62
Aus dem Inhalt: Sozialpolitische Kriterien in landesgesetzlichen Vergabevorschriften Zur Geltung von Anerbenrecht im Gebiet der DDR Betriebskostenumlage im Wohnraummietverhältnis Die BGH-Rechtsprechung zu Brandstiftungsdelikten und zum Versicherungsmissbrauch nach dem 6. StRG Die Reform des Sanktionenrechts Aus dem Rechtsprechungsteil: LVerfG Meckl.-Vorp.: Zur 5%-Sperrklausel im Kommunalwahlrecht von Mecklenburg-Vorpommern BGH: Zur Sachenrechtsbereinigung bei geringer Restnutzungsdauer von Gebäuden LG Dresden: Kein Verstoß gegen RBerG bei unent- geltlicher außergerichtlicher Nachbarschaftshilfe BGH: Keine strafrechtliche Verantwortlichkeit für tödliche Schüsse an der innerdeutschen Grenze bei Handeln auf Befehl OVG Magdeburg: Zur Berücksichtigung eines schwerbehinderten Bewerbers im Rahmen einer Konkurrentenklage BSG: Nichtdynamisierung und Abschmelzung des Renten-Auffüllbetrags verfassungsgemäß 301 55. Jahrgang NOMOS Berlin Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung E 10934 N J Seiten 113-168 Neue Justiz

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Aus dem Inhalt:

Sozialpolitische Kriterien in landesgesetzlichenVergabevorschriften

Zur Geltung von Anerbenrecht im Gebiet der DDR

Betriebskostenumlage im Wohnraummietverhältnis

Die BGH-Rechtsprechung zu Brandstiftungsdeliktenund zum Versicherungsmissbrauch nach dem 6. StRG

Die Reform des Sanktionenrechts

Aus dem Rechtsprechungsteil:– LVerfG Meckl.-Vorp.: Zur 5%-Sperrklausel im

Kommunalwahlrecht von Mecklenburg-Vorpommern– BGH: Zur Sachenrechtsbereinigung bei geringer

Restnutzungsdauer von Gebäuden– LG Dresden: Kein Verstoß gegen RBerG bei unent-

geltlicher außergerichtlicher Nachbarschaftshilfe– BGH: Keine strafrechtliche Verantwortlichkeit für

tödliche Schüsse an der innerdeutschen Grenze bei Handeln auf Befehl

– OVG Magdeburg: Zur Berücksichtigung einesschwerbehinderten Bewerbers im Rahmen einerKonkurrentenklage

– BSG: Nichtdynamisierung und Abschmelzung desRenten-Auffüllbetrags verfassungsgemäß

30155. Jahrgang

NOMOS Berlin

Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung

E 10934

NJSeiten 113-168

Neue Justiz

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RECHTSPRECHUNG

� 01 Verfassungsrecht

VerfG Brandenburg: Zur Verletzung des Abgeordnetenrechts auf Beantwortung parlamentarischer Anfragen (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

LVerfG Mecklenburg-Vorpommern: Zur 5%-Sperrklausel im Kommunalwahlrecht von Mecklenburg-Vorpommern (Jutzi). . . . . . . . . . . 138

� 02 Bürgerliches Recht

BGH:Schadensersatz- bzw. Amtshaftungsansprüche wegen Pflichtverletzungen des staatlichen Verwalters (Fritsche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

BGH:Zur Passivlegitimation für einen Anspruch auf»steckengebliebene Entschädigung« wegen Enteignung nach dem AufbauG/DDR . . . . . . . . . . . 141

BGH:Zur Abrechnung von Betriebskosten bei Grundstückseigentümerwechsel aufgrund Restitution (Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

BGH:Zur Sachenrechtsbereinigung bei Grundstücks-bebauung durch eine Genossenschaft auf vertraglicher Grundlage (m. Anm. Schramm). . . . 144

BGH:Zur Sachenrechtsbereinigung bei geringer Restnutzungsdauer von Gebäuden (Zank) . . . . . . 145BGH:Belehrungspflicht des Rechtsanwalts bei Insolvenz einer Genossenschaft und Rechtzeitig-keit der Anfechtung im GesO-Verfahren (Ls.) . . . . 146BGH:Zum Schadensersatz wegen Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversiche-rung im Falle einer Insolvenz (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . 146OLG Dresden:Verzugszinsen bei rückständigen Zahlungs-ansprüchen aus einem Dienstverhältnis (Ls.) . . . . 146OLG Dresden:Zur Ersatzzustellung gem. § 181 ZPO an Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft . . . . . . . . 147OLG Jena:Zur Betreuervergütung in den neuen Bundes-ländern (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149LG Rostock:Zur Voreintragung des Berechtigten nach dem VermG im Grundbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149LG Dresden:Kein Verstoß gegen RBerG bei unentgeltlicher außergerichtlicher Nachbarschaftshilfe (Lehmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

S. 138

S. 113AUFSÄTZE

I

Neue JustizZeitschrift für Rechtsetzungund Rechtsanwendung

55. Jahrgang, S. 113-168

NJ 3/01

REZENSIONEN

Karen Stiebitz: Heinz Such (1910-1976)Von Gerhard Lingelbach

S. 137

INFORMATIONEN S. 131

Sozialpolitische Kriterien in landesgesetzlichen VergabevorschriftenUrsula Rust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

Zur Geltung von Anerbenrecht im Gebiet der DDRGerd Janke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

Herausgeber:

Prof. Dr. Peter-Alexis AlbrechtUniversität Frankfurt a.M. Prof. Dr. Marianne Andrae Universität Potsdam Dr. Bernhard Dombek Rechtsanwalt und Notar, BerlinPräsident der BundesrechtsanwaltskammerDr. Uwe Ewald Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Rainer Faupel Staatssekretär a.D., Potsdam/BerlinGeorg Herbert Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Ernst GottfriedMahrenholz Vizepräsident desBundesverfassungsgerichts a.D.,KarlsruheDr. Wolfgang Peller Berlin Prof. Dr. Martin Posch Rechtsanwalt, Jena Karin Schubert Ministerin der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt Prof. Dr. Jürgen Schwarze Universität Freiburg Prof. Dr. Horst Sendler Präsident des Bundesverwaltungsgerichts a.D.,BerlinDr. Dr. theol. h.c. Helmut SimonBundesverfassungsrichter i.R.,KarlsruheManfred Walther Rechtsanwalt, Berlin Dr. Friedrich Wolff Rechtsanwalt, Berlin

In d iesem Hef t …

DOKUMENTATION

Die Reform des Sanktionenrechts(Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz)

S. 134

S. 123KURZBEITRÄGE

Betriebskostenumlage im WohnraummietverhältnisArmin Willingmann und Heinz Kuschel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

Die BGH-Rechtsprechung zu Brandstiftungsdeliktenund zum Versicherungsmissbrauch nach dem 6. StrRGWolfgang Pfister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

Neues Steuerrecht für StiftungenGünter Winands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

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NJ-Abonnentenservice: Die Volltexte der kommentierten und im Leitsatz abgedruckten Entscheidungen können Sie inder Redaktion unter Angabe der Registrier-Nummer kostenlos bestellen. Fax (0 30) 4 42 53 14

II

Neue JustizZeitschrift für Rechtsetzungund Rechtsanwendung

55. Jahrgang, S. 113-168

NJ 3/01

Redaktion: Rechtsanwältin Adelhaid Brandt(Chefredakteurin)Barbara Andrä Dr. Ralf Poscher

Redaktionsanschrift:Anklamer Str. 32, 10115 BerlinTel.: (030) 4 42 78 72/-73Fax: (030) 4 42 53 14e-mail: [email protected]

Internetadresse:http://www.nomos.de/nomos/zeitschr/nj/nj.htm

Erscheinungsfolge: einmal monatlich

Bezugspreise: Jahresabonnement 199,– DM, inkl. MwSt., zzgl. Porto und Versand-kosten

Vorzugspreis: (gegen Nachweis) für Studenten jährl. 50,– DM,inkl. MwSt., zzgl. Porto und Versand-kosten

Einzelheft: 17,50 DM, inkl. MwSt., zzgl. Porto und VersandkostenBestellungen beim örtlichen Buch-handel oder direkt bei der NOMOSVerlagsgesellschaft Baden-Baden. Abbestellungen bis jeweils 30. September zum Jahresende.

Verlag, Druckerei, Anzeigenver-waltung und Anzeigenannahme: Nomos VerlagsgesellschaftWaldseestr. 3-5, 76530 Baden-Baden,Tel.: (0 72 21) 21 04-0Fax: (0 72 21) 21 04-27

Urheber- und Verlagsrechte:Die in dieser Zeitschrift veröffentlich-ten Beiträge sind urheberrechtlichgeschützt. Das gilt auch für die veröf-fentlichten Gerichtsentscheidungenund ihre Leitsätze; diese sind geschützt, soweit sie vom Einsender oder vonder Redaktion erarbeitet und redigiert worden sind. Kein Teil dieser Zeit-schrift darf ohne vorherige schriftlicheZustimmung des Verlags verwendetwerden. Das gilt insbesondere fürVervielfältigungen, Bearbeitungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungenund die Einspeicherung und Verarbei-tung in elektronischen Systemen.ISSN 0028-3231

Redaktionsschluss: 12. Februar 2001

In d iesem Hef t …

� 03 Strafrecht

BGH:Zum Begriff der Vortat bei der Geldwäsche gem. § 261 Abs. 9 Satz 2 StGB (Ls.) . . . . . . . . . . . . 152BGH:Keine strafrechtliche Verantwortlichkeit für tödliche Schüsse an der innerdeutschen Grenze bei Handeln auf Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152BGH:Zur Tötung von Flüchtlingen durch DDR-Grenzsoldaten (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153OLG Dresden:Anwendung der Wochen-Frist für sofortige Beschwerde gegen Kostenfestsetzungsbeschluss . . . 154OLG Jena:Zur Durchsuchung von Behördenräumen und Beschlagnahme von amtlichen Schriftstücken nach Anklageerhebung (Ls.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

� 04 Verwaltungsrecht

BVerwG:Zu Widerruf und Rücknahme von Asylaner-kennungen (Renner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155BVerwG:Zum Restitutionsausschluss nach § 4 Abs. 2 VermG, wenn Erblasser bei Zuteilung eines Bodenreformgrundstücks redlich gewesen ist . . . . 156BVerwG:Zur wirksamen Antragstellung nach §§ 30 f. VermG (Ls.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159BVerwG:Einbeziehung eines sanierungsbedürftigen Gebiets in städtebauliche Entwicklungs-maßnahme (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159BVerwG:Nichtberücksichtigung von Ausbildungs- und anderen Vorzeiten, die Beamter in der DDR zurückgelegt hat, als ruhegehaltfähige Dienstzeit verfassungsgemäß (Ls.). . . . . . . . . . . . . . . 159OVG Magdeburg:Zur Berücksichtigung eines schwerbehinderten Bewerbers im Rahmen einer Konkurrentenklage (Theben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159OVG Greifswald:Keine Baugenehmigungsfiktion bei unvollstän-digen Bauunterlagen (Otto). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

� 05 Arbeitsrecht

BAG:Zum Begriff der Befähigungsvoraussetzungen in § 4 der 2. BesÜV (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162BAG:Fristlose Kündigung und personalvertretungs-rechtliches Mitbestimmungsverfahren (Ls.) . . . . . . 162BAG:Zum Versorgungs-Verschaffungsanspruch nach Austritt aus einer kommunalen Zusatz-versorgungskasse (Lakies). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162LAG Berlin:Gleichheitswidrige Vergütungsregelung für Mitarbeiter aus alten und neuen Ländern in einer Betriebsvereinbarung (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . 164

� 06 Sozialrecht

BSG:Zur Bemessung von Anschluss-Arbeitslosenhilfe (Lauterbach) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164BSG:Umwertung der Rentenleistungen im Beitritts-gebiet sowie Nichtdynamisierung und Abschmel-zung des Auffüllbetrags verfassungsgemäß . . . . . . 165

Termine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IIIAktuelle Buchumschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IIIZeitschriftenübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

Beilagenhinweis: Dieser Ausgabe liegt ein Prospektder Nomos Verlagsgesellschaft bei. Wir bittenfreundlichst um Beachtung.

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IIINeue Justiz 3/2001

TERMINEDas Bundesarbeitsgericht und der Deutsche Arbeitgeberverbandveranstalten am 10. und 11. Mai 2001 in Erfurt zum dritten Mal das

»Europarechtliche Symposion beim Bundesarbeitsgericht«.Es werden folgende Themen behandelt:• Betriebliche Arbeitnehmervertretung insbesondere im Europäischen

Recht (Ref.: Prof. Dr. Jean-Fritz Stöckli, Universität Basel; RinBAGIngrid Schmidt)

• Aktuelle arbeitsrechtliche Fragen in der Rechtsprechung des EuGH(Ref.: Generalanwalt Siegbert Alber, Brüssel)

• Zur Umsetzung der Nachweis-Richtlinie in nationales Recht (Ref.:Prof. Dr. Tore Sigeman, Universität Uppsala; RiBAG Dr. Rudi Müller-Glöge)

Tagungsort: Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuß-Platz 1, 99084 ErfurtTagungsbeitrag: 300 DM (einschl. Tagungsunterlagen, Mittagsimbissu. Pausengetränke)Anmeldung: Die Teilnehmerzahl ist begrenzt. Anmeldeunterlagenkönnen bis zum 15.3.2001 unter dem Stichwort »EuroparechtlichesSymposion beim Bundesarbeitsgericht« angefordert werden bei Kon-greß- und Kulturmanagement GmbH, Postfach 3664, 99407 Weimar.Tel.: (03643) 24 68-0, Fax: (03643) 24 68-31, E-mail: [email protected] Weitere Informationen: unter www.kukm.de/bag-symposion2001

*Die Evangelische Akademie zu Berlin veranstaltet von März bis Juni2001 u.a. folgende Tagungen:

»Einsatz für den Frieden«Erfahrungen mit Friedensdiensten, ziviler Konfliktbearbeitung undmilitärischem Beitrag. Veranstaltung in Zusammenarbeit mit AktionSühnezeichen/Friedensdienste e.V. und Aktionsgemeinschaft Dienstefür den Frieden e.V.Termin: 9. bis 11. März 2001Tagungsort: Diakonische Akademie, Berlin-Pankow

»Spaltet uns die europäische Integration?Die EU-Osterweiterung zwischen Euphorie und Verlustängsten«

Termin: 30. März bis 1. April 2001Tagungsort: Adam-von-Trott-Haus in Schwanenwerder

»Vom Traum zum TraumaDer Prager Frühling und die 68er Linke«

Termin: 9. April 2001Tagungsort: Französische Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt

»Zusammen in getrennten Welten?Zur Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund«

Termin: 9. bis 10. April 2001Tagungsort: Adam-von-Trott-Haus in Schwanenwerder

»Betonierte TeilungDie Mauer, das Grenzregime und seine Folgen«

Tagung zum 40. Jahrestag des Mauerbaus in Zusammenarbeit mit demUnabhängigen Historiker-VerbandTermin: 4. bis 6. Mai 2001Tagungsort: Adam-von-Trott-Haus in Schwanenwerder

»50 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention«Zusammen mit UNHCR, Pro Asyl und Amnesty InternationalTermin: 25. bis 26. Juni 2001Tagungsort: Französische Friedrichstadtkirche am GendarmenmarktAnmeldung und weitere Informationen: Evangelische Akademie zu Berlin,Charlottenstr. 53/54, 10117 Berlin. Tel.: (030) 203 55-500, Fax: (030)203 55-550, e-mail: [email protected]; Internet: www.eaberlin.de

*Juristische Seminare in Berlin bietet im März 2001 folgende Semi-nare an:

»Lehrgang zum Zwangsvollstreckungsrecht« (Block I: Mobiliarvollstreckung, Kurs 1: Vollstreckungsvorbereitung,

Sachpfändung und Offenbarungsversicherung)Referent: Prof. Johannes Behr, BerlinTermin: 19./20.3.2001

»Lehrgang zum Grundstücks- und Grundbuchrecht« (einschl. Zwangsvollstreckung im Grundbuch)

Kurs 1: GrundkursReferent: Prof. Roland Böttcher, BerlinTermin: 26.3.2001Tagungsort: jeweils Hotel SteigenbergerWeitere Informationen: Juristische Seminare in Berlin, Rackebüllerweg2 B, 12305 Berlin. Tel. u. Fax: (030) 743 19 36, e-mail: [email protected]; Internet: www.behr-seminare.de

AKTUELLE BUCHUMSCHAUErnst ReußBerliner JustizgeschichteEine rechtstatsächliche Untersuchung zum strafrechtlichen Justiz-alltag in Berlin von 1945-1952, dargestellt anhand der Strafgerichts-barkeit des Amtsgerichts Berlin-MitteBerlin Verlag Arno Spitz, Berlin 2000435 S., kart., 89,– DM. ISBN 3-8305-0129-3Die Arbeit vermittelt ein lebendiges, illustrierendes Bild der Nachkriegs-zeit und zeigt, in welchem politischen Spannungsfeld der Neuaufbaustattfand. Die Aufarbeitung der Justizgeschichte, und dabei insbeson-dere die Rolle der Ostberliner Justiz nach der Spaltung, trägt zu einemrechtshistorisch und rechtssoziologisch geprägten Bild der Problemeund Nöte der Justiz und der Bevölkerung in den ersten Nachkriegsjah-ren bei und gewährt spezifische Einblicke in die Entstehung eines neuenRechts- und Gesellschaftssystems.

Nils-Eberhard SchrammDie Vereinigung demokratischer Juristen (1949-1999)Peter Lang Verlag, Frankfurt/M. u.a. 2000405 S., brosch., 118,– DM. ISBN 3-631-36220-XDer Autor untersucht die Tätigkeit der Juristenvereinigung als einestaatlich gelenkte Massenorganisation in der DDR. Die Darstellung derverschiedenen Arbeitsfelder erfolgt getrennt nach den nationalen,westdeutschen und internationalen Aufgaben der Vereinigung. Zudemwerden die organisatorischen Mängel aufgezeigt, an denen die Umset-zung der Arbeitsprogramme zumeist scheiterten. Ein Personenregisterenthält Angaben zu den führenden Mitgliedern und eine Bibliographieliefert die Übersicht über sämtliche Zeitschriften und Broschüren, diedie Vereinigung herausgegeben hat.

Wolfram WaldnerDer Anspruch auf rechtliches GehörVerlag Dr. Otto Schmidt, 2., neu bearb. Aufl., Köln 2000249 S., brosch., 118,– DM. ISBN 3-504-65306-XElf Jahre nach dem Erscheinen der 1. Auflage ist die praktische Tragweitevon Fragen des rechtlichen Gehörs eher noch größer geworden. Nach-dem beim BVerfG jetzt fast alle Entscheidungen zu Verfassungsbeschwer-den wegen Gehörsverletzung von den Kammern getroffen werden, istdie Rechtsprechung verzweigter und unberechenbarer geworden. DieNeubearbeitung informiert über die bereits entschiedenen Fragen, stelltdie Entscheidungen in einen größeren systematischen Rahmen und gibtdamit Argumentationshilfen auch für neue Fragestellungen.

René MoosMietrechtC. F. Müller Verlag, Heidelberg 2000351 S., kart., 88,– DM. ISBN 3-8114-9799-5Der in der Reihe »Tipps und Taktik« erschienene Band vermittelt einenvollständigen Überblick über die praktischen und relevanten Fragender anwaltlichen Beratung im Wohnraum- und gewerblichen Miet-recht. Orientiert an einem Formular-Mietvertrag werden die wesent-lichen Probleme anschaulich dargestellt und aufgearbeitet. Tipps undFormulierungsvorschläge für Schriftsätze und Vertragsmuster erleich-tern das Bearbeiten von mietrechtlichen Mandaten. Ein besondererSchwerpunkt der Darstellung liegt auf den »klassischen« Mietrechts-streitigkeiten wie Mieterhöhung, Kündigungsgrund und Schönheits-reparaturen.

Herbert Krumscheid/Finn ZwißlerMietrechtWohnraum und Gewerberaum. Schriftsätze • Verträge • ErläuterungenDeutscher Anwaltverlag, Bonn 2000434 S., geb., einschl. CD-ROM mit Mustern, 148,– DMISBN 3-8240-0326-0Der Benutzer findet in diesem Formularbuch für jedes Stadium seinesMandats die rechtlichen Grundlagen sowie zahlreiche Muster, Check-listen und Übersichten. Für alle Standardfälle des Mietrechts sindLösungen enthalten, aber auch für die Bearbeitung von Einzelfallkon-stellationen findet man hilfreiche Anregungen und Musterformularezur erfolgreichen Beratung und Prozessvertretung. Die Musterfor-mulare können von der CD-ROM übernommen und entsprechendindividualisiert werden. Die Autoren berücksichtigen dabei sowohl dieSicht des Mieters als auch die des Vermieters.

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Neue Justiz 3/2001IV

Christian BalzerBeweisaufnahme und Beweiswürdigung im ZivilprozessEine systematische Darstellung und Anleitung für die gerichtlicheund anwaltliche PraxisErich Schmidt Verlag, Bielefeld 2001235 S., kart., 68,– DM. ISBN 3-503-05953-9Der Autor arbeitet nach den Prinzipien der Relationstechnik dieBeweisbedürftigkeit im Bereich der Sachentscheidung und der pro-zessualen Sachentscheidungsvoraussetzungen heraus. Ausführlichwerden alle Beweismittel und ihre Ausschöpfung im Beweisverfahrenbehandelt. Die Kriterien der Beweiswürdigung werden in einer ArtCheckliste geordnet zusammengestellt. Abgerundet wird die Dar-stellung durch Kapitel über Beweisprobleme im Urkundenprozess, imBerufungsrechtszug und im Schiedsgerichtsverfahren sowie überdas selbständige Beweisverfahren und die Beweisaufnahme im Aus-land.

Bruno RimmelspacherFunktion und Ausgestaltung des Berufungsverfahrens im ZivilprozeßEine rechtstatsächliche UntersuchungBundesanzeiger Verlag, Köln 2000240 S., geb., 94,– DMISBN 3-88784-999-XDie vom BMJ in Auftrag gegebene Studie untersucht, aus welchenGründen Berufungen eingelegt werden, ob diese Gründe eher auftatsächlicher oder auf rechtlicher Ebene liegen und welche Konse-quenzen aus ihnen für Ablauf und Ergebnis des Berufungsverfahrenserwachsen. Gegenstand der Untersuchung waren gut 1.000 landge-richtliche und oberlandesgerichtliche Berufungsverfahren in gewöhn-lichen Zivilsachen. Das Werk enthält zahlreiche Grafiken, die die Ergeb-nisse der Studie veranschaulichen.

Sigurd LittbarskiAllgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflicht-versicherung (AHB)Verlag C. H. Beck, München 2001699 S., in Leinen, 118,– DM. ISBN 3-406-46150-6Der neue Handkommentar erläutert die Vorschriften der AHB syste-matisch auf der Basis der letzten Fassung von März 1999. Er zeigt dieInterdependenzen zwischen den Vorschriften der AHB und denen derProdukthaftpflichtversicherung auf und liefert insbesondere weiter-führende Lösungen für den Praktiker. Themen des Kommentars sindu.a. Versicherungsschutz, Versicherungsfall und Versicherungsver-hältnis.

Helmut Vordermayer/Bernd v. Heintschel-Heinegg (Hrsg.)Handbuch für den StaatsanwaltHermann Luchterhand Verlag, Neuwied 2000800 S., geb., 190,– DMISBN 3-472-03654-0Das Werk bietet eine praxisorientierte Darstellung staatsanwaltlicherTätigkeit. Es beschränkt sich nicht nur auf rechtliche Fragen zumErmittlungs- und Vollstreckungsverfahren, sondern behandelt u.a.auch praktische Themen wie Tatortarbeit und Fahndung. ZahlreicheMustervordrucke und Formulare, die bereits als Textbausteine in eini-gen Bundesländern der Staatsanwaltschaft zugänglich sind, bringenspürbare Arbeitserleichterung und Zeitersparnis für die tägliche Arbeitdes Staatsanwalts. Insbesondere den Fachanwälten im Strafrecht willdie Darstellung einen Einblick in das staatsanwaltliche Denken undArbeiten geben.

Michael Hettinger (Hrsg.)Reform des SanktionenrechtsBand 1: Alkohol als Strafmilderungsgrund • Vollrausch • Actio libera incausaNomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2001319 S., geb., 98.,– DMISBN 3-7890-7068-8Inwieweit ist das strafrechtliche Sanktionensystem den gewandeltengesellschaftlichen, technischen und kriminalpolitischen Rahmen-bedingungen anzupassen? Der Band enthält zu dieser FragestellungReferate von Sachverständigen sowie einen Auszug aus dem Abschluss-bericht der von der früheren Bundesregierung eingesetzten Reform-kommission. Band 2 (»Einführung der Einheitsstrafe«) erscheint imFrühj. 2001.

Lars GerkeDie Anwendung des § 339 StGB auf Rechtsbeugungen in der DDRReflexionen zum Rechtsgut der RechtsbeugungPeter Lang Verlag, Frankfurt/M. u.a. 2000216 S., brosch., 69,– DM. ISBN 3-631-36541-1Innerhalb der Problematik, ob das Strafanwendungsrecht einer Ver-folgung von DDR-Richtern und -Staatsanwälten entgegensteht,erlangt der Inhalt des Schutzguts der Rechtsbeugung entscheidendeBedeutung. Die Situation nach der Wiedervereinigung nimmt dieseArbeit zum Anlass, überkommene Ansichten zum Rechtsgut derRechtsbeugung kritisch zu überdenken. Vor allem wird der Schutz dersubjektiven Rechte des Einzelnen als eine Komponente dieses Schutz-guts in den Mittelpunkt gerückt.

Martin WolmerathMobbing im BetriebRechtsansprüche und deren DurchsetzbarkeitNomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2001378 S., geb., 78,– DMISBN 3-7890-7066-1Neben einer ausführlichen Darstellung der Problematik wird »Mob-bing« in leicht verständlicher Form einer ausführlichen juristischenBetrachtung unterzogen. Entwürfe für eine Betriebs- bzw. Dienstver-einbarung, einen Tarifvertrag sowie für einen Gesetzentwurf zeigenLösungsansätze für die betriebliche Praxis auf. Im Anhang dokumen-tierte Betriebs- und Dienstvereinbarungen verdeutlichen, was bereitszur Bekämpfung von »Mobbing« unternommen wurde.

Udo Geiger/Dieter HummelArbeitsförderungsrecht/SGB IIIArbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und InsolvenzgeldBund-Verlag, Frankfurt/M. 2000160 S., kart., 49,90 DM. ISBN 3-7663-2997-9In ihrem Handbuch aus der neuen Reihe »Anwaltliche Beratungs-praxis« erläutern die Autoren die wichtigsten Leistungen bei Arbeits-losigkeit. Sie zeigen fallbezogen, welche Anspruchsvoraussetzungen esbei Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Sperrzeit und Insolvenzgeldgibt und wie sich diese berechnen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt beider beruflichen Aus- und Weiterbildung und den Förderungsvoraus-setzungen. Prüfungsschemata, konkrete Anweisungen zur Fallbearbei-tung sowie der Abdruck der wichtigsten Verordnungen und Anord-nungen der Bundesanstalt für Arbeit zu diesem Thema erleichtern dieArbeit.

Weitere Neuerscheinungen:

Jahrbuch Extremismus & Demokratie (E & D)12. Jahrgang 2000. Hrsg. von Uwe Backes u. Eckhard Jesse. Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2001. 592 S., geb., 76,– DM. ISBN 3-7890-6979-5

Das JugendrechtshausOrientierungsfälle für junge Menschen in der sozialen Stadt des 21. Jahr-hunderts. Hrsg. von Sigrun von Hasseln. Verlag Recht und Gesellschaft,Berlin 2000. 340 S., brosch., 29,50 DM. ISBN 3-8311-0402-6.

Gnade vor Recht oder gnadenlos gerecht?Amnestie, Gerechtigkeit und Gnade im Rechtsstaat. Loccumer Proto-kolle 62/99. Rehburg-Loccum 2000, 181 S., brosch., 18,– DM.ISBN 3-8172-6299-X.

Der besatzungsrechtliche und -hoheitliche Vermögenszugriffin der SBZRechts- und Tatsachenprobleme am Beispiel Sachsen-Anhalts. VonPeter Armbrust. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2001242 S., brosch., 78,– DM. ISBN 3-7890-6889-6

InsolvenzordnungKommentar. Von Jörg Nerlich u. Volker Römermann. Loseblattwerk.2. Erg.-Lfg. (Stand: Nov. 2000). Verlag C. H. Beck, München 2001. 440 S.,92,– DM. ISBN 3-406-47096-3

(ausführliche Rezensionen bleiben vorbehalten)

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Chefredakteurin:Rechtsanwältin Adelhaid BrandtAnschrift der Redaktion:Anklamer Straße 32 • 10115 Berlin • Tel. (030) 4427872/73 • Fax (030) 4425314 • e-mail: [email protected]

Neue JustizZeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung

Neue JustizZeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung

113Neue Justiz 3/2001

Mit der 1999 in Kraft getretenen Neufassung des Gesetzes gegen Wett-bewerbsbeschränkungen (GWB) wurden die Länder ermächtigt, aufGrundlage entsprechender landesgesetzlicher Vorschriften bei Vergabeöffentlicher Aufträge von den Unternehmen Tariftreueerklärungen zuverlangen. Nach einem Vorlagebeschluss des BGH zum Berliner VergabeGbestehen derzeit Unsicherheiten über diese Rechtsgrundlage. Die Autorinbehandelt im Folgenden die Entstehungsgeschichte des umstrittenen § 97Abs. 4 2. Halbsatz GWB, die sich daraus ergebenden Regelungskompeten-zen der Länder und die europarechtlichen Vorgaben.

I. Vorbemerkung

Am 1.2.2001 ist die VO über die Vergabe öffentlicher Aufträge(Vergabeverordnung – VgV)1 in Kraft getreten. Der Bundesrat hattezuvor der von der Bundesregierung aufgrund der §§ 97 Abs. 6, 127GWB beschlossenen VgV mit Änderungswünschen zugestimmt.2

Für öffentliche Aufträge im Anwendungsbereich des GWB sind soneben dem GWB und der VgV auch die Verdingungsordnungen3 zuberücksichtigen.

Der Bundesrat beschloss außerdem am 21.12.2000, beim Bundestagden Entwurf eines Gesetzes für Tariftreueerklärungen einzubringen.4

Beide Bundesrat-Beschlüsse verdeutlichen erneut das Interesse derLänder, an der Gestaltung des Vergaberechts mitzuwirken, indem aufdie verfassungsrechtlich verankerten Mitwirkungsrechte der Länderaufmerksam gemacht wird. Die Bundesregierung hat jetzt beschlossen,den Gesetzentwurf des Bundesrats zur Tariftreue aufzugreifen, wonachkünftig nur noch Unternehmen öffentliche Aufträge erhalten, dieihren Arbeitnehmern Tariflöhne zahlen.

Mit dem Gesetzentwurf für Tariftreueerklärung ist zum Thema mög-licher Sekundärzwecke5 des Vergaberechts ein neues Kapitel aufge-schlagen worden. Bund und Länder verwenden seit langem struktur-oder sozialpolitisch begründete Vergabekriterien.6 Die rechtlicheZulässigkeit ist umstritten.7 Durch weitgehend nicht gegebenen Rechts-

schutz für unterlegene Bieter fehlt bisher auch fast völlig die rechtlicheDurchdringung durch gerichtliche Entscheidungen.8 Wie zu erwartenwar, beginnt sich die dogmatische Struktur des Vergaberechts zuklären, seitdem die beteiligten Unternehmen einen einklagbarenAnspruch haben. Der Vorlagebeschluss des BGH v. 18.1.20009 dürftederzeit das bekannteste Beispiel sein. Dem Verfahren lag zugrunde,dass das Land Berlin bei der Vergabe von Straßenbauaufträgen von denBietern die Abgabe sog. Tariftreueerklärungen verlangte, in denen sichdie Auftragnehmer verpflichten mussten, bei Auftragserteilung dieArbeitnehmer nicht unter den geltenden Berliner Lohntarifen zu ent-lohnen. Der BGH hält die durch das Berliner VergabeG sanktioniertePraxis für kartellrechts- und verfassungswidrig; er möchte vom BVerfGwissen, ob die Berliner Tariftreueregelung mit der Verfassung verein-

Sozialpolitische Kriterien in landesgesetzlichenVergabevorschriftenProf. Dr. Ursula Rust, Universität Bremen

30155. Jahrgang • Seiten 113-168

1 V. 9.1.2001 (BGBl. I S. 110).2 BR-Drucks. 455/00 (Beschluss).3 VerdingungsO für Bauleistungen (VOB 2000), VerdingungsO für freiberufliche

Leistungen (VOF 2000) und VerdingungsO für Leistungen (VOL 2000). Die Ver-dingungsordnungen werden von dem 1947 gegründeten Deutschen Verdingungs-ausschuss für Bauleistungen bzw. dem 1974 gegründeten Verdingungsausschussfür Leistungen vorbereitet und vom Bundesminister für Wirtschaft im Bundes-anzeiger veröffentlicht. Sie erhalten ihre rechtliche Verbindlichkeit mit Verwei-sungsnormen, die den Vergabestellen vorschreiben, die Verdingungsordnungenanzuwenden. Eine solche Vorgabe ist seit langem Bestandteil des Haushaltsrechtsund ist jetzt Gegenstand der VgV.

4 BR-Drucks. 438/00 (Beschluss).5 Die in Lit. und Vergabepraxis verwendeten Begriffe wie vergabe- oder beschaf-

fungsfremd bezeichnen i.d.R. nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine– teils vehement formulierte – inhaltliche Distanz, dazu näher Rust, EuZW 2000,205 f. Strukturell ist der Begriff des Sekundärzwecks hingegen geeignet, ohneinhaltliche Bewertung zu verdeutlichen, dass es sich nicht um eine Frage desPrimärzwecks jedes öffentlichen Auftrags handelt, eine preisgünstige und wirt-schaftliche Leistung oder Lieferung zu erhalten, sondern dass ein zusätzlicher,von der Leistung oder Lieferung unabhängiger Zweck verfolgt wird, dazuCh. Benedict, Sekundärzwecke im Vergabeverfahren, 2000.

6 Überblick u.a. Hailbronner, in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 97 Rn 175.7 Aktueller Überblick Benedict, »Vergabefremde« Aspekte nach Beentjes und Nord-

Pas-de.Calais, NJW 2001, im Ersch.; Ch. Tobler, E.L.Rev. 2000, 618; Burgi, Vergabe-fremde Zwecke und Verfassungsrecht, NZBau 2001, 64; Ziekow, NZBau 2001, 7.

8 Pietzcker, Die neue Gestalt des Vergaberechts, ZHR 162 (1998), 427 (430 f). 9 BGH, NZBau 2000, 189 = NJ 2000, 486 (bearb. v. Bultmann).

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bar ist. Unter anderem erachtet der BGH § 97 Abs. 4 2. Halbsatz GWBnicht als ausreichende Ermächtigung für das Land Berlin, bei der Ver-gabe öffentlicher Bauaufträge eine Tariftreueerklärung zu fordern.

Dieser Beschluss ist Anlass für die jetzige Gesetzgebungsinitiativedes Bundesrats (näher unter III.).

Zeitlich parallel ist auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaftein für die Verfolgung sekundärer Zwecke im Vergaberecht bedeut-sames Urteil des EuGH ergangen.10 Die Entscheidung ist auch imHinblick darauf von Interesse, dass derzeit die Vorschläge der Europä-ischen Kommission zur Novellierung der EG-Vergaberichtlinien11

beraten werden (siehe IV.).

II. Zur Entstehungsgeschichte von § 97 Abs. 4 2. Halbsatz GWB

Nach Wertung des BGH bezieht sich § 97 Abs. 4 2. Halbsatz GWB als»die Gesetz gewordene Kompromissformel allein auf die Form, diefür eine derartige Regelung einzuhalten war«; es sei auszuschließen,»dass den Ländern für die Festlegung vergabefremder Kriterien eineumfassende Gesetzgebungskompetenz zugebilligt werden sollte«.12

Die Entstehungsgeschichte zeigt hinsichtlich des von den Ländernverfolgten Anliegens ein anderes Bild.

§ 97 Abs. 4 gehört zu dem durch das VergaberechtsänderungsG(VgRÄG)13 eingeführten vergaberechtlichen 4. Teil des GWB.14 Der4. Teil ist eine in sich geschlossene Regelung u.a. mit der Definitionder Adressaten, der Bestimmung wesentlicher materieller Grundlagen,den Verordnungsermächtigungen, der Regelung der Rechtsfolgen beiNichtbeachtung und des Beschwerdeverfahrens. Im Rahmen des GWBist so für Aufträge im Anwendungsbereich der Vergaberichtliniender Europäischen Gemeinschaft ein eigenständiges Vergaberechtentstanden.

Zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf für einVgRÄG hatte der Bundesrat zu § 97 Abs. 4 (damals § 106 Abs. 3) GWBzwei Änderungen vorgeschlagen:

• Die eine betraf den Inhalt möglicher vom GWB abweichender Rege-lungen über die Eignung von Unternehmen. Die Bundesregierung wollte»weitergehende« Anforderungen zulassen. Der Bundesrat sprach sich für»andere oder weitergehende« Anforderungen aus und setzte sich indiesem Punkt durch, da die Bundesregierung den Vorschlag aufgriff unddies jetzt so in § 97 Abs. 4 2. Halbsatz GWB geregelt ist.15

• Die zweite vorgeschlagene Änderung hinsichtlich der landesrechtlichenHandlungsmöglichkeit konnte sich erst im Vermittlungsausschussdurchsetzen. Die Bundesregierung hielt für »andere oder weitergehende«Anforderungen ein Bundesgesetz für erforderlich. Die Länder hingegenwollten solche Anforderungen auch durch Rechts- und Verwaltungs-vorschriften des Bundes und der Länder für zulässig erklären. In seinerBegründung wies der Bundesrat darauf hin, dass die Beschränkung aufBundesgesetze die z.T. auf Verwaltungsvorschriften beruhende Praxis derLänder unzulässig machen würde (insbes. die Tariftreueklausel). Es seideshalb eine Regelung entsprechend des § 2 Nr. 4 VOL/A Ausgabe 1997vorzuziehen, in der geregelt war, dass für die Berücksichtigung vonBewerbern, bei denen Umstände besonderer Art vorliegen, die jeweilshierüber erlassenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundesund der Länder maßgebend seien. Die dazu erfolgte Gegenäußerung derBundesregierung ist – im Gegensatz zu den Erwägungen des Bundesrats– wörtlich im Vorlagebeschluss des BGH wiedergegeben.16 Die Bundes-regierung hatte dem Vorschlag mit der Begründung widersprochen, beider eine Beteiligung der Länder ausschließenden Vorschrift handele essich um die »grundlegende und wichtigste Vorschrift des gesamtenEntwurfs« und »den materiellen Extrakt aller Bemühungen der EG undihrer Mitgliedstaaten um einen diskriminierungsfreien Wettbewerb undum mehr Wirtschaftlichkeit bei der Vergabe öffentlicher Aufträge«.

Nachdem der Bundestag im Sinne der Regierungsvorlage eine Öff-nung nur für Bundesgesetze vorgesehen hatte, wiederholten dieLänder im zweiten Durchgang ihren ursprünglichen Beschluss undriefen den Vermittlungsausschuss an. In der nun sehr viel eingehen-deren Begründung des Bundesrats wird noch deutlicher, in welchemUmfang die Länder für sich ihren bisherigen Handlungsspielraumsichern wollten.

Die Beschränkung auf Bundesgesetze hätte u.a. die Unzulässigkeitder von den Ländern teilweise durch Gesetz oder Verordnung, teil-weise durch Verwaltungsvorschrift eingeführten Regelungen zurFolge. Eine gesetzliche Öffnungsklausel, die etwa eine angemesseneBerücksichtigung von tarifvertragstreuen, ausbildenden und frauen-fördernden Betrieben möglich mache, sei erforderlich.17

§ 97 Abs. 4 2. Halbsatz GWB ist hierzu der eine Teil des im Vermitt-lungsausschuss gefundenen Kompromisses. Die Handlungsmöglich-keiten der Länder wurden bestätigt, sind jedoch vom Erlass eines förm-lichen Gesetzes abhängig. Inhaltliche Restriktionen für eine solchegesetzliche Regelung ergeben sich nicht aufgrund des GWB-Vergabe-rechts.18 Der 2. Halbsatz von § 97 Abs. 4 lautet nunmehr:

»andere oder weitergehende Anforderungen dürfen an Auftragnehmernur gestellt werden, wenn dies durch Bundes- oder Landesgesetze vor-gesehen ist.«

Der zweite Teil des Kompromisses im Vermittlungsausschuss betraf dieÜbergangs- und Schlussbestimmung des Art. 3 Nr. 5 VgRÄG: Bis zum30.6.2000 konnten landesrechtliche Verwaltungsvorschriften weiterverwendet werden.

Der Kompromiss zwischen Bund und Ländern lag somit darin,einerseits Verwaltungsvorschriften nur noch für eine Übergangszeit zuermöglichen und andererseits die anderen oder weitergehendenAnforderungen nicht nur durch Bundes-, sondern auch durch Landes-gesetz zuzulassen. Die prinzipielle Aufrechterhaltung der bisherigenPraxis der Länder war in diesem Rahmen weiterhin möglich.

Die Übergangsvorschrift des Art. 3 Nr. 5 VgRÄG hat noch eineweitere Bedeutung: Sie gibt Anhaltspunkte für die Auslegung des GWBhinsichtlich der Frage, ob der 4. Teil der GWB eigenständig das Ver-gaberecht regelt oder ob additiv die Regeln über marktbeherrschendeUnternehmen, und dabei insbesondere § 20 Abs. 1 GWB, anzuwendensind. Wenn durch Gesetzgebung des Bundes oder der Länder denöffentlichen Auftraggebern vorgegeben wird, bestimmte sozialpoliti-sche Zwecke bei der Vergabe zu verfolgen, wären sie bei einer additi-ven Anwendung der Regeln über marktbeherrschende Unternehmenin dem Moment nicht mehr verpflichtet, die sozialpolitischen Zweckezu beachten, in dem die öffentliche Hand bei der Vergabe eine markt-beherrschende Position als Nachfrager innehätte.

Nach Auffassung des BGH entspricht es nicht dem Verhaltens-modell eines marktbeherrschenden Unternehmens, solche Ziele oderZwecke zu verfolgen. Dies ist in zweifacher Hinsicht problematisch:Zum einen würde in dem Moment, in dem der öffentliche Auftrag-geber eine marktbeherrschende Stellung erreicht, dieser von der sozial-politischen Bindung befreit. Unter Gesichtspunkten der Gleich-behandlung von Unternehmen wäre dies höchst fragwürdig. Zumanderen hätte zu Art. 3 Nr. 5 VgRÄG bei marktbeherrschender Stellungüberhaupt kein Regelungsbedarf bestanden, wenn ohnehin andereoder weitergehende Anforderungen ihrerseits überhaupt nicht hättengestellt werden können. Sinnentleerte Vorschriften hat der Gesetz-geber mit dem GWB aber wohl kaum erlassen wollen.19

Aufsätze Rust , Soz ia lpol i t i sche Kr i ter ien in landesgesetz l i chen Vergabevorschr i f ten

10 EuGH, Urt. v. 26.9.2000 – Rs. C–225/98 (Nord-Pas-de-Calais), EuropäischesWirtschafts- und Steuerrecht (EWS) 2000, 509 = JZ 2001, 138 m. Anm. Dreher.

11 RL der europäischen Parlaments und des Rates über die Koordinierung derVerfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungs-, Liefer- und Bauaufträge(ABl. C 29E/11 v. 30.1.2001), RL des europäischen Parlaments und des Rates zurKoordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-,Energie- und Verkehrsversorgung (ABl. C 29E/112 v. 30.1.2001).

12 BGH (Fn 9), B. II. 1. der Gründe.13 V. 26.8.1998 (BGBl. I S. 2512).14 Bkm. der Neuf. v. 26.8.1998 (BGBl. I S. 2546).15 Stellungnahme des Bundesrats Nr. 3 zu Art. 1 (§ 106 Abs. 3 GWB) und Gegen-

äußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/9340, S. 35, 48.16 BGH (Fn 9), B. II. 1. der Gründe.17 BR-Drucks. 372/98 (Beschluss) Nr. 1 zu Art. 1 Nr. 1 (§ 106 Abs. 4 GWB).18 Andere Restriktionen, die sich insbes. aus dem Gebot, Bieter aus anderen Mit-

gliedstaaten der EG weder unmittelbar noch – und dies ist die entscheidendeAnforderung – mittelbar zu diskriminieren, sind aber relevant.

19 So auch BayObLG, BB 1999, 1893 (1895).

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III. Zur Regelungskompetenz der Länder

Seit In-Kraft-Treten des 4. Teils des GWB am 1.1.199920 haben dreiLänder Vergabegesetze zum Baubereich beschlossen.21 Landesgesetz-liche Grundlagen gab es bereits zuvor zur Frauenförderung in Unter-nehmen in Berlin, Brandenburg, im Saarland, in Sachsen-Anhalt undThüringen.22 Für Berlin ist § 13 LGG erst nach In-Kraft-Treten des GWBverändert und die für die Durchführung erforderliche Rechtsverord-nung erlassen worden.23

Es sind damit vor und nach In-Kraft-Treten des GWB einige Länderdavon ausgegangen, der Inhalt »anderer oder weitergehender Anfor-derungen«, die an die Eignung von Unternehmen zu stellen sind, liegein ihrer Entscheidungskompetenz, solange keine bundesrechtlicheRegelung bestehe. Hieran mussten nach dem Vorlagebeschluss desBGH v. 18.1.2000 Zweifel entstehen. Denn der BGH stellt nicht nur dieFrage einer Vereinbarkeit mit Art. 9 Abs. 3 GG wegen eines möglichenVerstoßes gegen die negative Koalitionsfreiheit,24 sondern grundsätz-lich die Regelungskompetenz des Landes in Frage.

Der Gesetzentwurf des Bundesrats für Tariftreueerklärungen greiftden Teilaspekt der Tariftreue auf. Er basiert auf einem Antrag desFreistaates Bayern vom Juli 2000.25 Ziel des Gesetzentwurfs ist, durch§ 5a TVG klarzustellen, dass der Landesgesetzgeber bestimmen kann,Bauaufträge dürften von öffentlichen Auftraggebern nur an Unter-nehmen vergeben werden, die eine Tariftreueerklärung abgeben.Die Länder betonen in ihrem Antrag ausdrücklich, dass es sich hierbeilediglich um eine Klarstellung einer bereits bestehenden Ermächti-gung für landesgesetzliche Vorschriften handelt.

Die Länderkammer nimmt mit dem Gesetzesantrag zutreffendBezug auf die Entstehungsgeschichte des GWB-Vergaberechts. DasGWB-Vergaberecht hat die Frage anderer oder weitergehender Anfor-derungen nicht eigenständig durch bundeseinheitliche Regelunggeklärt, sondern die in der Vergangenheit auch übliche Regelungs-kompetenz des Bundes bzw. der Länder bestätigt. Hierfür ist einegesetzliche Grundlage erforderlich geworden.

Die für die Bauwirtschaft und hinsichtlich der Frauenförderung inder privaten Wirtschaft26 bestehenden landesgesetzlichen Vorschrif-ten zum Vergaberecht stellen derzeit Anforderungen an die Eignungvon Unternehmen.

Bundesgesetzliche Vorschriften zum Vergaberecht sind in mehrerenGesetzen zu finden. Sie stellen derzeit allerdings keine Anforderungenan die für die Frage des Zuschlags entscheidende Eignung des Unter-nehmens. Geregelt wird vielmehr der für mögliche künftige Verträgerelevante Ausschluss von Unternehmen. Als Gründe hierfür sind gem.§ 6 ArbeitnehmerentsendeG vorsätzliche oder fahrlässige Verstößegegen dieses Gesetz vorgesehen. Unternehmen können dann für eineangemessene Zeit von einer Teilnahme an einem Wettbewerb umeinen öffentlichen Auftrag iSv § 98 GWB ausgeschlossen werden.27

Bei § 56 SchwerbehindertenG, dessen Begrifflichkeit noch nicht denmit dem GWB-Vergaberecht entwickelten Definitionen entspricht,spricht der Wortlaut eher dafür, dass es sich nicht um ein Zuschlags-kriterium handelt, sondern nur die Information über das Angebotgeregelt ist. § 262 SGB III hingegen ist nicht dem Bereich des Vergabe-rechts zuzuordnen, sondern stellt eine beihilferechtliche relevanteVorschrift dar.

Sowohl für die Landes- als auch für die Bundesebene sind vereinzeltweitere Regelungen zu Sekundärzwecken der öffentlichen Auftrags-vergabe in der Diskussion. So ist auf Länderebene u.a. ein Gesetzent-wurf zum Bereich der Frauenförderung (allerdings nicht von der Lan-desregierung) eingebracht worden.28 Weitere Vorhaben zur Tariftreueund der Bereitstellung von Ausbildungsplätzen sind von mehrerenLandesregierungen im Hinblick auf die zum Vorlagebeschluss des BGHausstehende Entscheidung der BVerfG zurückgestellt worden. Für denBund wurde von der Bundesregierung ein Gesetz zur Bekämpfungillegaler Praktiken angekündigt, das auch vergaberechtliche Vorschrif-

ten enthalten dürfte, sowie ein Gesetz zur Frauenförderung in derPrivatwirtschaft.

Rechtspolitisch spricht viel dafür, derzeit dem Bund und denLändern jeweils für die von ihnen vergebenen Aufträge die Entschei-dung zu überlassen, ob sekundäre Zwecke zu beachten sind. Wennsekundäre Zwecke wirtschaftliche Aufwendungen der Bieter zur Folgehaben, trägt hierfür der Auftraggeber letztlich die Kosten über höherePreise selber. Ob dies aus Sicht eines Landes oder für den Bund gesamt-ökonomisch günstiger ist als eine für alle Unternehmen verbindlicheAnforderung oder die Nichtregelung, sollte von den »Kostenträgern«entschieden werden. Zwar würde so eine Vielfalt an Landes- undbundesgesetzlichen Vorgaben für Bieter zu beachten sein. Aber dieserscheint für das Vergaberecht als ein Rechtsgebiet gerechtfertigt,für das gerade erst der Wechsel vom Innenrecht zum auch bieter-schützenden Außenrecht stattgefunden hat. Zur Anwendung derunterschiedlichen gesetzlichen Regeln können so differenzierteErfahrungen gewonnen werden. Dabei werden sich – auch im Zugevon jetzt möglichen gerichtlichen Verfahren, die insbesondere vonunterlegenen Bietern angestrengt werden dürften – Standards ent-wickeln. Es entspräche einer modernen Gesetzgebungstechnik, hiernicht bereits von Anfang an mit bundesgesetzlichen Regeln tätig zuwerden. Die Gesetzgebungskompetenz dürfte hierfür zwar i.d.R. überArt. 74 Nr. 11 oder Nr. 14 GG bzw. für das Arbeitsrecht über Art. 74Nr. 12 GG gegeben sein, allerdings – und dies ist eine seit 1994 für dieLänder deutlich verbesserte Position – unter der Voraussetzung, dassdie Anforderungen nach Art. 72 Abs. 2 GG auch erfüllt sind.

IV. Europarechtliche Vorgaben zu § 97 Abs. 4 2. Halbsatz GWB

Vorhaben der Länder und des Bundes sind nur insoweit rechtlichzulässig, als sie die bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Bindungenbeachten. Hierzu sind derzeit zwei wesentliche Klärungen des recht-lichen Rahmens von Interesse:

– Der EuGH hat mit Urt. v. 26.9.200029 in der Rechtssache Nord-Pas-de-Calais die Entscheidung in der Rechtssache Bentjes aus dem Jahre 198830

bestätigt und entscheidende Auslegungsfragen geklärt.– Die von der Europäischen Kommission seit langem angekündigte Inter-

pretation der Bentjes-Entscheidung steht nach wie vor aus und könntedurch eine klarstellende Regelung in den Richtlinien des EuropäischenParlaments und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zurVergabe öffentlicher Dienstleistungs-, Liefer- und Bauaufträge sogarüberholt werden.

Der EuGH hat in der Rs. Nord-Pas-de-Calais festgestellt, dass Zusatz-kriterien auch im Bereich der Zuschlagkriterien der öffentlichenAuftragsvergabe möglich sind. Diese Entscheidung des sog. KleinenPlenums

• bestätigt die zwölf Jahre zurückliegende Kammerentscheidung in derRs. Beentjes, wonach die Bestimmungen der Vergaberichtlinien nichtabschließend sind,

• geht aber über diese Entscheidung hinaus, indem jetzt festgestellt wird,dass Zusatzkriterien auch als Zuschlagskriterien möglich sind.

Rust , Soz ia lpol i t i sche Kr i ter ien in landesgesetz l i chen Vergabevorschr i f ten

20 Zu den bestehenden Verwaltungsvorschriften siehe Rust, in: FS Däubler, 1999,S. 900 ff.

21 BlnVergabeG v. 9.7.1999 (GVBl. S. 369); Bayer. Bauaufträge-VergabeG v.28.6.2000 (GVBl. S. 364); Saarl. Bauaufträge-VergabeG v. 28.8.2000 (ABl. S. 1846).

22 § 14 BbgLGG v. 4.7.1994 (GVBl. I S. 254) iVm FrauFöV v. 25.4.1996 (GVBl. IIS. 354); § 27 SaarlLGG v. 24.4.1996 (ABl. S. 161); § 20a FrFGSA idF v. 27.5.1997(GVBl. S. 745); § 22 ThürGleichG v. 3.11.1998 (GVBl. S. 309).

23 § 13 BlnLGG idF v. 16.6.1999 (GVBl. S. 341) iVm FFV v. 23.8.1999 (GVBl. S. 498).24 BGH (Fn 9); siehe auch Däubler, ZIP 2000, 681 (686).25 BR-Drucks. 438/00 v. 26.7.2000.26 Ausnahme: in Thüringen gibt es eine Handlungspflicht der Vergabestelle. 27 Eine entsprechende Regelung trifft § 5 Ges. zur Bekämpfung der Schwarzarbeit.28 Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen des Landtags Rheinland-Pfalz v.

14.9.1999, LT-Drucks. 13/4666. 29 EuGH (Fn 10).30 EuGH, Slg. 1988, 4635.

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Zwei Anforderungen müssen nach der Rechtsprechung des EuGHsozialpolitische Kriterien als Eignungs- oder Zuschlagskriterien dabeierfüllen: Sie müssen nach Maßgabe aller Verfahrensvorschriften unddabei insbesondere der Publizitätsvorschriften angewendet werden,und sie müssen die wesentlichen Grundsätze des Gemeinschafts-rechts, vor allem das Diskriminierungsverbot beachten.

Generalanwalt Siegbert Albert 31 und die Europäische Kommissionhatten versucht, Eignungs- und Zuschlagskriterien von der Möglich-keit der Verbindung mit zusätzlichen Bedingungen »frei« zu halten.Sie wollten die besondere zusätzliche Bedingung vom Vergabeverfah-ren trennen und sahen diese als nachgeschaltete Auftragsbedingung– und nur dort – als zulässig an. Der EuGH lehnt diese Auffassung inseinem Urteil ausdrücklich ab. Die zusätzlichen Kriterien könnenbereits im Vergabeverfahren verwendet werden.32

Den beiden Entscheidungen des EuGH lag jeweils folgender Sach-verhalt zugrunde:

In der Rs. Nord-Pas-de-Calais hatte die französische Republik verschie-dene öffentliche Bauaufträge zum Bau und zur Unterhaltung von Schul-gebäuden durch die Region Nord-Pas-de-Calais vergeben. 1993 wurde dieEuropäische Kommission durch die Beschwerde eines ausgeschiedenenBieters auf ein Vergabeverfahren aufmerksam. Es betraf die Errichtungeines Mehrzweckgymnasiums in Wingles in der Region Pas-de-Calais. DieKommission beanstandete im Hinblick auf diese Ausschreibung u.a. dieZuschlagskriterien. Das zusätzliche Kriterium beruhte auf einem ministe-riellen Rundschreiben v. 29.12.1993, wonach es möglich war, lokale Maß-nahmen gegen die Arbeitslosigkeit und zur Förderung der Beschäftigungim Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe zu treffen.

In der Rs. Beentjes hatte 1984 die örtliche FlurbereinigungskommissionWaterland im Rahmen von Flurbereinigungsmaßnahmen eine öffentlicheAusschreibung durchgeführt. Der Auftrag wurde im Ergebnis nicht andas Unternehmen mit dem niedrigsten Angebot (Beentjes) vergeben, son-dern an das Unternehmen mit dem zweitniedrigsten Angebot. Die örtlicheKommission begründete ihre Wahl damit, dass bei Beentjes die für die inRede stehenden Arbeiten erforderliche spezifische Erklärung fehle. Beent-jes sei nicht in der Lage, Langzeitarbeitslose einzusetzen. Zu diesem Punkthätten die Verdingungsunterlagen besondere Bestimmungen enthalten.

In der Rs. Nord-Pas-de-Calais waren die konkurrierenden Unterneh-men alle geeignet; es lagen gleichwertige Angebote vor. Die Förderungder lokalen Maßnahme war dann das zusätzliche Kriterium für dieEntscheidung über den Zuschlag.33 Dieses zusätzliche Zuschlags-kriterium wurde von der französichen Regierung nicht als Haupt-kriterium, sondern als ein »nicht ausschlaggebendes Zusatzkriterium«bezeichnet.34 In der Rs. Beentjes stellte die Beschäftigung von Langzeit-arbeitslosen ein Eignungskriterium dar. Hierzu wurde eine Erklärungdes Unternehmers verlangt. Geprüft wurde damit die Eignung desAngebots und die Eignung des anbietenden Unternehmers.

Nach beiden EuGH-Urteilen ist klar, dass die zusätzlichen Kriteriennicht auf den juristisch wenig relevanten Platz einer Ausführungs-bedingung oder den praktisch wenig bedeutsamen Stellenwert desAusschlusses wegen nachgewiesener Unzuverlässigkeit verwiesenwerden müssen. Die zusätzlichen Kriterien können in der Phase derAuswahl des auftragnehmenden Unternehmens berücksichtigt wer-den. Der wesentliche Gewinn des zweiten Urteils ist dabei, Klarheitauch für die erste Entscheidung zu bringen, zu der eine Vielzahl vonAuslegungen vorliegen bis hin zu der Wertung, Beentjes sei eine Einzel-fallentscheidung gewesen.

