewegungsmöglichkeiten den Tieren iSv § 2 Nr. 2TierSchG Schmerzen, vermeidbare Leiden oder Schäden zufüge, könnesomit offen bleiben. Denn für die hier allein relevante Beeinträch-tigung des Schlafbedürfnisses komme es auf die Verwirklichung dieserTatbestandsmerkmale nicht an. Auch könne offen bleiben, ob weitereartgemäße Bedürfnisse wie das Scharren und Picken, die ungestörteEiablage, die Eigenkörperpflege, zu der auch das Sandbaden gehöre,oder das erhöhte Sitzen auf Stangen durch die in § 2 Abs. 1 u. 2 HHVOgetroffenen Regelungen unangemessen zurückgedrängt werde.

Das BVerfG bekräftigt das von ihm gefundene Auslegungsergebnisunter Hinweis auf europäische Regelungen. Es weist u.a. hin auf dasEuropäische Übereinkommen zum Schutz von Tieren in landwirt-schaftlichen Tierhaltungen (ETÜ), das gem. Art. 9 ETÜ in Deutsch-land verbindlich geworden ist. Nach Nr. 2 Satz 2 des Anhanges A zumETÜ müssen ungeachtet des verwendeten Käfigtyps alle Hennengenügend Raum haben, um sich entweder auf einer Stange nieder-zulassen oder sich hinsetzen zu können, ohne von anderen Tierengestört zu werden.

Gerade weil der Verordnunggeber sich auch auf die Vorschriften desETÜ hat stützen wollen – das ergibt sich jedenfalls aus der Begründungder Verordnung durch die Bundesregierung (BR-Drucks. 219/87, S. 9)und nicht etwa nur auf § 2a TierSchG –, erklärt das BVerfG zumAbschluss der Entscheidung die HHVO insgesamt für nichtig. NachAuffassung des BVerfG war der Verordnunggeber nicht frei, lediglicheine der von ihm in Betracht gezogenen Ermächtigungsgrundlagen zubenennen. Nur eine Offenlegung des vollständigen Ermächtigungs-rahmens erlaube dem Adressaten der Rechtsverordnung die vomZitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG gewollte Prüfung, welches dieErmächtigungsgrundlagen sind und ob sie eingehalten wurden.

Kommentar:Die Entscheidung ist kein Ruhmesblatt für das BVerfG. Das alleinschon wegen der extrem langen Verfahrensdauer von neun Jahrenzwischen Antragstellung und Entscheidung. Sie versperrt dem BVerfGeigentlich in Zukunft jede Möglichkeit, überlange Verfahrensdauernanderer Gerichte zu beanstanden, will es sich damit nicht selbst demgleichen Vorwurf aussetzen.

Es ist aber auch erstaunlich, mit welcher Euphorie in Teilen der Tier-schutzbewegung die vorliegende Entscheidung aufgenommen wordenist. Die gänzliche Nichtigkeit der HHVO ist lediglich die Folge einesZitierfehlers gem. Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG der Bundesregierung im

Rechtsprechung

193Neue Justiz 4/2000

Vorspruch dieser Rechtsverordnung. Die Nichtigkeit von § 2 Abs. 1u. 2 HHVO wird nicht etwa aufgrund einer Unvereinbarkeit dieserBestimmungen mit den zentralen Begriffen des TierSchG, also derSchmerzen, Schäden oder Leiden festgestellt, sondern weil dasSchlafbedürfnis der Legehennen nicht angemessen befriedigt werde.Alle Fragen, auf deren Klärung diejenigen gehofft hatten, die einVollzugsdefizit des Tierschutzes beklagen (für viele Kluge, NVwZ 1994,869, 872) – etwa mit Blick auf die wenigen höchstrichterlichenEntscheidungen in diesem Bereich – sehen sich enttäuscht.

Auch bleibt weiter offen, ob der Tierschutz Verfassungsrang hat.Hätte die Entscheidung diese umstrittene Frage beantwortet, wäre sieendlich den Politikern aus der Hand genommen worden, die darüberschon viele Jahre lamentieren. Das BVerfG beantwortet die Fragenicht nur nicht, sondern stellt nochmals ausdrücklich klar, dass dieTierschutzregelungen ihre Grenzen in den Grundrechten der Tier-halter finden. Handelt es sich dabei aber um vorbehaltlose Grund-rechte, steht weiter zu befürchten, dass der Tierschutz nicht dazulegitimiert, etwa die Forschungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 GG durchRegelungen des TierSchG zu begrenzen (§§ 7 ff. TierSchG). Einigensich die Politiker nicht auf eine Aufnahme des Tierschutzes in das GG,bleiben somit wichtige Vorschriften des TierSchG verfassungs-rechtlich umstritten und man wird weiter darauf warten müssen, wiedas BVerfG zu irgendeinem ungewissen Zeitpunkt einmal auf dieVerfassungsbeschwerde jener Hamburger Metzgerei reagiert, die vordem BVerwG mit ihrem Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegeneh-migung gem. § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG unterlegen war, obwohl siesich insoweit auf die Religionsfreiheit gem. Art. 4 GG – ein weiteresvorbehaltloses Grundrecht – beruft (BVerwGE 99, 1). Nehmen diePolitiker nicht bis dahin eine Grundgesetzänderung durch Aufnahmedes Tierschutzes vor, wird erst jene Entscheidung des BVerfG mög-licherweise die Klärung bringen, ob ein vorbehaltloses Grundrechtaus Gründen des Tierschutzes begrenzt werden kann. Wird dabei derVerfassungsrang des Tierschutzes anhand der geltenden Verfassungs-lage verneint, wird dem BVerfG unter Berücksichtigung seinerbish.Rspr. kaum etwas anderes übrig bleiben, als der Verfassungs-beschwerde stattzugeben. Dann wäre aber jenen Politikern endgültigder Wind aus den Segeln genommen, die steif und fest behaupten, derTierschutz habe bereits jetzt Verfassungsrang, und deshalb die langeausstehende Verfassungsänderung beharrlich ablehnen (vgl. dazuLoeper, ZRP 1996, 143).

Landrat Hans-Georg Kluge, Herford

� 01.2 – 4/00

Verwaltungsgerichtliches Verfahren/Akteneinsichtsrecht/AuskunftsanspruchBVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 – 1 BvR 385/90

GG Art. 19 Abs. 4, 103 Abs. 1; VwGO §§ 99 Abs. 1 u. 2, 100 Abs. 1

1. § 99 Abs. 1 Satz 2 iVm Abs. 2 Satz 1 VwGO ist mit Art. 19 Abs. 4 GGunvereinbar, soweit er die Aktenvorlage auch in denjenigen Fällenausschließt, in denen die Gewährung effektiven Rechtsschutzes vonder Kenntnis der Verwaltungsvorgänge abhängt.2. Eine Beschränkung des Akteneinsichtsrechts der Verfahrensbetei-ligten gem. § 100 Abs. 1 VwGO ist mit Art. 103 Abs. 1 GG vereinbar,wenn sich erst durch diese Beschränkung der von Art. 19 Abs. 4 GGgebotene effektive Rechtsschutz ermöglichen lässt.

Anm. d. Redaktion: Siehe dazu auch die Information in NJ 2000, 78.

� 01.3 – 4/00

Berufsordnung der Rechtsanwälte/Beantragung eines VersäumnisurteilsBVerfG, Urteil vom 14. Dezember 1999 – 1 BvR 1327/98

GG Art. 12 Abs. 1; BORA § 13; BRAO § 59b; ZPO § 337

1. Die BRAO ermächtigt nicht zum Erlass von Satzungsrecht, das dieErwirkung eines Versäumnisurteils von einer vorherigen Ankündi-gung gegenüber dem gegnerischen Anwalt abhängig macht.2. § 13 BORA v. 10.12.1996 (BRAK-Mitt. 1996, 241) ist mit Art. 12Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig. (zu 2. Leitsatz der Redaktion)

Anm. d. Redaktion: Siehe dazu auch die Information in NJ 2000, 78.

� 01.4 – 4/00

Individualverfassungsbeschwerde/Gemeinde/Prozessgrundrechte/Verwaltungsprozessrecht/Darlegung der Zulassungsgründe/verfassungsrechtliche AnforderungenVerfG Brandenburg, Beschluss vom 21. Oktober 1999 – 26/99

LV Bbg. Art. 6 Abs. 1 u. 2; 52 Abs. 4 Satz 1, 97 Abs. 1;VwGO §§ 124 Abs. 2 Nr. 1 u. 3; 124a Abs. 1 Satz 4

1. Die Gemeinde kann im Wege der Individualverfassungsbeschwerdegegen eine fachgerichtliche Entscheidung zulässigerweise dieVerletzung von Prozessrechten rügen. Das Recht auf ein fairesVerfahren aus Art. 52 Abs. 4 Satz 1 Landesverfassung Bbg. (LV) iVmder Rechtsweggarantie des Art. 6 Abs. 1 LV schützt wie jedenRechtsmittelführer auch die Gemeinde davor, dass der Zugang zueiner vom Gesetzgeber eröffneten weiteren Instanz durch die Fach-gerichte in unzumutbarer Weise erschwert wird.2. Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Zurückweisungeines Antrags auf Zulassung der Berufung durch das OVG wegen unzu-reichender Darlegung der Zulassungsgründe. (nichtamtliche Leitsätze)

Problemstellung:Das VG hatte den Klagen einer Agrargenossenschaft gegen Bescheideder Beschwerdef., einer Gemeinde, stattgegeben. Diese hatte dieGenossenschaft unter Hinweis auf die Satzung der Beschwerdef.aufgefordert, den Gesamtbedarf an Trink- und Brauchwasser ausder öffentlichen Wasserleitung zu decken und Anschlussbeiträge zuentrichten. Seine Begründung hatte das VG darauf gestützt, dieBenutzungsverfügungen und Beitragsbescheide seien ohne wirksamesatzungsrechtliche Rechtsgrundlage ergangen. Die Wasserversorgungs-satzung und die Beitrags- und Gebührensatzung seien unwirksam, weilbereits die Hauptsatzung der Gemeinde wegen fehlerhafter Bekannt-machung nicht wirksam sei. Es fehle an einer Mitveröffentlichung derBekanntmachungsanordnung. Nach rechtsstaatlichen Grundsätzenmüsse für den Normadressaten bei Kenntnisnahme der Veröffent-lichung deren wissentliche Veranlassung durch das Gemeindeorganerkennbar sein. Im Übrigen seien die Wasserversorgungs- und dieBeitrags- und Gebührensatzung aus den gleichen Gründen unwirksam.Die Notwendigkeit der Veröffentlichung werde weiterhin durch denWortlaut der später erlassenen BekanntmachungsVO gestützt.

Die Anträge auf Zulassung der Berufung begründete die Beschwerdef.mit ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit der Entscheidungen undmit einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Die Bekannt-machungsVO sei zu eng und ohne Berücksichtigung von Sinn undZweck ausgelegt worden.

Das OVG Brandenburg wies die Anträge zurück. Zur Darlegungernstlicher Zweifel müsse der Ast. jede der das Urteil tragenden Begrün-dungen erfassen und insoweit objektive Gründe gegen die Richtigkeiteiner Entscheidung dartun. Die Begründung des Zulassungsantrags seidaher unvollständig, auch wenn die Rechtsauffassung des VG zwei-felhaft sei. Denn der Antrag habe nur auf die Auslegung der Bekannt-machungsVO und nicht schon auf die fehlende Wirksamkeit derHauptsatzung aufgrund rechtsstaatlicher Erfordernisse abgestellt.Auch für den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung fehle

Ver fassungsrecht

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es deshalb an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der zurKlärung gestellten Frage.

Die Beschwerdef. erhob gegen die Beschlüsse des OVG Verfassungs-beschwerde. Sie sah sich in Art. 52 Abs. 4, 6 Abs. 1 u. 97 LV verletzt:Das OVG habe überzogene Anforderungen an die Darlegung derZulassungsgründe gestellt und sehenden Auges ein unrichtiges Urteilin Rechtskraft erstarken lassen.

Das VerfG verwarf die Verfassungsbeschwerden teilweise als unzu-lässig und wies sie im Übrigen zurück.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: Nach der Rechtsauffassung des VerfG kann sich die Beschwerdef. nichtauf eine mögliche Verletzung von Art. 97 LV (Recht auf kommunaleSelbstverwaltung) berufen. Die Verfassungsbeschwerde sei insoweitunzulässig, da das kommunale Selbstverwaltungsrecht kein Grund-recht iSd Art. 6 Abs. 2 LV sei, dessen Verletzung mit der (Individual-)Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden könne. Sie könnesich aber auch als juristische Person des öffentlichen Rechts auf diesog. Prozessgrundrechte, nämlich das Recht auf ein faires Verfahren(Art. 52 Abs. 4 LV) und das Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 6Abs. 1 LV) berufen. Letzteres untersage es den Fachgerichten, denZugang zu einer gesetzlich eingerichteten weiteren Instanz unzumut-bar zu erschweren.

Die Verfassungsbeschwerde bleibe aber in der Sache ohne Erfolg.Der verfassungsrechtlichen Vorgabe, dass der Zugang zu der nächstenInstanz durch die Gerichte nicht in unzumutbarer, aus Sachgründennicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden dürfe, trügendie angegriffenen Beschlüsse des OVG Rechnung: Soweit das OVG ver-lange, dass sich ein Rechtsmittelführer hinsichtlich des Zulassungs-grundes der ernstlichen Zweifel bei mehreren selbständig tragendenErwägungen der angegriffenen Entscheidung mit jeder einzelnen vonihnen auseinandersetze und ihre Fehlerhaftigkeit darlege, entsprächendiese Anforderungen an die Darlegungspflicht der üblichen Zulas-sungspraxis der Rechtsmittelgerichte. Sie seien deshalb von Verfas-sungs wegen nicht zu beanstanden. Ein Rechtsmittelführer habeernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils, das – wie hier – aufmehreren selbständig tragenden Erwägungen fuße, nur dann dar-gelegt, wenn er sich mit jeder dieser Erwägungen auseinandersetzeund ihre Fehlerhaftigkeit aufzeige. Hiervon ausgehend sei die Nicht-zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO vertretbar.

Welche Anforderungen ein OVG an die Darlegung des Zulassungs-grundes anlege, ob es »streng« oder eher »großzügig« vorgehe, sei seineSache, solange es sich in dem verfahrensrechtlich vorgegebenenRahmen bewege und keine sachwidrigen oder unzumutbaren Maß-stäbe anlege. Eine Überspannung der Darlegungsanforderungen seierst dann gegeben, wenn vom Rechtsmittelführer im Zulassungs-antrag eine Argumentation verlangt würde, die sich in allen Nuancenmit den Erwägungen decke, aus denen heraus das OVG das angegrif-fene Urteil für falsch halte. So lägen die Dinge hier nicht. Möge auchdie Handhabung des OVG als »spitz« erscheinen, sei sie aber einfach-rechtlich vertretbar. Es sei nicht Aufgabe des Verfassungsgerichts, dieEntscheidungen der Fachgerichte allgemein auf ihre materielle undverfahrensrechtliche Richtigkeit zu überprüfen und sich in dieserWeise an ihre Stelle zu setzen.

Auch hinsichtlich des Zulassungsgrundes der grundsätzlichenBedeutung der Rechtssache seien die Entscheidungen des OVG hin-zunehmen, soweit diese auf die fehlende Entscheidungserheblichkeitder zur Klärung gestellten Rechtsfrage gestützt worden seien. DieseRechtsansicht entspreche der gefestigten Rspr. der Revisionsgerichtezum Revisionsgrund der grundsätzlichen Bedeutung. Soweit das OVGals mit dem Zulassungsantrag zur Klärung gestellte Rechtsfrage alleindie Auslegung der BekanntmachungsVO durch das VG gesehen habe,könne man über die diesbezügliche Würdigung des Parteivortragesdurch das OVG durchaus streiten. Allerdings werde nach verbreiteter

Auffassung eine konkrete Auseinandersetzung mit dem erstinstanz-lichen Urteil im Sinne einer rechtlichen Durchdringung des Streit-gegenstandes verlangt. Dass die im Zulassungsantrag zur Klärunggestellte Rechtsfrage aus fachgerichtlicher Sicht ggf. auch in einemumfassenderen und damit entscheidungserheblichen Sinne hätteverstanden werden können, könne der Verfassungsbeschwerde nichtzum Erfolg verhelfen. Die sich im Rahmen des Vertretbaren haltendeWürdigung des Parteivortrages sei allein Sache der Fachgerichte.Soweit es wenig befriedigend erscheine, dass vom OVG selbst (aus-weislich seiner Anmerkungen in einem obiter dictum) als unzutref-fend angesehene erstinstanzliche Entscheidungen unkorrigiert blieben,sei dies letztlich eine (missliche) Konsequenz des vom Bundesgesetz-geber mit dem 6. VwGO-ÄndG eingeführten Zulassungsrechts.

Kommentar:Die Entscheidung äußert sich sowohl ausdrücklich zu der Zulässigkeitder (Landes-)Verfassungsbeschwerde einer juristischen Person desöffentlichen Rechts unter Berufung auf den Verstoß gegen den Grund-satz des fairen Verfahrens und das Gebot effektiven Rechtsschutzes alsauch zu der Verfassungsmäßigkeit einer »strengen« Auslegung derDarlegungsanforderungen nach § 124a Abs. 1 Satz 4 VwGO. Soweit dasGericht mit überzeugender Begründung der Beschwerdef. als Gemeindezwar keine Beschwerdebefugnis aufgrund einer möglichen Verletzungdes kommunalen Selbstverwaltungsrechts aus Art. 97 LV zubilligt, abereine Berufung auf Art. 52 Abs. 4 u. Art. 6 Abs. 1 LV auch für eine juris-tische Person des öffentlichen Rechts zulässt, setzt es die zurückhal-tende Rspr. des BVerfG (BVerfGE 48, 64 [79]; 68, 193 [207 f.]) um. DieEinräumung eines Prozessgrundrechts auch für juristische Personen desöffentlichen Rechts, soweit deren Prozessfähigkeit reicht (vgl. BVerfGE61, 82 [104]), ist nicht zweifelhaft (vgl. Sachs, GG, Art. 19 Rn 102).

Das VerfG beschränkt sich darüber hinaus auf eine restriktivematerielle Würdigung der fachgerichtlichen Entscheidungen danach,ob das Rechtsmittelgericht bei der Auslegung und Anwendung vonProzessrecht des Bundes die mit dem GG inhaltsgleichen Grundrechteder LV beachtet hat. Soweit das VerfG die Entscheidung des OVGdaraufhin überprüft, ob diese wegen einer den Grundsatz des fairenVerfahrens nicht mehr berücksichtigenden Auslegung der Reichweitedes § 124a Abs. 1 Satz 4 VwGO oder der diesbezüglichen Wertung desParteivortrages den Zugang zu einer berufungsgerichtlichen Über-prüfung in nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert, betont esseinen zurückhaltenden, allein an den verfassungsrechtlichen Gren-zen orientierten Prüfungsmaßstab. Eine Überprüfung der Entschei-dungen der Fachgerichte auf ihre verfahrensrechtliche und materielleRichtigkeit lehnt das VerfG ab (vgl. dazu BVerfGE 87, 273 [278]).Soweit das OVG bei der Prüfung des Zulassungsgrundes der ernst-lichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO) eine Auseinandersetzungmit allen selbständig tragenden Erwägungen verlangte, setzt sich dasVerfG zwar mit den weniger restriktiven Anforderungen des OVGMünster (NVwZ 1998, 530; 1999, 202 f.) bei offensichtlicher Fehler-haftigkeit der angegriffenen Entscheidungen auseinander, stellt aberallein auf die fachgerichtliche Vertretbarkeit der angegriffenenEntscheidung ab. Diese lässt auch einen strengeren Maßstab für dieDarlegungsanforderungen zu, ohne einen Verfassungsverstoß zubewirken. Auch hinsichtlich des Zulassungsgrundes der grundsätz-lichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO) nimmtdas VerfG – zu Recht – eine vorsichtige, allein die Vertretbarkeit derfachgerichtlichen Wertung und Tatsachenwürdigung beurteilendePosition ein, soweit das OVG seine Entscheidung auf die fehlendeDarlegung der Entscheidungserheblichkeit der zur Klärung gestelltenRechtsfrage gestützt hat. Die sehr enge Auslegung des OVG bei dernotwendigen Würdigung des Parteivortrages beanstandet das VerfGnicht und beruft sich auch insoweit auf den verfassungsrechtlichenRahmen seiner Überprüfung und lehnt eine materielle Erörterung imSinne einer »Superrevisionsinstanz« ab.

Rechtsprechung Ver fassungsrecht

195Neue Justiz 4/2000

Allerdings gibt der Beschluss des BVerfG v. 21.1.2000 (2 BvR 2125/97)erneut Anlass zu einer kritischen verfassungsrechtlichen Einordnungjeder Entscheidung eines Rechtsmittelgerichts danach, ob dessenRechtsanwendung das von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnete(Teil-)Rechtsmittel nicht ineffektiv macht und es für den Beschwerdef.»leer laufen« lässt (vgl. dazu BVerfGE 78, 88 [99]; 96, 27 [39] = NJ 1997,502 [Leits.]). Das BVerfG hielt dem OVG entgegen, es habe unter Ver-stoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG einen Antrag auf Zulassung der Berufungwegen grundsätzlicher Bedeutung (hier § 78 Abs. 3 Ziff. 1 AsylVfG)»entgegen allgemeiner Auffassung« nicht in einen Zulassungsantragwegen Divergenz (§ 78 Abs. 3 Ziff. 2 AsylVfG) umgedeutet, nachdemzwischenzeitlich die aufgeworfene grundsätzliche Frage durch eineEntscheidung des OVG beantwortet worden sei.

Dem Rechtssuchenden und seinem Prozessbevollmächtigtenzeigt die Entscheidung des VerfG Grenzen in zweierlei Hinsicht auf:Die Frage, ob die »Darlegungshürde« hinsichtlich der Zulassung derBerufung übersprungen werden kann, hängt maßgeblich von derimmer noch kaum einzuschätzenden (moderaten oder strengen) Aus-legung des § 124a Abs. 1 Satz 4 VwGO durch das jeweilige OVG/VGHab (vgl. zu den unterschiedlichen Maßstäben Seibert, NVwZ 1999, 113).Außerdem kann eine (Landes-)Verfassungsbeschwerde bei fachge-richtlich vertretbarer Auslegung einer Rechtsnorm i.d.R. keinen Erfolghaben, da eine solche nicht zu einem Verfassungsverstoß führt.

Dankenswerterweise lässt es das VerfG nicht an einer rechtspoli-tischen Bewertung der vorliegenden Fallkonstellation fehlen: Da einefachgerichtliche Rechtsansicht dann schwer die Akzeptanz des Unter-legenen findet, wenn das OVG in einem obiter dictum ausdrücklichZweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Wertung bekundetund damit deutlich macht, dass bei Überspringen der »Zulassungs-hürde« die Berufung Erfolg hätte, weist das VerfG auf die Intention des6. VwGO-ÄndG hin. Nicht mehr beabsichtigt ist eine rechtliche undtatsächliche Prüfung von Amts wegen, sondern nur noch eine Erörte-rung dessen, was die rechtsmittelführende Partei angegriffen hat. Dieshat zur Konsequenz, dass das Berufungsgericht auf erstinstanzlicheFehler nur noch reagieren kann, wenn der Prozessbevollmächtigte sieerfolgreich rügt. Anderenfalls erwächst ein falsches Urteil »sehendenAuges« in Rechtskraft. Diese Erkenntnis überbürdet dem Anwalt eineneue Rolle, die angesichts der so unterschiedlichen Maßstäbe der OVGvon ihm nur näherungsweise definiert werden kann.

Literaturhinweis:Laudemann, NJ 1999, 6 ff. (8), NJ 2000, 172 ff., in diesem Heft.

RinVG Susanne Walter, zzt. wiss. Mitarbeiterin am BVerfG,Hamburg/Karlsruhe

� 01.5 – 4/00

Kommunalverfassungsbeschwerde/Wasserzweckverbände/Heilungvon Gründungsmängeln/Rückwirkungsverbot/SelbstverwaltungVerfG Brandenburg, Urteil vom 20. Januar 2000 – 53/98 u. 3/99

LVBbg Art. 2 Abs. 1 u. 5, 97,100; VerfGGBbg § 51; AmtsOBbg § 4Abs. 3; Gesetz zur rechtlichen Stabilisierung der Zweckverbände fürWasserversorgung u. Abwasserbeseitigung §§ 1 Abs. 3, 2 Abs. 2 u. 3,§§ 3, 4 Abs. 2, § 7

1. Amtsangehörige Gemeinden werden auch im Kommunalverfas-sungsbeschwerdeverfahren nach den allgemeinen kommunalrecht-lichen Bestimmungen durch das Amt vertreten.2. Zur Vermeidung einer Verkürzung des verfassungsgerichtlichenRechtsschutzes können Gemeinden im Allgemeinen nicht daraufverwiesen werden, vor Erhebung einer Kommunalverfassungs-beschwerde zunächst fachgerichtlichen Rechtsschutz gegen etwaigeEinzelakte – hier: gegen das Ergebnis des Feststellungsverfahrensnach § 14 ZwVerbStabG – in Anspruch zu nehmen.

3. Die gesetzlich bestimmte Aufgabenerledigung mittels eines Zweck-verbandes stellt auch dann einen Eingriff in die gemeindliche Orga-nisationshoheit dar, wenn das Gesetz für die rückwirkende Heilungfehlerhafter Verbandsgründungen an das bei der (fehlgeschlagenen)Gründung zutage getretene Verhalten anknüpft. Eine solche Rege-lung gerät in den praktischen Auswirkungen in die Nähe einesAufgabenentzuges und muss daher besonderen verfassungsrecht-lichen Anforderungen genügen.4. Ein unzulässiger Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung liegt,und zwar auch mit Blick auf das Demokratieprinzip, nicht schondeshalb vor, weil der Gesetzgeber eine einzelne Angelegenheit derörtlichen Gemeinschaft regelt, die ansonsten der Beschlussfassungder Gemeindevertretung unterläge.5. Die Abwendung der mit der rechtlichen Unsicherheit über dieExistenz zahlreicher Wasserzweckverbände zusammenhängendenGefahren für eine geordnete Wasserver- und -entsorgung ist einGemeinwohlbelang, der einen Eingriff in die kommunale Organisa-tionshoheit rechtfertigen kann.6. Soweit es nach § 2 Abs. 2 u. 3 ZwVerbStabG denkbar ist, dass selbsteine Gemeinde, die keinen Beschluss zur Verbandsgründung gefasstund/oder deren Außenvertretungsberechtigter keine entsprechendeWillenserklärung abgegeben hat, rückwirkend Mitglied eines Zweck-verbandes wird, ist das Zurechnungskriterium des § 2 Abs. 2 Satz 1ZwVerbStabG – Auftreten der Gemeinde als Zweckverbandsmitglied –unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten verfassungskonform dahinauszulegen, dass ein auf Dauer angelegtes Mitwirken der Gemeindein dem Zweckverband mit Duldung der Vertretungskörperschafterforderlich ist.7. Das Verbot der Rückwirkung von Gesetzen kommt auch Gemeindenzugute. Es findet seinen Grund und seine Grenze im Vertrauensschutz.Der rückwirkenden Heilung von bei der Gründung von Wasserzweck-verbänden unterlaufenen Mängeln durch das ZwVerbStabG stehtkein schutzwürdiges Vertrauen auf Seiten der Gemeinden entgegen.

Anm. d. Redaktion: Das VerfG hat über die kommunalen Verfassungsbe-schwerden von drei Gemeinden gegen Bestimmungen des Zweckverbands-stabilisierungsG (ZwVerbStabG) v. 6.7.1998 ( GVBl. I S. 162) entschieden.Das ZwVerbStabG bestimmt die rückwirkende Heilung von Fehlern, die in denfrühen 90er Jahren, zunächst unerkannt, bei der Bildung zahlreicher gemeind-licher Wasser- und Abwasserzweckverbände unterlaufen sind. Diese Zweck-verbände sind gleichwohl tätig geworden. Hierbei wurden zur Finanzierungvon – gelegentlich überdimensionierten – Wasser- und Abwasseranlagen ingrößerem Umfange Darlehensverpflichtungen eingegangen, die heute alsdrückend empfunden werden. Aus diesen und anderen Gründen wollten sichmehr und mehr Gemeinden an der Zugehörigkeit zu Zweckverbänden nichtmehr festhalten lassen. Nach dem ZwVerbStabG werden jedoch die Grün-dungsfehler rückwirkend geheilt und sind die Gemeinden rückwirkend alsMitglieder des Zweckverbandes anzusehen, wenn sie in der Folgezeit »alsVerbandsmitglied aufgetreten« sind. Unter dieser Voraussetzung bleiben selbstsolche Gemeinden Mitglieder des Zweckverbandes, in denen es hierzu wedereinen Beschluss der Gemeindevertretung noch eine formgültige Erklärung desAußenvertretungsberechtigten gegeben hat. Die beschwerdeführenden Gemein-den sehen hierin eine Verletzung der kommunalen Selbstverwaltung und einenVerstoß gegen das Rückwirkungsverbot.Das VerfG hat die kommunalen Verfassungsbeschwerden mit einer Maßgabezurückgewiesen: Zwar führe das ZwVerbStabG in der Tat zu einem empfind-lichen Eingriff in die gemeindliche Organisationshoheit. Das Gesetz mache diebetroffenen Gemeinden rückwirkend zu Zweckverbandsmitgliedern, die sieohne das ZwVerbStabG nicht wären. Sie würden damit der eigentlich in dieHand der Gemeindevertretung gegebenen Entscheidung enthoben, ob sie dieAufgabe der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung allein oder zusam-men mit anderen Gemeinden in einem Zweckverband erledigen wollten.Der Eingriff gerate in den praktischen Auswirkungen in die Nähe eines Auf-gabenentzugs und müsse daher besonderen verfassungsrechtlichen Anfor-

Ver fassungsrecht

Neue Justiz 4/2000196

derungen genügen. Die Grenzen des nach der Landesverfassung Zulässigenseien aber nicht überschritten. Zwar bewege sich der Gesetzgeber, insbe-sondere soweit er sowohl einen Beschluss der Gemeindevertretung als aucheine entsprechende Willenserklärung des Außenvertretungsberechtigten derGemeinde ersetze, an der Grenze des Vertretbaren. Indessen sei die Abwen-dung der mit der rechtlichen Unsicherheit über die Existenz zahlreicherAbwasserzweckverbände verbundenen Gefahren für eine geordnete Wasser-versorgung und Abwasserentsorgung im Lande sowohl mit Blick auf dieaktuellen Bedürfnisse der Bevölkerung als auch wegen der Bedeutung für dienatürlichen Lebensgrundlagen und den Wasser- und Bodenschutz ein Gemein-wohlbelang von hohem Gewicht, der einen gesetzgeberischen Eingriff in diegemeindliche Organisationshoheit erlaube. Bei hinreichenden Gründen desGemeinwohls sei es dem Gesetzgeber auch nicht verwehrt, der Gemeinde eineEntscheidung aus der Hand zu nehmen, die ansonsten in der Entscheidungs-gewalt der Gemeindevertretung stünde. Es gebe keinen »Parlamentsvor-behalt« auf Gemeindeebene; die Gemeindevertretung sei nicht wirklichLegislative, sondern ihreseits ein, wenn auch herausgehobenes Selbst»ver-waltungs«organ. Insgesamt wahrten die Regelungen des ZwVerbStabG denVerhältnismäßigkeitsgrundsatz. Hierbei sei nicht zuletzt zu berücksichtigen,dass das Gesetz die rückwirkende Heilung der ZwVerbStabG nicht vollständigvon dem Willen der Gemeinde abkopple und nicht etwa auch solche Gemein-den nachträglich in einen Zweckverband dränge, die mit dem Zweckverbandgleichsam nichts zu tun gehabt hätten, sondern daran anknüpfe, dass diebetreffende Gemeinde in der Vergangenheit »als Verbandsmitglied aufgetreten«sei. Eben hieran setze aber auch die – für die Anwendung des Gesetzes ver-bindliche – »Maßgabe» des VerfG an. Es betont, dass das Auftreten irgendeinesGemeindebediensteten nicht ohne weiteres mit dem Willen »der Gemeinde« alsKörperschaft gleichgesetzt werden könne und sich die eigentliche Willensbildungin der Gemeinde über die Gemeindevertretung vollziehe. Das VerfG hat dahereine verfassungskonforme Auslegung dahin bestimmt, dass das Auftreten»als Verbandsmitglied« ein auf Dauer angelegtes Mitwirken der Gemeinde indem Zweckverband mit Duldung der Vertretungskörperschaft erfordert.Soweit die beschwerdeführenden Gemeinden eine Verletzung auch desRückwirkungsverbots geltend gemacht haben, hat das VerfG ausgeführt,dass die Gemeinden anfänglich selbst davon ausgegangen seien, dass dieZweckverbandsgründungen in Ordnung gewesen seien. Dieses anfänglicheVertrauen habe der Gesetzgeber nicht enttäuscht, sondern bestätigt. Anderer-seits habe sich nach dem Bekanntwerden von Verbandsgründungsmängeln einschützenswertes Vertrauen auf die Unwirksamkeit der Verbandsgründungennicht entwickeln können. Vielmehr hätten die Gemeinden nunmehr angesichtseiner insgesamt labilen Rechtslage mit einem Eingreifen des Gesetzgebers zurechnen gehabt.

02 BÜRGERLICHES RECHT

� 02.1 – 4/00

Mahnbescheid/Unterbrechung der Verjährung/Antragsmangel/Antragsformular/Rückwirkung der Zustellung/»demnächst« erfolgteZustellungBGH, Urteil vom 16. September 1999 – VII ZR 307/98 (OLG Dresden)

ZPO §§ 691 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 693 Abs. 2, 703 c Abs. 2

a) Wird ein Mahnbescheid nach der Berichtigung des Antrags erlas-sen, wirkt seine Zustellung auf den Zeitpunkt (der Einreichung – I. F.)zurück, wenn sie iSd § 693 Abs. 2 ZPO »demnächst« erfolgt.b) Wird dem Antragsteller durch eine Zwischenverfügung des Rechts-pflegers die Möglichkeit eröffnet, den Mangel seines Antrags zubeheben, treten die Rechtsfolgen des § 693 Abs. 2 ZPO unabhängigvon dem Gewicht des behobenen Mangels ein.c) Ein behebbarer Mangel des Mahnantrags liegt auch dann vor,wenn der Antragsteller für den ursprünglichen Antrag unzulässigeFormulare verwendet hat.

Problemstellung:Die Kl. hatte eine Werklohnforderung i.H.v. ca. 82.000 DM am31.12.1996 im Mahnverfahren geltend gemacht, um die Verjährungnach §§ 196 Abs. 1 Ziff. 1, 209 Abs. 2 Ziff. 1 BGB zu unterbrechen.Sie bediente sich dabei eines Mahnbescheid-Vordrucks, der seit dem1.7.1995 nicht mehr gültig war. Auf die Zwischenverfügung derRechtspflegerin reichte die Kl. die Mahnanträge mit gleichem Inhaltam 15.1.1997 nochmals ein, worauf die Mahnbescheide am 20.1.1997erlassen und den Bekl. als Gesamtschuldner am 28.1.1997 zugestelltwurden.

Nachdem das LG der Klage stattgegeben hatte, wies das OLG aufdie Berufung der Bekl. die Klage wegen Verjährung der Forderung ab,da die Verjährung durch Einreichung der Mahnanträge nicht unter-brochen worden sei.

Auf die Revision der Kl. hat der BGH die Entscheidung des Beru-fungsG aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlungund Entscheidung zurückverwiesen.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Der BGH teilt nicht die Auffassung des BerufungsG, wonach die Ver-wendung ungültiger Vordrucke zur Unzulässigkeit des Mahnantragsführt und daher der Rückwirkungseffekt des § 693 Abs. 2 ZPO nichteintreten könne. Grundsätzlich sei im Mahnverfahren die Zulässigkeitdes Antrags zu prüfen. Dazu gehöre auch die Verwendung der nach§ 703c ZPO vorgeschriebenen Vordrucke. Soweit bei der Verwendungder Vordrucke ein Mangel iSd § 691 Abs. 1 Ziff. 1 iVm § 703c Abs. 1ZPO auftrete, müsse dem Ast. vor Zurückweisung des Antrags recht-liches Gehör gewährt werden. Dabei habe der Rechtspfleger nachpflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden; er könne dem Ast. auchdurch eine Zwischenverfügung die Möglichkeit geben, den Mangel zubeheben. In diesem Falle treten die Rechtsfolgen des § 693 Abs. 2 ZPOunabhängig vom Gewicht des Mangels ein, wenn auf den berichtig-ten Mahnantrag hin der Mahnbescheid erlassen wird.

Der BGH befasst sich im Weiteren mit der Voraussetzung des § 693Abs. 2 ZPO, wonach die Rückwirkung nur dann eintritt, wenn derMahnbescheid »demnächst« iSd § 693 Abs. 2 ZPO zugestellt wird. Hierzu verweist der BGH auf sein Urteil v. 27.5.1999 – VII ZR 24/98.Dieser Entscheidung lag ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde: der Pro-zessbevollmächtigte hatte es versäumt, den Inhaber bzw. gesetzlichenVertreter des antragstellenden Unternehmens im Mahnantrag zubenennen. Auf eine Zwischenverfügung der Rechtspflegerin wurdendie Angaben auf einem neuen Mahnantrag nachgereicht. Die Bear-beitung durch das Mahngericht verlängerte sich durch diesen Vorgangum 14 Tage. Auch hier stand in der Konsequenz die Frage, ob durchdie Einreichung des ursprünglichen Antrags die Verjährung unter-brochen wurde. Der BGH hat eine Verzögerung von 14 Tagen, die alsFolge der Nachlässigkeit des Ast. entsteht, als noch geringfügig undunschädlich für das Verfahren angesehen. Für die Voraussetzung einerZustellung »demnächst« sei es entscheidend, ob die Partei »alles ihrZumutbare für eine alsbaldige Zustellung getan hat, und schutzwür-dige Belange der Gegenpartei nicht entgegenstehen« (aaO, S. 5).