Der EuGH hat mit der Rs. Nord-Pas-de-Calais klare Worte gefunden:Es ist das Recht der Mitgliedstaaten, sozialpolitische Kriterien alsEignungs- oder als Zuschlagskriterien zu regeln; sie sind hierzu abernicht verpflichtet. § 97 Abs. 4 u. 5 GWB ist deshalb insofern mit demGemeinschaftsrecht vereinbar, als es hinsichtlich der Eignungs-, nichtaber hinsichtlich der Zuschlagskriterien eine Öffnung für bundes-oder landesgesetzliche Vorschriften ausdrücklich vorsieht.

Der EuGH gibt in beiden Urteilen jedoch nur wenig Auskunft überdie materiellen Standards, die solche Zusatzkriterien zu erfüllen haben.Dies ist aber in anderen Verfahren geschehen, auf die verwiesen wer-den kann.35

Der derzeit von der Europäischen Kommission vorgelegte Entwurfüber neue Vergaberichtlinien hält sich hinsichtlich der zusätzlichenKriterien sehr zurück. In Ziff. 22 bzw. Ziff. 32 der Erwägungsgründe istfolgender Hinweis zu finden:

»Bedingungen zur Ausführung des Auftrags sind mit der Richtlinie ver-einbar, sofern sie nicht unmittelbar oder mittelbar zu einer Diskrimi-nierung der Bieter aus anderen Mitgliedstaaten führen und in derBekanntmachung der Ausschreibung zwingend angegeben sind. Siekönnen insbesondere das Ziel verfolgen, Arbeit von benachteiligtenoder ausgeschlossenen Personen zu fördern oder gegen Arbeitslosigkeitzu kämpfen«.36

Dies dürfte der von der Kommission im Verfahren Nord-Pas-de-Calaisvertretenen Auffassung entsprechen – wenn auch nicht so deutlich –,es könne sich nur um Ausführungsbedingungen handeln. DieserAuffassung ist vom EuGH nachdrücklich widersprochen worden;eine Verabschiedung der neuen Richtlinien könnte u.U. den Standardfür sozialpolitische Kriterien verschlechtern.

Neben dem Erwägungsgrund ist im Richtlinienentwurf die bekanntearbeitsrechtliche Erklärungspflicht geregelt.37

Der von der EG-Kommission angekündigte Auslegungstext38 zurBerücksichtigung sozialpolitischer Ziele bei der öffentlichen Auftrags-vergabe steht nach wie vor aus.39 Der von der Kommission vorge-schlagene Erwägungsgrund spricht auch dafür, dass ein Auslegungs-text wenig neue Erkenntnisse bringen würde.

Der vorliegende Richtlinienentwurf bedarf der Zustimmung desEuropäischen Parlaments. Das Parlament hat Gelegenheit, die ver-schiedenen positiven Stellungnahmen zugunsten der Berücksichti-gung sozialer Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe mit Inhaltzu füllen. Derartige soziale Kriterien wären dazu an dem »richtigen«,d.h. mit dem Gemeinschaftsrecht entsprechend dem Urteil Nord-Pas-de-Calais rechtlich möglichen Ort zu verankern. Die lange Geschichteder Auseinandersetzungen über die gemeinschaftsrechtliche Zulässig-keit sozialpolitischer Kriterien spricht für eine klarstellende Regelungin den Vergaberichtlinien.

V. Fazit

Die Länder sind an der Entwicklung rechtlicher Standards für dasVergaberecht zu beteiligen. Mit dem in den Bundestag einbrachtenGesetzentwurf für Tariftreueerklärungen machen sie ihre auch nachdem In-Kraft-Treten des GWB-Vergaberechts unverändert bestehendeKompetenz geltend, für die eigene Vergabepraxis sekundäre Zweckelandesgesetzlich zu regeln.

Die EuGH-Entscheidung in der Rs. Nord-Pas-de-Calais v. 26.9.2000bestätigt das Urteil des EuGH in der Rs. Beentjes. Die Vergaberichtliniender Europäischen Gemeinschaft erlauben damit landesgesetzlicheRegeln, die in einem transparenten Verfahren bei der Vergabe einesöffentlichen Auftrags sozialpolitische Kriterien bei der Auswahl oderbeim Zuschlag berücksichtigen und Bieter gleich behandeln.

Aufsätze Rust , Soz ia lpol i t i sche Kr i ter ien in landesgesetz l i chen Vergabevorschr i f ten

31 Schlussanträge in der Rs C 225/98 v. 14.3.2000.32 Dazu näher Benedict, EWS 2000, 514 f.33 Es ist eine hinsichtlich der bei Gleichwertigkeit erforderlichen Auswahl der in

der Rs. Kalanke (Slg.1995, I-3051 = NJ 1996, 101 m. Anm. Rust) vergleichbareAuswahlnotwendigkeit, für die in Rs. Marshall (Slg. 1997, I-6363 = NJ 1998, 44[bearb. v. Battis] ) vom EuGH die möglichen Auswahlkriterien präzisiert wordensind.

34 EuGH (Fn 10), Rn 47.35 Siehe u.a. Nachweise in Fn 7.36 Nachweis in Fn 11.37 Zur bish. Option einer arbeitsrechtlichen Erklärungspflicht, die im deutschen

Vergaberecht nicht genutzt worden ist, siehe Rust (Fn 20).38 Dies wäre rechtlich nicht bindendes soft-law, das aber für die Poltik der EG-

Kommission, Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, Aufschlüsse gebenwürde.

39 Zur Vorgeschichte Rust, EuZW 1999, 453.

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Der Autor beantwortet die umstrittene Frage, welche Rechtsvorschriften desAnerbenrechts nach dem In-Kraft-Treten des BGB und nach der Aufhebungdes Erbhofrechts auf dem späteren Gebiet der SBZ/DDR jeweils gegoltenhatten. Er vertritt die Auffassung, dass die Bestimmungen des Anerbenrechtsdurch die Verfassung der DDR v. 7.10.1949 aufgehoben wurden, und legtdetailliert dar, welches Erbrecht auf Grundstücke anzuwenden ist, für diefrüher Anerbenrecht oder Erbhofrecht gegolten hat.

I. Begriff und Wesen des Anerbenrechts

In mehreren deutschen Ländern galt von alters her für bestimmteland- und forstwirtschaftliche Grundstücke sog. Anerbenrecht. Dasbedeutete, dass für die Vererbung dieser Grundstücke, die in denLandesgesetzen als Anerbengut, Landgut, Erbhof o.ä. bezeichnetwurden, besondere Gesetze bestanden.

In einigen deutschen Ländern bzw. Landesteilen – z.B. in Mecklen-burg-Schwerin – durchbrach das auf solche Grundstücke anzuwen-dende Anerbenrecht zugunsten der Sondernachfolge eines Miterbendie sonst im Erbrecht geltende Universalsukzession. In diesen Gebie-ten bildete ein dem Anerbenrecht unterliegendes Grundstück einenabgesonderten Teil des Nachlasses. Dieses Grundstück fiel – auch wennmehrere Erben vorhanden waren – kraft Gesetzes nur einem Erben(dem Anerben) zu. In anderen Provinzen (z.B. in Brandenburg) wareiner von mehreren Miterben – der Anerbe – lediglich berechtigt, vonden anderen Miterben die Übertragung des Eigentums an dem demAnerbenrecht unterliegenden Grundstück auf sich zu verlangen (mit-telbares Anerbenrecht). Diejenigen Miterben, denen das Grundstücknicht als Erbschaft zugefallen war oder die das Eigentum am Grund-stück auf den Anerben übertragen mussten (die sog. weichenden Erben),waren grundsätzlich vom Anerben materiell abzufinden.

In den preußischen Provinzen Brandenburg, Schlesien und Hanno-ver waren die dem Anerbenrecht unterliegenden Grundstücke ineinem besonderen Verzeichnis – der Landgüter- bzw. Höferolle – ein-getragen, während z.B. in Mecklenburg in speziellen Rechtsvorschrif-ten festgelegt war, für welche Grundstücke Anerbenrecht galt.

Die Anerbengesetzgebung der Länder sollte eine Zersplitterung desbäuerlichen Grundbesitzes verhindern.

Durch Art. 64 Abs. 1 EGBGB wurde bestimmt, dass die landesrecht-lichen Vorschriften über das Anerbenrecht in Ansehung landwirt-schaftlicher und forstwirtschaftlicher Grundstücke nebst derenZubehör unberührt bleiben. Allerdings blieb das Recht erhalten, überein dem Anerbenrecht unterliegendes Grundstück testamentarischeoder erbvertragliche Verfügungen zu treffen. Dieses Recht konnte auchdurch Landesgesetze nicht beschränkt werden (Art. 64 Abs. 2 EGBGB).1

II. Das Anerbenrecht im Gebiet der späteren DDR seitAnfang 1933 bis Oktober 1949

1. Die Rechtslage am 1. Januar 1933

Am 1.1.1933 waren auf dem Territorium, das später die SBZ unddanach die DDR umfasste, verschiedene landesrechtliche Vorschrif-ten, die Bestimmungen über das Anerbenrecht enthielten, in Kraft.

1.1. Im damaligen Freistaat Mecklenburg-Schwerin (jetzt Teil desLandes Mecklenburg-Vorpommern) galten die §§ 349-388 der (Meck-lenburg-Schweriner) VO zur Ausführung des BGB.2

Hier ging das Anerbengut mit dem Erbfall auf den Anerben über.Trat die gesetzliche Erbfolge ein, so schlossen unter den Erben derersten Ordnung u.a. die Söhne des Erblassers, dessen Töchter sowiemännliche Nachkommen der Kinder des Erblassers die weiblichenNachkommen als Anerben aus. Eheliche Kinder gingen nichtehelichenKindern vor. Waren Geschwister oder deren Nachkommen zur Erbfolgeberufen, so gingen Brüder den Schwestern sowie männliche Nach-kommen von Geschwistern den weiblichen Nachkommen als Anerbenvor. Der überlebende Ehegatte des Erblassers wurde nur dann Anerbe,wenn Nachkommen, erbberechtigte Vorfahren, Geschwister undNachkommen der Geschwister des Erblassers nicht vorhanden waren(vgl. §§ 360-363 MSchwAVBGB). Von der Erbschaft in das Anerbengutausgeschlossene Abkömmlinge des Erblassers hatten Anspruch auf eineAbfindung; der überlebende Ehegatte, der nicht Anerbe wurde, erhieltlediglich ein Altenteil (vgl. §§ 364 ff. u. § 377 MSchwAVBGB).

1.2. Im damaligen Freistaat Mecklenburg-Strelitz (jetzt ebenfalls Teildes Landes Mecklenburg-Vorpommern) galten:

a) Das Gesetz über das Anerbenrecht.3 Das hierin enthalteneAnerbenrecht (einschl. der Abfindungs- und Altenteilsregelung) ent-sprach dem oben dargestellten Anerbenrecht des Freistaats Mecklen-burg-Schwerin (vgl. die §§ 10-20 und § 27 MStrAnerbenG).

b) Die §§ 318-345 der (Mecklenburg-Strelitzer) VO zur Ausführungdes BGB.4 Diese Bestimmungen galten seit Mai 1922 nur noch fürsolche Grundstücke weiter, die nicht unter das MStrAnerbenG fielen(Umkehrschluss aus § 36 Abs. 1 iVm § 1 dieses Gesetzes). Gemäß denVorschriften der MStrAVBGB iVm älteren Rechtsnormen kamen alsAnerben bestimmter Grundstücke zunächst die männlichen ehelichenNachkommen des Erblassers nach dem Grundsatz der Erstgeburtinfrage. Wurde eine verheiratete Frau Anerbin, so hatte sie das ererbteGrundstück ihrem Ehemann zu übereignen, falls dieser die Nutzungund Bewirtschaftung übernehmen wollte. Die Witwe eines Bauern, dienicht Anerbin wurde, hatte lediglich Anspruch auf ein Altenteil, dasmit der Wiederverheiratung erlosch.5 Das gesetzliche Anerbenrechtder MStrAVBGB sah eine noch stärkere Bevorzugung der männlichenNachkommen, Geschwister und Vorfahren des Erblassers vor als dieMSchwAVBGB und das später erlassene MStrAnerbenG.

1.3. Im Amt Neuhaus der damaligen preußischen Provinz Hannover 6 galtdas Höfegesetz für die Provinz Hannover.7 Auch nach diesem Gesetz

Zur Geltung von Anerbenrecht im Gebiet der DDRGerd Janke, Rechtsanwalt i.R., Berlin

1 Vgl. zu Vorstehendem: Staudinger/Gramm, Komm. zum BGB und EGBGB,VI. Band, Einführungsgesetz, 1. Teil, 10. Aufl. , Berlin/München 1939, Rn 3 u. 6zu Art. 64 EGBGB (S. 134).

2 V. 9.4.1899 (RegBl. für Meckl.-Schwerin 1899 Nr. 13 S. 57); im Folgenden:MSchwAVBGB.

3 V. 20.4.1922 (Meckl.-Strelitzscher Amtl. Anzeiger 1922 Nr. 26 S. 201; Ber. Nr. 30S. 226) idF der Änderungsges. v. 1.5.1925 u. v. 8.4.1926 (Meckl.-StrelitzscherAmtl. Anzeiger 1925 Nr. 22 S. 127 bzw. 1926 Nr. 27 S. 223; auch abgedr. beiR. Lange/H. Wulff/Ch. Lüdtke-Handjery, Höfeordnung, 9. Aufl., München 1991,S. 595 ff.); im Folgenden: MStrAnerbenG.

4 V. 9.4.1899 (Meckl.-Strelitzscher Officieller Anzeiger 1899 Nr. 18 S. 85 = Meckl.-Strelitzscher Officieller Anzeiger für … Ratzeburg 1899 Nr. 9 S. 49); im Folgen-den: MStrAVBGB.

5 Vgl. dazu G. v. Buchka, Landesprivatrecht der Großherzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz, Halle 1905, S. 199 f.

6 Das Gebiet des ehem. Amtes Neuhaus gehörte später von 1945 bis Mitte 1952zum Land Mecklenburg, danach bis zum 2.10.1990 zum Bezirk Schwerin und inder folgenden Zeit bis zum 29.6.1993 zum Land Mecklenburg-Vorpommern. Seitdem 30.6.1993 gehört das Gebiet des ehem. Amtes Neuhaus zum Land Nieder-sachsen; vgl. die Bkm. v. 5.8.1993 über den Abschluss und das In-Kraft-Tretendes Staatsvertrages zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und demLand Niedersachsen über die Änderung der gemeinsamen Landesgrenze nebstdem beigefügten Staatsvertrag v. 2./9.3.1993 (BGBl. I S. 1513 ff.).

7 IdF v. 9.8.1909 (Preuß.Ges.Sammlg. 1909 Nr. 26 S. 662); im Folgenden: Hann-HöfeG.

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fiel der Hof beim Tode des Eigentümers nur einem Erben (dem Aner-ben) zu. Beim Eintritt der gesetzlichen Erbfolge waren zunächst dieKinder des Erblassers als Anerben berufen. Dabei gingen Söhne denTöchtern und männliche Nachkommen der Kinder deren weiblichenNachkommen und eheliche Kinder den nichtehelichen Kindern vor.Der überlebende Ehegatte wurde nur dann Anerbe, wenn derHofeigentümer keine Nachkommen hinterlassen hatte (vgl. § 9 Satz 1sowie §§ 10, 11 Abs. 1 HannHöfeG). Weichende Erben waren vomAnerben durch Zahlung eines Geldbetrages abzufinden (§ 9 Satz 2HannHöfeG). War der überlebende Ehegatte neben Abkömmlingen alsMiterbe berufen, so erhielt er die Nutznießung bzw. ein Nießbrauch-recht am Hof oder ein Altenteil nur dann, wenn er die Erbschaftausschlug und er auf die Herausgabe seiner Verwendungen, die er ausseinem Vermögen für den Hof gemacht hatte, verzichtete (§ 12 Hann-HöfeG).

1.4. In der damaligen preußischen Provinz Brandenburg galt dieLandgüterordnung für die Provinz Brandenburg.8

Die BbgLandgO ordnete keine Sonderrechtsnachfolge an. Sie begrün-dete als mittelbares Anerbenrecht jedoch das Recht eines nachgesetzlichem Erbrecht miterbenden Nachkommen (des Anerben), dasGrundstück im Wege der Erbauseinandersetzung zu übernehmen unddie anderen Miterben durch Zahlung eines Geldbetrages abzufinden.Dabei genossen Söhne und andere männliche Nachkommen denVorrang vor Töchtern und weiblichen Nachkommen; eheliche Kinderhatten den Vorrang vor nichtehelichen Kindern. Der überlebendeEhegatte des Erblassers war nur dann berechtigt, das zum Nachlassgehörende Landgut zu übernehmen, wenn er selbst Eigentümer einesLandguts war und er in Ausübung seines (märkischen) statutarischenErbrechts dieses Landgut oder dessen Wert in die Erbmasse einbrachteoder wenn ihm die Befugnis zur Übernahme des Landguts gemäß demim betreffenden Gebiet geltenden brandenburgischen Partikularrechtzustand. Diese Rechtslage folgte aus den §§ 10 f. sowie aus § 17 Bbg-LandgO.

1.5. Im damals schlesischen Teil des jetzigen Freistaats Sachsen galtdie Landgüterordnung für die Provinz Schlesien.9

Auch die SchlesLandgO ordnete keine Sonderrechtsnachfolge an.Sie begründete ebenfalls als mittelbares Anerbenrecht das Recht einesnach gesetzlichem Erbrecht vorhandenen Miterben (des Anerben), dasGrundstück im Wege der Erbauseinandersetzung zu übernehmen unddie anderen Miterben auszuzahlen. Dabei waren Söhne und Brüdersowie männliche Nachkommen vorrangig vor Töchtern, Schwesternund weiblichen Nachkommen als Anerben berufen; eheliche Kindergingen nichtehelichen Kindern vor (vgl. § 10 Abs. 1 u. 2 sowie § 11SchlesLandgO). Hatte eine verheiratete Frau das Grundstück in die Eheeingebracht, so war bei ihrem Tode der überlebende Ehemannberechtigt, das Grundstück als Alleineigentümer zu übernehmen unddie anderen Miterben auszuzahlen (vgl. § 10 Abs. 3 SchlesLandgO iVmTeil II Titel 1 §§ 570 ff. des Allgemeinen Landrechts für die PreußischenStaaten v. 5.2.1794). Dagegen hatte eine verheiratete Frau kein Recht,beim Tode des Ehemannes ein von ihm eingebrachtes oder ererbtesGrundstück zu übernehmen.

1.6. Im damals braunschweigischen Teil des jetzigen Landes Sachsen-Anhalt (insbes. in dem Gebiet zwischen Gardelegen und Haldens-leben) galt das (braunschweigische) Gesetz betreffend den bäuerlichenGrundbesitz.10 Danach war beim Eintritt der gesetzlichen Erbfolgederjenige Nachkomme als Anerbe berufen, der mit dem Erblasser amnächsten verwandt war. Hatte der Grundstückseigentümer mehrereNachkommen gleichen Verwandtschaftsgrades hinterlassen, so wurdevon diesen der älteste männliche Nachkomme Anerbe. Die anderenMiterben waren in Geld abzufinden. Der überlebende Ehegatte erhieltlediglich ein Altenteil oder eine lebenslange Rente (vgl. §§ 5 Abs. 1,7 Abs. 1 und § 8 BraunschwBäuerlGrundbesG).

1.7. Im Gebiet des jetzigen Freistaats Thüringen gab es kein Anerben-recht.11

2. Das vom NS-Regime erlassene Erbhofrecht

Unmittelbar nach der Ende Jan. 1933 erfolgten Machtergreifung derNSDAP wurde in Preußen das »Bäuerliche Erbhofrecht«12 erlassen.Darin wurde bestimmt, dass ein in der Erbhöferolle des Amtsgerichtseingetragener Erbhof auch beim Vorhandensein mehrerer gesetzlicherErben nur einem Miterben – dem Anerben – zufiel. Gemäß der Anerben-ordnung dieses Gesetzes waren die weiblichen Nachkommen desErblassers und dessen Mutter erst hinter den Söhnen und deren männ-lichen Nachkommen sowie hinter dem Vater des Erblassers alsAnerben berufen. Der überlebende Ehegatte des Erblassers rangierte indieser Anerbenordnung erst an achter Stelle (vgl. §§ 1 Abs. 1, 7, 12Abs. 1 u. 2 PreußErbhR).

Die weichenden Erben hatten gegenüber dem Anerben lediglicheinen Anspruch auf Unterhalt; ggf. auch auf Berufsausbildung und»Heimatzuflucht«. Dem überlebenden Ehegatten war bis zu seinereventuellen Wiederverheiratung ein lebenslanges Altenteil zugewähren, jedoch nur dann, wenn er auf alle ihm gegen den Nachlasszustehenden Ansprüche verzichtete (vgl. §§ 17 f. PreußErbhR).

In das PreußErbhR, das während des NS-Regimes als eine »im Verfolgdes Sieges der nationalen Revolution … erfolgte großzügige Schöp-fung«13 bezeichnet worden war, hatte auch der faschistische Rassen-wahn Eingang gefunden. So konnten Bürger jüdischer und farbigerAbstammung nicht Besitzer eines Erbhofs sein oder Anerbe werden(vgl. §§ 2, 12 Abs. 3 PreußErbhR).

Das HannHöfeG, die BbgLandgO sowie die SchlesLandgO wurdendurch § 56 Abschn. 2 Nrn. 7 und 2 f. PreußErbhR aufgehoben. DasPreußErbhR wurde jedoch bereits nach einigen Monaten durch dasReichserbhofG14 abgelöst.

Dieses Gesetz, das am 1.10.1933 in allen deutschen Ländern in Krafttrat, war von den gleichen Prinzipien beherrscht wie das PreußErbhG.So fiel ein Erbhof nur einem Anerben zu. Die Erbfolgeordnung desRErbhG entsprach etwa der des PreußErbhR, wobei allerdings dieMutter und der überlebende Ehegatte des Erblassers nicht zu dengesetzlichen Anerben zählten (vgl. §§ 19 f. RErbhG).

Die Versorgung der nicht erbberechtigten Abkömmlinge desErblassers und seines überlebenden Ehegatten entsprach ebenfalls imWesentlichen den Regelungen, die im PreußErbhR enthalten waren(vgl. §§ 30 f. RErbhG). Die Bestimmungen über das »Erfordernis deut-schen oder stammesgleichen Bluts« bei Erbhofbauern und Anerbenwaren gegenüber den Regelungen, die das PreußErbhR enthaltenhatte, noch verschärft worden (vgl. §§ 13, 21 RErbhG). Das Recht desErbhofbauern, den Anerben durch Verfügung von Todes wegen zubestimmen, war durch die §§ 24-26 RErbhG stark eingeschränkt.Artikel 64 Abs. 2 EGBGB, der es bisher gestattet hatte, auch über eindem Anerbenrecht unterliegendes Grundstück durch Testament oderErbvertrag frei zu verfügen, war für Erbhöfe gegenstandslos gewor-den.15 Ein Erbhof durfte grundsätzlich weder veräußert noch belastetwerden (§ 37 Abs. 1 RErbhG).

Mit dem In-Kraft-Treten des RErbhG am 1.10.1933 traten auch alleaußerpreußischen landesrechtlichen Vorschriften über das Anerben-

Aufsätze Janke, Zur Ge l tung von Anerbenrecht im Gebiet der DDR

8 V. 10.7.1883 (Preuß.Ges.Sammlg. 1883 Nr. 21 S. 111); auch abgedr. bei R. Lange/H. Wulff/Ch. Lüdtke-Handjery (Fn 3), S. 591 ff.; im Folgenden: BbgLandgO.

9 V. 24.4.1884 (Preuß.Ges.Sammlg. 1884 Nr. 15 S. 121); auch abgedr. bei R. Lange/H. Wulff/ Ch. Lüdtke-Handjery (Fn 3), S. 603 ff.; im Folgenden: SchlesLandgO.

10 V. 28.3.1874 (Braunschw.GuVO-Sammlg. 1874 Nr. 11 S. 43) idF des Ergänzungs-ges. v. 22.3.1919 (Braunschw.GuVO-Sammlg. 1919 Nr. 43 S. 81); im Folgenden:BraunschwBäuerlGrundbesG.

11 Vgl. zu den Darlegungen über die Geltung des Anerbenrechts auch B. Bendel,AgrarR 1991, 1 ff., insbes. S. 2 f.; W. Steffen, RdL 1991, 141 ff., insbes. S. 142 f.;W. Adlerstein/E. Desch, DtZ 1991, 193 ff., insbes. S. 200, Fn 68, sowie Staudin-ger/Gramm (Fn 1), Rn 8 zu Art. 64 EGBGB (S. 135 f.).

12 V. 15.5.1933 (Preuß. Ges.Sammlg. 1933 Nr. 34 S. 165); im Folgenden: PreußErbhR.13 So L. Meukel/R. Aubele, Reichserbhofgesetz v. 29.9.1933 – Textausgabe mit

Anmerkungen, 2. Aufl., München/Berlin/Leipzig 1937, S. 11.14 V. 29.9.1933 (RGBl. I S. 685); im Folgenden: RErbhG.15 Vgl. L. Meukel/R. Aubele (Fn 13), Anm. 1 letzter Satz zu § 60 RErbhG (S. 185).

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recht – so die MSchwAVBGB, das MStrAnerbenG, die MStrAVBGBund das BraunschwBäuerlGrundbesG – außer Kraft (vgl. § 60 Abs. 1iVm § 57 Abs. 1 RErbhG). Auf bestimmte Güter, die aus Fideikom-missen gebildet worden waren, auf Renten- und Ansiedlungsgütersowie auf Erbpacht- und Lehnbauerngüter, soweit diese nicht Erbhöfegeworden waren, fanden jedoch die Bestimmungen des Fideikommiss-rechts bzw. des Anerbenrechts weiterhin Anwendung (vgl. § 60 Abs. 2RErbhG sowie die §§ 44-46 der ErbhofrechtsVO – EHRV).16 Für alleanderen landwirtschaftlichen Grundstücke – auch für solche, diefrüher dem Anerbenrecht unterlegen hatten –, die aber nicht Erbhöfegeworden waren, galt ab 1933 das Erbrecht des BGB.

3. Die Aufhebung der NS-Erbhofgesetzgebung und die Wiederinkraftsetzung der landesrechtlichen Anerbenvorschriften

Nach dem Ende des NS-Regimes im Mai 1945 gab es in der damaligenSBZ von Seiten der deutschen Behörden starke Bestrebungen, dasRErbhG aufzuheben. So wurde es nebst allen Änderungen, Ergänzun-gen, Durchführungsvorschriften und Verwaltungsvorschriften durcheine Anordnung der Landesverwaltung Sachsen für dieses Land mitWirkung v. 9.5.1945 außer Kraft gesetzt.17 Das hatte u.a. zur Folge, dassseit diesem Zeitpunkt über alle im Land Sachsen befindlichen Erbhöferechtswirksame testamentarische und erbvertragliche Regelungengetroffen werden konnten.

Weiterhin wurde die Abt. Justiz der Landesverwaltung Sachsenermächtigt, im Einvernehmen mit deren Abt. Landwirtschaft Nach-prüfungen anzuordnen, »wenn sich aus der Anwendung des Erbhof-rechts untragbare oder mit den gegenwärtigen Rechtsanschauungennicht im Einklang stehende Folgen ergeben haben«. Eine solcheNachprüfung konnte bis zum 31.12.1946 beantragt werden (vgl.Abschn. V Abs. 1 der SächsAufhAO). Diese Anordnung wurde inzwi-schen ausdrücklich außer Kraft gesetzt; die auf ihrer Grundlageergangenen Entscheidungen bleiben jedoch rechtswirksam.18

Mitte Aug. 1946 wies der damals als stellv. Landesdirektor im Thürin-ger Landesamt für Justiz tätige Ministerialdirektor Dr. Karl Schultes ineinem dem damaligen Leiter der Abt. Justiz des Parteivorstandes derSED, Dr. Karl Polak, zugeleiteten Memorandum u.a. auf die Notwen-digkeit hin, das RErbhG aufzuheben. Offenbar im Hinblick auf die inBezug auf die Vererbung, Veräußerung und Belastung von Erbhöfen imRErbhG enthaltenen Verbote legte K. Schultes dar, dass eine gesetzlicheNeuregelung des Anerbenrechts immer dringender werde.

»Es ist kaum noch möglich, die Gerichte zu beschwichtigen und dieBevölkerung, die Testamente errichten will oder sonstige Verfügungentreffen möchte, weiter hinzuhalten. Die vorherrschende Auffassung,welche vom erbhofrechtlichen Senat des Oberverwaltungsgerichts(gemeint ist wahrscheinlich das Oberlandesgericht – G.J.) in Geravertreten wird, ist die, dass das Erbhofrecht so lange in Kraft ist, bis esausdrücklich durch Gesetz aufgehoben worden ist«.19

Schließlich wurde das RErbhG sowie die zu seiner Durchführung undAusführung erlassenen Vorschriften durch das im Jahre 1947 erlasseneKontrollratsgesetz Nr. 45 für ganz Deutschland aufgehoben.20 DurchArt. II des KRG 45 wurden diejenigen Gesetze, die am 1.1.1933 bzgl.der Vererbung von Grundstücken aufgrund gesetzlicher Erbfolge oderaufgrund von Verfügungen von Todes wegen gegolten hatten, dannaber durch das RErbhG, andere Reichsgesetze, Durchführungs- und Aus-führungsvorschriften oder durch die Landesgesetzgebung aufgehobenoder suspendiert worden waren, wieder in Kraft gesetzt, soweit sienicht mit der Gesetzgebung des Kontrollrates in Widerspruch standen.

Das KRG 45 trat am 24.4.1947 in ganz Deutschland in Kraft (Art. XIIAbs. 1 dieses Gesetzes).21 Damit galten seit diesem Zeitpunkt in derdamaligen SBZ wieder die erbrechtlichen Bestimmungen, die in den§§ 349-388 MSchwAVBGB, im MStrAnerbenG, in den §§ 318-345MStrAVBGB, im HannHöfeG, in der BbgLandgO, in der SchlesLandgOund im BraunschwGrundbesG enthalten waren.22

Nicht wieder in Kraft trat das in der NS-Zeit erlassene PreußErbhR,denn diese Vorschrift hatte am 1.1.1933, dem in Art. II KRG 45genannten Stichtag, noch nicht gegolten.

Seit dem 24.4.1947 konnte gem. Art. 64 Abs. 2 EGBGB auch übersämtliche Grundstücke, für die nunmehr erneut Anerbenrecht galt,wieder uneingeschränkt durch Testament oder Erbvertrag rechtswirk-sam verfügt werden. Von besonderer Bedeutung war Art. XII Abs. 2 desKRG 45, der wie folgt lautete:

»Es (d.h. das KRG 45 und damit gem. Art. II des KRG 45 auch das o.g.landesrechtliche Anerbenrecht – G.J.) findet auf Nachlässe, die beiInkrafttreten dieses Gesetzes noch nicht geregelt sind, Anwendung.Rechtskräftige Urteile oder Beschlüsse und vor Inkrafttreten diesesGesetzes getroffene rechtsgültige Vereinbarungen bleiben in Kraft. EinNachlaß gilt im Sinne dieser Bestimmung als geregelt, wenn gegen einePerson, die das Grundstück als Erbe in Besitz genommen hat, kein dieErbfolge in Frage stellender Anspruch im Klagewege innerhalb dreierJahre, vom Tode des Eigentümers an gerechnet, geltend gemacht wird.§§ 233 bis 238 der deutschen Zivilprozeßordnung finden Anwendung.«

Daraus hat W. Steffen gefolgert:»Testamente, die nach Erbhofrecht unzulässig waren, dürften unwirk-sam geblieben sein, wenn der Erbfall als geregelt anzusehen war; dage-gen wirksam geworden sein, wenn der Erbfall ungeregelt war oder erstnach dem 23.4.1947 eingetreten ist … Dabei dürfte unerheblich sein,ob das Testament vor dem 1.10.1933 errichtet und zunächst wirksamgewesen oder erst nach dem 30.9.1933 errichtet und von Anfang anunwirksam gewesen ist«.23

Die gleichen Grundsätze gelten m.E. auch für Erbverträge.

III. Die Aufhebung der landesrechtlichen Anerbenvorschriften in der DDR

1. Die Auffassungen über den Zeitpunkt des Außer-Kraft-Tretensdes Anerbenrechts

Zur Frage, wie lange Anerbenrecht in der SBZ bzw. in der DDR gegol-ten hatte, gibt es verschiedene Auffassungen. So legten W. Adlersteinund E. Desch dar, dass die DDR aufgrund ihrer Verfassung v.7.10.194924 die anerbenrechtlichen Vorschriften auf ihrem Gebiet alsgegenstandslos und damit nicht mehr als existent betrachtete. Siewiesen darauf hin, dass die DDR kein neues Anerbenrecht erlassenhatte, und der Vorbehalt des Art. 64 Abs. 1 EGBGB, der zugunsten desLandesanerbenrechts bestanden hatte, durch § 15 Abs. 2 Abschn. INr. 2 des EGZGB 25 mit Wirkung v. 1.1.1976 aufgehoben worden war.26

Janke , Zur Ge l tung von Anerbenrecht im Gebiet der DDR

16 V. 21.12.1936 (RGBl. I S. 1069).17 Vgl. Abschn. I u. VI der AO über die Aufhebung des Reichserbhofrechtes v.

9.7.1946 (Gesetze/Befehle/Verordnungen/Bekanntmachungen, veröffentl. durchdie Landesverwaltung Sachsen 1946 Nr. 18 S. 308); im Folgenden: SächsAufhAO.

18 Vgl. Art. XII Abs. 2 Satz 2 KRG 45 (Fn 20) sowie Art. 1 § 1 Abs. 1 Nr. 2 u. § 4Sätze 1 u. 2 des RechtsbereinigungsG des Freistaates Sachsen v. 17.4.1998(SächsGVBl. 1998 Nr. 6 S. 151).

19 Vgl. Ziff. 7 – Aufhebung des Reichserbhofrechts – des von Dr. K. Schultes verfass-ten Memorandums »Probleme der Gesetzgebung« v. 15.8.1946 (Bundesarchiv –SAPMO-B Archiv Berlin –, Signatur IV 2/13/219).

20 Vgl. Art. I Abs. 1 des Ges. Nr. 45 des Kontrollrats – Aufhebung der Erbhofgesetzeund Einführung neuer Bestimmungen über land- und forstwirtschaftliche Grund-stücke – v. 20.2.1947 (Amtsbl. des Kontrollrats 1947 Nr. 14 S. 256); auch abgedr.bei R. Lange/H. Wulff/Ch. Lüdtke-Handjery (Fn 3), S. 415 f.; im Folgenden: KRG 45.

21 Bzgl. des Zeitpunkts des In-Kraft-Tretens des KRG 45 vgl. auch Rademacher, NJ1948, 103, sowie BMJ (Hrsg.), Erben und Vererben, 18. Aufl., Bonn 1992, S. 37.

22 Bzgl. der erneuten Geltung der §§ 349 ff. MSchwAVBGB vgl. K. Guski, Anm. zuLG Güstrow, Beschl. v. 11.2.1948, NJ 1948, 112. Guski war damals Dirigent(Ministerialdirigent) in der Deutschen Justizverwaltung der SBZ, vgl. NJ 1947,172. Auch diese Anmerkung belegt, dass die Auffassung, man müsse vonder »tatsächlichen Nichtgeltung« der Anerbengesetze in der SBZ ausgehen(so O. Wöhrmann/H. A. Stöcker, Das Landwirtschaftserbrecht, 7. Aufl., Neu-wied/Kriftel 1999, S. 45) unrichtig ist.

23 Vgl. W. Steffen, »›Ungeregelte Nachlässe‹ im Sinne von Art. XII Abs. 2 KRG 45«,AgrarR 1995, 129 ff., insbes. S. 137. Zum Begriff des geregelten Nachlasses vgl.auch OLG Jena, Beschl. v. 16.9.1999, AgrarR 2000, 257 = RdL 1999, 290.

24 GBl. 1949 S. 5.25 V. 19.6.1975 (GBl. I S. 517).26 Vgl. W. Adlerstein/E. Desch (Fn 11), insbes. S. 200; dort Abschn. VII.

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Vom Bundesministerium der Justiz wurde ebenfalls dargelegt, dass dieDDR »aufgrund ihrer Verfassung von 1949 … Anerbengesetze aufihrem Gebiet als gegenstandslos und damit nicht mehr existent«betrachtete.27 Auch die Rspr. neigt überwiegend zu der Auffassung,dass das Anerbenrecht durch die DDR-Verf. 1949 aufgehoben wordenwar. Jedenfalls sei das Außer-Kraft-Treten der anerbenrechtlichenBestimmungen mit der Aufhebung des KRG 45, die im Zusammen-hang mit dem im Sept. 1955 zwischen der DDR und der UdSSRgeschlossenen Staatsvertrag28 erfolgt war, anzunehmen.29 Weiterhinwurde der »Abschluss der Kollektivierung« im Frühjahr 1960 als Endeder Geltung des Anerbenrechts zur Diskussion gestellt.30

Das LG Zweibrücken vertrat die offensichtlich unrichtige Auffassung,dass das Mecklenburg-Schweriner Anerbenrecht noch im Jahre 1961gegolten habe.31 Vom OLG Celle wurde dargelegt, dass dann, wenn mannicht mit dem In-Kraft-Treten der DDR-Verf. 1949 sämtliche anerben-rechtlichen Vorschriften als gegenstandslos ansehen wollte – wozu dasOLG neigte –, diese Bestimmungen jedenfalls mit dem In-Kraft-Tretendes RechtsanwendungsG32 am 1.1.1976 hinfällig geworden seien. Indieser Entscheidung wurde auch darauf hingewiesen, dass weder das RAGnoch das EGZGB einen dem Art. 64 EGBGB ähnlichen Vorbehalt enthiel-ten.33 In einem später (Ende 1996) erlassenen Beschluss legte das OLGCelle dann dar, dass mit dem In-Kraft-Treten der DDR-Verf. 1949 »sämt-liche früheren Anerbengesetze als gegenstandslos anzusehen« waren.34

2. Die Aufhebung des Anerbenrechts durch die DDR-Verf. 1949

Bereits Mitte 1948 wurde mit Blick auf die frauenfeindlichen Anerben-regelungen der MecklSchwAVBGB die Frage gestellt, »ob die Anerben-gesetzgebung nicht doch im Hinblick darauf bedenklich erscheint,dass sie die Frau in einer mit den heutigen fortschrittlichen Anschau-ungen unverträglichen Weise von der Erbfolge ausschließt. HierAbhilfe zu schaffen, muss als eine aktuelle Aufgabe des Gesetzgebersbetrachtet werden«.35

Es bedarf keiner längeren Ausführungen, dass nicht nur das Aner-benrecht der MSchwAVBGB, sondern auch das Anerbenrecht desMStrAnerbenG, der MStrAVBGB, des HannHöfeG sowie des Braun-schwBäuerlGrundbesG, das beim Tode des Hofeigentümers (oder sogarder Hofeigentümerin! ) den direkten Übergang des Hofes vorrangig aufeinen männlichen Verwandten des Erblassers bzw. der Erblasserinvorsah, dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Frau und Mannzutiefst widersprach. Das war auch bei dem mittelbaren Anerbenrecht,wie es in der BbgLandgG und in der SchlesLandgO geregelt war, derFall, denn nach den in diesen Gesetzen getroffenen Regelungenschlossen männliche Verwandte des Erblassers dessen weiblicheVerwandte als zur Übernahme des Hofes berechtigte Anerben aus.Hinzu kam, dass beim Tode eines Hofeigentümers, wie oben aufgezeigtwurde, dessen überlebender Ehepartner bzgl. des Hofes nur eineschwache rechtliche Position hatte. Da wegen der wirtschaftlichdominierenden Stellung des Mannes (und nicht zuletzt wegen der dieMänner begünstigenden Bestimmungen des Anerbenrechts) diemeisten Höfe im Eigentum von Männern standen, waren es meistüberlebende Ehefrauen von Hofeigentümern, die bei deren Tod dieaufgezeigten Nachteile in Kauf nehmen mussten.

Dagegen war das damals auch in der SBZ und (später) in der DDRbis zum 31.12.1975 geltende Erbrecht des BGB36 frauenfreundlicher.Danach bildete – wie auch jetzt – der gesamte Nachlass (sowohl beweg-liche Sachen als auch Grundstücke und Rechte) eine Einheit (Univer-salsukzession gem. § 1922 Abs. 1 BGB). Beim Eintritt der gesetzlichenErbfolge gehörte der überlebende Ehegatte stets zu den Erben (§ 1931BGB). Die Erbfolgeordnungen (§§ 1924-1929 BGB) sahen Männer undFrauen als gleichberechtigte gesetzliche Erben vor. Mehrere Erbenbildeten eine Erbengemeinschaft (§ 2032 BGB), in der Frauen undMänner die gleichen Rechte hatten. Konnten sich mehrere Erben überdie Teilung des Nachlasses nicht einigen, wurden Grundstücke i.d.R.

gerichtlich versteigert und der Erlös unter die Miterben verteilt(§ 2042 Abs. 2 iVm § 753 Abs. 1 BGB). Dabei war die VO über dieBehandlung von Geboten in der Zwangsversteigerung37 zu beachten.In Anwendung dieser Rechtsvorschrift erhielt dann, wenn bei der Tei-lungsversteigerung von mehreren Miterben das höchstzulässige Gebotabgegeben worden war (was wegen der relativ niedrigen Höchstpreisefür Grundstücke sehr oft vorkam), grundsätzlich derjenige Miterbe bzw.diejenige Miterbin den Zuschlag, der/die mit ausdrücklicher oder still-schweigender Zustimmung der Mehrheit der Erben das Grundstück wirt-schaftlich betreut und genutzt hatte.38 Diese Rechtsprechung trug dazubei, dass sich die Miterben eines landwirtschaftlichen Grundstücks meistin diesem Sinne einigten, wodurch Frauen, die in der Landwirtschaft tätigwaren, ebenfalls Eigentümerinnen von Höfen wurden. So konnte auchden Interessen von Ehefrauen entsprochen werden, die ein landwirt-schaftliches Grundstück gemeinsam mit ihrem Ehemann bewirtschaftethatten und nach dessen Tod den Wunsch äußerten, Eigentümerindieses Anwesens zu werden, was beim Eintritt des Anerbenrechtsgegen den Willen des (meist männlichen) Anerben nicht möglich war.

Mit der Gründung der DDR am 7.10.1949 trat die DDR-Verf. 1949in Kraft, in der das Prinzip der Gleichberechtigung von Mann und Frauverankert und ausdrücklich bestimmt war, dass Gesetze und Bestim-mungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen, auf-gehoben sind (Art. 7 dieser Verf.). Außerdem enthielt Art. 144 Abs. 1der DDR-Verf. 1949 die Festlegung, dass alle Bestimmungen dieserVerfassung unmittelbar geltendes Recht und entgegenstehende Vor-schriften aufgehoben sind.

Somit setzte – auch nach Auffassung des Ministeriums der Justiz derDDR – die DDR-Verf. 1949 alle in bisher erlassenen Gesetzen undanderen Vorschriften enthaltenen Benachteiligungen der Frau aus-drücklich mit sofortiger Wirkung außer Kraft.39 Zu den deshalb nichtmehr anwendbaren Vorschriften gehörten u.a. auch die Bestimmun-gen des BGB über das eheliche Güterrecht.40

Da die landesrechtlichen Vorschriften über das Anerbenrecht durch Art. IIKRG 45 – eine von den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges erlas-sene Rechtsvorschrift – wieder in Kraft gesetzt worden waren, erhebt sich dieFrage, ob die Volkskammer als Verfassungsgesetzgeber der DDR befugt war,diese Vorschriften aufzuheben. Dazu war bereits im Juni 1948 in dieser Zeit-schrift dargelegt worden, dass »die Änderung der Anerbengesetzgebungdurch den deutschen Gesetzgeber ... nicht ausgeschlossen« ist.41 GemäßArt. XI Abs. 1 Satz 1 iVm Art. II KRG 45 wäre die Sowjetische Militär-administration in Deutschland (SMAD) berechtigt gewesen, die in der SBZgeltenden Vorschriften des Anerbenrechts abzuändern oder aufzuheben.An die Stelle der SMAD waren seit dem 7.10.1949 die zentralen Staatsorganeder DDR getreten, denen auch der Erlass von Rechtsvorschriften – ein-schließlich der In-Kraft-Setzung und Abänderung der DDR-Verf. 1949 –oblag. Seit diesem Zeitpunkt hatten Staatsorgane der UdSSR keine Rechts-vorschriften mehr für den von ihr besetzten Teil Deutschlands erlassen.

Die Gesetzgebung der DDR wurde jedoch bis Ende Mai 1953 von derSowjetischen Kontrollkommission (SKK) und danach bis Sept. 1955 vomHohen Kommissar der UdSSR kontrolliert.42 Offenbar hatten diese sowje-

Aufsätze Janke, Zur Ge l tung von Anerbenrecht im Gebiet der DDR

27 Vgl. BMJ (Fn 21).28 Vertrag über die Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR v. 20.9.1955

(GBl. I S. 917).29 Vgl. OLG Jena, Beschl. v. 5.12.1996, VIZ 1997, 493 = AgrarR 1997, 319 = OLG-

NL 1997, 153 = RdL 1997, 264.30 Vgl. K. Kroeschell, AgrarR 1992, 132.31 LG Zweibrücken, Beschl. v. 11.12.1991, DtZ 1993, 122 = Rpfleger 1992, 107.32 V. 5.12.1975 (GBl. I S. 748); im Folgenden: RAG.33 OLG Celle, Beschl. v. 18.4.1995, VIZ 1996, 52.34 OLG Celle, Beschl. v. 16.12.1996, AgrarR 1998, 63 f., m. Anm. W. Steffen, AgrarR

1998, 255.35 Vgl. K. Guski (Fn 22).36 Vgl. MdJ der DDR (Hrsg.), BGB nebst wichtigen Nebengesetzen – Textausg.,

Berlin, 1. Aufl. 1954, 2. Aufl. 1956, 3. Aufl. 1967, 4. Aufl. 1969, 5. Aufl. 1971.37 V. 30.6.1941 (RGBl. I S. 354) idF der ErgänzungsVO v. 27.1.1944 (RGBl. I S. 47).38 Vgl. OG, Urt. v. 21.12.1954, OGZ Bd. 3, S. 254.39 Vgl. F. Niethammer, NJ 1950, 286. Niethammer war damals Abteilungsleiter im

MdJ der DDR.40 Vgl. BGB … (Fn 36), 1. Aufl. u. 2. Aufl., Anm. zu den §§ 1363-1365 (jew. S. 318).41 Vgl. K. Guski (Fn 22).42 Vgl. Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR (Hrsg.), Unser Staat

DDR – Zeittafel 1949-1983, Berlin 1984, S. 7, 31 u. 41.

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121Neue Justiz 3/2001

tischen Behörden nichts dagegen unternommen, dass die Vorschriften desAnerbenrechts aufgrund der DDR-Verf. 1949 nicht mehr als geltendesRecht betrachtet wurden und der Landtag von Mecklenburg im Jahre 1951ein spezielles Gesetz zur Überwindung des dortigen Anerbenrechts verab-schiedete. Der Alliierte Kontrollrat, von dem das KRG 45 und die anderenfür Deutschland geltenden Kontrollratsgesetze erlassen worden waren,hatte bereits im März 1948 seine Arbeit eingestellt.

Schließlich sei noch erwähnt, dass das in § 57 KRG 16 – Ehegesetz –43

festgelegte Recht des Vormundschaftsgerichts, beim Vorliegen bestimmterUmstände einer geschiedenen Frau auf Antrag ihres früheren Ehemannesdie Weiterführung des Ehenamens zu untersagen, ebenfalls als Verstoßgegen das familienrechtliche Gleichberechtigungsprinzip angesehenwurde. Die DDR-Gerichte haben deshalb gem. Art. 30, 144 Abs. 1 DDR-Verf.1949 auch § 57 KRG 16 als nicht mehr geltendes Recht angesehen.44 DieseRechtsprechung fand die Billigung sowohl des Obersten Gerichts45 als auchdes Ministeriums der Justiz46 der DDR. Die SKK und der Hohe Kommissar derUdSSR hatten offensichtlich gegen diese Judikatur nichts unternommen.

Insoweit abschließend kann festgestellt werden, dass auch das aufArt. 64 EGBGB beruhende partikulare Anerbenrecht durch Art. 7, 144Abs. 1 DDR-Verf. 1949 mit Wirkung v. 7.10.1949 rechtswirksamaufgehoben worden war, weil es dem Prinzip der Gleichberechtigungvon Mann und Frau widersprach. Demzufolge sind die oben imAbschn. II.1. genannten landesrechtlichen Anerbenvorschriftenweder in Gesetzestextausgaben, die in der DDR erschienen waren, abge-druckt, noch in einschlägigen DDR-Veröffentlichungen als fortgeltenderwähnt worden.47 Es gibt auch keine veröffentlichten Entscheidun-gen von DDR-Gerichten, in denen davon ausgegangen wurde, dassdiese Vorschriften nach dem 6.10.1949 noch gegolten hätten.

Das KRG 45 sowie alle anderen vom Kontrollrat für Deutschlanderlassenen Rechtsvorschriften wurden im Sept. 1955 von der Regie-rung der UdSSR für das Gebiet der DDR außer Kraft gesetzt.48 Die Auf-hebung dieser Bestimmungen erfolgte jedoch nicht mit rückwirkenderKraft. Deshalb ist auch aufgrund des Außer-Kraft-Tretens des KRG 45keine Veränderung des Erbrechts bei solchen Erbfällen erfolgt, die sichbis zum 6.10.1949 ereignet hatten, aber zu diesem Zeitpunkt nochnicht geregelt waren. Werden Rechtsvorschriften, die das Erbrechtregeln, außer Kraft gesetzt, so sind die aufgehobenen Rechtsvorschrif-ten weiterhin auf solche Erbfälle anzuwenden, die während derGeltung dieser Rechtsvorschriften eingetreten waren.

3. Die Bedeutung und die rechtlichen Wirkungen des mecklen-burgischen Gesetzes über die Aufhebung des Anerbenrechts

Bemerkenswert ist, dass der Landtag von Mecklenburg noch am24.8.1951 das »Gesetz über die Aufhebung des Anerbenrechts« erlas-sen hat, dessen Bestimmungen wie folgt lauten:

»§ 1Die §§ 349 bis 388 der Verordnung zur Ausführung des BürgerlichenGesetzbuches vom 9. April 1899 (Regierungsblatt für Mecklenburg-Schwe-rin Seite 57) und das Gesetz vom 20. April 1922 über das Anerbenrecht(Mecklenburg-Strelitzscher Amtlicher Anzeiger Seite 201) in der Fassungder Änderungsgesetze vom 1. Mai 1925 und 8. April 1926 (Mecklenburg-Strelitzscher Amtlicher Anzeiger Seite 127 bzw. 223) werden aufgehoben.

§ 2Dieses Gesetz tritt am Tage seiner Verkündung in Kraft. Es findet aufNachlässe, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes noch nicht geregelt sind,Anwendung.Ein Nachlaß im Sinne dieser Bestimmung ist geregelt, wenn vor Inkraft-treten dieses Gesetzes eine rechtskräftige, das Anerbengut betreffende,gerichtliche Entscheidung ergangen ist, oder unter den Miterben durchVereinbarung eine rechtsgültige Auseinandersetzung über den Nachlaßstattgefunden hat .«49

Die anerbenrechtlichen Bestimmungen der MStrAVBGB sowie dasHannHöfeG sind vom MecklAufhG nicht erfasst. Wahrscheinlichhatte der mecklenburgische Landesgesetzgeber die MStrAVBGB alsgegenstandslos betrachtet und irrtümlich übersehen, dass das Hann-HöfeG im Gebiet des damaligen Amtes Neuhaus gegolten hatte.

In den anderen Ländern der DDR sind Rechtsvorschriften, die einenähnlichen Inhalt wie das MecklAufhG hatten, nicht erlassen worden.

Daraus und aus der Tatsache, dass das MecklAufhG erst am 1.9.1951in Kraft getreten ist, kann jedoch nicht geschlossen werden, dass diein § 1 dieses Gesetzes genannten anerbenrechtlichen Vorschriften biszu diesem Zeitpunkt geltendes Recht waren und die anderen anerben-rechtlichen Bestimmungen noch länger – etwa bis zur Aufhebung desArt. 64 EGBGB und der landesrechtlichen Ausführungsvorschriftenzum BGB durch § 15 Abs. 2 Abschn. I Nr. 2 u. 1 EGZGB – gegoltenhätten. Insoweit ist neben den oben im Abschn. III.2. enthaltenenDarlegungen noch Folgendes beachtlich: Bei der Beratung des Meckl-AufhG im Landtag wies der Ministerpräsident von Mecklenburg,Bernhard Quandt, u.a. darauf hin, dass beim Anerbenrecht

»die Erben männlichen Geschlechts das weibliche Geschlecht aus(schlossen). Dies kennzeichnet die zweitklassige Stellung der Frau undsteht mit der bei uns gesetzlich verankerten Gleichberechtigung der Frauin Widerspruch. Bekanntlich darf außereheliche Geburt weder denKindern noch den Eltern aufgrund unserer Verfassung zum Nachteilgereichen. Das Mecklenburgische Anerbenrecht bestimmt jedoch, dasseheliche Kinder den unehelichen in der Erbfolge vorgehen.«50

In der schriftlichen Begründung des Entwurfs des MecklAufhG waru.a. dargelegt worden, dass

»durch das vorgelegte Gesetz … erreicht werden (soll), dass auch die recht-lichen Bestimmungen über die Erbfolge in Übereinstimmung mit demCharakter des Eigentums an den landwirtschaftlichen Grundstückendurch Anwendung der Bestimmungen des BGB gebracht werden. Einegesetzliche Erbfolgeordnung nach Grundsätzen der Sonderfolge und desVorzugsrechts einzelner Erben steht im Widerspruch mit den Artikeln 7und 33 der Verfassung (der DDR v. 7.10.1949 – G.J.), durch die die Gleich-berechtigung der Frau verfassungsmäßig garantiert und die Benachteili-gung unehelicher Kinder verboten ist. Das Gesetz soll auf Nachlässe, diebei seinem Inkrafttreten noch nicht geregelt sind, Anwendung finden.Damit wird dem in der Rechtsprechung des Obersten Gerichts nieder-gelegten Grundsatz Rechnung getragen, dass alle zu treffenden Entschei-dungen im Einklang mit unserer Verfassung und demokratischenGesetzen stehen müssen. Gleichzeitig wird durch die Beseitigung desAnerbenrechts ein einheitlicher Rechtszustand innerhalb der gesamtenDDR erreicht. Bereits getroffene Nachlaßregelungen bleiben unverändert.Das Ministerium der Justiz der DDR hat auf das Recht zur Gesetzgebungin diesem Falle verzichtet, so dass der Landtag des Landes Mecklenburgzum Erlaß vorstehenden Gesetzes berechtigt ist.«51

Aus dieser amtlichen Begründung des MecklAufhG ist ersichtlich:a) Auch die zentralen Staatsorgane der DDR waren der Auffassung,

dass das mecklenburgische Anerbenrecht gegen die DDR-Verf. 1949verstieß, nahmen aber vom Erlass einer für die gesamte DDR gelten-den Rechtsvorschrift, durch die klarzustellen gewesen wäre, dass dasAnerbenrecht verfassungswidrig und deshalb außer Kraft getreten ist,Abstand. Diesen Behörden war vermutlich nicht bekannt, dass Aner-benrecht außer in Mecklenburg auch in anderen Gebieten der DDRgegolten hatte.

Janke , Zur Ge l tung von Anerbenrecht im Gebiet der DDR

43 V. 20.2.1946 (Amtsbl. des Kontrollrats 1946 Nr. 4 S. 77).44 Vgl. OLG Erfurt, Beschl. v. 7.11.1950, NJ 1951, 89.45 Vgl. H. Benjamin, NJ 1951, 150 ff., insbes. S. 151. Benjamin war damals Vize-

präsidentin des Obersten Gerichts.46 Vgl. BGB … (Fn 36), 1. Aufl., Anm. zu den §§ 56 f. KRG 16 (S. 578 f.).47 So enthaIten insbes. folgende in der DDR erschienene Bücher keinen Hinweis

auf ein dort etwa noch fortgeltendes Anerbenrecht: F. Jansen/G. Längrich, Leit-faden des Erbrechts der DDR, Berlin 1959; Prorektorat für Forschung der Deut-schen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft »Walter Ulbricht« (Hrsg.),Bodenrecht – eine Sammlung von Beiträgen, Berlin 1961; R. Arlt/G. Rohde,Bodenrecht – Ein Grundriß, Berlin 1967; G. Rohde u.a., Bodenrecht – Lehrbuch,Berlin 1976, sowie G. Rohde u.a., Bodenrecht, Berlin 1989.

48 Vgl. den (undatierten) Beschluss der Regierung der UdSSR »Über die Auflösungder Hohen Kommission der UdSSR in Deutschland«, abgedr. in der TageszeitungNeues Deutschland (Ausg. B) Nr. 221 v. 21.9.1955 sowie in: G. Albrecht (Hrsg.),Dokumente zur Staatsordnung der DDR, 1. Bd., Berlin 1959, S. 194 f.; auch zitiertin: NJ 1955, 579 ff., insbes. S. 580 .

49 Dieses Landesgesetz v. 24.8.1951 – im Folgenden als MecklAufhG bezeichnet –wurde im RegBl. für Mecklenburg 1951 Nr. 19 S. 84, Ausgabetag: 1.9.1951, ver-kündet. Das Gesetz ist demzufolge an diesem Tag in Kraft getreten.