Entsprechend der im Urt. v. 27.5.1999 näher ausgeführten Kriterienhat der BGH auch im vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen des§ 693 Abs. 2 ZPO bejaht, was zur Zurückverweisung der Sache führte.

Kommentar:Der BGH hat hier noch einmal klargestellt, dass die Verwendungfalscher oder ungültiger Vordrucke im Mahnverfahren zu den beheb-baren Mängeln zählt und daher – falls nicht das Verfahren durchweitere Nachlässigkeit des Ast. verzögert wird – einen erheblichenRechtsnachteil wie den Verlust der Rückdatierung nach § 693 Abs. 2ZPO nicht rechtfertigt. Eine solche Konsequenz ist trotz des Wortlautsdes § 691 ZPO geboten, weil das Gericht verpflichtet ist, auf sach-dienliche Anträge hinzuwirken (§ 139 Abs. 1 ZPO). Offensichtlich

Rechtsprechung Ver fassungsrecht

197Neue Justiz 4/2000

führt jedoch die geltende Fassung des § 691 ZPO, die den Unterschiedzwischen behebbaren und nicht behebbaren Mängeln nicht näherausführt, sondern lediglich darauf verweist, dass der Ast. vor derZurückweisung zu hören ist, dazu, dass die Verwendung fehlerhafterVordrucke als Zurückweisungsgrund, und die darauf folgende Einrei-chung korrigierter Anträge als neuer Antrag gewertet wird. In diesemFalle kann eine Frist nur noch durch anschließende Klageerhebungnach § 691 Abs. 2 ZPO gewahrt werden.

Auch die Voraussetzungen des § 693 Abs. 2 ZPO zur Zustellung»demnächst« entsprechen der in Rspr. und Lit. seit längerem vertrete-nen Auffassung, dem Ast. bei eigenem Verschulden an der Verzöge-rung einen Zeitraum von ca. 14 Tagen einzuräumen, innerhalb dessendie Zustellungswirkung noch gewahrt wird.

Die Rechtslage bleibt in den Fällen, in denen die Frist kurz vorAblauf durch einen Mahnbescheid gewahrt werden soll, dennoch fürden Ast. und seinen Prozessvertreter riskant, wenn – häufig bedingtdurch den entstandenen Zeitdruck – formale Fehler passieren. Dennes ist nicht sicher, ob dann der korrigierte Antrag innerhalb einer nochhinnehmbaren Zeitspanne erlassen wird. Wenn sich trotz schnellerReaktion des Ast. Erlass und Zustellung des Mahnbescheids z.B. durchÜberlastung des Gerichts verzögern, kann dies dem Ag. zwar nichtzugerechnet werden. Jedoch könnte der Ag. möglicherweise schutz-würdige Interessen gegen die Zurückdatierung des Antrags geltendmachen, etwa dann, wenn er nicht mehr mit der Unterbrechung derVerjährung rechnen konnte.

Literaturhinweis:MünchKomm., ZPO, 1992, § 691 Rn 4, § 693 Rn 19 ff. mwN; Baum-bach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 57. Aufl., § 691 Rn 2, § 693Rn 7 ff.; Zöller, ZPO, 21. Aufl., § 691 Rn 4, § 693 Rn 5.

Prof. Dr. Ingo Fritsche, Fachhochschule für Rechtspflege NRW

� 02.2 – 4/00

Werkvertrag/Mängelbeseitigung/Fristsetzung mit Ablehnungs-androhung/AbwicklungsverhältnisBGH, Urteil vom 16. September 1999 – Vll ZR 456/98 (OLG Schleswig)

BGB § 634 Abs 1

a) Nach Ablauf der gem. § 634 Abs. 1 BGB vor Abnahme wirksamgesetzten Frist wird das Vertragsverhältnis in das Abwicklungsver-hältnis umgewandelt, wenn der Unternehmer die gerügten Mängelnicht bis Fristablauf beseitigt hat. Mit der Umwandlung wird derWerklohn des Unternehmers fällig.b) Die Aufforderung des Bestellers, der Unternehmer möge die Mängelbeseitigen und innerhalb einer Frist erklären, ob und in welchemUmfang er zur Mängelbeseitigung bereit sei, genügt den Voraus-setzungen des § 634 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht.c) Ist eine Fristsetzung deshalb entbehrlich, weil der Unternehmer dieMängelbeseitigung nachhaltig und endgültig verweigert hat, tretendie Rechtsfolgen des § 634 Abs. 1 Satz 3 BGB erst dann ein, wenn derBesteller sich für die sekundären Gewährleistungsansprüche ent-schieden und dem Unternehmer seine Entscheidung mitgeteilt hat.

Problemstellung:Der Kl führte Metallarbeiten an Häusern des Bekl aus. Als er denWerklohn verlangte, rügte der Bekl. Mängel, forderte zu deren Besei-tigung auf und bat den Kl., sich bis zum 10.2.1993 darüber zu äußern,ob und inwiefern er zu einer Mängelbeseitigung bereit sei. Bei frucht-losem Fristablauf drohte er an, die Nachbesserung abzulehnen. Der Kl.besserte nicht nach und erhob Klage auf Zahlung von Werklohn.Kurze Zeit später nahm er diese aber zurück. Nach erneuter Aufforde-rung zur Mängelbeseitigung unter Fristsetzung zum 31.10.1994 undAblehnungsandrohung führte der Bekl. die Arbeiten selbst aus.

Der Kl. erhob am 21.12.1996 Werklohnklage. Der Bekl meint, derWerklohnanspruch i.H.v. 52.581,69 DM sei nach zwei Jahren Ende1995 verjährt, da er am 10.2.1993 fällig geworden sei. LG und OLGteilten diese Auffassung und wiesen die Klage ab.

Der BGH hob auf die Revision des Kl. das Berufungsurteil auf undverwies die Sache an das OLG zur erneuten Entscheidung zurück.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Der BGH weist zunächst darauf hin, dass Werklohn auch ohneAbnahme fällig werden kann, wenn die unter Androhung der Ableh-nung gesetzte Frist gem. § 634 Abs. 1 Satz 3 BGB fruchtlos abläuft und»das vertragliche Erfüllungsverhältnis (…) in das Abrechnungs- undAbwicklungsverhältnis umgewandelt wird«. Dabei entfallen der Erfül-lungsanspruch des Bestellers, die Vorleistungspflicht des Unterneh-mers und dessen Nachbesserungsrecht. Dies sei nicht der Fall, wennkeine eindeutige Aufforderung zur Nachbesserung abgegeben werde.Die Aufforderung, der Kl. solle sich erklären, ob er zur Nachbesserungbereit sei, genüge hierfür nicht. Eine Erklärung iSd § 634 Abs. 1 Satz 1BGB liege nur vor, wenn der Besteller den Unternehmer auffordert, dieMängel innerhalb der gesetzten Frist zu beseitigen, und ankündigt,dass er nach fruchtlosem Ablauf der Frist die Nachbesserung ablehnt.Eine solche eindeutige Erklärung sei zu fordern, da sowohl demUnternehmer als auch dem Besteller das Risiko klargemacht werdenmüsse, das Nachbesserungsrecht zu verlieren.

Der Werklohn sei auch nicht durch sonstige Umstände bereits 1993fällig geworden. Zwar habe der Kl. im weiteren Verlauf durch seineerste Werklohnklage zu erkennen gegeben, dass er die Mängelbeseiti-gung ernsthaft und endgültig verweigere. Dies mache eine (erneute)Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung entbehrlich, führe jedochnicht zur Fälligkeit des Werklohns. Da der Unternehmer die Verwei-gerung nicht zum Anlass für einen Verzicht auf die Nachbesserungnehmen müsse, wandele sich das Vertragsverhältnis erst dann in einAbwicklungsverhältnis um, wenn er sein Wahlrecht (Nachbesserungoder Gewährleistung) dahin ausübe, Gewährleistung zu verlangen.Dies sei erst 1994 erfolgt; die Werklohnforderung sei daher nichtverjährt.

Kommentar:Die Bedeutung des Urteils ist zweifach. Zum einen betont der BGHerneut die Formstrenge der Ablehnungsandrohung iSv § 634 Abs. 1BGB. Zum anderen fasst er seine st.Rspr. zur Umwandlung des Werk-verhältnisses in ein Abwicklungsverhältnis zusammen.

Eine Ablehnungsandrohung hat eindeutig zu sein. Zwar ist es nichtnotwendig, den Gesetzeswortlaut zu wiederholen, ratsam ist es aberdoch. Auch wenn der BGH zuweilen von Laien formulierte, denGesetzeswortlaut nicht wiederholende Ablehnungsandrohungendahin auslegt, sie lehnten die Annahme der Leistung nach Fristablaufeindeutig ab (vgl. z.B. BGH, BauR 1983, 258, 259), sind die Anforde-rungen an eine solche Androhung hoch. Dies belegt das vorliegendeUrteil eindrucksvoll. Denn was sollte der Unternehmer nach Erhalt desersten Briefes anderes erwarten, als dass seine Leistung abgelehntwürde? Gerechtfertigt ist die vom BGH verfolgte Strenge durch dieFolgen eines solchen, mit Ablehnungsandrohung verbundenenFristablaufs. Das Vertragsverhältnis wandelt sich in ein Abrechnungs-und Abwicklungsverhältnis um. Der Werklohn wird fällig, der Bestellerkann nicht mehr Erfüllung, sondern nur noch Gewährleistung, d.h.in der Regel Schadensersatz verlangen, die Verjährung beginnt, dieGefahr geht über, und der Unternehmer darf den Schaden nicht mehrdurch eigene Nachbesserung gering halten. Gleiches geschieht, wennder Unternehmer weitere Leistungen ablehnt und sich der Besteller fürden Schadensersatz entscheidet.

Die Bedeutung des Urteils geht insofern über das Werkvertragsrechthinaus, als die beschriebenen strengen Voraussetzungen bei jederAblehnungsandrohung Anwendung finden dürften, also auch bei der

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täglich auftretenden nach § 326 BGB. Auch hier sind die Folgenvergleichbar einschneidend. Es kann in der anwaltlichen Praxis dahernicht oft genug dazu geraten werden, in einer solchen Konstellationeindeutig zu formulieren, um Haftungsrisiken gering zu halten.

Im Übrigen befindet sich das Urteil auf der Linie st.Rspr. (vgl. BGH,NJW 1979, 549 zur Fälligkeit, und BauR 1990, 725 zur Wirkung derErfüllungsablehnung). Da die Folgen des Fristablaufs bei Ablehnungs-androhung sich jedoch nicht aus dem Gesetz ergeben, treten hier inder Praxis oft Unsicherheiten auf. Daher ist es gut, dass der BGH seineentsprechende Rspr. in Leitsätzen zusammenfasst und das Urteil zurVeröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen hat.

Rechtsanwalt Matthias Winkler, Berlin

� 02.3 – 4/00

Zurückbehaltungsrecht des Schuldners/Grundstückskaufvertrag/Scha-densersatz wegen Nichterfüllung/GrundbuchberichtigungsanspruchBGH, Urteil vom 1. Oktober 1999 – V ZR 162/98 (OLG Rostock)

BGB §§ 273 Abs. 1, 326 Abs. 1

a) Die Sicherungsabtretung eines Gegenanspruchs steht der Aus-übung eines Zurückbehaltungsrechts durch den Schuldner nichtentgegen, soweit der Schuldner vom Zessionar zur klageweisenGeltendmachung des abgetretenen Anspruchs ermächtigt ist.b) Scheidet eine Aufrechnung wegen fehlender Gegenseitigkeit aus,ist aber der Schuldner berechtigt, Leistung an den Zessionar zu ver-langen, besteht ein Leistungsverweigerungsrecht auch bei beiderseitsgleichartigen Leistungen.c) Verlangt der Gläubiger Schadensersatz wegen Nichterfüllung einesGrundstückskaufvertrages und ergibt die Abrechnung (ausnahms-weise) ein Guthaben zugunsten des Schuldners, so kann dieser wegenseines Erstattungsanspruchs dem Grundbuchberichtigungsanspruchein Zurückbehaltungsrecht entgegensetzen.

� 02.4 – 4/00

Sicherungsverwaltung/Privatgrundstücke/Geschäftsführung ohneAuftrag/Aufwendungsersatz/VerjährungsfristBGH, Urteil vom 21. Oktober 1999 – III ZR 319/98 (Kammergericht)

BGB §§ 196 Abs. 1 Nr. 1 u. 7, 670, 677, 683 Satz 1; VermG § 11a

a) Ein nach den Bewirtschaftungsvorschriften der ehem. DDR in diesog. Sicherungsverwaltung überführtes Privatgrundstück unterfielnicht dem Anwendungsbereich des VermG (Bestätigung von BGHZ128, 173 = NJ 1995, 481).b) Hat ein kommunales Wohnungsunternehmen ein solches Grund-stück im »treuhänderischen Auftrag« der Kommune in der Annahmeverwaltet, hierzu (auch) gegenüber dem Eigentümer nach den Bestim-mungen des VermG berechtigt und verpflichtet zu sein, so kommtein Kostenerstattungsanspruch des Wohnungsunternehmens gegenden Eigentümer nach den Vorschriften der Geschäftsführung ohneAuftrag in Betracht.c) Dieser Kostenerstattungsanspruch, der der kurzen Verjährung des§ 196 Abs. 1 Nr. 1 u. 7 BGB unterliegt, wurde sofort fällig.

Problemstellung:Die Kl., eine Wohnungsbaugesellschaft, verlangte von den Eigen-tümern eines mit einem Mietshaus bebauten Grundstücks für denZeitraum vom 1.7.1990 bis 31.12.1992 die Erstattung von Aufwen-dungen, die ihr als Verwalterin des Anwesens entstanden waren.Der Klage lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit Schreiben des Magistrats von Groß-Berlin v. 26.8.1955 wargem. §§ 9 u. 11 der VO zur Förderung der Instandsetzung beschädigteroder des Wiederaufbaus zerstörter Wohnungen und Arbeitsstätten v.

28.10.1949 (VOBl. für Groß-Berlin I S. 385) die Wiederherstellungdes Grundstücks und seine Überführung in Sicherungsverwaltungangeordnet worden. Die Verwaltung führte die Kl. bis zum 31.12.1992in staatlichem Auftrag, zuletzt im »treuhänderischen Auftrag« desLandes Berlin bis zum 28.2.1993 durch. Am 1.3.1993 gab die Kl. dasGrundstück an die Eigentümer heraus. LG und KG wiesen die Klageder Kl. auf Ersatz ihrer Aufwendungen ab.

Die Revision der Kl. hatte teilweise Erfolg.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Der BGH bejaht im Ergebnis die von der Kl. geltend gemachten Auf-wendungsersatzansprüche aufgrund berechtigter Geschäftsführungohne Auftrag gem. §§ 677, 683 Satz 1, 670 BGB.

1. Ein vertraglicher Aufwendungsersatzanspruch unmittelbar aus§ 670 BGB iVm § 675 BGB (Senatsurt. v. 20.11.1997, NJW 1998, 680,681) komme nicht in Betracht, da zu keinem Zeitpunkt vertraglicheAbreden hinsichtlich der Verwaltung des Mietshauses zwischen denParteien getroffen worden wären. Dies gelte auch für den Zeitraum vom1.7. bis 3.10.1990 nach Maßgabe der entsprechenden Vorschriften desZivilrechts der DDR (vgl. §§ 197 ff. ZGB, insbes. § 203 Abs. 2 ZGB).

Ein Kostenerstattungsanspruch könne auch nicht auf § 15 VermG,§ 670 BGB gestützt werden. Das VermG wolle nur das spezifischeTeilungs- und Diskriminierungsunrecht in der ehem. SBZ/DDR korri-gieren, nicht jedoch »sämtliche Eingriffe in private Vermögenswerteauf der Grundlage der sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschafts-ordnung, von denen die in der DDR lebenden Eigentümer gleicher-maßen wie Bundesbürger und Ausländer betroffen waren«, beseitigenoder ausgleichen helfen. Die hier 1955 vom Magistrat Groß-Berlinsangeordnete Sicherungsverwaltung stelle keine den Anwendungs-bereich des VermG eröffnende (Teilungs-)Unrechtsmaßnahme dar(BGHZ 128, 173, 181 = NJ 1995, 481). Hieran ändere auch nichts derUmstand, dass der Magistrat am 21.6.1990 beschlossen hatte, dasGrundstück nicht mehr durch den VEB Kommunale Wohnungsver-waltung, sondern durch die Kl. verwalten zu lassen. Dieser Beschlusssei im Zusammenhang mit der Gemeinsamen Erklärung der Regie-rungen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zur Regelungoffener Vermögensfragen v. 15.6.1990 zu sehen, in der beide Regierun-gen ihr Einvernehmen darüber bekundet hätten, Treuhandverwal-tungen und ähnliche Maßnahmen mit Verfügungsbeschränkungenüber Grundeigentum, Gewerbebetriebe und sonstige Vermögenaufzuheben. Mit dem Magistratsbeschluss sollte deshalb eine spätereordnungsgemäße Rückgabe der Grundstücke an die Eigentümervorbereitet und gesichert, nicht aber das Ziel verfolgt werden, denfrüheren Eingriff in das Privateigentum »zu perpetuieren oder zuvertiefen«.

2. Aufwendungsersatzansprüche der Kl. seien jedoch aus berechtig-ter Geschäftsführung ohne Auftrag gem. §§ 677, 683 Satz 1, 670 BGBgegeben. Eine Geschäftsbesorgung für einen anderen liege auch dannvor, wenn der Geschäftsführer zur Besorgung des Geschäfts einemDritten gegenüber verpflichtet ist (vgl. BGHZ 40, 28,31; 140, 102, 109mwN). Deshalb stehe dem Kostenerstattungsanspruch nicht entgegen,dass die Kl. das Grundstück zuletzt im »treuhänderischen Auftrag« desLandes Berlin verwaltet hätte. Dabei könne offen bleiben, ob derAuftrag privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur gewesensei. Der staatliche Verwalter erfülle seine Aufgaben nach dem VermGhoheitlich. Trotzdem bestehe zwischen ihm und dem Berechtigten ein»echtes Treuhandverhältnis«, welches einen Aufwendungsersatz-anspruch entsprechend § 670 BGB gegenüber dem Eigentümerrechtfertige (BGHZ 137, 183, 188 ff. = NJ 1998, 206 [bearb. Schmidt] ).Es sei deshalb sachgerecht, Kostenerstattungsansprüche auch im Falleeiner privatrechtlichen treuhänderischen Verwaltung zu bejahen.

Der BGH betont, dass die Kl. im fraglichen Zeitraum das Grundstückmit Fremdgeschäftsführungswillen verwaltet habe, da die Verwaltungeines fremden Grundstücks »schon dem äußeren Inhalt nach zum

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199Neue Justiz 4/2000

Rechtskreis des Eigentümers« gehöre. Dieser Annahme stehe auchnicht entgegen, dass die Kl. die Verwaltung in erster Linie wahrgenom-men hatte, um dem vom Land Berlin erteilten Auftrag nachzukommen.Die Kl. sei davon ausgegangen, dass das Grundstück den für staatlichverwaltete Grundstücke geltenden Regeln und damit dem Anwen-dungsbereich des VermG unterfalle. Die irrige Annahme der Kl., dass§ 15 VermG anzuwenden sei, hätte bei der Abwicklung des Verwalter-verhältnisses für die Kl. bedeutet, einen Rechenschaftsbericht abzu-legen und etwaige Erlösüberschüsse herausgeben zu müssen (§ 11aAbs. 3 Satz 1 VermG iVm §§ 666, 667 BGB). Sofern sie das Grundstücknicht ordnungsgemäß verwaltet hätte, hätte der Eigentümer nach § 13VermG und – seit dem 3.10.1990 – nach Amtshaftungsgrundsätzen(§ 839 BGB iVm Art. 34 GG) Schadensersatz verlangen können (Senats-beschl. v. 26.11.1998, VIZ 1999, 155). Bei einem derart weit reichen-den Verantwortungskatalog gegenüber dem Eigentümer sei klar, dassdie Kl. davon ausgegangen sei, ein fremdes Geschäft wahrzunehmen.Dass eine Verpflichtung tatsächlich gar nicht bestanden hatte, ver-möge am Fremdgeschäftsführungswillen nichts zu ändern. Es könnekeinen Unterschied machen, ob das zugrunde liegende Rechtsgeschäftnichtig sei (Senatsurt. v. 10.10.1996, NJW 1997, 47, 48 mwN) oder– wie hier – »die ein treuhänderisches, geschäftsbesorgungsähnlichesRechtsverhältnis … begründenden gesetzlichen Vorschriften entgegender Vorstellung des Verwalters nicht anwendbar (sind)«.

3. Der BGH geht dann auf die Verjährungsproblematik ein. Er unter-scheidet zwischen verschiedenen Zeiträumen:

Hinsichtlich der Zeit vom 1.7.1990 bis 31.12.1991 seien Aufwen-dungsersatzansprüche nach § 196 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 7 BGB verjährt.Nach dieser Vorschrift verjähren die Ansprüche derjenigen Personen,die die Besorgung fremder Geschäfte oder die Leistung von Dienstengewerbsmäßig betreiben, wegen der ihnen aus dem Gewerbebetriebgebührenden Vergütungen, einschließlich der Auslagen, in zwei Jahren.Diese Verjährungsvorschriften würden nicht nur die gewerbsmäßigeBesorgung fremder Geschäfte auf vertraglicher Grundlage, sondernauch »auftragslos erbrachte Leistungen« erfassen (MünchKomm-BGB/Seiler, 3. Aufl., § 683 Rn 28; Staudinger/Peters, BGB, 13. Aufl.,§ 196 Rn 43). Da die Verwaltertätigkeit der Kl. nicht dem Regelungs-bereich des VermG – danach entsteht der Kostenerstattungsanspruchdes staatlichen Verwalters erst nach Ende der staatlichen Verwaltung(BGH, NJ 1999, 312 [bearb. Kolb] ) – unterfalle, gelte Folgendes: Aufwen-dungsersatzansprüche entstünden sofort, d.h. in dem Zeitpunkt, indem Aufwendungen gemacht werden, entstehen und fällig würden(MünchKomm-BGB/Keller, 3. Aufl., § 256 Rn 8). Die Verjährung seiauch nicht nach § 203 Abs. 2 BGB gehemmt, weil sich die Kl. und mög-licherweise auch das Land Berlin über die Anwendbarkeit des VermGund damit über den Beginn der Verjährung geirrt hätten. Der Staatbzw. die für ihn handelnden Stellen und Personen könnten sich nichtdarauf berufen, sie hätten die »ihnen unterlaufene Fehlinterpretationder für die Ausübung der amtlichen Tätigkeit maßgeblichen Rechts-vorschriften auch bei äußerster Sorgfalt nicht vermeiden können«.

Auch für den Zeitraum vom 1.7. bis 3.10.1990, in dem das ZGB galt,seien mögliche Aufwendungsersatzansprüche (§ 279 ZGB) verjährt(Art. 231 § 6 Abs. 2 EGBGB).

Hinsichtlich der Aufwendungen für das Jahr 1992 sei hingegenkeine Verjährung eingetreten. Da jedoch nicht genau feststehe,welche Beträge die Kl. im Einzelnen aufgewandt habe, sei die Sachean das KG zurückzuverweisen. Das KG habe dann auch zu klären, obdie Eigentümer bereits vor dem 1.3.1993 (Zeitpunkt der Herausgabedes Grundstücks) bereit und in der Lage waren, die Verwaltung desGrundstücks zu übernehmen. Sei dies zu bejahen, wäre ein Aufwen-dungsersatzanspruch der Kl. auch dann abzulehnen, wenn sich diese»ohne Verschulden als die staatliche Verwalterin angesehen und sichdeshalb bis zum Ablauf des 31.12.1992 zur Verwaltung des Grund-stücks berechtigt und verpflichtet gehalten hat (vgl. § 11a Abs. 1Satz 1 VermG)«.

Kommentar:Die irrige Annahme der Kl., dass hinsichtlich des unter Sicherungs-verwaltung gestellten Grundstückes § 15 VermG anzuwenden sei, löstnach der Interpretation des BGH unterschiedliche Rechtsfolgen aus.Einerseits wird vom BGH ein Fremdgeschäftsführungswille der Kl.bejaht, obwohl der gesamte Pflichten- und Verantwortungskatalognach § 15 VermG iVm §§ 11, 11a VermG an sich nur in der Vorstel-lung der Kl. existiert hatte. Tatsächlich kamen diese Aufgaben einesstaatlichen Verwalters gar nicht zum Tragen. Andererseits soll der Kl.ihre Vorstellung zur Anwendbarkeit des VermG hinsichtlich derwichtigen Frage der Verjährung nicht weiterhelfen.

Subjektiv durfte die Kl. jedoch davon ausgehen, dass Aufwen-dungsersatzansprüche erst nach dem Ende der vermeintlich angenom-menen staatlichen Verwaltung entstehen und fällig werden. Dennerst durch eine Entscheidung des BGH (BGHZ 128, 173, 181) war klargestellt worden, dass Aufwendungsersatzansprüche nach den allge-meinen Grundsätzen sofort entstanden waren. Insbesondere in demfraglichen Zeitraum vom 1.7.1990 bis 31.12.1991 war für die Kl. nichtabzusehen, dass das VermG nicht zur Anwendung gelangen würde.Immerhin bedurfte es erst dieses in der amtlichen Sammlung veröf-fentlichten Senatsbeschl. v. 15.12.1994, wonach die sog. Sicherungs-verwaltung privater Grundstücke auf der Grundlage von Bewirtschaf-tungsvorschriften »von dem VermG nicht erfaßt wird«.

Ebenso wie die staatliche Verwaltung mit Verwaltervermerk imGrundbuch bzw. im Handelsregister eingetragen werden konnte, trafdies auch für die angeordnete Sicherungsverwaltung zu: Auch diesewurde vereinzelt in der Abt. II des Grundbuchs vermerkt. Im Übrigenwurden die AO über die Kreditgebung für die Wiederinstandsetzungbzw. den Wiederaufbau privater Wohnbauten v. 2.9.1949 (ZVOBl. IS. 714) und die VO zur Förderung der Instandsetzung beschädigteroder des Wiederaufbaus zerstörter Wohn- und Arbeitsstätten v.28.10.1949, auf welcher die Sicherungsverwaltung hier beruhte, am28.4.1960 bereits wieder durch die VO für die Finanzierung vonBaumaßnahmen zur Schaffung und Erhaltung von privatem Wohn-raum (GBl. I S. 351) aufgehoben. Spätestens ab 1960 hatten dem-zufolge die ursprünglichen Rechtsgrundlagen, die eine staatlicheVerwaltung nach Ansicht des BGH ausgeschlossen hatten, keinenBestand mehr.

Das VermG kennt zudem auch andere Vorschriften (wie § 1 Abs. 2u. 3 VermG), welche nicht ausschließlich das Teilungsunrecht beseiti-gen helfen wollen, sondern den Anwendungsbereich auch für in derDDR lebende Eigentümer und Betroffene eröffnen.

Vor diesem Hintergrund hätte man m.E. überlegen sollen, ob der Kl.aufgrund ihrer irrigen Annahme, eine staatliche Verwaltung wahr-genommen zu haben, nicht der günstigere Verjährungsbeginn (erstnach Ende der Verwaltung) hätte zugestanden werden müssen.

RD Udo Michael Schmidt, Sächs. LARoV, Dresden

� 02.5 – 4/00

Grundstücke/Verfügung durch Nichtberechtigten/gutgläubigerErwerb/kondiktionsrechtliche AnsprücheBGH, Urteil vom 22. Oktober 1999 – V ZR 358/97 (OLG Naumburg)

ZGB § 356 Abs. 1

Wer infolge der Verfügung eines Nichtberechtigten das Eigentum aneinem Grundstück verliert, weil es der Erwerber kraft guten Glaubenserwirbt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 GDO), hat gegen den Erwerber einenAnspruch aus § 356 Abs. 1 ZGB auf Rückübertragung, wenn derErwerb unentgeltlich erfolgt ist.

Der Kl. war zusammen mit seiner früheren Ehefrau Eigentümer eines Grundstücks in M. Im Rahmen der Ehescheidung einigten sich dieEheleute vor Gericht dahin, dass das Grundstück der Ehefrau zu

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Alleineigentum übertragen wurde. Am 29.3.1988 wurde die entspre-chende Eintragung in das Grundbuch vorgenommen.

Mit notariellem Vertrag v. 20.4.1988 schenkte die frühere Ehefraudes Kl. das Grundstück dem Bekl., ihrem Vetter, der am 30.5.1988 indas Grundbuch eingetragen wurde.

Mit Entscheidung v. 17.4.1989 stellte das BG M. die Nichtigkeit derim Rahmen des Ehescheidungsverfahrens getroffenen Einigung überdie Zuweisung des Grundstückseigentums fest. Ein erneutes Vermö-gensauseinandersetzungsverfahren ruht derzeit.

Der Kl. nahm den Bekl. zunächst auf Grundbuchberichtigung inAnspruch, unterlag damit aber in den Tatsacheninstanzen wegengutgläubigen Eigentumserwerbs des Bekl. Die Revision des Kl. nahmder Senat nicht an (Beschl. v. 16.9.1994, V ZR 180/93).

Nunmehr verlangt der Kl. Herausgabe und Rückübereignung desGrundstücks an ihn und seine frühere Ehefrau, wobei er in ersterInstanz die Rückübertragung zur gesamten Hand und in zweiterInstanz zu hälftigem Miteigentum beantragt hat. LG und OLG (NJ1998, 483) haben die Klage abgewiesen.

Die Revision des Kl. hatte Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:I. Das BerufungsG meint, die Klage sei weder unter dem Gesichtspunktdes (Mit-)Eigentums noch unter dem der ungerechtfertigten Bereiche-rung begründet. Nach dem früheren auf § 894 BGB gestützten Klage-verfahren sei mit Rechtskraft zwischen den Parteien festgestellt, dassder Bekl. das Eigentum gutgläubig erworben habe. Dieser Erwerb tragezugleich den Rechtsgrund in sich. Dem Umstand, dass der Bekl. dasGrundstück unentgeltlich erworben habe, komme keine Bedeutung zu,da das hier anzuwendende Recht der DDR keine der Vorschrift des § 816Abs. 1 Satz 2 BGB entsprechende Regelung gekannt habe und einedahin gehende richterliche Rechtsfortbildung nicht in Betracht komme.

II. Dies hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.1. Die Revision stellt die Auffassung des BerufungsG nicht in Frage,

dass dem Kl. ein dinglicher Herausgabeanspruch nicht zustehe. Das istaus Rechtsgründen auch nicht zu beanstanden.

Allerdings ist fraglich, ob schon aufgrund der Rechtskraft des Urteils,mit dem die im Wege der Grundbuchberichtigung erhobene Klage aufZustimmung zur Eintragung des Kl. als Eigentümer abgewiesen wurde,bindend feststeht, dass der Kl. an dem Grundstück kein Eigentum hat.Zwar wird in Rspr. und Lit. die Auffassung vertreten, dass die Ent-scheidung über den Grundbuchberichtigungsanspruch zugleich dieEigentumslage rechtskraftfähig feststelle, weil die begehrte Grund-bucheintragung die Klärung der Eigentumszuordnung bezwecke, dieBerichtigungsklage somit als ein Verfahren zur Feststellung des Eigen-tums anzusehen sei (vgl. RG, JW 1931, 1805; 1936, 3047; RGZ 158, 40,43; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 322 Rn 92, 220; Münch-Komm-ZPO/Gottwald, § 322 Rn 50). Dagegen kann jedoch eingewen-det werden, dass – zumindest bei einem klageabweisenden Urteil – dieEigentumslage für die Entscheidung über den Grundbuchberich-tigungsanspruch nur eine Vorfrage darstellt, die Beurteilung einerVorfrage an der Rechtskraft des Urteils aber grundsätzlich nicht teil-nimmt (vgl. BGHZ 43, 144, 145; 93, 29, 33; 123, 137, 140; BGH, Urt.v. 24.6.1993, NJW 1993, 3204, 3205 = NJ 1994, 143). Das entsprichtallgemeiner Auffassung und wird gerade auch für die Feststellung desEigentums in der mit § 894 BGB vergleichbaren Konstellation desHerausgabeanspruchs nach § 985 BGB angenommen (und zwar beiklageabweisenden wie bei klagestattgebenden Urteilen, vgl. Stein/Jonas/Leipold, aaO, § 322 Rn 91; MünchKomm-ZPO/Gottwald, § 322Rn 95; Zöller/Vollkommer, ZPO, 21. Aufl., Vor § 322 Rn 36; Thomas/Putzo, ZPO, 21. Aufl., § 322 Rn 29; für den Fall des § 894 BGB ausdiesen Gründen ebenso Zöller/Vollkommer, aaO). Geht es bei § 985BGB um die Herausgabe des Besitzes, so regelt § 894 BGB die Heraus-gabe der Buchposition. Es spricht daher Manches dafür, die Fälle inBezug auf die Rechtskraftwirkung gleich zu behandeln.

Die Frage braucht hier indes nicht entschieden zu werden. Dennauch im vorliegenden Verfahren hat der Kl. die für den Bekl. streitendeEigentumsvermutung des Grundbuchs (§ 891 BGB) nicht widerlegt.Es ist daher nach wie vor davon auszugehen, dass der Bekl. das Eigen-tum an dem Grundstück nach § 8 Abs. 1 Satz 1 GDO gutgläubigerworben hat.

2. Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme desBerufungsG, der Erwerb des Bekl. sei kondiktionsfest und hinderedaher den geltend gemachten Anspruch aus § 356 Abs. 1 ZGB.

a) Als Rechtsgrund für den Eigentumserwerb des Bekl. kommt derSchenkungsvertrag mit der früheren Ehefrau des Kl. nicht in Betracht.Unabhängig davon, ob dieser Vertrag – wie das BerufungsG erwägt –nach § 68 Abs. 1 Nr. 3 ZGB nichtig ist (ablehnend Fritsche, NJ 1998,483, 484), scheitert die Begründung eines Rechtsgrundes durch eineSchenkungsabrede daran, dass die frühere Ehefrau des Kl. den Vertragnur für sich, nicht zugleich für den Kl. geschlossen hat. Weder imVerhältnis zu ihm noch im Verhältnis zu der (infolge der Nichtigkeitder im Ehescheidungsverfahren getroffenen Einigung über das Grund-stückseigentum) fortbestehenden Vermögensgemeinschaft bestehtdaher ein vertraglicher Rechtsgrund.

b) Zu Unrecht nimmt das BerufungsG an, der Rechtsgrund ergebesich aus der den gutgläubigen Erwerb ermöglichenden Vorschrift des§ 8 Abs. 1 Satz 1 GDO. Dies widerspricht dem Konzept des Bereiche-rungsrechts in Fällen wirksamen Erwerbs vom Nichtberechtigten.

aa) Für den Geltungsbereich des BGB ist die Rechtslage klar. DerErwerb des Gutgläubigen vom Nichtberechtigten ist grundsätzlichkondiktionsfest. Die Vorschriften, die den gutgläubigen Erwerbermöglichen, wären bedeutungslos, wenn der Erwerb der Kondiktiondurch den früheren Eigentümer ausgesetzt wäre. Sie rechtfertigendaher das Behaltendürfen. Der frühere Eigentümer erhält einenAusgleich durch den Bereicherungsanspruch gegen den unberechtigtVerfügenden nach § 816 Abs. 1 Satz 1 BGB (BGHZ 36, 56, 60; 37, 363,368; schief demgegenüber BGHZ 55, 176, 177, wo in dem Vertrag mitdem Nichtberechtigten der Rechtsgrund vermutet wird; dagegen mitRecht Erman/Westermann, BGB, 9. Aufl., § 812 Rn 80). Anders ist es,wenn der Erwerb unentgeltlich war. In diesem Fall ist er nicht kondik-tionsfest; der frühere Eigentümer kann die Sache von dem Erwerberzurückfordern, § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dieses Zusammenwirken zwi-schen den Vorschriften des Sachenrechts und des Bereicherungsrechtswird unterschiedlich erklärt. …

bb) Für den Geltungsbereich des ZGB der DDR gilt im Ergebnisnichts anderes.

Im ZGB der DDR war das Bereicherungsrecht konzeptionell nichtanders geregelt als im BGB (vgl. Kohler, OLG-NL 1994, 145 f.; Westen,Das neue Zivilrecht der DDR, 1977, S. 263 f.; Fritsche, NJ 1998, 483,484). Die Voraussetzungen des Grundtatbestandes (§ 356 Abs. 1 Satz 1ZGB) entsprachen denen des § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB. Der in § 812Abs. 1 Satz 2 BGB geregelte Fall des späteren Wegfalls des Rechts-grundes war von § 356 Abs. 1 Satz 1 ZGB mitumfasst (Posch, in: Zivil-recht, Lehrbuch, Teil 2, Kap. 8.7.2.3.; ZGB-Komm., § 356 Anm. 1.1.).Die Bestimmungen zum Inhalt und Umfang der Herausgabepflicht(§ 356 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZGB) entsprachen, zum Teil wörtlich, denVorschriften des BGB (§ 818 Abs. 1, Abs. 2 BGB). Auch der Wegfallder Bereicherung und die verschärfte Haftung sind weitgehend ingleicher Weise geregelt (vgl. § 357 ZGB einerseits und §§ 818 Abs. 3,819 BGB andererseits). Beide Gesetze unterscheiden sich nur dadurch,dass das BGB mehr Einzelheiten regelt, während sich das ZGB derDDR auf die Festlegung der Grundsätze beschränkt hat. StrukturelleUnterschiede sind demgegenüber nicht feststellbar, wie auch dieDarstellungen der Materie in dem vom Ministerium der Justiz heraus-gegebenen Kommentar und in dem Zivilrechtslehrbuch (Posch, aaO,Kap. 8.7.) zeigen, deren sachlicher Gehalt mit dem einer sehr knappenErläuterung in einem Kurzlehrbuch zum Bereicherungsrecht des BGBvergleichbar ist.

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Daraus folgt, dass im Bereicherungsrecht des ZGB der DDR die hierzu entscheidende Sachfrage nicht anders beurteilt werden kann alsnach dem BGB.

Begreift man die Vorschrift des § 816 Abs. 1 Satz 1 BGB als Gegen-norm zu dem an sich geltenden Grundsatz, dass der frühere Eigen-tümer einen Bereicherungsanspruch gegen den gutgläubigen Erwerberhat, und bleibt es bei diesem Grundsatz, weil die Gegennorm nichteingreift, so kann auch für das Recht der DDR auf den Grundsatzzurückgegriffen werden. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dasZGB der DDR den Anspruch abschneiden und damit den gutgläubigenunentgeltlichen Erwerber besser stellen wollte als dies nach denRegelungen des BGB der Fall ist. Im Gegenteil, das DDR-Recht schützteden gutgläubigen Erwerber, auch den entgeltlichen, nur im Ausnahme-fall (vgl. §§ 27, 28 ZGB, §§ 7, 8 GDO); von der dem BGB eigentüm-lichen generellen Entscheidung zugunsten desjenigen, der Rechte voneinem Nichtberechtigten herleitet, hatte es sich bewusst abgesetzt(vgl. ZGB-Komm., Anm. zu § 27). Die Annahme einer Besserstellungdes unentgeltlichen Erwerbs gegenüber dem früheren Rechtszustandliegt dann fern.

Versteht man die Norm des § 816 Abs. 1 Satz 1 BGB als speziellenFall der Eingriffskondiktion, so fügen sich die vorstehenden Wertungs-gesichtspunkte konstruktiv wie folgt ein. Der Anspruch des früherenEigentümers gegen denjenigen, der wirksam verfügt hat, ergibt sichnach DDR-Recht aus § 356 Abs. 1 Satz 1 ZGB (vgl. Fritsche, NJ 1998,483, 484). Geschah die Verfügung unentgeltlich, ist der Verfügendenicht bereichert. Es bleibt dann nur ein Anspruch gegen den Erwer-ber, der mangels ausdrücklicher Regelung (eine Vorschrift, die dem§ 816 Abs. 1 Satz 2 BGB entspricht, enthält das ZGB der DDR nicht)im Wege der erweiternden Auslegung des § 356 Abs. 1 Satz 1 ZGB oderin einer Lückenfüllung durch Analogie anzunehmen ist.

3. Der Anspruch steht – anders als zuletzt beantragt – dem Kl. nichtzu hälftigem Miteigentum zu, sondern, gemeinsam mit seiner früherenEhefrau, zur gesamten Hand. Denn durch die Nichtigkeit der im Rah-men der Vermögensauseinandersetzung vorgenommenen Eigentums-zuweisung bestand die frühere Vermögenslage fort und ist auch nochnicht beendet worden; das erneute Vermögensauseinandersetzungs-verfahren ruht derzeit. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob für dieRechtsstellung nach der Scheidung der Ehe noch §§ 13 ff. FGB oder§§ 34, 42, 266 ff. ZGB zur Anwendung kommen (vgl. dazu Fritsche,NJ 1998, 483, 484). Inhaltlich besteht kein Unterschied (vgl. ZGB-Komm., § 34 Anm. 2.4.). An diesem Rechtszustand hat sich durch dieWiedervereinigung nichts geändert, Art. 234 § 4 Abs. 5 EGBGB.

Infolgedessen kann der Kl. den Anspruch für die Gemeinschaftgeltend machen (§§ 270 Abs. 1, 435 Abs. 1 ZGB). Der Senat kann einedahin gehende Verurteilung aussprechen, weil dies hinter dem Antragauf Rückübertragung zu jeweils hälftigem Miteigentum zurückbleibtund dem Kl. – wie sein ursprünglicher, erst in der mündlichen Verhand-lung vor dem BerufungsG umgestellter Klageantrag zeigt – an einerRückübertragung ausschließlich zu Miteigentum nicht gelegen ist.

� 02.6 – 4/00

Bürgschaftsvertrag/Haftungsklausel/Verzugszinsen/BGH, Urteil vom 28. Oktober 1999 – IX ZR 364/97 (OLG Rostock)

AGBG § 9 Abs. 1; VerbrKrG § 11 Abs. 1

1. Die Klausel in einem Bürgschaftsformular, die die Haftung desBürgen auf alle bestehenden Ansprüche gegen den Hauptschuldnererstreckt, ohne die verbürgten Forderungen näher zu bezeichnen, istgrundsätzlich nach § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam. 2. Auf einen Verzug des Bürgen ist die Zinsschadensregelung des § 11Abs. 1 VerbrKrG entsprechend anzuwenden, auch wenn der Bürg-schaftsvertrag von diesem Gesetz nicht erfasst wird (im Anschluss anBGHZ 115, 268, 272 f.; BGH, Beschl. v. 3.5.1995, ZIP 1995, 909, 910).

� 02.7 – 4/00

Sachenrechtsbereinigung/»hängender Kaufvertrag« über ein Gebäude/BesitzrechtBGH, Urteil vom 19. November 1999 – V ZR 241/98 (Kammergericht)

EGBGB Art. 233 § 2 a Abs. 1 Satz 3; SachenRBerG § 3 Abs. 3

Die Ansprüche und Rechte aus einem »hängenden Kaufvertrag« überein Gebäude waren auch vor In-Kraft-Treten des Sachenrechtsberei-nigungsG übertragbar. Ihre Übertragung begründet ein Recht desÜbertragungsempfängers zum Besitz von Gebäude und Grundstückgegenüber dem Eigentümer des Grundstücks.

Mit notariell beurkundetem Vertrag v. 27.6.1990 kauften die Kl. inehelicher Vermögensgemeinschaft das auf dem seinerzeit volks-eigenen Grundstück J. in Berlin errichtete Gewerbegebäude zu einemDrittel. Jeweils ein weiteres Drittel kauften die Herren B. und Bu.Die Käufer beantragten die Verleihung eines Nutzungsrechts an demGrundstück. Auf Seiten des Verkäufers wurde der Vertrag durchFrau E. -C. G. abgeschlossen. Sie handelte aufgrund einer Vollmachtv. 8.6.1990 namens des »Magistrats von Berlin, Abteilung Finanzen«.Mit der Übergabe des Gebäudes am 1.7.1990 sollten auch die »mit demEigentum verbundenen Rechte und Pflichten« auf die Erwerberübergehen. Zur Anlegung eines Gebäudegrundbuchblattes und zurVerleihung eines Nutzungsrechts kam es bis zum 3.10.1990 nichtmehr.

Mit notariell beurkundetem Vertrag v. 13.5.1991 kauften die Kl. den»Miteigentumsanteil« des Mitkäufers B. Am 26.5.1991 einigten sichdie Parteien und der Mitkäufer Bu. dahin, dass Bu. seinen »Gebäude-anteil« den Bekl. verkaufen und ihnen die von ihm genutzten Räumeübergeben sollte. Mit notariellem Vertrag v. 24.9.1991 verkaufte Bu.seinen »Miteigentumsanteil« zu gleichen Teilen den Bekl. Sie ver-pflichteten sich, die Forderungen gegen Bu. aus dem Kaufvertrag v.27.6.1990 zu erfüllen; Bu. trat seine Ansprüche aus diesem Vertrag andie Bekl. ab. Besitz, Nutzen und Lasten gingen nach § 5 des Vertragesam 31.10.1991 auf die Bekl. über. Seither nutzen sie das zweiteObergeschoss des Gebäudes für ihr Gewerbe als Möbeldesigner.Am 5.2.1994 bestätigte der Kl. zu 1, dass den Bekl. in einem »noch aus-zuarbeitenden Vertrag … ein unentgeltliches Dauernutzungsrecht«für die von ihnen genutzten Räume einzuräumen sei.

Mit notariell beurkundetem Vertrag v. 16.2.1995 verkauften die Bekl.ihren »Miteigentumsanteil« an E. K. weiter. Diese verpflichtete sich,den Bekl. eine Dienstbarkeit an den von ihnen benutzten Räumen des»Kaufgegenstandes« einzuräumen, aufgrund deren sie berechtigtbleiben sollten, diese Räume für die Ausübung ihres Berufes (weiterhin)unentgeltlich zu nutzen. Das Eigentum an dem Grundstück wurde derBundesrepublik Deutschland zugeordnet. Diese verkaufte das Grund-stück am 25.7.1996 an die Kl. Sie hat die Kl. ermächtigt, Ansprücheaus dem Eigentum gerichtlich geltend zu machen.

Mit der Klage haben die Kl. von den Bekl. die Räumung der imzweiten Obergeschoss des Gebäudes gelegenen Räume und ihre Her-ausgabe an die Bundesrepublik Deutschland verlangt.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Bekl. ist erfolg-los geblieben.

Die Revision der Bekl. führte zur Abweisung der Klage.

Aus den Entscheidungsgründen: I. Das BerufungsG hat ein Besitzrecht der Bekl. verneint und ausgeführt:Der Kaufvertrag v. 27.6.1990 sei unwirksam, weil Frau G. bei seinemAbschluss im Namen des zu diesem Zeitpunkt nicht mehr existierendenMagistrats von Ost-Berlin gehandelt habe. Bu. , von dem die Bekl. ihrRecht zum Besitz ableiteten, habe ein derartiges Recht daher niemalsgehabt. Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

II. 1. Die Revision hat allerdings keinen Erfolg, soweit sie ein Rechtder Bekl. zum Besitz der umstrittenen Räume aus Art. 233 § 2a Abs. 1

Bürger l i ches Recht

Neue Justiz 4/2000202

Satz 3 EGBGB im Hinblick auf von ihnen behauptete Investitionenin das Gebäude in Anspruch nimmt. Maßnahmen an oder in demGebäude können ein Recht nach § 15 SachenRBerG nur begründen,sofern sie nach ihrem Umfang und Aufwand einer Neuerrichtungentsprechen (§ 12 Abs. 1, 2. Halbs. SachenRBerG), vor Ablauf des2.10.1990 begonnen (§ 8 Nr. 3 SachenRBerG) und von den staatlichenStellen der DDR genehmigt worden sind (§ 7 Abs. 2 Nr. 6 SachenR-BerG). Die Erfüllung keiner dieser Voraussetzungen ist dem Vorbrin-gen der Bekl. zu entnehmen. Die von ihnen vorgelegte Stellungnahmeeines Sachverständigen besagt hierzu nichts. Ebenso wenig ergibt sichaus ihrem Vortrag eine vertragliche Nutzungsberechtigung. Abspra-chen zwischen den Anteilskäufern aus dem Vertrag v. 27.6.1990 undden späteren Vereinbarungen sind vor dem Hintergrund zu sehen,dass sich die Parteien als Miteigentümer wähnten. Sie lassen keinendarüber hinaus reichenden Rechtsbindungswillen erkennen. Der Kaufdes Grundstücks durch die Kl. allein und die Geltendmachung vonAnsprüchen aus dem Eigentum der Bundesrepublik Deutschland andem Grundstück verstößt daher auch nicht gegen vertragliche Ver-einbarungen zwischen den Parteien.

2. Das Urteil ist jedoch deswegen aufzuheben, weil den Bekl. nachArt. 233 § 2 a Abs. 1 Satz 1 Buchst. d, Satz 3 EGBGB, § 3 Abs. 3 oder§ 121 Abs. 1 SachenRBerG ein Recht zum Besitz an Gebäude undGrundstück zusteht. Das ist auch ohne eine Rüge der Revision vomSenat zu beachten und führt zur Abweisung der Klage (…).

a) Die von Frau G. in der Notarverhandlung vorgelegte Vollmachtwurde am 8.6.1990 ausgestellt. Vollmachtgeber war daher nicht derdurch das In-Kraft-Treten des Gesetzes über die Selbstverwaltung derGemeinden und Landkreise in der DDR (KommVerf.) am 17.5.1990(GBl. I S. 255) als rechtsfähige Einrichtung untergegangene Magistratvon (Ost-)Berlin (vgl. Senatsurt. v. 26.1.1996, VIZ 1996, 342, 344 = NJ1996, 311), sondern die Gebietskörperschaft Berlin, Hauptstadt derDDR. Die dieser Körperschaft obliegenden Aufgaben und Befugnissewurden bis zur Wiedervereinigung Deutschlands von ihrem Magistratwahrgenommen (vgl. § 1 Abs. 2 LändereinführungsG, GBl. 1990 I S. 955;Art. 16 EV). Soweit sich der Magistrat im Rechtsverkehr Bevollmäch-tigter bediente und die Bevollmächtigung nach dem 16.5.1990 erfolgtist, wirkten die von den Bevollmächtigten vorgenommenen Rechts-geschäfte für die Gebietskörperschaft Berlin, Hauptstadt der DDR.Selbst fehlerhaft namens des als rechtsfähige Einrichtung untergegan-genen Magistrats zwischen dem 17.5. und dem 3.10.1990 im Rechts-verkehr abgegebene Erklärungen sind nicht wirkungslos. Sie wirktenvielmehr gem. Art. 231 § 8 Abs. 2 EGBGB gegen die Gebietskörper-schaft Berlin, Hauptstadt der DDR (vgl. MünchKomm-BGB/Busche,3. Aufl., Art. 231 § 8 EGBGB Rn 13). Seit der WiedervereinigungDeutschlands und der beiden Teile Berlins wirken sie grundsätzlichgegen das Land Berlin.

b) Der Vertrag v. 27.6.1990 ist auch nicht, wie die Kl. meinen, des-halb nichtig, weil der Mitkäufer Bu. entgegen seiner Angabe in derNotarverhandlung Eigentümer eines Grundstücks in M. war.

Dass ein Bürger der DDR Eigentümer eines Grundstücks war, führtenicht zur Nichtigkeit eines zum Erwerb eines weiteren Grundstücksgeschlossenen Vertrages, sondern konnte der nach § 2 Abs. 1 GVO zurWirksamkeit des Vertrages notwendigen Genehmigung entgegen-stehen. Die Genehmigung war zu versagen, sofern durch den Erwerbeine Konzentration von Eigentums- oder Nutzungsrechten entstehenwürde (§ 3 Abs. 4 GVO). Ziel dieser Regelung war es nicht, den Erwerbweiteren unbeweglichen Eigentums in jedem Falle zu verhindern(BVerwG, ZfIR 1999, 443, 445). Die Kl. haben auch nicht behauptet,dass die zur Wirksamkeit des Vertrages v. 26.6.1990 notwendigeGenehmigung aus diesem Grunde versagt worden sei. Die von den Kl.wegen der unzutreffenden Angabe von Bu. erklärte Anfechtung desVertrages ist für dessen Bestand ohne Bedeutung. Die Erklärung vonBu. in der Notarverhandlung ist nicht gegenüber den Kl. erfolgt.Sie haben auch nicht behauptet, durch die unzutreffende Angabe von

Bu. zum Miterwerb des Grundstücks bestimmt worden zu sein (§ 70Abs. 1 Satz 2 ZGB).

c) Der am 27.6.1990 abgeschlossene Kaufvertrag wurde nicht durchdie mit der Wiedervereinigung Deutschlands erfolgte Aufhebung desZGB und des NutzungsrechtG unwirksam. Der Vertrag blieb vielmehrals »hängender Kaufvertrag« bestehen. Er berechtigt die Anteilskäuferseit dem 3.10.1990 gem. Art. 233 § 2 a Abs. 1 Satz 1 Buchst. d, Satz 2EGBGB gegenüber der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnach-folgerin in das Volkseigentum zum Besitz an dem Grundstück (vgl.Senatsurt. v. 7.7.1995, WM 1995, 1848, 1853 = NJ 1996, 30, und v.13.10.1995, WM 1996, 91 = NJ 1996, 145).

Der von den Anteilskäufern aufgrund des Kaufvertrages v. 27.6.1990ausgeübte Besitz lässt sie Nutzer des Gebäudes iSv § 9 Abs. 1 Nr. 6SachenRBerG sein. Zur Bereinigung der aufgrund des »hängendenKaufvertrages« bestehenden Rechtslage können sie seit dem In-Kraft-Treten des SachenRBerG am 1.10.1994 unter den Voraussetzungenvon § 3 Abs. 3 SachenRBerG zusammen den Ankauf des Grundstücksbzw. die Bestellung eines Erbbaurechts an diesem verlangen. Bis zumAbschluss der Bereinigung besteht ihr Besitzrecht gem. Art. 233 § 2 aAbs. 1 Satz 3 EGBGB fort.

d) Hieran hat sich durch den Verkauf der »Miteigentumsanteile«durch B., Bu. und die Bekl. im Ergebnis nichts geändert. Die Ansprü-che und Rechte aus dem Kaufvertrag v. 27.6.1990 waren rechts-geschäftlicher Übertragung zugänglich. Dasselbe gilt für das ausArt. 233 § 2 a Abs. 1 beruhende Recht zum Besitz (Art. 233 § 2a Abs. 2Satz 2, 1. Halbs. EGBGB). Dass nach der Aufhebung des ZGB und desNutzungsrechtsG keine Miteigentumsanteile an dem Gebäude mehrentstehen konnten, führt nicht dazu, dass die zum Kauf dieser Anteilevon den Kl., den Bekl. und Frau K. geschlossenen Verträge unwirksamsind. Da sie letztlich die Übertragung der Ansprüche und Rechte ausdem Kaufvertrag v. 27.6.1990 zum Inhalt haben, wurde vielmehr derjeweilige Übertragungsempfänger als Rechtsnachfolger des Über-tragenden Nutzer des Grundstücks iSv § 9 Abs. 1 SachenRBerG.

Gegenüber dem Eigentümer wirkt die Übertragung des Rechts zumBesitz nach Art. 233 § 2a Abs. 2 Satz 2 EGBGB zwar grundsätzlich erstmit der Anzeige der Übertragung durch den Zedenten. Ob der Über-gang des Rechts zum Besitz auf die Bekl. der Bundesrepublik Deutsch-land von B. angezeigt wurde, ist dem Vortrag der Bekl. nicht zu ent-nehmen. Hierauf kommt es seit dem In-Kraft-Treten des SachenRBerGaber auch nicht mehr an.

e) Die Frage, ob die Bekl. vom Kaufvertrag mit Frau K. zurückgetre-ten sind und ob Frau K. ihr Recht zum Besitz auf die Bekl. zurücküber-tragen hat, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits ohne Bedeutung.Hat Frau K. dies getan, wie die Bekl. behaupten, sind sie aufgrund desihnen zurückübertragenen Rechts von Bu. gegenüber der Bundes-republik Deutschland zum Besitz berechtigt. Besteht die Berechtigungvon Frau K. fort, wie die Kl. behaupten, steht § 986 Abs. 1 Satz 1 2. Alt.BGB den von den Kl. geltend gemachten Ansprüchen entgegen.

f) Nach den von den Kl. vorgelegten Unterlagen kann nicht ausge-schlossen werden, dass nach den Vorschriften des VermögensG einAnspruch auf Rückübertragung des Grundstücks besteht. Das Beste-hen eines solchen Anspruchs schließt einen Anspruch auf Erwerb desGrundstücks nach § 3 Abs. 3 Nr. 3 SachenRBerG aus. Trotzdem sinddie Bekl. auch in diesem Fall zum Besitz des Grundstücks berechtigt.Ist dem angemeldeten Anspruch stattzugeben, folgt die Besitzberech-tigung der Bekl. aus Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 1 Buchst. d, Satz 3 EGBGB,§ 121 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 Buchst. b SachenRBerG. Das BerufungsG hatfestgestellt, dass der Vertrag v. 27.6.1990 nach § 1 des Gesetzes überden Verkauf volkseigener Gebäude v. 7.3.1990 (GBl. I S. 157) erfolgtist. Damit stehen Frau K. oder den Bekl. die Ansprüche aus demSachenRBerG und damit das Recht zum Mitbesitz an dem Grundstückauch gegenüber einem Rückübertragungsberechtigten zu. Solange dieRückübertragung nicht erfolgt ist, besteht ihr Recht zum Besitzgegenüber der Bundesrepublik Deutschland.

Rechtsprechung Bürger l i ches Recht

203Neue Justiz 4/2000

Kommentar:Das vorliegende Urteil dient nochmals einer Klarstellung zu Inhaltund Umfang des Besitzrechts nach Art. 233 § 2a EGBGB.

Zum einen hat der BGH in den Entscheidungsgründen unter II. 1.hervorgehoben, dass Maßnahmen an oder in einem Gebäude nurdann ein Recht nach § 15 SachenRBerG auf Ankauf oder Bestellungeines Erbbaurechts begründen, sofern diese Maßnahmen ihremUmfang und Aufwand nach einer Neuerrichtung iSd § 12 Abs. 1SachenRBerG entsprechen.

An die Erfüllung dieser Voraussetzungen haben bekanntlich BGHund BVerwG sehr hohe Anforderungen gestellt (vgl. BGH, Urt. v.5.2.1999, NJ 1999, 536 [bearb. Schramm] sowie BVerwG, Urt. v.9.3.1999, NJ 1999, 549). In diesen Entscheidungen wurde u.a. daraufhingewiesen, dass der Begriff der Bebauung im Sinne der begrifflichenBestimmung der Errichtung nach § 27 LPG-G von 1982 auszulegenund demzufolge von einer spürbaren Eingrenzung gegenüber derRegelung in § 12 Abs. 1 SachenRBerG auszugehen sei.

Allerdings hat zwischenzeitlich das BVerwG mit Urt. v. 26.8.1999(NJ 2000, 163 [bearb. Kolb] ) zum Ausdruck gebracht, dass es auf denNachweis derartiger Maßnahmen überhaupt nicht ankomme, wenneiner LPG bereits mit der Übertragung der Rechtsträgerschaft an einemvolkseigenen Grundstück Gebäude übertragen worden sind. In Anknüp-fung an den BGH (Urt. v. 19.12.1997, BGHZ 137, 369, 375 = NJ 1998,373 [Leits.]) hat das BVerwG mit diesem Urteil ausdrücklich seinebisherige Rechtsauffassung (vgl. Urt. v. 30.4.1998 – 3 C 52/96 = NJ1998, 551 [Leits.]) aufgegeben. Damit geht das BVerwG zugleich überdie in den Empfehlungen des BMJ v. 31.7.1997 (BAnz. Nr. 140a) gere-gelten Grundsätze zur Zuordnung selbständigen Gebäudeeigentumshinaus. Allerdings ist das BVerwG in seiner Entscheidung der Fragenach dem Besitzrecht in einer derartigen Fallgestaltung nicht geson-dert nachgegangen.

Bemerkenswert ist auch die Auffassung des BGH in der jetzigenEntscheidung, wonach die Übertragung des Rechts zum Besitz nachArt. 233 § 2a Abs. 2 Satz 2 EGBGB zwar grundsätzlich erst mit derAnzeige der Übertragung durch den Veräußerer gegenüber demGrundstückseigentümer wirksam wird, dies aber seit dem In-Kraft-Treten des SachenRBerG in der vorliegenden Fallgestaltung nicht mehrerheblich sei.

Ein Hinweis, worauf der BGH diese Auffassung stützt, ist der Begrün-dung der Entscheidung leider nicht zu entnehmen. Dies wäre schondeshalb erforderlich gewesen, weil in den einschlägigen Kommentie-rungen zu dieser Vorschrift das Erfordernis der Übertragungsanzeigegegenüber dem Grundstückseigentümer als Voraussetzung für diewirksame Übertragung des Besitzrechts hervorgehoben wird (vgl. nurEickmann/Böhringer, Sachenrechtsbereinigung, Art. 233 § 2a Rz 24 ff.).Andernfalls würde der Grundstückseigentümer erst mit dem Vollzugdes Gebäudekaufvertrages darüber informiert werden, wer seintatsächlicher Ansprechpartner im Hinblick auf die Bereinigung derunterschiedlichen Verhältnisse am Grundstück und am aufstehendenGebäude ist.

Rechtsanwalt Dr. Lothar Schramm, Glindow

� 02.8 – 4/00

Polizeibeamter/Dienstwaffe/Haftung für SchädenBGH, Beschluss vom 25. November 1999 – III ZR 123/99 (OLG Jena)

GG Art. 34; BGB § 839

Ein Polizeibeamter, der mit Billigung seines Dienstherrn nachDienstschluss seine Dienstwaffe nach Hause nimmt und dortverwahrt, handelt insoweit regelmäßig in Ausübung eines öffent-lichen Amtes. Für Schäden aus einer unsorgfältigen Verwahrunghaftet deshalb nicht der Beamte persönlich, sondern dessen Dienst-herr.

� 02.9 – 4/00

LPG/Bodenreformland/Besitzwechsel/EigentumserwerbBGH, Urteil vom 26. November 1999 – V ZR 34/99 (OLG Jena)

BesitzwechselVO (1951) § 13

Die Zuweisung von Grundstücken aus der Bodenreform, derenBewirtschaftung der begünstigte Neubauer aufgegeben hatte, aneine LPG im Jahre 1956 war kein nichtiger Verwaltungsakt.

Die Parteien streiten um das Eigentum an zwei Grundstücken aus der Bodenreform. Die Grundstücke waren zunächst F. S. aus dem Boden-fonds zugewiesen. Nachdem F. S. die Bewirtschaftung seiner Neu-bauernstelle aufgegeben hatte, beantragte der Rat der Gemeinde O. mitam 8.6.1956 beim Rat des Kreises E., Abt. Kataster – Grundbuch, ein-gegangenem Antrag die Umschreibung des Grundbuchs. Der gesiegelteAntrag ist für den »Gemeinderat« und die LPG »E.« unterschrieben.Er hat folgenden Wortlaut:

»Die Neubauernstelle von F. S., O., eingetragen im Grundbuch von O.,Band VIII, Bl. 271 von 7.27.71 ha wird in den Bodenfonds zurück-genommen. Die Neuverteilung erfolgt an die LandwirtschaftlicheProduktionsgenossenschaft ›E.‹ O. Die Genehmigung hierzu liegt vor.Wir beantragen die Umschreibung im Grundbuch.«

Auf der Rückseite des Antrags befindet sich eine vom Leiter der Abt.Landwirtschaft des Rates des Kreises E. unterschriebene, auf den31.5.1956 datierte, gesiegelte Erklärung, nach welcher der »umseitigeUmschreibungsantrag bestätigt« wird.

Am 9.6.1956 wurde die LPG als Eigentümerin der Grundstücke indas Grundbuch eingetragen. Die Bekl. ist Rechtsnachfolgerin der LPGund seit dem 11.12.1992 als Eigentümerin der Grundstücke einge-tragen. Die Kl. hat beantragt, die Bekl. zur Zustimmung ihrer Ein-tragung als Eigentümerin der Grundstücke zu verurteilen, hilfsweiseihre Verfügungsbefugnis über die Grundstücke festzustellen.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat dem Hauptantragstattgegeben (NJ 1999, 268 [bearb. Schramm]).

Die Revision der Bekl. hatte Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:I. Das BerufungsG führt aus:

Durch § 3 3. DVO zum TreuhG sei das Eigentum an den ehemals volks-eigenen landwirtschaftlich genutzten Grundstücken in der DDR auf dieTreuhandanstalt übertragen worden. Hierzu gehörten die zwischen denParteien umstrittenen Grundstücke. Die Aufgabe seiner Neubauernstelledurch F. S. habe dazu geführt, dass die Grundstücke im Mai 1956 in denBodenfonds zurückgefallen seien. Es könne nicht davon ausgegangenwerden, dass sie anschließend der LPG zugewiesen worden seien. DieAusgabe von Grundstücken aus dem Bodenfonds an LPGen sei unzulässiggewesen. Ihnen habe allein die Rechtsträgerschaft an den als Volks-eigentum zu buchenden Grundstücken übertragen werden können. ZurZuweisung von Grundstücken aus dem Bodenfonds sei 1956 allein derRat des Kreises zuständig gewesen. Bei den Behörden, die als Nachfolger indie Funktionen der Abteilung Landwirtschaft des zuständigen Rates desKreises E. in Betracht kämen, seien Unterlagen über die Zuweisung derBodenreformwirtschaft nicht auffindbar. Einer Ersitzung des Eigentumsdurch die LPG stehe entgegen, dass ein solcher Erwerb zu Lasten vonVolkseigentum nicht möglich gewesen sei.

Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.II. Die Bekl. ist als Eigentümerin der Grundstücke eingetragen.

Gem. § 891 Abs. 1 BGB wird ihr Eigentum vermutet. Der Kl. obliegtder Beweis des Gegenteils. Die Grundlage der Eintragung ist insoweitohne Bedeutung (MünchKomm-BGB/Wacke, 3. Aufl., § 891 Rn 3;Soergel/Stürner, BGB, 12. Aufl., § 892 Rn 7; Staudinger/Gursky [1996],§ 891 Rn 2). An der Vermutung des Eigentums der Bekl. ändert sichnicht dadurch etwas, dass ein rechtsgeschäftlicher Erwerb von Grund-stücken aus der Bodenreform bis zum In-Kraft-Treten des Gesetzes überdie Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform v.6.3.1990 (GBl. I S. 134) am 16.3.1990 ausgeschlossen war, die Über-tragung des Eigentums an ihnen durch Verwaltungsakt erfolgte (BGH,Urt. v. 1.6.1994, ZIP 1994, 1222, 1223 = NJ 1994, 519; OG, NJ 1954,

Bürger l i ches Recht

Neue Justiz 4/2000204

704, 705; 1963, 287, 288; … Radloff, NJ 1947, 85, 86) und die Eintra-gung der LPG daher nur verlautbarend erfolgt sein kann.

Wie die Revision zutreffend rügt, ist dieser Beweis nicht geführt.Die Annahme des BerufungsG, dass die Übertragung von Boden-reformgrundstücken auf LPGen nach dem Recht der DDR nicht zuläs-sig war, trifft jedenfalls für den hier maßgeblichen Zeitraum nicht zu.Außerdem hat das BerufungsG die »Bestätigung« des Umschreibungs-antrags durch den Rat des Kreises v. 31.5.1956 rechtsfehlerhaft nichtin die Beweiswürdigung einbezogen.

1. Dass von den Neubauern aufgegebene BodenreformwirtschaftenLPGen nicht zugewiesen werden durften, war im Jahr 1956 von derRspr. der DDR nicht entschieden. Die gesetzliche Lage war unklar (vgl.Schramm, NJ 1999, 269 f.).

a) Die Bodenreformverordnungen und das im vorliegenden Falleinschlägige Gesetz über die Bodenreform im Lande Thüringen v.10.9.1945 (RGBl. 1945 S. 13) enthalten hierzu keine ausdrücklichenRegelungen. Dass die erstmalige Ausgabe der im Rahmen der Boden-reform enteigneten Ländereien nicht an juristische Personen erfolgendurfte, ist allein dem in die Bestimmungen aufgenommenen Zielder Regelungen zu entnehmen, landlose und landarme Bauern mit»privatem Eigentum« an den von ihnen bewirtschafteten Grund-stücken auszustatten (Art. 1 Abs. 1 des Ges. v. 10.9.1945).

b) Dieses Ziel war Mitte der 50er Jahre erreicht (Baumgart, OLG-NL1997, 134, 138). Tatsächlich hatten viele Neubauern zu diesem Zeit-punkt ihre Wirtschaft wieder aufgegeben. Natürliche Personen alsBewerber für die aufgegebenen Wirtschaften waren kaum vorhanden(…). Damit trat die Frage auf, ob die von den Neubauern in den Boden-fonds zurückgegeben Grundstücke an LPGen ausgegeben werdenkonnten. Eine eindeutige Beantwortung dieser Frage ließen Recht undRspr. der DDR 1956 nicht zu.

aa) Nach § 1 BesitzwechselVO 1951 (GBl. I S. 629) konnten Boden-reformwirtschaften wegen Krankheit, Alter oder Tod der Begünstigtenin den Bodenfonds zurückgegeben werden. Aus diesem waren siesodann an einen Nachfolger auszugeben (§ 13 BesitzwechselVO 1951).Die BesitzwechselVO beruhte insoweit auf der Annahme, dass Bewerberum die zurückgegebenen Wirtschaften vorhanden seien. Diese An-nahme hatte sich indessen schon bald nach Erlass der BesitzwechselVO1951 als unzutreffend erwiesen. Tatsächlich sind in einer erheblichenZahl von Fällen LPGen, die die Bewirtschaftung der von den Neu-bauern aufgegebenen Flächen übernommen hatten, im Grundbuchals deren Eigentümer eingetragen worden (Baumgart, aaO, S. 138). DerWortlaut von § 13 BesitzwechselVO 1951 stand dem nicht entgegen.

bb) Die im Bodenfonds befindlichen Grundstücke waren kein Volks-eigentum im formellen Sinn (Schramm, NL – BzAR 1999, 450; ders.,NJ 1999, 269 f.). Um in solches überzugehen, waren sie vielmehr ausdem Bodenfonds auszuscheiden, in Volkseigentum zu überführen undeinem Rechtsträger zur Verwaltung zu übertragen. Erst dann konntedas Volkseigentum im Grundbuch verlautbart werden (vgl. Rundver-fügung Nr. 28/52 des Justizministeriums der DDR, Amtl. Nachrich-tenbl. des MdJ der Regierung der DDR, 1952, 42). Ob die Rechtsträ-gerschaft an Bodenreformland auf LPGen übertragen werden durfte,war zunächst allerdings zweifelhaft. Denn § 6 Abs. 1 der VO zur Siche-rung der landwirtschaftlichen Produktion und der Versorgung derBevölkerung v. 19.2.1953 (GBl. I S. 329) sah nur vor, dass aufgegebe-ner landwirtschaftlicher Besitz den LPGen »zur Nutzung zu übergeben«war. Eine Überführung in Volkseigentum und die Übertragung derRechtsträgerschaft auf die LPGen sind in der VO nicht angesprochen.

cc) Dasselbe gilt für die 2. DB zur VO über die Bewirtschaftung freierBetriebe und Flächen und die Schaffung von Betrieben der örtlichenLandwirtschaft v. 5.2.1954 (GBl. I S. 225). Nach deren § 5 Abs. 1 warenunverteilte Grundstücke aus dem Bodenfonds in die Betriebe der ört-lichen Landwirtschaft einzubeziehen. Bei diesen Betrieben handelte essich um Einrichtungen der Räte der Gemeinden und Kreise, nicht umdie LPGen (Baumgart, aaO, S. 136). Soweit die Betriebe der örtlichen

Landwirtschaft Neubauernstellen bewirtschafteten, konnte ihnen dieRechtsträgerschaft an den betroffenen Grundstücken unter Über-nahme ihres Eigentums in Volkseigentum übertragen werden (§ 6Abs. 3 der VO v. 5.2.1954), während ihre Übergabe an Einzelbauern (!)oder LPGen auf der Grundlage von Nutzungsverträgen zu erfolgenhatte (§ 7 Abs. 2 der VO v. 5.2.1954).

dd) Abschn. II Ziff. 5 des Musterstatuts 1952 der LPG Typ III (GBl. IS. 1383) hatte die Frage des Eigentums der Mitglieder an den vonihnen in die Genossenschaft eingebrachten Grundstücke zum Gegen-stand. Nach Ziff. 5 Abs. 3 Satz 1 waren die Mitglieder grundsätzlichberechtigt, die von ihnen eingebrachten Grundstücke an die Genos-senschaft oder andere Mitglieder zu verkaufen. Aus dem Bodenfondseingebrachte Grundstücke waren bei Aufgabe ihrer Bewirtschaftungnach Satz 2 der Bestimmung ohne Entschädigung auf die Genossen-schaft »zu übertragen«. Der systematische Zusammenhang der Rege-lung legt nahe, dass unter »übertragen« die Zuordnung des Eigentumszu verstehen ist. Jedenfalls gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dassdamit nur eine Übertragung des Besitzes gemeint war, wie das Beru-fungsG annimmt. Die Vergabe von Bodenreformflächen an LPGen alsEigentümer entsprach zwischen 1954 und 1964 weit verbreiteterPraxis (Baumgart, aaO, S. 138; Schramm, NJ 1999, 269).

ee) Die Möglichkeit einer Übertragung der Rechtsträgerschaft anGrundstücken auf die LPGen ist, soweit ersichtlich, erstmals im Entwurfeiner Direktive des Ministers für Land- und Forstwirtschaft v. 12.1.1955(zit. nach Baumgart, aaO, S. 138) ausdrücklich angesprochen. Einegesetzliche Regelung findet sich erst in § 9 Abs. 3 LPG-G v. 3.6.1959(GBl. I S. 577). Bis dahin fehlte einer Anwendung der RechtsträgerAOdie gesetzliche Grundlage. Das OG der DDR sah denn auch mit Urt.v. 20.11.1962 (NJ 1963, 287) die Übertragung des Eigentums an einerBodenreformwirtschaft auf eine LPG im Wege des Besitzwechsels fürzweifelsfrei zulässig an. Erst mit Beschl. v. 27.7.1965 (NJ 1965, 521) hates seine Ansicht im Hinblick auf § 9 Abs. 3 LPG-G 1959 aufgegebenund ausgeführt, dass für den Erwerb von Eigentum an Grundstückenaufgegebener Bodenreformwirtschaften durch die LPGen auch »keinBedürfnis« bestehe. Denn an den Grundstücken der aufgegebenenNeubauernwirtschaften sei »ohne weiteres« Volkseigentum entstanden.

c) Selbst wenn man aus dieser »gewandelten« Auffassung folgernwollte, dass schon vor Erlass des LPG-G von 1959 die Zuweisung eineraufgegebenen Bodenreformwirtschaft an eine LPG unzulässig war,würde die Rechtswidrigkeit eines solchen Verwaltungsaktes nicht zuseiner Nichtigkeit führen (BVerwG, Urt. v. 26.8.1999, abgedruckt unter04.2 – 4/00 m. Komm. Krüger; Hochbaum, in: Das Verwaltungsrecht derDDR, AT, 1957, S. 197 f.; Autorenkollektiv, Verwaltungsrecht, Lehrb.,1. Aufl., 1979, S. 253; Schulze, in: Verwaltungsrecht, Lehrb., 2. Aufl.1988, S. 136).