50 Vgl. Akten und Verhandlungen des Landtags des Landes Mecklenburg 1946-1952Bd. III: Sitzungsprot., Landtagsdrucks., 2. Wahlp., (Reprint) Goldbach 1993,S. 233 f., insbes. S. 234 (11. Sitzung am 24.8.1951).

51 Ebenda, S. 489 f., insbes. S. 490 (Drucks. Nr. 10 – Entw. und schriftl. Begründungdes Ges. über die Aufhebung des Anerbenrechts).

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b) Der Landtag und die Regierung des Landes Mecklenburg hattendie Absicht, eine vollständige Gleichstellung des Erbrechts der nicht-ehelichen Kinder mit den der ehelichen Kinder bzgl. sämtlicher inMecklenburg gelegenen Grundstücke zu gewährleisten. Dieses Zielkonnte jedoch mit dem MecklAufhG nicht erreicht werden.

Die Aufhebung der anerbenrechtlichen Vorschriften durch die DDR-Verf. 1949 hatte nur bewirkt, dass die Nachteile, die im gesetzlichenAnerbenrecht für nichteheliche Kinder auch bzgl. des Nachlasses ihrerMütter und deren Vorfahren vorgesehen waren, wegfielen, weil aufGrundstücke, die bisher dem gesetzlichen Anerbenrecht unterlegenhatten, nunmehr das gesetzliche Erbrecht des BGB anzuwenden war.Danach gehörten nichteheliche Kinder stets zu den gesetzlichen Erbenihrer Mütter und deren Verwandten.

Andererseits war aber die Benachteiligung der nichtehelichenKinder bzgl. des Nachlasses ihrer Väter und deren Vorfahren durch dieDDR-Verf. 1949 nicht beendet worden. Zwar bestimmte Art. 33 dieserVerf., dass außereheliche Geburt weder dem Kinde noch seinen Elternzum Nachteil gereicht und entgegenstehende Gesetze aufgehobensind. Andererseits wurde jedoch durch Art. 22 Abs. 2 Satz 1 der DDR-Verf. 1949 »das Erbrecht … nach Maßgabe des bürgerlichen Rechtsgewährleistet«. Danach gehörte aber das nichteheliche Kind nicht zuden gesetzlichen Erben seines Vaters und dessen Verwandten, woranauch das MecklAufhG nichts änderte.

Nach der damals in der DDR h.M. war »es nicht richtig …, demnichtehelichen Kind ein volles gesetzliches Erbrecht am Nachlass desVaters zu geben«.52 Allerdings erlosch der Unterhaltsanspruch desnichtehelichen Kindes gegenüber seinem Vater nicht mit dessen Tod;die Erben des Vaters waren aber berechtigt, das nichteheliche Kind miteinem Geldbetrag abzufinden (§ 1712 BGB). Ein gesetzliches Erbrechtam Nachlass ihrer Väter und ihrer Großeltern väterlicherseits wurdenichtehelichen minderjährigen Kindern (und beim Vorliegen bestimm-ter Voraussetzungen auch volljährigen nichtehelichen Kindern) erstfür seit dem 1.4.1966 eingetretene Erbfälle zugebilligt.53

c) Da die §§ 349-388 MecklSchwAVBGB und das MStrAnerbenGbereits durch die DDR-Verf. 1949 aufgehoben worden waren, konntendiese anerbenrechtlichen Vorschriften durch das im Jahre 1951 erlas-sene MecklAufhG nicht erneut außer Kraft gesetzt werden. § 1 iVm § 2Abs. 1 Satz 1 dieses Gesetzes hat daher lediglich erklärende (deklara-torische) Wirkung.54

Die eigentliche Bedeutung des MecklAufhG besteht in dessen § 2.Diese Bestimmung ist dem Art. XII Abs. 1, Abs. 2 Sätze 1 u. 2 KRG 45nachgebildet, so dass faktisch das MecklAufhG rückwirkende Kraft hatund die Außer-Kraft-Setzung der §§ 349-388 MecklSchwAVBGB und desMStrAnerbenG rückwirkend erfolgt ist. Durch § 2 MecklAufhG ist dieAnwendung dieser anerbenrechtlichen Vorschriften auch auf Erbfälleausgeschlossen, die sich bis zum 6.10.1949 ereignet hatten, wenn derNachlass am 1.9.1951 – dem Tag des In-Kraft-Tretens des MecklAufhG –noch nicht geregelt war. Würde daher in solchen Fällen ein Grund-stück dem gesetzlichen Erbrecht der §§ 349-388 MecklSchwAVBGBoder des MStrAnerbenG unterliegen, so findet nicht dieses Anerben-recht, sondern das gesetzliche Erbrecht des BGB Anwendung.55

Das MecklAufhG findet jedoch dann keine Anwendung, wenn einGrundstück anderen anerbenrechtlichen Vorschriften – z.B. den§§ 318-345 der MecklStrelAVBGB oder dem HannHöfeG – unterlag.

IV. Das auf frühere Erbhöfe und früher dem Anerbenrechtunterliegende Grundstücke anzuwendende Erbrecht

Auf Grundstücke in der SBZ bzw. DDR, die früher dem Erbhofrechtbzw. dem Anerbenrecht unterlegen hatten und deren Eigentümer einDeutscher war, ist somit folgendes Erbrecht anzuwenden:

A. Erbfall vom 1.10.1933 bis 23.4.1947:1. Der Nachlass war am 24.4.1947 geregelt (Art. XII Abs. 2 Satz 3 KRG 45):

a) Bei Erbhöfen bewendet es bei der Erbfolge des RErbhG.56

Verfügungen von Todes wegen, die nach Erbhofrecht unzulässig waren,bleiben unwirksam.57 Eine Überprüfung, ob die abgeschlossene Nachlass-regelung mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG im Einklang steht,ist nicht möglich, weil das GG erst am 24.5.1949 in Kraft getreten ist58

und es weder in der SBZ noch später in der DDR geltendes Recht war.b) Von den Bestimmungen des RErbhG abweichende Vereinbarungender Beteiligten sowie Entscheidungen, die gem. der SächsAufhAO vonGerichten und Verwaltungsbehörden getroffen worden waren, bleibenrechtswirksam.59

c) Bei bestimmten, im Zuge der Auflösung der Fideikommisse gebilde-ten Gütern, Renten- und Ansiedlungsgütern60 sowie bei Erbpacht- undLehnbauerngütern, soweit sie nicht Erbhöfe geworden waren, bewendetes bei der Anwendung des Fideikommissrechts bzw. des Anerbenrechts(vgl. § 60 Abs. 2 RErbhG sowie die §§ 44-46 EHRV).d) Bei allen anderen, oben zu a) bis c) nicht genannten Grundstückenbewendet es beim Erbrecht des BGB.

2. Der Nachlass war am 24.4.1947 noch nicht geregelt (Art. XII Abs. 2 Satz 1KRG 45): Es ist das gleiche Erbrecht anzuwenden wie bei Erbfällen, diesich im Zeitraum vom 24.4.1947 bis zum 6.10.1949 ereignet haben(siehe den nachfolgenden Abschn. B.).61

B. Erbfall vom 24.4.1947 bis 6.10.1949:1. Auf Grundstücke, für die am 1.1.1933 Anerbenrecht gegolten hatte,ist beim Eintritt der gesetzlichen Erbfolge dieses Anerbenrecht wiederanzuwenden (Art. XII Abs. 1 iVm Art. II KRG 45), jedoch mit der nach-folgend zu 3 genannten Ausnahme.2. Auf Grundstücke, für die am 1.1.1933 die BbgLandgO oder die Schles-LandgO gegolten hatte (mittelbares Anerbenrecht) ist beim Eintritt dergesetzlichen Erbfolge das gesetzliche Erbrecht des BGB anzuwenden.Dem Anspruch von Anerben auf Übereignung des Grundstücks kannmit der Einrede der Verjährung (§ 195 BGB, § 474 Abs. 1 Nr. 3 ZGB,62

§ 11 EGZGB) entgegen getreten werden.3. Auf Grundstücke, für die am 1.1.1933 das Anerbenrecht der Meckl-SchwAVBGB oder des MStrAnerbenG gegolten hatte, ist beim Eintritt dergesetzlichen Erbfolge, wenn der Nachlass am 1.9.1951 (dem Tag des In-Kraft-Tretens des MecklAufhG) noch nicht geregelt war, das gesetzlicheErbrecht des BGB anzuwenden (§ 2 Abs. 1 Satz 2 MecklAufhG).4. Auf Grundstücke, für die am 1.1.1933 kein Anerbenrecht gegoltenhatte, ist beim Eintritt der gesetzlichen Erbfolge das gesetzliche Erbrechtdes BGB anzuwenden.5. Ist über ein Grundstück eine letztwillige Verfügung getroffen worden,so tritt die testamentarische oder erbvertragliche Erbfolge ein (Art. 64Abs. 2 EGBGB). Verfügungen von Todes wegen, die nach Erbhofrechtunzulässig waren, sind wirksam geworden. Dabei dürfte es unerheblichsein, ob die letztwillige Verfügung bis zum 30.9.1933 oder nach diesemZeitpunkt errichtet worden ist.63

C. Erbfall vom 7.10.1949 bis 31.12.1975:Auf alle Grundstücke (auch auf solche, die bis zum 6.10.1949 demAnerbenrecht unterlegen hatten) ist das Erbrecht des BGB in der jeweilsgeltenden Fassung anzuwenden.64 Bei Erbfällen ab 1.4.1966 sind auchdie §§ 9 und 10 EGFGB zu beachten. Bezüglich Verfügungen von Todeswegen gelten auch hier die Ausführungen oben zu Abschn. B.5.

Aufsätze Janke, Zur Ge l tung von Anerbenrecht im Gebiet der DDR

52 Vgl. F. Jansen/G. Längrich (Fn 47), S. 56 f., insbes. S. 57, sowie auch Rademacher,NJ 1950, 80.

53 Vgl. § 9 Abs. 1-3 iVm § 29 des Einführungsges. zum Familiengesetzbuch der DDRv. 20.12.1965 (GBl. I 1966 S. 19).

54 So etwa auch OLG Celle, das im Beschl. v. 16.12.1996 (Fn 34, insbes. S. 64) denErlass des MecklAufhG als »einen Akt der Rechtsbereinigung« bezeichnet.

55 Bzgl. der Anwendung des gesetzlichen Erbrechts des BGB anstelle des mecklen-burg-schweriner Anerbenrechts vgl. OLG Rostock, Beschl. v. 25.5.1993, NJ 1993,563 = AgrarR 1993, 254.

56 Vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 9.6.1997, AgrarR 1998, 65.57 Vgl. W. Steffen (Fn 23).58 So etwa auch LG Potsdam, Beschl. v. 26.4. 1993, AgrarR 1993, 254; unrichtig

jedoch KrG Fürstenwalde, Beschl. v. 22.7.1993, AgrarR 1993, 366.59 Vgl. dazu Fn 18.60 Die meisten dieser Güter sind wegen ihrer Größe im Herbst 1945 gem. den

Bodenreformvorschriften der Länder der damaligen SBZ enteignet worden.61 Bzgl. der Anwendung des gesetzlichen Erbrechts des BGB auf ein Grundstück, für

das am 1.1.1933 das Anerbenrecht der MSchwAVBGB gegolten hatte, der Grund-stückseigentümer am 9.2.1947 verstoben ist und der Nachlass auch am 1.9.1951(dem Tag des In-Kraft-Tretens des MecklAufhG) noch nicht geregelt war, vgl.OLG Rostock (Fn 55). Diese Rechtsanwendung entspricht der unter Abschn. B. 3.Bzgl. der Anwendung des gesetzlichen Erbrechts des BGB auf einen in Thürin-gen gelegenen ehem. Erbhof, für den am 1.1.1933 kein Anerbenrecht gegoltenhatte, der Grundstückseigentümer am 29.4.1946 verstoben ist und der Nachlassam 24.4.1947 noch nicht geregelt war, vgl. OLG Jena (Fn 23). Diese Rechts-anwendung entspricht der unter Abschn. B. 4.

62 V. 19.6.1975 (GBl. I S. 465).63 Vgl. W. Steffen (Fn 23).64 Vgl. OLG Celle, Beschl. v. 16.12.1996 m. Anm. W. Steffen (Fn 34).

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123Neue Justiz 3/2001

D. Erbfall vom 1.1.1976 bis 2.10.1990:Für alle Grundstücke gilt das gesetzliche und testamentarische Erbrechtdes ZGB unter Berücksichtigung der Übergangsbestimmungen (§§ 1, 8EGZGB) und des § 25 Abs. 2 iVm § 29 RAG. Bezüglich Verfügungen vonTodes wegen (Testamente und Erbverträge) gelten die Ausführungenoben zu Abschn. B. 5. Sätze 2 und 3.

E. Erbfall ab 3.10.1990:Auf alle Grundstücke in der ehem. DDR findet das Erbrecht des BGB inder jeweils geltenden Fassung unter Berücksichtigung der Übergangs-

bestimmungen Anwendung (Art. 230, 235 EGBGB). Dies gilt auch für alleGrundstücke im Gebiet des ehem. Amtes Neuhaus;65 die Höfeordnung66

gilt dort nicht.67 Bezüglich Verfügungen von Todes wegen gelten dieAusführungen oben zu Abschn. B.5.

Janke , Zur Ge l tung von Anerbenrecht im Gebiet der DDR Kurzbe i t räge

Betriebskostenumlage im WohnraummietverhältnisProf. Dr. Armin Willingmann, Hochschule Harz, Wernigerode,Dr. Heinz Kuschel, Frankfurt/O.

Das Betriebskostenrecht birgt eine Vielzahl von Problemen in sich. DieAutoren befassen sich hier mit zwei Konfliktschwerpunkten: mit dem Trans-parenzgebot bei Vereinbarungen über die Umlagefähigkeit von Betriebskostenund mit der Umlagefähigkeit der Wartungskosten für Gasaußenwandheizer– zwei Bereichen, die die Gerichte in jüngster Zeit beschäftigen.

I. Konfliktpotenzial »Betriebskostenabrechnung«

Betriebskosten und ihre Abrechnung gehören zu den besonderskonfliktträchtigen Rechtsgebieten der Wohnraummiete. Mietrichterwissen ein Lied davon zu singen. Und in Anbetracht drastisch stei-gender Nebenkosten dürfte sich diese Entwicklung in den nächstenJahren noch verschärfen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass derGesetzgeber nur allgemein die Umlagefähigkeit von Nebenkostengeregelt hat und es deshalb besonders leicht zur Konkurrenz vonprivatautonomer Gestaltungsmöglichkeit und gesetzlichem Mieter-schutz kommen kann. Dass dies gerade im WohnraummietrechtGefahren birgt, ist keine Neuigkeit. Der Ruf nach vereinheitlichenderRechtsprechung, die den Beteiligten ein Stück Rechtssicherheit zurück-gibt, ist im Mietrecht auch deshalb seit Jahren aktuell. Der Gesetzgeberhat versucht, diesem dringenden Bedürfnis durch die Einführungdes Rechtsentscheids in Wohnraummietsachen (jetzt: § 541 ZPO)Rechnung zu tragen.1 Damit kann aber nur ein Teil der Konfliktfälletatsächlich obergerichtlicher Entscheidung zugeführt werden.

Den vielfältigen Problemen des Betriebskostenrechts begegnen dieGerichte sodann im jeweiligen Einzelfall durch Abwägung der Partei-interessen und möglichst lebensnahe Auslegung lückenhafter Rege-lungen. Dass dies aber keineswegs immer gelingt, soll an zwei Problem-bereichen aufgezeigt werden, die für die Gerichte, insbesondere inOstdeutschland, auch in Zukunft noch einigen Zündstoff bieten werden.

II. Der Betriebskostenansatz nach der II. BerechnungsVO

1. BetriebskostenGegenstand dieser kurzen Betrachtung ist in erster Linie das nichtpreisgebundene Mietverhältnis, sedes materiae die Anl. 3 zur II. Berech-nungsVO,2 die für diesen sog. preisfreien Wohnraum eine Auflistungder meisten Positionen enthält, die im Rahmen eines Mietverhältnissesals Betriebskosten anfallen und umgelegt werden können.3 Die VOenthält in § 27 eine Definition der Betriebskosten. Danach sind dies dieKosten, die dem Eigentümer durch das Eigentum oder den bestim-mungsgemäßen Gebrauch des Gebäudes, der Anlagen, Einrichtungenund des Grundstücks laufend entstehen. Für die Ermittlung derBetriebskosten verweist § 27 Abs. 1 II. BV auf die eigene Anl. 3.

Anlage 3 zu § 27 II. BV enthält eine Aufstellung der Betriebskosten,die in 17 Ziffern aufgeteilt sind. Darunter finden sich u.a. die laufendenöffentlichen Lasten (Nr. 1), die Kosten der Wasserversorgung undEntwässerung (Nr. 2, 3), Kosten des Betriebs von Aufzügen (Nr. 7), fürdie Straßenreinigung und Müllabfuhr (Nr. 8), der Gartenpflege (Nr. 10),für Sach- und Haftpflichtversicherung (Nr. 13) und abschließend sog.»sonstige Kosten« in Nr. 17. Besonders ausführlich erfasst sind dieKosten, die im Zusammenhang mit der Heizung von Gebäude und Woh-nungen entstehen (Nr. 4-6). Darauf wird noch zurückzukommen sein.

2. Geltungsbereich des BetriebskostenkatalogsDie Auflistung der Anl. 3 ist nicht kraft Gesetzes Bestandteil deseinzelnen Mietvertrags. Es bedarf vielmehr der vertraglichen Einbe-ziehung, sei es durch individuelle Parteivereinbarung, sei es durchFormularvertrag.4

In der Praxis hat sich hier weithin durchgesetzt, zumindest in denvorformulierten Vertragstext die Liste der Anl. 3 wörtlich zu über-nehmen oder den entsprechenden Auszug aus der VO beizufügen.Zur Klarstellung werden bisweilen die tatsächlich anfallenden Posi-tionen noch hervorgehoben oder andere gestrichen. Aber selbst wenndiese Auswahl nicht geschieht, besteht zwischen den Parteien Klarheitdarüber, dass die dort genannten Positionen Bestandteil der jährlichenBetriebskosten werden können, die im Umlageverfahren vom Mietererhoben und zumeist per Abschlagsvorauszahlung beglichen werden.

3. Die Problematik der Einbeziehung durch NormverweisungDa der Mieter neben dem Mietzins Betriebs- und Nebenkosten nurdann tragen muss, wenn diese grundsätzlich umlagefähig sind undihre Übernahme wirksam vereinbart wurde,5 kommt dem Inhalt dervertraglichen Abrede besondere Bedeutung zu. Unproblematisch sindregelmäßig die Fälle, in denen die Parteien die Übernahme einzelnabgesprochener und aufgelisteter Nebenkosten vereinbaren, der Miet-vertrag eine entsprechende Auflistung enthält oder dem Mieter einesolche bis zum Vertragsabschluss übergeben wird. Ebenso unproble-matisch sind die Formularmietverträge, in denen sämtliche Neben-kosten aufgelistet und die konkreten – ggf. durch Hervorhebung –kenntlich gemacht werden. Verständlicherweise hat sich weithin ein-

1 Dazu ausf. Willingmann, Rechtsentscheid. Geschichte, Dogmatik und Rechts-politik eines zivilprozessualen Vorlagemodells, Berlin 2000.

2 VO über wohnungswirtschaftliche Berechnungen (II. BV) idF der Bkm. v.12.10.1990, zuletzt geänd. durch die 5. VO zur Änderung wohnungsrechtlicherVorschriften v. 23.7.1996 (BGBl. I S. 1167).

3 Wegen der Verweisung in § 4 MHG erlangt der Betriebskostenbegriff des § 27II. BV auch im preisfreien Raum unmittelbare Bedeutung.

4 Im Bereich der neuen Bundesländer erfolgte die Umlage der Betriebskosten ganzüberwiegend mittels einseitiger Willenserklärung der Vermieter gem. Betriebs-kosten-UmlageVO (BetrKostUV) v. 17.6.1991 (BGBl. I S. 1250). Solche einseitigenErklärungen waren bei Mietverhältnissen über preisgebundenen Wohnraum, diebis zum 11.6.1995 abgeschlossen wurden, noch bis zum 31.12.1997 zulässig.Zum 11.6.1995 trat das MietenüberleitungsG in Kraft.

5 Bzw. nach der BetrKostUmlVO durch wirksame einseitige Umlageerklärung desVermieters.

65 Vgl. dazu Fn 6.66 IdF v. 26.7.1976 (BGBl. I S. 1933), zuletzt geänd. durch Art. 7 Abs. 13 des Ges.

über Fernabsatzverträge … v. 27.6.2000 (BGBl. I S. 897, 908).67 Vgl. K. Rellermeyer, NJ 1996, 409; a.A., jedoch m.E. unrichtig: R. Lange/H. Wulff/

Ch. Lüdtke-Handjery (Fn 3), S. XXXI (Rn 13) sowie S. 590.

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gebürgert, dass der Text der Anl. 3 zur II. BV mit dem entsprechendenKatalog dem Vertrag beigefügt wird.

Neben diese sinnvolle und wünschenswerte Praxis scheint aber inden vergangenen Jahren vermehrt ein Vertragsmodell zu treten, dassauf eine Benennung oder Übernahme der einzelnen Positionen derAnl. 3 zu § 27 II. BV verzichtet und statt dessen schlicht auf entspre-chende Bestimmung der VO (evtl. unter Einbeziehung der Anl. 3)verweist. Mit anderen Worten: Es findet sich in einem solchen Miet-vertrag keine detaillierte Benennung umlagefähiger Positionen,sondern alleine der Verweis auf eine einzelne Bestimmung der VO, dieihrerseits einen Verweis auf den Katalog einer Anlage enthält.

4. Aktuelle Entscheidungen zur Gültigkeit von NormverweisenIn jüngster Zeit haben verschiedene obergerichtliche EntscheidungenAufsehen erregt, die auch in diesen Fällen bereits von einer wirksamenVereinbarung der Umlagefähigkeit von Betriebskosten ausgingen.6

Vor dem Hintergrund weiter drohender Konflikte um steigendeBetriebskosten kommt solchen Entscheidungen besondere Bedeutungzu. Trotz ihres gleichlautenden Tenors begegnen sie durchgreifendenBedenken,7 wenn man die Begründungen im Einzelnen betrachtet.

Das OLG Celle entschied mit Urt. v. 16.12.19988 unter Hinweis aufverschiedene ältere Judikate,9 dass bei Geschäftsraummietverträgender bloße Verweis auf § 27 II. BV zur bestimmten Bezeichnung der vomMieter zu tragenden Nebenkosten genüge. Dies gelte auch dann, wennder Text der Anl. 3 zu § 27 II. BV nicht beigefügt sei. Zur Begründungführte der Senat aus, dass die allgemeine Verweisung dem Bestimmt-heitsgebot und insbesondere den Anforderungen an die Transparenzvon Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausreichend Rechnung trage,da die Parteien im konkreten Falle vereinbart hätten, dass ohnehin alleauf das Mietobjekt anfallenden Betriebskosten nach der jeweils gülti-gen Fassung der BerechnungsVO zu Lasten des Mieters gingen. Einenähere Begründung, warum die im Einzelfall ja durchaus unbekanntenPositionen der Anl. 3 einbezogen sein sollen, unterblieb indessen.

Anders das OLG Düsseldorf, das in seinem Urt. v. 25.1.200010

ebenfalls den formularvertraglichen Pauschalverweis auf die II. BVgenügen lässt, zur Begründung aber ausführt, dass es sich bei derBerechnungsVO nicht um AGB iSd AGB-G handelt, sondern um»gesetzliche Bestimmungen, die ihrem Inhalt nach allgemein bekanntsind«. Schließlich – so die weitere Begründung – handele es sich bei demTerminus »Nebenkosten« nicht um einen speziellen gesetzlichen Begriff,der im allgemeinen Verkehr unbekannt und daher erläuterungsbedürf-tig sei.11 Der durchschnittliche Mieter könne heutzutage mit diesemTerminus etwas anfangen; darüber hinaus könne er sich ohne weiteresdurch Einblick in der II. BV zusätzliche Kenntnis verschaffen.

In dieselbe Richtung geht der Rechtsentscheid des OLG Frankfurt/M.v. 10.5.2000,12 in dem ausgeführt wird, dass zumindest der Kern-bereich und die Tragweite des Begriffs »Betriebskosten« dem Durch-schnittsmieter verständlich sei, die Verweisung aber nur der »näherenAbgrenzung des Begriffs« diene, »um Streitigkeiten zu vermeiden«.Damit schloss sich das OLG Frankfurt/M. den Rechtsentscheiden desOLG Hamm v. 22.8.199713 und des BayObLG v. 26.2.198414 an undvermied die ansonsten erforderliche Vorlage an den BGH.

Alle drei Entscheidungen entbehren der Auseinandersetzung mitden kritischen Stimmen, die bereits nach dem Rechtsentscheid desBayObLG erhoben wurden,15 und stützen sich zur Begründung mehroder weniger deutlich auf eine Vermutung, die die Münchner Richterbereits 1984 aufgestellt haben: Dem Durchschnittsmieter sei derBegriff der Betriebskosten bekannt und daher sei eine nähere Erläu-terung im Mietvertrag entbehrlich. Dabei muss doch die Senate derdrei OLG verblüffen, dass die Instanzjudikatur hier immer wieder zueiner anderen Entscheidung gelangt und – sofern sich der Rechtsstreitin der Berufungsinstanz befindet – die Rechtsfrage dem zuständigenObergericht zum Rechtsentscheid vorlegt. Worin liegt also das Miss-verständnis?

Die regelmäßig in Formularklauseln enthaltene Überwälzung derBetriebs- und Nebenkosten bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Einbezie-hung in den Vertrag, wie sie in § 2 AGBG vorgesehen ist. Aus dieserBestimmung über die Einbeziehungsvereinbarung hat die Rechtspre-chung seit vielen Jahren das sog. Transparenzgebot abgeleitet.16 Diesverlangt, dass formularmäßige Klauseln dem Durchschnittskundengegenüber aus sich selbst heraus verständlich sein müssen. Dies istaber bei der Bezugnahme auf Normen schon per se nicht der Fall.Dabei kann es auch keinen Unterschied machen, ob der Kunde die inder Norm vorkommenden Termini kennt oder nicht. Es ist durchauszutreffend, wenn das OLG Frankfurt/M. davon ausgeht, dass der durch-schnittliche Mieter weiß, was mit Betriebskosten gemeint ist. Daraufalleine kann es aber nicht ankommen, wenn es um das Erforderniseiner klaren Vertragsregelung geht. Ganz sicher weiß der Durch-schnittsmieter nämlich nicht, was sich im Einzelnen hinter dem dortin Bezug genommenen Katalog verbirgt. Und das ist ja bei Abschlussdes Mietvertrags entscheidend. Es genügt nicht – wie das OLG Düssel-dorf annimmt –, dass der Mieter ja immerhin wisse, dass er alle Betriebs-kosten zu tragen habe. Entscheidend ist für ihn bei Vertragsabschluss,einen Überblick über die damit konkret gemeinten Positionen zuhaben. Dies folgt auch schon daraus, dass die Anl. 3 zu § 27 II. BV ein-zelne Umlagepositionen enthält, die nur alternativ anfallen können,sich also gegenseitig ausschließen. Vor dem Hintergrund, dass dieRechtsprechung dem Vermieter darüber hinaus gestattet, nach Wirt-schaftseinheiten abzurechnen, wird noch deutlicher, dass dem Mieterdie tatsächlich ins Auge gefassten Betriebskosten aufgezeigt werden.Mit einer Kurzformel lässt sich daher sagen: Es kommt nicht darauf an,dass der Mieter weiß, ob Betriebskosten umgelegt werden. Entschei-dend ist vielmehr, dass er erfährt, welche dies sind. Nur dann vermager sie in seiner auf den Vertragsabschluss gerichteten Willenserklärungbewusst zu berücksichtigen.17 Und diese Klarheit verschafft ihm derschlichte Verweis auf § 27 II. BV und dessen Anlage nicht.

Überraschen muss auch, dass die Obergerichte hier längst abgeklärteGesichtspunkte des Transparenzgebots unberücksichtigt lassen bzw. inihr Gegenteil verkehren. Eine Erwägung, die stets im Zusammenhangmit dem Verlangen nach Transparenz der Geschäftsbedingungenangestellt wird, ist die nach der Zumutbarkeit einer anderslautendenVertragsformulierung. Und gerade dieser Aspekt spielt im Mietrechteine wesentliche Rolle: Da es der Vermieter ist, der nach Ablauf desWirtschaftsjahres die Betriebskostenabrechnung erstellt, ist es ihm

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6 OLG Hamm, RE v. 22.8.1997, NJ 1998, 37 (bearb. v. Willingmann) = ZMR 1998,186; OLG Celle, Urt. v. 16.12.1998, ZMR 1999, 238; OLG Düsseldorf, Urt. v.25.1.2000, ZMR 2000, 603; OLG Frankfurt/M., RE v. 10.5.2000, ZMR 2000, 607.

7 Ebenso bereits Börstinghaus, DWW 1998, 129, zu OLG Hamm, RE v. 22.8.1997;Stapel, ZMR 2000, 581, zu OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.1.2000, u. OLG Frankfurt/M.,RE v. 10.5.2000.

8 OLG Celle, ZMR 1999, 238.9 OLG Karlsruhe, WuM 1986, 9; OLG Hamm, WuM 1997, 542.

10 OLG Düsseldorf, ZMR 2000, 603 f.11 Nach Ansicht des Senats gelte etwas anderes etwa für die Begriffe »Wandlung« oder

»Minderung« – was sich ja auch aus § 11 Nr. 10a AGBG ergebe. Ob dies allerdingseine sehr lebensnahe Vorstellung ist, darf bezweifelt werden. Konfrontiert manNicht-Juristen mit den beiden Begriffen aus der kaufrechtlichen Gewährleistung, sosind diese in ihrer Tragweite allgemein bekannt. Hingegen besteht beim Ausdruck»Betriebskosten« zwar eine gewisse Vorstellung über den Bedeutungsgehalt desWortes, keineswegs aber über den Umfang des Katalogs der Anl. 3 zu § 27 II. BV.

12 OLG Frankfurt/M., ZMR 2000, 607.13 OLG Hamm, NJ 1998, 37 (bearb. v. Willingmann).14 BayOblG, RE v. 26.2.1984, NJW 1984, 1761. 15 Vgl. Löwe, WuM 1984, 193; Kleffmann, WuM 1986, 160; ausf. Geldermacher,

DWW 1994, 333; 1997, 7. In der Rspr. AG Dortmund, Urt. v. 14.5.1996, WuM1996, 425; AG Marsberg, Urt. v. 27.12.1996, WuM 1997, 230; ebenso die Vor-instanzen zu OLG Frankfurt/M., RE v. 10.5.2000, ZMR 2000, 607, und die Vorin-stanz zu OLG Celle, Urt. v. 16.12.1998, ZMR 1999, 238.

16 Es ist nurmehr von akademischen Interesse, ob das Transparenzgebot auch ausanderen Bestimmungen des AGBG abgeleitet werden kann, vgl. Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 9. Aufl., Einl. Rz 86 vor § 9 AGBG.

17 Nur um der Klarstellung willen sei betont, dass der Mieter selbstverständlichnach § 2 AGBG keine Kenntnis nehmen muss, damit es zu einer wirksamenEinbeziehung der Klausel kommt. Es muss ihm aber die Möglichkeit der Kennt-nisnahme eröffnet werden.

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selbstverständlich auch zumutbar, die von ihm vorgesehenen Positio-nen bei Vertragsabschluss zu benennen und dem Mieter darzulegen.Er ist – um es in der Diktion eines anderen Rechtsgebiets zu sagen –näher dran an der Betriebskostenerfassung und -abrechnung. DiesenGedanken verkehren die Richter des OLG Hamm wie auch des OLGFrankfurt/M. schlicht in sein Gegenteil, wenn sie den Mieter auffor-dern, erforderlichenfalls nach der Auflistung der Betriebskosten beiVertragsabschluss zu fragen, da man andernfalls von seiner Kenntnisausgehen könne. Im Bereich der Wohnraummiete wird so das nachwie vor bestehende strukturelle Ungleichgewicht der Vertragsparteieneinfach negiert und einer undurchsichtigen Vertragsgestaltung unterzweifelhafter Begründung Vorschub geleistet.

In Anbetracht der Abweichungsbereitschaft der mietrechtlichenBerufungskammern einzelner Landgerichte ist daher zu hoffen, dasssich alsbald eine neuerliche Vorlage zum klärenden Rechtsentscheidbei einem OLG befindet, das dann seinerseits dem BGH vorlegt, umdiesen Streitpunkt auch einmal durch das oberste Zivilgericht ent-scheiden zu lassen.

III. Gasaußenwandheizer – vom Gesetzgeber vergessen?

Ebenfalls zum Komplex der Umlagefähigkeit von Nebenkosten gehörtein zweiter Problembereich, der im Wesentlichen die Amtsgerichte derneuen Bundesländer beschäftigt.18 Hier geht es nicht um die Frageder Einbeziehung durch bloße Gesetzesverweisung, sondern um denUmfang einer grundsätzlich gelungenen Einbeziehungsvereinbarungbzw. wirksamen Umlageerklärung nach § 1 Abs. 1 BetrKostUV.

1. Umlagefähigkeit der Wartungskosten für EinzelraumheizgeräteStreitauslösend sind die Wartungskosten für sog. Gasaußenwand-heizer, die sich noch in zahlreichen Wohnungen der neuen Bundes-länder – allerdings nicht ausschließlich dort – befinden. Deren Beson-derheit liegt darin, dass Gaseinzelheizgeräte aufgestellt werden, derenZu- wie Abluftverbindung unmittelbar durch die hinter dem Gerätbefindliche Außenwand bzw. einen Schornsteinanschluss hergestelltwird. Austrittsstutzen unter den Wohnungsfenstern oder den Außen-wänden sind deutliche Zeichen für das Vorhandensein dieser Einzel-raumheizgeräte. Es handelt sich mithin um ein besonderes Heizungs-modell – und darin liegen die Schwierigkeiten, wenn es um die Fragenach der Umlagefähigkeit der dafür anfallenden Wartungskosten geht.

Anlage 3 zu § 27 II. BV erfasst in Nr. 4 u.a. die Kosten für die War-tung von Heizanlagen und nennt dort ausdrücklich den Betrieb derzentralen Heizungsanlage einschließlich ihrer Überwachung, Pflegeund Reinigung sowie in Ziff. 4d auch die Wartungskosten für Gas-etagenheizungen. Da Einzelraumheizgeräte (u.a. die sog. Gaseinzelheiz-geräte) dort ausdrücklich nicht genannt sind, ließen sich die anfal-lenden Wartungskosten nur dann umlegen, wenn sie in analogerAnwendung einer dieser Bestimmungen unter die Betriebskostenfallen oder ein anderer Einbeziehungsgrund vorliegt. Mit dieserSchwierigkeit kämpfen nun die Amtsgerichte,19 flankiert von heftigemStreit damit betrauter Prozessvertreter.20

In Ermangelung einer eigenen Regelung wird man zur Umlage-fähigkeit nur dann gelangen, wenn eine Analogie zu einem derRegelungsgegenstände der Ziff. 4 der Anl. 3 zu § 27 II. BV möglich ist.Das AG Berlin-Köpenick wie auch andere Gerichte 21 haben dieGasaußenwandheizer auf eine Stufe mit den Etagenheizungen gestelltund sind dann zur analogen Anwendung von Ziff. 4d der Anl. 3 zu § 27II. BV gelangt. Es komme nämlich alleine darauf an, dass die Heizungdie Funktion wie eine Etagenheizung erfülle.

2. Die Fragwürdigkeit einer Analogie zu Ziff. 4d Anl. 3 zu § 27 II. BVDiese Argumentation ist keineswegs zwingend. Betrachtet man diebisher in die Diskussion eingebrachten Argumente im Einzelnen, sozeigen sich einige Unsicherheiten bei der Beurteilung dieser Frage.

Sowohl Muratori als auch Stöckel 22 stützen die Planwidrigkeit derRegelungslücke in der II. BV bzw. der BetrKUmlVO auf die Unkennt-nis des (west-)deutschen Gesetzgebers von der Existenz dieser Heiz-geräte. Besonders vor dem Hintergrund der Gesetzgebungsgeschichtelässt sich diese Begründung nicht halten. Seit 1950 existierte in derdamaligen Bundesrepublik eine BerechnungsVO, die durch die II. BVv. 17.10.195723 abgelöst wurde. Sie hat in den vergangenen Jahrenzahlreiche Veränderungen erfahren, sowohl hinsichtlich des eigent-lichen Verordnungstextes als auch bzgl. der Anlage, die die einzelnenBetriebskosten erfasst. Dies machte zum 21.2.197524 und zum12.10.199025 Neufassungen erforderlich; aber auch seitdem folgtenneuerliche Anpassungen. Von Bedeutung für das hier angesprocheneProblem sind Einführung und Modifikation der jetzt in Ziff. 4d erfass-ten Reinigungs- und Wartungskosten für Etagenheizungen. Erstmaligfinden sich diese in der VO zur Änderung der II. BV v. 22.6.1979, mitder Ziff. 4d in der bis heute gültigen Fassung eingefügt wurde.Abgeändert wurde dieser Passus seitdem nicht, wiewohl die II. BV wie-derholt modifiziert worden ist. Obwohl die BerechnungsVO wie auchdie Anl. 3 also verschiedene Veränderungen erfahren haben, hat derGesetzgeber seit 1957 und bis zum heutigen Tage darauf verzichtet,Wartungskosten für Einzelraumheizgeräte aller Arten und Brennstoffeaufzunehmen. Sie sind – aus den beschriebenen Gründen – von derUmlage als Betriebskosten ausgeschlossen.

Dass die Gasaußenwandheizer dem Gesetzgeber nicht bekanntgewesen seien, lässt sich auch empirisch nicht halten. Eine Presse-information des Fachverbandes Heiz- und Kochgeräte e.V. (Frank-furt/M.) ist zu entnehmen, dass zum Zeitpunkt der Vereinigungder beiden deutschen Staaten ca. 7 Mio. gasversorgte Haushalte inden alten Bundesländern rd. 2,5 Mio Gasheizautomaten mit Schorn-stein- oder Außenwandanschluss besaßen. Eine Größenordnung, dieschwerlich übersehen werden konnte. Hinzu kommt, dass die Einzel-raumheizgeräte auch im politischen Umfeld Aufmerksamkeit erreg-ten. So startete in den 70er Jahren die damalige »Alternative Liste« inBerlin eine – erfolglose – Kampagne, diese Geräte wegen vermeint-licher Umweltgefährdung aus dem Verkehr zu ziehen.

Schließlich kommt es nach der II. BV auch nicht alleine darauf an,ob eine Heizung »die Funktion einer Etagenheizung« erfüllt. Unbe-stritten hat der Gesetzgeber die Einzelraumheizgeräte aus dem Katalogder Anl. 3 bewusst herausgelassen. Einzelraumheizgeräte gleich wel-cher Feuerungs- bzw. Energieart unterfallen nicht der Umlagefähigkeitnach § 27 II. BV, obwohl sie – jedenfalls im Endeffekt – ebenfalls dieFunktion einer Etagenheizung erfüllen.26

Der schließlich von Muratori vorgeschlagene Ausweg, die Wartungs-kosten schlicht als »sonstige Kosten« iSd Anl. 3 (Position 17) zubetrachten, geht ebenfalls fehl. Der Gesetzgeber hat diesen Auffang-tatbestand so ausgestaltet, dass dort nur solche Positionen erfasstwerden können, die nicht durch die vorgenannten Ziffern bereitsausgeschlossen sind. Unterfallen aber Einzelraumheizgeräte nicht derAnlage, so können sie auch nicht über den Umweg des Auffangtat-bestands wieder in den Katalog aufgenommen werden. Zudem ist esauch anerkannt, dass im Rahmen der Position 17 die Umlagepositio-nen benannt bzw. vereinbart sein müssen.27

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18 Vgl. etwa AG Greifswald, Urt. v. 25.3.1998, NJ 1998, 601 (bearb. v. Willingmann)= NZM 1999, 414; AG Schönebeck, Urt. v. 2.5.1997, DWW 1998, 182; AGBerlin-Köpenick, Urt. v. 26.5.1998, GE 1998, 803; AG Frankfurt/O., Urt. v.14.7.1999 – n.v.

19 Vgl. etwa AG Greifswald, AG Berlin-Köpenick, AG Frankfurt/O.,jeweils ebenda.20 Muratori, GE 1998, 772; Stöckel, GE 1999, 486.21 Siehe die Nachweise in Fn 18.22 Siehe Fn 20.23 BGBl. I Nr. 57.24 BGBl. I Nr. 112.25 BGBl. I S. 2178.26 Ebenso AG Greifswald, NJ 1998, 601 (bearb. v. Willingmann).27 Zuletzt Lefevre, Die Heizkostenabrechnung, 2000, S. 41 ff.

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*Der Kreis schließt sich, wenn das aktuelle Gasaußenwandheizer-Problem im Lichte der zuvor dargelegten Rechtsprechung zur Einbe-ziehungsvereinbarung28 gesehen wird. Folge dieser Rechtsentscheidewäre, dass konsequenterweise auch die durch analoge Anwendung derII. BV ermittelten Positionen alleine durch Bezugnahme auf § 27 II. BVGegenstand des Mietvertrags würden. Ein Zustand, der schwerlich alsrechtssicher bezeichnet werden kann und alsbaldiger Klärung bedarf.

anbelangt, nach dem Grundsatz »im Zweifel für den Angeklagten«davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte an der späterenBrandstiftung als Mittäter beteiligt war.4

b) § 306a Abs. 2 StGBDieses konkrete Gefährdungsdelikt ist neu. Bestraft wird die Inbrand-setzung bzw. Zerstörung einer bestimmten Sache und die dadurchhervorgerufene konkrete Gesundheitsgefahr. Auf die Eigentumslage ander Sache kommt es nicht an. Der BGH hat schon mehrfach aus-gesprochen, dass § 306a Abs. 2 StGB durch die Verweisung auf die in§ 306 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 StGB bezeichneten Sachen nur an das Inbrand-setzen oder die Zerstörung durch Inbrandsetzung bestimmter Artenvon Gegenständen anknüpft, nicht auch an das fremde Eigentumdieser Objekte. Der Wortlaut der Vorschrift spricht insoweit für dieseAuslegung, als in § 306a Abs. 2 StGB auf die in § 306 Abs. 1 StGB vorder Aufzählung der einzelnen Tatobjekte stehende Fremdheit geradenicht Bezug genommen wird und sich andernfalls die schlichte Ver-weisung auf »306 Abs. 1« angeboten hätte.5 Hierfür sprechen auchsystematische Erwägungen.6 Fremde Sachen sind als Tatobjekte des-halb nicht ausgeschlossen. § 306a Abs. 2 StGB ist auch in diesem Fallkeine Qualifikation des § 306 Abs. 1 StGB.7

Für die Gesundheitsgefahr ist anzuknüpfen an die zu anderen Vor-schriften des Abschnitts »Gemeingefährliche Straftaten« verwendeteGefahrformel.8 Dazu hat der BGH betont, dass die Frage, wann einekonkrete Gefahr vorliegt, sich exakter wissenschaftlicher Umschreibungentzieht. Die Tathandlung muss aber jedenfalls über die ihr innewoh-nende latente Gefährlichkeit hinaus im Hinblick auf einen bestimmtenVorgang in eine kritische Situation für das geschützte Rechtsgut geführthaben. In dieser Situation muss – was nach der allgemeinen Lebens-erfahrung aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurtei-len ist – die Sicherheit einer bestimmten Person so stark beeinträchtigtworden sein, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgutverletzt wurde oder nicht. Allein der Umstand, dass sich Menschen inenger räumlicher Nähe zur Gefahrenquelle befinden, genügt noch nichtzur Annahme einer konkreten Gefahr einer Gesundheitsschädigung.Andererseits ist nicht der Eintritt einer Gesundheitsschädigung selbstTatbestandsvoraussetzung. Die Anforderungen an die Feststellungeiner konkreten Gefahr dürfen zudem nicht überspannt werden.9

Sowohl die Tathandlung als auch die Gesundheitsgefährdungmüssen vom Vorsatz umfasst sein.10

c) § 306a Abs. 3 StGBFür minder schwere Fälle der schweren Brandstiftung stellt das neueRecht einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zurVerfügung. Die Neufassung kann deshalb u.U. ein milderes Gesetz iSv§ 2 Abs. 3 StGB sein. Dies hat der BGH für Fälle angenommen, in denenzwei vertypte Milderungsgründe (zweifach gemilderter Strafrahmen:ein Monat bis acht Jahre und fünf Monate) vorgelegen hatten.11

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1 Vgl. BGHSt 26, 121, 122; BGHR StGB § 306 Nr. 2 Wohnung 8, 9; BGH, Beschl. v.10.12.1998 – 3 StR 364/98.

2 Vgl. zum alten Recht: BGHSt 34, 115, 117 f.; BGH, NStZ 1985, 455; BGH, Beschl.v. 9.8.1995 – 1 StR 282/95. Zum neuen Recht: BGH, NStZ 2000, 197; ebenso BGH,NJW 2000, 3581.

3 Bestätigung von BGHSt 8, 38; BGH, NJW 1992, 2903, 2905; Abgrenzung zuBGHSt 44, 91.

4 BGH, NStZ 2000, 197.5 Horn, in: SK-StGB, 49. Lfg., § 306a Rn 25. 6 Vgl. Wolters, JR 1999, 208, 209. 7 So Horn (Fn 5), § 306a Rn 26, 24; a.A. Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl., § 306a

Rn 10. BGH, NStZ 1999, 32, 33, mit insoweit zust. Anm. Wolters, JR 1999, 208,209; BGH, Beschl. v. 10.12.1998 – 3 StR 364/98; BGH, NStZ-RR 2000, 209.

8 Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 48. 9 Vgl. BGH, NStZ 1985, 263, 264; 1996, 83 m. Anm. Berz; BGH, JR 1997, 113, 114

m. krit. Anm. Renzikowski; BGHR StGB § 315 Abs. 1 Gefährdung 1; siehe auchRoxin, Strafrecht AT, Bd. 1, 3. Aufl., § 11 Rn 122 f., jew. mwN; BGH, NStZ 1999, 32.

10 BGH, Beschl. v. 15.3.2000, NStZ-RR 2000, 209.11 BGH, StV 1998, 546; BGH, Beschl. v. 17.11.1999 – 3 StR 452/99.

28 Gleiches gilt für die einseitige allgemeine Umlageerklärung nach der BetrKostUV.

Die BGH-Rechtsprechung zu Brand-stiftungsdelikten und zum Versiche-rungsmissbrauch nach dem 6. StrRGRiBGH Wolfgang Pfister, Karlsruhe

Das am 1.4.1998 in Kraft getretene 6. StrRG hat die Brandstiftungsdelikte»angesichts offenkundiger Mängel« der bisherigen Gesetzeslage weitgehendneu geregelt und dabei auch die Vorschrift über den Versicherungsbetruggeändert. Das Ergebnis ist im Schrifttum auf heftige Kritik gestoßen. Derzeitbereitet das BMJ zwar einen Gesetzentwurf zur »Reparatur« der §§ 306 ff.StGB vor; die Rechtspraxis muss jedoch vorerst mit der aktuellen Gesetzeslagearbeiten. Der Beitrag spricht in gedrängter Form die Fragen an, zu denen derBGH in Entscheidungen bereits Stellung bezogen hat.

1. Schwere Brandstiftung (§ 306a StGB)

a) § 306a Abs. 1 StGBDie Vorschrift entspricht – von Änderungen bei den geschützten Tat-objekten und einer Erweiterung der Tathandlung um die Brandlegungabgesehen – weitgehend § 306 aF. Wie bei § 306 Nr. 2 StGB aF wirdauch bei § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB nF vorausgesetzt, dass das in Brandgesetzte Gebäude im Zeitpunkt der Brandsetzung der Wohnung vonMenschen dient. Die Einwilligung in die Inbrandsetzung durch alleWohnungsinhaber führt – wie bisher – zur Entwidmung. Das Gebäudeist von da an nicht mehr für Wohnzwecke vorgesehen.1 Bei einemgemischt genutzten Gebäude, also bei einem nach der baulichen Beschaf-fenheit einheitlichen Gebäude, das z.T. auch der Wohnung vonMenschen dient, reicht es auch nach neuem Recht entsprechend demSchutzzweck der Norm zur Deliktsvollendung aus, dass der Brand nurden gewerblichen Teil erfasst und nicht auszuschließen ist, dass dasFeuer auf den Wohnbereich übergreifen kann.2

Auch die Fallgestaltung mehrfacher »Beteiligung« an einer schwerenBrandstiftung ist nicht erst seit dem neuen Recht problematisch:

Der Angeklagte überredet einen Dritten dazu, sein in einem Wohn-haus gelegenes Ladenlokal in Brand zu setzen. Ehe dieser die Tatbegehen kann, wird er verhaftet. Gleichwohl brennt das Lokal alsbaldab, was entweder auf eine erfolgreiche Anstiftung eines anderen durchden Angeklagten oder auf eine vom Angeklagten selbst (mit)täter-schaftlich begangene Brandstiftung zurückzuführen ist. Hier ist nachdem Zweifelsgrundsatz der Angeklagte im 2. Tatkomplex nur alsAnstifter anzusehen. Bei der Beurteilung des Verhältnisses der beidenTatkomplexe zueinander ist aber zu bedenken, dass die versuchteAnstiftung zur schweren Brandstiftung zu einer sodann vom Auffor-dernden selbst als Täter oder Mittäter begangenen schweren Brand-stiftung subsidiär wäre.3 Deshalb muss, soweit es die Frage der zusätz-lichen und selbständigen Strafbarkeit wegen versuchter Anstiftung

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2. Besonders schwere Brandstiftung (§ 306b StGB)

a) § 306b Abs. 1 StGBDas normative Tatbestandsmerkmal der »großen Zahl von Menschen«ist tatbestandsspezifisch vom Wortlaut und von der Systematik desGesetzes her auszulegen. Ausgehend davon, dass sich die Qualifika-tion auf sämtliche Tatobjekte iSd §§ 306 u. 306a StGB erstreckt, dasssie mit der schweren Gesundheitsschädigung eines Menschen gleich-gestellt ist und dass der Strafrahmen nur geringfügig angehoben ist,hat der BGH gefolgert, dass die Zahl der Geschädigten jedenfalls dann»groß« ist, wenn 14 Personen als Bewohner eines mittelgroßen Hausesbetroffen sind.12

b) § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGBDer Qualifikationstatbestand ist neu eingefügt worden: Durch dieBrandstiftung muss ein anderer Mensch in die konkrete Gefahr desTodes gebracht worden sein; auf diesen straferhöhenden Umstandmuss sich der (zumindest bedingte) Vorsatz des Täters beziehen.13

Unter Hinweis auf die Parallelität zu § 250 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF, auf denStrafrahmenunterschied zu § 306b Abs. 1 StGB und auf die Entste-hungsgeschichte der Norm hat der BGH entschieden, dass die Vor-schrift kein erfolgsqualifiziertes Delikt ist, sondern auch hinsichtlichdes Eintritts der Todesgefahr Vorsatz voraussetzt.14 Für die Versuchs-strafbarkeit kommt es deshalb nur darauf an, dass der Täter zur Ver-wirklichung des Tatbestands iSv § 22 StGB unmittelbar angesetzt hat.Wegen Versuchs einer besonders schweren Brandstiftung ist schonstrafbar, wer – wie in dem der Entscheidung zugrunde liegendenSachverhalt –15 einen Brandanschlag auf ein Wohnheim ausführt unddabei die Todesgefahr für die Bewohner billigend in Kauf nimmt;es braucht dabei weder das Gebäude in Brand gesetzt noch die kon-krete Gefahr tatsächlich eingetreten zu sein.

c) § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGBGegenüber § 307 Nr. 2 StGB aF ist die Qualifikation nicht mehr auf dasAusnutzen der Brandstiftung zu bestimmten Delikten beschränkt,sondern auf das Ermöglichen jedweder Straftat ausgedehnt und um dieAlternative des Verdeckens erweitert worden; die Strafdrohung istdagegen deutlich abgesenkt worden. Der BGH hat deshalb bereitsmehrfach entschieden, dass diese Qualifikation auch dann erfüllt ist,wenn die schwere Brandstiftung zum Zweck eines Betruges zum Nach-teil der Versicherung begangen wird.16 Anders als nach altem Recht17

besteht nach der deutlichen Herabsetzung der Mindeststrafe fürbesonders schwere Brandstiftung kein Anlass und angesichts desklaren, mit dem anderer Strafbestimmungen (§§ 211, 315 Abs. 3 StGB)übereinstimmenden neuen Gesetzeswortlaut auch keine Möglichkeitfür eine restriktive, an den Grundsätzen früherer Rechtsprechung zu§ 307 StGB aF anknüpfende Auslegung in dem Sinn, dass die Straftat,die durch den Brand vorbereitet werden soll, nach der Vorstellung desTäters gerade durch die akute, gemeingefährliche Brandsituationbegünstigt sein müsse.18

Nicht selten ist die Konstellation zu beurteilen, dass der Täter derBrandstiftung die Tat nicht mit der Absicht eines anschließendenVersicherungsbetrugs begeht, diese Absicht aber bei dem zur TatAnstiftenden vorliegt. Insoweit ist von Bedeutung, dass die Ermög-lichungsabsicht nicht tatbezogen, sondern täterbezogen ist19 und einstrafschärfendes besonderes persönliches Merkmal iSd § 28 Abs. 2 StGBdarstellt, das die erschwerte Bestrafung des seine Voraussetzungenerfüllenden Teilnehmers auch dann zulässt, wenn es beim Haupttäternicht gegeben ist.20

Anstiftung zu § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB kann auch begehen, wer nurwill, dass der Haupttäter dies tut, um einen Versicherungsbetrugbegehen zu können. Unter »andere Straftat« iSd § 306b Abs. 2 Nr. 2StGB ist nicht nur eine andere Straftat des Täters, sondern auch eineandere Straftat einer anderen Person zu verstehen. Dies ist für den

Anwendungsbereich der insoweit gleichlautenden Vorschrift des § 211Abs. 2 StGB anerkannt.21 Zur Begründung wird angeführt, dass wederder Wortlaut noch der Sinn des Gesetzes eine einschränkende Aus-legung des Anwendungsbereichs zulassen. Für den Anwendungs-bereich des § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB, der vom Wortlaut mit der ent-sprechenden Mordqualifikation des § 211 Abs. 2 StGB und mit § 315Abs. 3 Nr. 1b StGB (= § 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB aF) völlig übereinstimmt,kann nichts anderes gelten. Für die Auslegung der Merkmale derErmöglichungs- und Verdeckungsabsicht gelten nach bisherigerAuffassung dieselben Grundsätze.

Wie sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs zum 6. StrRGergibt, wurde bei der Qualifikation »eine andere Straftat zu ermög-lichen oder zu verdecken« an die entsprechende Vorschrift des § 315Abs. 3 Nr. 2 StGB aF angeknüpft, ohne dass den Gesetzgebungsmate-rialien irgendein Anhaltspunkt zu entnehmen ist, dass dieses wort-gleich übernommene Qualifikationsmerkmal bei § 306b StGB einenanderen Anwendungsbereich als bei § 315 Abs. 3 Nr. 1b oder § 211Abs. 2 StGB haben solle.22

Der besondere Unwert der schweren Brandstiftung, »um eine andereStraftat zu ermöglichen«, liegt darin, dass sie der Begehung kriminel-len Unrechts dienen soll, wobei sich die erhöhte Verwerflichkeit ausder Bereitschaft, zur Durchsetzung krimineller Ziele ein abstrakt(§ 306a Abs. 1 StGB) oder konkret (§ 306a Abs. 2 StGB) gefährlichesBrandstiftungsdelikt zu begehen, mithin aus der Verknüpfung vonUnrecht mit weiterem Unrecht durch den Täter, ergibt.23 Unter diesenGesichtspunkten rechtfertigt sich – ebenso wie bei § 211 Abs. 2 und§ 315 Abs. 3 Nr. 1b StGB – keine unterschiedliche Behandlung, gleichob der Täter weiteres eigenes oder fremdes kriminelles Unrecht ermög-lichen will. Auch die hohe Mindeststrafe des § 306b Abs. 2 StGB mitfünf Jahren Freiheitsstrafe, für deren Anwendungsbereich zzt. ein min-der schwerer Fall nicht zur Verfügung steht, gebietet eine unterschied-liche Auslegung nicht. Wie sich aus der Gesetzgebungsgeschichteergibt, wurde die Herabsetzung der Untergrenze des Strafrahmens vonzehn (§ 307 StGB aF) auf fünf Jahre (§ 306b Abs. 2 StGB nF) damitbegründet, dass die Qualifikationsmerkmale gegenüber der altenFassung erweitert worden sind.24

3. Tätige Reue (§ 306e StGB)

Die Vorschrift des § 306e Abs. 3 StGB wurde auf der Grundlage des§ 311e StGB aF (früher § 311c StGB) neu geschaffen.25 Sie gilt sowohlfür die vorsätzliche als auch für die fahrlässige Brandstiftung. Von demdurch § 306e StGB ersetzten § 310 StGB aF unterscheidet sie sichinsoweit, als § 310 StGB aF voraussetzte, dass der Täter den Brandgelöscht hatte, bevor dieser entdeckt und ein weiterer als der durch diebloße Inbrandsetzung bewirkte Schaden entstanden war. Nach § 306eAbs. 3 StGB genügt, wenn der Brand ohne Zutun des Täters gelöscht

Pf i s ter, D ie BGH-Rechtsprechung zu Brandst i f tungsde l ik ten …

12 BGHSt 44, 175 = NJ 1998, 658 (Leits.); Anm. Kühn, NStZ 1999, 559.13 Vgl. die Begründung des Ges.Entw., BT-Drucks. 13/8587, S. 49 zu § 306a Abs. 1.14 BGH, NJW 1999, 3131; Anm. Radtke, NStZ 2000, 88; Anm. Stein, JR 2000, 115.15 BGH, ebenda.16 BGHSt 45, 211 = NJ 2000, 101 (Leits.); BGH, NStZ 2000, 197; NStZ-RR 2000, 29;

BGH, NJW 2000, 3581.17 Vgl. BGHSt 38, 309; 40, 251.18 BGH, NStZ 2000, 197; krit. Anm. Schlothauer, StV 2000, 138.19 Vgl. BGHSt 23, 39, 40 zum entsprechenden Fall der Verdeckungsabsicht bei

Mord; Lackner/Kühl, StGB, 23. Aufl., § 28 Rn 9 u. § 211 Rn 16; a.A. Tröndle/Fischer (Fn 7), § 211 Rn 14 m. Nachw. zum Meinungsstand.