2. Das hier streitige Bodenreformland ist der Rechtsvorgängerin derBekl. nach § 13 BesitzwechselVO 1951 zugewiesen worden. Dabeikann dahingestellt bleiben, ob die auf der Rückseite des Umschrei-bungsantrags des Rates der Gemeinde O. erfolgte »Bestätigung« v.31.5.1956 durch den Leiter der Abt. Landwirtschaft des Rates des Krei-ses nur zum Ausdruck bringt, dass der Eintragungsantrag des Rates derGemeinde von der Abt. Landwirtschaft des Rates des Kreises gebilligtwurde, oder, wie die Bekl. meint, die »Bestätigung« eine Zuweisungs-verfügung nach § 13 BesitzwechselVO 1951 enthält. Nach der AO überdie Übertragung der Aufgaben der Kommission zur Durchführung derBodenreform auf die Räte der Bezirke und Kreise v. 4.8.1954 (Zentralbl.1954 S. 400) oblag die Entscheidung über die Zuweisung von Grund-stücken aus dem Bodenfonds dem jeweiligen Rat des Kreises. Aus der»Bestätigung« v. 31.5.1956 ergibt sich daher zumindest, dass der vondem Rat der Gemeinde gestellte Antrag auf Umschreibung desEigentums dem Willen der zuständigen Behörde entsprach und dieAntragstellung von dieser gebilligt wurde. Wenn die »Bestätigung«nicht selbst eine Entscheidung über die Zuweisung der Grundstückean die LPG darstellt, lässt sie jedenfalls den Schluss zu, dass eine solche

Rechtsprechung Bürger l i ches Recht

205Neue Justiz 4/2000

Entscheidung ergangen ist. Demgegenüber rechtfertigt die Tatsache,dass über den bei den Grundakten befindlichen Antrag bei den inBetracht kommenden Behörden keine weiteren Unterlagen aufge-funden worden sind, nicht die Annahme des Gegenteils.

3. Der Umschreibungsantrag ist auch nicht, wie die Kl. geltendmacht, dahin auszulegen, dass er auf Eintragung von Volkseigentuman den Grundstücken in Rechtsträgerschaft der LPG gerichtet sei.Der Wortlaut des Antrags gibt hierfür nichts her. Inhaltlich entsprichter der durch § 13 BesitzwechselVO 1951 vorgeschriebenen Verfahrens-weise, die Rückführung der Bodenreformwirtschaft in den Bodenfondsdurch die Löschung des früheren Eigentümers und die neue Zuwei-sung durch die Eintragung der LPG im Grundbuch zu verlautbaren.

4. Die Zuweisung der Grundstücke an die LPG steht sowohl dem inerster Linie von der Kl. gestellten Antrag als auch dem von ihr hilfs-weise gestellten Feststellungsantrag entgegen.

5. Damit kann die vom BGH bisher nicht entschiedene Fragedahingestellt bleiben, ob § 3 3. DVO zum TreuhG zur Übertragung desEigentums an den landwirtschaftlich genutzten Grundstücken ausdem Volkseigentum auf die Treuhandanstalt geführt hat oder ob dasEigentum an diesen Grundstücken gem. Art. 22 Abs. 1 EV auf dieBundesrepublik Deutschland übergegangen ist und die Kl., in welchedie Treuhandanstalt umbenannt worden ist, lediglich ermächtigt ist,die Rechte aus dem Eigentum der Bundesrepublik Deutschland wahr-zunehmen (vgl. Senatsurt. v. 13.6.1997, BGHR DDR-TreuhG DVO3§ 3 Treuhandanstalt (BvS) Nr. 1 = NJ 1997, 558 [Leits.]; BGH, Urt. v.7.11.1997, LwZR 6/97, BGHR DDR-TreuhGDVO3 § 3 volkseigeneNutzflächen Nr. 1 = NJ 1998, 367 [Leits.]).

� 02.10 – 4/00

Vermögensrecht/Verfügungsberechtigter/Erstattung von Aufwen-dungen für Erhaltungskosten/AnspruchsgrundlageOLG Brandenburg, Urteil vom 7. Juli 1999 – 13 U 25/99 (LG Neuruppin)(rechtskräftig)

VermG §§ 3 Abs. 3, 4, 7 Abs. 7

1. § 7 Abs. 7 Satz 4 VermG eröffnet nur eine Verrechnungsmög-lichkeit, jedoch keine selbständige Anspruchsgrundlage für denVerfügungsberechtigten hinsichtlich der über die erzielten Miet-einnahmen hinaus gehenden Aufwendungen.2. Bloße Instandhaltungsmaßnahmen begründen keinen Anspruchauf Mieterhöhung. Die dafür getätigten Aufwendungen kann derVerfügungsberechtigte daher nicht nach § 3 Satz 3 VermG vomBerechtigten verlangen.3. Aufwendungen für bloße Instandhaltungsmaßnahmen sind demVerfügungsberechtigten auch nicht durch analoge Anwendung des§ 3 Abs. 3 Satz 4 VermG oder nach den Grundsätzen des Auftrages(§ 670 BGB) zu ersetzen.

Anm. d. Redaktion: Das OLG hatte die Revision wegen grundsätzlicherBedeutung der Sache zugelassen. Der BGH hat sie mit Beschl. v. 13.1.2000(III ZR 249/99) wegen fehlender Begründung als unzulässig verworfen.

� 02.11 – 4/00

Nachlassspaltung/Grundeigentum in ehem. DDR/TestamentsauslegungBayObLG, Beschluss vom 12. Oktober 1999 – 1Z BR 34/99 (LG Weiden i.d.OPf.)

BGB §§ 2087 Abs. 1, 2361 Abs. 1; EGBGB Art. 3 Abs. 3, Art. 235 § 1;RAG/DDR § 25 Abs. 2; ZGB §§ 365, 372

1. Zur Frage der Nachlassspaltung und Ermittlung der Eigentumsver-hältnisse, wenn dem Nachlass einer vor dem 3.10.1990 verstorbenenErblasserin das Miteigentum von Grundstücken in der ehem. DDRzugerechnet wird.

2. Nachlassspaltung tritt nicht ein, wenn das in der ehem. DDRbefindliche Grundeigentum der Erblasserin im Zeitpunkt des Erbfallsenteignet war; Rückübertragungsansprüche nach dem Vermögens-gesetz führen nicht zu einer Nachlassspaltung.

Problemstellung:Die 1981 verstorbene Erblasserin lebte in der Bundesrepublik undwar mit dem Beteiligten zu 1 im Güterstand der Gütertrennung ver-heiratet. Sie hatte zwei Kinder, die Beteiligten zu 2 und 3. Ihr Nachlassin der Bundesrepublik bestand im Wesentlichen aus dem hälftigenEigentumsanteil an der Ehewohnung, die die Eheleute gemeinsamerworben hatten. Im Jahr 1980 errichteten die Eheleute auf demselbenBlatt jeweils von ihnen handschriftlich geschriebene und unterschrie-bene folgende letztwillige Verfügungen:

TestamentIch verfüge, dass nach meinem Ableben die gemeinsame Wohnung ...meinem Ehepartner ... allein vererbt wird. Das gleiche gilt für diegesamte Einrichtung.

1981 erteilte das NachlassG dem Beteiligten zu 1 einen Erbschein, derihn als Alleinerben der Erblasserin auswies. Nachdem er 1994 demNachlassG bekannt gab, dass die Erblasserin Miteigentümerin zu 3/4 anzwei in der ehem. DDR gelegenen Grundstücken gewesen sei, erteiltedies dem Beteiligten zu 1 einen Erbschein, der ihn als Alleinerben der Erb-lasserin bzgl. des unbeweglichen Vermögens in der ehem. DDR auswies.Die Beteiligte zu 2 beantragte die Einziehung beider Erbscheine, dennder Beteiligte zu 1 sei nicht Alleinerbe geworden, weil die Erblasserinnicht über ihren Anteil an den in der DDR gelegenen Grundstückenund damit nicht über ihren gesamten Nachlass verfügt habe.

Daraufhin erließ das NachlassG einen Vorbescheid, in dem esankündigte, die Erbscheine als unrichtig einzuziehen. Das LG wies diedagegen eingelegte Beschwerde des Beteiligten zu 1 zurück und dasNachlassG an, die Erbscheine einzuziehen.

Gegen die Entscheidung des LG legte der Beteiligte zu 1 weitereBeschwerde ein; diese führte zur Aufhebung der Beschlüsse und zurZurückweisung der Sache an das NachlassG.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:1. Das LG hat zutreffend die Verfahrensweise des NachlassG bean-standet, die Einziehung des Erbscheins mittels Vorbescheid anzukün-digen. Gem. § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB ist das NachlassG von Amtswegen verpflichtet, die Einziehung des Erbscheins ohne Vorankün-digung anzuordnen, wenn es zu der Überzeugung gekommen ist, dassdieser unrichtig ist.

2. Die Auslegung des Testaments durch das LG erweist sich jedochals rechtsfehlerhaft, weil es übersehen hat, dass wegen der – wie vonihm angenommen – im Miteigentum der Erblasserin stehenden, in derehem. DDR gelegenen Grundstücke Nachlassspaltung eingetreten ist.

a) Nach Art. 235 § 1 Abs. 1 EGBGB bleibt für erbrechtliche Ver-hältnisse das bisherige Recht maßgebend, wenn der Erblasser vor demWirksamwerden des Beitritts der ehem. DDR zur BundesrepublikDeutschland – hier 1981 – gestorben ist. Da das LG davon ausgeht, dasszum Nachlass auch Grundstücke gehören, die in der ehem. DDRgelegen sind, weist der Sachverhalt Beziehungen zum Recht der DDRauf, so dass das anzuwendende Recht zu ermitteln ist. WelchesSachrecht anzuwenden ist, richtet sich nach den von der Rspr. in derBundesrepublik vor dem Beitritt entwickelten interlokalen Kollisions-regeln (BGHZ 124, 270 = NJ 1994, 221). Im Erbrecht gilt danach dieRegel, dass sich die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach einemdeutschen Erblasser nach den Bestimmungen derjenigen Teilrechts-ordnung richtet, in deren Geltungsbereich der Erblasser seinengewöhnlichen Aufenthalt hatte (BGH, aaO). Gehören zum NachlassGrundstücke im Gebiet der ehem. DDR, kommen in entspr. Anwen-dung von Art. 28 EGBGB a.F. (jetzt Art. 3 Abs. 3 EGBGB nF) die»besonderen Vorschriften« zur Anwendung, insbesondere § 25 Abs. 2

Bürger l i ches Recht

Neue Justiz 4/2000206

RAG/DDR. Nach dieser Norm bestimmten sich ab dem 1.1.1976 dieerbrechtlichen Verhältnisse in Bezug auf das Eigentum und andereRechte an Grundstücken und Gebäuden, die sich in der ehem. DDRbefinden, nach deren Recht. An einer auf diese Weise eingetretenenNachlassspaltung hat sich durch die Vereinigung Deutschlands nichtsgeändert (BGH, FamRZ 1995, 481; BayObLGZ, FamRZ 1997, 391 = NJ1997, 54 [Leits.]).

b) Die Nachlassspaltung hat zur Folge, dass die in der ehem. DDRgelegenen, unter § 25 Abs. 2 RAG/DDR fallenden Gegenstände einenselbständigen Nachlass bilden, bei dem sich die Erbfolge im Grund-satz nach den Regeln des ZGB richtet, während der übrige Nachlassden Regeln des BGB unterliegt. Die Erbfolge ist hinsichtlich der ver-schiedenen Nachlassteile je für sich zu beurteilen. Der Erblasser kanndie Erbfolge für jeden Nachlassteil gesondert regeln; er kann hin-sichtlich des einen Teils kraft Gesetzes, hinsichtlich des anderen kraftletztwilliger Verfügung beerbt werden (BayObLG, FamRZ 1997, 391 =NJ 1997, 54 [Leitsätze]; OLG Hamm, FamRZ 1998, 121).

c) Diese Grundsätze hat das LG verkannt. Es hat allein in Anwen-dung der Auslegungsregel des § 2087 BGB aus dem Umstand, dass dieErblasserin über das Grundeigentum in der ehem. DDR nicht testierthabe, den Schluss gezogen, dass die Zuordnung des Wohnungseigen-tumsanteils an den Beteiligten zu 1 nicht als dessen Alleinerben-einsetzung angesehen werden kann. Es hat bei der Auslegung desTestaments nicht beachtet, dass nicht nur das der Nachlassspaltungunterliegende Grundvermögen in der ehem. DDR als selbständigesSondervermögen zu behandeln ist, sondern auch das übrige, von § 25Abs. 2 RAG/DDR unberührte Vermögen.

Das LG nimmt im Ergebnis zutreffend an, dass die Erblasserin nichtüber in der ehem. DDR gelegenes Grundvermögen testiert hat. DieseAuslegung ist nach dem für diese Frage maßgeblichen § 372 ZGB nichtzu beanstanden. Zwar ist im Fall der Nachlassspaltung regelmäßigdavon auszugehen, dass der Erblasser, wenn er, ohne über den Umfangder Einsetzung eine nähere Bestimmung zu treffen, letztwillig verfügt,sein gesamtes Vermögen und damit auch die verschiedenen Erbstatu-ten unterliegenden Nachlassteile insgesamt erfassen will, doch ist dasvorliegend gerade nicht der Fall: Im Testament ist von Grundvermögenin der ehem. DDR nicht die Rede; vielmehr wird der überlebendeEhegatte ausdrücklich auf einen bestimmten Nachlassgegenstand,den jeweiligen Miteigentumsanteil an der Ehewohnung eingesetzt.Gegenstand und Umfang des Testaments ist hierauf beschränkt.

Die daraus vom LG gezogene Folgerung, dass der Beteiligte zu 1nicht als Alleinerbe eingesetzt sei, ist zumindest für den dem BGBunterliegenden Nachlassteil rechtsfehlerhaft. Im Fall einer Nachlass-spaltung ist jeder der Nachlassteile als selbständiges Sondervermögenanzusehen und deshalb so zu behandeln, als ob er der gesamte Nach-lass wäre (BayObLG, FamRZ 1994, 723). Da es sich bei dem hälftigenMiteigentumsanteil an der Ehewohnung um den wesentlichen Teil desin der Bundesrepublik gelegenen Nachlasses handelt, ist der damitbedachte Beteiligte zu 1 für diesen Nachlass nach der Auslegungsregeldes § 2087 Abs. 1 BGB, als Alleinerbe anzusehen.

3. Der Senat kann über den Antrag des Beteiligten zu 1 auf Erteilungeines Erbscheins, der auch die Erbfolge in das in der ehem. DDRgelegene unbewegliche Vermögen nach dem ZGB bezeugen soll, nichtselbst entscheiden, weil die Vorinstanzen keine tatsächlichen Fest-stellungen getroffen haben, ob überhaupt Nachlassspaltung eingetre-ten ist. Dazu hat aber Anlass bestanden, weil nach dem Akteninhaltfraglich ist, ob die Erblasserin im Zeitpunkt des Erbfalls überhauptMiteigentümerin der Grundstücke gewesen ist: Nach dem Vorbringendes Beteiligten zu 1 sind die Grundstücke 1994 nach dem VermGrückübereignet worden. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass dieErblasserin durch die DDR-Behörden enteignet worden ist und imZeitpunkt des Erbfalls nicht mehr Miteigentum an den Grundstückenin der ehem. DDR hatte. In diesem Fall wären diese nicht vomNachlass erfasst. Ansprüche nach dem VermG auf Rückerstattung (§ 3

Abs. 1 VermG) können hingegen nicht zu einer Nachlassspaltung füh-ren (BGH, NJ 1996, 364). Vor der Entscheidung über den Erbscheins-antrag des Beteiligten zu 1 ist daher aufzuklären, ob die Erblasserinzum Zeitpunkt ihres Todes Miteigentümerin des Grundvermögensgewesen ist.

Kommentar:Der Entscheidung ist in vollem Umfang zuzustimmen. Das BayObLGunterstellt vorerst die Annahmen des LG, dass zum NachlassEigentumsanteile an Grundstücken in der ehem. DDR gehört haben,als richtig. Es geht in diesem Zusammenhang zutreffend davon aus,dass es bei Erbrechtsfällen zwischen dem 1.1.1976 und dem 2.10.1990,in denen der Erblasser mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in derBundesrepublik Deutschland verstorben ist, dann zur Nachlassspal-tung kommt, wenn zum Nachlass ein Grundstück in der ehem. DDRgehörte (vgl. BGH, FamRZ 1995, 481). Trifft dies zu, so sind die Nach-lassteile so zu behandeln, als ob es den anderen Nachlass nicht gäbe(inkonsequent: KG, NJ 1998, 39 [bearb. Schreiber]). Das hat zur Folge,dass der Beteiligte zu 1 hinsichtlich des Nachlasses in der alten Bun-desrepublik nach den Regeln des BGB testamentarischer Alleinerbewäre, hinsichtlich der Anteile an den in der ehem. DDR belegenenGrundstücken die gesetzliche Erbfolge nach dem ZGB eingetreten ist.

Anschließend weist das BayObLG darauf hin, dass die Überlegun-gen zur Nachlassspaltung hinfällig sind, wenn die Erblasserin zu ihrenLebzeiten in der ehem. DDR enteignet wurde. Dann hätte diese schonbegrifflich kein Eigentum an einem in der ehem. DDR gelegenenGrundstück; und auch andere Rechte an einem solchen (§ 25 Abs. 22. Alt. RAG/DDR) hätten nicht bestanden. Seit der Entscheidung desBGH v. 4.10.1995 (BGHZ 131, 22 = NJ 1996, 364) ist es einhelligeAuffassung in der Rspr., das Rückübertragungs- und Entschädigungs-ansprüche nach dem VermG weder direkt noch in analoger Anwen-dung unter § 25 Abs. 2 RAG/DDR fallen (zuletzt OLG Düsseldorf,FamRZ 1999, 1359). Träfe dies im Fall zu, wäre der Beteiligte zu 1 nachdem hierfür berufenen bundesdeutschen Erbrecht testamentarischerAlleinerbe des gesamten Nachlasses und als solcher Inhaber desAnspruchs aus dem VermG.

Literaturhinweis:Zur Frage der Nachlassspaltung bei Beteiligung an einer Erben-gemeinschaft an einem Grundstück in der ehem. DDR: BayObLG, NJ1999, 147 (bearb. Andrae).

Steffen Schreiber, wiss. Mitarbeiter, Universität Potsdam

� 02.12 – 4/00

Versorgungsausgleich/Auskunftsverpflichtung/juristische Person/Zwangsgeld/EntschädigungOLG Dresden, Beschluss vom 30. Oktober 1999 – 10 WF 0115/98 (AG Stollberg)

FGG §§ 33 Abs. 1, 53b Abs. 2; VAHRG § 11 Abs. 2; ZSEG § 2 Abs. 1

1. Die Aufzählung der Auskunftsverpflichteten in den Vorschriftender §§ 11 Abs. 2 VAHRG, 53b Abs. 2 FGG ist lediglich beispielhaft;darüber hinaus trifft alle diejenigen, welche tatsächlich zur Erteilungder benötigten Auskünfte in der Lage und befugt sind, eine entspre-chende, durch Zwangsmittel nach § 33 FGG erzwingbare Verpflich-tung.2. Zwangsgeld kann gem. § 33 Abs. 1 FGG auch gegen eine juristischePerson des Zivilrechts verhängt werden.3. Der nach den §§ 11 Abs. 2 VAHRG, 53b Abs. 2 FGG zur AuskunftVerpflichtete kann nach Auskunftserteilung analog § 2 Abs. 1 Satz 1ZSEG eine Entschädigung jedenfalls dann verlangen, wenn ihn mitden Prozessparteien keine besonderen Rechtsbeziehungen ver-binden.

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207Neue Justiz 4/2000

� 02.13 – 4/00

Bodensonderung/VerfassungsmäßigkeitOLG Dresden, Urteil vom 13. Dezember 1999 – 3 W 1583/98 (LG Leipzig)(rechtskräftig; Verfassungsbeschwerde eingelegt)

GG Art. 3, 14, 41, 143 Abs. 3; BoSoG § 15

Zur Verfassungsmäßigkeit des BodensonderungsG. (Leitsatz der Redaktion)

Aus den Entscheidungsgründen:B. II. 2. Der Teilsonderungsbescheid v. 6.6.1997 der Ag. ist materiellrechtmäßig.

Entgegen der Auffassung der Ast. führt die Anwendung des BoSoGvorliegend nicht zu verfassungswidrigen Ergebnissen, weil, wie die Ast.meinen, das BoSoG bzw. das SachenRBerG nur eine Entschädigunganhand des Bodenwertes vorsehen.

Zwar ist die Annahme der Ast. zutreffend, dass an den auf ihrenGrundstücken errichteten Gebäuden kein selbstständiges Gebäude-eigentum entstanden ist, weil die Errichtung nicht aufgrund einesNutzungsvertrages bzw. auf volkseigenem Boden erfolgte. Jedoch isthinsichtlich der Zuordnung der durch die Bebauung bedingten Wert-erhöhung des Grundstücks noch keine abschließende Regelunggetroffen worden. Nach dem von den Regelungen des BGB und des GGgeprägten Rechtsverständnis von Eigentum mag man annehmen, dassaufgrund der ohne Klärung der Rechtslage, im Grunde willkürlich vor-genommenen Bebauung des Grundstücks eine Zuordnung auch dererrichteten Gebäude an die Grundstückseigentümer sachgerecht ist.

Die heute in den neuen Bundesländern vorzufindenden und zubewältigenden Probleme der Bodenneuordnung können allerdingsnicht vom Bodenrecht der DDR und dessen Nichtbeachtung losgelöstbetrachtet werden.

Danach wurde das Grundeigentum aus ideologischen Gründen durchPreisstopps, Mietbegrenzungen und Verfügungsbeschränkungen unddurch Zwangskollektivierungen in der Landwirtschaft ausgehöhlt. Das imgrößeren Umfang geschaffene Volkseigentum war weder übertragbarnoch beleihbar. An die Stelle dinglicher Rechte traten die Verteilung vonNutzungsrechten, die in der Konsequenz zum vom Grundeigentum losge-lösten Gebäudeeigentum führte. Hinzu kommt, dass bei der tatsächlichenAnwendung des Bodenrechts der DDR Rechtsnormen und Rechtswirk-lichkeit auseinanderklafften, weil Vollzugsdefizite bewusst oder aus Not anpersonellen oder sachlichen Ressourcen entstanden. Dies führte, wie hier,zu dem Ergebnis, dass ganze Teile des komplexen Wohnungs- und Sied-lungsbaus auf fremdem Grund und Boden stehen (vgl. zu dem Vorstehen-den ausführl. Spieß, NJW 1998, 2553 f.).

Die Bodenordnung der DDR mit ihrem eigenen Verständnis vonEigentumsrecht und Nutzungsbefugnis passte nicht mit dem Eigen-tumssystem für Grundstücke und Gebäude der Bundesrepublik, dassnach der Wiedervereinigung übertragen wurde, zusammen. Der Gesetz-geber war gehalten, einen gerechten Ausgleich zwischen den Nutzerndes Grundstücks, die in die Bebauung des Grundstücks z.T. erheblichinvestiert hatten, und den Grundstückseigentümern zu schaffen. Erhat zunächst durch Art. 233 § 2a Abs. 1a EGBGB ein Besitzrecht auchfür Nutzer geschaffen, die weder aufgrund eines Nutzungsrechts nochauf Volkseigentum Gebäude errichtet hatten. Dadurch wurde zwarnur eine vorläufige Regelung zwischen Grundstückseigentümern undNutzern geschaffen. Die endgültige Klärung durch den Gesetzgebererfolgte sodann mit dem SachenRBerG und dem BoSoG.

Nach Auffassung des Senats werden die entsprechenden Regelungendes BoSoG nach Art. 143 Abs. 3 GG verfassungsmäßig abgesichert.Die Vorschrift verleiht Art. 41 EV und den Regelungen zu seinerDurchführung auch insoweit Bestand, als sie vorsehen, dass Eingriffein das Eigentum auf dem in Art. 3 EV genannten Gebiet nicht mehrrückgängig gemacht werden. Nach Art. 41 Abs. 1 EV ist die Gemein-same Erklärung v. 15.6.1990 Bestandteil desselben. Dort heißt es u.a.:

»Die beiden deutschen Regierungen sind sich über folgende Eckwerteeinig.(…)

3. In der DDR entschädigungslos enteignetes Grundvermögen wirdgrundsätzlich zurückgegeben, außera) wenn es zu Produktiveigentum umgewidmet oder zu Wohnzweckenbebaut worden und seine Rückgabe von der »Natur der Sache« her nichtmöglich oderb) wenn es von DDR-Bürgern in redlicher Weise erworben worden ist;in beiden Fällen sollen Entschädigungen geleistet werden«

Gemeint sind damit nach Auffassung des Senats insbesondere diedurch das BoSoG geregelten Fälle des komplexen Wohnungsbaus.

Für die endgültige Bereinigung der Nichtkompatibilität zwischenBodenrecht der DDR und der jetzt in ganz Deutschland geltendenEigentumsordnung ist dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraumzuzubilligen (Rauscher, in: Staudinger, BGB, 12. Aufl. 1996, Art. 233 § 2aRn 14 ff.). Unter dieser Maßgabe sind nach Auffassung des Senats dieRegelungen des BoSoG nicht zu beanstanden. Sie können zwar imErgebnis, wie hier, zu der Enteignung der Grundstückseigentümer führenund zu einer Privilegierung der Nutzer, denen Grundstückseigentumübertragen wird, aber die zugrunde liegende Wertentscheidung desGesetzgebers ist von dem gesetzgeberischen Ermessen noch gedeckt.

Verfassungsrechtlich problematisch ist insoweit auch nicht, dass dasBoSoG eine Regelung der Entschädigung für die Enteignung auf derGrundlage des Bodenwertes vorsieht, wie die Ast. meinen. Denn obden Ast. hier iSv Art. 14 GG auch das Gebäudeeigentum zugeordnetwerden kann als Rechtsposition, ist letztendlich eine vom Gesetz-geber im Rahmen der Bereinigung der Rechtsverhältnisse zu beant-wortende Frage. Nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise ist dieWerterhöhung des Grundstücks jedenfalls durch eine Aufwendungvon dritter Seite erfolgt, also für die Ast. ohne einen die Werterhöhungvon ihrer Seite rechtfertigenden Grund.

Die in dem BoSoG getroffenen Regelungen wahren auch den Grund-satz der Verhältnismäßigkeit. Ziel der gesetzlichen Regelung war dieAngleichung der Rechtsverhältnisse sowie die Lösung des Konfliktszwischen Gebäude- und Grundeigentum unter Berücksichtigung der indem Gebäude verkörperten Investitionen des Nutzers. Sowohl die Ver-pflichtung des Nutzers zur bestimmungsgemäßen Nutzung gegenüberdem Staat als auch das Recht zur unbefristeten und kostenlosen Nut-zung fremden Eigentums durch Entscheidung einer staatlichen Stelleist als unvereinbar mit der jetzt herrschenden marktwirtschaftlichenOrdnung anzusehen. Als Mittel zur Erreichung des vorerwähnten Zieleshat der Gesetzgeber im BoSoG einen Vorrang der Rechte der Nutzerbegründet und diesem ein Übertragungsrecht in einem förmlichenVerwaltungsverfahren gewährt. Das gewählte Mittel ist zur Herbeifüh-rung der Ziele des Gesetzgebers geeignet. Die Bodensonderung führtzu einer Angleichung an das Rechtssystem der BundesrepublikDeutschland und zur Entflechtung der Rechtsposition der Grund-stückseigentümer und Gebäudenutzer. Das Mittel ist auch erforderlich.Ein milderes Mittel zur Erreichung des Zweckes ist nicht ersichtlich.

Auch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist gewahrt. Diedem BoSoG zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse zeichnen sichdurch eine durch die damaligen Rechtsverhältnisse geschaffeneZwangsgemeinschaft aus. Eine Aufhebung der Zwangsgemeinschafterscheint legitim. Dass diese Aufhebung mit dem Verlust von Eigen-tum einhergeht, ist nach Auffassung des Senats verfassungsrechtlichnicht zu beanstanden. Auch soziale und politische Gründe gebietenes, die Investitionen der Nutzungsberechtigten zu schützen. Diesehaben sich zu Zeiten vor der Wiedervereinigung so verhalten, wie sichauch sonstige Eigentümer bzgl. ihres Grundeigentums verhaltenwürden, dessen Nutzung ihm von niemandem streitig gemacht wird.Die Eigentumsposition des Grundstückseigentümers wurde durch dieals schützenswert anerkannten Interessen des Nutzers so geschmälert,dass ihre Realisierung vor dem Wirksamwerden des Beitritts ausge-schlossen schien. Bis zur Einheit bestand das Eigentum mithin alsbloße Hülse. Da auch der Nutzer durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützteRechte erworben hat, konnte der Grundstückseigentümer zu keinemZeitpunkt damit rechnen, dass er sein Grundstück vollständig in Natur

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Neue Justiz 4/2000208

zurückbekommen oder auch nur den vollständigen Ersatz des Ver-kehrswerts erhalten würde. Wenn der Gesetzgeber in dieser Situationbei der von ihm angestrebten sozial verträglichen Gesamtbereinigungder Rechtsverhältnisse nicht nur den vorgefundenen tatsächlichenBestand schützt, sondern darüber hinaus die Rechtsstellung desÜberlassungsnehmers für schützenswerter hält als das Vertrauen desEigentümers in den Fortbestand seines Eigentums, so ist der damitverbundene teilweise entschädigungslose Wertverlust des Grund-stückswertes durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berück-sichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt.

Ein Verstoß gegen Art. 3 GG ist ebenfalls nicht ersichtlich. Nach dergesetzlichen Begründung ist die hier vorliegende Konstellation vomGesetzgeber als Regelfall des BoSoG vorgesehen worden. Ausgleichs-zahlungen für den Verlust von Gebäudeeigentum schließt das BoSoGim Übrigen nicht aus (vgl. Thöne, in: Eickmann, SachenRBerG, § 15BoSoG Rn 1; Zimmermann, in: Czub/Schmidt-Räntsch/Frenz, SachenR-BerG, § 20 Rn 32). Diese Voraussetzungen sind lediglich im vorlie-genden Fall nicht erfüllt.

Anm. d. Redaktion: Siehe dazu auch den Beitrag von R. Wötzel/T. Schwarze,S. 178 ff., in diesem Heft.

03 STRAFRECHT

� 03.1 – 4/00

Rechtsmittelverzicht/Bestandteil einer verfahrensbeendenden Absprache/UnwirksamkeitBGH, Beschluss vom 19. Oktober 1999 – 4 StR 86/99 (LG Stendal)

StPO § 44

Wird aufgrund einer unzulässigerweise vor Erlass des Urteils imRahmen einer verfahrensbeendenden Absprache getroffenen Verein-barung Rechtsmittelverzicht erklärt, kann dies zur Wiedereinsetzungin den vorigen Stand nach Versäumung der Rechtsmittelfrist führen(Ergänzung zu BGHSt 43, 195 = NJ 1998, 41 [bearb. Lemke]).

� 03.2 – 4/00

Vergewaltigung/Vorliegen einer schutzlosen LageBGH, Urteil vom 20. Oktober 1999 – 2 StR 248/99 (LG Köln)

StGB §§ 177 Abs. 1 3. Alt., 179 idF v. 1.7.1997

1. Zur Verwirklichung der dritten Alternative des § 177 Abs. 1 StGBreicht es aus, dass sich der Täter bei Vornahme der sexuellen Hand-lungen die schutzlose Lage des Opfers bewusst zunutze macht, umden der Tat entgegenstehenden Willen des Opfers zu überwinden.Worauf die schutzlose Lage beruht, ist unerheblich.2. § 179 StGB kommt als Auffangtatbestand dann in Betracht, wenndas Opfer keinen der Tat entgegenstehenden Willen bilden kann.

� 03.3 – 4/00

Verkehrsordnungswidrigkeit/Bußgeldbescheid/Unterbrechung derVerfolgungsverjährungBGH, Beschluss vom 28. Oktober 1999 – 4 StR 453/99 (Kammergericht)

OWiG § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9; StVG § 26 Abs. 3 2. Halbs.

1. Die Unterbrechung der Verfolgungsverjährung durch einen Buß-geldbescheid ist auch dann nach neuem Recht zu beurteilen, wenn ervor dem am 1.3.1998 erfolgten In-Kraft-Treten des Gesetzes zurÄnderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und andererGesetze v. 26.1.1998 (BGBl. I S. 156) erlassen worden war.

2. Die Verlängerung der Verjährungsfrist auf sechs Monate gem. § 26Abs. 3 2. Halbs. wird mit dem Erlass des Bußgeldbescheids wirksam,sofern dieser binnen zwei Wochen zugestellt wird. Anderenfalls istder Zeitpunkt der Zustellung maßgeblich; das gilt auch dann, wennzwischen Erlass und Zustellung andere verjährungsunterbrechendeMaßnahmen getroffen werden.

Anm. d. Redaktion: Die Entscheidung erging auf einen Vorlagebeschluss desKG. Das Gericht sah sich an der beabsichtigten Einstellung des Verfahrenswegen Verjährung durch die Entscheidungen des BayObLG (Beschl. v.8.7.1998, NJW 1999, 159) und des OLG Brandenburg (Beschl. v. 8.6.1998,NJW 1998, 3069) gehindert. Beiden Beschlüssen liegt die Auffassungzugrunde, dass in Fällen, in denen der Bußgeldbescheid vor dem In-Kraft-Treten des genannten Änderungsgesetzes erlassen wurde, für die Frage derdadurch bewirkten Verjährungsunterbrechung altes Recht gilt (ebenso OLGDüsseldorf, NZV 1999, 260).

� 03.4 – 4/00

Rechtsbeugung/DDR-Staatsanwalt/Anbringen eines »A«-Symbols BGH, Urteil vom 26. Januar 2000 – 5 StR 566/99 (LG Dresden)

StGB/DDR §§ 214 Abs. 3, 244

Zu den Voraussetzungen einer Rechtsbeugung durch einen DDR-Staatsanwalt bei Anwendung des § 214 StGB/DDR (hier: Anbringeneines »A«-Symbols im Pkw eines Ausreisewilligen). (Leitsatz der Redaktion)

Der Angekl. hatte als Staatsanwalt in Dresden im Jahre 1988 – alsVertreter in der politischen Abteilung, der er selbst nicht angehörte –zwei ausreisewillige DDR-Bürger, die mehrere Tage lang ein auffallendesSymbol »A« im Pkw des einen öffentlichkeitswirksam zur Schau gestellt,weiterhin gemeinsam am Altmarkt in Dresden an einer AnsammlungAusreisewilliger teilgenommen hatten, wegen Beeinträchtigung staat-licher Tätigkeit gem. § 214 StGB/DDR angeklagt. Ferner hatte er mitAnklageerhebung die Fortdauer der Untersuchungshaft gegen dieBetroffenen beantragt und in der Hauptverhandlung – einem Straf-vorschlag der Dezernentin folgend – Freiheitsstrafen von einem Jahrund drei bzw. fünf Monaten beantragt. Das Gericht verhängte gegenbeide Betroffene jeweils ein Jahr und drei Monate Freiheitsstrafe.

Das LG sprach den Angekl. vom Vorwurf der Rechtsbeugung inTateinheit mit Freiheitsberaubung in zwei tateinheitlichen Fällen austatsächlichen und rechtlichen Gründen frei.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:Der Freispruch des Angekl. hält sachlichrechtlicher Prüfung stand.Wie der Generalbundesanwalt zutreffend annimmt, fehlt es angesichtsdes wiederholten Vorgehens der Betroffenen und des Umstandes, dassihnen im zweiten Fall qualifiziertes gemeinschaftliches Vorgehen(§ 214 Abs. 3 StGB/DDR) angelastet wurde, hinsichtlich der Verhän-gung von Untersuchungshaft nach Maßgabe bislang vom BGH ent-schiedener Fälle aus dem Bereich des politischen Strafrechts der DDR(vgl. nur BGHR StGB § 336 – DDR-Recht 28) jedenfalls aus subjektivenGründen an den Voraussetzungen für die Annahme von Rechts-beugung. Das hohe Strafmaß betreffend liegt ein Grenzfall vor.

Zwar sind in beiden Fällen bei objektiver Überdehnung der DDR-Strafgesetze dem DDR-Staat politisch missliebige Personen aus rechts-staatlicher Sicht unvertretbar inhaftiert und insbesondere zu uner-träglich hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Zu den genanntenbeiden Fallbesonderheiten kommt aber hier hinzu, dass sich derAngekl. mit seinem Tatverhalten als nicht auf politische Strafsachenspezialisierter Staatsanwalt an der üblichen Vorgehensweise seinerentsprechend spezialisierten Kollegen orientiert hat. Angesichts dieserUmstände führen der nach dem Rechtsstaatsgebot zu beachtende Ver-

Rechtsprechung Bürger l i ches Recht

209Neue Justiz 4/2000

trauensschutz und letztlich der Grundsatz, dass sich Zweifel zugunstender Angeklagten auswirken, dazu, dass der Senat die Bewertung des LG,die Rechtsanwendung des Angekl. sei noch keine wissentlich gesetz-widrige Entscheidung, also keine direkt vorsätzliche RechtsbeugungiSv § 244 StGB/DDR, hinnimmt und im Ergebnis nicht beanstandet(vgl. BGHR StGB § 339 – Vorsatz 1 mwN; BGH, Urt. v. 17.2.1999 – 5 StR580/98).

Anm. der Redaktion: Zu den Voraussetzungen für eine Rechtsbeugung vonRichtern und Staatsanwälten der DDR bei Anwendung des § 214 StGB/DDR(Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit) siehe auch BGH, Urteile v. 15.9.1995,NJ 1996, 153, u. v. 30.11.1995, NJ 1996, 264, sowie O. Hohmann, »ZurRechtsbeugung durch DDR-Staatsanwälte«, NJ 1995, 128 ff.

04 VERWALTUNGSRECHT

� 04.1 – 4/00

Gleichbehandlung von Männern und Frauen/Zugang zum Dienst mitder Waffe in der BundeswehrEuGH, Urteil vom 11. Januar 2000 – Rs. C-285/98 (Tanja Kreil ./. BundesrepublikDeutschland; Vorlagebeschluss des VG Hannover)

RL 76/207/EWG; SoldatenG § 1 Abs. 2 Satz 3; SoldatenlaufbahnVO § 3a

Die Richtlinie 76/207/EWG des Rates v. 9.2.1976 zur Verwirklichungdes Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauenhinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung undzum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungensteht der Anwendung nationaler Bestimmungen entgegen, die wiedie des deutschen Rechts Frauen allgemein vom Dienst mit der Waffeausschließen und ihnen nur den Zugang zum Sanitäts- und Militär-musikdienst erlauben.

Anm. d. Redaktion: Siehe dazu auch die Informationen in NJ 2000, 78 u. 182(in diesem Heft).

� 04.2 – 4/00

Bodenreformland/Zuteilung an LPG/Bestandskraft des Eigentums-erwerbs/zuordnungsfähiges Vermögen der DDR/Nichtigkeit einesDDR-VerwaltungsaktsBVerwG, Urteil vom 26. August 1999 – 3 C 31/98 (VG Berlin)

BGB §§ 891, 900; 3. DVO zum TreuhG;EinigungsV Art. 19 Satz 1, 2 , 3, 21 Abs. 1 Satz 1

1. Auf einen Verwaltungsakt iSd Art. 19 EV, der nach Maßgabe desDDR-Rechts zum Zeitpunkt seines Erlasses nichtig war und dessenNichtigkeit nicht geheilt worden ist, kann sich der Begünstigte bzw. dessen Rechtsnachfolger nicht berufen; die Nichtigkeit erforderteinen erkennbar schwerwiegenden Mangel. 2. Die 1958 durch den Rat des Kreises erfolgte Zuteilung des Eigen-tums an einem Bodenreformgrundstück an eine LPG war keinenichtige Entscheidung iSd Art. 19 EV. Derartiges Eigentum ist keinzuordnungsfähiges Vermögen der DDR iSd Art. 21 Abs. 1 Satz 1 EV.

Die Kl. ist die unmittelbare Rechtsnachfolgerin der LPG »W.« sowie diemittelbare Rechtsnachfolgerin der LPG »H. J.«, die 1958 im Grundbuchals Eigentümerin eines über 7.000 qm großen Grundstücks (fortan:Vermögensgegenstand) eingetragen worden war. Die Kl. wendet sichgegen die 1995 zugunsten der Beigeladenen erfolgte Zuordnung desVermögensgegenstandes durch die bekl. Zuordnungsbehörde.

Vor der LPG »H. J.« waren im Grundbuch seit 1948 der Neubauer H.und seit 1955 der Neubauer J. als Eigentümer auf der Grundlage der

einschlägigen BodenreformVO (1945) verzeichnet; entsprechend warein Bodenreformsperrvermerk eingetragen. Der Eintragung der LPGlag ein Antrag des Rates des Kreises an die »Abteilung Kataster imHause« v. 13.3.1958 zugrunde, welcher gerichtet war auf »Umschrei-bung der Neubauernstelle … von … auf …«; der Antrag war mit Dienst-siegel und Unterschrift sowie einem Verteilervermerk versehen.

Gegen den ihr nicht bekannt gegebenen Vermögenszuordnungs-bescheid v. 13.6.1995, in dem die Eintragung der LPG als Rechtsträger-schaftsvermerk gewertet wird, hat die Kl. Anfechtungsklage erhoben.

Das VG hat den Bescheid aufgehoben. Die Revision der Bekl. hatte keinen Erolg.

Aus den Entscheidungsgründen:II. … Das Recht der Kl. auf Aufhebung des zugunsten der Beigeladenenergangenen Bescheids folgt aus dem auf Art. 19 EV gegründetenFortbestand der im Jahre 1958 getroffenen Entscheidung des Rats desKreises, der Rechtsvorgängerin der Kl. das Eigentum am Vermögens-gegenstand zu übertragen. Der erkennende Senat kann daher offen-lassen, ob die Kl. sich auch erfolgreich auf den vom VG in erster Linieherangezogenenen § 891 BGB (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 6.12.1996, VIZ1997, 299 = NJ 1997, 389 [Leits.] ) oder auf die vom VG nicht heran-gezogene Vorschrift des § 900 BGB (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 26.1.1994,BGHR BGB § 900 Abs. 1 Satz 1 – Nacherbenvermerk 1, v. 29.3.1996,NJW 1996, 1890 = NJ 1996, 313, und v. 11.7.1997, BGHR BGB § 900Abs. 1 – Volkseigentum 2 = NJ 1997, 648) berufen könnte.

Hiergegen macht die Revision zwar geltend, der beanspruchte Ver-mögensgegenstand sei infolge der Aufgabe der Neubauernwirtschaftdurch den im Grundbuch als Eigentümer eingetragenen Bauern J. imJahre 1958 materiellrechtlich in Eigentum des Volkes überführtworden und habe diese Eigenschaft bis zum Beitrittszeitpunkt nichtverloren, weswegen er zum zuordnungsfähigen Vermögen der DDRzu rechnen sei; ein Eigentumserwerb hieran durch die Rechts-vorgängerin der Kl., wie er sich aus dem Grundbuch zu ergebenscheine, sei wegen Nichtigkeit der zugrunde liegenden behördlichenVerfügung unwirksam gewesen. Diese Behauptung trifft im Ansatz(hierzu 1.), nicht aber in der rechtlichen Schlussfolgerung zu, weilder Erwerb auf der Grundlage der vom VG bindend festgestelltenTatsachen (§ 137 Abs. 2 VwGO) sowie des von ihm herangezogenen,grundsätzlich nicht revisiblen DDR-Rechts (vgl. BVerwG, Urt. v.9.3.1999, NJ 1999, 549) nicht als nichtig bezeichnet werden kannund deswegen der Erwerb zu einem Ausscheiden des Vermögens-gegenstandes aus dem zuordnungsfähigen Vermögen der DDRgeführt hat (hierzu 2.).

1. Allerdings legen die vom VG für den Zeitraum bis zu dem Eintra-gungsersuchen v. 13.3.1958 festgestellten Tatsachen die Annahme nahe,der Vermögensgegenstand sei als Folge der Aufgabe der Neubauern-wirtschaft durch den Bauern J. (wieder) volkseigen geworden.

a) Mangels Entscheidungserheblichkeit bedarf es im Streitfall keinesEingehens darauf, wie im Einzelnen die Rechtsstellung von im Grundbucheingetragenen Neubauern beschaffen war (vgl. hierzu neuerdings BGH,Urt. v. 17.12.1998, VIZ 1999, 157 = NJ 1999, 203). Wie das VG beanstan-dungsfrei dargelegt hat, fielen Grundstücke, die im Wege der Bodenreformenteignet worden waren, gem. Art. II Nr. 1 der VO Nr. 19 über die Boden-reform im Lande Mecklenburg-Vorpommern v. 5.9.1945 (ABl. 1946 S. 14)in einen sog. Bodenfonds. Solange es keinem Neubauern zugeteilt war,stellte sich solches enteignetes Land nicht als Fiskaleigentum eines Landesdar, sondern als eine Vorform von Volkseigentum (vgl. BVerwGE 100, 62= NJ 1996, 270).

War es einem Neubauern zugeteilt, so war dieser zwar gehindert, es zuteilen, zu übertragen, zu verpachten oder zu verpfänden, er war aber imÜbrigen in einer Weise Eigentümer, die es ihm erlaubte, sich anderen(auch dem Staat) gegenüber darauf zu berufen.

b) Erst mit der Aufgabe von Bodenreformland oder einem zwangs-weisen Entzug konnten sich die Eigentumsverhältnisse hieran wiederändern. Insoweit hat das VG zu Recht auf die BesitzerwechselVO v.21.6.1951 (GBl. I S. 629) idF der ÄndVO v. 23.8.1956 (GBl. I S. 685)abgehoben. Zugunsten aller Verfahrensbeteiligten geht der erken-

Straf recht

Neue Justiz 4/2000210

nende Senat trotz Fehlens entsprechender tatsächlicher Feststellungenfür den Streitfall davon aus, dass die Rückgabe der Bauernwirtschaftdurch den Bauern J. zulässig war und er deswegen seine Eigentümer-stellung verloren hat (diese also nicht den Beitritt der DDR überdau-ert haben kann). Auf dieser Grundlage ist die Annahme gerechtfertigt,dass der Vermögensgegenstand (wieder) in Volkseigentum gefallen istund dort mangels Zuteilung an einen anderen Bauern auch verbliebenwäre, hätten sich nicht das Eintragungsersuchen und die darauferfolgte Grundbucheintragung der Rechtsvorgängerin der Kl. ereignet,die nach den nachstehenden Darlegungen zum Erlöschen des Volks-eigentums geführt haben.

2. Unabhängig davon, auf welche konkrete rechtliche Zuordnungs-grundlage sich Bekl. und Beigeladene für die getroffene Entscheidungstützen können, und davon, ob der Rechtsvorgängerin der Kl. Eigen-tum nach den Regeln des BGB oder nach denen des sozialistischengenossenschaftlichen Eigentums zugeteilt worden ist (hierzu a), behältdie in dem Eintragungsersuchen v. 13.3.1958 verkörperte Entschei-dung des Rates des Kreises, der Rechtsvorgängerin der Kl. Eigentum zuübertragen, nach Maßgabe von Art. 19 EV über den Beitritt der DDRhinaus mit der Folge Bestand, dass der in Rede stehende Vermögens-gegenstand im Beitrittszeitpunkt nicht zuordnungsfähig war unddeshalb die Zuordnung zugunsten der Beigeladenen fehlerhaft ist(hierzu b).

a) Der erkennende Senat muss weder entscheiden, ob die Auffassungder Bekl. zutrifft, nicht die Vorschriften in den Art. 21 u. 22 EV,sondern die Vorschriften der 3. DVO zum TreuhG v. 29.8.1990 (GBl. IS. 1333), betreffend vor allem volkseigene Güter (§ 1) sowie vonGenossenschaften oder Einzelpersonen genutzte volkseigene Nutz-flächen (§ 3), rechtfertigten die zugunsten der Beigeladenen erfolgteZuordnung; noch bedarf es einer abschließenden Beantwortung derFrage, ob das in Art. 21 Abs. 1 Satz 1 EV vorausgesetzte Vermögen derDDR nur im Falle von Volkseigentum vorliegt (so BGHZ 136, 228 = NJ1997, 648), oder ob auch andere Formen staatlichen bzw. sozialisti-schen Eigentums zur Zuordnungsfähigkeit des betreffenden Vermö-gensgegenstands führen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.3.1995, Buch-holz 115 Nr. 2 = NJ 1995, 603, BVerwGE 99, 283, 286 = NJ 1996, 266,v. 28.9.1995, 7 C 84/94, Buchholz 111 Art. 22 Nr. 15 S. 44, BVerwGE105, 140 = NJ 1998, 46 (bearb. Schmidt), und v. 27.8.1998, NJ 1999, 157(Leits.); vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 10.7.1997, 3 B 165/96, Buchholz111 Art. 21 Nr. 23). Entweder ist der Vermögensgegenstand nämlichentsprechend der Ansicht der Bekl. im Volkseigentum verblieben, oderer hat diese Eigenschaft zugunsten des Eigentums der Rechtsvor-gängerin der Kl. verloren und durfte deswegen der Beigeladenen beikeiner der beiden in diesem Zusammenhang in Betracht zu ziehendenAlternativen zugeordnet werden; denn auch dann, wenn … an dieStelle des Volkseigentums nicht privates Eigentum der Genossenschaftgetreten wäre, sondern deren sozialistisches Eigentum, so ist der Ver-mögensgegenstand unter keiner Voraussetzung beim Beitritt zuord-nungsfähig gewesen:

aa) Die Bekl. und die Beigeladene behaupten zu Recht nicht, auchunter der Voraussetzung der Annahme erloschenen Volkseigentumssei der Vermögensgegenstand zuordnungsfähig geblieben. Sie behaup-ten namentlich nicht, als Folge der Geschehnisse im Jahre 1958 sei derVermögensgegenstand in eine andere Eigentumsform als Volkseigen-tum überführt worden, die nunmehr gleichwohl seine Zuordnungrechtfertigen könnte. Eine solche Ansicht fände nämlich in dem Rechtder DDR keine Stütze.

bb) Freilich kannte, wovon auch die Rspr. des BVerwG ausgeht (vgl.BVerwGE 101, 143 = NJ 1997, 40), das DDR-Recht neben dem Volks-eigentum und dem damals noch im Wesentlichen den Regeln des BGBfolgenden Privateigentum zur hier in Rede stehenden Zeit noch eineweitere Eigentumsform, nämlich diejenige des genossenschaftlichensozialistischen Eigentums (vgl. hierzu Dornberger u.a., Das Zivilrechtder DDR, Sachenrecht, 1956, S. 41 ff.).

Es wurde als »Eigentum niederer Entwicklungsstufe« (aaO) bezeichnet undunterschied sich vom Volkseigentum wesentlich dadurch, dass nicht das»gesamte werktätige Volk in Gestalt seines Staates« Eigentümer des betref-fenden Vermögensgegenstandes war, »sondern nur eine bestimmte Gruppevon Werktätigen« (aaO, S. 41 f.). Im Gegensatz zum Volkseigentum, welchesin Art. 24 Abs. 3, Art. 25 Abs. 1 und Art. 28 der am 7.10.1949 verkündetenDDR-Verf. (GBl. I S. 4 ff.) ausdrücklich verankert war, war das genossen-schaftliche sozialistische Eigentum damals in der Verfassung noch nichtbesonders geschützt, wenngleich sich aus deren Art. 20 Satz 2 sowie Art. 27Abs. 4 das Anliegen ableiten lässt, Genossenschaften allgemein, Landwirt-schaftliche Genossenschaften im besonderen sowie genossenschaftlichesEigentum zu fördern (vgl. insoweit auch Dornberger, aaO, S. 42). Erst späterwurden unter dem Oberbegriff des sozialistischen Eigentums die Formen desVolkseigentums, des Eigentums sozialistischer Genossenschaften und desEigentums gesellschaftlicher Organisationen der Bürger in einen vergleich-baren Rang erhoben, wie namentlich die §§ 17 ff. ZGB (1975) belegen.

cc) Sollte durch die Geschehnisse im Jahre 1958 an die Stelle desdamaligen Volkseigentums privates Eigentum der Rechtsvorgängerinder Kl. getreten sein, hätte es dem Vermögensgegenstand im Bei-trittszeitpunkt deshalb an der Zuordnungsfähigkeit gemangelt. Solltedagegen seinerzeit genossenschaftliches sozialistisches Eigentumentstanden sein, gilt Folgendes: Weder für die hier in Rede stehendenoch für die spätere Zeit lässt sich auf der Grundlage der dem Senatzur Verfügung stehenden Rechtstatsachen erstens belegen, dass ein inBetracht zu ziehendes, auch LPGen zugängliches genossenschaftlichessozialistisches Eigentum zu den Vermögensrechten gerechnet wordenwäre, die wie das Volkseigentum (vgl. Dornberger, aaO, S. 41) demStaat zustanden. Da auch zweitens weder vorgetragen noch ersichtlichist, dass und wie damals entstandenes genossenschaftliches sozialisti-sches Eigentum von LPGen dem Volkseigentum vergleichbar damalsoder später (vgl. Autorenkollektiv, LPG-Recht, 1984, S. 182 ff.) unterstaatliche Lenkung (…) gelangt sein könnte, fehlt es vorliegend anbeiden Kriterien, die bei unklarer Eigentumslage einen Vermögens-gegenstand als zuordnungsfähig kennzeichnen können.

b) Einer Berufung der Kl. auf Art. 19 Satz 1 EV kann nicht entgegen-gehalten werden, die Entscheidung des Rates des Kreises sei nichtig.Zwar ist dieser Einwand der Revision nicht von vornherein unstatthaft(hierzu aa). Weder aus dem Gesichtspunkt der sachlichen Zuständig-keit des Rates des Kreises (hierzu bb) noch aus anderen kann aber dieBerechtigung des Einwands hergeleitet werden (hierzu cc).

aa) Ein Verwaltungsakt iSd Art. 19 EV verlangt eine kraft hoheit-licher Gewalt getroffene, auf Rechtsbeständigkeit abzielende behörd-liche Entscheidung eines Einzelfalles (vgl. grundlegend BVerwG,Beschl. v. 25.1.1994, 11 B 53/93, Buchholz 111 Art. 19 EV Nr. 1;BVerwGE 105, 255 = NJ 1998, 103 [Leits.]). Auf einen solchen Akt kannsich aber wegen Art. 19 Satz 3 EV niemand berufen, wenn er nichtigist, d.h. wenn ihm ein schwerer Fehler anhaftet und dies offenkundigist. Dabei ist grundsätzlich auf die DDR-Rechtslage (unter Einschlussder gelebten Rechtswirklichkeit) zum Zeitpunkt seines Erlasses abzu-stellen. Dies ergibt sich aus Folgendem:

(1) Art. 19 Satz 1 EV, der als Grundsatz die fortbestehende Wirk-samkeit von DDR-Verwaltungsakten anordnet (vgl. BVerwG, Urt. v.20.3.1997, 7 C 23/96, Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 108, S. 329 = NJ1997, 438), unterscheidet seinem Wortlaut nach nicht zwischensolchen Verwaltungsakten, deren Fortbestand die Adressaten der Aktebzw. deren Rechtsfolger belastet oder begünstigt. Auch seine Sätze 2u. 3 treffen eine solche Unterscheidung zumindest nicht ausdrücklich.Es ist daher vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass ein Regelungs-bedürfnis für beide Fallgruppen bestand und noch besteht, davonauszugehen, dass Art. 19 EV insoweit keinen von vornherein einge-schränkten Anwendungsbereich aufweist.

(2) Freilich liegt es auf der Hand, dass die Voraussetzungen fürAusnahmen vom Grundsatz des Art. 19 Satz 1 EV, schon um auch nursachgerecht zu sein, nicht für die beiden Fallgruppen ausnahmslosidentisch sein können. Es bedarf mit anderen Worten keiner weiterenDarlegung, dass namentlich die Auslegung des hier zunächst inBetracht zu ziehenden, indessen offensichtlich nicht erfüllten Begriffs

Rechtsprechung Verwaltungsrecht

211Neue Justiz 4/2000

der Unvereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen iSv Art. 19Satz 2 EV (vgl. hierzu BFH, Urt. v. 25.1.1995, VIZ 1995, 602) in ersterLinie in den Blick nehmen muss, ob es um die Beseitigung eines DDR-typischen Unrechts geht (vgl. hierzu die Bestimmungen des VwRehaGidF der Bkm. v. 1.7.1997, BGBl. I S. 1620) oder darum, ob zu DDR-Zeiten behördlich eingeräumte Rechtspositionen den Beitritt der DDRrechtlich überdauern oder nicht. Vorliegend geht es ausschließlich umdie letzte Alternative.

(3) Ob eine hoheitlich verfügte Begünstigung den Beitritt der DDRrechtlich überdauert (vgl. die Ausgangslagen, die den Beschlüssen desBGH v. 29.1.1996, BGHR EV Art. 19 Satz 2 – Rechtsanwaltszulassung 1,sowie v. 17.6.1996, DtZ 1997, 89 zugrunde lagen), richtet sich gem.Art. 19 Satz 3 EV in erster Linie nach den Regeln über die Bestands-kraft von Verwaltungsakten und kann daher auch und gerade davonabhängen, ob dem Verwaltungsakt der Mangel der Nichtigkeit anhaf-tet. Denn nach dem in § 43 Abs. 3 VwVfG enthaltenen allgemeinenRechtsgedanken ist ein nichtiger Verwaltungsakt unwirksam undkeiner Bestandskraft zugänglich. In einem solchen Fall boten wederdas bei seinem Erlass heranzuziehende noch das einigungsvertraglicheRecht hinreichenden Anlass, auf den Fortbestand des Verwaltungsaktsund der damit verbundenen Begünstigung zu vertrauen; ob anderesgilt, wenn späteres Recht der DDR oder Bundesrecht die Heilung einessolchen nichtigen Verwaltungsakts anordneten, kann mangels einersolchen Heilung im Streitfall offen bleiben. Ebenso kann offen bleiben,ob und wie in Fällen der in Rede stehenden Art die Aufhebbarkeit einesDDR-Hoheitsakts mit anderen als mit Nichtigkeitsgründen begründetwerden kann, weil eine Aufhebungsentscheidung nicht ergangen ist.

bb) Der mithin statthafte Einwand der Nichtigkeit lässt sich imStreitfall zunächst nicht mit einem schwerwiegenden Zuständigkeits-mangel begründen.

Zu Recht (vgl. die AO über die Übertragung der Aufgaben der Kom-missionen zur Durchführung der Bodenreform auf die Räte der Bezirkeund Kreise v. 4.8.1954, ZBl. S. 400) haben die Verfahrensbeteiligtendurchgängig die Annahme zugrunde gelegt, dass der Rat des Kreisesnach damaligem Recht zuständig dafür war, zurückgegebene Boden-reformflächen neu zu verteilen. In einer solchen Neuverteilung aneinen Neubauern mit dem BGH (vgl. Urt. v. 1.6.1994, ZOV 1994, 387= NJ 1994, 519) einen Verwaltungsakt im vorstehenden Verständniszu sehen, ist gerade vor dem Hintergrund der übereinstimmenden undnach dem Vorstehenden zutreffenden Annahmen der Verfahrens-beteiligten gerechtfertigt, zurückgegebenes Bodenreformland seizunächst wieder in Volkseigentum gefallen; nur mit der Annahmeeiner hoheitlichen Entscheidung ist nachvollziehbar zu begründen,wie ein Vermögensgegenstand zugunsten des Rechts eines Neubauernaus Volkseigentum (wieder) ausscheiden konnte. Vor diesem Hinter-grund kann gegen die Rechtsbeständigkeit der vorliegenden Zuteilungan die LPG nicht eingewandt werden, ein ersichtlich unzuständigerHoheitsträger habe mit der Folge der Nichtigkeit gehandelt.

cc) Auch im Übrigen rechtfertigt das Vorbringen der Revision nichtdie Annahme, dem Eintragungsersuchen liege eine nichtige Zuteilungs-entscheidung zugrunde.

(1) Dabei ist in Ansehung der Form des Eintragungsersuchens(Dienstsiegel, Unterschrift, Verteilervermerk) sowie seines Wortlauts(»Umschreibung der Neubauernstelle … von … auf«) zunächst nichtsgegen die sinngemäß in den Urteilsgründen verlautbarte Annahmedes VG zu erinnern, alle Umstände deuteten auf eine dem Ersuchenzugrunde liegende oder diese selbst verkörpernde Entscheidung desRates des Kreises hin, die nicht etwa nur auf die Übertragung desNutzungsrechts auf die LPG als Rechtsträgerin, sondern auf dieÜbertragung der Eigentümerstellung zielte; davon ist damals offenbarauch die Abteilung Kataster ausgegangen, wie der Umstand zeigt, dasssie die LPG als Eigentümerin eingetragen hat.

(2) Allerdings weist die Revision zum Beleg für die Nichtigkeit geradeeiner solchen Entscheidung auf einen Beschl. des Präsidiums des

Obersten Gerichts v. 27.7.1965 (NJ 1965, 521) hin, welcher einemBegehren die Anerkennung verweigerte, das auf Überlassung vonBodenreformland an eine LPG zu deren Eigentum durch den Rat desKreises gerichtet war; »unter allen Umständen« entstehe in solchenFällen Volkseigentum. Indessen ist dieser Beschluss insbesondere mitBlick auf die Vorschriften des § 9 Abs. 4 und des § 8 LPG-G (1959)ergangen, während für das hier maßgebliche Jahr 1958 entsprechendeRechtsvorschriften nicht auszumachen sind, sieht man von dem in dervorerwähnten Verfassung verankerten Schutz des Volkseigentums ab.

Auf der anderen Seite konnte sich der Rat des Kreises im Jahre 1958für die von ihm getroffene Entscheidung auf einzelne Bestimmungendes durch Beschl. des Ministerrates v. 19.12.1952 bestätigten LPG-Musterstatuts (Typ III), GBl. I S. 1375 ff., 1383 ff., stützen, welcheeine rechtsnormähnliche Qualität aufwiesen (vgl. Arlt, Grundriss desLPG-Rechts, 1959, S. 55 f.). Nach Abschn. II Ziff. 5 Satz 4 dieses Statutswurde bei Aufgabe des von einem Genossenschaftsmitglied in dieGenossenschaft eingebrachten Bodenreformlandes »dieses Land ohneEntschädigung der Produktionsgenossenschaft übertragen«. Zwar lässtdiese Bestimmung ungeachtet der offenen Frage, ob der Voreigentümerdas Land als Genossenschaftsmitglied in die Genossenschaft einge-bracht hatte, für sich allein betrachtet ohne weiteres auch die Auslegungzu, dass der Produktionsgenossenschaft das Land zur Nutzung übertra-gen werden sollte. Weil im Musterstatut in Abschn. II Ziff. 2 Buchst. bals zur Bodenfläche der Produktionsgenossenschaft gehörig auch derBoden gerechnet wurde, der ihr vom Staat zur Nutzung ohne Ent-schädigung übergeben wurde, wäre es aber zumindest begründungs-bedürftig, warum das Musterstatut in zwei nahe beieinander liegendenVorschriften einen identischen Vorgang mit in zweierlei Hinsichtunterschiedlichen Worten bezeichnet haben sollte. Zumindest erhellthieraus, dass der Rat des Kreises sich im Jahre 1958 weder in der einennoch in der anderen Richtung auf eine eindeutige Bestimmung desgeschriebenen Rechts stützen konnte, wie das VG zu Recht geurteilt hat.

Dem entspricht es, dass im juristischen Schrifttum die in Redestehende Frage seinerzeit als literarisch noch unbehandelt angesehenwurde (vgl. Kulaszewski, NJ 1956, 135 ).

Dieser Befund wird bestätigt durch die Darlegungen in einem – vomVG herangezogenen – Urt. des Obersten Gerichts v. 20.11.1962, (NJ1963, 287). In Auseinandersetzung mit von der Obersten Staats-anwaltschaft vorgebrachten Bedenken dagegen, dass eine LPG Boden-reformland unmittelbar von einem Bauern übernehme, hat dasOberste Gericht für einen im Jahre 1959 erfolgten Vorgang entschieden,es stehe unzweifelhaft fest, »dass eine LPG Grundstückseigentümerund auch Eigentümer von Bodenreformland in der besonderenGestaltung dieser Eigentumsart sein kann«. Diese Entscheidungschließt es auch in Ansehung der vorerwähnten anders lautendenPräsidiumsentscheidung aus dem Jahre 1965 aus, die im vorliegendenFall vom Rat des Kreises getroffene Entscheidung als offensichtlichschwerwiegend rechtswidrig und damit nichtig zu beurteilen, zumalin der durch die LPG als dessen Eigentümerin erfolgten Nutzung desVermögensgegenstands jedenfalls keine zweckwidrige zu erblicken ist.

Vor diesem Hintergrund bleiben die Versuche der Revision erfolg-los, die Nichtigkeit der getroffenen Entscheidung aus einer Fülle vonteils veröffentlichten, teils nicht veröffentlichten Richtlinien undAnweisungen abzuleiten. Diese rechtfertigen zwar die Beurteilung,dass es nach dem damaligen Rechts- und Staatsverständnis näherliegend gewesen wäre, den Vermögensgegenstand im Volkseigentummit der Rechtsträgerschaft der LPG zu belassen, statt ihn dieser zuEigentum zu übertragen. Sie führen jedoch auch in ihrer Gesamtheitnicht über das hinaus, was das Präsidium des Obersten Gerichts fürden der getroffenen Entscheidung nachfolgenden Zeitraum im Jahre1965 entschieden hat, und machen im Übrigen nur deutlich, dasswährend der Zeit seit der Eintragung hinreichend Anlass bestandenhätte, diese zu korrigieren. Dass sie gleichwohl nicht korrigiert wordenist, belegt, dass in der gelebten Rechtswirklichkeit der DDR der im

Verwaltungsrecht

Neue Justiz 4/2000212

Streitfall in Rede stehende sowie vergleichbare Vorfälle (vgl. neben denvon der Revision geschilderten Fällen auch die bei Dornberger, aaO,S. 43, erwähnten Übertragungen von enteignetem Vermögen auf dieVdgB-BHGen) offenbar nicht als mit DDR-Recht völlig unvereinbarangesehen worden sind. Diese Einschätzung betrifft sowohl die vomSenat im Ergebnis offen gelassene Alternative, dass der Rechtsvor-gängerin der Kl. im Jahre 1958 BGB-Eigentum zugeteilt worden seinsollte, als auch noch mehr diejenige, dass sie sozialistisches genossen-schaftliches Eigentum am Vermögensgegenstand erworben hat; imzweiten Falle handelte es sich um einen im DDR-Rechtsverständnisgrundsätzlich unbedenklichen Übergang von Volkseigentum ingenossenschaftliches Eigentum (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 26.5.1994,7 C 33/93, Buchholz 428.2 § 1 VZOG Nr. 1, S. 3 = NJ 1994, 593).

Kommentar:Die vorliegende Entscheidung des BVerwG und die des BGH v.26.11.1999 (abgedruckt unter 02.9 – 4/00) haben grundsätzliche Bedeu-tung für eine Vielzahl vergleichbarer anhängiger Verfahren vor denZivilgerichten. In diesen Verfahren begehrt die BvS/BVVG gestützt aufArt. 237 § 2 Abs. 1 EGBGB die Grundbuchberichtigung für jene Fälle,in denen LPGen vor allem in den 50er/Anfang der 60er Jahre aufgrundvon Entscheidungen der Räte der Kreise als Eigentümer für Grund-stücke aus der Bodenreform eingetragen wurden.

Den tragenden Entscheidungsgründen ist im Ergebnis zuzustim-men. In Auswertung der DDR-Verwaltungspraxis und der Rspr. desObersten Gerichtes der DDR gelangen sowohl das BVerwG als auch derBGH zu Recht zu der Überzeugung, dass die Übertragung des Eigen-tums von Grundstücken aus der Bodenreform an eine LPG zumindestfür einen gewissen Übergangszeitraum nicht als offensichtlich schwer-wiegend rechtswidrig und damit nichtig zu beurteilen sei.

Während allerdings das BVerwG nicht zwischen den Begriffen»staatlicher Bodenfonds« und »Volkseigentum« differenziert, geht derBGH zu Recht davon aus, dass die im Bodenfonds befindlichenGrundstücke kein Volkseigentum im formellen Sinne waren (vgl.BesitzwechselVO v. 7.8.1975, GBl. I S. 629). Waren sie hingegen inVolkseigentum überführt und einem Rechtsträger zur Verwaltungübertragen, war eine erneute Behandlung als Bodenreformfläche nichtmehr zulässig.

Wie auch Schramm feststellt (vgl. NJ 1999, 269; vgl. auch ders.,»Nochmals: Zankapfel Bodenreformland«, Briefe zum Agrarrecht1999, 450 ff.) waren Eigentumsübertragungen an Grundstücken ausder Bodenreform auf LPGen durchaus auf die damalige Rechtslagezurückzuführen. Die erste BesitzwechselVO von 1951 sah eine Neu-vergabe von Bodenreformwirtschaften an Neubauern vor. Sie konnteindes die erst nach ihrem In-Kraft-Treten sich ab 1952 herausbilden-den LPGen nicht in ihrem Regelungsgegenstand berücksichtigen.Die LPGen wurden als Vereinigung von Bauern angesehen. Von vorn-herein war daher eine Übertragung des Eigentums von Grundstückenaus der Bodenreform an LPGen nicht ausgeschlossen.

Auch das Musterstatut der LPG Typ III 1952 regelte noch, dass beiAufgabe des vom Mitglied in die LPG eingebrachten Bodenreform-landes dieses Land ohne Entschädigung der jeweiligen Genossenschaftübertragen werden sollte. Ob als Eigentum oder in Rechtsträgerschaft,blieb hingegen – wie auch der BGH meint – offen.

1962 entschied das OG der DDR, dass eine LPG Grundstückseigen-tümer und auch Eigentümer von Bodenreformland – in der besonde-ren Gestaltung dieser Eigentumsart – sein konnte.

Aber auch noch Jahre nach In-Kraft-Treten des LPG-G von 1959wurden in einer Reihe von Fällen LPGen Grundstücke aus der Boden-reform zu Eigentum übertragen. Noch im Jahre 1964 wurde von denKommentatoren zum damals geltenden LPG-G eine gesetzlicheNeuregelung der Übernahme ganzer Neubauernwirtschaften durchdie LPGen auf der Grundlage des § 9 LPG-G gefordert (vgl. Heuer u.a.,Komm. zum LPG-G, Berlin 1964, § 9 Ziff. 3). Erst nach dem Beschluss

des OG v. 27.7.1965 wurden die bisherigen Auffassungen dahingehend korrigiert, dass Grundstücke aus der Bodenreform LPGen nurnoch im Wege der Rechtsträgerschaft zu übertragen sind.

Entscheidend erscheint jedoch, dass die DDR-Rechtsordnung biszum Ende ihres Bestehens eine Korrektur der Eigentumsübertragungenvon Grundstücken aus der Bodenreform an LPGen, was durchausnahe liegend gewesen wäre, nicht veranlasst hat.

Das BVerwG kommt daher zu der Auffassung, dass Eigentumsüber-tragungen aus der Bodenreform auf LPGen offenbar nicht als mitDDR-Recht völlig unvereinbar angesehen worden sind. Eine Berufungauf den Tatbestand des Art. 237 § 2 Abs. 1 EGBGB in den Verfahrenvor den Zivilgerichten erscheint deshalb gleichfalls ausgeschlossen.

Für die Praxis bedeutsam ist die Auslegung des BGH, dass es derVorlage einer Zuweisungsentscheidung der zuständigen Behörde (Kreis-bodenkommission, ab 1954 Rat des Kreises) nicht generell bedurfte.Auch aus anderen Dokumenten/Erklärungen sind Rückschlüsse zuläs-sig, dass Zuweisungsentscheidungen tatsächlich ergangen sind.

Die letztendlich bestandskräftige Übertragung des Eigentums anGrundstücken aus der Bodenreform auf LPGen hat genossenschaft-liches Eigentum begründet, dass heute als vollwertiges Eigentumder Unternehmen allein den Bestimmungen des BGB unterliegt.Im Unterschied zu früherem Volkseigentum ist es daher den Bestim-mungen des TreuhG und seiner DVO entzogen.

Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Krüger, Berlin

� 04.3 – 4/00

Vermögensrecht/unlautere Machenschaft/Inanspruchnahme nichtfür den Aufbauzweck benötigter Teilflächen/SachaufklärungspflichtBVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1999 – 7 C 38/98 (VG Greifswald)

VermG § 1 Abs. 3; AufbauG § 14; 2. DB zum AufbauG §§ 2 Abs. 2,4 Abs. 4

Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen die umfassende Ent-eignung eines Flurstücks, das nur teilweise für den Enteignungszweckbenötigt wurde, als unlautere Machenschaft iSd § 1 Abs. 3 VermGanzusehen ist.

Problemstellung:Das 2.999 m2 große, unter staatlicher Verwaltung stehende Flurstück der– seinerzeit im Westen Deutschlands lebenden – Rechtsvorgängerin derKl. wurde 1978 zum Aufbaugebiet erklärt zum Zwecke der Errichtungvon drei Eigenheimen auf jeweils 500 m2 großen Grundstücken. ImFebr. 1979 beantragte der Rat der Gemeinde die Inanspruchnahmeunter Hinweis auf dieses Vorhaben. Der Rat des Kreises verfügte mitWirkung v. 1.8.1979 die Inanspruchnahme gem. § 14 AufbauG. Von denvorgedruckten Worten »Flurstück (Parzelle) oder Trennst. vom Flur-stück« des verwendeten Formulars sind nur die Worte »Trennst. vomFlurstück« unterstrichen. Das Flurstück wurde auf dem bisherigenGrundbuchblatt gelöscht und als Eigentum des Volkes auf ein neuesBestandsblatt übertragen. 1981 wurde eine Entschädigung für dasgesamte Grundstück festgesetzt. Aus dem Flurstück wurden drei etwa500 m2 große Parzellen herausvermessen und mit Eigenheimenbebaut; den Nutzern wurden dingliche Nutzungsrechte verliehen.

Dem im Aug. 1990 gestellten Rückübertragungsantrag der Kl. hin-sichtlich des nicht mit Eigenheimen bebauten Grundstücksteils gabdas ARoV statt. Auf Widerspruch der Beigeladenen hob das LARoV denBescheid auf, da die das gesamte Flurstück erfassende Enteignungkeine Schädigungsmaßnahme nach § 1 VermG sei. Die dagegen gerich-tete Klage der Kl. wies das VG ab. Zur Begründung führte es aus:Sollte die umstrittene Teilfläche – wie die Kl. geltend machen – nichtGegenstand der Enteignung nach dem AufbauG gewesen sein, bliebefür eine vermögensrechtliche Rückgabe kein Raum. Sollte die Teilflächehingegen wirksam enteignet worden sein, läge keine unlautere

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213Neue Justiz 4/2000

Machenschaft vor, da die Mitenteignung dieser Fläche lediglich rechts-widrig, aber nicht willkürlich gewesen sei.

Die Revision der Kl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisungder Sache an das VG.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Das VG hätte die Frage der Wirksamkeit der Enteignung nicht offenlassen dürfen, da das LARoV von einem seinerzeitigen Eigentums-verlust ausgegangen und dies daher der Streitgegenstand sei. Ange-sichts des grundbuchlichen Vollzugs und der Entschädigung für dasgesamte Grundstück liege auch – nach faktischen Kriterien beurteilt –eine Enteignung vor (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.1.1998, Buchholz 428§ 1 VermG Nr. 134 mwN = NJ 1998, 219 [Leits.]).

Unlautere Machenschaften iSd § 1 Abs. 3 VermG seien nicht auszu-schließen, da das gesamte Grundstück enteignet wurde, obwohl nachden Feststellungen des VG nur der Bau der drei Eigenheime geplantgewesen sei. Das VG hätte nach Feststellung eines Verstoßes gegen § 2Abs. 2 der 2. DB zum AufbauG v. 29.9.1972 (Inanspruchnahme nurder tatsächlich benötigten Grundstücksfläche) nicht unter Verweis aufeine behauptete, auf § 4 Abs. 4 der 2. DB zum AufbauG (Einbeziehungnicht mehr zumutbar zu nutzender Restflächen) gestützte Praxis einewillkürfreie Enteignung annehmen dürfen, sondern eine Einzelfall-prüfung vornehmen müssen. Es sei auffällig, dass der damalige Sach-bearbeiter beim Rat des Kreises Vorbehalte gegen einen umfassendenZugriff gehabt habe, die später nicht mehr beachtet worden seien.Das VG müsse daher – etwa durch Befragen der seinerzeit beim Rat desKreises mit der Angelegenheit befassten Bediensteten – den Motivenfür dieses Verhalten nachgehen, um festzustellen, ob es sich um einebloße Nachlässigkeit oder um eine bewusste Manipulation zu Lastender Eigentümer handelte oder ob sogar rechtlich nachvollziehbareGründe ausschlaggebend waren (etwa die Restfläche durch ihreBeschaffenheit nicht mehr bebaubar war).