20 Vgl. Cramer, in: Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl., § 28 Rn 28; BGH, NStZ 2000,197.

21 BGHSt 9, 180, 182 mwN; Jähnke, in: LK, 10. Aufl., § 211 Rn 9; Horn, in: SK-StGB,50. Lfg., § 211 Rn 55; Eser: in: Schönke/Schröder (Fn 20), § 211 Rn 32;Lackner/Kühl (Fn 19), § 211 Rn 12.

22 BT-Drucks. 13/8587, S. 49. 23 BGH, NJW 2000, 226, 228.24 BT-Drucks. 13/8587, S. 49; BGH, NJW 2000, 3581.25 Vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 14/15, 47, 52, 75, 87, 88, 89; BT-Drucks. 13/9064,

S. 22.

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wird, bevor ein »erheblicher Schaden« entstanden ist, nunmehr dasfreiwillige und ernsthafte Bemühen des Täters, dieses Ziel zu erreichen,um die Rechtsfolgen »tätiger Reue« eintreten zu lassen.26

4. Versicherungsmissbrauch (§ 265 StGB) undVersicherungsbetrug (§ 263 Abs. 3 Nr. 5 StGB)

§ 265 StGB ist von einem Verbrechenstatbestand (Versicherungs-betrug) in einen gegenüber § 263 formell subsidiären Vergehenstat-bestand (Versicherungsmissbrauch) umgewandelt worden. Tatobjektesind nicht mehr nur die gegen Feuergefahr versicherten Sachenbzw. die in verschiedener Form versicherten Schiffe, sondern gegenunterschiedliche Risiken (u.a. auch Diebstahl) versicherte Sachen;auch die Tathandlungen sind erweitert worden und umfassen jetztvielfältige Vortäuschungen von Versicherungsfällen.

Zugleich hat der Gesetzgeber aber in § 263 Abs. 3 Nr. 5 StGB nF dasVortäuschen eines Versicherungsfalls durch Inbrandsetzen als Regel-beispiel eines besonders schweren Falles des Betrugs mit einem Straf-rahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren ausgestaltet, durch dasder wesentliche Regelungsgehalt des § 265 StGB aF übernommen wor-den ist.27 Hieraus ergeben sich Konsequenzen für die Entscheidung,welche Vorschriften im konkreten Fall28 als das jeweils mildere Rechtauf vor dem 1.4.1998 (In-Kraft-Treten des 6. StrRG) begangene Tatenanzuwenden sind.

Bei der Prüfung, ob das neue Recht milder ist, fällt – für sich genom-men – die Änderung des Verbrechenstatbestands des Versicherungs-betrugs in das Vergehen des Versicherungsmissbrauchs (§ 265 Abs. 1StGB nF) bei formeller Subsidiarität gegenüber dem später begangenenBetrug nicht ins Gewicht. Die Herabstufung des Versicherungsmiss-brauchs wird durch Aufwertung des Betruges in Form eines Regel-beispiels zum besonderen schweren Fall ausgeglichen. Zudem ist zuberücksichtigen: »Dem gesteigerten Unrecht solcher Handlungen, dieeine Gemeingefahr auszulösen vermögen, wird wie schon bisher durchdie Anwendung des jeweils einschlägigen gemeingefährlichen DeliktsRechnung getragen«.29

Die versuchte Anstiftung zum Versicherungsbetrug (§ 265 aF, § 30Abs. 1 StGB) ist nach der Herabstufung zum Vergehenstatbestandnicht mehr strafbar, das neue Recht ist somit milder.30

Liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Tatrichter die Tatnicht als besonders schweren Fall des Betruges verurteilt hätte, ist § 265StGB nF iVm § 263 StGB nF nicht das mildere Recht.31

5. Tatidentität zwischen Brandstiftung und Betrug

In einem vom 4. Strafsenat des BGH entschiedenen Fall war in derAnklage zwar die schwere Brandstiftung, die der Täter zum Zweck derTäuschung der Versicherungen vorgenommen hatte, nach Ort undZeit konkret beschrieben worden. Die Anklage hatte aber keine Anga-ben zu den anschließend erfolgten Betrugsversuchen enthalten. Darinist kein Verfahrenshindernis gesehen worden, weil die Brandstiftungund die sodann vom Täter versuchten Betrugstaten zum Nachteil derverschiedenen Versicherungen regelmäßig eine Tat im prozessualenSinn darstellen.32

Neues Steuerrecht für Stiftungen MinRat Günter Winands, Bonn*

Mit dem Gesetz zur weiteren steuerrechtlichen Förderung von Stiftungenv. 14.7.2000 (BGBl. I S. 1033) wurde ein erster wichtiger Schritt zur Reformdes Stiftungsrechts in Deutschland getan. Der Autor informiert über dieserückwirkend zum 1.1.2000 geltenden verbesserten Regelungen für Stifter undStiftungen und verweist zugleich auf zusätzliche, von der Öffentlichkeitbisher kaum beachtete, aber ebenfalls bereits wirksam gewordene steuer-rechtliche Vergünstigungen außerhalb des neuen Stiftungsrechts.

1. Zum Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens

Das neue Stiftungssteuerrecht ist aus einer Gesetzesinitiative derKoalitionsfraktionen vom Dez. 1999 entstanden, der ein längereröffentlicher und koalitionsinterner Abstimmungsprozess voraus-gegangen war.1 Der Begriff »Stiftungssteuerrecht« ist dabei eine imGesetzestext nicht zu findende, aber gängige zusammenfassendeBezeichnung für alle steuerrechtlichen Vorschriften in Bezug aufStiftungen im Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuerrechtsowie anderer Steuergesetze. Die Reform hat deshalb auch kein speziel-les eigenständiges Steuergesetz für Stiftungen geschaffen; vielmehrhandelt es sich um ein Artikelgesetz mit Änderungen und Ergänzun-gen der einschlägigen allgemeinen Steuergesetze.

Parallel zur Koalitionsinitiative wurden sowohl im Bundestag wie imBundesrat weitere Gesetzesinitiativen eingebracht und beraten.2

Ein Novum in der Parlamentsgeschichte war es, dass die Gesetzes-beratungen im Bundestag nicht federführend im für steuerrechtlicheMaterien fachlich zuständigen Finanzausschuss, sondern im Kultur-ausschuss stattfanden. Die endgültige Fassung erhielt das Gesetz erstim Vermittlungsausschuss.3 Trotz der schwierigen Situation der öffent-lichen Haushalte und der darauf basierenden grundsätzlichen Zurück-haltung der Finanzpolitiker siegte am Ende der Stiftungsgedanke.

2. Die neuen steuerrechtlichen Vergünstigungen für Stifter

a) Verbesserung des Sonderausgabenabzugs für StiftungsdotationenMit Rückwirkung zum 1.1.2000 gelten durch das neue Stiftungs-steuerrecht erheblich verbesserte steuerliche Abzugsmöglichkeiten fürZuwendungen an Stiftungen. Die großzügig bemessenen neuen Steuer-vorteile lassen es auch für breite Schichten der Bevölkerung interessantwerden, ernsthaft darüber nachzudenken, »Stiften zu gehen«. »Stiften«ist nicht mehr nur ein Privileg von Reichen.

Zuwendungen eines Stifters an eine selbst errichtete gemeinnützigeStiftung oder als Zustiftung an eine bereits bestehende Stiftung wer-den vom Staat mit Steuervorteilen belohnt.4 Solche Spenden mindern

Kurzbe i t räge Pfis ter, D ie BGH-Rechtsprechung zu Brandst i f tungsde l ik ten …

* Der Autor ist Referatsleiter u.a. für Stiftungswesen beim Beauftragten der Bundes-regierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien.

1 Ges.Entw. der Bundestagsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen v.13.12.1999, BT-Drucks. 14/2340; siehe zur Genesis: Schwerpunkt-Heft »Reform-debatte. Auseinandersetzungen über die Weiterentwicklung des Stiftungs- undStiftungssteuerrechts«, Deutsche Stiftungen. Mitt. des Bundesverbandes DeutscherStiftungen, Ausgabe 3/1999; G. Winands, Bericht zum Stand des Gesetzgebungs-verfahrens auf der 56. Jahrestagung des Bundesverbandes Deutscher Stiftungenv. 10.-12.7.2000 in Weimar, abgedr. im Tagungsbd., Berlin 2000, S. 330-333.

2 Ges.Entw. der FDP-Fraktion v. 28.1.1999, BT-Drucks. 14/336; Antrag der CDU/CSU-Fraktion: Ein modernes Stiftungsrecht für das 21. Jahrhundert, v. 9.11.1999,BT-Drucks. 14/2029; Ges.Antrag des Landes BW v. 11.11.1999, BR-Drucks. 629/99;Ges.Antrag des Landes Hessen v. 20.12.1999, BR-Drucks. 752/99; Ges. Antrag derLänder BW, Bayern, Saarland und Thüringen v. 19.4.2000, BR-Drucks. 232/00.

3 Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses, BT-Drucks. 14/3528; Zustim-mung von Bundestag und Bundesrat zum Ergebnis des Vermittlungsausschusses,BR-Drucks. 351/00, BR-Plenarprot. 752. Sitzung, S. 216.

4 Zusammenf. Darstellung des Stiftungssteuerrechts, allerdings noch nicht aufdem aktuellen Gesetzgebungsstand: R. Pöllath; Stiftungssteuerrecht, in: Seifart/von Campenhausen (Hrsg.), Hb. des Stiftungsrechts, 2. Aufl., München 1999,§§ 39-43; Bundesverband Deutscher Stiftungen, Ratgeber für Stifter. Zur Errich-tung einer Stiftung, 3. Aufl., Bonn 1998, S. 27-40.

26 BGHR StGB § 306 e III Bemühen 1.27 Vgl. Bericht des Rechtsausschusses v. 13.11.1997, BT-Drucks. 13/9064, S. 18. 28 Entscheidungen zu § 2 Abs. 3 StGB können immer nur auf der Beurteilung der

konkreten Fallbesonderheiten ergehen (BGHSt 22, 25; BGH, NStZ-RR 1998, 103,104; 105, 106).

29 Vgl. Bericht des Rechtsausschusses (Fn 27), S. 20; BGH, NStZ 1999, 32.30 BGH, NStZ 1999, 243.31 BGH (3. Senat), NStZ-RR 1998, 235; vgl. auch BGH, Beschl. v. 10.12.1998 – 3 StR

364/98, sowie andererseits BGH (1. Senat), NStZ-RR 1998, 235.32 BGHSt 45, 211 = NJ 2000, 101 (Leits.); krit. Anm. Schlothauer, StV 2000, 138.

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129Neue Justiz 3/2001

das steuerpflichtige Einkommen des Stifters als Sonderausgabe. Dasneue Stiftungsrecht erweitert die Möglichkeiten des Sonderausgaben-abzugs in erheblichem Umfang.

Nunmehr können für Zuwendungen an gemeinnützige private Stif-tungen wie auch an öffentlich-rechtliche und kirchliche Stiftungenpro Jahr bis zu 40.000 DM als Sonderausgabenabzug steuerminderndgeltend gemacht werden, und zwar unabhängig von der Höhe desindividuellen Jahreseinkommens (§ 10b Abs. 1 Satz 3 EStG, § 9 Abs. 1Nr. 2 Satz 3 KStG [Art. 3 Nr. 2a, Art. 4 Nr. 1]5). Steuerbegünstigt sindalle Stiftungszwecke, mit Ausnahme der in § 52 Abs. 2 Nr. 4 AOaufgeführten Freizeitzwecke.6 Stiftet jemand noch höhere Summen,so kann er diese nach den fortgeltenden allgemeinen Regeln desSpendenrechts bis zu einer Grenze von 5% seines Jahreseinkommenssteuerlich absetzen; bei Unternehmen gilt daneben als Obergrenze2% der Summe der gesamten Umsätze oder der im Kalenderjahr auf-gewendeten Löhne oder Gehälter. Bei Zuwendungen zu mildtätigen,wissenschaftlichen oder als besonders förderungswürdig anerkanntenkulturellen Zwecken verdoppelt sich der Spendenrahmen noch weiterauf 10% des Gesamtbetrags der Einkünfte (siehe § 10b Abs. 1 Satz 1u. 2 EStG, § 9 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 u. 2 KStG).

Für Stifter, die ein großes Vermögen in eine gemeinnützige Stiftungeinbringen können, ist durch das neue Stiftungsrecht ein besondererAnreiz zur Stiftungsgründung hinzugefügt worden. Privatpersonenund Personenunternehmen (bewusst keine Körperschaften!) könnenab sofort die erstmalige Vermögensausstattung einer neu gegründetenStiftung im Jahr der Zuwendung und – nach eigenem Ermessen – inden folgenden neun Jahren bis zu einer Höhe von insges. 600.000 DMabsetzen (§ 10b Abs. 1a EStG [Art. 3 Nr. 2b]). Als anlässlich der Neu-gründung einer Stiftung geleistet gelten Zuwendungen bis zum Ablaufeines Jahres nach Gründung der Stiftung. Die Verteilung des Abzugs-betrags auf den Zehn-Jahres-Zeitraum liegt im Ermessen des Steuer-pflichtigen, also des Stifters. Auch diese Regelung schlägt – wie die40.000 DM-Vorschrift – auf die Gewerbesteuer von Einzelunter-nehmen und Personengesellschaften durch.7 Allseits wird erwartet,dass von der neuen 600.000 DM-Starthilferegelung einige Gründungs-impulse ausgehen.

Nach allgemeinem Spendenrecht gibt es des weiteren – wie bisher –die Möglichkeit, Großspenden für mildtätige, wissenschaftliche oderkulturelle Zwecke, die den Betrag von 50.000 DM übersteigen, imRahmen der Höchstsätze im Jahr der Zuwendung und den folgendensechs Jahren, also insges. über sieben Jahre, abzuziehen (§ 10b Abs. 1Satz 4 EStG, § 9 Abs. 1 Nr. 2 Satz 4 KStG). Diese Alternative ist nun-mehr bei solchen Großspenden relevant, die nicht im Zuge derErrichtung einer Stiftung, sondern später als Zustiftung geleistet wer-den, oder wenn das gespendete Anfangsvermögen einer Stiftung denBetrag von 600.000 DM übersteigt sowie generell bei Großspendenvon Körperschaften. Bei derartigen Größenordnungen wird, um diegünstigste Gestaltungsmöglichkeit zu ermitteln, der Rat eines steuer-lichen Sachverständigen notwendig sein. Stiftungswillige Bürger kön-nen und sollten sich in all diesen Fragen auch durch die Finanzämtersowie von den für die Genehmigung von Stiftungen zuständigenBehörden beraten lassen. Diese sind – aufgrund der Stiftungsgesetze derBundesländer je nach Bundesland verschieden – in den Flächenstaatenbei den Bezirksregierungen und ansonsten bei den Innenministerienangesiedelt; in den Stadtstaaten bei den Senatsverwaltungen (Berlin:Justiz; Bremen: Inneres) oder bei der Senatskanzlei (Hamburg).

b) Befreiungen von der Erbschaft- und SchenkungsteuerViele gemeinnützige Stiftungen werden erst aufgrund testamentari-scher Verfügung nach dem Tode des Stifters errichtet. Der Gesetzgeberhat dafür gesorgt, dass in diesem Fall keine Erbschaftsteuer anfällt.Das ErbschaftsteuerG stellt Zuwendungen für gemeinnützige, mild-tätige oder kirchliche Zwecke von der Erbschaft- und Schenkungsteuerfrei (siehe § 13 Abs. 1 Nr. 16 ErbStG).

Nach dem neuen Stiftungsrecht erlischt zudem die Steuer mit Wir-kung für die Vergangenheit, soweit ein Erbe oder Beschenkter die durchdie Erbschaft oder Schenkung erworbenen Gegenstände innerhalb von24 Monaten einer Stiftung zuwendet (§ 29 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 ErbStG[Art. 6]). An Erbschaften oder Schenkungen, die in eine gemeinnützigeStiftung fließen, will der Staat also keine Steuermark verdienen.

c) Vergünstigungen für Spenden von UnternehmenGewerbetreibende können ihre Gewerbesteuerlast reduzieren, wenn sieaus den Mitteln des Gewerbebetriebs Ausgaben zur Förderung einer ge-meinwohlorientierten Stiftung leisten. Der Gewinn aus Gewerbebetrieb,an dem die Bemessung der Gewerbesteuer anknüpft, mindert sich um diegleichen Beträge, die beim Spendenabzug nach dem EStG bzw. KStG gel-ten. Die gewerbesteuerlichen Vorteile wurden im Zuge der Reform durcheine analoge 40.000 DM- bzw. 600.000 DM-Regelung erheblich verbessert(siehe § 9 Nr. 5 GewStG [Art. 5]). Die gemeinnützige Stiftung als solche– wie auch andere gemeinnützige Körperschaften – sind auch bisherschon grundsätzlich von der Gewerbesteuer befreit (§ 3 Nr. 6 GewStG).8

Möchte ein Unternehmer oder ein Unternehmen einen bestimm-ten Gegenstand einer gemeinnützigen Stiftung unentgeltlich zukom-men lassen (etwa ein Gebäude oder ein wertvolles Kunstwerk), das sichim Vermögen des Betriebs befindet, so kann hierfür nunmehr zudemim Regelfall das sog. Buchwertprivileg beansprucht werden (§ 6 Abs. 1Nr. 4 Satz 5 EStG [Art. 3 Nr. 1a]). Diese Regelung stellt eine Ausnahmevon dem Grundsatz dar, dass bei Entnahmen aus einem Betriebs-vermögen normalerweise die Differenz zwischen dem Buchwert unddem Verkehrswert des entnommenen Gegenstandes als Auflösungstiller Reserven zu versteuern ist. Wird eine Stiftung bedacht, nimmtder Staat jetzt auch insoweit seine Besteuerung zurück; durch dieSteuerverschonung will er dazu ermuntern, in Unternehmen schlum-mernde stille Reserven zugunsten des Gemeinwohls aufzulösen.

d) Privilegierung von Stiftungsdotationen gegenüber Zuwendungenan andere gemeinnützige OrganisationenDie durch die Stiftungsreform geschaffenen neuen steuerlichen Spen-denabzugsmöglichkeiten sind bewusst auf gemeinnützige Stiftungenbeschränkt, gelten also nicht für Zuwendungen an andere gemein-nützige Körperschaften. Denn der deutsche Gesetzgeber wollte gezieltStiftungen als eine besonders nachhaltige, auf Dauer angelegte Formder Gemeinwohlpflege fördern.9 Neben Stiftungen des privatenRechts werden auch öffentlich-rechtliche Stiftungen, die gerade imKulturbereich und hier vor allem in den neuen Ländern anzutreffensind – etwa die Stiftung »Weimarer Klassik« oder die Stiftung »BauhausDessau« –, sowie kirchliche Stiftungen begünstigt.

e) Die zwangsläufige Folge von Steuerverschonungen: Steuerausfälle Insgesamt rechnen die Finanzminister von Bund und Ländern mitjährlichen Steuerausfällen durch die neuen Spendenabzugsmöglich-keiten i.H.v. 1,5 Mrd. DM.10

Winands , Neues Steuerrecht für St i f tungen

5 Klammerangaben beziehen sich stets auf die Fundstelle im Ges. v. 14.7.2000.6 Ausgenommen sind damit die – z.T. systemfremd – in der AO als gemeinnützig aner-

kannten Freizeitzwecke wie Kleingärtnerei, Karneval, Modellflug oder Hundesport.7 Siehe auch unter 2. c).8 Gewerbesteuerpflicht – und auch Körperschaftsteuerpflicht – besteht hingegen,

falls eine Stiftung einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhält. Wie bei derKörperschaftsteuer gilt aber auch bei der Gewerbesteuer eine Besteuerungsgrenze,d.h. eine Stiftung braucht keine Körperschaft- bzw. Gewerbesteuer zu zahlen,wenn die Einnahmen aller steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebeeinschl. Umsatzsteuer insges. 60.000 DM im Jahr nicht übersteigen (siehe § 64 AO).

9 Kritik an dieser rechtsformabhängigen Förderung unter Hinweis auf den Gleich-heitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG: R. Hüttemann, Handelsblatt v. 8.2.2000.Nach hiesiger Auffassung steht dem Gesetzgeber hier indes ein weiter gesetz-geberischer Gestaltungsspielraum zu. Die Bevorzugung der Rechtsform Stiftungwar dem Steuerrecht auch bislang schon nicht fremd. So galt das – bisher aufWissenschaft und Kultur begrenzte – Erbenprivileg des § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStGauch in der Vergangenheit nur für Stiftungen.

10 Siehe etwa NRW-Finanzminister P. Steinbrück als Berichterstatter für den Ver-mittlungsausschuss im Bundesrat am 9.9.2000, BR-Plenarprot. 752. Sitzung, S. 215.

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Neue Justiz 3/2001130

Eines indes zur Klarstellung: Stiftungen sind kein Steuersparmodell.Dem unterschwelligen Vorwurf, wer stifte, tue dies vor allem, umSteuern zu sparen, ist energisch entgegenzutreten. Dies zieht privatesMäzenatentum zu Unrecht in Zweifel und beschädigt es. Denn selbstwer in Deutschland unter die höchste Besteuerung fällt, also den Spit-zensteuersatz zahlt, erhält im günstigsten Fall für zwei Spendenmarknur eine Steuermark zurück, und das Gemeinwohl erhält selbst-verständlich 100% mehr, als ihm über die Steuereinnahme zufließt.Allerdings setzt dies voraus, dass privates Wirken für das Gemeinwohldie gleiche Bewertung erhält wie staatliches Tun. Der Gedanke, »mehrStaat« sei stets das beste Mittel, um das gemeine Wohl zu befördern,hat sich indes auch in Deutschland als große Illusion erwiesen.

3. Die neuen steuerrechtlichen Verbesserungen für Stiftungen

Das neue Stiftungssteuerrecht enthält nicht nur viele Steuervorteilefür den stiftungswilligen Bürger, es verbessert auch die steuerlicheBehandlung der Stiftungen selbst, sofern sie gemeinnützige Zweckeverfolgen. Gemeinnützige Stiftungen sind – auch schon nach bisheri-gem Recht – von vielen Steuern befreit, etwa von der Körperschaft-steuer (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG)11 oder der Grundsteuer (§ 3 Abs. 1 Nr. 3GrStG). Vor allem unterliegen die Erträge aus dem Stiftungskapital, mitdenen die Stiftungsarbeit finanziert wird, nicht der Zinsbesteuerung,sofern die Stiftung ihrem Kreditinstitut durch eine Bescheinigung desFinanzamtes ihren Status als körperschaftsteuerbefreite inländischeKörperschaft nachweist (§ 44a Abs. 4 EStG); von Kapitalerträgen ein-behaltene Kapitalertragsteuern erhalten steuerbegünstigte Stiftungenerstattet (§ 44c EStG).

Um die Errichtung von Stiftungen zu erleichtern, ist ihnen künftigin den ersten drei Jahren ihrer Existenz gestattet, erwirtschafteteErträge aus dem Stiftungskapital zunächst zur weiteren Erhöhung desStiftungskapitals diesem zuzuführen, also noch nicht für die geplanteStiftungsarbeit auszugeben (§ 58 Nr. 12 AO [Art. 1 Nr. 2b]). Diese neugeschaffene Ansparmöglichkeit dient der Sicherung des Aufbausbesonders von kleineren Stiftungen. Es soll ihnen erlauben, sich in derAnfangszeit auf das Einwerben weiteren Stiftungskapitals und dieKonsolidierung der Stiftungsstrukturen zu konzentrieren. Insbeson-dere Bürgerstiftungen, die sich derzeit in vielen Kommunen als Zusam-menschluss von Bürgern mit dem gemeinsamen Ziel der Förderungregionaler Gemeinwohlanliegen gründen, brauchen zu Beginn einesolche Konsolidierungsphase.

Schließlich dürfen Stiftungen zur Erhaltung ihrer Leistungsfähigkeitkünftig bis zu einem Drittel der Nettoerträge aus dem Stiftungskapitaleiner freien Rücklage zuführen (§ 58 Nr. 7a [Art. 1 Nr. 2a]). Bislangwar die Bildung solcher Rücklagen auf maximal ein Viertel beschränkt;durch das neue Stiftungsrecht wird eine diesbzgl. seit langem vomBundesverband Deutscher Stiftungen erhobene Forderung eingelöst.

4. Ergänzende steuerrechtliche Verbesserungen und Neuregelungen des Spendenrechts

Wichtige steuerliche Verbesserungen für Stiftungen und alle gemein-nützigen Organisationen wurden in letzter Zeit auch außerhalb derStiftungsreform geschaffen. Von der Öffentlichkeit bisher kaumbeachtet, werden durch die im Juli 2000 verabschiedete Steuerreform(Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unterneh-mensbesteuerung – SteuersenkungsG)12 seit dem 1.1.2001 alle gemein-nützigen Einrichtungen besonders begünstigt, soweit sie Erträge ausAnteilen an Unternehmen erzielen. Dadurch, dass ausgeschütteteGewinne bei den Unternehmen jetzt nur noch mit einem Körper-schaftsteuersatz von 25% (statt vorher 30%) besteuert werden, erhöhtsich entsprechend die Rendite, und zwar für gemeinnützige Organi-sationen ungeschmälert. Denn der an diese ausgeschüttete Gewinnunterliegt – im Gegensatz zu anderen Anteilseignern – keiner weiteren

Besteuerung. Insbesondere Stiftungen halten vielfältige Kapital-beteiligungen an Unternehmen. Im Ergebnis erhöhen sich damit dieErträge, die gemeinnützige Einrichtungen und Stiftungen aus Antei-len an Unternehmen erzielen, um gut 7%.

Eine einschneidende Verbesserung vor allem für Stiftungen undgemeinnützige Einrichtungen im Kulturbereich ist schließlich imSpendenrecht durch eine Änderung der Einkommensteuer-DVO13 einge-treten. Grundlegende Verbesserungen und Vereinfachungen desSpendenrechts sind hierdurch seit dem 1.1.2000 in Kraft. Als erstes istdie Abschaffung des sog. Durchlaufspendenverfahrens zu nennen.Spenden an kulturelle Einrichtungen waren früher nur auf einem ver-waltungs- und zeitaufwendigen Weg als Durchlaufspenden über einejuristische Person des öffentlichen Rechts oder eine öffentliche Dienst-stelle möglich; Mitgliedsbeiträge, etwa an den Förderverein einesMuseums oder Theaters, waren überhaupt nicht steuerlich absetzbar.Mit der Abschaffung des Durchlaufspendenverfahrens sind nunmehralle, also nicht nur ein bestimmter privilegierter Kreis von gemein-nützigen Organisationen, berechtigt, selbst Spendenbescheinigungenauszustellen. Dieses Recht haben erstmals vor allem gemeinnützigeEinrichtungen der Kultur. Kulturvereinigungen, bei denen die Mitglie-der keine besondere Gegenleistung für ihren Mitgliedsbeitrag erhal-ten, also in erster Linie Fördervereine, können darüber hinaus auchSpendenquittungen über Mitgliedsbeiträge ausstellen. Ein Großteilder vom BMF geschätzten Steuermindereinnahmen von 120 Mio. DM,aber damit eben auch zusätzlicher Spenden, wird auf den Kultur-bereich entfallen. Die Neuregelung des Spendenrechts ist damit einweiteres Element zur Schaffung bestmöglicher Rahmenbedingungenfür bürgerschaftliches Engagement.

5. Ausblick: Eine neue Stiftungskultur in Deutschland

Die erhöhten staatlichen Aktivitäten zur Stärkung des Bürger- und ins-besondere des Stiftungsengagements können indes nicht dazu dienen,den Staat aus originären staatlichen Verpflichtungen zu entlassen.Dieser mitunter gerade im Kulturbereich zu hörenden Befürchtung istder frühere Kulturbeauftragte der Bundesregierung, StaatsministerDr. Michael Naumann, deutlich entgegengetreten:

»Natürlich geht es bei der Renovierung des Stiftungsrechts aus Sicht desKulturpolitikers auch darum, vor dem Hintergrund staatlicher und kom-munaler Haushaltsnöte neue Geldquellen für die Kultur zu erschließen… (Damit) soll allerdings nicht der Rückzug des Staates aus derKulturförderung eingeläutet werden. Privates finanzielles Engagementsollte vielmehr stärker als bisher ein zweites Standbein der Kultur sein,quasi das Spielbein, das Beweglichkeit und das Einschlagen neuerWege ermöglicht. Gerade Stiftungen mit kalkulierbaren jährlichen Aus-schüttungen können die Abhängigkeit der Kultur von öffentlichenZuwendungen verringern.«14

Die im breiten politischen Konsens erfolgten steuerlichen Verbesse-rungen sollten Ansporn sein, auch beim zweiten Schritt, der Reformdes privaten Stiftungsrechts,15 also den Regelungen über die Grün-dung, Aufsicht und Transparenz von Stiftungen, einen ähnlichenKonsens anzustreben. Ziel sollte ein bürgerfreundliches Verfahrens-recht sein, welches gemeinsam mit der erfolgten Neugestaltung dersteuerlichen Seite eine neue Stiftungskultur in Deutschland auslöstund damit gleichzeitig auch eine Renaissance bürgerlichen Selbst-bewusstseins.

Kurzbe i t räge Winands , Neues Steuerrecht für St i f tungen

11 Soweit kein steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb unterhalten wird;siehe Fn 8.

12 V. 23.10.2000, BGBl. I S. 1433.13 ÄndVO v. 10.12.1999, BGBl. I S. 2413.14 In: Deutsche Stiftungen. Mitt. des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen,

3/2000, S. 44.15 Im Juli 2000 hat sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform des zivilen

Stiftungsrechts unter Federführung des BMJ und unter Beteiligung andererBundesressorts sowie des Kulturbeauftragten konstituiert.

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BUNDESGESETZGEBUNG

Auswertung der BGBl. 2001 I Nr. 1 bis 6Die Neufassung des Wohngeldgesetzes ist in derseit 1.1.2001 geltenden Fassung bekanntgemacht worden und berücksichtigt die seit1993 erfolgten Änderungen. Mit der Wohn-geldreform des Jahres 2000 wurde das Wohn-geld Ost und West abschließend zusammen-geführt, wobei eine Härteausgleichsregelungdie Anpassung des Wohngeldes flankiert.Zudem wurde das Gleichgewicht zwischendem besonderen Mietzuschuss für Sozial-hilfeempfänger (dem bish. Pauschalwohngeld)und dem allgemeinen Wohngeld (dem bish.Tabellenwohngeld) wiederhergestellt. Das neueWohngeldG enthält gleichzeitig Rechtsver-einfachungen; so wird z.B. die Einkommens-ermittlung weitgehend an das Wohnungs-baurecht angepasst. (BGBl. I Nr. 1 S. 2)

Die 8. VO zur Änderung der WohngeldVO v.9.1.2001 setzt die Mietenstufen, die das regio-nal unterschiedliche Mietenniveau widerspie-geln und denen jeweils die Höchstbeträge desWohngeldes zugeordnet sind, für die altenBundesländer zum 1.1.2001 neu fest. (BGBl. INr. 2 S. 83)

Das Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichte-rung der Stimmrechtsausübung (NamensaktienG– NaStrG) v. 18.1.2002 aktualisiert die Vor-schriften des AktienG und ersetzt die Aktien-bücher durch elektronisch führbare Aktien-register. Bisherige Formerfordernisse werdengelockert und auch elektronische Formenzugelassen. Das Gesetz ist im Wesentlichen am25.1.2001 in Kraft getreten. (BGBl. I Nr. 4 S. 123)

Die Neufassung des SGB X ist am 18.1.2001bekannt gemacht worden. Sie berücksichtigtdie seit 1980 insges. 31 Gesetzesänderungen.(BGBl. I Nr. 5 S. 130)

GESETZESINITIATIVEN

GewaltschutzgesetzDas vom Bundeskabinett im Dez. 2000beschlossene GewaltschutzG zielt auf einenbesseren Schutz von Opfern häuslicher Gewaltund von Psychoterror. So sollen Zivilgerichtekünftig auch in Eilverfahren wirksame Schutz-anordnungen treffen können, in dem sie denPeinigern bei Strafe verbieten, sich der Woh-nung oder der Betroffenen zu nähern. Zudemsoll die Geschlagene vor Gericht leichter perEilanordnung durchsetzen können, dass ihrdie gemeinsame Wohnung zeitlich befristetoder dauerhaft zur alleinigen Nutzung zuge-wiesen wird.

(aus: Pressemitt. des BMJ v. 13.12.2000)Siehe zu dieser Problematik M. Diederich, »Plädo-yer für ein Ende häuslicher Gewalt«, NJ 2000, 225 ff.

MietrechtsreformAuf der Sachverständigenanhörung des Rechts-ausschusses des Bundestags am 24.1.2001 istder von der Bundesregierung vorgelegteEntwurf eines MietrechtsreformG (siehe Inform.in NJ 2000, 639) vom Zentralverband derDeutschen Haus-, Wohnungs- und Grundeigen-tümer und vom Bundesverband deutscherWohnungsunternehmen als unzureichendkritisiert worden. So seien u.a. die Fristenver-längerungen für Mieter bei rückständigenMietzahlungen und im Zuge von Modernisie-rungskosten nicht tragbar. Vom DeutschenMieterbund wurde der Entwurf in der jetzigenForm abgelehnt, da er keine einheitliche drei-monatige Kündigungsfrist vorsehe. Dies treffeauch auf den ebenfalls diskutierten Gesetz-entwurf der F.D.P. (BT-Drucks. 14/3896) zu.Darüber hinaus stelle die Möglichkeit der ver-einfachten Umwandlung einer Miet- in eineEigentumswohnung einen schweren Eingriffin ein bestehendes Mietverhältnis dar; diegenerelle Beibehaltung von Zeitmietverträgenverstoße zudem gegen den Kündigungsschutz.(aus: www.Bundestag.de/aktuell/hib v. 24.1.2001)

Rehabilitations- und SchwerbehindertenrechtDie Bundesregierung hat einen Gesetzentwurfzur Rehabilitation und Teilhabe behinderterMenschen (BT-Drucks. 14/5074) vorgelegt,mit dem durch eine Zusammenfassung imSGB IX das Rehabilitations- und Schwerbehin-dertenrecht weiter entwickelt werden soll.So sollen u.a. die Träger der Sozialhilfe undder öffentlichen Jugendhilfe in den Kreis derRehabilitationsträger einbezogen und hör-behinderten Menschen die Möglichkeit gege-ben werden, bei den Sozialleistungsträgerndie Gebärdensprache zu verwenden.(aus: www.Bundestag.de/aktuell/hib v. 18.1.2001)

Verbraucherschutz bei ReisenDas Bundeskabinett hat am 7.2.2001 einenGesetzentwurf zur Änderung reiserechtlicherVorschriften beschlosssen. Danach soll es imInteresse der Absicherung der Reisenden beiInsolvenz eines Reiseveranstalters künftigeinheitliche Scheine in den Reiseunterlagengeben und das BMJ ermächtigt werden, diekonkrete technische Ausgestaltung festzulegen.Zugleich enthält der Gesetzentwurf vom Ver-anstalter einzuhaltende Mindestanforderun-gen für Gastschulaufenthalte.

(aus: Pressemitt. des BMJ v. 7.2.2001)

EUROPA

Gleichbehandlung in Beschäftigung und BerufDer Rat der EU hat den vollen Wortlaut derRichtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rah-mens für die Verwirklichung der Gleichbehand-lung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG) im Amtsblatt der EG veröffentlicht

(ABl. Nr. L 303 v. 2.12.2000). Zweck der Richt-linie ist die Schaffung eines allgemeinen Rah-mens zur Bekämpfung der Diskriminierungwegen der Religion oder der Weltanschauung,einer Behinderung, des Alters oder der sexu-ellen Ausrichtung in Beschäftigung und Berufim Hinblick auf die Verwirklichung desGrundsatzes der Gleichbehandlung in denMitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten müssendie erforderlichen Rechts- und Verwaltungs-vorschriften erlassen, um dieser Richtliniespätestens zum 2.12.2003 nachzukommen;erforderlichenfalls können sie eine Zusatzfristvon drei Jahren in Anspruch nehmen (Art. 18der RL). Zur Bekämpfung von Diskriminierun-gen hat der Rat der EU ein Aktionsprogrammbeschlossen (siehe Inform. in NJ 2001, 76).

(aus: www.elextra.de 22/018-2000)

Anerkennung und Vollstreckung von Entschei-dungen in Zivil- und Handelssachen

Der Rat der EU hat am 22.12.2000 die VO (EG)Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeitund die Anerkennung und Vollstreckung vonEntscheidungen in Zivil- und Handelssachenerlassen, die am 1.3.2001 in Kraft tritt (ABl.Nr. L 12 v. 16.1.2001). In dieser VO werden dieentsprechenden Vorschriften im Wege einesGemeinschaftsakts festgelegt, der verbindlichund unmittelbar anwendbar ist. Die VO (sog.Brüssel-I-VO) tritt im Verhältnis zwischen denMitgliedstaaten an die Stelle des BrüsselerÜbereinkommens, außer hinsichtlich derHoheitsgebiete der Mitgliedstaaten, die inden territorialen Anwendungsbereich diesesÜbereinkommen fallen und aufgrund derAnwendung des Art. 299 EG-Vertrag vondieser VO ausgeschlossen sind. Sie wird eineReihe von Abkommen und Verträgen erset-zen, die zwischen den Mitgliedstaaten beste-hen.

(aus: www.elextra.de 21/008-2001 u. 21/010-2001)

Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen

Zur Umsetzung des Grundsatzes der gegen-seitigen Anerkennung gerichtlicher Entschei-dungen in Strafsachen hat der Rat der EUein Maßnahmenprogramm vorgelegt (ABl.Nr. C 12 v. 15.1.2001). Es bezieht den Beitragder Europäischen Kommission und die Leit-linien mit ein, die auf der informellen Tagungder Justiz- und Innenminister im Juli 2000 inMarseille festgelegt worden sind. Das Maß-nahmenprogramm umfasst u.a.: Berücksichti-gung früherer rechtskräftiger Entscheidungen,die von einem Gericht eines anderen Mit-gliedstaates erlassen wurden; Vollstreckungvon Anordnungen im Rahmen des Ermitt-lungsverfahrens; Entscheidungen im Rahmender Überwachung nach einem Strafverfahren;gegenseitige Begutachtung.

(aus: www.elextra.de 21/011-2001)

131Neue Justiz 3/2001

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BUNDESGERICHTE

BVerfG: Schüsse auf DDR-Grenzer als MordversuchMit Beschl. v. 30.11.2000 (2 BvR 1473/00)hat die 3. Kammer des Zweiten Senats eineVerfassungsbeschwerde nicht zur Entschei-dung angenommen, die die Verurteilung desBeschwerdef. wegen Tötung eines DDR-Grenz-soldaten 1962 bei der Flucht über die inner-deutsche Grenze betraf. Der Beschwerdef. hatteauf den ein bis zwei Meter entfernt stehendenGrenzsoldaten, der ihn kontrollieren wollte,geschosssen; der Grenzer verblutete, währendder Beschwerdef. mit seinen Angehörigen dieFlucht durch einen Tunnel nach Westberlinfortsetzte. Das LG Berlin hatte den Beschwerdef.wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe voneinem Jahr verurteilt; der BGH bewertete die Tathingegen als Mord, hielt den Strafausspruchjedoch aufrecht (siehe Inform. in NJ 2000, 412). Das BVerfG hat ausgeführt, dass es nicht zubeanstanden sei, wenn der BGH dem Rechtauf Leben des Grenzsoldaten einen höherenWert beimesse als dem Recht des Beschwerdef.auf Schutz seiner Freiheit von drohendenrechtswidrigen Handlungen der DDR-Organe.Ebenso sei die Bewertung der Tat als heim-tückischer Mord verfassungsrechtlich unbe-denklich.

(aus: Pressemitt. des BVerfG Nr. 4/01)

BVerfG: »Genetischer Fingerabdruck« verfassungsgemäß

Die 3. Kammer des Zweiten Senats hat sich inihrem Beschl. v. 14.12.2000 (2 BvR 1741/99u.a.) grundsätzlich zur Verfassungsmäßigkeitder Speicherung des »genetischen Finger-abdrucks« geäußert. Die Verfassungsbeschwer-den von drei Beschwerdef. richteten sichgegen Gerichtsentscheidungen, wonach ihnenZellproben entnommen werden dürfen, dasDNA-Identifizierungsmuster molekulargene-tisch bestimmt und in einer Datenbank gespei-chert werden darf. Das BVerfG führte aus,dass die Regelungen des DNA-Identitätsfest-stellungsG mit dem GG vereinbar sind. Ein»genetischer Fingerabdruck« greife zwar indas Grundrecht auf informationelle Selbst-bestimmung ein. Das die Entnahme eines»genetischen Fingerabdrucks« anordnendeGericht habe daher die Umstände in jedemEinzelfall abzuwägen und seine Entscheidung»tragfähig« zu begründen. Daran habe es ineiner der angegriffenen Entscheidungengefehlt, da das Gericht die Anordnung zurEntnahme von Körperzellen lediglich miteiner Wiederholung des Gesetzestextes undeiner Aufzählung der Vorstrafen des Täters(innerhalb von zehn Jahren zu drei Haftstra-fen mit Bewährung und zu zwei Geldstrafenverurteilt) begründet habe. Die beiden weite-ren Verfassungsbeschwerden wurden nichtzur Entscheidung angenommen.

(aus: Pressemitt. des BVerfG Nr. 8/01)

BVerfG: Keine Fernsehübertragungen von Gerichtsverhandlungen

Mit Urt. v. 24.1.2001 (1 BvR 2623/95 u. 622/99)hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerdedes privaten Fernsehsenders n-tv gegen dasVerbot von Fernsehaufnahmen während derGerichtsverhandlung zurückgewiesen. Die inden 60er Jahren in das GVG eingefügteVorschrift des § 169 Satz 2, mit der die Öffent-lichkeit ausdrücklich auf die sog. Saalöffent-lichkeit begrenzt werde, sei verfassungsgemäß.Sie verstoße nicht gegen das Demokratieprin-zip und trage den Belangen des Persönlich-keitsschutzes und den Erfordernissen einesfairen Verfahrens sowie der Wahrheits-und Rechtsfindung Rechnung. Die RichterKühling und Hoffmann-Riehm und die Rich-terin Hohmann-Dennhardt haben dem Urteileine abweichende Meinung beigefügt. Sietragen die Gründe der Entscheidung imWesentlichen mit, sind aber der Auffassung,dass sich angesichts der Entwicklungen desRechtsschutzsystems und der Medienland-schaft ein ausnahmsloses Verbot von Funk-und Fernsehaufnahmen nicht mehr recht-fertigen lässt.

(aus: Pressemitt. des BVerfG Nr. 12/01)

BVerfG: Zur »moralischen Rehabilitierung«von Bodenreformopfern

Die 2. Kammer des Ersten Senats hat mitBeschl v. 9.1.2001 (1 BvL 6 u. 7/00) zweiVorlagen des VG Dresden (NJ 2000, 387[Leits.] ), die die Verfassungsmäßigkeit desAusschlusses der Betroffenen von Enteignun-gen auf besatzungsrechtlicher oder -hoheit-licher Grundlage von der verwaltungsrecht-lichen Rehabilitierung betrafen, für unzulässigerklärt. Das Gericht habe sich nicht hin-reichend mit nahe liegenden rechtlichenund tatsächlichen Gesichtspunkten, die zurentschädigungslosen Enteignung sowie demAusschluss einer Rehabilitierung und vonFolgeansprüchen geführt haben, auseinander-gesetzt.

(aus: Pressemitt. des BVerfG Nr. 16/01)Der Beschluss des BVerfG wird in NJ 4/01 veröf-fentlicht.

BVerfG: Zur Wirksamkeit eines Unterhalts-verzichtsvertrags

Mit Urt. v. 6.2.2001 (1 BvR 12/92) hat dasBVerfG auf die Verfassungsbeschwerde derBeschwerdef. ein Urteil des OLG Stuttgartaufgehoben, durch dass diese verpflichtetworden war, ihren Ehemann von Unterhalts-ansprüchen des gemeinsamen Kindes übermonatl. 150 DM hinaus freizustellen. DasOLG hatte den zugrunde liegenden Ehever-trag von 1976, in dem neben dieser Freistel-lungsverpflichtung ein Verzicht auf nachehe-lichen Ehegattenunterhalt vereinbart wordenwar, für wirksam gehalten. Das BVerfG hatfestgestellt, dass die OLG-Entscheidung die

Beschwerdef. in ihren Grundrechten verletzt.Das OLG habe, indem es die ehevertraglicheScheidungsfolgenvereinbarung weder alsrechtsmissbräuchlich noch als sittenwidrigbewertet habe, das Recht der Beschwerdef. ausArt. 2 Abs. 1 iVm Art. 6 Abs. 2. u. 4 GG aufSchutz vor unangemessener Benachteiligungdurch den Ehevertrag verkannt. Es habe wederdie besondere Situation der Beschwerdef. alsSchwangere mit bereits einem Kind beiVertragsabschluss gelten lassen noch sei es derFrage nachgegangen, ob der Ehevertrag sie inunangemessener Weise belastet. Dies sei jedochhier der Fall.

(aus: Pressemitt. des BVerfG Nr. 19/01)

BGH: GbR ist rechts- und parteifähigMit Urt. v. 29.1.2001 (II ZR 331/00) hat derBGH entschieden, dass die Gesellschaft bür-gerlichen Rechts rechtsfähig und parteifähigist, soweit sie als Teilnehmer am Rechtsver-kehr eigene (vertragliche) Rechte undPflichten begründet. Der BGH hatte es bis-lang abgelehnt, die Gesellschaft selbst imZivilprozess als Prozesspartei zuzulassen.Infolge dessen mussten im Zivilprozessimmer sämtliche Gesellschafter selbst alssog. Streitgenossen verklagt werden, wennanschließend in das Gesellschaftsvermögenvollstreckt werden sollte. Mit der jetzt ver-kündeten Entscheidung hat der BGH diedamit verbundenen praktischen Problemebei der Rechtsverfolgung für die Rechts-suchenden beseitigt, da künftig zur Voll-streckung in das Gesellschaftsvermögen einUrteil bzw. ein sonstiger Vollstreckungstitelgegen die Gesellschaft selbst genügt.

(aus: Pressemitt. des BGH Nr. 4/01)

BVerwG: Keine vermögensrechtlichen Ansprücheam Apothekenunternehmen für Erben des Inha-bers einer »Apotheke im Privatbesitz«

Das BVerwG hat mit Urt. v. 24.1.2001 (8 C12/00) erstmals zu der Frage Stellung genom-men, ob Rechtsnachfolgern eines Apothekers,der von 1949 bis 1953 seine Apotheke bis zuseiner (illegalen) Übersiedlung in die Bundes-republik als »Apotheke in Privatbesitz« fort-geführt hatte, vermögensrechtliche Ansprüchean dem Apothekenunternehmen zustehen,wenn die Apotheke nach der Flucht des Inha-bers in eine Landesapotheke überführt wor-den ist. Dazu hat das BVerwG u.a. ausgeführt,dass die Voraussetzungen zur Fortführung derApotheke als »Apotheke in Privatbesitz« nachder ApothekenVO v. 22.6.1949 vorlagen unddie fortgeführte Apotheke entgegen der Auf-fassung des VG nicht entschädigungslos iSd§ 1 Abs. 1 Buchst. a VermG enteignet wordenist. Die Erben seien jedoch nicht Rechtsnach-folger iSd VermG, da ein Apothekenunter-nehmen unter der Geltung der ApothekenVOnicht habe vererbt werden können.

(aus: Pressemitt. des BVerwG Nr. 6/01)

Neue Justiz 3/2001132

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LANDESGERICHTE

VG Berlin: Erfolgreiche Klage der CDU auf Zahlungvon 41 Mio. DM staatl. ParteienfinanzierungMit Urt. v. 31.1.2001 (2 A 25/00) hat das VGBerlin über die Frage entschieden, ob einepolitische Partei ihren Anspruch auf einenTeil der staatlichen Mittel zur Parteienfinan-zierung verliert, wenn sie beim Bundestags-präsidenten einen mit inhaltlichen Fehlernbehafteten Rechenschaftsbericht einreicht.Nachdem bekannt geworden war, dass dervon der CDU für das Jahr 1998 fristgemäßeingereichte Rechenschaftsbericht einen nurunvollständigen Vermögensbestand desLandesverbands Hessen angegeben hatte, redu-zierte der Bundestagspräsident die für die CDUfestzusetzenden staatlichen Mittel für 1999um einen Betrag von ca. 41 Mio. DM. Die da-gegen gerichtete Klage der CDU hatte Erfolg.Das VG hat festgestellt, dass der eingereichteRechenschaftsbericht die formalen Vorgabendes PartG erfüllt und damit trotz seines inhalt-lichen Fehlers den Vorschriften entspricht.Zwar sei dem Bundestagspräsidenten die Prü-fung eines Rechenschaftsberichts im Hinblickauf seine inhaltliche Richtigkeit nicht verwehrt;daraus ließe sich jedoch nicht ein Anspruchs-verlust auf staatliche Mittel bei inhaltlichenFehlern des Rechenschaftsberichts herleiten.Sinn und Zweck des § 19 Abs. 4 Satz 3 PartGsprächen gegen eine solche Auslegung.

(aus: Pressemitt. des VG Berlin Nr. 4/01)

NEUE BUNDESLÄNDER

Berlin/BrandenburgDer Justizminister des Landes Brandenburg,Prof. Dr. Kurt Schelter, nahm in der Landtags-sitzung am 24.1.2001 zu Überlegungenhinsichtlich der Zusammenlegung von Ober-gerichten für Berlin und Brandenburg Stellung.Erwogen werde die Einrichtung eines gemein-samen OVG in Berlin und eines gemeinsamenFinanzgerichts in Cottbus. Der Minister wiesdarauf hin, dass angesicht der bestehendengegensätzlichen Auffassungen in Bezug aufden jeweiligen Standort derzeit ein »Ausgleichder Interessen« durch die Errichtung einesgemeinsamen LSG in Potsdam geprüft werde.

(aus: Pressemitt. des Bbg. Min. der Justiz und für Europaangelegenheiten v. 24.1.2001)

BerlinDie 10. VO zur Änderung der 2. VO über dieKonzentration amtsgerichtlicher Zuständigkeitenv. 20.1.2001 ist am 1.2.2001 in Kraft getreten.Damit wurde die Zuständigkeit der beidenBerliner Familiengerichte an die neuen Ver-waltungsbezirke angepasst. Das FamilienG inPankow ist nunmehr für die neuen Verwal-tungsbezirke Mitte und Pankow sowie denVerwaltungsbezirk Reinickendorf zuständig;

das FamilienG in Friedrichshain-Kreuzbergfür alle übrigen Verwaltungsbezirke. DieÄnderung wirkt sich auf den ehem. BezirkTiergarten aus, für den nun das AG Pankow/Weißensee, Zweigstelle Kissingenstraße,zuständig ist. Für Familiensachen aus demehem. Bezirk Friedrichshain, die bislang inPankow verhandelt wurden, ist jetzt das AGTempelhof-Kreuzberg zuständig. (GVBl. Nr. 4S. 28)

BrandenburgNachdem die Landesregierung Anfang d.J. dieEinführung eines elektronischen Grundbuch-verfahrens beschlossen hat, wird nun einPilotprojekt beim AG Frankfurt/O. durchge-führt und ein Grundbuchrechenzentrum auf-gebaut. Das Gesamtprojekt wird in den erstenfünf Jahren ca. 25 Mio. DM kosten.

(aus: Pressemitt. des Min. der Justiz und für Europaangelegenheiten v. 24.1.2001)

Mit Bkm. des Ministeriums des Innern v.12.12. bzw. 20.12.2000 ist in Anwendungvon § 9 Abs. 3 GemO die Eingliederung derGemeinde Freesdorf in die Stadt Luckau und dieEingliederung der Gemeinde Plötzin in die StadtWerder (Havel) jeweils mit Wirkung v.31.12.2000 genehmigt worden. (ABl. 2001Nr. 2 S. 43)

Durch Allg. Verfügung des Ministeriums derJustiz und für Europaangelegenheiten v.2.1.2001 ist mit Wirkung zum 1.2.2001 inWulkow die Justizvollzugsanstalt Neuruppin-Wulkow errichtet worden. (ABl. Nr. 4 S. 82)

Sachsen-AnhaltDas Justizministerium will als Modellvorhabenin seinen Gerichten und Behörden die Kosten-und Leistungsberechnung (KLR) einführen.Durch spezielle Projektverantwortliche sollenkünftig alle in der Justiz erbrachten Leistun-gen als Produkte katalogisiert und berechnetwerden. Langfristiges Ziel ist, dass die Behör-den auf dieser Grundlage ihren finanziellenBedarf selbständig errechnen und verwaltenkönnen. Die KLR wird zunächst in Stendalbei der Staatsanwaltschaft, dem AG und derJVA eingeführt. In das Modellvorhaben sind dieErgebnisse der länderübergreifenden Arbeits-gruppe »Neues Haushaltswesen«, die 1997von der Justizministerkonferenz eingesetztwurde, eingeflossen.(aus: Pressemitt. des Min. der Justiz LSA Nr. 3/01)

Das Gesetz zur Konsoldierung der Verwaltungs-gemeinschaften v. 10.1.2001, in Kraft seit16.1.2001, ändert die GemO (GVBl. LSA 1993S. 568; geänd. 1999 S. 152). Eingefügt wurdendie §§ 75a und 75b, die die rückwirkendeBildung von Verwaltungsgemeinschaftenbzw. den Austritt von Gemeinden regeln.(GVBl. LSA Nr. 1 S. 2)

SachsenDie Staatsregierung hat am 20.12.2000beschlossen, unter dem SED-Regime verfolgteSchüler mit einer einmaligen Geldleistungfinanziell zu entschädigen. Eine Wiedergutma-chungsleistung sollen diejenigen erhalten,die in der DDR aus politischen Gründen nichtzu einer weiterführenden Schule zugelassenwurden, eine bereits begonnene gymnasialeAusbildung nicht abschließen konnten oderdenen ein Studium an einer Fach- oder Hoch-schule verwehrt wurde. Voraussetzung ist,dass sie dadurch in ihrer beruflichen Ent-wicklung nachhaltig beeinträchtigt wurden,durch das Sächs. Landesamt für Familie undSoziales als verfolgte Schüler anerkannt wor-den sind und am 9.11.1989 ihren Wohnsitzoder ständigen Aufenthalt im Beitrittsgebiethatten. Mit einer entsprechenden Bundesrats-initiative war das Land im Dez. 1999 an derMehrheit der Länder gescheitert. (aus: Pressemitt. des Sächs. Staatsmin. für Soziales,

Gesundheit, Jugend und Familie v. 20.12.2000)

Das Justizministerium prüft derzeit die Ein-führung eines Landesrichterrates. Bislang gibt esin Sachsen bei allen Gerichten Richterräte,hingegen keine Stufenvertretung auf Landes-ebene. Dies sei, so Justizminister ManfredKolbe, im Interesse der noch wirksamerenVertretung der sozialen Angelegenheiten vonRichtern in Fragen von landesweiter Bedeu-tung jedoch sinnvoll. Einen von der SPD-Fraktion vorgelegten Gesetzentwurf, nachdem eine Mehrheit von Richtern über die(eigene) Ernennung und Beförderung ent-scheiden soll, lehnt der Justizminister hin-gegen ab. Eine solche »Selbstergänzung«(Kooptation) sei in der Bundesrepublik bisherunbekannt und auch verfassungswidrig.

(aus: Pressemitt. des Sächs. Staatsmin. der Justiz Nr. 5/01)

ThüringenDie SPD-Fraktion will vor dem LVerfG gegenzwei Beschlüsse klagen, die der Landtag mitder Mehrheit der CDU aus Sicht der Opposi-tion »handstreichartig« zur Entschädigung vonAbgeordneten gefasst hat. Danach sollen dieParlamentarischen Geschäftsführer der Land-tagsfraktionen sowie die Ausschussvorsitzen-den eine steuerfreie Aufwandsentschädigungi.H.v. 1.300 DM erhalten und zusätzlicheZuschüsse an die Fraktionen gezahlt werden.Das BVerfG hatte mit Urt. v. 21.7.2000 (NJ2000, 590 [bearb. v. Jutzi]) die Regelungen imThürAbgG über ergänzende Entschädigungenfür stellv. Fraktionsvorsitzende, parlamenta-rische Geschäftsführer der Fraktion und Aus-schussvorsitzende als mit Verfassungsrechtunvereinbar erklärt. Die Fraktionen des Land-tags waren daher zunächst auch überein-gekommen, diese Zulagen zu streichen.

(aus: F.A.Z. v. 23.1.2001)

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Neue Justiz 3/2001134

Die Reform des SanktionenrechtsDas BMJ hat einen, nachfolgend in Auszügen abgedruckten, Referentenentwurfzur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems (Stand: 8.12.2000) vorgelegt,der insbesondere eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der gemeinnützigenArbeit und des Fahrverbots vorsieht.

A. ZielsetzungDas geltende Sanktionensystem, das Geld- und Freiheitsstrafe als Haupt-strafen vorsieht, gibt den Gerichten zu wenig Gestaltungsmöglichkeiten,um im Bereich kleinerer und mittlerer Kriminalität in geeigneter Weise mitspezialpräventiver Zielrichtung auf Straftäter einzuwirken. Deshalb soll derGesetzentwurf die ambulanten Sanktionsmöglichkeiten für Straftaten indiesen Bereichen erweitern und dabei insbes. der Vermeidung von kurzenFreiheits- und Ersatzfreiheitsstrafen dienen. Auf diese Weise sollen uner-wünschte Nebenwirkungen von Freiheitsstrafen vermieden oder abge-schwächt und der Strafvollzug entlastet werden. Die Erweiterung des Sank-tionensystems durch den Ausbau ambulanter Sanktionen trägt wirksamzum strafrechtlichen Rechtsgüterschutz bei, denn nach allen bisherigenErkenntnissen sind die vorgeschlagenen Sanktionen den heute vorhande-nen in spezial- und generalpräventiver Hinsicht nicht unterlegen.Darüber hinaus sorgt der Entwurf für eine bessere Berücksichtigung vonOpferinteressen im Rahmen des Geldstrafensystems.

B. LösungDer Entwurf schlägt vor:1. eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der gemeinnützigen Arbeitdurch• eine teilweise obligatorisch ausgestaltete Freiheitsstrafen-Ersetzungs-

lösung,• Einführung der gemeinnützigen Arbeit als primäre Ersatzstrafe bei

Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe,• Ermöglichung von Arbeitsauflagen im Rahmen der Verwarnung mit

Strafvorbehalt;2. eine Erweiterung des verkehrsstrafrechtlichen Fahrverbots durch• Aufstufung zur Hauptstrafe in seinem bisherigen Anwendungsbereich,• Ausdehnung der zeitlichen Höchstdauer auf sechs Monate,• Normierung als Regelsanktion für sog. Zusammenhangstaten;3. eine Erweiterung der Verwarnung mit Strafvorbehalt;4. Verbesserungen im Bereich der Geldstrafe, nämlich• Verpflichtung der Gerichte, einen Teilbetrag der Geldstrafe Organisatio-

nen der Opferhilfe zuzuweisen,• Neuregelung der Ersatzstrafe in § 43 StGB durch Einführung der gemein-

nützigen Arbeit als primäre Ersatzstrafe bei Uneinbringlichkeit einerGeldstrafe und Änderung des Umrechnungsmaßstabs Geldstrafe : Frei-heitsstrafe,

• Sicherung eines Vorrangs von Wiedergutmachungsansprüchen des Opfersgegenüber der Vollstreckung von Geldstrafen und Berücksichtigung vonWiedergutmachungsbemühungen des Verurteilten bei ihrer Vollstreckung;

5. eine Erweiterung der Möglichkeit einer Halbstrafenaussetzung in § 57Abs. 2 Nr. 1 StGB auf Freiheitsstrafen über zwei Jahren;6. eine Ergänzung der Regelungen zum Widerruf der Straf- und Strafrest-aussetzung um einen weiteren Widerrufsgrund

C. AlternativenDer Regelungsumfang des vorliegenden Entwurfs geht erheblich über dievom Bundesrat erneut eingebrachten Gesetzentwürfe zur »Einführung dergemeinnützigen Arbeit als strafrechtliche Sanktion« (BT-Drucks. 14/762)und zur »Verbesserung des strafrechtlichen Sanktionensystems« (BT-Drucks. 14/761) hinaus und nimmt die Neuregelungsinhalte des vomBundesrat eingebrachten »Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung desStrafgesetzbuches und anderer Gesetze – Widerruf der Straf- und Strafrest-aussetzung« (BT-Drucks. 14/1467) auf.

Referentenentwurfeines Gesetzes zur Reform des Sanktionenrechts

Artikel 1Änderung des Strafgesetzbuches

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Novem-ber 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzesvom 2. August 2000 (BGBl. I S.1253), wird wie folgt geändert:1. Die Inhaltsübersicht zum Dritten Abschnitt des Allgemeinen Teils wirdwie folgt geändert:a) Nach der Angabe »§ 40 Verhängung in Tagessätzen« wird die Angabe»§ 40a Zweckbestimmung der Geldstrafe« eingefügt.b) Die Angabe »§ 43 Ersatzfreiheitsstrafe« wird durch die Angabe »§ 43Ersatzstrafen« ersetzt.c) Die Zwischenüberschrift »Nebenstrafe« wird durch die Zwischenüber-schrift »Fahrverbot« ersetzt.

d) Die Angabe zu § 44 wird wie folgt gefasst:»§ 44 Verhängung eines Fahrverbots«.e) Die Überschrift zum Vierten Titel wird wie folgt neu gefasst:»Abwendung der Strafvollstreckung und Strafaussetzung zur Bewährung«.f) Nach der Überschrift zum Vierten Titel wird folgende Angabe eingefügt:»§ 55a Abwendung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe durch gemeinnüt-zige Arbeit«.g) Der Angabe zu § 56e werden ein Semikolon und die Wörter »Absehenvon Anordnungen« angefügt.h) In der Überschrift zum Fünften Titel sowie in den Angaben zu §§ 59 und59c wird jeweils das Wort »Verwarnung« durch das Wort »Verurteilung«ersetzt.i) In der Angabe zu § 59b werden die Wörter »Verurteilung zu« durch dasWort »Verhängung« ersetzt.2. Nach § 40 wird folgender § 40a eingefügt:

Ȥ 40aZweckbestimmung der Geldstrafe

Das Gericht weist ein Zehntel der Geldstrafe einer gemeinnützigen Ein-richtung zu, deren Zweck die Hilfe für Opfer von Straftaten ist.«3. § 43 wird wie folgt gefasst:

Ȥ 43Ersatzstrafen

(1) An die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tritt mit Zustimmungdes Verurteilten gemeinnützige Arbeit. Einem Tagessatz entsprechen dreiStunden gemeinnütziger Arbeit.(2) Erteilt der Verurteilte die nach Absatz 1 erforderliche Zustimmung nichtoder wird die gemeinnützige Arbeit nicht in angemessener Zeit oder nichtin ordnungsgemäßer Weise erbracht, so tritt an die Stelle einer uneinbring-lichen Geldstrafe Freiheitsstrafe. Zwei Tagessätze entsprechen einem TagFreiheitsstrafe. Das Mindestmaß der Ersatzfreiheitsstrafe ist ein Tag.«4. Vor § 44 wird die Zwischenüberschrift »Nebenstrafe« durch die Zwi-schenüberschrift »Fahrverbot« ersetzt.5. § 44 wird wie folgt geändert:a) Die Überschrift »Fahrverbot« wird durch die Überschrift »Verhängungeines Fahrverbots« ersetzt.b) Absatz 1 wird wie folgt gefasst:»(1) Wird jemand wegen einer Straftat verurteilt, die er bei oder imZusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verlet-zung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, so kann ihmdas Gericht anstelle oder neben einer Geld- oder Freiheitsstrafe für dieDauer von einem Monat bis zu sechs Monaten verbieten, im Straßenver-kehr Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art zu führen.«c) Nach Absatz 1 wird folgender Absatz 2 eingefügt:»(2) Ein Fahrverbot ist in der Regel anzuordnen, wenn der Täter1. wegen einer Straftat nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a, Abs. 3 oder

§ 316 verurteilt wird oder2. wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, zu deren Begehung oder

Vorbereitung er ein Kraftfahrzeug als Mittel der Tat geführt hat, und dieEntziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 unterbleibt.«

d) Die bisherigen Absätze 2 und 3 werden Absätze 3 und 4 .6. In § 51 Abs. 4 Satz 1 werden die Wörter »einem Tagessatz« durch die Wör-ter »zwei Tagessätzen« ersetzt.7. In § 54 Abs. 3 wird der zweite Halbsatz wie folgt gefasst:»so entsprechen bei der Bestimmung der Summe der Einzelstrafen zweiTagessätze einem Tag Freiheitsstrafe.«8. Nach § 55 wird die Überschrift des Vierten Titels im Dritten Abschnittdes Allgemeinen Teils wie folgt gefasst:

»Vierter TitelAbwendung der Strafvollstreckung und

Strafaussetzung zur Bewährung«9. Nach der Überschrift des Vierten Titels wird folgender § 55a eingefügt:

Ȥ 55aAbwendung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe durch

gemeinnützige Arbeit(1) Das Gericht kann dem Verurteilten gestatten, die Vollstreckung einerFreiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten durch gemeinnützige Arbeitabzuwenden. Es hat dies dem Verurteilten zu gestatten, wenn er erstmalszu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, deren Vollstreckung nicht zurBewährung ausgesetzt wird. Die Gestattung unterbleibt, wenn die Erbrin-gung der Arbeitsleistung von vornherein nicht zu erwarten ist.(2) Das Gericht kann die Abwendung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafedurch gemeinnützige Arbeit auch gestatten, wenn es die Vollstreckung derFreiheitsstrafe nach § 56 Abs. 1 zur Bewährung aussetzt. Die Gestattungentfällt, wenn das Gericht die Strafaussetzung zur Bewährung widerruft.(3) Einem Tag Freiheitsstrafe entsprechen vier Stunden gemeinnützigerArbeit. Ist die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt, so entsprecheneinem Tag Freiheitsstrafe drei Stunden gemeinnütziger Arbeit.(4) Das Gericht setzt dem Verurteilten mit der Anordnung nach Absatz 1oder Absatz 2 zugleich eine Frist von höchstens achtzehn Monaten für denNachweis der Leistung. Es kann für bestimmte Teilleistungen und ihrenNachweis jeweils gesonderte Fristen setzen, namentlich dann, wenn dies

Dokumentat ion

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im Hinblick auf die Gesamtzahl der zu leistenden Arbeitsstunden gebotenerscheint. Soweit der Verurteilte die gemeinnützige Arbeit geleistet hat, istdie Freiheitsstrafe erledigt.(5) Das Gericht widerruft die Gestattung, wenn der Verurteilte trotzAbmahnung die ihm zugewiesene Arbeit schuldhaft schlecht leistet,gröblich oder beharrlich gegen ihm im Rahmen der Durchführung dergemeinnützigen Arbeit erteilte Anordnungen verstößt, seinen Beschäfti-gungsgeber vorsätzlich schädigt oder im Zusammenhang mit seinemArbeitseinsatz eine Straftat begeht. Es kann die Gestattung auch dann wider-rufen, wenn der Verurteilte vor Erledigung der Strafe eine andere neueStraftat begeht.«10. § 56b Abs. 2 wird wie folgt geändert:a) In Satz 1 Nr. 3 werden die Wörter »sonst gemeinnützige Leistungen zuerbringen« durch die Wörter »gemeinnützige Arbeit zu leisten« ersetzt.b) Nach Satz 2 wird folgender Satz 3 angefügt:»Für die Auflage nach Satz 1 Nr. 3 gilt § 55a Abs. 4 Satz 1 und 2 entsprechend.«11. § 56e wird wie folgt geändert:a) Der Überschrift werden ein Semikolon und die Wörter »Absehen vonAnordnungen« angefügt.b) Der bisherige Wortlaut wird Absatz 1.c) Nach Absatz 1 wird folgender Absatz 2 angefügt:»(2) Hat das Gericht nach § 55a Abs. 2 die Abwendung der Vollstreckungder Freiheitsstrafe gestattet, so sieht es von Anordnungen nach den §§ 56bbis 56d vorläufig ab. Leistet der Verurteilte die gemeinnützige Arbeitinnerhalb der vom Gericht gesetzten Fristen nicht oder widerruft dasGericht die Gestattung, so trifft das Gericht in der Regel Entscheidungennach §§ 56b bis 56d.«12. In § 56f Abs. 1 Satz 2 werden nach dem Wort »Rechtskraft« die Wörter»oder bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung in der Zeit zwischen derEntscheidung über die Strafaussetzung in einem einbezogenen Urteil undder Rechtskraft der Entscheidung über die Gesamtstrafe« eingefügt.13. § 57 wird wie folgt geändert:a) In Absatz 2 Nr. 1 werden die Wörter »und diese zwei Jahre nicht über-steigt« gestrichen.b) In Absatz 3 wird die Angabe »§ 56g« durch die Angabe »§ 56e« ersetzt.c) Nach Absatz 4 wird folgender Absatz 5 eingefügt:»(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft dieStrafaussetzung auch dann, wenn eine Straftat des Verurteilten bekanntoder nachweisbar wird, die in der Zeit zwischen der Verurteilung und derEntscheidung über die Strafaussetzung begangen worden ist und die, wennsie von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung hätteberücksichtigt werden können, zu deren Versagung geführt hätte; alsVerurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichenFeststellungen letztmals geprüft werden konnten.«d) Die bisherigen Absätze 5 und 6 werden Absätze 6 und 7.14. § 57a wird wie folgt geändert:a) In Absatz 1 Satz 2 wird die Angabe »Abs. 5« durch die Angabe »Abs. 6«ersetzt.b) In Absatz 3 wird die Angabe »und 57 Abs. 3 Satz 2« durch die Angabe», 57 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 Satz 2« ersetzt.15. In der Überschrift des Fünften Titels im Dritten Abschnitt des Allge-meinen Teils wird das Wort »Verwarnung« durch das Wort »Verurteilung«ersetzt.16. § 59 wird wie folgt geändert:a) Absatz 1 Satz 1 wird wie folgt gefasst:»Hat jemand Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen verwirkt, soverwarnt ihn das Gericht neben dem Schuldspruch, bestimmt die Strafeund behält sich die Verhängung dieser Strafe vor, wenn1. zu erwarten ist, dass der Täter künftig auch ohne die Verhängung von

Strafe keine Straftaten mehr begehen wird,2. nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Täters

besondere Umstände vorliegen, die eine Verhängung von Strafe ent-behrlich machen, und

3. die Verteidigung der Rechtsordnung die Verhängung von Strafe nichtgebietet.«

b) Absatz 2 wird aufgehoben.c) Der bisherige Absatz 3 wird Absatz 2.17. § 59a wird wie folgt geändert:a) In Absatz 1 Satz 2 wird das Wort »drei« durch das Wort »zwei« ersetzt.b) Absatz 2 wird wie folgt geändert:aa) Die Wörter »Das Gericht kann den Verwarnten anweisen,« werdendurch die Wörter »Das Gericht erteilt dem Verwarnten in der Regel Auf-lagen oder Weisungen. Es kann ihn namentlich anweisen,« ersetzt.bb) Im neuen Satz 3 wird das Semikolon durch einen Punkt ersetzt und dernachfolgende Satzteil gestrichen.cc) Im neuen Satz 4 wird nach der Angabe »§ 56e« die Angabe »Abs. 1« ein-gefügt.18. § 59b wird wie folgt geändert:a) In der Überschrift und in Absatz 1 werden jeweils die Wörter »Verurtei-lung zu« durch das Wort »Verhängung« ersetzt.

b) In Absatz 2 werden die Wörter »der Verwarnte nicht zu der vorbehalte-nen Strafe verurteilt« durch die Wörter »die vorbehaltene Strafe nicht ver-hängt« ersetzt.19. § 59c wird wie folgt geändert:a) In der Überschrift und in Absatz 1 wird jeweils das Wort »Verwarnung«durch das Wort »Verurteilung« ersetzt.b) In Absatz 2 werden das Wort »Verwarnte« durch das Wort »Verurteilte«und das Wort »Verwarnung« durch die Wörter »Verurteilung mit Straf-vorbehalt« ersetzt.20. In § 70a Abs. 3 Satz 1 wird nach der Angabe »§§ 56a« ein Kommaeingefügt und die Angabe »und 56c bis 56e« durch die Angabe »56c, 56dund 56e Abs. 1« ersetzt.

Artikel 2Änderung der Strafprozessordnung

Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzesvom 2. August 2000 (BGBl. I S. 1253), wird wie folgt geändert:1. In § 232 Abs. 1 wird das Wort »Verwarnung« durch das Wort »Verurtei-lung« ersetzt.2. In § 233 Abs. 1 wird das Wort »Verwarnung« durch das Wort »Verurtei-lung« ersetzt.3. § 260 Abs. 4 wird wie folgt geändert:a) Nach Satz 3 wird folgender Satz eingefügt:»Wird ein Fahrverbot verhängt, so ist dessen Dauer in die Urteilsformelaufzunehmen.«b) Im neuen Satz 5 werden nach den Wörtern »Wird die« die Wörter»Abwendung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe durch gemeinnützigeArbeit gestattet, eine Zweckbestimmung der Geldstrafe getroffen, die«eingefügt und das Wort »verwarnt« durch das Wort »verurteilt« ersetzt.4. § 267 wird wie folgt geändert:a) Abs. 3 Satz 4 wird wie folgt gefasst:»Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Abwendung derVollstreckung der Freiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit gestattet, dieStrafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestelltenAntrag nicht entsprochen worden ist; dies gilt entsprechend für die Ver-urteilung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe.«b) Absatz 4 Satz 1 zweiter Halbsatz wird wie folgt gefasst:»bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe oder Anordnung eines Fahrverbotslauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung derFahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheinsanordnen, oder bei Verurteilungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf denzugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oderden Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden.«5. § 268a wird wie folgt geändert:a) Absatz 1 wird wie folgt gefasst:»Wird in dem Urteil die Abwendung der Vollstreckung der Freiheitsstrafedurch gemeinnützige Arbeit gestattet, die Strafe zur Bewährung ausge-setzt oder der Angeklagte mit Strafvorbehalt verurteilt, so trifft dasGericht die in den §§ 55a, 56a bis 56d und 59a des Strafgesetzbuchesbezeichneten Entscheidungen durch Beschluss; dieser ist mit dem Urteilzu verkünden.«b) Absatz 3 Satz 1 wird wie folgt gefasst:»Der Vorsitzende belehrt den Angeklagten über die Bedeutung derGestattung der Abwendung der Vollstreckung durch gemeinnützigeArbeit, der Aussetzung der Strafe oder Maßregel zur Bewährung, der Ver-urteilung mit Strafvorbehalt oder der Führungsaufsicht, über die Dauerder Frist für den Nachweis der Leistung, der Bewährungszeit oder derFührungsaufsicht, über die Auflagen, Weisungen sowie über die Möglich-keit des Widerrufs der Gestattung, der Aussetzung oder der Verhängungder vorbehaltenen Strafe (§ 55a Abs. 5, § 56f Abs. 1, §§ 59b, 67g Abs. 1des Strafgesetzbuches).«6. In § 268c Satz 1 wird die Angabe »§ 44 Abs. 3« durch die Angabe »§ 44Abs. 4« ersetzt.7. In § 313 Abs. 1 Satz 1 wird das Wort »Verwarnung« durch die Wörter»Verurteilung mit Strafvorbehalt« ersetzt.8. In § 407 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 wird das Wort »Verwarnung« durch das Wort»Verurteilung« ersetzt.9. In § 409 Abs. 1 Satz 2 wird das Wort »verwarnt« durch das Wort »verur-teilt« ersetzt.10. § 453 wird wie folgt geändert:a) Absatz 1 wird wie folgt geändert:aa) Satz 1 wird wie folgt gefasst:»Die nachträglichen Entscheidungen, die sich auf eine Abwendung derVollstreckung der Freiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit oder eineStrafaussetzung zur Bewährung oder eine Verurteilung mit Strafvorbehaltbeziehen (§§ 55a, 56a bis 56g, 58, 59a, 59b des Strafgesetzbuches), trifft dasGericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss.«bb) In Satz 3 werden nach den Wörtern »hat das Gericht« die Wörter »übereinen Widerruf der Gestattung der Abwendung der Vollstreckung derFreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit« eingefügt.

Die Reform des Sankt ionenrechts

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Neue Justiz 3/2001136

b) Absatz 2 Satz 3 wird wie folgt gefasst:»Der Widerruf der Gestattung der Abwendung der Vollstreckung derFreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit, der Widerruf der Aussetzung,der Erlass der Strafe, der Widerruf des Erlasses, die Verhängung der vor-behaltenen Strafe und die Feststellung, dass es bei der Verwarnung seinBewenden hat (§§ 55a, 56f, 56g, 59b des Strafgesetzbuches), können mitsofortiger Beschwerde angefochten werden.«11. In § 454 Abs. 1 Satz 4 Nr. 3 wird die Angabe »§ 57 Abs. 6« durch dieAngabe »§ 57 Abs. 7« ersetzt.12. In § 454a Abs. 2 Satz 2 wird die Angabe »§ 57 Abs. 3 Satz 1 in Verbin-dung mit § 56f« durch die Angabe »§ 57 Abs. 5« ersetzt.13. Nach § 454b wird folgender § 454c eingefügt:

»§ 454c(1) Ist dem Verurteilten gestattet, die Vollstreckung der Freiheitsstrafedurch gemeinnützige Arbeit abzuwenden (§ 55a des Strafgesetzbuches),setzt das Gericht nach Ablauf der Nachweisfristen (§ 55a Abs. 4 des Straf-gesetzbuches) oder nach Widerruf der Gestattung (§ 55a Abs. 5 des Straf-gesetzbuches) fest, dass oder zu welchem Teil die Freiheitsstrafe durch diegemeinnützige Arbeit erledigt ist. Anstelle einer Entscheidung nach Satz 1kann das Gericht nach Ablauf der Nachweisfristen diese angemessen ver-längern, sofern der Verurteilte nachweist, dass er ohne eigenes Verschul-den an der Arbeitsleistung verhindert war.(2) Ist die Freiheitsstrafe durch die gemeinnützige Arbeit nicht vollständigerledigt, so ordnet das Gericht bei einer nicht zur Bewährung ausgesetztenFreiheitsstrafe die Vollstreckung der verbleibenden Freiheitsstrafe an,andernfalls trifft es hinsichtlich der Reststrafe gemäß § 56e Abs. 2 Satz 2des Strafgesetzbuches in der Regel nachträgliche Entscheidungen. § 459eAbs. 3 gilt entsprechend.«14. In § 459a Abs. 1 Satz 2 wird das Wort »kann« durch das Wort »soll«ersetzt.15. § 459d Abs. 2 und 3 wird wie folgt gefasst:»(2) Das Gericht kann anordnen, dass die Vollstreckung der Geldstrafe ganzoder zum Teil unterbleibt, wenn der Verurteilte 1. in dem Bemühen, einen Täter-Opfer-Ausgleich zu erreichen, seine Tat

ganz oder zum überwiegenden Teil wieder gut gemacht oder2. in einem Fall, in welchem die Schadenswiedergutmachung von ihm

erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht geforderthat, das Opfer ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt hat,

und wegen der erbrachten Leistungen die Vollstreckung der Geldstrafe fürden Verurteilten unter Berücksichtigung seiner persönlichen und wirt-schaftlichen Verhältnisse eine besondere Härte bedeuten würde.(3) Das Gericht kann eine Entscheidung nach den Absätzen 1 und 2 auchhinsichtlich der Kosten des Verfahrens treffen.«16. § 459e wird wie folgt geändert:a) Absatz 2 wird wie folgt gefasst:»(2) Die Anordnung setzt voraus, dass die Geldstrafe nicht eingebracht wer-den kann oder die Vollstreckung nach § 459c Abs. 2 unterbleibt und1. nicht gemäß § 43 Abs. 1 des Strafgesetzbuches gemeinnützige Arbeit an

die Stelle der Geldstrafe tritt oder2. der Verurteilte die gemeinnützige Arbeit nicht innerhalb der nach § 459f

Abs. 1 festgelegten Fristen erbringt, trotz Abmahnung die ihm zuge-wiesene Arbeit schuldhaft schlecht leistet, gröblich oder beharrlichgegen ihn im Rahmen der Durchführung der gemeinnützigen Arbeiterteilte Anordnungen verstößt, seinen Beschäftigungsgeber vorsätzlichschädigt oder im Zusammenhang mit seinem Arbeitseinsatz eine Straftatbegeht.«

b) In Absatz 4 Satz 1 wird nach den Wörtern »oder beigetrieben wird« dasWort »oder« durch ein Komma ersetzt und nach den Wörtern »nach§ 459d unterbleibt« die Wörter »oder der Verurteilte die an die Stelle deruneinbringlichen Geldstrafe getretene gemeinnützige Arbeit erbringt«angefügt.c) Folgender Absatz 5 wird angefügt:»(5) Das Gericht ordnet an, dass die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafeunterbleibt, wenn die Vollstreckung für den Verurteilten eine unbilligeHärte wäre.«17. § 459f wird wie folgt gefasst:

»§ 459fKann die Geldstrafe nicht eingebracht werden oder unterbleibt die Voll-streckung nach § 459c Abs. 2 und tritt gemäß § 43 Abs. 1 des Strafgesetz-buches an die Stelle der Geldstrafe gemeinnützige Arbeit, so setzt die Voll-streckungsbehörde dem Verurteilten eine Frist von höchstens 18 Monaten,innerhalb derer er die gemeinnützige Arbeit zu leisten hat. Sie kann demVerurteilen weitere Fristen setzen, innerhalb derer er festgelegte Teilleis-tungen zu erbringen hat. Sofern der Verurteilte nachweist, dass er ohneeigenes Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert war, kann sie dieFristen der Sätze 1 und 2 angemessen verlängern.«18. In § 459i Abs. 1 wird die Angabe », 459f« gestrichen.19. In § 462 Abs. 1 Satz 1 wird nach der Angabe »§ 450a Abs. 3 Satz 1« dieAngabe », § 454c« eingefügt.20. In § 462a Abs. 4 wird das Wort »verwarnt« durch das Wort »verurteilt«ersetzt.

21. In § 463b Abs. 1 und 2 wird jeweils die Angabe »§ 44 Abs. 2« durch dieAngabe »§ 44 Abs. 3« ersetzt.22. In § 465 Abs. 1 wird das Wort »verwarnt« durch das Wort »verurteilt«ersetzt.

Artikel 3Änderung des Jugendgerichtsgesetzes

Das Jugendgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. De-zember 1974 (BGBl. I S. 3427), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzesvom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160), wird wie folgt geändert:1. In § 8 Abs. 2 Satz 1 werden die Wörter »und die Erziehungsbeistand-schaft« durch die Wörter »sowie die Erziehungsbeistandschaft und einFahrverbot« ersetzt.2. § 13 Abs. 2 wird wie folgt geändert:a) Nach Nummer 2 wird folgende neue Nummer 3 eingefügt:»3. die Anordnung eines Fahrverbots,«.b) Die bisherige Nummer 3 wird Nummer 4.3. Nach § 15 wird folgender § 15a eingefügt:

Ȥ 15aFahrverbot

Der Richter kann gegen den Jugendlichen ein Fahrverbot (§ 44 des Straf-gesetzbuches) anordnen.«4. In § 76 Satz 1 werden nach dem Wort »verhängen,« die Wörter »auf einFahrverbot erkennen,« gestrichen.

Artikel 4Änderung des Wehrstrafgesetzes

…Artikel 5

Änderung des Gesetzes über das Zentralregister und dasErziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz)

Das Bundeszentralregistergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom21. September 1984 (BGBl. I S. 1229, 1985 I S. 195), zuletzt geändert durchArtikel 4a des Gesetzes vom 17. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2662), wird wiefolgt geändert:1. In § 4 Nr. 3 wird das Wort »verwarnt« durch das Wort »verurteilt« ersetzt.2. In § 7 Abs. 3 wird das Wort »verwarnt« durch das Wort »verurteilt«ersetzt.3. § 12 Abs. 2 wird wie folgt gefasst:»(2) Wird nach einer Verurteilung mit Strafvorbehalt auf die vorbehalteneStrafe erkannt, so ist diese Entscheidung in das Register einzutragen. Stelltdas Gericht nach Ablauf der Bewährungszeit fest, dass es bei der Verwar-nung sein Bewenden hat (§ 59b Abs. 2 des Strafgesetzbuchs), so wird dieEintragung über die Verurteilung mit Strafvorbehalt aus dem Registerentfernt.«4. In § 22 Abs. 1 Nr. 1 wird das Wort »Verwarnung« durch das Wort»Verurteilung« ersetzt.5. § 32 Abs. 2 wird wie folgt geändert:a) In Nummer 1 wird das Wort »Verwarnung« durch das Wort »Verur-teilung« ersetzt.b) Nummer 5 wird wie folgt gefasst:»5. Verurteilungen, durch die aufa) Geldstrafen von nicht mehr als neunzig Tagessätzen,b) Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als drei Monaten,c) Fahrverboterkannt worden ist, wenn im Register keine weitere Strafe eingetragen ist,«6. § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a wird wie folgt gefasst:»a) Geldstrafe, Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als dreiMonaten oder Fahrverbot, wenn die Voraussetzungen des § 32 Abs. 2 nichtvorliegen,«7. Dem § 35 Abs. 2 wird folgender Satz angefügt:»Gleiches gilt für ein Fahrverbot, das neben Freiheits- oder Geldstrafeausgesprochen wurde.«8. § 38 Abs. 2 Nr. 3 wird wie folgt gefasst:»3. Verurteilungen, durch die auf Geldstrafe von nicht mehr als neunzigTagessätzen, auf Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als dreiMonaten oder auf Fahrverbot erkannt worden ist.«9. § 46 Abs. 1 wird wie folgt geändert:a) Nummer 1 Buchstabe b wird wie folgt gefasst:»b) zu Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als drei Monaten oderzu Fahrverbot, wenn im Register keine weitere Strafe eingetragen ist,«b) Nummer 2 Buchstabe a wird wie folgt gefasst:»a) Geldstrafe, Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als dreiMonaten oder Fahrverbot, wenn die Voraussetzungen der Nummer 1Buchstabe a und b nicht vorliegen.«

Anm. d. Redaktion: Der Referentenentwurf sieht in den Art. 6 bis 10 im WeiterenÄnderungen des EGStGB, des GKG, der BundesgebührenO für Rechtsanwälte, desStVG und der VO über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vor.Zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems siehe auch die Beiträge vonE. C. Rautenberg, NJ 1999, 449 ff., und P.-A. Albrecht, NJ 2000, 449 ff., 452.

Dokumentat ion Die Reform des Sankt ionenrechts

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Karen StiebitzHeinz Such (1910 bis 1976)Ein Jurist zwischen bürgerlicher Rechtsdogmatik und sozialistischer RechtsgewinnungBöhlau Verlag, Köln 1999254 Seiten, geb., 58 DM

Wer zur Rechtswissenschaft der vier Jahrzehnte DDR-Geschichteforscht, stößt auf den Rechtstheoretiker und Nestor des Wirtschafts-rechts, den Juristen Heinz Such. Die Dissertation von Stiebitz – erschie-nen als Band 2 der von B. Diestelkamp/J. Eckert/F. Ranieri/R. Schröderherausgegebenen »Arbeiten zur Geschichte des Rechts in der DDR« –widmet sich in der Person Suchs und dessen wissenschaftlichemWirken zugleich der Funktion der Rechtswissenschaft in der DDR.Die Autorin beschreibt auf zunächst 20 Seiten wesentliche Lebens-stationen Suchs. Dabei werden die Schwierigkeiten eines aus beschei-denen sozialen Verhältnissen stammenden jungen Mannes, nachQuellen zur Finanzierung seines Studiums suchen zu müssen, ebensoherausgestellt wie die dabei auftretenden Gewissenskonflikte und dielautere Haltung Suchs, nicht aus opportunen Gründen sich demNationalsozialismus anzudienen (S. 6-8).

Die Konflikte, die Such dann in den Jahren um 1950 auszustehenhatte, können mit der dürftigen Quellenlage nur angerissen werden.Angemerkt sein soll, dass Such junge Menschen für die Rechtswis-senschaft und insbesondere für das Wirtschaftsrecht begeisternkonnte, was der Rezensent seit Ende der 60er Jahre immer wiederselbst erlebte. Dieses Wirken als Hochschullehrer bleibt indes einwenig außerhalb der Darstellung.

Zu den theoretischen Leistungen Suchs gehört seine Methoden-kritik und die Suche nach einer neuen Methodologie. Geprägt vondem Wirken de Boors, Jacobis, Jahreiß’, Koschakers, Siberts u.a. ist Suchnach dem Krieg auf der Suche nach den für sein Verständnis ent-scheidenden Aufgaben der Rechtswissenschaft. Die Antwort suchteer in einer Verbindung des Marx’schen Materialismus und derbürgerlichen Methodenlehre (S. 33). Die Autorin verweist zutreffendauf die Abnahme der von Such »dem bürgerlichen Rechtsdenken ent-gegengebrachten Hochachtung« und den Umschwung »in Feind-lichkeit« (S. 33). Such dürfte hier für viele aus dieser Generation vonRechtswissenschaftlern der DDR stehen. Als Frage drängt sich auf,inwiefern für manchen eine solche Haltung mit zu dem auf derBabelsberger Konferenz 1958 eben nicht nur »von oben« verordne-ten und fortan für mehr als ein Jahrzehnt praktizierten Rechtsnihi-lismus beitrug. Such war jedoch auch der, der sich bereits im Jahre1962 öffentlich zu der daraus resultierenden verhängnisvollen Ent-wicklung kritisch äußerte.

Die Versuche um eine eigene Methodenlehre werden im Folgen-den von der Autorin zu Recht an den Anfang der Untersuchungenzum wissenschaftlichen Gesamtwerk Suchs gestellt. Mit seinen Über-legungen und Arbeiten zu den Methoden der Rechtswissenschaftund der Rechtspraxis fand Such zudem erhebliche Aufmerksamkeitin allen seinerzeitigen Besatzungszonen, worauf ausdrücklich verwie-sen wird (S. 31-33).

Suchs immense Arbeitsleistung, die sich in seinem Œuvre aus-drückt (vgl. S. 211-216), seit Mitte der 50er Jahre insbesondere mitgrundlegenden Arbeiten auf allen Gebieten des Wirtschaftsrechts,wird im Kapitel »Suchs wissenschaftliche Arbeit im Planungsrechtauf der Grundlage seiner Methode« (S. 53-119) an entscheidendenBeispielen beleghaft nachgezeichnet. Dennoch sind es nicht nurArbeiten zum Planungssystem und Planungsrecht der DDR,die Suchs Schaffen ausmachen: Er blieb immer der Denker über dieGrundprobleme von Wirtschaftsverfassungen und deren Recht;dies wird z.B. im Abschnitt »Planungsrecht und Zivilrecht – dasrechtsdogmatische Desaster« (S. 78-87) deutlich. Der Zusammen-hang zwischen Plan(ung), Bilanz und Vertrag, der letztlich einerQuadratur des Kreises gleichkam, hat Such immer wieder beschäftigt.Auch hier kommt seine Suche nach allgemeinen Zusammenhängenund der Rolle des Rechts zum Tragen. Neben dem Schaffen theoreti-scher Grundlagen ist die Ausarbeitung des ersten Vertragsgesetzes derDDR im Jahre 1957 maßgeblich mit Suchs Konzeption verbunden.Seine Auffassungen zu einem neuen Gewährleistungsrecht, zu den

Haftungsfragen im Wirtschaftsverkehr und den damit verbundenenSanktionen belegen das Erkennen und Durchdringen entscheiden-der Probleme, die mitnichten nur in der DDR standen (S. 62-67).

Einen in seinen Arbeiten immer wiederkehrenden Platz nahmenSuchs Überlegungen zum Volkseigentum ein (S. 67-71, 177). Hierlehnte er im Übrigen auch stark an Auffassungen sowjetischer Juristen(so bei Laptew, aber auch bei der hier nicht in den Blick genommenenLukaschewa) an. Nicht zuletzt bei der Darlegung von Suchs Gedankenhierzu offenbart sich eine Schwierigkeit, aus seinem Gesamtschaffengeistige Essenzen gewinnen zu müssen. Die Autorin charakterisiertzu Recht Suchs wissenschaftliches Werk als »eine Gratwanderungzwischen bürgerlicher Rechtstradition und sozialistischer Rechts-gewinnung auf der Grundlage des sozialistischen Gedankengutes«(S. 72) und macht damit zugleich die Schwierigkeiten der Analyseseines Schaffens, das sich nicht in ein Raster pressen lässt, deutlich.

Mit seinen Arbeiten zum Planungs- und Wirtschaftsvertragsrechtwurde Such zum geistigen Vater des Wirtschaftsrechts der DDR. Ob erals der Zeuger eines einheitlichen Wirtschaftsrechts – wie Such in den80er Jahren bewertet wurde – oder »nur« als der Vater »des Vertragesim Vertragssystem« (S. 205) anzusehen ist, bleibt eine interessante,allerdings nicht unwidersprochen hinzunehmende These der Auto-rin. Fest dürfte stehen – und dies belegt auch die Arbeit: Das Konzeptdes Vertragssystems wie viele der Rechtsinstitutionen tragen ganzunmittelbar die Handschrift Suchs. Aber: Suchs im persönlichenUmgang sich stets offenbarender und menschlich so überzeugenderAltruismus schlug sich auch in solchen, von ihm verfochtenen,juristisch-normativ nicht fassbaren Rechtsvorstellungen und wohlauch durch ihn in die Gesetze gekommenen Kategorien wie »kame-radschaftliche Zusammenarbeit«, »sozialistische Kooperation«,»zwischenbetriebliche Kooperation« (S. 114) nieder.

Der Autorin gelingt es immer wieder, das Vorprellen Suchs mitneuen Ideen und das oftmalige Scheitern seiner Auffassungen mitpersönlichen Niederlagen transparent zu machen (so S. 98 f.).

Ein eigenes Kapitel widmet die Autorin Suchs Arbeiten nach derBabelsberger Konferenz im Jahre 1958 (S. 121-158). Such war einerder »Hauptadressaten der Kritik der Partei an der Rechtswissen-schaft« (S. 123) und hat offenkundig trotz dieses nunmehr oktroy-ierten Rechtsverständnisses seine Auffassungen behutsam weiter-verfolgt; zunächst mit einem stärkeren Zuwenden zu methodischenFragen. Dazu gehörte die die Rechtswissenschaft der DDR prägendeDiskussion um die Frage nach einem selbständigen Wirtschaftsrecht,dem sich Such verpflichtet fühlte und nach dessen theoretischerFundierung er rang.

Unbeschadet solcher Attacken wandte sich Such neuen Aufgabenzu und hat Ende der 50er Jahre eine neue Gegenstandsbestimmungdes Zivilrechts verfasst, die letztlich die Rechts(vertrags)beziehun-gen der Wirtschaft von denen des privaten Bereiches strikt trennte– so wie das Zivilgesetzbuch von 1975 letztlich dann auch konzipiertwar. Such lieferte dafür mit den theoretischen Beweis (S. 127 f.).Sein Streben nach einem selbständigen Wirtschaftsrecht ist für dieAutorin Grund, dieser Seite ein gesondertes Kapitel (S. 159-205) zuwidmen.

Eine knappe Zusammenfassung und ein sorgfältig erstelltes Ver-zeichnis der Werke Suchs (S. 211-220) schließen sich als Teil des zueiner wissenschaftlichen Arbeit gehörenden Apparats an.

Etwas vermisst man, nämlich Zeitzeugnisse – bspw. von Kollegen,Schülern – zu der doch entscheidenden Seite von Suchs Schaffen alsbegeisterter und begeisternder Hochschullehrer, der er neben seinenvielfältigen Arbeiten für die Gesetzgebung und Wirtschaftsrechts-praxis, als Motor von Beiräten u.ä. immer war.

Unbeschadet dieser Anmerkung ist die vorliegende Arbeit nichtnur die Lebensgeschichte eines der maßgebenden Gelehrten dereinstigen DDR-Rechtswissenschaft. Sie fordert vor allem zu Fragenwie zum Widerspruch – hoffentlich auch jener, die ihn und diese Zeitselbst erlebten – heraus, um zu einem genaueren Bild eines facet-tenreichen Stücks neuerer Rechtsgeschichte zu gelangen, als diesmit vorwiegend Arbeiten zur Justiz- oder Strafrechtsgeschichteerfolgen kann. Dazu hat die Monographie von Stiebitz einen respek-tablen Beitrag geleistet.

Prof. Dr. Gerhard Lingelbach, Jena

Rezens ionen

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Neue Justiz 3/2001138

01 VERFASSUNGSRECHT

� 01.1 – 3/01

Parlamentarische Anfragen/Pflichten der Landesregierung zur Beant-wortung/verfassungsgerichtliche NachprüfungVerfG Brandenburg, Beschluss vom 16. November 2000 – 31/00

LV Bbg. Art. 56 Abs. 2 u. 4, 113 Nr. 1;VerfGGBbg §§ 12 Nr. 1, 32 Abs. 7 Satz 2, 35 ff.

1. Zur Pflicht der Landesregierung zur Beantwortung parlamentari-scher Anfragen »nach bestem Wissen und vollständig«.2. Nach der Verfassungsrechtslage im Land Brandenburg unterliegenArt und Umfang der Beantwortung parlamentarischer Anfragendurch die Landesregierung in vollem Umfang der verfassungsgericht-lichen Nachprüfung. (nichtamtliche Leitsätze)

Anm. d. Redaktion: Mit dieser Entscheidung hat das LVerfG einem Antrag derLandtagsabgeordneten Dr. Esther Schröder auf Feststellung stattgegeben,dass eine Kleine Anfrage ebenso wie eine dasselbe Thema betreffendenachfolgende Mündliche Anfrage der Abgeordneten von der Landesregierungnicht vollständig und nach bestem Wissen beantwortet worden sei. DieAbgeordnete hat sich mit einer Kleinen Anfrage v. 31.3.2000 bei der Landes-regierung danach erkundigt, wie viele Angestellte und Beamte in den Minis-terien des Landes auf den einzelnen Personalebenen jeweils bezogen auf denWohnsitz vor dem Jahr 1989 aus den alten Bundesländern bzw. den neuenBundesländern stammen und welche Gehaltsstaffelung sich nach BAT-Ost undBAT-West ergebe. Die Landesregierung verwies hierzu auf Antworten zuähnlichen Anfragen vor dem Regierungswechsel; eine detaillierte Beant-wortung würde erneute Ressortumfragen erforderlich machen. Diesen Auf-wand halte sie nicht für angebracht; im 10. Jahr der deutschen Einheit spieledie biographische Herkunft der Beschäftigten in den Ministerien keine Rollemehr. Eine weitere Mündliche Anfrage v. 17.5.2000 beantwortete der Chef derStaatskanzlei dahin, dass die Landesregierung keine Notwendigkeit sehe,»diese Frage immer wieder zu stellen und zu beantworten«. Die Abgeordneterief unter Berufung auf Art. 56 Abs. 2 Satz 2 LV das LVerfG an. Trotz der zwischenzeitlichen Beantwortung der Kleinen Anfrage hat das LVerfGdas Rechtsschutzinteresse der Abgeordneten an der Feststellung bejaht, dassdie ursprünglichen Antworten der Landesregierung der Verpflichtung ausArt. 56 Abs. 2 Satz 2 LV, parlamentarische Anfragen »nach bestem Wissen undvollständig« zu beantworten, nicht gerecht würden. Die Antwort lasse keinhinreichendes Eingeständnis der Verletzung des Auskunftsrechts der Abge-ordneten durch die zunächst gegebenen Antworten erkennen. Die Landes-regierung müsse zu den ihr von Abgeordneten gestellten Fragen alle Informa-tionen, über die sie verfüge oder die sie mit zumutbarem Aufwand beschaffenkönne, lückenlos mitteilen. Eine ausweichende Antwort sei nicht vollständigiSd LV. Die Frage, ob die Antwort der Landesregierung der LV genüge,unterliege in vollem Umfange der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung.Die LV habe zum Ausgleich des informationellen Ungleichgewichts zwischenExekutive und Legislative erkennbar die Stärkung der Informationsrechte derAbgeordneten zum Ziel. Grenzen der Auskunftspflicht ergäben sich allein ausüberwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen an der Geheimhaltung,wofür hier nichts ersichtlich sei. Die bloße Verweisung auf Antworten derVorgängerregierung zu ähnlichen Fragen reiche angesichts der in derZwischenzeit erfolgten Veränderungen im Personalkörper nicht aus.

� 01.2 – 3/01

Kommunalwahlrecht/5%-SperrklauselLVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 14. Dezember 2000 – 4/99

LV M-V Art. 3 Abs. 3 u. 4; KWG M-V § 37 Abs. 2 Satz 1; GG Art. 21 Abs. 1, 38 Abs. 1; LVerfGG M-V § 36 Abs. 3

1. Politische Parteien können als »andere Beteiligte«, die durch dieVerfassung mit eigenen Rechten ausgestattet worden sind, eine

Verletzung oder unmittelbare Gefährdung des ihnen verliehenenverfassungsrechtlichen Status durch ein Verfassungsorgan im Wegeder Organstreitigkeit vor dem LVerfG geltend machen.2. Zum verfassungsrechtlichen Status einer Partei gehören gleicheWettbewerbschancen bei Wahlen unter Einschluss der Kommunal-wahlen. Sieht sich eine politische Partei durch das Verhalten einesVerfassungsorgans in diesem Status beeinträchtigt, so kämpft sieauch insoweit um ihr Recht auf Teilhabe am Verfassungsleben.3. Gesetzgeberisches Unterlassen (hier: Unterbleiben der Überprü-fung der 5%-Sperrklausel im KWG M-V) kann ein zulässiger Streit-gegenstand im Organstreitverfahren sein.4. Dem Gesetzgeber ist bei Regelungen, welche die politische Willens-bildung des Volkes berühren, jede unterschiedliche Behandlung vonpolitischen Parteien, durch die deren Chancengleichheit bei Wahlenverändert werden kann, von Verfassungs wegen versagt, sofern siesich nicht durch einen zwingenden Grund rechtfertigen lässt.5. Bei der Einschätzung und Bewertung von Umständen, die auf einemögliche Gefährdung der Funktionsfähigkeit einer Kommunalver-tretung hindeuten, hat sich der Gesetzgeber – unbeschadet seinerFreiheit zur näheren Ausgestaltung von Wahlsystem und Wahl-verfahren – an der politischen Wirklichkeit zu orientieren; hierbei istauf die konkrete, durch tatsächliche Anhaltspunkte gestützte und miteiniger Wahrscheinlichkeit zu erwartende Möglichkeit der Beein-trächtigung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Vertretungenabzustellen.

Problemstellung:Die Ast., die Partei Bündnis 90/Die Grünen, Landesverband Mecklen-burg-Vorpommern, wendete sich im Wege des Organstreits dagegen,dass der Ag., der Landtag Mecklenburg-Vorpommern, es unterlassenhabe, die ihrer Ansicht nach aufgrund von Änderungen des Kommu-nal(wahl)rechts verfassungswidrig gewordene 5%-Sperrklausel imKommunalwahlG (§ 37 Abs. 2 Satz 1 KWG M-V) zu überprüfen undggf. aufzuheben oder zu ändern. Die Klausel schließt Parteien undWählergruppen (nicht Einzelbewerber), die weniger als 5% der imWahlgebiet abgegebenen Stimmen erreichen, von einer Berücksich-tigung bei der Sitzverteilung aus. Sie wurde erstmals 1993 in das KWGM-V aufgenommen. Bei Novellierungen kommunalverfassungsrecht-licher Vorschriften – einschließl. derer zur Einführung der Direktwahlder Bürgermeister und Landräte im Jahre 1997 – ist die Sperrklauselbeibehalten worden.

Der Antrag hatte Erfolg.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:1. Der größte Teil der Entscheidungsgründe befasst sich mit der Zuläs-sigkeit des Antrags. Als politische Partei war die Ast. im Organstreitbeteiligtenfähig, da sie geltend machen konnte, durch das Unterlas-sen der Nachprüfung der Sperrklausel in ihrem verfassungsrechtlichenStatus auf Chancengleichheit bei Wahlen verletzt oder unmittelbargefährdet zu sein. Das LVerfG folgt hier der st.Rspr. des BVerfG (BVerfGE4, 27, 31; 85, 264, 284), nach der eine politische Partei (nur) im Organ-streitverfahren vor dem Verfassungsgericht beteiligtenfähig ist, soweitsie sich auf eine Verletzung ihres verfassungsrechtlichen Status durchVerfassungsorgane beruft. Etwas anderes folge nicht daraus, dass es umdie normativen Voraussetzungen einer Kommunalwahl gehe. Einepolitische Partei könne es sich kaum leisten, im politischen Wettbe-werb auf eine Beteiligung an Kommunalwahlen zu verzichten (so auchBVerfGE 6, 367, 373).

Gegenstand des Organstreits war ein Unterlassen des Gesetzgebers,da die Verletzung einer »gesetzgeberischen Nachbesserungspflicht«gerügt wurde. Es ging also nicht um eine »Maßnahme« durch Erlassder Sperrklausel, sondern um die im Laufe der Zeit (möglicherweise)veränderte Sach- und Rechtslage. Das LVerfG bejaht ausdrücklich dievom BVerfG (BVerfGE 92, 80, 87) offen gelassene Frage, ob bloße

Rechtsprechung

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139Neue Justiz 3/2001

Unterlassungen des Gesetzgebers im Wege des Organstreitverfahrens(überhaupt) angreifbar sind.

Der Ast. fehlte auch nicht die Antragsbefugnis. Mit der Einführungder Direktwahl der Bürgermeister und Landräte war das Kompetenz-gefüge zwischen den kommunalen Organen erheblich verändert wor-den, sodass eine Verletzung ihres Rechts auf Gleichheit der Wahl undauf Chancengleichheit nicht vorn vornherein ausgeschlossen erschien.

Breiten Raum nehmen die Ausführungen zu der – von Ag. undLandesregierung angenommenen – Verfristung ein. Nach § 36 Abs. 3LVerfGG M-V (ebenso § 64 Abs. 3 BVerfGG) muss der Antrag binnensechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unter-lassung dem Antragsteller bekannt geworden ist, gestellt werden.Das Gericht sieht die Frist eingehalten. Im Fall des Unterlassens werdesie jedenfalls dadurch in Lauf gesetzt, dass sich der Ag. erkennbareindeutig weigert, in der Weise tätig zu werden, wie dies die Ast. zurWahrung ihrer Rechte aus einem verfassungsrechtlichen Status fürerforderlich hält. Diese Voraussetzung nimmt das Gericht vorliegend(erst) im Zusammenhang mit einer Änderung des KWG im Jahre 1999als gegeben an und nicht schon bereits mit den kompetenziellenVeränderungen infolge der Einführung der Direktwahl von Bürger-meistern und Landräten.

2. In der Sache gelangt das LVerfG zu dem Ergebnis, dass das Unter-lassen des Ag., der Frage einer weiteren Rechtfertigung der Sperrklau-sel im KWG nachzugehen, gegen das in (Art. 21 Abs. 1 GG iVm) Art. 3Abs. 3 u. 4 LV M-V gewährleistete Recht der Ast. auf Chancengleich-heit im politischen Wettbewerb bei Wahlen verstößt. Die Gewährlei-stung gleicher Chancen im Wahlwettbewerb sei ein unabdingbaresElement des vom GG und von der LV gewollten freien und offenenProzesses der Meinungs- und Willensbildung des Volkes. Die Ent-scheidung über den Wert des Programms einer politischen Partei undüber ihr Recht, an der Bildung des Staatswillens (organisatorisch) mit-zuwirken, könne allein von den Wählern getroffen werden; hier liegedie ursprünglichste und wichtigste Äußerungsform der repräsen-tativen Demokratie überhaupt (BVerfGE 3, 19, 26). Das Prinzip derChancengleichheit der Parteien hänge eng mit dem Grundsatz derAllgemeinheit und Gleichheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 GG, Art. 3Abs. 3 LV M-V) zusammen.

Sperrklauseln beeinträchtigten das Recht auf Chancengleichheit,indem sie Parteien oder Wählergruppen, die das festgesetzte Quorumnicht erfüllten, von der Sitzzuteilung in der zu wählenden Volksver-tretung ausschlössen. Jedenfalls müsse bei der Verhältniswahl jedeStimme grundsätzlich den gleichen Erfolgswert haben (BVerfGE 6,104, 114 ff.; 95, 408, 418 ff. = NJ 1997, 333 [Leits.]). Differenzierun-gen bei dem Erfolgswert der Stimmen bedürften zu ihrer Rechtferti-gung stets eines zwingenden Grundes. Als ein solcher sei – mit demBVerfG (BVerfGE 82, 322, 338) – insbes. die Sicherung der Funktions-fähigkeit der zu wählenden Volksvertretung anzusehen. Allerdings seibei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Sperrklausel auf die Verhält-nisse in dem jeweiligen Land und insbes. auf den Aufgabenkreis derzu wählenden Volksvertretung abzustellen. Ob eine Sperrklausel zurSicherung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit einer Volks-vertretung geboten sei, könne nicht ein für alle Mal abstrakt beurteiltwerden. Da das Wahlrecht das vornehmste Recht des Bürgers imdemokratischen Rechtsstaat sei, dessen Einschränkung stets untereinem besonderen Rechtfertigungsdruck stehe, bleibe dem Gesetz-geber ein nur eng bemessener Spielraum. Es bestehe zudem die Pflichtdes Gesetzgebers, Sperrklauseln unter Kontrolle zu halten und dieVoraussetzungen für ihren Erlass bei entsprechendem Anlass zuüberprüfen.

An diesen Kriterien gemessen kommt das LVerfG zu dem Ergebnis,dass der Ag. verpflichtet war und ist, wegen der Änderungen kommu-nalverfassungsrechtlicher Vorschriften im Zusammenhang mit derEinführung der Direktwahl der Bürgermeister und Landräte in einenähere Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Sperrklausel einzu-

treten. Die für die Beurteilung der Klausel maßgeblichen Umständehätten sich dadurch wesentlich geändert. Während die KommVerf. biszu dieser Novellierung die Wahl der Bürgermeister bzw. Landrätedurch die Vertretungskörperschaften gekannt habe und insoweit demparlamentarischen Regierungssystem auf staatlicher Ebene deutlichangenähert gewesen sei, habe die Einführung der Direktwahl einebedeutsame strukturelle Änderung der KommVerf. gebracht.

Abschließend gibt das LVerfG zu der erforderlichen Überprüfungeinige nähere Hinweise. Der Gesetzgeber habe sich an der konkretenpolitischen Wirklichkeit und nicht lediglich an abstrakt konstruiertenFallgestaltungen zu orientieren. Hierbei könnten die zwischenzeitlichgewonnenen Erfahrungen in Ländern mit einem Kommunalwahl-recht ohne eine 5%-Sperrklausel nicht außer Acht gelassen werden(ebenso VerfGH NRW, DVBl 1995, 153, 156 f.). So betrage der Erfah-rungszeitraum mit einer solchen Rechtslage in den Ländern Nieder-sachsen und Baden-Württemberg mehr als 50 Jahre. In Bayern sei dieSperrklausel 1952 abgeschafft worden, nachdem der BayVerfGH (DÖV1952, 438 ff.) diese für verfassungswidrig erklärt habe. Zu berücksich-tigen sei weiter, dass es in den neuen Bundesländern zunächst keine5%-Sperrklausel gegeben habe, eine Ausgangslage, die auch heute nochin den Ländern Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt gelte.

Kommentar:Die wahlrechtliche Hürde der 5%-Klausel war unter dem Eindruck des»Weimarer Traumas« (Hans Meyer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II,1987, § 38 Rn 27) über Jahrzehnte – von der erwähnten Entscheidungdes BayVerfGH (aaO) abgesehen – verfassungsrechtlich weithin unan-gefochten (vgl. nur Linck, Jura 1986, 460 ff.; Schreiber, Hdb. des Wahl-rechts zum Deutschen Bundestag, 6. Aufl., 1998, § 6 Rn 16a mwN).Erst seit den 90er Jahren wurde ein »Wind of Change« (Heinig/Morlok,ZG 2000, 376) spürbar, ausgehend von der Rspr. des BVerfG (BVerfGE82, 322) und des VerfGH NRW (aaO; zur Rspr. der Verfassungsgerichtein anderen Ländern vgl. Heinig/Morlok, aaO, S. 378 ff. mwN).

Das LVerfG M-V folgt im Wesentlichen dieser Rspr., insbes. der desVerfGH NRW. Das gilt nicht nur für den verfassungsrechtlichenAnsatz, sondern – und dies wird dem Grundsatz der Gewaltenteilungund dem pfleglichen Umgang der Gewalten miteinander besondersgerecht – auch in Bezug auf den (vorläufigen) Verzicht auf eine inhalt-liche Prüfung der Sperrklausel selbst. Das Gericht respektiert die Ein-schätzungsprärogative des Gesetzgebers. Es gibt jedoch am Ende derEntscheidung mit dem Hinweis auf die Rechtslage in anderen Ländernzu erkennen, dass es einer weiteren Aufrechterhaltung einer 5%-Klau-sel zumindest mit Skepsis begegnet. Diese besteht – lässt man Beson-derheiten eines Stadtstaates außer Betracht – m.E. zu Recht. ErnsthafteBedrohungen der Funktionsfähigkeit der Volksvertretungen aufkommunaler Ebene in den vom LVerfG M-V genannten Ländern sindbisher nicht bekannt geworden. Es bedürfte schon des Nachweises,dass gerade in den Bundesländern, in denen es noch eine Sperrklauselgibt, Besonderheiten bestehen, die die Annahme einer solchenBefürchtung rechtfertigen. Auch der Hinweis der Landesregierung indem Organstreit auf die bei kleineren Kommunen aufgrund derkleineren Zahl der Ratsmitglieder ohnehin bestehende immanente(faktische) Sperre von 5% und mehr, dürfte an der Beurteilung nichtsEntscheidendes ändern. Die Länder, die seit vielen Jahren, z.T. seitJahrzehnten, auf eine Sperrklausel verzichten, waren bisher auch ohneeine solche die Chancengleichheit und Gleichheit der Wahl beein-trächtigende Regelung in der Lage, funktionsfähige Vertretungen inihren Kreisen und Großstädten zu bilden. Bleibt zu hoffen, dass derLandtag Mecklenburg-Vorpommerns klüger ist als der Nordrhein-Westfalens, der die Vorgaben seines Verfassungsgerichts nicht ausrei-chend berücksichtigte und dadurch eine erneute Entscheidung – mitNichtigkeitsfolge – provozierte (VerfGH NRW, DVBl 1999, 1271 ff.m. Anm. Hubert Meyer).

MDgt Dr. Siegfried Jutzi, Justizministerium Rheinland-Pfalz

Ver fassungsrecht

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Neue Justiz 3/2001140

02 BÜRGERLICHES RECHT

� 02.1 – 3/01

Staatliche Verwaltung/Pflichtverletzungen/positive Vertragsverlet-zungen/Schadensersatzansprüche/Amtshaftungsansprüche/Über-nahme von AufbauhypothekenBGH, Urteil vom 11. Mai 2000 – III ZR 145/98 (KG Berlin)

VermG §§ 11a Abs. 3, 13, 16 Abs. 5, 18 Abs. 2; BGB §§ 667, 839

a) Pflichtverletzungen des staatlichen Verwalters während der Dauerdieser Verwaltung können Schadensersatzansprüche nach § 13 Abs. 1VermG oder, soweit sie ab dem 3.10.1990 begangen wurden, nach§ 839 BGB iVm Art. 34 GG auslösen. Der Schadensersatzanspruchnach § 13 VermG ist gegen den Entschädigungsfonds, der Amtshaf-tungsanspruch gegen die Gebietskörperschaft zu richten, in derenAuftrag der staatliche Verwalter tätig geworden ist.b) Eine unmittelbare Inanspruchnahme des früheren staatlichenVerwalters nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzungkommt nur für solche Pflichtverletzungen in Betracht, die ihm nachdem Ende der staatlichen Verwaltung im Zusammenhang mit ihrerAbwicklung unterlaufen.c) Zum Umfang der Übernahme von eingetragenen Aufbauhypothe-ken, die durch den staatlichen Verwalter bestellt worden sind.