Auch bei ergebnisloser Motivforschung spreche dann, wenn dienicht benötigte Teilfläche noch sinnvoll eigenständig hätte genutztwerden können, alles für sachfremde Motive für den erkennbar durchkeine Rechtsgrundlage gedeckten Zugriff, während dann, wenn dieseFläche vernünftigerweise nicht mehr eigenständig nutzbar war, imRegelfall nichts für eine Unlauterkeit spreche.

Kommentar:Grundsätzlich zuzustimmen ist der Auffassung des BVerwG, dass einewillkürfreie Mitenteignung nicht benötigter Teilflächen nur dannanzunehmen ist, wenn die Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 der 2. DBzum AufbauG (wenigstens ansatzweise) gegeben sind, und dass diesam Einzelfall zu prüfen ist. Problematischer erscheint es, dass dasBVerwG eine bestimmte Prüfungsreihenfoge vorzugeben scheint:dass nämlich zunächst die Motive (durch Zeugenbefragung) und erstdann die tatsächlichen Gegebenheiten zu untersuchen seien. Diesdürfte allerdings der Besonderheit des Falles geschuldet sein, in demwährend des Inanspruchnahmeverfahrens Bedenken geäußert, aberaus nicht nachvollziehbaren Gründen bei der Entscheidung nichtberücksichtigt wurden.

In der Praxis dürfte regelmäßig zunächst die zuverlässigere undzudem weniger aufwendige Prüfung der tatsächlichen Gegebenheitenvorzunehmen sein. Sofern diese zu einem deutlichen Ergebnis hin-sichtlich der Nutzbarkeit der Restfläche führt, dürfte sich eine zusätz-liche Motiverforschung nicht ohne weiteres aufdrängen.

RiVG Ulrich Keßler, Berlin

� 04.4 – 4/00

Vermögenszuordnung/Mülldeponie/Verwaltungsvermögen derLandkreiseBVerwG, Urteil vom 11. November 1999 – 3 C 34/98 (VG Berlin)

EinigungsV Art. 21 Abs. 1 u. 2, 22 Abs. 1; VZOG § 10 Abs. 1; TreuhG § 11 Abs. 1 u. 2

Eine Zuordnung von Verwaltungsvermögen an Gemeindeverbände(Landkreise) gem. Art. 21 Abs. 2 EV ist nicht deshalb ausgeschlossen,weil ihnen das GG anders als den Gemeinden keinen bestimmtenAufgabenbereich sichert. Sie setzt aber voraus, dass der zuzuordnendeVermögensgegenstand am 1.10.1989 für eine Aufgabe bestimmt war,die auf Kreisebene aufgrund einer grundgesetzkonformen norma-tiven Regelung wahrzunehmen war.

Problemstellung:Der klagende Landkreis wendet sich gegen einen Bescheid, mit demihm die bekl. BvS von Amts wegen mehrere ehemals volkseigeneFlurstücke, welche von der beigeladenen Kommune bis 1994 als Müll-deponie genutzt wurden, als Verwaltungsvermögen zugeordnet hat.Das VG hat der Klage stattgegeben.

Die Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Das BVerwG stellt fest, dass es sich bei Abfalldeponien, die sowohl am1.10.1989 als auch am 3.10.1990 noch betrieben wurden, grundsätz-lich um Verwaltungsvermögen handelt. Es verweist insoweit aufArt. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG, wo schon lange vor der WiedervereinigungDeutschlands die Abfallbeseitigung zur öffentlichen Aufgabe erklärtwurde. Der Betrieb der umstrittenen Deponie sei jedoch keine Ver-waltungsaufgabe des Kl. gewesen.

Während Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG den Gemeinden einen Aufgaben-bereich sichere, der grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichenGemeinschaft umfasse, bedürften die Kreise zur Begründung vonVerwaltungsbefugnissen eines speziellen Kompetenztitels. Einensolchen enthalte die Verfassung nicht, und zwar weder für die Abfall-entsorgung noch für andere Aufgaben. Damit könne es allerdingsbei der Zuordnung von Verwaltungsvermögen mit kommunalerZweckbestimmung nicht sein Bewenden haben, da Art. 21 Abs. 2 iVmAbs. 1 Satz 1 EV auch die Gemeindeverbände – mithin vor allem dieKreise – zu möglichen Zuordnungsempfängern bestimme. Um dengesetzgeberischen Willen mit dem Fehlen einer expliziten verfas-sungsrechtlichen Aufgabenzuweisung in Einklang zu bringen, bedürfedas einigungsvertragliche Differenzierungsmerkmal »nach demGrundgesetz« einer weiter gefassten Auslegung. Maßgeblich seidanach der von der Verfassung gesteckte Rahmen für eine zulässigeWahrnehmung örtlicher und überörtlicher Aufgaben durch Gemein-den, Kreise und Länder. Diesen Rahmen füllten subkonstitutionelleVorschriften aus, die somit bestimmend für die Zuordnung seien.Ob hier die zuständigkeitsbestimmenden Vorschriften bereits am1.10.1989 gegolten haben müssen oder ob die zum Beitrittszeitraumgültigen Bestimmungen insoweit »zurückwirken«, bedürfe keinerEntscheidung, weil zu keinem der in Betracht kommenden Zeitpunktedurch Bundes- oder DDR-Recht eine Zuständigkeit der Landkreise fürdie Müllentsorgung in den Gemeinden vorgesehen war.

Ohne Bedeutung sei dabei, dass auf der Deponie auch Siedlungsmüllumliegender Gemeinden abgeladen worden sei. Für die Zuordnungrelevant seien nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 EV nur die Aufgaben, die vonbestimmten Trägern der öffentlichen Verwaltung »wahrzunehmensind«; ohne eine entsprechende rechtliche Verpflichtung vorgenom-mene Tätigkeiten seien daher unbeachtlich. Die durch die beigeladeneKommune erfolgte Müllentsorgung für andere Gemeinden könne somitnicht dem Kl. zugerechnet werden, da mit dem bloßen Geschehenlassenvon Handlungen Dritter keine »Aufgabe wahrgenommen« werde.

Kommentar:Eine interessante Streitfrage wird in dem Urteil nur implizit ange-sprochen. Im erstinstanzlichen Verfahren war streitig gewesen, ob hier

Verwaltungsrecht

Neue Justiz 4/2000214

ein öffentliches Interesse an einer Zuordnung von Amts wegen nach § 1Abs. 6 VZOG bestand, was vom VG bejaht wurde. Das BVerwG geht aufdiese Frage nicht ein, obwohl sie bei einem logischen Aufbau vor denmateriellen Zuordnungskriterien geprüft werden muss. Dies sprichtdafür, dass das BVerwG, das nach § 137 Abs. 3 Satz 2 VwGO an die gel-tend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden ist, in diesem Punktkein Problem sah und die Ansicht vertritt, dass ein öffentliches Interessenicht nur bei vom Grundstück ausgehenden konkreten Gefahren (soSchmidt/Leitschuh, in: Rädler/Raupach/Bezzenberger, Vermögen in derehem. DDR, 8. Erg.-Lfg., § 1 VZOG Rn 34), sondern auch bei latentenGefahren besteht (so auch Schmidt-Räntsch/Hiestand, in: Rechtshand-buch Vermögen und Investitionen, 13. Erg.-Lfg., B 170 VZOG § 1 Rn 23).

Was das materielle Zuordnungsrecht betrifft, ist die Entscheidungim Zusammenhang mit einem BVerwG-Urt. v. 24.9.1998 – 3 C 13/97(Buchholz 115 Nr. 17 S. 35 = Brandt/Kittke [Hrsg.], Rechtsprechungund Gesetzgebung zur Regelung offener Vermögensfragen, O 226[Leits.]) zu sehen, wo die Zuordnung einer Sondermülldeponie streitigwar. Schon damals hatte das BVerwG die Abfallbeseitigung als öffent-liche Aufgabe qualifiziert. Dort ging das Gericht allerdings davon aus,dass die Deponie dem Belegenheitsland Mecklenburg-Vorpommernzuzuordnen ist, da die Beseitigung von Sondermüll nach Art. 83 GGiVm dem AbfallG v. 27.8.1986 (BGBl. I S. 1410) und dem Kreislauf-wirtschafts- und AbfallG v. 27.9.1994 (BGBl. I S. 2705) den Ländernobliege. Bei Mülldeponien ist für die Zuordnung also zu differenzieren,ob es sich um Hausmüll- oder um Sondermülldeponien handelt.Während erstere i.d.R. zum Verwaltungsvermögen der Kommunegehören, sind letztgenannte den Ländern zuzuordnen.

Dr. Joachim Gruber, D.E.A. (Paris I), Chemnitz

� 04.5 – 4/00

Besoldungsrecht/Stellenzulage für die Wahrnehmung einer höher-wertigen Funktion/BeitrittsgebietBVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1999 – 2 C 31/98 (OVG Münster)

BBesG § 42, Anl. I Vorbem. Nr. 27; 2. BesÜV § 5

1. Die allgemeine Stellenzulage nach Vorbem. Nr. 27 zu den Besol-dungsordnungen A und B gehört aufgrund der ihr vom Besoldungs-gesetzgeber ausdrücklich beigelegten Funktion als »grundgehalts-ergänzend« sachlich zum Grundgehalt.2. Die Zulage für die Wahrnehmung einer höherwertigen Funktion imBeitrittsgebiet nach § 5 der 2. BesÜV bemisst sich nach dem Unter-schiedsbetrag zwischen den Grundgehältern der Besoldungsgruppendes statusrechtlichen Amts und des Verwendungsamts unter Einbe-ziehung der jeweiligen allgemeinen Stellenzulage nach Vorbem. Nr. 27zu den Besoldungsordnungen A und B.

� 04.6 – 4/00

Versammlung/Auflage/unmittelbare Gefährdung/politische Partei/Redner/WahlkampfOVG Weimar, Beschluss vom 13. August 1999 – 3 ZEO 616/99 u. 3 EO 617/99 (VG Meiningen) (rechtskräftig)

VersG § 15; GG Art. 8, 21

1. Zu den Anforderungen an die Gefahrenprognose im Rahmen des§ 15 VersG (Fortführung der Rspr. des 2. Senats des ThürOVG).2. Das – vorbeugende – Verbot der Versammlung einer politischenPartei in Wahlkampfzeiten unterliegt erhöhten Anforderungen.3. Für eine politische Bewertung einer nicht verbotenen Partei ist bei derGefahrenprognose nach § 15 VersG nur insoweit Raum, als sich darauszugleich Anhaltspunkte für eine Gefährdung wichtiger – der Grund-rechtsausübung nach Art. 8 GG gleichwertiger – Rechtsgüter ergeben.(siehe dazu die Kommentierung von M. Kniesel unter 04.8 – 4/00)

� 04.7 – 4/00

Versammlung/Auflage/politische Partei/Wahlkampf/Verwendung vonTrommeln/EinschüchterungOVG Weimar, Beschluss vom 3. September 1999 – 3 ZEO 669/99 (VG Gera)(rechtskräftig)

VersG § 15; GG Art. 8, 21

Die Verwendung von Trommeln bei der Versammlung einer poli-tischen Partei kann durch eine Auflage dann untersagt werden,wenn sie nicht zur Erzielung von Aufmerksamkeit dient, sondern dieEinschüchterung anderer Personen zur Folge hat. Ob Letzteres derFall ist, muss unter Berücksichtigung der konkreten Umstände desEinzelfalles festgestellt werden. Ein Einschüchterungseffekt kannetwa dann eintreten, wenn mit den Trommeln Takt geschlagen wirdund die Versammlungsteilnehmer im Gleichschritt marschieren unddadurch die Versammlung ein paramilitärisches Gepräge erhält.(siehe dazu die Kommentierung von M. Kniesel unter 04.8 – 4/00)

� 04.8 – 4/00

Versammlung/Auflage/unmittelbare Gefährdung/politische Partei/Wahlkampf/Verwendung von FahnenstangenOVG Weimar, Beschluss vom 3. September 1999 – 3 ZEO 671/99 u. 3 EO 672/99 (VG Gera) (rechtskräftig)

VersG § 15; GG Art. 8, 21

Eine Auflage an den Veranstalter einer Versammlung, keine Fahnen-stangen zu verwenden, die länger als 1,50 m sind, ist im Hinblick aufdie damit verbundene Einschränkung der Wahrnehmbarkeit derMeinungskundgabe nur dann rechtmäßig, wenn konkrete Anhalts-punkte dafür vorliegen, dass längere Fahnenstangen als Waffeneingesetzt werden oder sonst die öffentliche Sicherheit unmittelbargefährden. Dies gilt insbesondere bei Versammlungen einer poli-tischen Partei im Wahlkampf.

Problemstellung:In allen drei OVG-Entscheidungen (Leitsätze vorstehend abgedruckt)geht es um die Rechtmäßigkeit eines Verbots bzw. von Auflagen imZusammenhang mit Wahlkampfversammlungen der NPD. ZentralerPunkt ist jeweils die Gefahrenprognose im Rahmen des § 15 Abs. 1VersG: im ersten Verfahren (3 ZEO 616/99 u. 3 EO 617/99) bezog siesich auf den Auftritt eines Redners, von dem die Versammlungs-behörde unmittelbare Angriffe auf die Rechtsgüter der §§ 86, 130 StGBerwartete, weshalb sie die Versammlung verbot; im zweiten Verfahren(3 ZEO 669/99) hatte die Gefahrenprognose die Verwendung vonTrommeln mit einschüchternder Wirkung und im dritten Verfahren(3 ZEO 671/99 u. 3 EO 672/99) die Verwendung von Fahnenstangenzum Zeigen von Transparenten zum Gegenstand.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Das OVG knüpft in allen drei Beschlüssen an seine schon st.Rspr. zu§ 15 Abs.1 VersG an, wonach sich die Gefahrenprognose hinsichtlichder unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nur aufbelegte Fakten stützen muss, Verdachtsmomente und Vermutungendagegen nicht ausreichen.

Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung des Verbots bzw. derAuflagen macht das Gericht grundsätzliche Ausführungen zu Art. 5Abs. 1, Art. 8 Abs. 1 u. Art. 21 GG. Grundrechtseingriffe müssen stetsder grundlegenden Bedeutung dieser Grundrechte Rechnung tragen,so dass sich versammlungsbehördliche Maßnahmen auf das zumSchutze gleichwertiger Rechtsgüter Notwendige zu beschränkenhaben. Insoweit hebt das OVG im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 GG dasSelbstbestimmungsrecht des Grundrechtsträgers über Ort, Zeitpunkt,Art und Inhalt der Veranstaltung hervor und stellt klar, dass dieser

Rechtsprechung Verwaltungsrecht

215Neue Justiz 4/2000

Schutz nicht deshalb entfällt, weil auf der Versammlung Meinungs-äußerungen in plakativer, Aufsehen erregender oder etwa zu missbil-ligender Form fallen. Hinzu kommt für das Gericht der Zusammen-hang mit dem Wahlkampf. Hier gewinnt die Versammlungsfreiheitvor dem Hintergrund der den Parteien durch Art. 21 Abs. 1 GGgewährleisteten Beteiligung am politischen Meinungskampf beson-dere Bedeutung (unter Hinw. auf BVerfGE 91, 262, 267). Im Bereichder Wahlen kommt den Parteien der besondere Status der Teilhabe amVerfassungsleben zu (BVerfGE 66, 107, 114). Daraus folgt für die Ver-sammlungsbehörde, dass sich die Gefahrenprognose auf besondersgravierende Umstände stützen muss, um ein vorbeugendes Verbotgerade im laufenden Wahlkampf zu rechtfertigen.

Nach diesen grundsätzlichen Ausführungen prüft das Gericht diejeweilige Gefahrenprognose auf ihre Validität. Im Hinblick auf dasVerbot der Versammlung im Beschl. v. 13.8.1999 verneint es dieunmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, weil konkreteAnhaltspunkte für die Prognose fehlen, dass infolge des Redebeitragesmassive körperliche Angriffe – wie von der Versammlungsbehördebefürchtet – zu erwarten seien. Aber selbst wenn dem so wäre, wäre dasverhängte Totalverbot gleichwohl rechtswidrig, weil unverhältnis-mäßig gewesen, denn die Auflage an den Veranstalter in Form einesRednerauftrittsverbots hätte zur Gewährleistung der öffentlichenSicherheit ausgereicht.

Im zweiten Beschluss verneint das OVG die Gefahrenprognose derVersammlungsbehörde ebenfalls und bestätigt die Vorinstanz imErgebnis, nicht aber in der Begründung bzgl. des Einschüchterungs-effekts der Verwendung von Trommeln beim Aufmarsch. Das Gerichtknüpft in der Begründung an seine diesbezügl. Rspr. an, wonach dann,wenn mit Trommeln Takt geschlagen werde, damit die Versamm-lungsteilnehmer im Gleichschritt des Trommelschlages marschierten,die Demonstration ein paramilitärisches Gepräge erhalten könne, daseinen – eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheitbegründenden – Einschüchterungseffekt sowie ein Klima der Gewalt-demonstration und potentiellen Gewaltbereitschaft erzeuge. ImErgebnis bestätigt das OVG dann aber die Vorinstanz, weil ein solcherEinschüchterungseffekt im vorliegenden Fall nicht gegeben war.Durch das Verbot der Uniformierung und des Gleichschritts imAuflagenbescheid der Versammlungsbehörde sei gewährleistet gewe-sen, dass ein Einschüchterungseffekt durch eine sich unmittelbaraufdrängende Assoziation mit Aufmärschen der SA in den 30er Jahrennicht entstehen konnte.

Auch im dritten Beschluss verwirft das OVG die Gefahrenprognoseder Ausgangsbehörde bzgl. der Verwendung der Fahnenstangen alsWaffen, weil es keine konkreten Anhaltspunkte für eine solche Absichtgab. Im Hinblick auf die Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 Abs.1GG als Recht der Selbstbestimmung auch hinsichtlich Art und Inhaltweist das Gericht darauf hin, dass mit einer Festlegung der Länge vonFahnenstangen die Wahrnehmbarkeit der mit der Demonstrationbeabsichtigten Meinungskundgabe unmittelbar betroffen sei.

Kommentar:Das OVG Weimar setzt bei der Beurteilung von Aufmärschen der rechtenSzene seine konsequente Rspr., die auf der Wahrung rechtsstaatlicherStandards auf für politisch unliebsame Veranstaltungen besteht, fort(vgl. dazu NJ 1997, 102 m. Anm. Kniesel). Es verarbeitet dabei die neueRspr. des BVerfG, die Art. 8 Abs. 1 GG in untrennbaren Zusammenhangmit Art. 21 GG stellt (vgl. dazu NJ 1999, 86 [bearb. Kniesel]). Wenn dasOVG in diesem Zusammenhang ausführt, dass für eine politische Bewer-tung einer nicht verbotenen Partei im Zusammenhang mit der Gefah-renprognose nur insoweit Raum sei, als sich daraus zugleich Anhalts-punkte für eine Gefährdung wichtiger – der Grundrechtsausübunggleichwertiger – Rechtsgüter ergäben, so ist das zumindest missver-ständlich. Für eine politische Bewertung einer nicht verbotenen Parteiim Zusammenhang mit versammlungsbehördlichen Maßnahmen

besteht überhaupt kein Raum. Im Rahmen des § 15 Abs.1 VersG kannes keine wie auch immer geartete politische Bewertung geben.

Die Begründung des OVG zur unmittelbaren Gefährdung deröffentlichen Sicherheit in Form der Einschüchterung durch die Ver-wendung von Trommeln vermag nicht zu überzeugen. Art. 8 Abs. 1GG verbürgt, wovon ja auch das OVG ausgeht, die Gestaltungsfreiheitbzgl. Ort, Zeit, Art und Inhalt. Zur Demonstrationsfreiheit als kollek-tivem Grundrecht und politischem Kampfrecht (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 12. Aufl. 2000,§ 1 Rz 31 u. 38 ff.) gehören zwangsläufig provokatorische und ein-schüchternde Elemente. So ist schon allein mit dem massenhaftenAuftreten von Menschen ein Einschüchterungseffekt verbunden,umso mehr dann, wenn politische Forderungen mit dem Massenauf-tritt durchgesetzt werden sollen. Aufgrund des allgemeinen Gesetzes-vorbehalts in Art. 8 Abs. 2 GG kann der Gesetzgeber durch formellesGesetz Grenzen ziehen. Solange aber keine solche Grenze einschlägigist (z.B. Nötigung, Uniformverbot, Verwendung von Kennzeichen)ist der bloße Einschüchterungseffekt, auch wenn er Assoziationenan unselige Zeiten erweckt, durch Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet.Insoweit ist dann auch der Gleichschritt zulässig, also das entspre-chende Verbot der Ausgangsbehörde rechtswidrig. Das in diesemZusammenhang ergangene Verbot der Uniformierung war im Übrigen– bezeichnenderweise – keine taugliche Auflage, sondern Hinweis aufdie Rechtslage (§ 3 VersG). Insoweit ist das Gericht den Nachweisschuldig geblieben, weshalb Art. 8 Abs. 1 GG eine Einschüchterung,die jenseits eines Verstoßes gegen geltendes Recht liegt, nicht tragensoll. Diesen Nachweis konnte es auch nicht führen, weil er auf demBoden geltenden Verfassungsrechts nicht führbar ist (vgl. dazuKniesel, NJW 1996, 2608 f.).

Rechtsanwalt Michael Kniesel, Königswinter

� 04.9 – 4/00

Hochschulabschluss an einer DDR-Militärhochschule/Gleichwertig-keit nach EinigungsV/Niveaugleichheit/AusbildungsniveauOVG Weimar, Urteil vom 10. November 1999 – 1 KO 973/96 (VG Meiningen)(nicht rechtskräftig)

EinigungsV Art. 37 Abs. 1 Satz 2, 45 Abs. 2

Zur Gleichwertigkeit eines in der ehem. DDR an einer Militärhoch-schule (hier: Offiziershochschule der Grenztruppen der DDR) erwor-benen Bildungsabschlusses mit einem im Bundesgebiet vor dem3.10.1990 erworbenen Hochschulabschluss.

Anm. d. Redaktion: Der Kl. hatte 1987 an der Offiziershochschule derDDR-Grenztruppen den Studiengang »Grenzsicherung, Ausbildungsprofil:Kommandeure von Einheiten der Grenztruppen der DDR« mit der Fachrich-tung Maschinenbau absolviert und war mit seinem Hochschulabschlussberechtigt, die Berufsbezeichnung »Diplomingenieurpädagoge« zu führen.Mit seiner Klage hatte er die Feststellung der Gleichwertigkeit seines Bildungs-abschlusses iSd Art. 37 Abs. 1 EV beantragt. Das OVG hat in Abänderung dererstinstanzlichen Entscheidung die Klage abgewiesen: Bei Anwendung dervom BVerwG in seinen Urteilen v. 10.12.1997 (NJ 1998, 547 ff.) aufgestell-ten Maßstäbe zur Prüfung der Niveaugleichheit und damit einem Vergleich derAusbildung des Kl. mit vergleichbaren Studiengängen an den Hochschulen derBundeswehr habe der Kl. keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung derGleichwertigkeit. Maßgeblich dafür seien insbesondere die fehlende fachlicheAnnäherung der zu vergleichenden Ausbildungsgänge sowie die Unterschiedehinsichtlich des zeitlichen Umfangs der Ausbildung und des Prüfverfahrens.

� 04.10 – 4/00

Berufliche Rehabilitierung/AusgleichsleistungenVG Potsdam, Urteil vom 19. Mai 1999 – 2 K 3950/98 (rechtskräftig)

Verwaltungsrecht

Neue Justiz 4/2000216

BerRehaG §§ 1 Abs. 1, 8 Abs. 1

1. Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung von Ausgleichsleistun-gen nach § 8 Abs. 1 BerRehaG ist, dass der Verfolgte nach § 1 Abs. 1BerRehaG in seiner wirtschaftlichen Lage besonders beeinträchtigt ist.2. Unter Beachtung der Entstehungsgeschichte des BerRehaG mussdie politische Verfolgung nicht kausal für eine derzeitige Notlage desVerfolgten sein. Der Gesetzgeber hat hier vielmehr bewusst auf einesolche kausale Verknüpfung verzichtet. (Leitsätze der Redaktion)

� 04.11 – 4/00

Beamte/Besoldung/Übergangsregelung im Beitrittsgebiet/VerfassungswidrigkeitVG Dresden, Vorlagebeschluss vom 21. Dezember 1999 – 2 K 3149/98

BBesG §§ 3, 73; 2. BesÜV § 2; GG Art. 3 Abs. 1, 33 Abs. 5, 143 Abs. 2

1. Eine ungleiche Besoldung von Beamten in den alten und in denneuen Bundesländern bei ansonsten gleichen Statusämtern mitgleicher Funktion, gleicher Verantwortung und gleicher Arbeitslaststellt eine willkürliche Maßnahme dar, die gem. Art. 143 Abs. 2 GGseit dem 1.1.1996 nicht mehr vom Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GGgedeckt ist. 2. Ab dem 1.1.1996 haben demzufolge auch die von ihrer erstmaligenErnennung an im Beitrittsgebiet verwendeten Beamten, Richter undSoldaten Anspruch auf Besoldung in Höhe der für das bisherigeBundesgebiet geltenden Dienstbezüge, da die Ausnahmevorschriftdes § 73 BBesG ab dem 1.1.1996 gegen das GG verstößt. Auf diederzeit noch unterschiedliche Wirtschaftskraft zwischen den alten undden neuen Bundesländern kommt es nicht an. (Leitsätze der Redaktion)

Der Kl. begehrt von der Bekl. die Besoldung in Höhe der für sein Amtfür das bisherige Bundesgebiet geltenden Dienstbezüge.

Der Kl. wurde 1992 unter Berufung in das Beamtenverhältnis aufProbe zum Polizeimeister im Bundesgrenzschutz (BGS) ernannt; 1994erfolgte seine Ernennung als Beamter auf Lebenszeit zum Polizeiober-meister. Zum 1.12.1995 wurde dem Kl. der Dienstposten eines Kontroll-gruppenführers beim Grenzschutzamt Pirna, der mit der Besoldungs-gruppe A 9/10 bewertet ist, übertragen. Derzeit erhält er eine Besoldungnach der Besoldungsgruppe A 9mZ (Endamt des mittleren Polizeivoll-zugsdienstes), die entsprechend des § 2 der 2. BesÜV 86,5 v. H. der fürdas bisherige Bundesgebiet geltenden Dienstbezüge beträgt.

1998 beantragte der Kl. bei der Bekl. die (rückwirkende) Zahlung dervollen Dienstbezüge ab dem 1.1.1996. Zur Begründung trug er vor,dass sowohl § 73 BBesG als auch § 2 der 2. BesÜV gegen Art. 3 Abs. 1u. Art. 33 Abs. 5 GG verstoßen würden. Art. 143 Abs. 2 GG habe ausAnlass der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands Abweichun-gen von Bestimmungen des GG als Übergangsrecht längstens bis zum31.12.1995 zugelassen. Über dieses Datum hinausgehende Abweichun-gen seien verfassungswidrig.

Die Bekl. lehnte den Antrag des Kl. ab; der Widerspruch des Kl. blieberfolglos. Daraufhin hat der Kl. Klage erhoben.

Die Bekl. ist der Klage entgegengetreten und hat zur Begründungausgeführt: Die Anwendung der 2. BesÜV auf den Kl. sei rechtmäßigund begegne auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der sach-liche Grund für die herabgesetzte Besoldung im Beitrittsgebiet ergebesich unmittelbar aus § 73 BBesG. Die bei In-Kraft-Treten des § 73BBesG vorherrschenden unterschiedlichen Lebens- und Wirtschafts-verhältnisse in den alten und neuen Bundesländern hätten sich bisheute nicht grundlegend geändert. Die neuen Länder würden hin-sichtlich ihrer Wirtschaftskraft und des Steueraufkommens, aber auchbzgl. des allgemeinen Bezahlniveaus noch deutlich hinter den altenLändern zurückliegen. Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstan-den, wenn der Gesetzgeber bei der Frage der Amtsgemäßheit der Besol-

dung die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung im unmittelbarenLebensumfeld des Beamten mit berücksichtige. Dabei komme es nichtdarauf an, die im Einzelnen zweckmäßigste, vernünftigste und gerech-teste Lösung zu finden, solange sich für die angestrebte Regelungplausible und sachlich vertretbare Gründe finden lassen würden. § 73BBesG und damit auch die 2. BesÜV würden somit weder gegen Art. 3Abs. 1 GG noch gegen Art. 33 Abs. 5 GG verstoßen. Wenn demzufolge§ 73 BBesG keine Abweichung von verfassungsrechtlichen Bestim-mungen darstelle, habe es insoweit einer Übergangsregelung iSvArt. 143 Abs. 2 GG nicht bedurft. Art. 143 Abs. 2 GG und damit auchdie dortige Befristung bis zum 31.12.1995 würden im vorliegendenFall keine Anwendung finden.

Das VG hält die Klage für begründet. Es hat die Sache dem BVerfGvorgelegt zur Entscheidung über die Frage, ob § 73 Satz 1 BBesG mitArt. 143 Abs. 2, 33 Abs. 5 und 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.

Aus den Entscheidungsgründen:B. I. 1. … Im vorliegenden Fall ist § 73 BBesG, der die gesetzlicheGrundlage für die 1. BesÜV und die 2. BesÜV bildet, einschlägig. …

Diese Vorschrift enthält Übergangsregelungen aus Anlass der Her-stellung der Einheit Deutschlands. § 73 BBesG wurde durch das Eini-gungsVG … iVm der Anl. I, Kap. XIX, Sachg. A Nr. 3 des EinigungsVv. 31.8.1990 (BGBl. II S. 889) in das BBesG eingefügt.

In der ursprüngliche Fassung wurde nach § 73 Satz 1 BBesG die Bun-desregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnungen, die bis zum 30.9.1992zu erlassen waren, mit Zustimmung des Bundesrates für die Besoldung iSv§ 1 BBesG und den hierzu erlassenen besonderen Rechtsvorschriften Über-gangsregelungen zu bestimmen, die den besonderen Verhältnissen in demin Art. 3 EV genannten Gebiet Rechnung tragen. § 73 Satz 2, 1. Halbs. BBesGregelt, dass sich diese Verordnungsermächtigung insbesondere darauferstreckt, die Besoldung entsprechend den allgemeinen wirtschaftlichenund finanziellen Verhältnissen und ihrer Entwicklung in dem in Art. 3 EVgenannten Gebiet abweichend vom BBesG festzusetzen und regelmäßiganzupassen. Schließlich bestimmt § 73 Satz 3 BBesG, dass die Übergangs-regelungen zu befristen sind.

Die in § 73 Satz 1 BBesG enthaltene Frist wurde erstmalig durch Art. 2BeamtVGÄndG v. 21.12.1992 (BGBl. I S. 2088) bis zum 31.12.1993verlängert. In der Folge wurde diese Frist durch das BeamtVGÄndG 1993v. 20.9.1994 (BGBl. I S. 2442) bis zum 31.12.1995 verlängert. WeitereVerlängerungen erfolgten durch Art. 4 Nr. 6 Bundesbesoldungs- und -ver-sorgungsanpassungsG 1995 (BBVAnpG 95) (bis zum 31.12.1996), durchArt. 3 Nr. 2 BBVAnpG 96/97 (bis zum 31.12.1999). Letztmalig erfolgte eineVerlängerung dieser Frist durch Art. 5 BBVAnpG 99 (bis zum 31.12.2002).

Auf der Grundlage des § 73 Satz 1 BBesG wurden die 1. BesÜV v. 4.3.1991(BGBl. I S. 622) und die 2. BesÜV idF der Bkm. v. 2.6.1993 (BGBl. I S. 779,ber. S. 1035), zuletzt geändert durch Art. 8 BBVAnpG 99, erlassen. ...

2. … Die zulässige Klage wäre bei Verfassungswidrigkeit und damitUngültigkeit der zur Prüfung vorgelegten Norm auch begründet. DerKl. hätte rückwirkend zum 1.1.1996 Anspruch auf Besoldung nach § 3BBesG in Höhe der für das bisherige Bundesgebiet gezahlten Dienst-bezüge. Mit der Verfassungswidrigkeit von § 73 BBesG würde die Ermäch-tigungsnorm entfallen und die 2. BesÜV schon aus diesem Grundrechtswidrig und damit unbeachtlich machen. Da mit § 73 BBesG dieAusnahmeregelung in Bezug auf die Besoldung der Beamten imBeitrittsgebiet zu Fall käme, würden die allgemeinen Vorschriften desBBesG zur Anwendung kommen, die eine Absenkung der Besoldungfür das Beitrittsgebiet nicht vorsehen und mithin gemessen an den ver-fassungsrechtlichen Vorgaben für die Alimentation der Beamten durchArt. 33 Abs. 5 GG auch nicht rechtfertigen können. Im vorliegendenFall wäre auch die vierjährige Verjährungsfrist des § 197 BGB gewahrt.

II. Die entscheidungserhebliche Norm verstößt nach Überzeugungdes Gerichts gegen Art. 143 Abs. 2, 33 Abs. 5 und 3 Abs. 1 GG.

Art. 143 GG wurde durch Art. 4 Nr. 5 EV in das GG eingefügt undbis zum Tag der Beschlussfassung im vorliegenden Verfahren auchnicht geändert oder aus dem GG herausgenommen.

Art. 143 GG trifft Regelungen zu Abweichungen von Bestimmungendes GG als Übergangsrecht. Nach Art. 143 Abs. 1 GG kann Recht in demin Art. 3 EV genannten Gebiet längstens bis zum 31.12.1992 von

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Bestimmungen dieses GG abweichen, soweit und solange infolge derunterschiedlichen Verhältnisse die völlige Anpassung an die grund-gesetzliche Ordnung noch nicht erreicht werden kann. Dabei dürfenAbweichungen nicht gegen Art. 19 Abs. 2 GG verstoßen und müssenmit den in Art. 79 Abs. 3 GG genannten Grundsätzen vereinbar sein.Nach Art. 143 Abs. 2 GG sind Abweichungen von den Abschn. II, VIII,VIIIa, IX, X und XI längstens bis zum 31.12.1995 zulässig. …

Unter Abschn. II GG fällt Art. 33 Abs. 5 GG, der vorgibt, dass dasRecht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der herge-brachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln ist. Zu denhergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehört auch dieFürsorgepflicht des Dienstherrn. Hierzu gehört insbesondere dieAlimentationspflicht des Dienstherrn. Der Dienstherr hat dem Beam-ten – und nach seinem Tod seinen Angehörigen – angemessene Dienst-und Versorgungsbezüge zu gewähren. Mit der damit verbundenenobjektiven Gewährleistung des angemessenen Lebensunterhalts gibtArt. 33 Abs. 5 GG zugleich auch dem einzelnen Beamten ein grund-rechtsähnliches Individualrecht gegenüber dem Staat (vgl. BVerfGE 8,1, 17 f.). Bei der Höhe der Dienst- und Versorgungsbezüge ist auf dieBedeutung der Tätigkeit des Beamten Rücksicht zu nehmen, so dasseine Unterscheidung zu anderen, in ihrer Bedeutung unterschied-lichen Ämtern besteht. Diese Unterscheidung hat sich an sachlichenKriterien unter Beachtung des Gleichheitssatzes zu orientieren (vgl.hierzu auch Maunz, in: Maunz-Dürig, GG-Komm., Art. 33 Rn 68 f.).

Nach der Rspr. des BVerfG ist es ein aus Art. 33 Abs. 5 GG folgenderhergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums und des Richter-tums, »dass für gleiche und vergleichbare Dienstposten derselbenLaufbahn im Hinblick auf die vom Träger des öffentlichen Amtesgeforderte gleiche Tätigkeit, gleiche Leistung, gleiche Verantwortungund gleiche Arbeitslast gleiche (und zwar eine der Bedeutung von Leis-tung und Verantwortung entsprechende) Besoldung gewährt wird«(vgl. BVerfGE 12, 326, 334).

Dieser Grundsatz folgt schließlich auch aus dem Gleichheitssatz desArt. 3 Abs. 1 GG. Dieser verpflichtet den Gesetzgeber, bei steter Orien-tierung am Gerechtigkeitsgedanken Gleiches und Ungleiches seinerEigenart entsprechend verschieden zu behandeln (vgl. BVerfGE 3, 58,135). Eine Maßnahme des Gesetzgebers ist dann nicht mehr amGerechtigkeitsgedanken orientiert und verletzt damit den Gleich-heitssatz, wenn sich für sie keine vernünftige Erwägungen findenlassen, die sich aus der Natur der Sache ergeben oder sonst einleuch-tend sind. Bei der Bestimmung des rechtfertigenden Grundes einerGleich- oder Ungleichbehandlung hat der Gesetzgeber einen weitenGestaltungsspielraum. Die Maßnahme verletzt den Gleichheitssatzerst, wenn sie als willkürlich betrachtet werden müsste (vgl. BVerfGE71, 39, 57 ff.). Im vorliegenden Fall ist das erkennende Gericht derAuffassung, dass eine ungleiche Besoldung bei ansonsten gleichenStatusämtern mit gleicher Funktion, gleicher Verantwortung undgleicher Arbeitslast eine willkürliche Maßnahme darstellt, die gem.Art. 143 Abs. 2 GG seit dem 1.1.1996 nicht mehr vom Gleichheitssatzdes Art. 3 Abs. 1 GG gedeckt ist.