Problemstellung:Die Kl. – ein im früheren Westteil Berlins ansässiges gemeinnützigesWohnungsunternehmen – klagte gegen die frühere Treuhänderin(Bekl. zu 2) und den Rechtsnachfolger des früheren staatlichenVerwalters (Bekl. zu 1) des Vermögens der Rechtsvorgängerin der Kl.Der staatliche Verwalter hatte in den Jahren 1979-1988 Kredite voninsges. ca. 300.000 M/DDR bei der Sparkasse Berlin für Wohnungs-baumaßnahmen aufgenommen und diese durch die Eintragung vonAufbauhypotheken in die Grundstücke der Kl. gesichert. 1991 wurdedie staatliche Verwaltung durch das Vermögensamt aufgehoben, eineEntscheidung über die dinglichen Sicherungsrechte und einen evtl.Wertausgleich wurde vorbehalten.

Die Klage richtete sich auf die Herausgabe der Verwalterunterlagen,Auskunft und Zahlung eines noch zu beziffernden Betrags. DieBekl. zu 1 erhob Widerklage auf Ausgleich eines Fehlbetrags vonca. 46.000 DM.

Das LG verurteilte die Bekl. zu 1 zur Herausgabe der Unterlagen,gab deren Widerklage statt und wies die Klage gegen die Bekl. zu 2 ab.

Die Kl. legte Berufung ein mit dem gleichzeitigen Hilfsantrag, dieBekl. zu 1 zur Zahlung von 156.900 DM für die Ablösung der dinglichgesicherten Forderungen zu verurteilen. Das BerufungsG verurteilte dieBekl. zu 1 dem Hilfsantrag gemäß und wies zugleich deren Anschluss-berufung gegen die Verurteilung zur Herausgabe der Unterlagen ab.

Der BGH hat die Revision der Bekl. zu 1 insoweit angenommen, alssie sich gegen deren Inanspruchnahme für die Verbindlichkeiten ausden Kreditverträgen richtete. Die Entscheidung des BerufungsG wurdein diesem Punkte aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Ver-handlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Der BGH befasst sich zunächst mit der Einordnung der Pflichtenlagedes staatlichen Verwalters in das vermögens- und zivilrechtliche Nor-mengefüge. Hierzu stellt er fest, dass die sich aus § 11a Abs. 3 VermGmit Verweis auf das Auftragsverhältnis (§§ 662 ff. BGB) ergebendenPflichten des staatlichen Verwalters für die Abwicklung des Verwalter-verhältnisses, d.h. nach Beendigung der staatlichen Verwaltung gelten(Verweis auf BGHZ 126, 321, 326 = NJ 1994, 576).

Für das Verhalten während der Zeit der staatlichen Verwaltung seiendie auftragsrechtlichen Vorschriften hingegen nicht anzuwenden;die staatliche Verwaltung sei ein öffentlich-rechtliches Institut, für das

Schadensersatzansprüche aus § 13 VermG oder – seit dem 3.10.1990 –aus der Amtshaftpflicht entstehen können (Verweis auf BGHZ 128,173, 184 = NJ 1995, 481, u. v. 26.11.1998 – III ZR 203/97 – BGHR BGB§ 839 Abs. 1 Satz 1 staatlicher Verwalter 1).

Der BGH geht sodann auf die unterschiedlichen Haftungsgrund-lagen ein, die sich wie folgt darstellen:

a) Gem. § 13 Abs. 1 VermG kann der Berechtigte Schadensersatz-ansprüche wegen einer gröblichen Verletzung der Pflichten zur ord-nungsgemäßen Wirtschaftsführung geltend machen. Diese Ansprücherichten sich jedoch gem. § 13 Abs. 2 VermG nicht gegen den staat-lichen Verwalter, sondern gegen den Entschädigungsfonds.

b) Nach dem 3.10.1990 könnten auch Ansprüche aus der Amtshaf-tung gem. § 839 Abs. 1 BGB entstehen, diese richten sich aber gegendie Gebietskörperschaft, in deren Auftrag oder als deren Bediensteterder Verwalter tätig geworden ist.

c) Eine Haftung des Verwalters aus positiver Vertragsverletzungkommt für die Zeit nach der Beendigung der staatlichen Verwaltungin Betracht.

Unter Bezugnahme auf eine frühere Entscheidung (BGHZ 126, 321)wird anschließend, die Pflichtenlage des Verwalters nach Beendigungder Verwaltung präzisiert. Zwar sei der Verwalter nicht lediglich für die(relativ kurze) Zeit nach Beendigung, sondern für den gesamtenZeitraum der staatlichen Verwaltung rechenschaftspflichtig, damitsich der Berechtigte ein Bild über die Führung der staatlichen Verwal-tung und das dem Verwalter noch Verbliebene verschaffen könne.Jedoch könne dieser Grundsatz nicht unbenommen auf die möglicheSchadensersatzpflicht des Verwalters übertragen werden. Dies folgeaus den Eingrenzungen des § 11a Abs. 3 VermG auf die Zeit nachBeendigung der Verwaltung und des § 13 Abs. 1 VermG, der nur eineHaftung für gröbliche Pflichtverletzungen vorsehe. Der Verwalterkönne damit z.B. nicht – wie ein sonstiger Beauftragter – auf die Heraus-gabe von Beträgen in Anspruch genommen werden, die er währenddes Zeitraums der staatlichen Verwaltung weisungswidrig verbrauchthabe oder für die er keine Nachweise (mehr) führen könne.

Eine andere Schlussfolgerung ergebe sich auch nicht aus der Rspr.des BGH, wonach dem staatlichen Verwalter eine Treuhänderstellung(vgl. § 15 Abs. 1 VermG) zukomme und er daher Aufwendungsersatznach den Bestimmungen des § 670 BGB verlangen könne (BGHZ 137,183 = NJ 1998, 206 [bearb. v. Schmidt]; Beschl. v. 30.7.1997, WM 1997,1854). Hieraus könne nicht geschlossen werden, dass die Tätigkeit desstaatlichen Verwalters einheitlich nach den auftragsrechtlichenNormen beurteilt werde.

Letztlich rügt der BGH auch die Beurteilung der Schadenshöhedurch das BerufungsG. Dieses habe unberücksichtigt gelassen, dass derBerechtigte nach den Bestimmungen des VermG nicht in jedem Fallden vollen Betrag der gesicherten Kredite unter Berücksichtigung derBestimmungen der Wirtschafts- und Währungsunion zu übernehmenhabe. Nach § 16 Abs. 5 Satz 4 VermG könne er mit dem Nachweis, dasseine der Kreditaufnahme entsprechende Baumaßnahme nicht durch-geführt worden sei, die Übernahme ganz abwenden. In diesem Fallwürden die Forderungen nach § 16 Abs. 9 Satz 4 VermG erlöschen.Andernfalls greife § 16 Abs. 5 iVm § 18 Abs. 2 VermG ein, der eineAbschlagsberechnung für die vom staatlichen Verwalter aufgenom-menen Grundpfandrechte vorsehe. Durch die pauschalen Abschlägewerde grundsätzlich gewährleistet, dass der Berechtigte die Verpflich-tungen nur noch in dem Umfang der (noch) bestehenden Bereiche-rung übernehmen müsse.

Im Hinblick auf die noch ausstehende Entscheidung des Vermö-gensamtes zur Höhe der zu übernehmenden Grundpfandrechte merktder BGH an, dass diese nicht konstitutiv sei, da sich der Umfang derVerpflichtungsübernahme unmittelbar aus dem Gesetz ergebe. DerVerpflichtete könne sich daher auch ohne die vermögensrechtlicheEntscheidung auf die Beschränkung seiner Übernahmeverpflichtun-gen nach §§ 16 Abs. 5 Satz 4, 18 Abs. 2 VermG berufen, wenngleich

Rechtsprechung

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141Neue Justiz 3/2001

aus Beweislast- und Aufklärungsgründen die Herbeiführung einerEntscheidung des Vermögensamtes anzustreben sei.

Die Zurückverweisung erfolgte zur weiteren Aufklärung eines mög-lichen Fehlverhaltens der Bekl. zu 1 nach Beendigung der staatlichenVerwaltung, durch welches die Kl. außerstande gesetzt werde, die– möglicherweise – zweckwidrige Verwendung der Mittel nachzuwei-sen. Weitere Aufklärung sei auch zur Schadenshöhe erforderlich.

Kommentar:Die Rspr. zu §§ 11 ff. VermG konzentriert sich naturgemäß auf denBegriff der staatlichen Verwalters und seine Haftung für Handlungenwährend und nach Aufhebung der staatlichen Verwaltung und seineKostenerstattung. Der Begriff der staatlichen Verwaltung ist aufGrundlage mehrerer Entscheidungen (vgl. BVerwG, VIZ 1996, 271;BVerwG, NJ 1998, 329 [bearb. v. Kolb]; BVerwG, VIZ 1998, 673) mitt-lerweile recht genau bestimmbar. Auch die Frage der Kostenerstattungdes Verwalters war Gegenstand mehrerer Entscheidungen (vgl. BGH,VIZ 1997, 643; BGH, NJ 1998, 206 [bearb. v. Schmidt], und BGH, NJ1999, 312 [bearb. v. Kolb] ; NJ 2000, 198 [bearb. v. Schmidt], 321 [Leits.],654 [bearb. v. Kolb] ).

Das kommentierte Urteil hat nun die Rspr. zur Haftung desstaatlichen Verwalters detaillierter ausgestaltet. Hierbei sind zweiAnspruchsebenen zu berücksichtigen. Ansprüche, die nach Beendi-gung der staatlichen Verwaltung entstehen, werden gem. § 11a Abs. 1Satz 3 VermG nach den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften für denAuftrag abgewickelt. Dadurch ist vom Gesetzgeber (mittelbar) denBeteiligten der Zivilrechtsweg für die Geltendmachung ihrer Ansprüchezugewiesen worden (vgl. BGHZ 126, 321, 324).

Für Ansprüche, die sich auf das Handeln während der staatlichenVerwaltung begründen, gilt § 13 VermG. Dieser verweist seinerseits aufdie Staatshaftung. Insoweit gilt in Brandenburg und Mecklenburg-Vor-pommern das (teilweise) neu gefasste StaatshaftungsG der DDR v.12.5.1969; in Sachsen-Anhalt gilt das Ges. zur Regelung von Entschä-digungsansprüchen v. 16.11.1993; in Sachsen und im Ostteil Berlinswurde das StaatshaftungsG der DDR außer Kraft gesetzt (vgl. dazuErmann, BGB, 10. Aufl. 2000, § 839 Rn 14). Auch hier ist der Rechts-weg zu den ordentlichen Gerichten zulässig, sobald das Verwaltungs-verfahren abgeschlossen ist (vgl. BGHZ 128, 173, 183).

Hinsichtlich der Maßstäbe für das Handeln des Verwalters und sichdaran knüpfender Rechtsfolgen, insbes. der Haftung, war die Rechts-lage jedoch nicht ganz klar. In seiner Entscheidung v. 30.4.1994 (BGHZ126, 321) hatte der BGH ausgeführt, dass die Bezugnahme des § 11aAbs. 3 VermG auf die Bestimmungen des Auftrags nicht so verstandenwerden könne, dass damit die wesentlichen Pflichten des Verwalters(Rechenschaft, Auskunft, Herausgabe des Verbliebenen) sich auf denZeitraum ab der Beendigung der staatlichen Verwaltung beschränken.Vielmehr würden diese Pflichten auch für den Zeitraum der Ausübungder staatlichen Verwaltung gelten, da die Verwaltung das Eigentum desBetroffenen formal unangetastet ließ und der Verwalter daher auchdessen Interessen zu wahren hatte. Andernfalls gingen die Vorschrif-ten über den Auftrag weitestgehend ins Leere, weil sie dann nur diekurze Zeitspanne von der Beendigung der Verwaltung bis zur Rückgabeerfassen können.

Nunmehr hat der BGH klargestellt, dass diese Maßstäbe aber nichtfür die Verantwortlichkeit des Verwalters gelten. Zwischen der Pflich-tenlage bei der Abwicklung der staatlichen Verwaltung und den Vor-aussetzungen des Schadensersatzes ist zu unterscheiden, wobei für denSchadensersatz ausschließlich die bereits aufgezeigten Anspruchs-grundlagen gelten. Damit ist die haftende Körperschaft und mittelbar(über die Regressvorschrift des § 13 Abs. 3 VermG) auch der (ehem.)staatliche Verwalter weitgehend vor Schadensersatzansprüchengeschützt. Denn nach § 13 Abs. 1 VermG tritt eine Haftung nurfür die gröbliche Verletzung von Pflichten zur ordnungsgemäßenWirtschaftsführung ein (zur Rückzahlungspflicht für Kredite zur

Finanzierung von Instandhaltungen verwalteter Grundstücke vgl.KG, DtZ 1995, 145).

Die o.g. Amtshaftung nach dem 3.10.1990 besteht nach der Ent-scheidung des OLG Dresden v. 20.8.1997 (VIZ 1997, 688) in Konkur-renz zu dem Anspruch aus § 13 VermG. Jedoch kann sich die Amts-haftung nur auf das Handeln des Verwalters nach dem 3.10.1990beziehen. Sie wird außerdem teilweise in der Rspr. im Wege derteleologischen Reduktion auf die Maßstäbe des § 13 VermG einengendausgelegt (vgl. LG Potsdam, NJ 1998, 437 [bearb. v. Kolb]).

Literaturhinweis:Barkam, in: Rädler/Raupach/Bezzenberger, Vermögen in der ehemali-gen DDR, Bd. I, zu § 13 VermG; BT-Drucks. 11/7831, Erl. zu § 13 VermG;Huber, ZOV 1998, 169

Prof. Dr. Ingo Fritsche, Fachhochschule für Rechtspflege NRW

� 02.2 – 3/01

Enteignung nach AufbauG/Anspruch auf »steckengebliebene Entschädi-gung«/Passivlegitimation/Verwaltungsvermögen/VerjährungseinredeBGH, Urteil vom 14. September 2000 – III ZR 183/99 (OLG Naumburg)

EinigungsV Art. 21

Zur Passivlegitimation für einen Anspruch auf eine »steckengebliebeneEntschädigung« wegen einer Enteignung nach dem DDR-AufbauG.

Die Kl. sind kraft zweifachen Erbgangs Rechtsnachfolgerinnen des1951 verstorbenen G. Dieser war Eigentümer eines Grundstücks in M.,das nach dem AufbauG/DDR mit Wirkung v. 1.1.1956 für die Errich-tung der Hochschule für Schwermaschinenbau in Anspruch genom-men und später in Volkseigentum überführt wurde. Für die Enteig-nung wurde mit Feststellungsbescheid v. 7.6.1966 eine Entschädigungi.H.v. 25.500 M/DDR festgesetzt, die jedoch nicht zur Auszahlunggelangte; insoweit wurde auch keine Einzelschuldbuchforderungbegründet. Das Grundstück steht inzwischen im Eigentum des bekl.Landes und dient der Universität M.

Ein Antrag der Kl. auf Rückübertragung bzw. Entschädigung nachdem VermG wegen des Verlustes des Eigentums an dem Grundstückwurde durch bestandskräftig gewordenen Bescheid des ARoV zurück-gewiesen.

Die Kl. nehmen nunmehr das bekl. Land auf Auszahlung der imVerhältnis 2:1 umgestellten Entschädigung in Anspruch.

Das bekl. Land meint, Schuldnerin eines etwaigen Entschädigungs-anspruchs sei die Bundesrepublik Deutschland.

Die Vorinstanzen haben das bekl. Land antragsgemäß verurteilt. Die Revision des Bekl. blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:1. Mit Recht ist das BerufungsG davon ausgegangen, dass die hier inRede stehende Enteignung nicht den Tatbeständen des § 1 Abs. 1VermG unterfällt. Vielmehr war die Enteignung nach dem Recht derehem. DDR rechtmäßig gewesen. Diese Rechtmäßigkeit wird nach derübereinstimmenden Rspr. des BVerwG und des BGH insbes. nichtdadurch in Frage gestellt, dass den Berechtigten im Einzelfall diefestgesetzte Entschädigung tatsächlich nicht zugeflossen ist (BVerwGE95, 284 u. 289 = NJW 1994, 2105, 2106 = NJ 1994, 428, 429; BGHZ 129,112, 114 f. = NJ 1995, 425; Senatsurt. v. 16.10.1997, NJW 1998, 222,224 = NJ 1998, 257 [Leits.] ). Da auch die sonstigen in § 9 Abs. 1EntschG v. 27.9.1994 (BGBl. I S. 2624, ber. 1995 I S. 110) genanntenAnsprüche nicht in Betracht kommen, scheidet eine Eintrittspflichtdes Entschädigungsfonds aus.

2. Ebenso wenig besteht ein Anspruch gegen den Erblastentilgungs-fonds nach §§ 1, 2 ErblastentilgungsfondsG idF d. Bkm. v. 16.8.1999(BGBl. I S. 1883) iVm §§ 1, 2, 7 DDR-SchuldbuchbereinigungsG (DDR-

Bürger l i ches Recht

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Neue Justiz 3/2001142

SchuldBBerG) v. 27.9.1994 (BGBl. I S. 2634). Voraussetzung für dieAnwendbarkeit des DDR-SchuldBBerG wäre gewesen, dass wegen derhier in Rede stehenden Entschädigung eine Schuldbuchforderunggegen die DDR nach § 14 Abs. 2 des DDR-EntschG v. 25.4.1960 (GBl. IS. 257) iVm der VO über die Schuldbuchordnung für die DDRv. 2.8.1951 (GBl. I S. 723) begründet worden wäre. Hierzu wäre indes-sen eine Eintragung in das Schuldbuch erforderlich gewesen, mit derder Gläubiger einen unmittelbaren Rechtsanspruch gegen die DDR alsSchuldnerin erworben hätte (§ 3 Abs. 3 SchuldbuchO). Diese Eintragungwar zwar in Ziff. 7 des Feststellungsbescheids v. 7.6.1966 vorgesehengewesen, ist jedoch unstreitig nicht zustande gekommen. Nachdemder Versuch des Bundesrates aus dem Jahre 1998, durch Schaffungeines neuen § 1c VZOG auch die Erfüllung »steckengebliebener Ent-schädigungen« an den Erblastentilgungsfonds zu verweisen, geschei-tert ist (vgl. BT-Drucks. 13/9719; dazu: Rodenbach, NJW 1999, 1425,1429), fehlt es für die Inanspruchnahme des Erblastentilgungsfondshinsichtlich solcher Ansprüche, die inhaltlich erst auf Begründungeiner Schuldbuchforderung gerichtet waren, an einer Rechtsgrundlage.

3. Dem BerufungsG ist darin beizupflichten, dass das enteigneteGrundstück zumVerwaltungsvermögen des bekl. Landes iSv Art. 21Abs. 1 u. 2 EV gehört.

a) Der Begriff des Verwaltungsvermögens wird in Art. 21 EV grund-sätzlich in dem im deutschenVerwaltungsrecht herkömmlichen Ver-ständnis verwendet. Verwaltungsvermögen in diesem Sinne dientdurch seine Zweckbestimmung und seinen Gebrauch unmittelbar deröffentlichen Verwaltung. Für die Zuordnung eines Vermögensgegen-standes zum Verwaltungsvermögen muss i.d.R. eine entsprechendeZweckbestimmung am 1.10.1989 vorgelegen und noch am 3.10.1990bestanden haben. Welcher Verwaltungsträger das Verwaltungsver-mögen erhält, richtet sich nach der Zweckbestimmung des Vermö-gensgegenstandes am 1.10.1989 (Art. 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EV;vgl. BGHZ 128, 393, 396 f. = NJ 1995, 378 mwN).

b) Zu den unmittelbaren Verwaltungsaufgaben iSd Art. 21 Abs. 1Satz 1 EV gehört auch das staatliche Hochschulwesen. Nach denrechtsfehlerfreien tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen desBerufungsG waren die mit der Errichtung, dem Ausbau und der Unter-haltung der hier in Rede stehenden Hochschule in M. zusammen-hängenden Verwaltungsaufgaben solche, die nach dem Recht derBundesrepublik Deutschland in die Zuständigkeit der Länder fielen.Dementsprechend ist es unstreitig, dass die Hochschule, zu derenAusbau das enteignete Grundstück diente, in der Trägerschaft des bekl.Landes steht und dieses auch Eigentümer des Grundstücks ist.

c) In der Rspr. des BGH ist anerkannt, dass zum Verwaltungsver-mögen iSd Art. 21 EV auch Verbindlichkeiten gehören, sofern sie mitdem übernommenen Aktivvermögen in einem engen, unmittel-baren Zusammenhang stehen (BGHZ 128, 393, 399 f. m. zahlr. wN).Der hiernach erforderliche enge Bezug des Vermögens zu bestimm-ten Verwaltungsaufgaben gilt auch für die Passiva (BGH, aaO, S. 400).Dieser Zusammenhang ist hier zu bejahen. Die Enteignungsent-schädigung ist das Äquivalent für das dem Eigentümer entzogeneEigentum. Diesem Zweck dient auch der Feststellungsbescheid v.7.6.1966.

In diesem Sinne hat auch die Bundesregierung zu dem vom Bundesratgeplanten neuen § 1c VZOG (s.o.) Stellung genommen (BT-Drucks. 13/9719,S. 47): Die unmittelbare rechtliche und wirtschaftliche Verbindungzwischen dem enteigneten Grundstück und der hierfür zu zahlenden Ent-schädigung nach dem Recht der DDR ergebe sich aus dem Umstand, dassder Enteignungsbegünstigte regelmäßig den Entschädigungsbetrag aufzu-bringen gehabt habe. Nur wenn er diesen während des Bestehens der DDRan den Staatshaushalt der DDR abgeführt habe, hafte hierfür jetzt der Ent-schädigungsfonds, der auch in Bezug auf bestimmte, für dem Staatshaus-halt der DDR zustehende Forderungen als Sammelbecken gedient habe.

Hierdurch wird ein hinreichender Zusammenhang zwischen demvom bekl. Land übernommenen Grundstück und der noch offenenEntschädigungsforderung begründet. Entschädigungspflichtig ist nachallgemeinen enteignungsrechtlichen Grundsätzen der Begünstigte,

d.h. derjenige Verwaltungsträger, dessen Aufgaben mit dem Eingriffwahrgenommen werden (Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998,S. 212 mwN). Dementsprechend wird auch im Schrifttum die Auffas-sung vertreten, dass der Anspruch sich gegen denjenigen richtet, demder enteignete Vermögenswert zugeordnet worden ist (Fieberg/Reichen-bach/Neuhaus, VermG, Loseblatt, Stand 1999, § 1 Rn 45).

d) Hiergegen kann nicht eingewendet werden, dass sich der Anspruchbereits mit seiner Festsetzung, also noch vor der etwaigen Begründungeiner entsprechenden Schuldbuchforderung, verselbständigt habeund den Verbindlichkeiten des Zentralstaates DDR zuzuordnen sei.Die Aufteilung des Verwaltungsvermögens der DDR auf unterschied-liche öffentliche Rechtsträger ist eine notwendige Folge der Umwand-lung von einer zentralstaatlichen in eine bundesstaatliche Ordnung,die sowohl vom EinigungsV als auch vom GG (Art. 135a Abs. 2 GG)vorhergesehen und hingenommen worden ist. Deswegen scheitertdie Passivlegitimation des bekl. Landes auch nicht daran, dass diesesselbst zum Stichzeitpunkt (1.10.1989) als Rechtssubjekt überhauptnoch nicht existierte. Soweit den Ausführungen von Wilhelms (VIZ1997, 325, 327) eine abweichende Rechtsauffassung zugrunde liegensollte, kann ihr nicht gefolgt werden.

4. Das BerufungsG prüft – und verneint – sodann die Frage, ob dieEntschädigungsforderung nach dem Recht der DDR verjährt sei. Auchhiergegen wendet sich die Revision. Eine Sachprüfung der materiell-rechtlichen Verjährungsvoraussetzungen nach §§ 472 ff. ZGB iVm§ 11 EGZGB ist im vorliegenden Fall indessen ausgeschlossen. Dennauch die nach dem Recht der DDR bereits eingetretene Verjährung istin einem Rechtsstreit um den Anspruch nach dem 3.10.1990 nichtmehr von Amts wegen zu berücksichtigen (BGHZ 122, 308 = NJ 1993,459). Vielmehr darf eine Klageabweisung aufgrund des Eintritts derVerjährung nur dann ausgesprochen werden, wenn der Schuldnerdie entsprechende Einrede erhoben hat. Dies ist indessen, wie dasBerufungsG rechtsfehlerfrei … feststellt, in den Vorinstanzen nichtgeschehen. Der gegen die Verneinung der Verjährung gerichtete Revi-sionsangriff enthält also in der Sache die erstmalige Geltendmachungdieser Einrede durch das bekl. Land. Insoweit ist in der Rspr. des BGHjedoch anerkannt, dass die Verjährungseinrede in der Revisionsinstanznicht erstmalig erhoben werden kann (so schon BGHZ 1, 234; sieheferner Zöller/Gummer, ZPO, 21. Aufl. 1999, § 561 Rn 7).

� 02.3 – 3/01

Restitution/Eigentümerwechsel/Erstattung von Betriebskosten/Abrech-nungsperiode/Nachzahlung/Zusammenwirken von Berechtigtemund VerfügungsberechtigtemBGH, Urteil vom 14. September 2000 – III ZR 211/99 (Kammergericht)

VermG §§ 16 Abs 2, 17 Satz 1; BGB § 571

a) Tritt der Berechtigte infolge des mit Bestandskraft des Rückgabe-bescheids vollzogenen Wechsels im Grundstückseigentum nach §§ 16Abs. 2, 17 Satz 1 VermG in bestehende Mietverhältnisse ein, so bleibtder Verfügungsberechtigte als früherer Eigentümer den Mieterngegenüber bzgl. der zu diesem Zeitpunkt abgelaufenen Abrech-nungsperioden zur Abrechnung der Betriebskosten verpflichtet undzur Erhebung etwaiger Nachzahlungen berechtigt. Hinsichtlich derlaufenden Abrechnungsperiode trifft die Abrechnungspflicht denBerechtigten; dieser wird auch Gläubiger etwaiger Nachzahlungs-ansprüche.b) Bei der Abrechnung der laufenden Abrechnungsperiode haben derBerechtigte und der Verfügungsberechtigte zusammenzuwirken.

Problemstellung:Die Bekl. sind aufgrund einer bestandskräftigen Entscheidung desARoV seit dem 31.3.1994 Eigentümer eines mit einem Mietshausbebauten ehemals volkseigenen Grundstücks. Die Kl., eine Woh-

Rechtsprechung Bürger l i ches Recht

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143Neue Justiz 3/2001

nungsbaugesellschaft mbH, verwaltete das Mietshaus bis zur Übergabean die Bekl am 1.6.1994.

Mit ihrer Klage verlangte die Kl. von der Bekl. die Zahlung der in denAbrechnungszeiträumen 1993 und 1994 entstandenen und durch dieVorauszahlungen der Mieter nicht gedeckten Betriebskosten.

Die Klage blieb in den Vorinstanzen erfolglos. Die Revision der Kl. hatte ebenfalls keinen Erfolg.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Die Bekl. muss der Kl. die Fehlbeträge für den Zeitraum 1.1.1993 bis31.3.1994 nicht erstatten. Der BGH lehnt im Ergebnis einen »allge-meinen« Kostenerstattungsanspruch gem. § 670 BGB hinsichtlich derBetriebskosten ab, welche vor Bestandskraft des Restitutionsbescheidsangefallen sind. Die Kl. als frühere Verfügungsberechtigte gem. § 2Abs. 3 VermG habe nicht nur den Nutzen der Mieteinnahmen.Sie müsse »im Gegenzuge« auch die (normalen) Betriebs- und Erhal-tungskosten tragen. Dies verdeutliche § 7 Abs. 7 Satz 1-4 VermG. Nachdieser Bestimmung – im vorliegenden Fall kam sie nicht zur Anwen-dung, weil die Rückübertragung und Übergabe des Grundstücks schonvor dem Stichtag erfolgt war – könne der Berechtigte die Nutzungenherausverlangen, die der Verfügungsberechtigte aus Miet-, Pacht- undsonstigen Nutzungsverhältnissen ab dem 1.7.1994 gezogen habe. DerVerfügungsberechtigte könne dann seinerseits die seit dem 1.7.1994entstandenen Betriebs-, Erhaltungs- und Verwaltungskosten aufrech-nen (BGHZ 137, 183, 186 ff. = NJ 1998, 206 [bearb. v. Schmidt]; 141,232, 234 ff. = NJ 1999, 488 [bearb. v. Kolb] ).

Für das Jahr 1993 müsse die Kl. selbst abrechnen: Sie habe nachdem zum maßgeblichen Zeitraum geltenden § 1 Abs. 1 Betriebskosten-UmlageVO (BetrKostUV ) v. 17.6.1991 ( BGBl. I S. 1270; mittlerweileaufgehoben durch Art 6 Abs. 2 Satz 2 Nr.3 MietenüberleitungsG v.6.6.1995, BGBl. I S. 748) von den Mietern Vorauszahlungen für dieBetriebs- und Erhaltungskosten erhoben. Daher müsse sie auch mög-liche Nachzahlungen oder Erstattungen zuviel gezahlter Beträge an dieMieter selbst vornehmen. Sie könne diese Aufgabe nicht der Bekl. auf-bürden und diese quasi »als Abrechnungsdienst für die Kl. fungieren«lassen.

Mit der Rückgabeentscheidung sei die Bekl. zwar nach §§ 16 Abs. 2Satz 1, 17 Satz 1 VermG in die bestehenden Mietverträge eingetreten(BGH 141, 203, 205 = NJ 1998, 206 [bearb. v. Schmidt]; Senatsbeschl.v. 30.11.1995, WM 1996, 273, 274 = NJ 1996, 221 [Leits.]). Damit seidie Bekl. jedoch gerade keine Rechtsnachfolgerin der Kl. iSd § 571BGB. Die Rechtsnachfolge hätte nämlich zur Folge gehabt, dass dasMietverhältnis »uneingeschränkt mit demselben Inhalt entsteht, mitdem es zuvor mit dem Veräußerer bestanden hat (BGH, NJW 2000,2346 mN)«. Ungeachtet des »konstruktiven Unterschieds« der beidenBestimmungen sei hinsichtlich der sich aus dem Rechtsübergangergebenden Rechte und Pflichten auf die im Rahmen des § 571 BGBgeltenden Regeln zurückzugreifen (Plesse, in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, VermG [Stand: Jan. 1999], § 16 Rn 25).

Der BGH vertritt damit die Rechtsauffassung, dass «abgeschlosseneAbrechungsperioden« allein zwischen den bisherigen Mietvertrags-parteien abzurechnen seien. Ein späterer Eigentumsübergang würdehieran nichts ändern (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1994, 1101 f.;Sternel, Mietrecht aktuell, 3. Aufl., Rn 749; Langenberg, NZM 1999,57 ff.; Schmid, Hdb. der Mietnebenkosten, 5. Aufl., Rn 5141). Zwar seider Abrechnungsanspruch des Mieters gegen den Vermieter erst vielspäter fällig. In entsprechender Anwendung des § 20 Abs. 3 Satz 4der NeubaumietenVO von 1970 in der Neufass. v. 12.10.1990 (BGBl. IS. 2203) stehe dem Vermieter eine 12-monatige Abrechnungsfrist zu.Zumindest sei dem Vermieter eine »angemessene« Bearbeitungszeitzuzubilligen, welche für die Nebenkostenrechnung 1993 am 31.3.1994noch nicht abgelaufen gewesen sei. Das Fälligkeitsprinzip ( hierzu dieMindermeinung: OLG Naumburg, NZM 1998, 806; Schenkel, NZM1999, 5 ff., OLG Düsseldorf, ZMR 1998, 219; Langenberg, NZM 1999,

52, 57; Schmid, aaO, Rn 5006; OLG München, ZMR 1997, 233, 234)sorge, so der BGH, nicht für Rechtsklarheit. Es würde zu einemungereimten Ergebnis führen, wonach »eine vor dem Eigentums-wechsel fällig gewordene Abrechnungspflicht beim bisherigen Ver-mieter verbleibt, während Nachzahlungen und Erstattungen, derenVorbereitung und Berechnung die Abrechnung dient (BGHZ 107, 104,110), dem Erwerber zustehen bzw. von diesem zu erbringen sind«.

Für die Monate Jan. bis März 1994 kommt der BGH zum Ergebnis,dass die Kl. die Betriebskostenabrechnung für diesen Zeitraum »ggf. inAbstimmung mit der Bekl.« erstellen müsse. Dies folge aus § 1 Abs. 2Satz 2 BetrKostUV, wonach über die Vorauszahlungen von Betriebs-kosten jährlich abzurechnen sei. Deshalb sei die Kl. nicht berechtigtgewesen, anläßlich des Eigentumwechsels für den Zeitraum bis zum31.3.1994 eine Zwischenabrechnung zu erstellen und danach mit denMietern abzurechnen. Ansprüche der Mieter auf Abrechnung derBetriebskosten für das gesamte Jahr 1994 seien deshalb nur gegen dieBekl. zu richten (BGHZ 113, 188, 191 ff. = NJ 1991, 278 [Leits.]). DasGericht weist ausdrücklich darauf hin, dass es mit »der Überlassung derUnterlagen (an die Bekl.) nicht getan (sei)«. Etwas anderes würde nurdann gelten, wenn die Belege »so übersichtlich geordnet, zusammen-gestellt und inhaltlich aufbereitet wären, dass sie sich ohne Aufwandin die ›Gesamtabrechnung‹ hätten einfügen lassen«.

Das Zusammenwirken zwischen dem bisherigen und dem neuenEigentümer bzw. Vermieter charakterisiert der BGH als eine »nachwir-kende Nebenpflicht« und Züge einer gesetzlichen Treuhand aufwei-sende Sonderrechtsbeziehung (BGHZ 137, 183, 186; BGHZ 128, 210,211 f. = NJ 1995, 419) zwischen dem Berechtigten (§ 2 Abs. 1 VermG)und dem Verfügungsberechtigten (§ 2 Abs. 3 VermG).

Der Senat sieht auch keine schützenswerten Mieterinteressengefährdet: Sollte die Kl. die Abrechnung für den Zeitraum 1993 ver-zögern, würde den Mietern auch gegenüber den von der Bekl. bean-spruchten Vorschussforderungen für Betriebs- und Erhaltungskostenein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 BGB zustehen. Dies ergebe sichaus der gesetzlichen Vertragsübernahme nach § 16 Abs. 2 Satz 1VermG.

Kommentar:Das Grundstück wurde der Bekl. am 1.6.1994 übergeben. Zu den Ein-zelheiten der vereinbarten Übergabe schweigt die BGH-Entscheidung.Der Senat weist lediglich darauf hin, dass das BerufungsG nicht fest-gestellt habe und auch »nicht ersichtlich« sei, dass die Bekl. der Kl.gegenüber sich dazu verpflichtet habe, die Betriebskostenabrechnun-gen für die Jahre 1993 und 1994 zu erstellen.

Das VermG regelt die Frage der Übergabe und schreibt nach § 33Abs. 5 VermG vor, dass mit der Behördenentscheidung den Beteilig-ten ein Übergabeprotokoll zuzustellen ist. Das Protokoll hat Angabenzum festgestellten Eigentums- und Vermögensstatus, zu getroffenenVereinbarungen sowie zu sonstigen wesentlichen Regelungen in Bezugauf die zu übergebenden Vermögenswerte zu enthalten. Die Vermö-gensbehörde hatte die Verfahrensbeteiligten sicherlich vor der Resti-tutionsentscheidung v. 31.3.1994 angehört und zur Stellungnahmeaufgefordert. Die Kl. wusste deshalb vom bevorstehenden Eigentums-wechsel. Hätte sie ihre »Hausaufgaben« rechtzeitig und ordentlicherledigt – von einer Wohnungsbaugesellschaft, welche mit derartigerAbrechnungsprozedur und Grundstücksübergaben an neue Eigen-tümer regelmäßig befasst ist, darf man dies erwarten –, dann hättender Kl. die Defizite in der Betriebsabrechnung für den Abrechnungs-zeitraum 1993 spätestens zum Zeitpunkt der Grundstücksübergabebekannt sein müssen. Da dem Übergabeprotokoll lediglich deklarato-rische Bedeutung zukommt (vgl. Redeker/Hirtschulz, in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, aaO [Stand Juli 1999], § 33Rn 17), hätte die Kl. auch zwei Monate nach bestandskräftigerRestitutionsentscheidung noch auf eine ergänzende Vereinbarunghinsichtlich der Betriebskostenproblematik für den Zeitraum 1993

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hinwirken können. Dies muss sich natürlich ebenfalls die Bekl. vor-werfen lassen: Auch sie hätte darauf dringen können, die Frage derAbrechnung für 1993 unmissverständlich vom Vermögensamtprotokollieren zu lassen. Der BGH spricht es deutlich aus, wenn erdavon ausgeht, dass die Bekl. nicht »als Abrechnungsdienst für die Kl.fungieren« muss. Es macht tatsächlich den Eindruck, als ob die Kl. dieBekl. die Aufgaben erledigen lassen will, die sie selbst – aus welchenGründen auch immer – nicht bewerkstelligt hatte.

RD Udo Michael Schmidt, Sächs. LARoV, Dresden

� 02.4 – 3/01

Sachenrechtsbereinigung/Grundstücksbebauung durch Genossen-schaft auf vertraglicher GrundlageBGH, Urteil vom 29. September 2000 – V ZR 91/99 (OLG Naumburg)

SachenRBerG § 7 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b

Die Bebauung eines Grundstücks durch eine Genossenschaft aufvertraglicher Grundlage kann nur dann zu einem Anspruch nach demSachenRBerG führen, wenn die Absicherung der Investition über dievertraglichen Vereinbarungen hinaus nach den Rechtsvorschriften derDDR im Augenblick der Bebauung vorgeschrieben und möglich war.

Durch Vertrag v. 14.1.1964 verpachtete die Rechtsvorgängerin derBekl., H. T., der Produktionsgenossenschaft des Dachdecker- undOfensetzerhandwerks Q. (im Folgenden: PGH) eine Teilfläche von2.600 m2 zweier aneinander grenzender Grundstücke in Q. DurchVerträge v. 20.2.1968 u. 24.9.1971 wurde die Pachtfläche auf schließ-lich 10.039 m2 erweitert. Die Dauer des Pachtverhältnisses war bis zum31.12.2001 vereinbart. Die Verträge gestatteten der Pächterin dieErrichtung massiver Gebäude auf den Grundstücken. Zwischen 1964und 1971 errichtete sie auf ihnen gemäß genehmigter Planung auseigenen Mitteln fünf oder sechs Gebäude und legte auf einem derGrundstücke einen Kfz-Waschplatz an.

Die Kl. ist Rechtsnachfolgerin der PGH. Sie hat die Feststellung ihrerBerechtigung zum Ankauf der Pachtfläche nach dem SachenRBerGbeantragt.

Das LG hat die Klage abgewiesen; das BerufungsG hat ihr stattge-geben.

Die Revision der Bekl. hatte Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen: I. Das BerufungsG meint, die vertragliche Grundlage der Bebauung derGrundstücke stehe der beantragten Feststellung nicht entgegen. Bei ihrerBebauung durch die PGH handele es sich um eine genehmigte undgeplante Investition, zu deren Absicherung die betroffenen Grundstückeals Bauland hätten bereitgestellt werden müssen. Die hierzu notwendigeEnteignung von H. T. sei zwar zunächst nicht möglich gewesen. MitIn-Kraft-Treten des BaulandG v. 15.6.1984 (GBl. I S. 201) sei dieses Hin-dernis jedoch entfallen. Die Enteignung von H. T. sei nachzuholen und derPGH an den in Volkseigentum zu überführenden Grundstücken einNutzungsrecht zu bestellen gewesen. Dass dies unterblieben sei, führedazu, die Situation als hängenden Fall iSv § 7 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. bSachenRBerG zu qualifizieren, in welchem die vertragliche Grundlage derBebauung der Grundstücke einer Berechtigung nach dem SachenRBerGnicht entgegenstehe.

Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.II. Ein Anspruch der Kl. nach dem SachenRBerG besteht nicht.

Die vertragliche Grundlage der Bebauung der Grundstücke durchdie PGH schließt die beantragte Feststellung aus (§ 2 Abs. 1 Nr. 21. Halbsatz SachenRBerG).

Anders wäre nur zu entscheiden, wenn die verpachtete Fläche derGrundstücke im Zeitpunkt ihrer Bebauung in Volkseigentum odergenossenschaftliches Eigentum zu überführen gewesen wäre und dieBebauung hierdurch eine über die vertragliche Sicherung hinaus-gehende Sicherung hätte erhalten müssen. Dies ergibt sich aus § 3Abs. 2 Satz 2 SachenRBerG, der auch für den von dem BerufungsG

herangezogenen Bereinigungstatbestand des § 7 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. bSachenRBerG gilt. Denn das Gesetz hat zum Ziel, die nach dem Rechtder DDR begründete oder zu begründende rechtliche Position desNutzers in eine solche des bürgerlichen Rechts zu überführen und sodie Erwartung des Nutzers in die Dauerhaftigkeit seiner Investition zuschützen. War im Augenblick der Investition der Genossenschaft eineAbsicherung über die vertraglichen Vereinbarungen hinaus nach demRecht der DDR nicht möglich, scheidet daher ein Anspruch nach demSachenRBerG wegen der vertraglichen Grundlage der Bebauung aus(Eickmann/Rothe, SachenRBerG, § 2 Rn 33 f.; Czub, in: Czub/Schmidt-Räntsch/Frenz, SachenRBerG, § 2 Rn 73). Ist eine Absicherung derInvestition auch später nicht erfolgt, verbleibt es hierbei. Ob die spä-tere Rechtsentwicklung der DDR eine Absicherung durch die Enteig-nung der Grundstücke erlaubt oder geboten hätte, ist ohne Bedeutung(vgl. Czub, aaO, § 3 Rn 43, 75).

So liegt der Fall hier. Zwischen 1964 und 1971 war H. T. nach demVortrag der Kl. nicht bereit, ihre Grundstücke zu teilen und die Pacht-fläche an die PGH zu veräußern. Ihre Enteignung war nach demAufbauG v. 6.9.1950 (GBl. I S. 965) nicht möglich. Die 2. DVO zumAufbauG v. 29.9.1972 (GBl. II S. 641) war im Zeitpunkt der Investitio-nen der PGH noch nicht erlassen. Die Grundstücke waren nicht zumAufbaugebiet erklärt. H. T. konnte zum Abschluss der von ihr mit derPGH geschlossenen Pachtverträge und zur Gestattung der Bebauungihrer Grundstücke nicht gezwungen werden. Soweit die PGH sie trotz-dem bebauen wollte, konnte sie auch den geplanten Investitionsauf-wand nur auf Zeit durch den Abschluss eines langfristigen Pachtver-trags sichern. Die Gebäude gingen nicht als wesentliche Bestandteileder Grundstücke in das Eigentum von H. T. über, sondern bliebenals bewegliches Eigentum zur Verfügung der PGH (vgl. Senatsurt. v.15.5.1998, VIZ 1998, 582, 583 = NJ 1998, 592 [bearb. v. Winkler] ).Mit dieser Maßgabe hat sich die PGH zur Errichtung der Gebäude undder Waschanlage entschlossen.

Dabei verbleibt es. Die Gewährung eines weitergehenden Schutzeswird vom Ziel des SachenRBerG nicht gedeckt. Das Gesetz dient nichtdazu, eine nicht umgesetzte spätere Änderung der rechtlichenRegelungen der DDR, aufgrund deren »ungesicherter« Investitions-aufwand nachträglich zu sichern war, durch die Gewährung einesAnkaufsrechts oder eines Anspruchs auf Bestellung eines Erbbaurechtsunter der Geltung des Rechts der Bundesrepublik zu verewigen. Es istdaher ohne Bedeutung, ob nach dem BaulandG die Enteignung derPachtfläche und die Verleihung eines Nutzungsrechts an den inVolkseigentum zu überführenden Grundstücken an die PGH möglichwurden, also nachträglich eine »ewige« Absicherung des Investitions-aufwands der PGH herbeigeführt werden konnte oder auch musste.Im Zeitpunkt der Investitionen der PGH bestand diese Möglichkeitnicht. Die PGH war bei ihrer Investitionsentscheidung vielmehr aufdie vertragliche Sicherung ihres Aufwands beschränkt. Trotzdem hatsie sich zur Bebauung der Grundstücke entschlossen. Damit ist sie dasRisiko eingegangen, die von ihr errichteten Gebäude nach Beendigungder vereinbarten Pachtzeit nicht mehr nutzen zu können. DiesesRisiko will das SachenRBerG ihr nachträglich nicht abnehmen. DieGewährung eines Anspruchs auf Erwerb der Pachtfläche oder dieBestellung eines Erbbaurechts an den Grundstücken würde die Kl.besser stellen, als sie im Zeitpunkt ihrer Aufwendungen stand underwarten konnte.

Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist ebenso ohne Bedeutung,ob der Beschluss des Ministerrats über die Grundsätze zur Vorbereitungund Durchführung von Investitionen v. 26.10.1967 (GBl. II S. 813) derBebauung gepachteter Grundstücke durch Genossenschaften entge-genstand, wie das BerufungsG meint. Dieser Beschluss enthielt keineBestimmungen, aufgrund derer dem Investor eine gesicherte Rechts-position hätte verschafft werden können. Wurde er – wie hier – nichtbefolgt, so erwächst dem Investor hieraus kein Bereinigungsanspruchgegen den Erwerber. Auch das von der Rechtspraxis der DDR betonte

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145Neue Justiz 3/2001

Erfordernis der Baufreiheit verlangte entgegen der Meinung des Beru-fungsG nicht, dass die Absicherung einer Investition in ein fremdesGrundstück durch eine dingliche oder einem dinglichen Recht gleichkommende staatlich gewährte Berechtigung zu erfolgen hatte (vgl.Arlt/Rohde, Bodenrecht, Grundriss, Bes. Teil, Kap. III § 3 Nr. 3, S. 401).Im Gegensatz zur Bebauung volkseigener Grundstücke durch Genos-senschaften (Czub, aaO, § 7 Rn 139) stand das Recht der DDR einerBebauung privater Grundstücke durch Genossenschaften auch nichtgrundsätzlich entgegen, sondern regelte in § 459 ZGB deren zivil-rechtliche Rechtsfolgen. Danach führte die Bebauung privater Grund-stücke auf vertraglicher Grundlage durch eine Genossenschaft nichtzum Entstehen von Gebäudeeigentum der Genossenschaft und damiteben nicht zu einer vom SachenRBerG als bereinigungsbedürftiganerkannten Rechtsposition des Nutzers.

Anmerkung:Rechtsanwalt Dr. Lothar Schramm, Glindow

Die vorliegende Entscheidung orientiert sich konsequent an derZielstellung und an den Leitlinien des SachenRBerG. Wie in früherenEntscheidungen, so wurde auch hier darauf abgestellt, dass baulicheInvestitionen im Rahmen eines Nutzungsvertrags nur dann dersachenrechtlichen Bereinigung zugänglich sind, wenn die baulicheMaßnahme durch Gebäudeerrichtung eine über die vertraglicheSicherung hinausgehende dingliche Absicherung nach den Rechtsvor-schriften der DDR hätte erfahren können bzw. müssen. Auf diesenGrundsatz gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 SachenRBerG wurde wiederholt in derRspr. hingewiesen. Der Gesetzgeber wollte eben in Anknüpfung an diedamalige Rechtspraxis der DDR (lediglich) jene Fälle in die sachen-rechtliche Bereinigung einbeziehen, in denen eine dingliche Absiche-rung möglich war, dies jedoch – aus welchen Gründen auch immer –unterblieb. Eine Bebauung eines Privatgrundstücks auf vertraglicherGrundlage war durch eine frühere PGH grundsätzlich nicht möglich.Hierzu hätte die verpachtete Fläche in Volkseigentum bzw. genossen-schaftliches Eigentum überführt werden müssen. Auch war eine Inan-spruchnahme privater Flächen durch eine PGH zu gewerblichenZwecken mit anschließender Überführung in Volkseigentum imAufbauG nicht vorgesehen. Da somit eine Verleihung eines Nutzungs-rechts iVm der Begründung selbständigen Eigentums am von der PGHerrichteten Gebäude ausgeschlossen war, kommt eine nachträglicheAbsicherung mit dem SachenRBerG nicht in Betracht. Die Begründungselbständigen Gebäudeeigentums durch sozialistische Genossenschaf-ten wie PGH war nach dem sog. NutzungsrechtsG (GBl. I S. 372) idF desVerkaufsG v. 19.12.1973 (GBl. I S. 578) nur im Zusammenhang mit derVerleihung des Nutzungsrechts an einem volkseigenen Grundstückmöglich (§ 1 NutzungsrechtsG). Nur LPGen und ihre kooperativenOrganisationen konnten kraft Gesetzes Gebäudeeigentum erwerben,wenn sie ein privates Grundstück im Rahmen des genossenschaft-lichen Bodennutzungsrechts bebaut haben (§§ 18 u. 27 LPG-G 1982).

Auch die in § 459 ZGB geregelte Entstehung selbständigenGebäudesondereigentums auf vertraglich genutzten Grundstückenwar auf volkseigene Betriebe, staatliche Organe und Einrichtungenbeschränkt. Für sozialistische Genossenschaften oder gesellschaftlicheOrganisationen war in § 459 Abs. 4 ZGB die Einräumung einesMiteigentumsanteils entsprechend der Werterhöhung vorgesehen,wenn es sich um bedeutende Erweiterungs- und Erhaltungsmaß-nahmen auf vertraglich genutzten Grundstücken gehandelt hat.Hierfür galten die Vorschriften der sog. ÜbertragungsAO v. 11.10.1974(GBl. I S. 489). Das ZGB trat überdies erst zum 1.1.1976, also nachGebäudeerrichtung, in Kraft. Eine nachträgliche Sicherung eines zuvor»ungesicherten« Investitionsaufwands mit Hinweis auf eine spätereÄnderung der gesetzlichen Regelungen hält der BGH mit dem Ziel desSachenRBerG für unvereinbar. Daher sei vorliegend auch ein Rückgriffauf das BaulandG v. 15.6.1985 (GBl. I S. 201) nicht möglich.

� 02.5 – 3/01

Sachenrechtsbereinigung/Restnutzungsdauer von Wirtschafts-gebäudenBGH, Urteil vom 29. September 2000 – V ZR 421/99 (OLG Jena)

SachenRBerG § 31 Abs. 1

Für die Bestimmung der Restnutzungsdauer von Gebäuden kommt esallein auf deren Zustand im Zeitpunkt der formlos möglichen Geltend-machung von Bereinigungsansprüchen an. Nachträglich vorgenom-mene Investitionen bleiben unberücksichtigt, mögen diese auch schonvorher geplant und die entsprechenden Fördermittel dafür schon vordiesem Zeitpunkt bewilligt worden sein.

Problemstellung:Die Kl. betreibt eine Milchviehanlage in zu DDR-Zeiten von der LPG S.errichteten Gebäuden, die teilweise auf Grundstücken des Bekl. stehen.Auf der Grundlage eines betrieblichen Sanierungs- und Entwick-lungsplanes wurden der Kl. in den Jahren 1994-1997 Fördermittelbewilligt, und in der Folgezeit sind von der Kl. an den Gebäuden(Rinderstall mit Melkhaus, Bergeraum mit Rübenbunker, Verbin-dungsbau, Durchfahrtssilo) umfangreiche Sanierungsmaßnahmenvorgenommen worden.

Bereits vor Beginn dieser Baumaßnahmen unterbreitete die Kl. demBekl. am 6.7.1995 ein Angebot zum Ankauf der Grundstücksflächenauf der Basis der Regelungen des SachenRBerG. Im Aug. 1995 bean-tragte die Kl. die Durchführung eines notariellen Vermittlungs-verfahrens, das im Okt. 1995 ausgesetzt wurde, weil der Bekl. dieAnspruchsberechtigung der Kl. nach dem SachenRBerG bestritten hat.Daraufhin hat die Kl. mit der Behauptung, sie sei Rechtsnachfolgerinder LPG S., die die Gebäude errichtet hatte, gem. § 108 SachenRBerGdie gerichtliche Feststellung ihrer Anspruchsberechtigung begehrt.Der Bekl. ist dem mit der Behauptung entgegengetreten, die Restnut-zungsdauer der Gebäude habe zum Zeitpunkt des Kaufangebots der Kl.im Juli 1995 weniger als 25 Jahre betragen.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Das OLG hat sie auf die Berufungdes Bekl. hin abgewiesen. Ausgehend von § 16 Abs. 4 Wertermitt-lungsVO hatte das OLG festgestellt, dass die o.g. Gebäude ohneBerücksichtigung der später durchgeführten Investitionen Mitte 1995lediglich noch eine Restnutzungsdauer von 15 Jahren aufwiesen undin betriebswirtschaftlicher Gesamtwürdigung die Restnutzungsdauerder Gesamtanlage auf weniger als 25 Jahre bestimmt.

Die Revision der Kl. hatte keinen Erfolg.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Die für diesen Rechtsstreit entscheidungserhebliche Aussage des BGHbesteht in der Beantwortung der Frage, welcher Zeitpunkt für dieBemessung der 25-jährigen Restnutzungsdauer eines Gebäudes in § 31Abs. 1 SachenRBerG in Ansatz zu bringen ist.

Die Klägerseite hatte sich auf den Standpunkt gestellt, dass es auchhier auf ein notariell beurkundetes Angebot zum Vertragsabschluss iSv§ 19 Abs. 1 SachenRBerG ankomme und dass deshalb das formloseAnkaufsangebot der Kl. v. 6.7.1995 im Hinblick auf den Zeitpunkt,der der Berechnung der Restnutzungsdauer des Gebäudes zugrunde zulegen ist, ebenso irrelevant sei wie die Beantragung des notariellenVermittlungsverfahrens im Aug. 1995. Im Übrigen seien die späterdurchgeführten Investitionen zur umfassenden Gebäudesanierungund -modernisierung bereits seit 1994 geplant und die dazu erforder-lichen Fördermittel auch schon beantragt gewesen.

Der BGH hat in Bestätigung des OLG-Urteils entschieden, dass esin § 31 Abs. 1 SachenRBerG nicht auf ein förmliches Angebot zumVertragsschluss iSv § 19 Abs. 1 SachenRBerG ankommt. Dies sei derfalsche Ansatz, weil § 31 Abs. 1 SachenRBerG nach seinem Wortlautallein auf den Zeitpunkt abstellt, »in dem der Nutzer Ansprüche …geltend macht«. Zweck der Einrede des Grundstückseigentümers

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Neue Justiz 3/2001146

nach § 31 Abs. 1 SachenRBerG ist es, wegen des von der Restnut-zungsdauer abhängigen geringen Bodenwertanteils Ansprüche nachdem SachenRBerG überhaupt auszuschließen. Dafür genügt es, aufdie Geltendmachung entsprechender Ansprüche abzustellen. Auch§ 16 Abs. 1 SachenRBerG lässt für die Ausübung des WahlrechtsiSv § 15 Abs. 1 SachenRBerG eine einfache schriftliche Erklärunggenügen. § 19 Abs. 1 SachenRBerG knüpft dagegen an ein konkretes»Angebot zum Vertragsabschluss« mit bestimmtem Inhalt an, umManipulationen der Beteiligten durch Verzögerung des Vertrags-schlusses in der Hoffnung auf eine günstigere Preisentwicklung ent-gegenzuwirken.

Entsprechend dieser Grundaussage war im entschiedenen Fall fürdie Bestimmung der Restnutzungsdauer der Gebäude vom Wert-ermittlungsstichtag 6.7.1995 auszugehen, so dass die nach diesemZeitpunkt von der Kl. vorgenommenen umfassenden baulichen Maß-nahmen zur Sanierung und Modernisierung der Wirtschaftsgebäudefür die Bestimmung ihrer Restnutzungsdauer unberücksichtigt bleibenmussten. Dass diese Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten vordem Stichtag geplant und insoweit Fördermittel bereits bewilligtwaren, war für die Entscheidung ohne Belang. »Der Sinn der Einrede-möglichkeit nach § 31 Abs. 1 SachenRBerG besteht darin, den Berei-nigungsanspruch auf diejenigen Anspruchssteller zu beschränken,deren Gebäude mit längerer Restnutzungsdauer eine dinglicheAbsicherung rechtfertigt. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass derNutzer die Möglichkeit erhalten sollte, sich durch erst nach Anspruch-stellung vorgenommene Investitionen in die Vorteile der Sachen-rechtsbereinigung (vgl. z.B. das Halbwertprinzip §§ 43 Abs. 1 und 68Abs. 1 SachenRBerG) quasi ›einzukaufen‹.« § 31 SachenRBerG zielt inseiner Gesamtheit auf einen Interessenausgleich. Die Regelungen inden Abs. 2 u. 5 dieser Norm machen offenkundig, dass der Gebäude-nutzer auch unterhalb einer Restnutzungsdauer von 25 Jahren nichtschutzlos bleibt, ihm wird lediglich eine dingliche Absicherung seinerRechtsposition verwehrt.

Kommentar:Mit diesem Urteil schafft der für diese Rechtsmaterie zuständige5. Senat des BGH wiederum ein Stück Klarheit zu der bei der Anwen-dung des SachenRBerG wichtigen Frage der formellen Anforderungenan die Geltendmachung der Anspruchsberechtigung des Nutzers nachdiesem Gesetz. Nicht selten wird in der Praxis unter Bezugnahme auf§ 19 Abs. 1 SachenRBerG und auf die dazu in der einschlägigenKommentierung einhellig vertretene Auffassung, dass bei einemAngebot zum Vertragsschluss im Sinne dieser Norm die Formvorschrif-ten des § 313 BGB zu beachten sind (vgl. z.B. Zimmermann, in: Czub/Schmidt-Räntsch/Frenz, Komm. zum SachenRBerG, § 19 Rn 13), dieAuffassung vertreten, dass jegliche Geltendmachung von Ansprüchennach dem SachenRBerG zwingend der notariellen Beurkundungbedürfe. Der BGH hat solchen Auffassungen mit der vorliegendenEntscheidung eine Abfuhr erteilt und klargestellt, dass insoweit aufden unterschiedlichen Gesetzestext und das unterschiedliche Anliegender jeweiligen Norm abzustellen ist.

Die Entscheidung ist darüber hinaus von erheblicher wirtschaft-licher Tragweite für Nutzer von zu DDR-Zeiten errichteten undnicht durch ein dingliches Nutzungsrecht abgesicherten Gebäuden,insbes. im Bereich der Landwirtschaft und der gewerblichen Nut-zung.

Das Urteil dürfte zur Folge haben, dass der Einwand geringerRestnutzungsdauer eines Gebäudes vom Grundstückseigentümerzukünftig häufiger erhoben wird. Auch die Regelungen der §§ 81 u. 82SachenRBerG sind hier regelmäßig zu beachten. Hat sich der Nutzerentschieden, aufgrund selbständigen Gebäudeeigentums gegen denGrundstückseigentümer seine Anspruchsberechtigung nach demSachenRBerG geltend zu machen, sollte er in Ansehung des vorlie-genden Urteils zukünftig vorher exakt prüfen, ob die Gebäude noch

eine Restnutzungsdauer von mehr als 25 Jahren aufweisen. Dazu wirdhäufig die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlichsein. Notwendige Investitionen zur Werterhaltung und Moderni-sierung der Gebäude sollten unbedingt vor Geltendmachung derAnspruchsberechtigung gegenüber dem Grundstückseigentümerabgeschlossen sein.

Prof. Dr. Horst Zank, Rechtsanwalt, Potsdam

� 02.6 – 3/01

Insolvenz einer Genossenschaft/Belehrungspflichten des Rechts-anwalts/Anfechtung im GesO-VerfahrenBGH, Urteil vom 26. Oktober 2000 – IX ZR 289/99 (OLG Brandenburg)

BGB § 675; GenG §§ 54, 99; GesO § 10 Abs. 2; KO § 41 Abs. 1

1. Erhält ein Rechtsanwalt vom Vorstand einer erkennbar dauerndzahlungsunfähigen oder überschuldeten Genossenschaft den Auf-trag, mit den Gläubigern einen außergerichtlichen Vergleich anzu-streben, hat er die Vorstandsmitglieder über die Pflicht, einen Antragauf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, sowie das Verbot,Zahlungen zu leisten, zu belehren. Die Betreuung der Genossenschaftdurch einen Verband enthebt den Rechtsanwalt grundsätzlich nichtdieser Verpflichtung. 2. Die Anfechtung ist rechtzeitig erfolgt, wenn der Insolvenzverwal-ter innerhalb der Anfechtungsfrist einen Anspruch rechtshängigmacht, der seinem Inhalt nach im Wege der Anfechtung durchsetz-bar ist und auf einen Sachverhalt gestützt wird, der geeignet seinkann, die Anspruchsvoraussetzungen zu erfüllen; auf eine schlüssigeDarlegung der Tatbestandsmerkmale eines Anfechtungsgrundskommt es nicht an (Fortführung von BGHZ 135, 140, 149 ff.).

� 02.7 – 3/01

Schadensersatz/Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen zurSozialversicherung/Anfechtung im InsolvenzverfahrenBGH, Urteil vom 14. November 2000 – VI ZR 149/99 (OLG Dresden)

StGB § 266a; BGB § 823

Bei der Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial-versicherung kann ein Schaden der Kasse zu verneinen sein, wenndie Beitragszahlung im Insolvenzverfahren erfolgreich angefochtenworden wäre.

� 02.8 – 3/01

Verzugszinsen/rückständiger Zahlungsanspruch aus DienstverhältnisOLG Dresden, Urteil vom 30. März 2000 – 7 U 3480/99 (LG Leipzig)(rechtskräftig)

BGB § 288 Abs. 1 Satz 1

Für rückständige Zahlungsansprüche aus einem Dienstverhältnisbesteht ein Anspruch auf Verzugszinsen gem. § 288 Abs. 1 Satz 1 BGBaus dem insgesamt zu zahlenden Bruttobetrag.

Anm d. Redaktion: Die Entscheidung ist nach Ansicht des erkennenden Senatsinsoweit von Interesse, als hinsichtlich der Frage, ob bei rückständigen»Gehaltsansprüchen« Zinsansprüche aus dem Brutto- oder dem Nettobetragzu zahlen sind, nach hiesigem Kenntnisstand eine einhellige Auffassung nichtbesteht. Wie sich aus der im Urteil zitierten Vorlage des 9. Senats des BAGv. 11.8.1998 (9 AZR 122/95) ergibt, befindet sich offenbar die BAG-Rspr.diesbezüglich im Wandel. Der 7. Senat des OLG hat sich hier der in derVorlage vertretenen Auffassung angeschlossen, dass sich für den pauschalier-ten Schadensersatzanspruch des § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB der Zinsanspruchaus der Höhe der zu zahlenden Bruttobeträge ergibt.

Rechtsprechung Bürger l i ches Recht

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147Neue Justiz 3/2001

� 02.9 – 3/01

Zugang eines Schriftstücks/Ersatzzustellung an Partner nichtehelicherLebensgemeinschaft/Heilung bei ZustellungsmängelnOLG Dresden, Urteil vom 16. August 2000 – 6 U 839/00 (LG Leipzig)(Revision eingelegt)

BGB § 130; ZPO §§ 181, 187

1. Zugang iSv § 187 ZPO setzt voraus, dass das zuzustellende Schrift-stück gegenständlich in die Hände des Adressaten gelangt ist. EinZugang iSd § 130 BGB genügt regelmäßig nicht.2. Zur Frage der Ersatzzustellung gem. § 181 ZPO an den Partner einernichtehelichen Lebensgemeinschaft.

Die Kl. hat von dem Bekl. die Bezahlung offener Kaufpreisforderungenverlangt. Der Bekl. bestellte im Rahmen seines Gewerbebetriebs inLeipzig bei der in den alten Bundesländern ansässigen Kl. 38 Video-rekorder die ihm vereinbarungsgemäß im Juli 1990 geliefert wurden.Den Kaufpreis zahlte er nicht.

Auf Antrag der Kl. v. 30.12.1994 erließ das AG gegen den Bekl. am24.1.1995 einen Mahnbescheid über die Forderung aus den Bestel-lungen (insges. 23.461,20 DM). Ausweislich der Postzustellungs-urkunde wurde der Mahnbescheid am 27.1.1995 an eine Frau P. unterder Zustellanschrift des Bekl. übergeben, wobei der Postzusteller als Artder Zustellung – unzutreffend – Ziff. 2.2. »Ersatzzustellung im Geschäfts-lokal« auf der Postzustellungsurkunde ankreuzte. Frau P. war keineBedienstete des Bekl., sondern wohnte damals mit diesem und anderenMitbewohnern in einer Wohngemeinschaft unter der Zustelladresse.

Nachdem der Bekl. keinen Widerspruch gegen den Mahnbescheideingelegt hatte, erließ das AG am 27.2.1995 auf Antrag der Kl. einenVollstreckungsbescheid. Er wurde im Parteibetrieb über den Gerichts-vollzieher mittels Übermittlung per Post ausweislich der Postzustel-lungsurkunde an Frau H. am 27.4.1995 übergeben. Vom Zusteller wurdedabei die Ziff. 2.3. »Ersatzzustellung in der Wohnung« angekreuzt.

Mit Schriftsatz v. 3.11.1999 hat der Bekl. gegen den Vollstreckungs-bescheid Einspruch eingelegt.

Die Kl. hat behauptet, dass Frau H. zum Zeitpunkt der Entgegen-nahme des Vollstreckungsbescheids die nichteheliche Lebensgefährtindes Bekl. gewesen sei. Eine Ersatzzustellung gem. § 187 ZPO sei auchan den Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft möglich.Der Einspruch sei daher verfristet. Die Forderung sei auch nichtverjährt, denn Frau P. habe den Mahnbescheid entgegengenommenund diesen – wie bei Posteingang üblich – auf den Tisch in der Kücheder gemeinsamen Wohnung gelegt, so dass Heilung gem. § 187 ZPOeingetreten und die Verjährung unterbrochen worden sei. Die Kl. hatbeantragt, den Vollstreckungsbescheid aufrechtzuerhalten.

Der Bekl. hat beantragt, den Vollstreckungsbescheid aufzuhebenund die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, dass der Einspruchgegen den Vollstreckungsbescheid nicht verfristet sei, da eine wirk-same Zustellung nicht erfolgt sei. Der Vollstreckungsbescheid sei zwaram 27.4.1994 Frau H. übergeben worden; diese sei aber lediglich eineMitbewohnerin einer Wohngemeinschaft gewesen, in der auch derBekl. gelebt habe. Diese Wohngemeinschaft habe aus sieben oderacht Personen (über die Jahre hinweg aus insges. ca. 40 Personen)bestanden, die in dem Haus in einer lockeren Gemeinschaft auf zweiEtagen zusammengewohnt hätten. Frau H. sei nicht die nichtehelicheLebensgefährtin des Bekl. gewesen. Sie hätten auch nicht einer Familievergleichbar zusammen gelebt. Außerdem seien die Forderungenverjährt. Den Mahnbescheid habe er nicht erhalten. Auch Frau P. habein keiner näheren Beziehung zu ihm gestanden. Außerdem sei der– bestrittene – Vortrag der Kl., Frau P. habe den Mahnbescheid in dergemeinschaftlich genutzten Küche abgelegt, verspätet. Die bloßeMöglichkeit der Kenntnisnahme genüge nicht für den Zugang nach§ 187 Satz 1 ZPO. Selbst wenn man dies entsprechend der für § 130BGB entwickelten Grundsätze annehmen wollte, scheide ein Zugang

aus, da Frau P. keine Empfangsbotin des Bekl. gewesen sei. Die Befug-nis zur Entgegennahme allgemeiner Post umfasse nicht ohne weiteresauch die Befugnis zur Entgegennahme amtlicher Zustellungen.

Das LG hat auf den Einspruch des Bekl. den Vollstreckungsbescheidaufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertre-ten, dass der Einspruch mangels wirksamer Ersatzzustellung frist-gemäß, aber der Anspruch der Kl. verjährt sei.

Die Berufung der Kl. hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:II. 1. Der Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid ist nicht verfris-tet. Gem. § 700 Abs. 1 iVm § 339 Abs. 1 ZPO ist der Einspruch binneneiner Notfrist von zwei Wochen ab Zustellung des Vollstreckungs-bescheids einzulegen. Mangels wirksamer Zustellung ist diese Fristzum Zeitpunkt der Einlegung des Einspruchs nicht abgelaufen gewesen.

Dahinstehen kann, inwieweit der Bekl. von dem Vollstreckungs-bescheid danach – etwa aufgrund durchgeführter Vollstreckungsmaß-nahmen – Kenntnis erhalten hat. Gem. § 700 Abs. 1 iVm § 339 Abs. 1ZPO handelt es sich bei der Einspruchsfrist um eine Notfrist. Nach § 187Satz 2 ZPO scheidet eine Heilung durch Zugang gem. § 187 ZPO aus. …

Ebenso liegt keine wirksame Ersatzzustellung iSd § 181 ZPO vor.Eine – zumindest analoge – Anwendung der Norm auf Mitglieder einerWohngemeinschaft scheidet aus (Zöller/Stöber, 21. Aufl., ZPO, § 181Rn 10; Roth, in: Stein/Jonas, 21. Aufl., ZPO, § 181, Rn 13; Musielak/Wolst, ZPO, § 181 Rn 5). Das dem Normzweck des § 181 ZPO zugrundegelegte vermutete Vertrauensverhältnis der Empfangsperson mit demAdressaten kann bei – zumal häufigen Wechseln unterworfenen –nicht selten zahlenmäßig großen Wohngemeinschaften, die in ersterLinie unter wirtschaftlichen Aspekten begründet werden, nicht unter-stellt werden.

Zwar ist im Anschluss an das Urt. des BGH v. 14.3.1990 (BGHZ 111,1 = ZIP 1990, 608; a.A. 1. Strafsenat BGH, Beschl. v. 8.1.1987, BGHSt34, 250 mwN) eine Ersatzzustellung an den nichtehelichen Lebens-gefährten in wenigstens analoger Anwendung des § 181 ZPO möglich,und zwar auch dann, wenn der nichteheliche Adressat nicht mit einer»Familie« zusammen lebt. Jedoch ist die Zustellung an einen nicht-ehelichen Lebensgefährten nicht bewiesen.

In seinen Entscheidungsgründen hat der 8. Zivilsenat des BGH(v. 14.3.1990, aaO) in Form eines obiter dictum zu erkennen gegeben,dass er eine zumindest analoge Anwendung des § 181 ZPO für nicht-eheliche Lebensgemeinschaften generell befürwortet. Dieser Auf-fassung folgt nicht nur ein bedeutender Teil der Lit. (so Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., Bd. 2, § 181 Rn 13 und Anm., JZ 1990, 761 f.;Zöller/Stöber, 21. Aufl., ZPO, § 181 Rn 10; Alternativkomm./Göring,ZPO, § 181 Rn 6; Thomas/Putzo, 21. Aufl., ZPO, § 181 Rn 7; Anm.Schreiber, JR 1990, 508; Anm. Orfanides, ZZP 104 [1991], 71 ff.;Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Aufl., § 74 III 1a[S. 408]; a.A.: MünchKomm/v. Feldmann, ZPO, § 181 Rn 14; Musielak/Wolst, ZPO, § 181 Rn 5 unter Hinw. auf die mangelnde Praktikabilitäteiner Nachfrage durch den Zusteller; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 58. Aufl., § 181 Rn 12, der in demUrteil des 8. Zivilsenats eine gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstoßende Aus-legung des § 181 ZPO zu erkennen meint), sondern auch teilweise dieobergerichtliche Rspr. (OLG Schleswig, NJW 1999, 2602 – rechtskr. –,mit Anm. Vahle, DVP 2000, 126; a.A.: OLG Stuttgart, NStZ 1988, 379).

Der Senat neigt unter Abwägung der wechselseitig geäußertenArgumente und unter Berücksichtigung insbes. der teleolgischen undhistorischen Auslegung der Norm (zu letzterem ausführl.: Orfanides,aaO, mwN) der vom OLG Schleswig (aaO) aufgegriffenen, überzeu-genden Sichtweise des 8. Zivilsenats des BGH (aaO) zu.

Die Zeugin H. lebte aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahmemit dem Bekl. zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht in nichtehelicherGemeinschaft (zum Begriff vgl.: Hausmann/Hohloch [Hrsg.], DasRecht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, Einf., Rn 1, S. 40).

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Neue Justiz 3/2001148

Die vom Senat vernommenen Zeugen … haben übereinstimmend, plau-sibel und detailliert ausgesagt, dass die Zeugin H. – zusammen mit weite-ren Mitbewohnern – lediglich in einer aus mehreren, bis zu zehn Personenbestehenden Wohngemeinschaft mit dem Bekl. zusammengewohnt hat.Zwar habe trotz Beendigung einer im Jahre 1991 bestehenden Liebes-beziehung ein freundschaftliches Verhältnis zwischen der Zeugin und demBekl. bestanden, eine darüber hinausgehende Verbundenheit, die es recht-fertigen könnte, die Beziehung einer ehelichen Verbundenheit gleich-zustellen, bestand aber nicht. Vielmehr waren die Zeugen und der Bekl. indiesem Zeitraum nicht enger miteinander verbunden als die übrigenMitbewohner und wohnten sogar räumlich getrennt auf verschiedenenEtagen. Die Zeugin war zu diesem Zeitpunkt bereits eine neue, längereBeziehung mit einem anderen Mann eingegangen. Auch sonstige Anhalts-punkte für das Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft wieetwa ein gemeinsames Schlafzimmer, eine gemeinsame Haushalts- undKassenführung, ein enges räumliches Zusammenleben und das Bekennt-nis der Zusammengehörigkeit nach außen sind im Ergebnis der Beweis-aufnahme nicht bestätigt worden. …

2. Dem Anspruch der Kl. gegen den Bekl. aus § 433 Abs. 2 BGB aufBezahlung des restlichen Kaufpreises steht jedoch die von dem Bekl.erhobene rechtshemmende Einrede der Verjährung (§ 222 Abs. 1 BGB)entgegen.

a) Im Ergebnis zu Recht geht das LG von der Anwendbarkeit derVerjährungsvorschriften des BGB – und nicht des ZGB – aus.

Allerdings folgt dies nicht aus einer direkten Anwendung von § 12Satz 1a RechtsanwendungsG v. 5.12.1975 (GBl. I S. 748). Gem. Art. 231§ 6 Abs. 1 EGBGB finden die Vorschriften des BGB über die Verjährungauf die am Tag des Wirksamwerdens des Beitritts bestehenden undnoch nicht verjährten Ansprüche Anwendung. Gem. Art. 236 § 1EGBGB blieb das bisherige Internationale Privatrecht auf vor demWirksamwerden des Beitritts abgeschlossene Vorgänge anwendbar.

Beide Übergangsvorschriften des 6. Teils des EGBGB (EinigungsVAnl. I, Kap. III, Sachg. B, Abschn. II, Nr. 1 …) stellen nach st.Rspr. desBGH intertemporale Normen dar, die – wie alle Übergangsvorschrif-ten des 6. Teils des EGBGB – im gesamten Bundesgebiet gelten, jedochvoraussetzen, dass das im Gebiet der ehem. DDR mit dem EinigungsVin Kraft gesetzte Bundesrecht im konkreten Fall überhaupt eingreift(BGHZ 124, 270 = NJ 1994, 221). Diese Übergangsbestimmungen sinddamit nur auf solche Rechtsverhältnisse anzuwenden, die vor dem3.10.1990 nach dem Recht der DDR zu beurteilen sind (MünchKomm/Hinz, ZPO, 3. Aufl., Art. 230 Rn 1). Die danach vorrangig zu entschei-dende Frage, ob das Altrecht des Beitrittsgebiets oder das im (dama-ligen) Bundesgebiet geltende Recht maßgeblich ist, beurteilt sich nachden hierfür einschlägigen interlokalen Kollisionsregeln (BGH, aaO).Die im Verhältnis der beiden deutschen Teilstaaten anzuwendendenKollisionsregeln lehnen sich an die seit dem Beitritt einheitlich gel-tenden Regeln über das Internationale Privatrecht der Art. 3 ff. EGBGBan, mit der Modifikation, dass in deutsch-deutschen Fällen nicht aufdas Heimatrecht, sondern stattdessen auf den gewöhnlichen Aufent-halt der Anknüpfungsperson abgestellt wird. Für das Rechtsanwen-dungsG besteht daneben kein Raum (BGH, aaO).

Gem. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 EGBGB unterliegt ein Vertrag dem Rechtdes Staates, mit dem er die engsten Verbindungen aufweist, soweit eineanderweitige Rechtswahl gem. Art. 27 EGBGB – für die hier nichtsersichtlich und auch nichts vorgetragen worden ist – getroffen wordenist. Gem. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 EGBGB wird vermutet, dass der Vertragdie engsten Verbindungen mit dem Staat aufweist, in dem die Partei,welche die charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihre Haupt-verwaltung hat, wenn es sich – wie hier – um eine juristische Personhandelt. Die charakteristische Leistung eines Fahrniskaufs wird vomVerkäufer erbracht (MünchKomm/Martiny, BGB, 3. Aufl., Art. 28EGBGB Rn 32), so dass der Kaufvertrag zwischen den Parteien dieengsten Verbindungen mit der (damaligen) Bundesrepublik aufwies,da die Kl. ihren Sitz in den alten Ländern hatte und hat. Daher gilt fürBeginn, Dauer und Unterbrechung der Verjährung insgesamt das BGB.

b) Die kurze zweijährige Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 1 BGBkommt nicht zur Anwendung, da die Leistung für den damals vom

Bekl. geführten Gewerbebetrieb erfolgte. Damit verjährte die Kauf-preisforderung gem. § 196 Abs. 2 in vier Jahren, wobei die Verjährunggem. § 201 mit dem Schluss des Jahres ab Entstehung des Anspruchs(§ 198 Satz 1 BGB) zu laufen begann. Da beide hier streitgegenständ-lichen Kaufpreisansprüche im Jahr 1990 entstanden sind, lief dieVerjährung am 31.12.1994 ab.

c) Die Verjährung ist durch die unstreitige Übergabe des Mahn-bescheids an Frau P., wie sie in der Postzustellungsurkunde unter dem27.1.1995 … dokumentiert ist, nicht gem. § 209 Abs. 2 Nr. 1 BGBunterbrochen worden.

Entgegen der Auffassung des Bekl. scheitert eine Unterbrechung derVerjährung allerdings nicht bereits an einer verzögerten Zustellung anden Bekl. …

d) Die in der Postzustellungsurkunde dokumentierte Ersatzzustel-lung nach § 183 Abs. 1 ZPO scheidet nach dem übereinstimmendenVortrag der Parteien in der Berufungsinstanz aus, wonach Frau P. zukeinem Zeitpunkt Angestellte oder Bedienstete des Bekl. gewesen ist.Die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde gem. § 418 Abs. 1 ZPO(vgl. Zöller/Geimer, aaO, § 418 Rn 3) ist insoweit jedenfalls widerlegt.

e) Die Voraussetzungen einer Ersatzzustellung nach § 181 Abs. 1ZPO liegen nicht vor. Die Kl. war unstreitig lediglich Mitbewohnerinder Wohngemeinschaft und nicht nichteheliche Lebensgefährtin desBekl. Eine Ersatzzustellung an bloße Mitbewohner einer Wohn-gemeinschaft scheidet aber aus (vgl. oben II. 1.).

f) Die fehlerhafte Zustellung ist auch nicht gem. § 187 Satz 1 ZPOgeheilt worden. Die von der Kl. behauptete Ablage des Mahnbescheidsin der Küche der Wohngemeinschaft, wo eingegangene Post abgelegtzu werden pflegte, reichte ebenso wenig, wie die Übergabe an dieMitbewohnerin und benannte Zeugin P. Es ist nicht bewiesen, dassder Bekl. selbst den Mahnbescheid – und wann – erhalten hat.

Ein Zugang iSv § 187 Satz 1 ZPO liegt grundsätzlich vor, wenn dasSchriftstück so in den Machtbereich des Adressaten gelangt ist, dassder Adressat Gelegenheit zur Kenntnisnahme hat (BGH, Urt. v.23.11.1977, NJW 1978, 426; Alternativkomm./Göring, aaO, § 187Rn 4; Musielak/Wolst, aaO, § 187 Rn 3; Zimmermann, ZPO, 4. Aufl.,§ 187 Rn 2; deutlich auf die tatsächliche Erlangung des zuzustellendenSchriftstücks abstellend: OLG Nürnberg, MDR 1982, 238; auf den»tatsächlichen Zugang« abstellend: MünchKomm/v. Feldmann, aaO,§ 187 Rn 4; auf den »Besitz« abstellend: Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, § 187 Rn 5; Thomas/Putzo, aaO,§ 187 Rn 6; Roth, in: Stein/Jonas, aaO, § 187 Rn 4, der ausdrückl. einZugehen iSd BGB für nicht immer ausreichend hält).

Entgegen der damit sich aufdrängenden Anlehnung an die zu § 130BGB entwickelte Definition des Zugangs setzt § 187 ZPO voraus, dassder Zustellungsadressat das Schriftstück in den Händen hält (so auchOLG Nürnberg, aaO). Dem steht das Urteil des BGH v. 23.11.1977(aaO) nicht entgegen. In jenem Fall lag eine arglistige Vereitelung desZugangs durch den Adressaten vor. Der Postbeamte war im Begriff,dem Adressaten das Schriftstück zu übergeben, als dieser seine Iden-tität erfolgreich leugnete. Nur deshalb nahm der BGH einen erfolgtenZugang an. In der Rspr. wird damit übereinstimmend auch in Fällen,in denen zwar Kenntnisnahme vom Inhalt erfolgt war, für eine Heilungnach § 187 ZPO regelmäßig die physische Übergabe des Schriftstücksan den Adressaten verlangt (BGH, WM 1992, 984, »Exemplar der Klage-schrift übergeben«; OLG Hamm, MDR 1992, 78, »Schriftstücke selbstin die Hand bekommt«). Dieser Auffassung folgt auch der Senat.

Maßgeblich spricht dafür der allgemeine Zweck der Zustellungs-vorschriften, in einem formalisierten Verfahren zu gewährleisten, dassSchriftstücke den Empfänger zuverlässig und nachweisbar erreichen.Der Gesetzgeber hat aus Gründen der Rechtssicherheit deshalb imEinzelnen geregelt, wie zu verfahren ist, wenn der Zustellungsadressatentgegen § 170 Abs. 1 ZPO nicht selbst das Schriftstück in Empfangnimmt. Er hat die Tatbestände wertend festgelegt, an deren Erfüllunger unter Abwägung der praktischen Notwendigkeiten mit dem

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149Neue Justiz 3/2001

Bedürfnis der Sicherheit des tatsächlichen Zugangs an den Adressatendie Wirkung wie an eine unmittelbare Zustellung knüpft. Die Einhal-tung der Zustellungsvorschriften kann deshalb nur in solchen Aus-nahmefällen gem. § 187 Satz 1 ZPO zurücktreten, in denen die Absichtdes Gesetzgebers, Rechtssicherheit möglichst weitgehend zu errei-chen, auf anderem, aber ebenso sicherem Weg erreicht wird. Soll eineNotfrist eingehalten werden, ist wegen ihrer Bedeutung eine Durch-brechung nicht möglich (§ 187 Satz 2 ZPO; vgl. oben II. 1.).

Wie sich aus den einzelnen Zustellungstatbeständen ergibt, ist esnicht ausreichend, wenn das Schriftstück lediglich in den räumlichenund tatsächlichen Machtbereich des Empfängers gelangt und unternormalen Umständen die Möglichkeit zur Kenntnisnahme besteht,was für einen Zugang unter Abwesenden im materiellen Recht gem.§ 130 BGB ausreichen würde. Bei Abwesenheit des Empfängers kanneine Zustellung – außer im Fall der Niederlegung gem. § 182 ZPO – nurerfolgen, wenn an andere Personen zugestellt wird, die ihrerseits nachWertung des Gesetzgebers eine hinreichende Gewähr für die zuver-lässige Weiterleitung an den Adressaten bieten.

Dies folgt auch aus der Regelung über die Zustellung durch Niederle-gung in § 182 ZPO. Dass in diesem Fall durch Einwurf des Benachrich-tigungsscheins in den Gemeinschaftsbriefkasten oder Übergabe an FrauP. der Mahnbescheid rechtswirksam zugestellt worden wäre, führt zukeinem Wertungswiderspruch. § 182 ZPO ermöglicht als abschließendgeregelter Sonder- und Ausnahmefall eine Zustellung erst, wenn dasSchriftstück weder an den Adressaten noch an eine Ersatzperson gem.§ 181 ZPO übergeben werden konnte (vgl. Zöller/Stöber, aaO, § 182Rn 1), wobei eine Kenntnisnahme vom Inhalt gerade nicht erforderlichist (Thomas/Putzo, aaO, § 182 Rn 7). Auch erfolgt die (wiederum amt-lich dokumentierte) Aushändigung des konkreten Schriftstücks an denAdressaten (oder Zustellungsbevollmächtigten). Lediglich wird hin-genommen, dass über die notwendige amtliche Niederlegung als solchedurch einen Benachrichtigungsschein – regelmäßig durch Einwurf inden Briefkasten des Adressaten oder Weitergabe an eine andere Personaus der Nachbarschaft – informiert wird (vgl. OLG München, AnwBl2000, 141). Keinesfalls soll damit die Aushändigung des Schriftstücksan den Adressaten durch die Benachrichtigung bei regelmäßigemVerlauf ersetzt werden; es kommt lediglich zu einer zeitlichen Diffe-renz zwischen dem fingierten Zustellungszeitpunkt und der Aus-händigung des Schriftstücks. Nur aus lebenspraktischen Gründen wirdhingenommen, dass der Zugang vollständig fingiert wird, wenn dasSchriftstück nicht vom Adressaten abgeholt wird.

Für die Notwendigkeit des tatsächlichen Erhalts des Schriftstücksspricht letztlich, dass ansonsten auch § 170 Abs. 1 ZPO, der eineZustellung durch bloßen Einwurf in den Briefkasten nicht vorsieht(vgl. Zöller/Stöber, aaO, § 170 Rn 1), umgangen würde.

Für eine gegenteilige Beurteilung streitet auch nicht die Gesetzesgenese.Der ursprünglich durch Ges. v. 17.5.1898 (RGBl. I S. 256, 264) eingefügte§ 170a ZPO erhielt mit der Neubkm. der ZPO v. 20.5.1898 (RGBl. I S. 410 ff.)seine jetzige Bezeichnung als § 187 ZPO (vgl. Roth, in: Stein/Jonas, aaO,§ 187 »Gesetzesgeschichte«). Bis zur Änderung durch die aufgrund § 44 derVO über Maßnahmen auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung und derRechtspflege v. 1.9.1939 (RGBl. I S. 1658) erlassene VO v. 9.10.1940 (RGBl.I, S. 1340) wurde die formell fehlerhafte Zustellung einer Ladung nur geheilt,soweit sie in die Hände des Adressaten gelangt war (vgl. auch: Sydow/Busch, ZPO, 22. Aufl. [1941], § 187 Rn 5; Seuffert/Walsmann, 12. Aufl.[1932], § 187 Rn 2). § 187 ZPO in der bis heute gültigen Fassung erweitertdie Heilungsmöglichkeit auf alle zuzustellenden Schriftstücke. Dass durchdie Änderung des Wortlauts in »zugegangen« neben der sprachlichenVereinfachung ein über die gegenständliche Empfangnahme hinaus-gehender Bedeutungswandel erreicht werden sollte, ist nicht erkennbar,zumal sich dann eine direkte Bezugnahme auf § 130 BGB im Sinne einerLegaldefinition angeboten hätte. Für das Gegenteil spricht auch nicht, dassdie VO (aaO) »zur Vereinfachung und Vereinheitlichung des Zustellungs-rechts« erging und die Änderung von § 187 ZPO ausdrücklich unter demersten Abschnitt der VO erging, der die »Vereinfachung des Zustellungs-rechts im Geltungsbereich der Reichszivilprozessordnung« betraf.

Der Gesetzgeber hat zudem in § 182 ZPO erkennen lassen, dasseine Einschaltung von – sonst nicht als Ersatzzustellungsadressaten

tauglichen – Personen hinsichtlich des konkreten Schriftstückes selbstkeine hinreichende Gewähr für einen tatsächlichen Zugang bietet,sondern nur die Aushändigung des Benachrichtigungsscheins zuge-lassen. Daraus folgt im vorliegenden Fall, dass die betreffende Aus-händigung an die angebotene Zeugin P. auf keinen Fall ausreichte, umdie Heilungswirkung nach § 187 Satz 1 ZPO zu begründen.

Mithin ist ein Verstoß gegen die Zustellungsvorschriften nur danngem. § 187 Satz 1 ZPO geheilt, wenn der Adressat (nachweislich) dasSchriftstück unmittelbar in den Händen hält. Über den als Ersatzzustel-lungsberechtigten bezeichneten Kreis hinaus ist für die Annahme einerheilenden Übergabe an Empfangsboten oder sonstige Stellvertreter desZustellungsadressaten kein Platz. Erst wenn der Zugang in dieser Weisegeschehen ist, ist der Gesetzeszweck des Zustellungsverfahrens erfülltund würde das Festhalten am Formerfordernis eine sinnentleerteFörmelei darstellen.

Damit kommt es auf die Frage, ob die Empfangsperson, Frau P., denMahnbescheid am in der Postzustellungsurkunde dokumentierten Tagauf den Küchentisch gelegt hat, nicht an. Hinzu kommt – unabhän-gig davon, dass der Erhalt nicht bewiesen ist –, dass die Kl. nicht kon-kret vorgetragen hat, wann der Bekl. selbst letztlich den Mahnbescheidtatsächlich erhalten hat. …

III. Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzlicheBedeutung hat (§ 546 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO). Die Frage, ob § 187 ZPOmit Blick auf § 130 BGB erweiternd auszulegen ist, ist ebenso wenigeindeutig höchstrichterlich geklärt wie die Frage, ob eine Ersatz-zustellung an Mitglieder einer Wohngemeinschaft gem. § 181 ZPO(analog) ausreichend ist.

� 02.10 – 3/01

Betreuervergütung/neue BundesländerOLG Jena, Beschluss vom 14. Dezember 2000 – 6 W 332/00 (LG Gera)

BGB §§ 1836, 1836a, 1908i; BVormG § 1; BtÄndG Art. 4

Da mit der Regelung in Art. 4 BtÄndG der Gesetzgeber nach wie vorunterschiedlichen Einkommens- und Lebensverhältnissen in den altenund neuen Bundesländern Rechnung tragen wollte, hindert diegebotene generalisierende Betrachtung der Kürzungsvorschrift desArt. 4 BtÄndG zu unterscheiden, ob für die Betreuervergütung dieStaatskasse aufkommt oder ob der Betreute sie schuldet. Daherorientiert sich in den neuen Bundesländern die Betreuervergütungbei vermögenden Betreuten an den gem. Art. 4 BtÄndG gekürztenStundensätze des § 1 Abs. 1 Satz 2 BVormVG.

� 02.11 – 3/01

Grundbuchberichtigung/Voreintragung des Berechtigten nach VermG/Bodenreformgrundstück/Überführung in VolkseigentumLG Rostock, Beschluss vom 21. Juli 2000 – 2 T 43/00 (AG Güstrow)

GBO § 39; GBBerG § 11 Abs. 1; VermG § 34 Abs. 1

Verfügt eine gem. § 34 VermG begünstigte Person über ein Grund-stück, ist deren Voreintragung iSv § 39 GBO entbehrlich.

Das Grundstück in … wurde 1945 dem zwischenzeitlich verstorbenenHerrn T. K. gem. VO über die Bodenreform v. 5.9.1945 zugewiesenund übereignet. Unter dem 1.7.1946 wurde er als Eigentümer imGrundbuch eingetragen. Auf Grundlage der gemeinsamen Anwei-sung der Finanz- und Innenminister v. 24.7.1961 wurde der Grund-besitz am 10.11.1961 in das Volkseigentum zurückgeführt und indas Einheitsregister überführt. Dies ergibt sich einerseits aus einemEintrag im Grundbuch, andererseits aus den Eintragungen in denBestandsblättern …, auf denen der Grundbesitz fortan weitergeführtwurde.

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Neue Justiz 3/2001150

Der Ast. ist Erbe des Herrn T. K. Unter Vorlage eines Erbscheinsbeantragte er am 30.9.1998 die Rückübertragung des Grundstücksbeim Grundbuchamt. Diesen Antrag legte das Grundbuchamt alsAntrag auf Berichtigung nach der Erbfolge aus und beschied ihn mitangefochtenem Beschluss abschlägig. Zur Begründung hat es ausge-führt, dass es an der erforderlichen Voreintragung des Erblassers fehle,da der Grundbesitz in Volkseigentum überführt wurde. Ein Eintra-gungsersuchen des für die Entscheidung über Rückübertragungs-ansprüche zuständigen Vermögensamts liege ebenfalls nicht vor.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde des Ast. hattekeinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:II. … Das Grundbuchamt hat die Berichtigung nach Erbfolge zu Rechtabgelehnt. Gem. § 18 Abs. 1 GBO hat das Grundbuchamt eine Ein-tragung nicht vorzunehmen, wenn es an den erforderlichen Eintra-gungsvoraussetzungen fehlt. Gem. § 39 Abs. 1 GBO ist u.a. Voraus-setzung für eine Eintragung, dass der Erblasser im Grundbucheingetragen ist. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall.

Zwar war der Erblasser zunächst als Eigentümer eingetragen, jedochist das Grundeigentum späterhin in das Eigentum des Volkes überführtworden und dies im Grundbuch vermerkt worden Mit der Über-führung in das Eigentum des Volkes wurde der Grundbesitz in das Ein-heitsregister zurückgeführt und dort auf o.g. Bestandsblättern geführt.Mit der Rückführung in das Einheitsregister wäre das Grundbuch zwarzu schließen gewesen – wie dies auch auf Bestandsblatt … vermerktworden ist. Ein entsprechender Schließungsvermerk im Grundbuch …ist jedoch nicht eingetragen worden. Dies aber ist für die vorliegendeEntscheidung ohne Belang. Aus dem Grundbuch ist bereits deutlichersichtbar, dass der Grundbesitz in Volkseigentum zurückgeführtwurde. Dementsprechend ist Herr T. K. durch Vornahme einer Unter-streichung auch als Eigentümer im Grundbuch gelöscht worden, sodass er als Voreigentümer nicht mehr eingetragen war.

Eine Ausnahme von dem in § 39 GBO bestimmten Grundsatz sieht§ 11 Abs. 1 Satz 2 GBBerG dann vor, wenn eine durch einen Bescheidgem. § 34 VermG begünstigte Person über das Grundstück verfügt.Damit diese Ausnahmeregelung zum Tragen kommen kann, bedarf esfolglich eines bestandskräftigen Bescheids iSd § 34 Abs. 1 Nr. 1 VermG(vgl. hierzu auch Demharter, GBO, § 39 Rn 7). Ein solcher liegt abernicht vor.

Ob und inwieweit dem Beschwerdef. ein materieller Eigentums-übertragungsanspruch nach Art. 233 §§ 11, 12 EGBGB zur Seite steht,kann die Kammer hier offen lassen. Auch das Grundbuchamt hattenicht über das Vorliegen der Voraussetzungen eines materiell-recht-lichen Eigentumsverschaffungsanspruchs … zu befinden. Gegenstanddes Grundbuchverfahrens ist die Prüfung, ob die hierfür erforderlichenEintragungsvoraussetzungen vorliegen. Die Feststellung, ob ein mate-riell-rechtlicher Eigentumsübertragungsanspruch gegen einen Drittenbesteht, ist hingegen allenfalls Gegenstand eines zivilprozessualenVerfahrens.

(mitgeteilt von RiLG Dirk Both, Rostock)

� 02.12 – 3/01

Unerlaubte Handlung/unentgeltliche Rechtsberatung einer Mieter-gemeinschaft/behördliche Erlaubnis/allgemeines FreiheitsrechtLG Dresden, Urteil vom 28. November 2000 – 12-O-3217/00 (rechtskräftig)

BGB § 823 Abs. 2; RBerG Art. 1 §§ 1, 5, 7; GG Art. 2 Abs. 1

1. Art. 1 § 1 RBerG ist unter Berücksichtigung des Grundrechts derallgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) eng auszulegen.2. Unentgeltliche außergerichtliche Nachbarschaftshilfe wird deshalbnicht vom Erlaubnisvorbehalt des Art. § 1 Abs. 1 RBerG umfasst.

3. Ein Mitglied einer Selbsthilfegemeinschaft, zu der sich die Bewoh-ner eines Wohnblocks zusammengeschlossen haben, verstößt nichtgegen das RBerG, wenn es die anderen Mitglieder unentgeltlich inFragen überhöhter Mietzinsforderungen berät und rechtsbesorgendim Namen der anderen Mitglieder an die Vermieterin herantritt.4. Ein freiwillig erfolgter, auf Dauer angelegter Zusammenschluss vonMietern zur Wahrnehmung ihrer Interessen ist einer auf berufs-ständischer Grundlage gebildeten Vereinigung iSd Art. 1 § 7 RBerGgleichzusetzen.5. Da ein Vermieter seine Rechtsangelegenheiten durch einen Haus-verwalter besorgen lassen kann (Art. 1 § 5 Nr. 3 RBerG), muss es nachdem Gleichheitssatz auch den Mietern gestattet sein, ihre Rechts-angelegenheiten durch einen Beauftragten ihrer Wahl erledigen zulassen. (Leitsätze des Bearbeiters)

Problemstellung:Die Kl. sind Rechtsanwälte. Der Bekl. ist Sprecher einer Mieterge-meinschaft. Er hat im Auftrag von mehr als 50 Mietern mietrechtlicheAnsprüche auf Rückzahlung von Mietzins nach einem angeblichunzutreffenden Erhöhungsverlangen i.H.v. 300.000 DM gegenüberder Vermieterin vorprozessual geltend gemacht. Mit der Klage wollendie Kl. erreichen, dass dem Bekl. bei Androhung eines Ordnungsgeldesbis zu 500.000 DM untersagt wird, geschäftsmäßig fremde Rechts-angelegenheiten zu besorgen, insbes. die Rechte anderer Mieter gegen-über dem Vermieter geltend zu machen.

Schon zu DDR-Zeiten waren die Mieter des Gebäudekomplexes X inDresden eine locker organisierte Hausgemeinschaft. Aufgrund einerModernisierungsankündigung vom Aug. 1992 schlossen sie sich engerzusammen: Auf einem von den Hausvertrauensleuten organisiertenTreffen der gesamten Mieterschaft wurde eine Mietergemeinschaft zurgemeinsamen Interessenwahrnehmung gegründet. Der Bekl. wurde alsSprecher gewählt. Auf der Versammlung v. 26.5.2000 wurde beschlossen,Ansprüche auf Rückforderung von Mietzins dem Grunde nach geltendzu machen, und der Bekl. beauftragt, fehlende Informationen zusam-menzutragen sowie die Fakten zusammenzustellen. Über die Aktionberichtete die örtliche Tageszeitung.

Nach Auffassung der Kl. handelt der Bekl. geschäftsmäßig iSv Art. 1§ 1 RBerG. Hierfür sei weder ein beruflicher Zusammenhang nochEntgeltlichkeit erforderlich. Selbst eine einmalige Tätigkeit reiche,wenn künftige Wiederholungen erkennbar seien, in vergleichbarenSituationen erneut tätig zu werden. Die Mietergemeinschaft sei einereine Zufallsgemeinschaft, die die nach Sinn und Zweck des Art. 1 § 7RBerG zu fordernden Mindestkriterien, wie gute finanzielle undpersonelle Ausstattung, gefestigte Vereinigung mit Satzung, nicht auf-weise. Ein Vergleich der Mietergemeinschaft mit einer berufsstän-dischen Vereinigung treffe nicht zu.

Das LG hat die Klage abgewiesen.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Den Kl. steht kein Unterlassungsanspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB zu.Zwar ist Art. 1 § 1 RBerG Schutzgesetz iSd § 823 Abs. 2 BGB (BGH, NJW1955, 422), aber die Voraussetzungen für einen Verstoß liegen nichtvor, da der Bekl. nicht geschäftsmäßig iSv Art. 1 § 1 RBerG handelt undsein Handeln nach Art. 1 § 7 RBerG zudem erlaubnisfrei ist.

Gem. Art. 1 § 1 RBerG ist die geschäftsmäßige Besorgung fremderRechtsangelegenheiten einschl. der Rechtsberatung ohne Unterschiedzwischen haupt- und nebenberuflicher oder entgeltlicher und unent-geltlicher Tätigkeit ohne behördliche Erlaubnis untersagt.

Der Bekl. hat zwar fremde Rechtsangelegenheiten besorgt, handeltejedoch nicht geschäftsmäßig: »Geschäftsmäßiges Handeln liegt nachh.M. dann vor, wenn der Täter und sei es auch nur bei einer einzelnenTat beabsichtigt, die Wiederholung gleichartiger Taten zum Gegen-stand seiner wirtschaftlichen oder beruflichen Betätigung zu machen,auch wenn er damit keine Erwerbsabsichten verbindet. Kraft Gesetzes

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151Neue Justiz 3/2001

kann diese Tätigkeit sowohl entgeltlich als auch unentgeltlich sein.Danach handelt der Bekl. nicht geschäftsmäßig, da sein Handeln nichtTeil seiner wirtschaftlichen oder beruflichen Betätigung ist. Der Bekl.ist Rentner und wird altruistisch unentgeltlich im Rahmen vonNachbarschaftsselbsthilfe tätig. Nachbarschaftshilfe ist das genaueGegenteil von ›geschäftsmäßig‹. ›Geschäft‹ ist nämlich immer ein aufGewinn abzielendes gewerbliches oder kaufmännisches Unternehmen.Nachbarschaftshilfe ist demgegenüber eine ehrenamtliche soziale Tat.«

Soweit die Kl. beim Tatbestandsmerkmal »geschäftsmäßig« in ersterLinie auf die Wiederholung und die Wiederholungsgefahr abstellen,folgt das LG dieser weiten, über den Wortlaut hinausgehenden Aus-legung nicht. Art. 1 § 1 RBerG sei verfassungskonform eher eng als weitauszulegen. Die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten einschl. derRechtsberatung unterliege dem Schutzbereich der allgemeinen Hand-lungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Dieses Grundrecht könne grundsätzlichdurch jede Rechtsvorschrift eingeschränkt werden; die Einschränkungmüsse aber verhältnismäßig sein. Das Verbot unentgeltlicher außer-gerichtlicher Nachbarschaftshilfe wäre nicht mehr verhältnismäßig.

Soweit als Zielsetzung des Verbots der geschäftsmäßigen Rechtsbe-ratung die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege genannt wird, scheidet– so das LG – dieser Gesichtspunkt im vorliegenden Fall aus, da es hierausschließlich um außergerichtliche Rechtsberatung geht. Soweit derSchutz der Anwaltschaft vor standes- und gebührenrechtlich unge-bundenen Mitbewerbern in Betracht kommt, ist dies unerheblich, dader wirtschaftliche Schutz einer Berufsgruppe vor Wettbewerbernkein von Verfassungs wegen geschützter Gemeinwohlbelang ist(BVerfGE 97, 12 [31]). Im Übrigen fehlt es an einem wirtschaftlichenWettbewerbsverhältnis, da der Bekl. ehrenamtlich und uneigennützighandelt. Eine fühlbare Beeinträchtigung der für eine ordnungsgemäßeRechtspflege benötigten Anwaltschaft ist durch das Engagement desBekl. nicht zu besorgen.

Der Schutz der rechtsuchenden Bevölkerung vor unqualifizierterRechtsberatung mag gerechtfertigt sein, wenn es um gewerbliches ent-geltliches Handeln eines Beraters geht. Der Grundsatz der Verhältnis-mäßigkeit ist jedenfalls dann verletzt, wenn es um unentgeltlichesaltruistisches Handeln im Rahmen einer Selbsthilfegemeinschaft geht.Bei dieser Fallgestaltung lässt sich die Gefahr unqualifizierter Rechts-beratung nicht generell begründen. Eher ist das Gegenteil der Fall.Der Sprecher einer Gruppe ist ausgestattet mit dem Wissen und der(Vertretungs-)Macht der gesamten Gruppe. Seine Beratung und Ver-tretung kann deshalb durchaus wesentlich intelligenter und effektiversein als die Einzelvertretung durch einen einzelnen Rechtsanwalt.

Unentgeltliche Nachbarschaftshilfe ist zudem in anderen Bereichen,die mit erheblich größeren Gefahren verbunden sein können, unein-geschränkt erlaubt. Es wäre eine unerträgliche Bevormundung vonBürgern, ihnen ausgerechnet Selbsthilfe in Mietangelegenheiten, dieallenfalls mit einem Rechtsverlust, nicht aber mit Gefahren für Leibund Leben verbunden ist, unmöglich zu machen. Ein Bürger muss seinWissen, sein Engagement und seine Zeit einer Gemeinschaft unent-geltlich zur Verfügung stellen dürfen, während die anderen berechtigtsein müssen, zu wählen, ob ihnen unentgeltliche Vertretung auch mitdem Risiko eines Rechts- und Haftungsverlusts reicht oder ob sie dasKostenrisiko einer anwaltlichen Beratung eingehen wollen. Der Begriff»geschäftsmäßig« kann deshalb nicht über den engeren Wortlauthinaus auf altruistische Tätigkeiten angewendet werden.

Darüber hinaus ist die Tätigkeit des Bekl. erlaubnisfrei. Bei derMietergemeinschaft handelt es sich um eine Vereinigung auf berufs-ständischer oder ähnlicher Grundlage iSd Art. 1 § 7 RBerG. Der Begriffder Vereinigung ist weit wie in Art. 9 Abs. 1 GG auszulegen, so dassauch lose Vereinigungen erfasst werden. Die Vereinigung ist auch aufeiner einem berufsständischen Zusammenschluss ähnlichen Grund-lage tätig. Dass Mietsachen hierunter fallen, ist für Haus- und Grund-besitzervereine ebenso anerkannt wie für Mietervereine (Rennen/Caliebe, RBerG, 2. Aufl., Art. 1 § 7 Rn 8). Wollte man dem Bekl. die

Wahrnehmung der Mietangelegenheiten untersagen, würde dies zueinem Wertungswiderspruch und einer Verletzung des Gleichheits-satzes führen. Dem Hauseigentümer ist es gem. Art. 1 § 5 RBerGnämlich gestattet, die gleichartigen Rechtsangelegenheiten durcheinen beliebig gewählten Hausverwalter regeln zu lassen. Dann musses aber auch der Mieterseite unbenommen sein, sich in diesen Ange-legenheiten durch eine Person ihres Vertrauens vertreten zu lassen.

Kommentar:Das Urteil des LG stärkt zur rechten Zeit – 2001 ist das InternationaleJahr des Ehrenamtes – auch rechtliche Nachbarschaftshilfe als ehren-amtliche Sozialtat und beschämt zugleich diejenigen, die mit Hilfe desRBerG altruistische Hilfe abwürgen wollen. Die Entscheidung hat des-halb über die Mietergemeinschaft hinaus auch Bedeutung für Rechts-beratung in Tauschringen, von Asylbewerbern durch karitative Ein-richtungen, kurz überall da, wo altruistische Rechtsberatung gefragtist. Nachdem eine allzu anwaltsfreundliche Judikatur und Kommen-tarliteratur das RBerG jahrzehntelang in einer Art »wissenschaftlicherNacht« (Kleine-Cosack, NJW 2000, 1593) gehalten hat, mehren sichjetzt energische Stimmen, die vor allem das Verbot der unentgelt-lichen, altruistischen Rechtsberatung als unhaltbar und insbes. mitArt. 2 Abs. 1 GG unvereinbar betrachten. Von einer h.M. zu der vomRG begründeten exzessiven Auslegung des Begriffs der Geschäfts-mäßigkeit kann jetzt nicht mehr die Rede sein.

Das Urteil ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Angleichung an dieRechtslage im übrigen Europa. Dort wird der Anwaltsstand gegen den»Wettbewerb« durch rein altruistisch ausgeübte Rechtsberatung nichtgeschützt (auch in der DDR galt das RBerG nicht). Dass in Deutsch-land unentgeltlich arbeitende Bürger eine wirtschaftliche Gefahr fürdie Anwaltschaft sind, entspricht nicht der Realität und ist auch künf-tig nicht zu befürchten, schon gar nicht in einer Gesellschaft, in derdie Bereitschaft zu selbstlosem Handeln beklagenswert abnimmt. Stattangesichts des europäischen Einigungsprozesses einen aussichtslosenAbwehrkampf mit Hilfe eines »mit dem Makel nationalsozialistischerGeburt« behafteten Gesetzes (so Lehmann, NJ 2000, 337) unter Inkauf-nahme erheblichen Imageverlustes zu führen, sollten die Anwälteeher ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ihren europäischen undüberseeischen Mitbewerbern stärken. Dass sogar Anwaltskammernwie in Augsburg und Stuttgart das RBerG als Waffe gegen die altruisti-sche Beratung in Einrichtungen der Caritas einsetzen, zeigt dasfehlende Gespür von Standesvertretern für die Situation (das gilt auchfür Busse, NJW 1999, 1084).

Im Anschluss an BGH (NJW 1995, 422) geht das LG beim RBerGzwar weiter von einem Schutzgesetz iSv § 823 Abs. 2 BGB zugunstender Anwaltschaft aus, folgt aber der ursprünglichen, einschränkendenAnsicht von Jonas, der im Referentenkommentar (Jonas, RBerG, 1935,Art. 1 § 1 Anm. 3) eine »gewisse tatsächliche Häufigkeit der Betäti-gung« fordert und auf eine Tätigkeit im Haupt- oder Nebenberufabstellt. Die bisher h.M. beruft sich auf die Jahre später vom RG aufDruck fanatischer NS-Juristen begründete Auffassung (RGSt 72, 313).Indessen wird die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des RBerGimmer dringlicher, eines Gesetzes, das Hilfsbereitschaft in rechtlichenNotlagen erschwert, den Vereinzelungstendenzen unserer GesellschaftVorschub leistet und mit dessen Hilfe man sozial Schwache von ihremoftmals einzigen rechtlichen Fürsprecher trennen kann. Beim BVerfGist derzeit eine Verfassungsbeschwerde anhängig, die sich gegendas Verbot der unentgeltlichen Rechtsberatung richtet (abrufbar unter:www.dfg-vk.de/4_3/2000_2_a.htm.).

Literaturhinweis: K. Hennemann, Betrifft Justiz, 2000, 320; H. König, Rechtsberatungs-gesetz, Bonn 1993; H. Kramer, KJ 2000, 600; Th. Rasehorn, DRiZ 2000,442; E. Schneider, ZAP 2000, 165.

Prof. M. Karl-Heinz Lehmann, Ev. Fachhochschule Hannover

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03 STRAFRECHT

� 03.1 – 3/01

Geldwäsche/Vortat/StrafausschließungsgrundBGH, Urteil vom 20. September 2000 – 5 StR 252/00 (LG Frankfurt/O.)

StGB § 261; AO 1977 § 374

Zum Begriff der Vortat bei der Geldwäsche gem. § 261 Abs. 9 Satz 2StGB.

Anm. d. Redaktion: Zu Problemen des Tatbestands der Geldwäsche siehe denBeitrag von W. Kargl, NJ 2001, 57 ff.

� 03.2 – 3/01

Tötung von Flüchtlingen durch DDR-Grenzsoldaten/Handeln auf Befehl/KörperverletzungsvorsatzBGH, Urteil vom 1. Dezember 2000 – 2 StR 329/00 (LG Mühlhausen)

StGB/DDR § 258 Abs. 1; WStG § 5 Abs. 1; UZwG § 7 Abs. 2 Satz 2;StGB § 2 Abs. 3; EGStGB Art. 315 Abs. 1

1. Keine strafrechtliche Verantwortlichkeit für tödliche Schüsse an derinnerdeutschen Grenze, wenn das Verhalten des DDR-Grenzpostensaufgrund entsprechender Anwendung von § 258 Abs. 1 StGB/DDRund inhaltsgleicher Vorschriften im Recht der Bundesrepublik wegenHandelns auf Befehl entschuldigt war.2. Ob der Schusswaffengebrauch zum Zweck der Festnahme einesGrenzverletzers auf dem Gebiet der DDR auch dann als rechtswidriganzusehen ist, wenn er nicht mit Tötungs-, sondern mit Körperver-letzungsvorsatz erfolgte, wird weiterhin offen gelassen. (Leitsätze derRedaktion)

Das LG hat den Angekl. wegen Körperverletzung mit Todesfolge zueiner Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt.Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Angekl. war 1950 bei der Grenzpolizei der DDR im BereichJützenbach (Kreis Eichsfeld) als Grenzposten tätig. Es gab dort wederGrenzzäune noch Sicherungsanlagen. Die Grenzposten hatten denAuftrag, den damals herrschenden regen Grenzverkehr zu unterbin-den und Grenzverletzer festzunehmen. Als Grenzverletzer galtenPersonen, die die Grenze überschritten – gleich in welcher Richtung –und solche, die sich ohne Erlaubnis in der 5 km tiefen Sperrzone hinterder Grenze aufhielten.

Am 3.9.1950 hatte das spätere Tatopfer V., das in der Bundesrepublikwohnte, ohne Erlaubnis die Grenze passiert, um mit dem Fahrrad seineMutter in der DDR zu besuchen. Innerhalb der Sperrzone traf er aufden Angekl. und seinen Postenführer H., der ihn aufforderte, stehen-zubleiben. V. beschleunigte seine Fahrt, woraufhin der Angekl. undH. Warnschüsse abgaben. Da V. seine Fahrt nochmals beschleunigte,zielte der Angekl. auf den unteren Bereich des inzwischen ca. 150 mentfernten Fahrrads und gab mit seinem Karabiner K 98 einen Schussab. V. wurde von der Kugel in Höhe der Leber-Lungengrenze getroffenund war sofort tot. Der Angekl. hatte bei dem Schuss die Absicht, V.anzuhalten und festzunehmen. Er nahm eine Körperverletzung des V.durch Treffen der Beine billigend in Kauf, nicht aber dessen Tod, derjedoch für ihn voraussehbar war. Der Angekl. hielt V. für einen Grenz-verletzer, der aber keine darüber hinausgehende Gefahr darstellte.

Der Angekl. war unterrichtet worden, wann und wie er nach dengeltenden Dienstvorschriften von der Schusswaffe Gebrauch machendurfte. Er hielt sein Vorgehen nach den damals geltenden Dienstan-weisungen und Instruktionen für rechtmäßig.

Das LG meint, der Angekl. habe rechtswidrig und schuldhaftgehandelt. Er hätte erkennen können, dass der Schuss auf V. nichtrechtmäßig gewesen sei. Soweit ihm die Unrechtseinsicht gefehlt habe,

liege ein vermeidbarer Verbotsirrtum vor. Auch nach § 5 Abs. 1 WStG,§ 258 Abs. 1 StGB/DDR sei der Angekl. nicht entschuldigt, da er habeerkennen können, dass seine Handlung rechtswidrig gewesen sei.

Die Revison des Angekl. führte zu dessen Freispruch.

Aus den Entscheidungsgründen: II. Die Verurteilung des Angekl. hält der sachlich-rechtlichen Prüfungnicht stand.