Mit § 73 BBesG als einfachgesetzliche Umsetzung der von Art. 33Abs. 5 GG umfassten Alimentationspflicht des Dienstherrn wurdewegen der besonderen Verhältnisse im Beitrittsgebiet von dem ver-fassungsrechtlich geforderten Grundsatz der gleichen Besoldung vonBeamten und Richtern bei vergleichbaren Ämtern abgewichen. DieBesoldung der von ihrer erstmaligen Ernennung im Beitrittsgebietverwendeten Beamten, Richter und Soldaten wurde entsprechend denRegelungen in der 1. u. 2. BesÜV, die auf Grundlage von § 73 Satz 1BBesG erlassen worden sind, im Vergleich zu der Besoldung (beigleichen und vergleichbaren Dienstposten derselben Laufbahn mitgleicher Tätigkeit, gleicher Leistung, gleicher Verantwortung undgleicher Arbeitslast) im bisherigen Bundesgebiet abgesenkt. So betrugdie Besoldung für den genannten Personenkreis im Beitrittsgebiet zum1.7.1991 60 v.H. der für das bisherige Bundesgebiet geltenden Dienst-

bezüge und wurde in den Folgejahren weiter angepasst und zwar zum1.5.1992 auf 70 v.H., zum 1.12.1992 auf 74 v.H., zum 1.7.1993 auf80 v.H., zum 1.10.1994 auf 82 v.H., zum 1.10.1995 auf 84 v.H., zum1.9.1997 auf 85 v.H. und letztmalig zum 1.9.1998 auf 86,5 v.H.

Diese Verfassungsabweichung war nach Art. 143 Abs. 2 GG gedeckt,jedoch nur längstens bis zum 31.12.1995. Ab dem 1.1.1996 habendemzufolge auch die von ihrer erstmaligen Ernennung im Beitritts-gebiet an verwendeten Beamten, Richter und Soldaten Anspruch aufBesoldung nach § 3 BBesG, also in Höhe der für das bisherigeBundesgebiet geltenden Dienstbezüge, da die Ausnahmevorschrift des§ 73 BBesG ab dem 1.1.1996 gegen das GG verstößt.

Aus den vorstehenden Gründen kommt es auf die von der Bekl. vor-getragene derzeit noch unterschiedliche Wirtschaftskraft zwischenden alten und den neuen Bundesländern sowie die ebenfalls hier nochbestehenden Unterschiede im Steueraufkommen bzw. beim allgemei-nen Bezahlniveau nicht an. Diese Umstände rechtfertigen, selbst wennsie noch gegeben sein sollten, jedenfalls nicht die seit dem 1.1.1996hinsichtlich der Dienstbezüge für die von ihrer erstmaligen Ernen-nung im Beitrittsgebiet an verwendeten Beamten, Richter undSoldaten bestehende Abweichung von der Verfassung, da das GGmit Art. 143 Abs. 2 und der dort gesetzten Frist eine Abweichung nurbis zum 31.12.1995 zuließ.

Im Übrigen bestehen auch im Vergleich der alten Bundesländeruntereinander Unterschiede hinsichtlich der Wirtschaftskraft, desSteueraufkommens und des allgemeinen Bezahlniveaus, ohne dass diessich auf die Höhe der den dort tätigen Beamten, Richtern und Soldatengezahlten Dienstbezüge auswirkt. In diesem Zusammenhang macht dievon Art. 143 Abs. 2 GG nur für einen eindeutig begrenzten Zeitraumzugelassene geringere Besoldung für die im Beitrittsgebiet ernanntenund tätigen Beamten, Richter und Soldaten auch einen guten Sinn.Denn nach Auffassung des erkennenden Gerichts darf das Kriteriumder allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse undihrer Entwicklung im Beitrittsgebiet (vgl. § 73 Satz 2 BBesG) nur derDifferenzierung der einzelnen aufeinander folgenden Anpassungs-schritte der Besoldung im Beitrittsgebiet an die in den alten Bundes-ländern innerhalb des von Art. 143 Abs. 2 GG vorgegebenen Zeit-rahmens dienen. Eine Abweichung über einen signifikant längerenZeitraum hinaus würde einen verfassungswidrigen Zustand auch dannnoch perpetuieren, wenn längst nur noch solche Unterschiedezwischen dem Beitrittsgebiet und dem alten Bundesgebiet festzustellensind, die auch unter den alten Bundesländern auszumachen sind.Hierfür besteht jedenfalls keine Rechtfertigung. Eine solche Rechtferti-gung können im Rahmen des § 73 BBesG ohnehin nicht Bestrebungenabgeben, die politische Vorstellungen realisieren sollen, die gewisser-maßen bei Gelegenheit der Wiedervereinigung nun verfolgt werdenwie z.B. die Koppelung der Beamtenbesoldung an den Anstieg der Rentenoder die Einkommensentwicklung in den nicht prosperierenden Berei-chen der Wirtschaft oder gar die Nutzung des § 73 BBesG als Vehikelfür eine grundlegende Änderung der Struktur und Höhe der Besoldung.Solchen nach der geltenden Rechtslage sachwidrigen Erwägungenschiebt der Zeitrahmen des Art. 143 Abs. 2 GG einen Riegel vor, da er§ 73 BBesG nur bis zum 31.12.1995 eine verfassungsrechtliche Existenz-berechtigung einräumt (vgl. hierzu auch BVerfGE 44, 249, 264 f.).

Die mehrmaligen Verlängerungen der Geltungsdauer des § 73BBesG (einschließlich der damit korrespondierenden mehrmaligenVerlängerungen der Geltungsdauer der auf § 73 BBesG basierenden2. BesÜV), die über den 31.12.1995 hinausreichen, sind nach Auffas-sung des Gerichts damit verfassungswidrig.

III. Eine verfassungsgemäße Anwendung der zur Prüfung vorgelegtenRechtsvorschrift ist auch nicht im Wege einer verfassungskonformenAuslegung möglich. Nach § 73 Satz 3 BBesG sind die Übergangs-regelungen zwar zu befristen. Eine konkrete Fristbegrenzung, wie sieArt. 143 Abs. 2 GG enthält, sieht diese Regelung jedoch nicht vor.Der Gesetzgeber ist offensichtlich bei der Fassung von § 73 BBesG selbst

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davon ausgegangen, dass die Anpassung der Dienstbezüge in den neuenBundesländern an das Niveau in den alten Bundesländern in mehrerenrelativ rasch aufeinanderfolgenden Schritten vorzunehmen sein wirdund diese Anpassungsschritte sich in dem von Art. 143 Abs. 2 GG vor-gegebenen Zeitrahmen bewegen werden (…). Damit ist nach Ablaufder in Art. 143 Abs. 2 GG enthaltenen Befristung für eine weitereGeltung des § 73 BBesG und der auf dieser Vorschrift beruhendenbesoldungsrechtlichen Übergangsregelungen auf verfassungsmäßigerGrundlage kein Raum mehr. Bei dieser Betrachtung sind für daserkennende Gericht auch keine Auslegungsspielräume gegeben. DieBefristung in Art. 143 Abs. 2 GG ist insoweit eindeutig und kann durcheine Auslegung nicht über den ausdrücklich genannten 31.12.1995ausgedehnt werden. Nach Ablauf des 31.12.1995 ist § 73 BBesG damiteiner verfassungskonformen Auslegung nicht mehr zugänglich, weildie immer wieder hinausgeschobenen Befristungen dieser Vorschriftmit Art. 143 Abs. 2 GG nicht mehr in Einklang zu bringen sind.

Anm. der Redaktion: Zur Arbeitszeit für Bundesbeamte im Beitrittsgebietsiehe VG Berlin, Urt. v. 2.11.1999, NJ 2000, 107; zur Besoldung nach § 2 der2. BesÜV siehe die Kommentierung von B. Fassbender zu LAG Halle, Urt. v.31.3.1999, unter 05.4 – 4/00. Zur Problematik der Rechtsangleichung ins-gesamt siehe S. Lörler, »Innere Einheit und Rechtseinheit«, NJ 2000, 73 ff.

05 ARBEITSRECHT

� 05.1 – 4/00

Zusatzrente nach der AO 54/Verzicht auf Ansprüche gegen AbfindungBAG, Urteil vom 11. Mai 1999 – 3 AZR 106/98 (LAG Halle)

EinigungsV Anl. II, Kap. VIII; AO 54 (GBl. I 1954 S. 301); BGB §§ 119, 123, 138, 142, 779; BetrAVG § 3

1. Ein im Jahre 1993 erklärter Verzicht auf etwaige Ansprüche aufZusatzrente nach der AO zur Einführung einer Zusatzrentenversor-gung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenenBetrieben v. 9.3.1954 (GBl. I S. 301 [AO 54]) auf der Grundlage der Rah-menvereinbarungen zwischen der Treuhandanstalt und der Industrie-gewerkschaft Metall, der Industriegewerkschaft Chemie und der Indu-striegewerkschaft Bergbau und Energie ist regelmäßig rechtswirksam. 2. Eine solche Vereinbarung ist auch dann nicht sittenwidrig, wennder Abfindungsbetrag erheblich unterhalb des Kapitalwertes desZusatzrentenanspruchs liegt. Bei der Bewertung der jeweils erbrach-ten Leistungen muss wesentlich mitberücksichtigt werden, wie beiAbschluss der Vereinbarung die Chance des Rentners einzuschätzenwar, einen Anspruch auf Zusatzrente nach der AO 54 jetzt und aufDauer durchzusetzen.

Der Kl. bezog seit 1972 auf der Grundlage der AO 54 zunächst vomvolkseigenen Betrieb, später von dessen Rechtsnachfolgerin, derFilmfabrik W. AG, eine monatl. Zusatzrente von 37 M bzw. 37 DM,deren Zahlung mit Ablauf des Jahres 1991 eingestellt wurde.

Am 16.7.1993 schlossen der Vorstand der W. VermögensverwaltungAG, die Rechtsnachfolgerin der Filmfabrik W. AG und Rechtsvorgän-gerin der Bekl., und deren Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung überdie Behandlung der Zusatzrenten nach der AO 54. In dieser Betriebs-vereinbarung heißt es u.a., sie habe zum Ziel, alle bei ihrem In-Kraft-Treten noch vorhandenen etwaigen Anwartschaften auf Leistungennach der AO 54 oder nach einer Folgeregelung durch einmaligeKapitalzahlungen abzufinden und so endgültig und unwiderruflichzum Erlöschen zu bringen. Die Betriebspartner erklärten, dass einAnspruch auf die einmalige Kapitalleistung des Unternehmens erstdann entstehe, wenn dem Unternehmen die von dem Begünstigtenunterzeichnete »Verbindliche Erklärung« zugehe. Im Aug. 1993 erhielt

der Kl. von der W. Vermögensverwaltung AG ein Schreiben, in dem esu.a. heißt:

»… Uns liegt zwischenzeitlich die Richtlinie der Treuhandanstalt zurZusatzrente gemäß Anordnung 1954 vor. Entsprechend der darin for-mulierten Prämissen haben wir eine Betriebsvereinbarung formuliert,die noch der Zustimmung durch die Treuhandanstalt bedarf. Für Siewürde sich die Berechnung der einmaligen Kapitalleistung nach derFormel … berechnen. … Die Richtlinie der Treuhandanstalt schreibt als zwingende Voraus-setzung für die Zuführung der Mittel die Geltendmachung der indivi-duellen Ansprüche jedes ›Begünstigten‹ vor. Diese müssen durch dieRücksendung einer ›Verbindlichen Erklärung‹, die wir diesem Schriebenals Anlage beigefügt haben, beantragt werden. Wir bitten Sie, diese ›Verbindliche Erklärung‹ umgehend zurückzu-senden, weil die Beantragung der Mittel gegenüber der Treuhandanstaltdavon abhängig ist. …«

Am 25.8.1993 unterzeichnete der Kl. die »Verbindliche Erklärung«und erhielt daraufhin eine Abfindungszahlung von 500 DM.

Im Frühj. 1996 erhielt der Kl. aus der Presse Kenntnis vom Urteil desBAG v. 27.2.1996 (BAGE 82, 203 = AP Nr. 4 zu EinigungsV Anl. II,Kap. VIII = NJ 1996, 497 m. Anm. Büchner). Er erklärte durch Schreibenseines Prozessbevollmächtigten gegenüber der Bekl. daraufhin dieAnfechtung seiner »Verbindlichen Erklärung« v. 25.8.1993 insbeson-dere nach §§ 119 u. 123 BGB und forderte die Bekl. auf, die seit dem1.1.1992 rückständigen Zusatzrenten unter Verrechnung der gezahl-ten Abfindung auszuzahlen. Die Bekl. kam dem nicht nach.

Der Kl. hat den Standpunkt vertreten, er habe den Inhalt und dieTragweite der von ihm unterzeichneten »Verbindlichen Erklärung«nicht erkannt. Anders als der Bekl. sei ihm der juristische Meinungs-streit über die Fortgeltung der AO 54 nicht bekannt gewesen. Seine»Verbindliche Erklärung« nehme auf eine nichtige Betriebsverein-barung Bezug, da nach dem EinigungsV eine Abweichung von derAO 54 durch Betriebsvereinbarung nur bis zum 31.12.1991 gestattetgewesen sei. Außerdem sei die Geschäftsgrundlage der Übereinkunftweggefallen, da bei Vertragsschluss alle Beteiligten davon ausgegan-gen seien, dass der Anspruch auf eine Zusatzrente nach der AO 54ersatzlos weggefallen sei. Der von ihm verlangte Verzicht sei zudemsittenwidrig, weil der Wert der Leistung den Wert der Gegenleistungum mehr als 200% überstiegen habe.

Die Klage des Kl. auf Weiterzahlung der betrieblichen Zusatzrentewurde vom ArbG und vom LAG abgewiesen.

Die Revision des Kl. hatte ebenfalls keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen: Der Kl. hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Zusatzrente nach derAO 54 über den 31.12.1991 hinaus. …

I. Die Parteien haben im Sommer 1993 einen Vergleich (§ 779 BGB)geschlossen, wonach der im Jahre 1972 entstandene Anspruch des Kl.auf Zusatzrente nach der AO 54 nicht über den 31.12.1991 hinaus fort-bestehen, sondern statt dessen eine einmalige Abfindung von 500 DMgezahlt werden sollte.

1. Bei Abschluss ihrer Vereinbarung bestand zwischen den ParteienUngewissheit darüber, ob der Kl. auch nach dem 31.12.1991 Ansprücheauf die Zusatzrente nach der AO 54 hatte.

Der Kl. weist allerdings zu Recht darauf hin, dass diese Ungewissheitihm gegenüber zunächst nicht zum Ausdruck gekommen ist. …

Eine veränderte Sicht der Dinge ergab sich aber deutlich erkennbaraus dem Wortlaut der Betriebsvereinbarung zum 16.7.1993 und dervon der Bekl. aufgrund dieser Betriebsvereinbarung an den Kl. über-sandten »Verbindlichen Erklärung«. Die Bekl. rechnete hiernach zwarmit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Erlöschen aller Rechte aus derAO 54 zum 31.12.1991. Sie war bereit, hierfür einen sozialen Ausgleichnach Maßgabe der zwischen der Treuhandanstalt und großen deut-schen Einzelgewerkschaften ausgehandelten Richtlinie zu zahlen.Diesen Ausgleich wollten sie und die hinter ihr stehende Treuhand-anstalt aber ersichtlich nur erbringen, wenn ihr dafür das in der

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»Verbindlichen Erklärung« deutlich angesprochene verbliebeneRestrisiko genommen würde, wegen fortbestehender Rechte aus derAO 54 erfolgreich in Anspruch genommen zu werden. So heisst es inder Betriebsvereinbarung v. 16.7.1993 u.a., es gehe darum, alle beiIn-Kraft-Treten der Betriebsvereinbarung noch vorhandenen etwaigenAnwartschaften auf Leistungen nach der AO 54 durch einmaligeKapitalzahlungen abzufinden und so endgültig und unwiderruflichzum Erlöschen zu bringen. Dem entspricht die Formulierung in derdem Kl. übersandten »Verbindlichen Erklärung«, der Unterzeichnererkenne an, dass mit Erhalt der Leistungen aus der Betriebsverein-barung »sämtliche bestandenen, bestehenden oder künftig bestehen-den Ansprüche gegen das Unternehmen auf Gewährung einer Zusatz-rente« erfüllt und abgegolten seien, Ansprüche auf Gewährung undAbgeltung einer Zusatzrente bestünden auch aus keinem anderenRechtsgrund mehr. Aus der Sicht eines mit den Verhältnissen vertrau-ten Dritten in der Position des Kl. wurde durch diese Formulierung fürjedermann deutlich gemacht, dass die bekl. Arbeitgeberin jedenfallsdie Möglichkeit sah, wegen Rechten aus der AO 54 noch erfolgreichin Anspruch genommen werden zu können. Der Kl. musste deshalberkennen, dass es der Bekl. bei der Unterzeichnung der »VerbindlichenErklärung« durch ihn auch darum ging, einen Verzicht auf etwaigeAnsprüche und damit eine Beseitigung der bestehenden rechtlichenUngewissheit zu erreichen, bevor sie einen Ausgleich für den Verlustdes Versorgungsanspruches erbringen würde.

2. Die Parteien haben diese Ungewissheit durch wechselseitigesNachgeben beseitigt. Der Kl. hat auf mögliche Rechte aus der AO 54verzichtet und dafür eine Abfindung nach Maßgabe der Betriebsver-einbarung v. 16.7.1993 erhalten.

Dem Zustandekommen des Vergleichs steht nicht entgegen, dassder Kl. zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der »Verbindlichen Erklä-rung« noch nicht genau wusste, wie hoch der Abfindungsbetrag seinwürde. Ihm war im Begleitschreiben lediglich der Basisbetrag von500 DM und ein für ihn nicht durchschaubarer Berechnungsfaktormitgeteilt worden. Gleichwohl ist mit der Unterzeichnung der »Ver-bindlichen Erklärung« und deren Zugang bei der Bekl. ein Vergleichzwischen den Parteien zustande gekommen. Dem Kl., der sich offen-bar keine Hoffnungen mehr darauf machte, weiterhin Anspruch aufeine Zusatzrente zu haben, ging es darum, den Ausgleichsbetrag, wiehoch er auch immer sei, zu erhalten. Wegen der Höhe des Abfindungs-betrages haben die Parteien deshalb eine Vereinbarung entsprechend§§ 315, 317 BGB geschlossen. Der Kl. hat sich mit der Unterzeichnungder »Verbindlichen Erklärung« insoweit den Festlegungen unter-worfen, welche die Betriebspartner im Anschluss an die Treuhand-richtlinie vorgenommen hatten. Den dementsprechend berechnetenAbfindungsbetrag hat der Kl. dann auch rügelos entgegengenommen.

II. Der Vergleich ist rechtswirksam zustande gekommen. 1. … 2. Die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung ist nicht

wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB nichtig. Es fehlt bereits aneinem groben Missverhältnis der Leistungen des Kl. im Verhältnis zudem, was er dafür von der Bekl. erhalten hat. Es kommt dabei nichtnur auf einen Vergleich des wirtschaftlichen Wertes des Zusatzrenten-anspruchs des Kl. mit der von der Bekl. gezahlten Abfindung an. Beider Bewertung der jeweils erbrachten Leistungen muss wesentlich mitberücksichtigt werden, wie bei Abschluss der Vereinbarung die Chancedes Kl. einzuschätzen war, einen Anspruch auf Zusatzrente nach derAO 54 jetzt und auf Dauer durchzusetzen. Eine solche Gesamt-betrachtung ergibt, dass die Abfindungszahlung durch die Bekl. imAug. 1993 i.H.v. 500 DM nicht in einem grobem Missverhältnis zudem Verzicht des Kl. auf Zahlung einer Zusatzrente nach der AO 54i.H.v. monatl. 37 DM stand.

Im Aug. 1993 haben nur wenige den Standpunkt eingenommen,dass Rechte aus der AO 54 trotz der Bestimmung des EinigungsV überden 31.12.1991 hinaus fortbestünden. Für die Gegenauffassung sprachaus der Sicht der damals Betroffenen neben dem Wortlaut des Eini-

gungsV auch eine amtliche Verlautbarung aus dem Bundesministe-rium für Arbeit und Sozialordnung (Merkbl. 30, 1/92), wonach dieRechte aus der AO 54 mit dem 31.12.1991 erloschen seien.

Neben dieser aus damaliger Sicht für den Kl. überwiegend negativeinzuschätzenden Rechtslage sprachen weitere Umstände dafür, eineAbfindung für etwa verbliebene Ansprüche aus der AO 54 auch dann zuvereinbaren, wenn der Abfindungsbetrag erheblich unterhalb desKapitalwertes solcher Versorgungsansprüche lag: Durch den Ver-gleichsschluss erhielt der damals 86 Jahre alte Kl. sofort einen Abfin-dungsbetrag. Er musste einen Anspruch auf monatl. Auszahlung einerZusatzrente nicht in einem möglicherweise mehrjährigen und ausdamaliger Sicht sehr riskanten Prozess durchsetzen. Mit der Zahlungentfiel für den Kl. auch das bei fortlaufendem Bezug der Zusatzrente ver-bleibende Risiko, dass der frühere Arbeitgeber insolvent wird und keineLeistungen nach der AO 54 mehr erbringen kann. In einem solchenFall wäre der Kl. nämlich als Rentenbezieher leer ausgegangen, weil dieZusatzrente nach der AO 54 nicht dem BetriebsrentenG unterfällt unddamit auch nicht gegen Insolvenz des Arbeitgebers gesichert ist.

Darüber hinaus fehlt es auch an den subjektiven Voraussetzungendafür, den zwischen den Parteien abgeschlossenen Vergleich als sitten-widrig einzustufen. Der Kl., der auf seine Unerfahrenheit und auf seinVertrauen zu den bei der Bekl. beschäftigten Auskunftspersonenverweist, übersieht, dass der massenhaft abgeschlossene Vergleich aufder Grundlage einer Richtlinie zustande gekommen ist, welche dreigroße deutsche Einzelgewerkschaften mit der Treuhandanstalt ausge-handelt hatten, und nach Maßgabe einer von den Betriebspartnerngetroffenen Regelung. Der Bekl. kann angesichts dessen nicht vorge-worfen werden, sie habe die Unerfahrenheit, einen Mangel an Urteils-vermögen oder eine erhebliche Willensschwäche des Kl. ausgenutzt.

3. Der Vergleich ist nicht deshalb unwirksam, weil er auf der Grund-lage der Betriebsvereinbarung v. 16.7.1993 abgeschlossen worden ist.

Nach der Anl. II, Kap. VIII, Sachg. H, Abschn. III Nr. 4 zum Eini-gungsV konnte für die Zeit bis zum 31.12.1991 von der AO 54 durchBetriebsvereinbarung abgewichen werden. Es mag sein, dass damitnach dem 31.12.1991 Regelungen der Betriebspartner, durch die vonder AO 54 abgewichen werden sollte, untersagt waren. Darauf kommtes nicht an. Die Betriebsvereinbarung v. 16.7.1993 hat zum Anspruchauf Zusatzrente nach der AO 54 keine von dieser AO abweichendeNeuregelung mit unmittelbarer und zwingender Wirkung iSv § 77Abs. 4 BetrVG getroffen. Sie hat lediglich für frühere Mitarbeiterder Bekl. und ihrer Rechtsvorgängerinnen die Möglichkeit eröffnet,anstelle von unsicheren und im Zweifel erst in einem langwierigenRechtsstreit durchsetzbaren Ansprüchen auf eine Zusatzrente einenAnspruch auf eine einmalige Abfindungszahlung zu erwerben. Damitsind die Betriebspartner weder vom Regelungsinhalt der AO 54 abge-wichen, noch haben sie den Versuch unternommen, die Rechtsver-hältnisse zwischen der Bekl. und ihren Betriebsrentnern unmittelbarund zwingend zu regeln.

III. Der Vergleich der Parteien ist durch das Urteil des Senatsv. 27.2.1996 (aaO) nach § 779 Abs. 1 BGB nicht unwirksam geworden.

Nach § 779 Abs. 1 BGB ist ein Vergleich dann unwirksam, wenn dernach dem Inhalt des Vertrages als feststehend zugrunde gelegteSachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder dieUngewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.An dem von den Parteien übereinstimmend zugrunde gelegten Sach-verhalt hat sich durch die Erkenntnis des Senats nichts geändert, dasseinmal entstandene Rechte aus der AO 54 trotz der Regelungen im Eini-gungsV über den 31.12.1991 hinaus fortbestanden. Hierdurch wurdelediglich die bei Vergleichsschluss bestehende erhebliche Unsicherheitüber die Rechtslage, welcher beide Parteien durch den Vergleichsschlussangemessen Rechnung getragen hatten, nachträglich beseitigt.

IV. Der von den Parteien abgeschlossene Vergleich ist nicht nach§ 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen. Der Kl. hat denVergleich nicht wirksam angefochten. …

Arbe i t s recht

Neue Justiz 4/2000220

1. Die Voraussetzungen für eine wirksame Anfechtung wegenInhaltsirrtums nach § 119 Abs. 1 BGB liegen nicht vor.

Der Kl. hat nicht hinreichend dafür vorgetragen, dass er sich bei derfür das Zustandekommen des Vergleichs maßgeblichen Unterzeich-nung der »Verbindlichen Erklärung« in einem Irrtum über den Inhaltder von ihm abgegebenen Erklärung befunden hat. … Angesichts deseindeutigen Wortlautes der »Verbindlichen Erklärung« musste für denKl. im Aug. 1993 deutlich sein, dass die Bekl. von ihm für die inAussicht gestellte Abfindung den Verzicht auf einen – wenn auch inseinem Bestand zweifelhaften – Anspruch verlangte. Soweit der Kl. beider Unterzeichnung der »Verbindlichen Erklärung« davon ausgegan-gen sein sollte, er habe keine Chance, einen Anspruch auf Zusatzrentenach der AO 54 durchzusetzen, könnte er hierauf eine Anfechtungnach § 119 Abs. 1 BGB nicht stützen. Darin läge kein Inhaltsirrtum,sondern allenfalls ein unbeachtlicher Motivirrtum.

Darüber hinaus war die Anfechtungserklärung des Kl. verfristet. …2. Der Kl. konnte den abgeschlossenen Vergleich auch nicht wegen

arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB anfechten. Der Kl. ist bei Vergleichsschluss nicht getäuscht worden. Die Bekl. hat

nicht erklärt, es stehe völlig außer Streit, dass Ansprüche aus der AO 54mit dem 31.12.1991 erloschen seien. Durch den Hinweis in der »Ver-bindlichen Erklärung«, es werde auf sämtliche möglichen Rechte aufeine Zusatzrente verzichtet, hat sie vielmehr deutlich gemacht, dass esjedenfalls nicht ausgeschlossen war, dass der Kl. noch Ansprüche ausder AO 54 hatte. Eine darüber hinausgehende Aufklärungspflichtbestand für die Bekl. nicht. Auch wenn man von einem besonderenVertrauen des Kl. darauf ausgeht, dass er von seiner früheren Arbeit-geberin vollständig informiert werde, ist die Bekl. doch nicht verpflich-tet, im Einzelnen und betont auf Rechtsauffassungen hinzuweisen, diesie selbst und die hinter ihr stehende Treuhandanstalt für verfehlthalten. Ein Hinweis auf die Möglichkeit verbleibender Ansprüche in derForm, wie es in der »Verbindlichen Erklärung« erfolgt ist, reicht aus. …

V. Nach alledem ist der entstandene Anspruch des Kl. auf Zahlungeiner Zusatzrente nach der AO 54 aufgrund des wirksam zustandegekommenen und wirksam gebliebenen Vergleichs zwischen denParteien mit Wirkung zum 1.1.1992 erloschen. Anhaltspunkte dafür,dass der Anspruch wieder aufgelebt sein könnte, sind nicht ersichtlich.Auch für einen an die Stelle des Erfüllungsanspruchs tretendenSchadensersatzanspruch des Kl. spricht nichts. Er scheitert jedenfallsdaran, dass der Bekl. bei ihrer dem Kl. mitgeteilten Einschätzung derRechtslage nicht der Vorwurf gemacht werden kann, schuldhaftgehandelt zu haben.

Anm. d. Redaktion: Zur Rechtswirksamkeit einer Vereinbarung über den Ver-zicht auf Ansprüche aus der AO 54 gegen Abfindung siehe auch LAG Potsdam,Urt. v. 25.11.1997, NJ 1998, 391 (bearb. Lakies). Mit Urt. v. 25.1.2000(3 AZR 779/98) hat das BAG entschieden, dass Ansprüche aus der AO 54 derkurzen Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 8 u. 9 BGB unterliegen (sieheInformation in NJ 2000, 133).

� 05.2 – 3/00

Kündigung/Sozialauswahl/Vergleichbarkeit von Teilzeit- mit Vollzeit-arbeitnehmernBAG, Urteil vom 12. August 1999 – 2 AZR 12/99 (LAG Chemnitz)

KSchG § 1 Abs. 3

1. Die Grundsätze, die der Senat zur Vergleichbarkeit von teilzeit-beschäftigten und vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern bei derSozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG im Urt. v. 3.12.1998 (2 AZR341/98 – AP Nr. 39 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = NJ 1999, 333[bearb. Lakies] ) aufgestellt hat, wonach es entscheidend auf diebetriebliche Organisation der Arbeitszeitgestaltung ankommt, geltenauch im öffentlichen Dienst.

2. Die Streichung einer Halbtagsstelle im öffentlichen Haushalt sagtdanach für sich genommen noch nichts dazu aus, ob nicht lediglicheine Überkapazität im Umfang einer Halbtagsstelle abgebaut werdensoll, so dass dem durch entsprechende Änderungskündigung gegen-über einer sozial weniger schutzbedürftigen Vollzeitkraft Rechnunggetragen werden könnte.

� 05.3 – 4/00

Zusatzrente nach der AO 54/VorruhestandBAG, Urteil vom 14. September 1999 – 3 AZR 655/98 (LAG Potsdam)

EinigungsV Anl. II, Kap. VIII; AO 54 § 3; VorruhestandsVO v. 8.2.1990 § 5;2. DB zur VorruhestandsVO v. 1.3.1990 § 14

Ein Arbeitnehmer, der vor dem 31.12.1991 betriebsbedingt aus demArbeitsverhältnis ausgeschieden ist und Vorruhestandsgeld nach derVO über die Gewährung von Vorruhestandsgeld v. 8.2.1990 (GBl. IS. 42) bezogen hat, hat einen Anspruch auf Zusatzrente nach der AOüber die Einführung einer Zusatzrente für die Arbeiter und Ange-stellten in den wichtigsten Betrieben v. 9.3.1954 (GBl. I S. 301) nicht,wenn er erst nach dem 31.12.1991 in den gesetzlichen Ruhestandgewechselt ist.

Anm. d. Redaktion: Mit dieser Entscheidung hält das BAG an seiner bish.Rspr.in den Urt. v. 27.2.1996 (BAGE 82, 203 = NJ 1996, 497 m. Anm. Büchner),v. 17.12.1997 (AP EinigungsV, Anl. II, Kap. VIII, Nr. 5) und v. 29.7.1997(AP EinigungsV, Anl. II, Kap. VIII, Nr. 6 = NJ 1998, 54 [Leits.]) fest.Zugleich weist der Senat in seiner Entscheidungsbegründung darauf hin, dasses zweifelhaft sei, »ob eine im Febr. 1990 vom Recht der DDR in Abweichungvon der AO 54 eingeführte unverfallbare Anwartschaft aufgrund der Bestim-mungen im EinigungsV mit dem 31.12.1991 erloschen wäre. Die bisherigenEntscheidungen des Senats zur AO 54 sind von der Wertung getragen, dassgesicherte Rechtspositionen von der Regelung im EinigungsV nicht beseitigtworden sind, sondern nur bloße Erwerbschancen. Hätte der Kl. aufgrund § 14der 2. DB zur VorruhestandsVO eine unverfallbare Anwartschaft im Rechts-sinne erworben, spräche mehr dafür, diese aufrecht zu erhalten. Dies kannletztlich dahinstehen. § 14 der 2. DB begründete keine unverfallbare Versor-gungsanwartschaft im Sinne einer unentziehbaren Rechtsposition«.Zur Wirksamkeit eines Verzichts auf eine Zusatzrente nach der AO 54 sieheBAG, Urt. v. 11.5.1999, unter 05.1 – 4/00.

� 05.4 – 4/00

Beamtenbesoldung im Beitrittsgebiet/»Mobilitäts-Zuschuss«/Befähigungsvoraussetzungen/Angestellter bei einer Körperschaftdes öffentlichen RechtsLAG Halle, Urteil vom 31. März 1999 – 3 Sa 233/98 (ArbG Magdeburg)(Revision eingelegt, Az: 5 AZN 401/99)

BBesG § 73; 2. BesÜV §§ 2, 4; BBG § 18 ; GG Art. 3 Abs. 1 u. 3, 33 Abs. 5

Die Befähigungsvoraussetzungen sind dann iSd § 4 Satz 1 2. BesÜVim bisherigen Bundesgebiet erworben, wenn sie nach für die altenBundesländer geltendem Recht bei Trägern erlangt sind, die imbisherigen Bundesgebiet ihren Sitz haben. Es ist in diesem Fall grund-sätzlich ohne Bedeutung, wenn Ausbildung und Prüfung rein räum-lich überwiegend im Beitrittsgebiet stattgefunden haben.

Problemstellung:Der Kl. ist Angestellter bei einer Körperschaft des öffentlichen Rechtsim Bereich der Sozialversicherung mit Sitz in Hamburg. Gem. § 4 derDienstordnung (DO) dieser Körperschaft bestimmt sich die Besoldungihrer Angestellten nach den Vorschriften für Beamte des Bundes. Der Kl. war im Beitrittsgebiet zur Schule gegangen und bestand dort1988 die Abiturprüfung. Aufgrund eines Fortbildungsvertrags mit der

Rechtsprechung Arbei t s recht

221Neue Justiz 4/2000

Maschinenbau- und Kleineisenindustrie-Berufsgenossenschaft nahmer ab dem 1.3.1991 für die Dauer von drei Jahren an der Fortbildungnach der Fortbildungs- und PrüfungsO der gewerblichen Berufsgenos-senschaften und der Seeberufsgenossenschaft v. 1.1.1977 idF v. 14.5.1988teil. Die praktische Fortbildung fand in der Bezirksverwaltung derMaschinenbau- und Kleineisenindustrie-Berufsgenossenschaft imBeitrittsgebiet statt. Die theoretische Fortbildung wurde vom Haupt-verband der gewerblichen Berufsgenossenschaften mit Sitz in St. Augu-stin bei Bonn im Wesentlichen in Klink am Müritzsee in den neuenBundesländern durchgeführt. Am 28.2.1994 bestand der Kl. die Lauf-bahnprüfung für den gehobenen berufsgenossenschaftlichen Verwal-tungsdienst. Den schriftlichen Teil der Prüfung legte er Ende Jan. 1994in Hennef/Rheinland ab, den mündlichen Teil am 28.2.1994 in Klink.

Die Bekl. stellte den Kl. mit Wirkung v. 1.3.1994 nach § 12 DO mitder Maßgabe ein, dass für die Rechtsstellung und die Besoldung dieVorschriften für Bundesbeamte auf Probe gelten. Der Kl. wurde in einePlanstelle der Besoldungsgr. A 9 BBesO eingewiesen. Mit Wirkung v.19.7.1996 wurde er auf Lebenszeit angestellt. Von Beginn an war derKl. in der Bezirksverwaltung Magdeburg der Bekl. beschäftigt. Vom1.3.1994 bis zum 31.12.1996 gewährte die Bekl. dem Kl. einen ruhe-gehaltsfähigen Zuschuss gem. § 4 Abs. 1 2. BesÜV aF. Ab dem 1.1.1997wurde der Zuschuss nicht mehr gewährt.

Das ArbG wies die Klage des Kl. auf Fortzahlung des Zuschusses ab.Seine dagegen gerichtete Berufung hatte Erfolg.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:§ 4 Abs. 1 Satz 1 2. BesÜV aF begründete einen Anspruch auf Zuschuss-gewährung, wenn die Ernennung eines Beamten »auf Grund der imbisherigen Bundesgebiet erworbenen Befähigungsvoraussetzungen«erfolgt ist. Nach Ansicht des LAG sind diese Voraussetzungen im Falledes Kl. erfüllt. Die den Vorbereitungsdienst abschließende Laufbahn-prüfung sei im bisherigen Bundesgebiet abgelegt worden, denn sie seivom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaft abgenom-men worden. Darauf, dass der mündliche Teil der Prüfung örtlich imBeitrittsgebiet durchgeführt worden sei, komme es nicht an. Entschei-dend sei, dass die Prüfung bei einem Prüfungsträger erfolgt sei, dessenSitz im bisherigen Bundesgebiet gelegen sei. Auch die für den gehobe-nen nichttechnischen berufsgenossenschaftlichen Verwaltungsdiensterforderliche Fortbildung sei im bisherigen Bundesgebiet erfolgt,nämlich bei Fortbildungsträgern, die dort ihren Sitz haben. Darauf, dasssowohl die praktische als auch die theoretische Fortbildung örtlichganz überwiegend im Beitrittsgebiet stattgefunden habe, komme esnicht an. »Die Fortbildung (bzw. der Vorbereitungsdienst)«, so dasGericht, »ist dann ›im‹ bisherigen Bundesgebiet geschehen, wenn dieFortbildung, wie hier, von Ausbildungsträgern aus den alten Bundes-ländern getragen und nach einer für das bisherige Bundesgebietgeltenden Fortbildungsordnung und Fortbildungsinhalten durch-geführt wird«. Der Ort der Fortbildung sei zumindest dann ohneBedeutung, wenn es vom Zufall oder der Entscheidung des Ausbildersabhänge, ob er im Westen oder im Osten Deutschlands gelegen sei.

Eine Ungleichbehandlung, die auf diesen Ort abstelle, sei auch unterverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten (Art. 33 Abs. 5, 3 GG) bedenk-lich. Angesichts der gleichen Ausbildung und der gleichen Qualifikationfehle ein vernünftiger, einleuchtender Grund für eine Differenzierung.Schließlich sei unschädlich, dass der Kl. seine zu einem Hochschul-studium berechtigende Schulbildung im Beitrittsgebiet erworben habe.Darauf komme es nicht an, weil es nach § 24 der BundeslaufbahnVOausreiche, dass statt der zu einem Hochschulstudium berechtigendenSchulbildung ein gleichwertiger Bildungsstand nachgewiesen werde.

Kommentar:Mit guten Gründen wird die verfassungsrechtliche Zulässigkeit derunterschiedlichen Beamtenbesoldung im bisherigen Bundesgebieteinerseits und im Beitrittsgebiet andererseits, die in § 2 2. BesÜV

festgelegt ist, zunehmend bezweifelt (vgl. neuerdings den Vorlage-beschluss des VG Dresden v. 21.12.1999, abgedruckt unter 04.11 – 4/00,der auf die Unvereinbarkeit der Verlängerung der Geltungsdauer des§ 73 Satz 3 BBesG über den 31.12.1995 hinaus mit Art. 143 Abs. 2 GGabstellt). Im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3GG ist insbesondere fraglich, ob angesichts der unterschiedlichenEntwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse in den einzelnenöstlichen Bundesländern und im Ostteil von Berlin die pauschaleUnterscheidung von früherem Bundesgebiet und Beitrittsgebiet nochsachlich gerechtfertigt ist. Es ist offenkundig, dass für die Fortsetzungder unterschiedlichen Besoldung hauptsächlich fiskalische Gründeveranwortlich sind.

Das LAG bemüht sich in seinem Urteil, die problematische Diffe-renzierung durch eine großzügige Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 12. BesÜV aF über die Gewährung des sog. Mobilitäts-Zuschusses aus-zugleichen. Es will nicht auf den geographischen Ort der Erwerbungder maßgeblichen Befähigungsvoraussetzungen abstellen, sonderndarauf, ob die »Ausbildungsträger« ihren Sitz im bisherigen Bundes-gebiet haben. Ergänzend wird auch für entscheidend gehalten, ob dieAusbildung nach für das bisherige Bundesgebiet geltenden Vorschrif-ten und Inhalten erfolgt. Verständlicherweise stört das LAG, dass esanderenfalls häufig vom Zufall abhängt, ob eine Person Anspruch aufden Zuschuss hat oder nicht. So hatte im vorliegenden Fall der Haupt-verband der gewerblichen Berufsgenossenschaften für die theoretischeAusbildung neun Außenstellen seiner »Akademie für Arbeitssicherheitund Verwaltung« errichtet, davon fünf im bisherigen und vier imneuen Bundesgebiet. Durch Losziehung war dann entschieden wor-den, welcher Außenstelle ein Auszubildender zugeteilt wurde.

So verständlich vor diesem Hintergrund die Auslegung des LAG ist,setzt sie sich doch mit der ganz herrschenden Ansicht in Widerspruch,die Formulierung »im bisherigen Bundesgebiet« sei ortsbezogen zuverstehen, mache also den Anspruch auf Zuschussgewährung davonabhängig, ob im Einzelfall eine bestimmte Befähigungsvoraussetzung,auf Grund derer die Ernennung erfolgt ist, im Gebiet der Bundes-republik Deutschland, so wie es vor Beitritt der DDR bestand, erwor-ben worden ist. Nach st.Rspr. des BVerwG ist der Begriff »bisherigesBundesgebiet« ebenso wie der Begriff »Ausland« in § 4 2. BesÜVausschließlich im geographischen Sinne zu verstehen (vgl. BVerwG, NJ1999, 604 [bearb. Fassbender] ). In dieser Entscheidung v. 11.3.1999,die kurz vor dem hier besprochenen Urteil des LAG erging, betontedas BVerwG auch, entscheidend sei der Ort der Verwendung einesBeamten, also der dienstlichen Tätigkeit, nicht der dienstrechtlicheBezug zu einem Dienstherrn. Außerdem hielt das BVerwG in dem vonihm entschiedenen Fall für maßgeblich, dass das Abitur (das alsVorbildungsabschluss Befähigungsvoraussetzung für die Laufbahn desgehobenen Dienstes sei) nicht im bisherigen Bundesgebiet abgelegtworden sei (dazu kritisch meine Anm., NJ 1999, 605).

Vorliegend ergibt sich, dass Schulbildung und die dem Vorberei-tungsdienst gleich gestellte Fortbildung mit den Worten des LAG»örtlich ganz überwiegend im Beitrittsgebiet stattgefunden haben«,auch wenn die Fortbildung von einem im bisherigen Bundesgebietsitzenden Verband organisiert worden ist. Unter Berücksichtigungdes ursprünglichen Sinns und Zwecks des »Mobilitäts-Zuschusses«(der Gewinnung qualifizierten Personals »aus dem Westen« für dieBehörden der neuen Bundesländer) erscheint die Zuerkennung einesAnspruchs auf Zuschussgewährung an den Kl. fraglich. Man wirdkaum sagen können, dass ihn die Bekl. auf Grund einer »im bisherigenBundesgebiet« erworbenen Befähigungsvoraussetzung eingestellt hat.Die Einstellung ist vielmehr – ungeachtet des Ortes der Ausbildungund der Abschlussprüfungen – wegen einer Qualifikation erfolgt, dieder Kl. in den Jahren 1991-1994 in einem bundeseinheitlich geregel-ten Ausbildungsgang erworben hat. Das Beitrittsgebiet ist nicht dadurchzum bisherigen Bundesgebiet iSd Vorschrift geworden, dass dort seitder Wiedervereinigung nach Vorschriften und Inhalten der »alten«

Arbe i t s recht

Neue Justiz 4/2000222

Bundesrepublik ausgebildet wird, jede Ausbildung in den neuenBundesländern in diesem Sinne also »westlich« geworden ist. Jeden-falls führte die Auslegung, die das LAG § 4 Abs. 1 2. BesÜV aF gegebenhat, dazu, dass die ihr zugrunde liegende Unterscheidung praktischunwirksam wurde.

Die zunehmend absurden Fragen, zu denen die Anwendung der2. BesÜV zehn Jahre nach der Vereinigung führt, lassen sich nichtdurch eine ausdehnende Definition des nach § 4 2. BesÜV berechtig-ten Personenkreises, sondern nur durch die überfällige Angleichungder Beamtenbesoldung in Ost und West lösen.

Dr. Bardo Fassbender, LL.M., Humboldt-Universität zu Berlin

06 SOZIALRECHT

� 06.1 – 4/00

Rentenantragstellung/Hinweispflichtverletzung/sozialrechtlicherHerstellungsanspruchBSG, Urteil vom 1. September 1999 – B 13 RJ 73/98 R (LSG Darmstadt)

SGB VI §§ 34 Abs. 2, 115 Abs. 6, 274b

Ein Hinweis nach § 115 Abs. 6 SGB VI auf Rentenantragstellung ist auchzu geben, wenn ein laufend Beiträge zahlender Versicherter, der bislangkeine Rente bezieht, in dem Monat, in dem er erstmals die aus seinemVersicherungskonto ablesbaren Voraussetzungen für eine Altersrenteerfüllt, noch keinen Rentenantrag gestellt hat. (Leitsatz des Bearbeiters)

Problemstellung:1988 erteilte die Bekl. der 1932 geborenen Kl. einen Versicherungs-verlauf und anerkannte Kindererziehungszeiten. Gleichzeitig über-sandte sie ihr eine Rentenauskunft, wonach 366 Monate auf dieWartezeit anrechenbar waren. 1991 informierte die Bekl. die Kl. überNeuregelungen durch das RentenreformG 1992.

Im Dez. 1996 beantragte die Kl. die Gewährung von Altersrente fürlangjährig Versicherte, die ihr ab Antragstellung zugebilligt wurde.Auf Widerspruch der Kl., mit dem sie im Hinblick auf die Vollendungihres 63. Lebensjahres im Mai 1995 Rentenleistungen rückwirkendbeanspruchte, sprach das SG ihr die Altersrente ab 1.6.1995 zu. Diedagegen von der Bekl. eingelegte Berufung wies das LSG mit derBegründung zurück, dass die Kl. aufgrund eines sozialrechtlichenHerstellungsanspruchs so zu behandeln sei, als hätte sie den Renten-antrag bereits bei Vollendung des 63. Lebensjahres gestellt.

Die Revision der Bekl. blieb erfolglos.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Der 13. Senat betont eingangs, dass gem. § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI eineRente aus eigener Versicherung erst von dem Kalendermonat angeleistet wird, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen fürdie Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des drittenKalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem dieAnspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Insoweit bestehe kein Anspruchauf eine frühere Rentengewährung.

Die Kl. sei jedoch aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungs-anspruchs so zu behandeln, als hätte sie den Rentenantrag bereits mitVollendung ihres 63. Lebensjahres gestellt, weil die Bekl. ihre Hin-weispflicht verletzt hätte. Nach § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI sollten dieTräger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällendarauf hinweisen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn siediese beantragen. Diese allgemeine Hinweispflicht der Träger derRentenversicherung nach § 115 Abs. 6 SGB VI sei auf geeignete Fällebeschränkt. Eine Geeignetheit sei anzunehmen, wenn für den Versi-cherungsträger ohne einzelfallbezogene Sachaufklärung erkennbar sei,dass ein abgrenzbarer Kreis von Berechtigten die Anspruchsvorausset-

zungen für eine Leistung erfülle, die von solchen Personen im Regel-fall in Anspruch genommen würde. Der Rentenversicherungsträgermüsse davon ausgehen, dass die Berechtigten einen Rentenantrag ausUnkenntnis (noch) nicht gestellt haben. Das Fehlen eines Renten-antrags im Monat der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen lassegrundsätzlich den Schluss zu, dass dies auf Unkenntnis des betreffen-den Versicherten beruhe. Hier hätten alle Anspruchsvoraussetzungenbis auf den Rentenantrag vorgelegen. Hinzu komme, dass die Kl.laufend freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung ent-richtet habe. Daher läge es nahe, dass sie ab einem möglichst frühenZeitpunkt Altersrente beziehen wollte; auch sei ihre Anschrift derBekl. bekannt gewesen. Zudem sei der in § 77 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIvorgesehene ungünstige Zugangsfaktor im vorliegenden Fall nichtanwendbar. Dieser setze nämlich die vorzeitige Inanspruchnahmeeiner Rente wegen Alters voraus.

Die Einhaltung der Hinzuverdienstgrenze iSv § 34 Abs. 2 SGB VI aFmüsse vor einem Hinweis nach § 115 Abs. 6 SGB VI nicht geklärtwerden. Ein atypischer Fall, in dem die Hinweispflicht entfalle (vgl.BSGE 79, 168, 176), liege nicht vor. Die Rentenauskunft von 1988hätte zum maßgeblichen Zeitpunkt zu lange zurückgelegen, um densicheren Schluss auf eine aktuelle Kenntnis der Kl. zuzulassen. Auchaus § 274b SGB VI folge keine Einschränkung der Hinweispflicht, dadieser nach seinem Wortlaut und Sinn und Zweck solche Hinweisenicht ausschließe.

Kommentar:Dem Urteil ist in jeder Hinsicht zuzustimmen; es liegt auch auf derLinie der bish.Rspr. Erfreulich sind insbesondere die lehrbuchmäßigklaren Ausführungen zu dem schillernden Institut des sozialrecht-lichen Herstellungsanspruchs. Danach ist dieser auf die Vornahmeeiner Amtshandlung zur Herstellung des sozialrechtlichen Zustandesgerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger (oder einfür diesen handelnder Dritter) die ihm aufgrund eines Gesetzes oderkonkreten Sozialrechtsverhältnisses dem Versicherten gegenübererwachsenden Haupt- oder Nebenpflichten – insbesondere zur Aus-kunft und Beratung – ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. DiePflicht muss dem Träger gerade gegenüber dem Versicherten obliegen,die zugrunde liegende Norm muss letzterem also ein entsprechendessubjektives Recht eingeräumt haben. Die objektiv rechtswidrigePflichtverletzung muss zumindest gleichwertig (neben anderenBedingungen) einen Nachteil des Versicherten bewirkt haben. Schließ-lich muss die verletzte Pflicht darauf gerichtet gewesen sein, denBetroffenen gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren(sog. Schutzzweckzusammenhang). Die Rspr. des BVerwG ist hierallerdings deutlich restriktiver (vgl. BVerwG, NVwZ 1997, 1219).

Auch bei Anwendung des § 34 Abs. 2 SGB VI nF – auch unter Berück-sichtigung der Verschärfung der Hinzuverdienstgrenzen – dürfte manzu dem gleichen Ergebnis kommen, obgleich das BSG dies offengelassen hat. Denn dieser betrifft wie § 34 Abs. 2 SGB VI aF nichtdas sog. Rentenstammrecht, sondern lediglich den (monatlichen)Rentenzahlungsanspruch, obwohl der Wortlaut nicht mehr von einerLeistung, sondern von einem Anspruch spricht. Anderenfalls müsstennach jedem Wegfall der Rente wegen Überschreitens der Hinzuver-dienstgrenze alle positiven Anspruchsvoraussetzungen erneut geprüftwerden. Bei Klagen auf Nachzahlungen ist aber zu beachten, dass einsozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht zu einer mehr als vierJahre rückwirkenden nachträglichen Leistungsgewährung führenkann, sofern der ablehnende Bescheid – anders als im vorliegendenFall – nicht angefochten wurde (BSGE 60, 245; BSG, Soziale Sicherheit1999, 336; vgl. aber BSGE 79, 177).

Außerhalb des § 115 SGB VI entsteht eine Hinweispflicht im Regel-fall erst mit dem Beratungsbegehren des Beratungsberechtigten (BSGE42, 224, 227; 46, 124, 126 f.; 52, 145, 148). In Ausnahmefällen kanneine Verpflichtung zur Spontanberatung dann bestehen, wenn für

Rechtsprechung Arbei t s recht

223Neue Justiz 4/2000

den Leistungsträger ein »konkreter Anlass« zu einer Beratung vonAmts wegen besteht (BSGE 48, 211, 213; 54, 139, 198; BSG, SGb 1984,250 ff.), d.h. Gestaltungsmöglichkeiten müssen klar zutage liegen undso zweckmäßig erscheinen, dass sie jeder verständige Versichertemutmaßlich nutzen würde.

RSG Dr. Mathias Ulmer, Halle/Saale

� 06.2 – 4/00

Arbeitslosengeld/Leistungsbemessungsgrenze/maßgebendes Gebiet(Ost oder West)BSG, Urteil vom 21. Oktober 1999 – B 11 AL 5/99 R (LSG Berlin)

AFG § 249c Abs. 9 u. 13 Satz 2

Das für die Leistungsbemessungsgrenze maßgebende Gebiet, in demder Arbeitslose vor Entstehung des Anspruchs zuletzt in einer dieBeitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat (§ 249cAbs. 9 AFG), ist in Ermangelung überzeugender Abgrenzungskriterienentsprechend dem für den Anpassungssatz Ost geltenden § 249cAbs. 13 AFG zu bestimmen, weil diese Vorschrift eine ähnliche Frage-stellung regelt und so auch vermieden wird, dass ggf. die Leistungsbe-messungsgrenze Ost und der Anpassungssatz West (und umgekehrt)auf das gleiche Arbeitsentgelt anzuwenden sind. (Leitsatz der Redaktion)

Anm. d. Redaktion: Die Kl. hatte in einem Betrieb gearbeitet, der seinen Sitz vomWestteil Berlins in den Ostteil verlegt hatte. Zwei Monate nach der Betriebs-verlegung wurde die Kl. arbeitslos. Die bekl. Bundesanstalt für Arbeit hatte ihr nurArbeitslosengeld nach dem Leistungssatz Ost bewilligt, da nach § 249c Abs. 9AFG die Leistungsgrenze des letzten Beschäftigungsorts maßgeblich sei. Die dage-gen gerichtete Klage der Kl. war vor dem SG erfolgreich; Berufung und Revisionder Bekl. wurden zurückgewiesen. Nach Auffassung des BSG kommt im Falle derKl. nicht die Leistungsbemessungsgrenze Ost zur Anwendung, weil das demArbeitslosengeld zugrunde zu legende, d.h. das im sechsmonatigen Bemes-sungszeitraum erzielte, Arbeitsentgelt nicht überwiegend, sondern hier nur zueinem Drittel auf Zeiten mit Arbeitsentgelten aus dem Beitrittsgebiet beruhte.

� 06.3 – 4/00

Altersrente/Wartezeit/Untertage-Tätigkeit/Arbeitsunfall/DDR-RechtLSG Halle, Urteil vom 12. Mai 1999 – L 6 KN 3/98 (SG Halle) (rechtskräftig)

SGB VI §§ 40 Nr. 2, 51 Abs. 2, 254a; GBA/DDR § 98; AGB/DDR § 268

Aus dem Anspruch eines Arbeitnehmers nach arbeitsrechtlichenVorschriften der ehem. DDR wegen eines Arbeitsunfalls gegen denfrüheren Beschäftigungsbetrieb auf Ersatz der Minderung seinerRentenansprüche (§ 98 GBA/DDR v. 12.4.1961, § 268 AGB/DDRv. 16.6.1977) erwächst kein rentenrechtlicher Anspruch gegen denRentenversicherungsträger auf Anrechnung fiktiver Zeiten »ständigerArbeiten unter Tage« bei der Wartezeit der Altersrente für langjährigunter Tage beschäftigte Bergleute (§ 40 Nr. 2 SGB VI).

� 06.4 – 4/00

Sozialzuschläge/Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigen-den Verwaltungsaktes/ÜberprüfungsverfahrenLSG Halle, Urteil vom 19. August 1999 – L 1 RA 52/98 (SG Halle) (rechtskräftig)

SGB X § 44

1. Wenn der Empfänger einer zu Unrecht erbrachten Sozialleistungdiese aufgrund eines unanfechtbar gewordenen Erstattungsbeschei-des zurückgezahlt hat und die beklagte Behörde die Rücknahme desErstattungsbescheides nach § 44 SGB X abgelehnt hat, kann er mit derdagegen gerichteten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nichtschon eine Leistungsklage verbinden.

2. Die Überprüfung eines bereits vollzogenen unanfechtbaren Erstat-tungsbescheides richtet sich nach § 44 Abs. 1 SGB X in sinngemäßerAnwendung. Die Leistung ist nur dann im Sinne dieser Vorschrift»zu Unrecht« zurückgefordert worden, wenn sie dem Leistungs-empfänger nach materiellem Leistungsrecht nicht zustand. Insoweitist unerheblich, ob der Bescheid, durch den die Leistung bewilligtworden war, wirksam aufgehoben worden ist.3. § 44 SGB X dient auch nicht mittelbar bei der Überprüfung vonAufhebungs- und Erstattungsbescheiden dem Vertrauensschutz.

Anm. d. Redaktion: Zur Problematik der Rücknahme eines rechtswidrigenbegünstigenden Verwaltungsaktes iSv § 45 SGB X siehe den Beitrag vonR. Schallenberg/B. Milke, NJ 1999, 399 ff.

07 BERUFSRECHT

� 07.1 – 4/00

Rechtsanwalt/Residenzpflicht am OLGBGH, Beschluss vom 18. Oktober 1999 – AnwZ (B) 96/98 (Niedersächs. AGH)

BRAO §§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 1; ZPO § 78

Aus den mit dem Jahr 2000 eintretenden Änderungen des § 78 ZPO,die lediglich die Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Land- undFamiliengerichten betreffen, lässt sich eine verfassungswidrigeUngleichbehandlung für die bei dem OLG zugelassenen Rechts-anwälte nicht ableiten. Ihnen lässt sich vielmehr entnehmen, dass derGesetzgeber eine generelle Aufhebung des Lokalisationsprinzipsnicht gewollt hat. (Leitsatz der Redaktion)

Der Ast. ist seit 1976 zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwalt beidem Amts- und Landgericht A. zugelassen. Seine Kanzlei befindet sichin A. Am 27.5.1997 beantragte der Ast. die Zulassung als Rechtsanwaltbei dem OLG O. unter Verzicht auf seine Zulassung beim Amts- undLandgericht A., erklärte aber zugleich, den derzeitigen Kanzleisitz inA. beibehalten zu wollen. Er beantragte hilfsweise, ihn von derResidenzpflicht in O. zu befreien oder, hilfsweise, ihm – bei Verlegungdes Kanzleisitzes nach O. – zugleich zu gestatten, das Notariat in O.auszuüben.

Mit Bescheid v. 18.11.1997 hat der frühere Ag. den Zulassungs-antrag und die Hilfsanträge zurückgewiesen. Sein Antrag auf gericht-liche Entscheidung blieb beim AGH ohne Erfolg.

Die sofortige Beschwerde, mit der der Ast. sein Zulassungsbegehrenund sein Begehren auf Befreiung von der Residenzpflicht weiter-verfolgt, blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:II. Die sofortige Beschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen dasvom AGH zurückgewiesene Begehren auf Befreiung von der Resi-denzpflicht wendet (vgl. zuletzt Senatsbeschl. v. 16.11.1998 – AnwZ (B)32/98 = BRAK-Mitt. 1999, 190 mwN). Soweit sie sich gegen die zurück-weisende Entscheidung des AGH auf seinen Antrag auf Zulassungbeim OLG O. wendet, ist sie zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 BRAO),hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

a) Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BRAO muss der Rechtsanwalt an dem Ortdes Gerichts, bei dem er zugelassen ist, eine Kanzlei einrichten, soferner nicht ausnahmsweise von dieser Pflicht im Interesse der Rechts-pflege oder zur Vermeidung von Härten befreit wird (§ 29 Abs. 1BRAO). Diese Verpflichtung gilt auch für den bei einem OLG zugelas-senen Rechtsanwalt. In den Fällen der Singularzulassung folgt daraus,dass der beim OLG zugelassene Rechtsanwalt seine Kanzlei grundsätz-lich an dem Ort einzurichten hat, an dem sich das OLG befindet.Dies ist im Fall des Ast. das OLG O. Dies verkennt der Ast., der eine

Sozia l recht

Neue Justiz 4/2000224

bedingungslose Verlegung des Kanzleisitzes abgelehnt hat, nicht, erhält die Regelung jedoch für verfassungswidrig.

Entgegen seiner Auffassung stellt die Vorschrift des § 27 Abs. 1 Satz 1BRAO iVm der Regelung des § 29 Abs. 1 BRAO eine verfassungsrecht-lich statthafte Regelung der Berufsausübung dar (BVerfGE 72, 26).Davon ist der BGH in st.Rspr. (zuletzt Senatsbeschl. v. 16.11.1998, aaO)ausgegangen.

b) Eine Abweichung von der Regelung der §§ 25, 27 Abs. 1 BRAOergibt sich allerdings für die Rechtsanwälte in den Bundesländern,in denen nach § 226 Abs. 2 BRAO die Simultanzulassung gilt. Dazugehören die von dem Ast. angeführten Länder Bayern und Sachsen.Die insoweit gegebene Ungleichbehandlung ist – wie der Senatmehrfach entschieden hat – verfassungsmäßig (vgl. Senatsbeschl. v.12.12.1988 – AnwZ (B) 37/88 und v. 16.11.1998, aaO).

Wie der Senat bereits in der genannten Entscheidung v. 16.11.1998im Einzelnen ausgeführt hat, ist eine verfassungswidrige Ungleich-behandlung gleichfalls nicht aus der Existenz überörtlicher Sozietätenabzuleiten. Auch in diesen Fällen ist das Mitglied der Sozietät, dasbeim OLG zugelassen ist, grundsätzlich gehalten, an dem Ort diesesGerichts eine Kanzlei einzurichten.

Ebenso wenig lässt sich aus den mit dem Jahr 2000 eintretendenÄnderungen des § 78 ZPO, die lediglich die Vertretung vor den Land-und Familiengerichten betreffen, eine verfassungswidrige Ungleich-behandlung für die bei dem OLG zuzulassenden Rechtsanwälte ablei-ten. Ihnen lässt sich vielmehr entnehmen, dass der Gesetzgeber einegenerelle Aufhebung des Lokalisationsprinzips nicht gewollt hat.

Schließlich führt auch die Rechtsanwälten aus anderen EG-Mit-gliedstaaten, die in der Bundesrepublik Deutschland nur vorüber-gehend tätig sind, eröffnete Möglichkeit, vor einem Gericht in derBundesrepublik Deutschland auftreten zu können (Entscheidung desEuGH v. 25.2.1988 = NJW 1988, 887), nicht zu einer verfassungswid-rigen Ungleichbehandlung deutscher Rechtsanwälte iSd Art. 3 Abs. 1GG (vgl. BGHZ 108, 342; Senatsbeschl. v. 16.11.1998, aaO, mwN).

c) Der Senat hält die Regelung auch im Hinblick auf die veränder-ten Kommunikationsmöglichkeiten für den Regelfall nicht für unver-hältnismäßig. Bei der noch überschaubaren Zahl der bei dem OLGzugelassenen Rechtsanwälte dient die Niederlassung am Ort des OLGder Zusammenarbeit zwischen Richtern und Rechtsanwälten unddamit auch der Rechtspflege.

Anm. d. Redaktion: Zu den Änderungen von § 78 ZPO ab dem 1.1.2000 sieheA. Braun, »Plädoyer für ein einheitliches Berufsrecht«, NJ 2000, 18 f.

� 07.2 – 4/00

Notarverwaltungssachen/sofortige Beschwerde/Zuständigkeit/FristBGH, Urteil vom 29. November 1999 – NotZ 10/99 (Kammergericht)

BNotO § 111 Abs. 4; BRAO § 42 Abs. 4

Wird in Notarverwaltungssachen die sofortige Beschwerde gem. § 111Abs. 4 BNotO vom Notar bei dem für die Rechtsmitteleinlegung unzu-ständigen BGH eingelegt, so trifft diesen keine »vorbeugende Fürsorge-pflicht«, die Beschwerdeschrift außerhalb des normalen Geschäftsgangsan das insoweit zuständige OLG weiterzuleiten (Abgrenzung zuBVerfG, Beschl. v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93, NJW 1995, 3173).

Rechtsprechung Berufsrecht

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Fundgrube

Das »Juristische Wortungetüm des Jahres«:

Rinderkennzeichnungs- und Rindfleischetikettierungsüber-wachungsaufgabenübertragungsgesetz (RkReÜAÜG M-V)

Im Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Mecklenburg-Vorpommern findet sich in Nr. 2 des Jahres 2000 auf S. 22 das

Gesetz zur Übertragung der Aufgaben für die Überwachung der Rinderkennzeichnung und Rindfleischetikettierung

(Rinderkennzeichnungs- und Rindfleischetikettierungsüberwachungs-aufgabenübertragungsgesetz – RkReÜAÜG M-V) vom 19.1.2000

Das nur sechs Paragraphen umfassende Gesetz setzt EU-Verord-nungen um und soll es dem Verbraucher erleichtern, den Wegeines Rindviehs von der Geburt bis an die Fleischtheke nach-zuvollziehen.

Als der zuständige Landwirtschaftsminister im Oktober 1999 dasGesetz vorgestellt und seine Schöpfung beim Namen genannthatte, waren die Abgeordneten in lautes Gelächter ausgebrochen.Der Minister entschuldigte sich für die »Überlänge« mit demHinweis, dass er sich durchaus auch einen anderen Titel vorstel-len könne. Leider ist ihm, wie allen anderen Beteiligten offen-sichtlich auch, Besseres aber dann doch nicht eingefallen.

Die Bundesjustizministerin Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin hatte imSommer 1999 ihren Kolleginnen und Kollegen im Bundeskabinettjeweils ein druckfrisches Exemplar des Handbuchs der Rechts-förmlichkeit überreicht. Dort sind u.a. Negativ-Beispiele aufgelistet,die im Interesse einer verständlichen deutschen Sprache bei derErarbeitung von Gesetzen und Verordnungen tunlichst vermiedenwerden sollten. Denn erst bei Vermeidung von Bandwurmwörternwie »Schönheitsreparaturenkostenpauschale« mit seinen 36 Buch-staben in 12 Silben, so die Bundesjustizministerin, wüssten dieBürgerinnen und Bürger, worum es wirklich geht.

Abgesehen davon, dass trotz der bereits seit Jahrzehnten immerwiederkehrenden Appelle in Festtagsreden, Rechtsnormen hand-werklich einwandfrei und verständlich zu formulieren, ein durch-schlagender Erfolg in der Gesetzgebung auch jetzt bezweifeltwerden muss, hätte dieses Handbuch, wäre es denn in die Händeder mecklenburg-vorpommerschen Landesgesetzgeber gelangt,das RkReÜAÜG vielleicht verhindern können. Dafür dürfte ihmjetzt aber mit seinen 86 Buchstaben in 26 Silben die Aufnahmein eine Neuauflage des Handbuchs der Rechtsförmlichkeit gewisssein.

Übrigens: Als »Juristisches Wortungetüm des Jahres« wird dasBandwurmgesetz dann wohl doch keine Chancen haben – dazuist das RkReÜAÜG einfach zu lang, zu schwer auszusprechen und– vor allem – ohne einen einzigen Tippfehler kaum zu Papier zubringen!

VIINeue Justiz 4/2000

ZEITSCHRIFTENÜBERSICHTRechtsphilosophie/Rechtstheorie/RechtsgeschichteK. Tiedemann, Der Strafprozeß im Denken von Karl Peters, JZ 2000,139-145

Völkerrecht/EuroparechtJ. Dötsch, Neuere Rechtsprechung zum europäischen Sozialrecht, AuA2000, 72-75R. Merkel, Das Elend der Beschützten. Über die Grundlagen der Legi-timität sog. humanitärer Interventionen und die Verwerflichkeit derNATO-Aktion im Kosovo-Krieg, KJ 1999, 526-542V. Neßler, Politische Auftragsvergabe durch den Staat? Zur europa-rechtlichen Zulässigkeit politischer Kriterien bei der öffentlichenAuftragsvergabe, DÖV 2000, 145-152B. Piltz, Neue Entwicklungen im UN-Kaufrecht (im Anschl. an NJW1994, 1101 ff.; 1996, 2768 ff.), NJW 2000, 553-560A. Wattenberg, Der »Corpus Juris« – Tauglicher Entwurf für ein einheit-liches europäisches Straf- und Strafprozeßrecht?, StV 2000, 95-103A. Weber, Die Europäische Grundrechtscharta – auf dem Weg zu einereuropäischen Verfassung, NJW 2000, 537-544

Verfassungsrecht/StaatsrechtU. Goll, Rechtsmittelreform – Umbau oder Abbau des Rechtsstaates?,BRAK-Mitt. 2000, 4-6W. Hoffmann-Riem, Gewaltenteilung – mehr Eigenverantwortung fürdie Justiz? (Vortrag beim Deutschen Richtertag am 4.10.1999 in Karls-ruhe), DRiZ 2000, 18-31J. Lang, Wider Halbteilungsgrundsatz und BVerfG. Der BFH verbleibtan der Grenze konfiskatorischer Besteuerung, NJW 2000, 457-460G. Roellecke, Von Frankfurt über Weimar und Bonn nach Berlin.Demokratische Verfassungen in Deutschland und die gesellschaft-liche Entwicklung in Europa, JZ 2000, 113-117P. Selbherr, Rechtsmittelsystem und dreigliedriger Gerichtsaufbau,BRAK-Mitt. 2000, 11-14Th. Würtenberger/M. Fehling, Zur Verfassungswidrigkeit des Curricu-larnormwertes für das Fach Rechtswissenschaft, JZ 2000, 173-179R. Zuck, Verfassungswelten – Stagnation und Dynamik im Grund-gesetz, BRAK-Mitt. 2000, 6-10

Bürgerliches Recht/ZivilprozessrechtI. Fritsche, Haftung der Landkreise und Kommunen der neuen Bun-desländer für Amtspflichtverletzungen bei Grundstücksverkehrs-genehmigungen, NJW 2000, 390-395H.-U. Graba, Zur Abänderung von Unterhaltstiteln wegen Erwerbs-losigkeit, FPR 2000, 6-11R. Greger, Rechtsmittelbelehrung im Zivilprozeß: unnötig, unpassendund anachronistisch, JZ 2000, 131-135P. Huber, Die Ehewohnung in der Trennungszeit – Nutzungsvergütungoder Trennungsunterhalt?, FamRZ 2000, 129-133G. Kirchhoff, Der Verkehrsunfall im Zivilprozeß – Hinweise zur Ver-besserung der Zeugenvernehmung, MDR 2000, 186-189J. Köndgen, Die Entwicklung des Bankkreditrechts in den Jahren 1995-1999 (im Anschl. an NJW 1994, 1508 ff.), NJW 2000, 468-482S. Krebber, Das Verhältnis von sachenrechtlicher Zuordnung kraftdinglicher Bezugs- und Mittelsurrogation und kraft originären Eigen-tumserwerbs, FamRZ 2000, 197-204M. Maslaton, Gerechtigskeitslücke beim Zugewinnausgleich vonDDR-Ehen, die nach dem Beitritt zur BRD geschieden wurden? §§ 39,40 FGB und § 1380 BGB – eine vergleichende Darstellung, FamRZ2000, 204-208D. Pauling, Die Erwerbslosigkeit im Ehegatten- und Kindesunter-haltsrecht, FPR 2000, 11-17F.-G. Pfeifer, Besonderheiten der Nebenkostenumlage bei Geschäfts-räumen, DWW 2000, 13-17J. Rastätter, Probleme beim Grundstückskauf von Kommunen, DNotZ2000, 17-46H. Reinecke, Rechtsprechungstendenzen zum Verlust des Arbeitsplat-zes im Unterhaltsrecht, FPR 2000, 25-33R. Rigol, Schadenseratz bei ungerechtfertigter Inanspruchnahme einerBürgschaft auf erstes Anfordern, ZIP 2000, 306-308G. Wächter/Th. Stender, Die Rechtsprechung zu Investitions- undBeschäftigungszusagen in Treuhandprivatisierungsverträgen, NJW2000, 395-403

A. Wenger, Der qualifizierte Zeitmietvertrag, MDR 2000, 181-185

Straf- und StrafprozessrechtS. Gleß, Zur Verwertung von Erkenntnissen aus verdeckten Ermitt-lungen im Ausland im inländischen Strafverfahren, NStZ 2000, 57-62G. Jerouschek/A. Schröder, Die Strafvereitelung: Ein Tatbestand imMeinungsstreit, GA 2000, 51-63P. Kauffmann/L. F. Ureta, Die richterliche Anordnungs- und Begrün-dungspraxis in Verfahren gem. § 2 DNA-Identitätsfeststellungsgesetzi.V.m. § 81g StPO vor dem Grundgesetz, StV 2000, 103-107M. Thode, Die außergerichtliche Einziehung von Gegenständen imStrafprozess, NStZ 2000, 62-67U. Paeffgen, Rechtsprechungsübersicht in U-Haft-Sachen 1999 – 1. Teil(im Anschl. an NStZ 1999, 71 ff.), NStZ 2000, 75-82

VerwaltungsrechtCh.-D. Bracher, Die Anhörung Dritter im Normenkontrollverfahrengegen Bebauungspläne, DVBl 2000, 165-174Ch. Brüning, Die Benutzungsverhältnisse an kommunalen öffent-lichen Einrichtungen unter Einbeziehung allgemeiner Geschäfts-bedingungen, LKV 2000, 54-58F. Fechner, Die Rechtswidrigkeitsfeststellungsklage. Sachentschei-dungsvoraussetzungen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzesgegen Verwaltungsakte, die sich vor Klageerhebung erledigt haben,NVwZ 2000, 121-129U. Gundlach, Die Haftung der Gemeinden für ihre Eigengesellschaf-ten, LJV 2000, 58-64Ch. Moench/O. Otting, Die Entwicklung des Denkmalschutzrechts(Teil 1) – Voraussetzungen der Denkmaleigenschaft, NVwZ 2000, 146-155St. Pieper, Keine Flucht ins öffentliche Recht. Die Vergabe öffentlicherAufträge durch öffentlich-rechtlichen Vertrag, DVBl 2000, 160-165A. Schink, Der Bodenschutz und seine Bedeutung für die nachhaltigestädtebauliche Entwicklung, DVBl 2000, 221-232St. Schmahl, Umfang und Grenzen wirtschaftlicher Betätigung vonGemeinden in Brandenburg, LKV 2000, 47-54F. E. Schnapp, Die Nichtigkeit des Verwaltungsakts – Qualität oderQualifikation?, DVBl 2000, 247-250C. Schütz, Rechtspositionen ausländischer Kinder im Falle von Aus-weisung und Abschiebung ihrer Eltern, ZAR 2000, 32-38M. Silagi, Der Status der Vertriebenen und Spätaussiedler nach § 7StAG und § 40a StAG, ZAR 2000, 3-7R. Steinberg, Umweltschutz in der Verkehrswegeplanung, DÖV 2000,85-94

Recht der offenen VermögensfragenO. Depenheuer/B. Grzeszick, Eigentum und Rechtsstaat. Zur eigen-tumsgrundrechtlichen Qualität von Ansprüchen nach dem Aus-gleichsleistungsgesetz, NJW 2000, 385-390St. Muckel, Die Beweislast für die Staatsangehörigkeit des auf besat-zungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage Enteig-neten. Zur Auflösung eines non liquet bei der Anwendung des Resti-tutionsausschlusses in § 1 VIII lit. a VermG, VIZ 2000, 72-78W. Seiffert, Zum Rechtsstatus ausländischen Eigentums in derSBZ/DDR, VIZ 2000, 65-72

Arbeits- und SozialrechtA. Gagel, Sozialrechtliche Behandlung von Urlaubsabgeltungen, ins-besondere ihre Berücksichtigung beim Insolvenzgeld. ZIP 2000, 257-261F.-W. Fischer, Geheime Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen, BB2000, 354-362J. H. Kern, Schmerzensgeld im Arbeitsrecht – Was kostet ein »Tritt insGesäß«?, NZA 2000, 124-128P. Pulte, Die arbeitsrechtlichen Aushang- und Bekanntmachungs-pflichten im Betrieb (Teil II) (im Anschl. an BB 2000, 197 ff.), BB 2000,250-257St. Smid, Der Erhalt von Arbeitsplätzen in der Insolvenz des Arbeit-gebers nach neuem Recht, NZA 2000, 113-120

BerufsrechtSt. Müller-Rabe, Rechtsanwaltsgebühren bei Anhörung der Eltern zumSorgerecht nach § 613 I S. 2 ZPO, FamRZ 2000, 137-140H. Schneider, Standes- und wettbewerbsrechtliche Grenzen der Inter-net-Präsentation von Anwälten, MDR 2000, 133-138