1. Nach dem festgestellten Sachverhalt hat der Angekl. den Tatbe-stand der Körperverletzung mit Todesfolge erfüllt. Einen bedingtenTötungsvorsatz hat das LG im Ergebnis ohne Rechtsfehler verneint. …

2. Entgegen der Annahme des LG ist aber bereits zweifelhaft, ob dieTat des Angekl. rechtswidrig war. Es besteht die nicht geringe Wahr-scheinlichkeit, dass sie durch die damalige Befehlslage und die demAngekl. erteilten Dienstanweisungen gedeckt und damit gerechtfertigtwar. Die rechtfertigende Wirkung der damaligen Befehlslage ist nichtbereits deshalb ausgeschlossen, weil erst durch das GrenzG von 1982eine gesetzliche Grundlage für den Schusswaffengebrauch an derGrenze geschaffen wurde. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass– jedenfalls zur Tatzeit und vor In-Kraft-Treten des VolkspolizeiG von1968 und des GrenzG von 1982 – die vom Tatrichter genannten nochaus der Zeit vor der Gründung der DDR stammenden, aber fortgelten-den Befehle, Dienstanweisungen und Instruktionen als eine ausrei-chende formelle Rechtsgrundlage angesehen wurden (vgl. BGHSt 40,241, 242 f. = NJ 1995, 42; BGHSt 41, 101, 103 f. = NJ 1995, 539). Die Über-prüfung des Verhaltens des Angekl. hatte zum Ergebnis, dass er nichtgegen die Dienstanweisungen verstoßen hatte. Eine Bestrafung desAngekl. ist damals nicht erfolgt. Unter diesen Umständen ist zu seinenGunsten davon auszugehen, dass die bestehende Befehlslage des Jahres1950 nach der damaligen Staatspraxis der DDR ausreichte, sein Ver-halten und den Schusswaffengebrauch gegenüber V. zu rechtfertigen.

Von der Frage, ob das Verhalten des Angekl. nach dem Recht derDDR, wie es in der Befehlslage und der Staatspraxis angewandt wurde,gerechtfertigt war, ist die weitere Frage zu unterscheiden, ob der soverstandene Rechtfertigungsgrund wegen Verletzung vorgeordneter,auch von der DDR zu beachtender allgemeiner Rechtsprinzipien undwegen eines extremen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeits-prinzip außer Betracht bleiben muss. Allerdings müssen Fälle, in denenein zur Tatzeit angenommener Rechtfertigungsgrund als unbeachtlichangesehen wird, auf extreme Ausnahmen beschränkt bleiben.

Dementsprechend hat der BGH die Geltung eines zur Tatzeit angenom-menen Rechtfertigungsgrunds beim Schusswaffengebrauch gegenüberGrenzverletzern an der innerdeutschen Grenze dann verneint, wenn er das(bedingt oder unbedingt) vorsätzliche Töten von Personen deckte, dienichts weiter wollten, als unbewaffnet und ohne Gefährdung anerkannterRechtsgüter die Grenze zu überschreiten (BGHSt 39, 1, 14 f. = NJ 1993, 88;41, 101, 103 ff.). Nur das Anlegen von Minensperren an der innerdeut-schen Grenze wurde auch bei Körperverletzungsvorsatz als offensichtlichrechtswidrig erachtet (BGHSt 44, 204, 208 = NJ 1999, 270). Ob der Schuss-waffengebrauch zum Zweck der Festnahme des Grenzverletzers auf demGebiet der DDR auch dann als rechtswidrig anzusehen ist, wenn er nichtmit Tötungs-, sondern mit Körperverletzungsvorsatz erfolgte, hat der BGHbisher regelmäßig offen gelassen, weil die Angekl. in den zu entscheiden-den Fällen entschuldigt waren und zwar wegen Handelns auf Befehl (§ 258Abs. 1 iVm § 81 Abs. 3 StGB/DDR; § 5 Abs. 1 WStG [analog] iVm § 2 Abs. 3StGB, Art. 315 Abs. 1 EGStGB; BGH, NStZ 1993, 488; BGHSt 41, 10, 15 =NJ 1995, 325; vgl. auch 42, 65, 71 = NJ 1996, 431; 42, 356, 364 = NJ 1997,265) oder zumindest wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums (BGHSt39, 168, 194 f. = NJ 1993, 275).

3. Auch im vorliegenden Fall bedarf es keiner abschließenden Erör-terung und Entscheidung, ob das Verhalten des Angekl. rechtswidrigwar. Denn sein Verhalten war jedenfalls aufgrund einer entsprechen-den Anwendung von § 258 Abs. 1 StGB/DDR, § 5 Abs. 1 WStG, § 7Abs. 2 Satz 2 UZwG (Ges. über den unmittelbaren Zwang bei Ausübungöffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes v. 10.3.1961 –d.Red.), § 2 Abs. 3 StGB, Art. 315 Abs. 1 EGStGB wegen Handelns aufBefehl entschuldigt.

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153Neue Justiz 3/2001

Zur Tatzeit bestand in der DDR zwar keine gesetzliche Regelung, ausder zu folgern war, unter welchen Voraussetzungen eine auf Befehlbegangene rechtswidrige Handlung entschuldigt war. § 5 Abs. 1 WStGund § 7 Abs. 2 Satz 2 UZwG haben für Grenzpolizisten der DDR nichtgegolten; zudem waren diese Vorschriften zur Tatzeit ebenso wenigerlassen wie § 258 Abs. 1 StGB/DDR. Gleichwohl sind diese Vorschrif-ten mit ihrem Regelungsgehalt für die Beurteilung des Schusswaffen-gebrauchs an der innerdeutschen Grenze unter dem Gesichtspunktdes milderen Rechts (§ 2 Abs. 3 StGB, Art. 315 Abs. 1 EGStGB) ent-sprechend heranzuziehen. Für § 5 Abs. 1 WStG, § 258 Abs. 1 StGB/DDRhat der BGH dies bereits entschieden (BGHR WStG § 5 Abs. 1 Schuld 3= NStZ-RR 1996, 323 ff.). Für § 7 Abs. 2 Satz 2 UZwG, der für den hierbetroffenen Bereich der Grenzpolizei sachnäher wäre, gilt nichtsanderes. Auch nach dieser Vorschrift trifft den auf Anordnunghandelnden Vollzugsbeamten eine Schuld nur, wenn er erkennt oderwenn es nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist, dasser durch das Befolgen einer dienstlichen Anordnung eine Straftatbegeht. Da sich der Regelungsgehalt dieser Vorschriften inhaltlichdeckt, kann dahingestellt bleiben, welche von ihnen für den Fall desAngekl. entsprechend anzuwenden ist. Der Schuldausschließungsgrundentfällt daher nicht – wie das LG meint – bereits dann, wenn derGrenzpolizist erkennen konnte, dass sein Handeln rechtswidrig war.

Der Angekl. handelte im Sinne dieser Vorschriften auf Befehl/Anordnung. Er hatte als Grenzposten den Auftrag, Grenzübertritte zuverhindern und Grenzverletzer festzunehmen, falls erforderlich auchunter Anwendung seiner Dienstwaffe. Teilweise waren die Dienst-anweisungen für die Grenzpolizei ausdrücklich als Befehl bezeichnet.Militärische oder polizeiliche Dienstvorschriften enthalten i.d.R.Dauerbefehle, die an alle Untergebenen gerichtet sind, die mit dendort bestimmten Tätigkeiten und Aufgaben befasst sind. Der Befehl/die Anordnung muss nicht persönlich oder für einen konkreten Ein-zelfall erteilt sein. Auch das Einräumen eines Ermessenspielraumsändert nichts an dem Charakter eines Befehls (vgl. § 2 Nr. 2 WStG;Schölz/Lingens, WehrstrafG, 4. Aufl., § 2 Rn 7-11; Riegel, in: Erbs/Kohl-haas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 2 WStG Rn 4 jew. mwN). Es istdaher unschädlich, dass der Postenführer H. dem Angekl. den Schuss-waffengebrauch gegen V. nicht befohlen hatte.

Der Angekl. hat nach den Feststellungen des LG nicht erkannt, dasser durch den Schusswaffengebrauch gegenüber V. eine – möglicher-weise – rechtswidrige Tat beging. Dies war nach den ihm bekanntenUmständen auch nicht offensichtlich. Der Strafrechtsverstoß ist nuroffensichtlich, wenn er jenseits allen Zweifels auf der Hand liegt; einePrüfungspflicht obliegt dem Soldaten oder Vollzugsbediensteten nicht(BGHSt 39, 1, 33; 39, 168, 189; 40, 241, 250 f.; 41, 10, 15; BGH, NStZ1993, 488; 1995, 286; BGH, NStZ-RR 1996, 323 ff.).

Die Anwendung unmittelbaren Zwangs im Grenzbereich einschl.des Gebrauchs von Schusswaffen ist grundsätzlich rechtlich nicht zubeanstanden, wenn dies auf der Grundlage von Regelungen, die mitrechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar sind, erfolgt, um die Fluchtmöglicher Rechtsbrecher zu verhindern. Der Einsatz der Schusswaf-fe gegen eine Person, die unerlaubt die Grenze überschritten hat undsich – wie V. – der Festnahme durch die Flucht entziehen will, istnicht offensichtlich rechtsstaatswidrig (vgl. BGH, NStZ 1995, 286 =BGHR WStG § 5 Abs. 1 Schuld 1 mwN). Die für den Angekl. zurTatzeit geltende Befehlslage war – für sich genommen – nicht offen-sichtlich rechtsstaatswidrig, da sie hinreichende Anhaltspunkte füreine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte Auslegungder Vorschriften für den Schusswaffengebrauch bot. Bei der Beurtei-lung der Frage, ob das Verhalten des Angekl. aus seiner Sicht offen-sichtlich rechtswidrig war, fällt entscheidend zu seinen Gunsten insGewicht, dass er bei seinem Vorgehen gegen V. lediglich dessen Ver-letzung, nicht aber dessen Tötung billigend in Kauf nahm. Zudemhielt er sich für einen guten Schützen, und die Sichtverhältnissewaren günstig.

Da es für die Beurteilung der offensichtlichen Rechtswidrigkeit auf diedem Angekl. zur Tatzeit bekannten Umstände ankommt, kann ferner nichtaußer Betracht bleiben, dass die Lebenserfahrung des 1950 noch jungenAngekl. nach Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft von den Einflüssen inder Sowjetischen Besatzungszone und der DDR geprägt war. Der Sicherungder innerdeutschen Grenze wurde – auch aufgrund der noch von der SMADbestimmten Befehlslage – von Seiten der DDR schon zu dieser Zeit großeBedeutung beigemessen, da sie nicht nur die Staatsgrenze, sondern zugleichdie Demarkationslinie für den Ostblock bildete. Dies wirkte sich auch auf diepersönlichen Erfahrungen des Angekl. aus, der kurze Zeit vor dem Zusam-mentreffen mit V. mit Arrest bestraft worden war, weil er aus Nachsicht einenaus der Kriegsgefangenschaft kommenden Grenzverletzer aus Mitleid wie-der freigelassen hatte. Dass gerade dieser Vorgang – wie das LG meint – dieErkenntnis des Angekl. befördert haben könnte, dass der Schusswaffen-gebrauch auch gegenüber V. nicht rechtmäßig war, ist nicht nachvollziehbar.

Die Gesamtwürdigung der Umstände des Tatgeschehens belegt, dassder Schusswaffengebrauch des Angekl. gegenüber V. jedenfalls nichtoffensichtlich eine rechtswidrige Tat war. Im Ergebnis entspricht dieseWertung der inzwischen gefestigten Rspr. des BGH: Auf Schusswaffen-gebrauch, auch gegenüber unbewaffneten Grenzverletzern, der nichtmit Tötungsvorsatz einherging, wurde bisher noch in keinem Fall dieVerurteilung eines Grenzsoldaten gestützt (vgl. u.a. BGHSt 42, 65, 71;42, 356, 364). Das Verhalten des Angekl. bietet keine Besonderheiten,die eine hiervon abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten.

� 03.3 – 3/01

Tötung von Flüchtlingen durch DDR-Grenzsoldaten/Handeln auf Befehl/TötungsvorsatzBGH, Urteil vom 1. Dezember 2000 – 2 StR 337/00 (LG Mühlhausen)

StGB/DDR §§ 213, 258 Abs. 1; WStG § 5 Abs. 1

Die Tötung unbewaffneter Flüchtlinge an der innerdeutschen Grenzeauch vor dem In-Kraft-Treten des GrenzG der DDR v. 25.3.1982 istjedenfalls dann rechtswidrig und durch Befehle und Dienstvor-schriften nicht gerechtfertigt, wenn sie mit mindestens bedingtemTötungsvorsatz erfolgte und allein dem Ziel diente, die Überschrei-tung der Grenze zur Bundesrepublik zu verhindern (Bestätigung vonBGHSt 41, 101 = NJ 1995, 539; 42, 356, 362 = NJ 1997, 265; 44, 204, 209= NJ 1999, 270). (Leitsatz der Redaktion)

Anm. d. Redaktion: Das LG hatte den Angekl. wegen Totschlags zu einerFreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten mit Bewährung verurteilt.Der Angekl. war im Aug. 1962 als Postenführer im Rang eines Gefreiten derDDR-Grenztruppen bei Eisenach eingesetzt, als der später getötete J. zusam-men mit einem Bekannten am Grenzabschnitt Lauchroden/Göringen aus derDDR in die Bundesrepublik flüchten wollte. Als J. in Richtung der beiden Grenz-zäune lief, verfolgte der Angekl. ihn, forderte ihn auf stehenzubleiben und gabmehrere Warnschüsse ab. Nachdem J. bereits den ersten Zaun überkletterthatte und sich am zweiten befand, gab der Angekl. aus ca. 25 m Entfernungmit seiner Maschinenpistole eine Salve von mindestens vier Schüssen auf dieBeine des J. ab, um ihn fluchtunfähig zu machen; er nahm jedoch billigend inKauf, ihn tödlich zu verletzen. Der Angekl. war zuvor von seinem Vorgesetz-ten darauf hingewiesen worden, es handele sich bei den Flüchtlingen umStraftäter, die auf ihrer Flucht eine Frau mit einem Messer bedroht hätten;ihre Flucht über die Grenze sei unbedingt zu verhindern. J. erlitt einen Bauch-durchschuss und verstarb trotz Hilfsmaßnahmen noch am Tatort.Der BGH hat die Revision des Angekl. verworfen. Diese stützte sich darauf, derAngekl. habe nicht nur die Flucht des J. in die Bundesrublik verhindern, son-dern auch die Strafverfolgung wegen einer – angeblichen – Straftat des J. sichernwollen; der Fall sei daher mit solchen Fällen, in denen es allein um die Ver-hinderung einer Grenzverletzung ging, nicht vergleichbar. Der BGH hat dazuausgeführt, dass dieses zusätzliche Motiv des Angekl. an der offensichtlichenRechtswidrigkeit der Tötung nichts ändere; der Fall sei nicht mit den Fällendes Schusswaffeneinsatzes gegen bewaffnet fliehende Deserteure oder desSchießens auf Flüchtlinge nur mit dem Vorsatz der Körperverletzung vergleichbar.

Straf recht

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� 03.4 – 3/01

Kostenfestsetzung/sofortige Beschwerde/FristOLG Dresden, Beschluss vom 16. August 2000 – 3 Ws 12/00 (LG Chemnitz)

StPO §§ 311 Abs. 2, 464b

Die Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen einenKostenfestsetzungsbeschluss beträgt im Strafverfahren eine Woche,§§ 464b, 311 Abs. 2 StPO.

Das LG hat den Angekl. unter Überbürdung der Verfahrenskosten aufdie Staatskasse freigesprochen. Der bis zur Mandatsniederlegung am10.12.1999 als Wahlverteidiger des Angekl. tätige Ast. hat die Festset-zung von 2.489,71 DM gegen die Landeskasse beantragt.

Das LG hat 1.089,22 DM festgesetzt und den darüber hinausgehen-den Antrag als unbegründet abgewiesen. Gegen diesen ihm am 8.6.2000zugestellten Beschluss hat der Ast. mit Schreiben v. 15.6.2000, einge-gangen beim LG am 16.6.2000, Erinnerung eingelegt.

Die Kostenbeamtin des LG hat der Erinnerung nicht abgeholfen.Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Ast. hatte keinenErfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:II. … Nach § 11 Abs. 1 RpflG nF ist gegen einen Kostenfestsetzungs-beschluss in Strafverfahren nurmehr die sofortige Beschwerde statthaft.Eine Abhilfeentscheidung des Rechtspflegers kann nicht mehr ergehen.

Die sofortige Beschwerde ist jedoch unzulässig, weil sie nichtinnerhalb der mit Ablauf des 15.6.2000 endenden Wochen-Frist ein-gelegt worden ist (§§ 311 Abs. 2, 43 Abs. 1 Satz 1 StPO).

1. In Rspr. und Lehre ist umstritten, ob für die Einlegung des Rechts-mittels gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss nach § 464b Satz 3StPO entsprechend den Vorschriften der ZPO eine Frist von zweiWochen oder entsprechend den Vorschriften der StPO die Frist voneiner Woche zur Anwendung kommt.

a) Die Befürworter einer zweiwöchigen Frist gem. § 577 Abs. 2 Satz 1ZPO stützen sich darauf, dass das Beschwerdeverfahren Teil desgesamten Kostenfestsetzungsverfahrens ist und die Verweisung in§ 464b Satz 3 StPO auf die Vorschriften der ZPO daher auch diesesVerfahren und damit die dort zur Anwendung kommende Fristmit umfasst und der Gesetzgeber eine einheitliche Behandlung dergleichen Materie im Interesse der Rechtssicherheit im Zivil- undStrafprozess bezweckte (Löwe/Rosenberg-Hilger, StPO, 24. Aufl., Rn 10zu § 464b mwN, Karlsruher Komm./Franke, StPO, 4. Aufl., Rn 4 zu§ 464b; OLG Koblenz, Rpfleger 2000, 126).

b) Die Gegenmeinung gründet sich darauf, dass die nach § 464bSatz 3 StPO zu erfolgende entsprechende Anwendung der Vorschrif-ten der ZPO nur in Betracht kommt, soweit die StPO eine Lücke auf-weist; eine derartige Lücke ist jedoch nicht vorhanden, weil § 311Abs. 2 StPO die Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerdeabschließend regelt. Darüber hinaus wird zur Vermeidung von Rechts-unsicherheit die einheitliche Anwendung von Fristen im Bereich derStPO befürwortet (BayObLG, JZ 1954, 568 mwN; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 464b Rn 7).

Durch die Neufassung des § 11 RpflG durch das 3. RpflÄndG v.6.8.1998 (BGBl. I S. 2030) ist das Argument der Gegenansicht, beiAnwendung der Frist des § 311 Abs. 2 StPO komme es zu einerAufspaltung der Anfechtungsfristen insoweit, als für die Einlegung derErinnerung die Zweiwochen-Frist gelte, während für die sofortigeBeschwerde die Wochen-Frist Anwendung finde, überholt (OLGKarlsruhe, NStZ-RR 2000, 254). Gegen Entscheidungen des Rechts-pflegers ist nunmehr dasjenige Rechtsmittel gegeben, das nach all-gemeinen Vorschriften zulässig ist (§ 11 Abs. 1 RpflG). Die Frist zurGeltendmachung im Kostenfestsetzungsverfahren in Strafsachenbeträgt eine Woche (KG, Rpfleger 2000, 38; OLG Düsseldorf, Rpfleger2000, 126).

2. Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Diezivilprozessualen Vorschriften, auf deren lediglich entsprechendeAnwendung verwiesen wird, können nur insoweit Geltung beanspru-chen, als die StPO eine Regelungslücke aufweist. Diese ist wegen § 311StPO aber nicht gegeben. Darüber hinaus ist zu beachten, dass imKostenfestsetzungsverfahren das Verschlechterungsverbot gem. § 536ZPO nicht gilt. Im Gegensatz zum Kostenfestsetzungsverfahren in derZPO besteht im Verfahren nach der StPO vor dem LG auch einAnwaltszwang nicht. Schließlich wird aufgrund der gegensätzlichen– gleichrangigen – Stellung der Beteiligten im zivilprozessualen Kosten-festsetzungsverfahren der Bezirksrevisor nicht – wie im strafprozessua-len Kostenfestsetzungsverfahren – beteiligt (OLG Karlsruhe, aaO, mwN).

Für eine Verlängerung der sofortigen Beschwerdefrist von einerWoche besteht gerade im Hinblick auf die Neufassung von § 11 Abs. 1RPflG kein Bedürfnis. Im Interesse der Einheitlichkeit der Fristen fürdie sofortige Beschwerde im Strafverfahren gilt auch im Kostenfest-setzungsverfahren der StPO die Wochenfrist gem. § 311 Abs. 2 StPO.

� 03.5 – 3/01

Durchsuchung/BeschlagnahmebestätigungOLG Jena, Beschluss vom 20. November 2000 – 1 Ws 313/00 (LG Mühlhausen)

StPO §§ 96, 110

1. Benötigt die ermittelnde Stelle behördlich verwahrtes Schriftgut zuBeweiszwecken, muss sie zunächst ein Herausgabeverlangen an dieBehörde richten. Gibt diese das Schriftgut mit der Erklärung heraus,dem Verlangen vollständig entsprochen zu haben, ist dies von derermittelnden Stelle hinzunehmen.2. Die ermittelnde Stelle darf (abgesehen vom Fall, dass die Ermitt-lungen sich gegen einen Behördenangehörigen richten) die Behördezur Erlangung von Beweismitteln dann durchsuchen, wenn aufgrundvon Tatsachen zu vermuten ist, dass entgegen der BehördenerklärungBeweismittel sich in den Diensträumen befinden.3. Der ermittelnden Stelle obliegt im Rahmen der Durchsuchung,vorläufig sichergestelltes Material zu sichten. Dabei darf sie an derDurchsicht nur den in § 110 StPO genannten Personenkreis beteili-gen, zu dem der Verteidiger nicht gehört. Nach erfolgter Durchsichthat die ermittelnde Stelle dasjenige Material alsbald zurückzugeben,welches nicht beweiserheblich ist.4. Für das als Beweismittel erhebliche Material erlässt die ermittelndeStelle unter Beachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes eine Beschlag-nahmeanordnung.5. Durchsicht und Beschlagnahme obliegen ausschließlich dem Gericht,wenn dieses nach Anklageerhebung im Rahmen seiner Amtsermitt-lungspflicht die Durchsuchung vorgenommen hat. § 110 StPO begrün-det hier eine Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft weder für dieMaterialdurchsicht noch für die Beschlagnahme.

Anm. d. Redaktion: Am LG Mühlhausen findet derzeit die Hauptverhandlunggegen den früheren CD-Hersteller P. und acht weitere Angeklagte wegen Sub-ventionsbetrugs statt. Die Strafkammer hatte in diesem Zusammenhang mitBeschl. v. 26.9.2000 »die Durchsuchung des Dienstgebäudes, der Dienst-räume und der Nebengebäude der Thüringer Staatskanzlei« angeordnet undim Einzelnen aufgeführt, nach welchen Vorgängen gesucht werden sollte. DieDurchsuchung begann am 27.9.2000 unter Mitwirkung des Kammervorsit-zenden, eines Beisitzers, von zwei Staatsanwälten und drei Polizeibeamten desBKA. Dabei wurden 76 Akten und sonstige Schriftstücke sichergestellt, die nachVereinbarung mit dem Chef der Staatskanzlei in einen dann versiegeltenRaum der Staatskanzlei verbracht wurden. Auf Ersuchen der Strafkammerbegaben sich am 2.10.2000 zwei Staatsanwälte in Begleitung eines Polizei-beamten des BKA zur Staatskanzlei in Erfurt, um das dort verwahrte Materialabzuholen und in das LG Mühlhausen zu verbringen. Auf den Widerspruch desbevollmächtigten Rechtsanwalts der Staatskanzlei erklärten die Staatsanwälte,

Rechtsprechung Strafrecht

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155Neue Justiz 3/2001

die Unterlagen seien beschlagnahmt, es bestehe Gefahr im Verzug. Die Aktenwurden sodann unter erneutem Widerspruch nach Mühlhausen verbracht.Es wurde ein mit Datum v. 27.9. u. 2.10.2000 versehenes Durchsuchungs-protokoll, auf dem die mitgenommenen Akten und Schriftstücke als »beschlag-nahmt« bezeichnet sind, übergeben. Mit Beschl. v. 4.10.2000 entschied dieStrafkammer: »Die Anordnung der Staatsanwaltschaft Mühlhausen v.27.9./2.10.2000, die in der Anlage zum Durchsuchungsprotokoll v. 27.9.2000im Verzeichnis über beschlagnahmte Gegenstände unter den lfd. Nr. 1-76 näherbezeichneten Gegenstände zu beschlagnahmen, wird richterlich bestätigt.«Der Beschluss führt ferner aus: »Herrn Minister G. (Thüringer Staatskanzlei),dem Vertreter des Bundesfinanzministeriums, der Staatsanwaltschaft undsämtlichen Verteidigern wird Gelegenheit gegeben, in die Akten Einsicht zunehmen bzw. etwaige Sperrerklärungen abzugeben.« Gegen den Durchsuchungs- und den Beschlagnahmebestätigungsbeschlussrichtete sich mit dem Ziel der Aufhebung die Beschwerde des Freistaats Thürin-gen. Das OLG hat den Beschlagnahmebestätigungsbeschluss aufgehoben, dafür eine Beschlagnahme – schon gar nicht durch die Staatsanwaltschaft – nochkein Raum gewesen sei; im Übrigen wurde die Beschwerde verworfen.

04 VERWALTUNGSRECHT

� 04.1 – 3/01

Ausländerrecht/Asylverfahren/Abschiebungshindernisse/Anerkennungals politisch Verfolgter/Widerruf/RücknahmeBVerwG, Urteil vom 19. September 2000 – 9 C 12/00 (OVG Magdeburg)

GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1; AsylVfG § 73; VwVfG §§ 48, 49

1. Der Widerruf einer – rechtmäßigen oder rechtswidrigen – Aner-kennung als politisch Verfolgter (hier nach § 51 Abs. 1 AuslG) ist nach§ 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nur zulässig, wenn sich die für die Beurtei-lung der Verfolgungslage maßgeblichen Umstände nachträglicherheblich geändert haben. Eine Änderung der Erkenntnislage oderderen abweichende Würdigung genügt nicht.2. § 73 Abs. 2 AsylVfG regelt die Rücknahme einer rechtswidrigenAnerkennung nach Art. 16a GG und § 51 Abs. 1 AuslG nicht abschlie-ßend, sondern lässt Raum für eine ergänzende Anwendung des § 48VwVfG.

Problemstellung:Der Kl., ein aus dem Nordirak stammender irakischer Staatsangehöri-ger kurdischer Volkszugehörigkeit, reiste 1997 nach Deutschland einund suchte hier um Asyl nach. Im Febr. 1997 lehnte das Bundesamtfür die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Asylanerkennungab, stellte aber Abschiebungshindernisse nach § 51 Abs. 1 AuslGhinsichtlich des Irak infolge des Asylantrags in Deutschland fest.Nachdem bekannt geworden war, dass sich der Kl. Ende 1998 fürzwei Monate im Nordirak aufgehalten hatte, widerrief das Bundesamtim März 1998 die Feststellung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1AuslG und stellte auch keine Hindernisse nach § 53 AuslG fest. ZurBegründung wurde ausgeführt, die Situation im Irak habe sich grund-legend geändert. Für Kurden bestehe im Nordirak keine Verfolgungs-gefahr mehr, wie auch die vorübergehende Rückkehr des Kl. bestätige.

Das VG hob den Widerrufsbescheid auf. Das OVG hat die Berufun-gen des Bundesamts und des Bundesbeauftragten zurückgewiesen,weil der Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG den nachträglichenWegfall der eine politische Verfolgung begründenden Umständevoraussetze und eine geänderte Erkenntnislage hierfür nicht genüge.Da der Kl. schon im Febr. 1997 im Nordirak keiner Gefahr durch denirakischen Staat ausgesetzt gewesen sei und sich diese Situation seit-dem nicht wesentlich verändert habe, sei ein Widerruf nicht zulässig.Angesichts der abschließenden Regelung in § 73 AsylVfG komme eineAnwendung der §§ 48, 49 VwVfG nicht in Betracht.

Das BVerwG hat die Rechtsauffassung des OVG nicht gebilligt, dieRevisionen aber im Ergebnis zurückgewiesen.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Das BVerwG bestätigt zunächst die Auffassung der Vorinstanzen überdie Bindung des Widerrufs nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG an dennachträglichen Fortfall der Voraussetzungen für Asylanerkennungoder Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG. Dem stehe dienachträglich abweichende Beurteilung der Verfolgungslage nichtgleich, auch wenn sie auf später bekannt gewordenen oder neuerstellten Erkenntnismitteln beruhe. Eine erweiternde Auslegung seiweder aufgrund des Wortlauts und der Entstehungsgeschichte nochwegen der Systematik und des Zwecks des Gesetzes gerechtfertigt.Ob die vom Bundesamt ursprünglich getroffene Feststellung rechts-widrig gewesen sei, könne offen bleiben. § 73 Abs. 1 AsylVfG ermäch-tige und verpflichte nämlich bei einer Veränderung der Verhältnissezum Widerruf auch einer von Anfang an rechtswidrigen Anerkennung.Für § 73 Abs. 1 AsylVfG gelte uneingeschränkt derselbe Erst-Recht-Schluss wie für § 49 VwVfG im allgemeinen Verwaltungsverfahren.

Entgegen der überwiegenden Meinung in Rspr. und Schrifttum hältdas BVerwG – das bisher diese Frage ausdrücklich offen gelassen hatte –jedoch die Bestimmungen über Widerruf und Rücknahme in § 73AsylVfG nicht für abschließend und wendet daneben jedenfalls dieallgemeine Rücknahmevorschrift des § 48 VwVfG an. Wortlaut undEntstehungsgeschichte des § 73 Abs. 2 AsylVfG sprächen ebenso wenigzwingend für eine abschließende Regelung wie systematischerZusammenhang sowie Sinn und Zweck der Bestimmungen in §§ 72bis 73a AsylVfG über Aufhebung und Erlöschen.

Im Ergebnis beanstandet das BVerwG die angegriffenen Gerichts-entscheidungen nicht, weil das Bundesamt das für die Rücknahmeerforderliche Ermessen nicht ausgeübt habe und sein Rücknahme-ermessen auch nicht auf Null reduziert sei.

Kommentar:Die Entscheidung des BVerwG ist in zweierlei Hinsicht von allgemei-nem Interesse: Zum einen verdeutlicht sie das Verhältnis zwischenAsylverfahrensrecht und allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht,zum anderen erinnert sie an die tatsächlichen Lebensverhältnisse derkurdischen Bevölkerung im Nordirak, die dem Irak seit Jahren zueinem Spitzenplatz unter den Herkunftsländern und den irakischenAsylbewerbern zu einer überdurchschnittlichen Anerkennungsquoteverhilft.

1. Die Anerkennung als Asylberechtigter (nach Art. 16a GG) oder alsausländischer Flüchtling (nach § 51 Abs. 1 AuslG oder im Auslandnach der Genfer Flüchtlingskonvention) erlischt kraft Gesetzes beiErfüllung der Tatbestände des § 72 Abs. 1 AsylVfG (für die ausländischeAnerkennung iVm § 73a Abs. 1 AsylVfG), vor allem bei Inanspruch-nahme des Schutzes des Heimatstaats. Widerruf und Rücknahme derinländischen Anerkennung sowie Entziehung der ausländischenZuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind für bestimmte Fällezwingend vorgeschrieben (§§ 73 Abs. 1 u. 2, 73a Abs. 2 AsylVfG). Sieobliegen dem Präsidenten des Bundesamts und nicht dem weisungs-unabhängigen Bediensteten, der zur Entscheidung über Asylanträgeberufen ist. Falls der Status des Asylberechtigten oder Konventions-flüchtlings auf einem dieser Wege erloschen oder unwirksam gewor-den ist, verliert der als politisch Verfolgter anerkannte Ausländerdamit noch nicht automatisch sein Aufenthaltsrecht in Deutschland.Über den Fortbestand der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis oder derAufenthaltsbefugnis (§§ 68, 70 AsylVfG) entscheidet vielmehr diezuständige Ausländerbehörde nach Ermessen im Rahmen einesWiderrufsverfahrens (§ 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG).

Ob unter diesen besonderen Umständen die allgemeinen Vor-schriften der §§ 48, 49 VwVfG über Widerruf und Rücknahme nachErmessen auch im Asylverfahren anwendbar sind, konnte bisher

Straf recht

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Neue Justiz 3/2001156

zweifelhaft erscheinen. Für die Rücknahme ist diese Frage nunmehrgeklärt und für den Widerruf, folgt man den Grundsätzen des BVerwG,wohl ebenfalls zu bejahen. Damit ergeben sich jedoch Zweifel an derStimmigkeit des Gesamtsystems in folgenden Punkten: Verhältnis dermateriellen Erlöschens- und Aufhebungsgründe zueinander; Bindungund Schranken des Rücknahme- und Widerrufsermessens; Beschrän-kung der Weisungsfreiheit der Entscheider durch Zuständigkeit desLeiters des Bundesamts und damit verbundene Zugriffsmöglichkeitdes Bundesinnenministeriums; Beteiligung und Klagebefugnis desBundesbeauftragten trotz weisungsgebundener Entscheidung.

2. Die durch die Vereinten Nationen verfügte und durchgesetzteBeschränkung der Hoheit des irakischen Staats über den Nordirakerschwert die Feststellung der dort herrschenden tatsächlichenMachtverhältnisse und vor allem der Zugangsmöglichkeiten ohneBerührung des übrigen irakischen Staatsgebiets. Hinzu kommenalliierte Luftangriffe, wiederholtes Eindringen türkischer Truppen,Machtkämpfe zwischen den rivalisierenden kurdischen Parteien undeine nicht unbeträchtliche Rückkehr von Flüchtlingen. Die unterdiesen Bedingungen asylrelevanten Tatsachen sind nicht nur schwerdurchschaubar, sondern auch ständigem Wechsel unterworfen.Gerade deshalb muss es bei einer späteren Überprüfung eines Asylbe-scheids Schwierigkeiten bereiten, zwischen nachträglicher Änderungder asylerheblichen Sachlage einerseits und einer Überprüfung anhandneuer Entwicklungen in der Rspr. oder neuer oder nachträglich vor-gebrachter Erkenntnismittel zu unterscheiden. Zumindest im Rahmendes Rücknahmeermessens wird dem Bundesamt insoweit eine nähereAufklärung nicht erspart bleiben können.

3. Zehn Jahre nach In-Kraft-Treten des neuen Ausländerrechtszeigen sich – nicht zuletzt aufgrund nur teilweiser Klärungen durch dasBVerwG – so viele Unklarheiten und Ungereimtheiten im Verhältniszwischen Asyl- und Aufenthaltsrecht, zwischen den unterschiedlichenRechtsstellungen politisch Verfolgter und bei den Zuständigkeitenvon Bundesamtsleiter, Entscheider und Bundesbeauftragten, dass derRuf nach einem klärenden Wort des Gesetzgebers hier nicht alsunangemessen angesehen werden sollte.

Literaturhinweis:Göbel-Zimmermann, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 1999, S. 221 f.,Rn 381 ff.; Renner, Ausländerrecht in Deutschland, 1998, S. 593 ff.,Rn 7/77 ff.

VorsRiVGH Dr. Günter Renner, Melsungen

� 04.2 – 3/01

Vermögensrecht/Bodenreformeigentum/Rückübertragung/russischeRehabilitierungsbescheinigung/zuteilungsfähiger Erbe/redlicher ErwerbBVerwG, Urteil vom 19. Oktober 2000 – 7 C 91/99 (VG Chemnitz)

VermG §§ 1 Abs. 7, 4 Abs. 2; EGBGB Art. 233 §§ 11 Abs. 2 Satz 1, 12Abs. 3

Der gem. Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 1, § 12 Abs. 3 EGBGBzuteilungsfähige Erbe eines Bodenreformeigentümers kann sichgegenüber dem Restitutionsbegehren eines nach § 2 Abs. 1 VermGBerechtigten auf den Ausschlussgrund des § 4 Abs. 2 VermG berufen,wenn der Erblasser bei der Zuteilung des Bodenreformeigentumsredlich gewesen ist.

Die Kl. begehren als Erben nach ihren Eltern die vermögensrechtlicheRückübertragung von zwei Flurstücken.

Der Vater der Kl., Alfred H., war Inhaber einer landwirtschaftlichenHofstelle und Eigentümer eines Buchgrundstücks, das aus insges.13 Flurstücken bestand, darunter den hier streitigen. Der Vater der Kl.wurde 1947 durch ein Sowjetisches Militärtribunal zu zehn JahrenZwangsarbeitslager unter Einziehung seines Vermögens verurteilt.

Er verstarb während der Haft im Jahre 1948. Erben waren zu je 1/4seine Ehefrau sowie die Kl., die ihrerseits Erben ihrer 1962 verstorbenenMutter sind.

Nach der Verurteilung des Vaters hatte ein Vertreter der Militär-kommandantur das bewegliche und unbewegliche Vermögen im April1947 dem Landratsamt S. übergeben. Das Grundstück wurde demBodenfonds zugeführt und als Bodenreformland verteilt. Die streitigenFlurstücke von rd. 10 ha Größe mit dem Wohnhaus und einem Teilder Wirtschaftsgebäude erhielt der Vater des Beigeladenen. Dieserwurde 1948 in das Grundbuch eingetragen. Er war ab 1960 Mitgliedeiner LPG und verstarb 1981. Erben zu je 1/2 waren seine Ehefrau undder Beigeladene. Die Rechtsnachfolgerin der LPG bestätigte der Witwe,sie sei ebenfalls von 1969 bis 1990 Mitglied der LPG gewesen. DerErblasser blieb zunächst als Eigentümer im Grundbuch eingetragen.1993 erfolgte die Umschreibung des Eigentums auf den Beigeladenenund seine Mutter. Die Mutter des Beigeladenen verstarb 1998. IhrAlleinerbe ist der Beigeladene.

Den Antrag der Kl. auf Rückübertragung des Grundstücks lehnte derBekl. ab, weil das Grundstück auf besatzungshoheitlicher Grundlageenteignet worden sei.

Die Kl. erhoben Widerspruch. Während des Widerspruchsverfah-rens legten sie eine »Bescheinigung über die erfolgte Rehabilitierung«,ausgestellt von der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Födera-tion, vor. Die Bescheinigung hat in deutscher Übersetzung folgendenWortlaut:

Der deutsche Staatsbürger H., Alfred, geboren im Jahre ..., Geburtsort T.…, wurde am … 1946 ohne ersichtlichen Grund verhaftet und aus politi-schen Motiven am … 1947 vom Kriegsgericht der Sowjetischen Militär-administration des Landes Sachsen gemäß § 58-14 Strafgesetzbuch derRSFSR zu zehn Jahren Zwangsarbeitslager unter Einziehung seiner per-sönlichen Habe verurteilt. Die Strafe wurde verbüßt in den Lagern derStädte Stollberg, Kassberg, Chemnitz, Bautzen. Er verstarb am … 1948.Der Ort seiner Bestattung ist in der Akte nicht ausgewiesen. Auf der Grundlage des § 3 des Gesetzes der Russischen Föderation »Überdie Rehabilitierung von Opfern politischer Repressalien« v. 18.10.1991wird Herr H., Alfred, rehabilitiert.

Durch einen daraufhin erlassenen Teilgrundlagenbescheid stellte derBekl. fest, dass der Erbengemeinschaft nach Alfred H. wegen desEigentumsverlustes an den streitigen Flurstücken ein Anspruch aufEntschädigung zustehe. Den Antrag auf Rückübertragung der Flur-stücke lehnte der Bekl. ab: Die Erbengemeinschaft sei zwar BerechtigteiSd § 3 Abs. 1 iVm § 1 Abs. 7 VermG. Die Rückübertragung derFlurstücke sei jedoch wegen redlichen Erwerbs des Voreigentümers derjetzigen Eigentümer ausgeschlossen.

Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage der Kl. wiesdas VG ab: Die Rückübertragung der Flurstücke sei gem. § 1 Abs. 8Buchst. a VermG ausgeschlossen. Sie seien auf besatzungsrechtlicherGrundlage enteignet worden. Die Kl. könnten sich nicht gem. § 1Abs. 7 VermG auf die Rehabilitierung ihres Vaters berufen. DerRehabilitierungsbescheinigung sei nicht zu entnehmen, dass auch derVermögensverlust als rechtsstaatswidrig angesehen werde und nachdem Willen der entscheidenden Stelle keinen Bestand mehr habensolle. Aber auch dann, wenn man das Vorliegen einer schädigendenMaßnahme bejahe, sei die Rückübertragung ausgeschlossen, weil indiesem Falle der Rechtsvorgänger des Beigeladenen die Flurstückeredlich erworben habe.

Die Revision der Kl. hatte Erfolg; sie führte zur Aufhebung des Urteilsund Zurückverweisung der Sache an das VG.

Aus den Entscheidungsgründen:II. … Die Kl. sind Berechtigte iSv § 2 Abs. 1 VermG, denn die von ihnenvorgelegte russische Rehabilitierungsbescheinigung erfüllt die Vor-aussetzungen des § 1 Abs. 7 VermG (1). Das den Gegenstand desRechtsstreits bildende Restitutionsbegehren ist jedoch – entgegen derAuffassung der Revision – nur begründet, wenn sich der Beigeladeneals Verfügungsberechtigter nicht auf den zu seinen Gunsten wirken-

Rechtsprechung Verwaltungsrecht

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157Neue Justiz 3/2001

den Ausschlussgrund des redlichen Erwerbs gem. § 4 Abs. 2 VermGstützen kann. Hierzu lassen die bislang festgestellten Tatsachen eineabschließende Entscheidung nicht zu (2). …

1. Die Berechtigung der Kl. gem. § 2 Abs. 1 VermG ergibt sich aus§ 1 Abs. 7 VermG, denn die von ihnen vorgelegte Rehabilitierungs-bescheinigung genügt den Anforderungen dieser Vorschrift. Nach § 1Abs. 7 VermG gilt das VermG entsprechend für die Rückgabe von Ver-mögenswerten, die im Zusammenhang mit der nach anderen Vorschrif-ten erfolgten Aufhebung rechtsstaatswidriger straf-, ordnungsstraf-oder verwaltungsrechtlicher Entscheidungen steht.

Die Bestimmungen des Ges. der Russischen Föderation über dieRehabilitierung von Opfern politischer Repressionen sind »andereVorschriften« iSd § 1 Abs. 7 VermG (BVerwG, Urt. v. 17.5.2000, VIZ2000, 526 [527] = NJ 2000, 499 [Leits.] ). …

Rehabilitierungen nach dem Ges. der Russischen Föderation überdie Rehabilitierung von Opfern politischer Repression eröffnen denAnwendungsbereich des § 1 Abs. 7 VermG nur dann, wenn es sich umeine Enteignung oder sonstige Vermögensentziehung handelt, diedurch Gerichte, Verwaltungsbehörden oder sonstige staatliche Stellender Sowjetunion (als der Rechtsvorgängerin der Russischen Födera-tion) selbst verfügt wurden. Es reicht nicht aus, wenn eine deutscheStelle eine eigene vermögensentziehende Maßnahme getroffen hat,bei der sie an die zwar rechtsstaatswidrige, aber selbst noch nichtvermögensentziehende Entscheidung sowjetischer Stellen angeknüpfthat, wegen welcher der Betroffene später rehabilitiert wurde (BVerwG,Urt. v. 25.2.1999 – 7 C 9/98 – BVerwGE 108, 315 [321 f.]; das mit gleich-lautender Begründung ergangene Urteil im Parallelverfahren 7 C 8/98 istabgedr. in NJ 1999, 275).

Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Dem Rechtsvorgänger der Kl. istdas streitige Grundstück ebenso wie sein gesamtes übriges Vermögenunmittelbar durch das Urteil des Sowjetischen Militärtribunals ent-zogen worden. Er ist nach dem Urteilsausspruch, wie die Rehabili-tierungsbescheinigung ihn wiedergibt, zu zehn Jahren Zwangsarbeitunter Einbeziehung seiner persönlichen Habe verurteilt worden. Inden vorhandenen Unterlagen deutscher Stellen aus jener Zeit wird derGrundbesitz des Vaters der Kl. durchweg als Vermögen behandelt, dasaufgrund eines Urteils eines Sowjetischen Militärtribunals eingezogenworden ist. Das Grundstück ist in einer besonderen Liste aufgeführt,welche nur die Grundstücke von solchen Personen erfasste, derenVermögen durch Gerichte der Besatzungsmacht im Zusammenhangmit einer strafrechtlichen Verurteilung eingezogen worden war. Indem Protokoll über die Übergabe des Vermögens von der Militärkom-mandantur an das Landratsamt wird das Vermögen als bereits enteig-net bezeichnet.

Der den Kl. erteilten Rehabilitierungsbescheinigung ist entgegen derAuffassung des VG im Wege der Auslegung unschwer zu entnehmen,dass die in Rede stehende Vermögensentziehung als unbegründetepolitische Verfolgung angesehen wird und daher keinen Bestand mehrhaben soll (vgl. dazu BVerwGE 104, 279 [289] = NJ 1997, 497 [bearb.v. Kittke]; E 108, 315 [322]; BVerwG, VIZ 2000, 526 [527]). Sie gibt dasUrteil des Sowjetischen Militärtribunals mit dem Straftatbestand,wegen dessen der Vater der Kl. verurteilt wurde, und mit der verhäng-ten Strafe wieder. Sie erwähnt ausdrücklich die neben der verhängtenFreiheitsstrafe ausgesprochene Vermögenseinziehung. Die Vermögens-einziehung bildete nach dem zugrunde gelegten Straftatbestand einein diesen Fällen mögliche und wohl auch regelmäßig verhängteNebenstrafe. Die Vermögenseinziehung war Teil des Strafausspruchs.Diese Verurteilung wird ohne Einschränkung dahin gekennzeichnet,sie sei aus politischen Motiven erfolgt. Hieran anknüpfend spricht dieBescheinigung in ihrem Entscheidungssatz wiederum ohne Einschrän-kung die Rehabilitierung des Vaters der Kl. aus. Die Bescheinigungenthält keinen Zusatz, dass sich die Rehabilitierung auf die Freiheits-strafe beschränken und die zugleich damit verhängte Vermögens-einziehung nicht umfassen soll. Gegenstand der Rehabilitierung ist

damit die zuvor dargestellte Verurteilung. Anders als der Bekl. undder Beigeladene meinen, trennt die Rehabilitierungsbescheinigungersichtlich nicht zwischen der (unverbindlichen) Schilderung deshistorischen Sachverhalts einerseits und dem eigentlichen, für denUmfang der Rehabilitierung allein verbindlichen Rehabilitierungs-ausspruch andererseits. Die Wiedergabe des Urteils, die als Bewertungbereits den Hinweis auf die politischen Motive der Verurteilung ent-hält, legt vielmehr die Maßnahmen fest, auf die sich der anschließendeRehabilitierungsausspruch bezieht.

2. Der aus der Berechtigung der Kl. gem. § 3 Abs. 1 VermG folgendeAnspruch auf Rückübertragung des Eigentumsrechts an den in Redestehenden ehem. Bodenreformgrundstücken kann jedoch dem … Ein-wand eines redlichen Erwerbs gem. § 4 Abs. 2 VermG ausgesetzt sein.

Ein solcher redlicher Erwerb ist hier nicht bereits aus Rechtsgründenausgeschlossen. Der Beigeladene hat – ebenso wie seine im Jahre 1998verstorbene Mutter – das Eigentum an den ehem. Bodenreformgrund-stücken geerbt. Dieser Erwerb ging zwar ursprünglich über einetatsächliche Chance nicht hinaus. Er ist jedoch durch das Ges. überdie Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreformv. 6.3.1990 (GBl. I S. 134) zu Volleigentum erstarkt. Damit ist einRestitutionsanspruch ausgeschlossen, wenn – erstens – dieses Eigentumnicht dem Auflassungsanspruch eines Besserberechtigten gem.Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB ausgesetzt ist und – zweitens – der Erb-lasser bei der Zuteilung des Bodenreformeigentums seinerseits redlichiSd genannten Vorschrift gewesen ist. Dies ergibt sich aus folgendenErwägungen:

a) Bodenreformeigentum ist Eigentum iSd § 4 Abs. 2 VermG. Es warzwar infolge der ihm eigenen personenbezogenen Verpflichtungen,Bindungen und Verfügungsbeschränkungen substantiell ausgehöhlt.Trotz dieser innewohnenden rechtlichen Beschränkungen hatte dasBodenreformeigentum aber einen vermögenswerten Inhalt (BVerwGE99, 82 [84] = NJ 1995, 661).

Das Eigentum an Bodenreformgrundstücken konnte auf den Erben desBodenreformeigentümers übergehen. Dessen Eigentumserwerb vollzogsich zunächst nicht allein nach den Bestimmungen des bürgerlichenErbrechts. Diese Bestimmungen wurden vielmehr durch die Vorschriftender Besitzwechselverordnungen überlagert. Nach der hier einschlägigenVO über die Durchführung des Besitzwechsels bei Bodenreformgrund-stücken v. 7.8.1975 – BesitzwechselVO 1975 – (GBl. I S. 629) trat der Erbenur dann in die mit dem Bodenreformgrundstück verbundenen Rechteund Pflichten ein, wenn er Mitglied einer LPG oder Arbeiter der Land-,Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft und darüber hinaus in der Lage war,das Grundstück zweckentsprechend zu nutzen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 iVm § 1BesitzwechselVO 1975). Mehrere Erben hatten sich innerhalb einer vomRat des Kreises festgelegten Frist darüber zu einigen, welchem Erben dasBodenreformgrundstück »übertragen« werden sollte (§ 4 Abs. 1 Satz 2BesitzwechselVO 1975). Waren die Voraussetzungen für eine Übertragungnicht gegeben, war das Bodenreformgrundstück in den staatlichen Boden-fonds zurückzuführen (§ 4 Abs. 3 BesitzwechselVO 1975). Demnach setzteder Eigentumserwerb des Erben die (erneute) staatliche Übertragung desBodenreformgrundstücks an ihn persönlich oder (bei Alleinerben) diestaatliche Zustimmung zu seinem Erwerb voraus. Den Erben wuchs dasEigentum an einem Bodenreformgrundstück mithin bei Eintritt desErbfalls nur belastet mit einer Pflicht zur Rückgabe an den Bodenfonds zu.Mit der staatlichen Übertragung oder Zustimmung trat der Erbe desNeubauern in dessen Rechtsposition als Bodenreformeigentümer ein (vgl.BVerwGE 95, 170 [174] = NJ 1994, 426). Bis zu dieser Entscheidung desStaates hatte der Erbe (oder bei mehreren Erben einer von ihnen) lediglichdie tatsächliche Aussicht oder bestenfalls, insbes. nach § 4 Abs. 1 Besitz-wechselVO idF der 2. VO über die Durchführung des Besitzwechsels beiBodenreformgrundstücken v. 7.1.1988 (GBl. I S. 25), einen Rechtsanspruchauf Erwerb des Eigentums an dem Bodenreformgrundstück (BVerwG,Urt. v. 29.8.1996 – Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 23 = NJ 1997, 55 [Leits.] ).

Hiermit stimmt die Rspr. des BGH im Ergebnis überein. Der BGHnimmt an, mit dem Tod eines Begünstigten aus der Bodenreform seienseine Erben Eigentümer der dem Begünstigten aus der Bodenreformzugewiesenen Grundstücke geworden (BGHZ 140, 223 = NJ 1999,203). Der BGH hebt ebenfalls hervor, das kraft erbrechtlicher Nach-folge erworbene Eigentum habe öffentlich-rechtlichen Bindungenunterlegen. Die Rechtsstellung der Erben habe sich tatsächlich in der

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Aussicht eines von ihnen erschöpft, das Eigentum an den Boden-reformgrundstücken durch einen Verwaltungsakt übertragen zu erhal-ten oder aufgrund eines solchen Verwaltungsakts behalten zu können.

b) Eine solche bloß tatsächliche Aussicht hätte – unbeschadet ihresErwerbs durch Erbgang – kein tauglicher Anknüpfungspunkt für einenRedlichkeitsschutz nach § 4 Abs. 2 VermG sein können. Dieses Hin-dernis ist jedoch durch das bereits erwähnte Ges. v. 6.3.1990 beseitigtworden. Mit seinem In-Kraft-Treten wurden alle Verfügungsbeschrän-kungen aufgehoben, die für Grundstücke aus der Bodenreform galten.Für das Recht zum Besitz und zur Nutzung solcher Grundstücke sowiezur Verfügung über sie galten fortan die Bestimmungen des ZGB.Das Bodenreformeigentum erstarkte zum Volleigentum (vgl. BVerfGE84, 90 [99] = NJ 1991, Sonderh., I).

Das 2. VermRÄndG hat durch Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 1EGBGB diesen Erwerb unter der Voraussetzung als endgültig bestätigt,dass der Erbe bei Ablauf des 15.3.1990 zuteilungsfähig war. Unterdieser Voraussetzung wirkt Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EGBGBebenso als Bestätigung des Erwerbs wie in den Fällen der Nr. 1 dieserVorschrift, in denen der im Grundbuch eingetragene Bodenreform-eigentümer bei Ablauf des 15.3.1990 noch lebte. Art. 233 § 11 Abs. 2EGBGB stellt den Erwerb durch den eingetragenen Bodenreform-eigentümer und den Erwerb durch dessen zuteilungsfähige Erbenhinsichtlich der zivilrechtlichen Rechtsbeständigkeit gleich.

Ein solcher Vollerwerb ist, was die Anwendung des § 4 Abs. 2 VermGangeht, als Erwerb kraft Erbfolge anzusehen, denn er beruht auf derErbenstellung, die mit dem Ges. v. 6.3.1990 ihrer öffentlich-recht-lichen Überlagerung entkleidet worden ist, durch Art. 233 § 11 Abs. 2Satz 1 Nr. 2 Fall 1 EGBGB ihre Bestätigung erfahren hat und in diesemSinne auf den Zeitpunkt des Erbfalls »zurückwirkt«.

In diesen Fällen verlangt der sozialverträgliche Ausgleich, den dasVermG u.a. mit § 4 Abs. 2 VermG anstrebt, dem Bestandsinteresse desErben des Bodenreformeigentümers den Vorrang vor dem Restitu-tionsinteresse des Alteigentümers einzuräumen, nicht anders als inden Fällen des Erwerbs von unbeschränktem Eigentum im Wege derErbfolge.

c) Dem Erben kommt ein redlicher Erwerb nicht zugute, wennBesserberechtigte iSd Art. 233 § 12 Abs. 2 EGBGB vorhanden sind.Anderenfalls würden Fälle dem Schutzbereich des § 4 Abs. 2 VermGzugeordnet, in denen ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fort-bestand der erworbenen Rechtsposition unter Geltung gerade derRechtsordnung der DDR nicht bestand. Zudem würde in diesen Fällender Ausschluss der Restitution nach § 4 Abs. 2 VermG letztlich zuguns-ten des Besserberechtigten wirken, der Eigentum erstmals durch dieAuflassung nach Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB erwirbt und sich fürdiesen rechtsgeschäftlichen Erwerb nach In-Kraft-Treten des VermGweder auf eigene Redlichkeit noch auf eine solche des früheren Boden-reformeigentümers berufen könnte. Damit käme der Restitutions-ausschluss auch dem besserberechtigten Landesfiskus als demNachfolger des Bodenfonds zugute, in den bei einer Nachzeichnungder Besitzwechselentscheidungen das Bodenreformgrundstück hättezurückgeführt werden müssen. Diese Wertungswidersprüche beste-hen unabhängig davon, ob Ansprüche nach Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGBauf unentgeltliche Auflassung des Grundstücks geltend gemacht,durchgesetzt oder nach Art. 233 § 14 EGBGB inzwischen verjährt sind.Dementsprechend kommt es auch nur auf das Vorhandensein einesBesserberechtigten an, nicht aber darauf, ob er seinen Auflassungs-anspruch geltend gemacht hat.

Dieses Ergebnis steht nicht in Widerspruch zu der Rspr., die demErben eines Bodenreformeigentümers die Berechtigtenstellung iSd§ 2 Abs. 1 VermG in den Fällen abspricht, in denen das Bodenreform-eigentum Gegenstand einer schädigenden Maßnahme iSd § 1 VermGgewesen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.8.1996 – Buchholz 428 § 2 VermGNr. 23 = NJ 1997, 55 [Leits.] ; Beschl. v. 27.1.2000 – Buchholz 428 § 2VermG Nr. 42). Diese Rspr. knüpft wesentlich daran an, dass sich die

Rechtsstellung der Erben tatsächlich in der Aussicht eines von ihnenerschöpft hat, das Eigentum an dem Bodenreformgrundstück durcheine staatliche Entscheidung übertragen zu erhalten oder aufgrundeiner solchen Entscheidung behalten zu können. Das Ges. v. 6.3.1990hat diese Überlagerung zwar aufgehoben. War aber das Grundstückzuvor in das Eigentum des Volkes überführt gewesen, wie dies in denSchädigungsfällen des § 1 VermG der Fall ist, kam das Ges. v. 6.3.1990und daran anknüpfend Art. 233 § 11 Abs. 2 EGBGB dem ursprüng-lichen Bodenreformeigentümer und dessen Erben nicht mehr zugute.Das Ges. v. 6.3.1990 begünstigte nur solche natürlichen Personen, dieals Eigentümer von Bodenreformgrundstücken im Grundbuch stan-den. Eine Privatisierung volkseigener Grundstücke aus der Boden-reform war nicht Gegenstand dieses Gesetzes (vgl. BVerwG, Beschl.v. 27.1.2000, aaO).

d) Soweit danach die Vorschrift des § 4 Abs. 2 VermG zugunsten desErben eines Bodenreformeigentümers eingreift, ist für den Redlich-keitsschutz, wie stets bei einem Erwerb durch Erbfolge, auf den vor-angegangenen Erwerb durch den Erblasser abzustellen (vgl. BVerwG,Beschl. v. 14.2.1997 – Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 39 = NJ 1997, 381),dem das Bodenreformeigentum ursprünglich zugeteilt wurde. DieseZuteilung konnte redlichen Erwerb begründen, denn § 4 Abs. 2 Satz 1VermG erfasst nicht nur den Erwerb durch ein zweiseitiges Rechts-geschäft. Das ergibt sich unmittelbar aus der Vorschrift selbst. Sieschließt die Rückübertragung eines Vermögenswertes aus, wenn anihm ein dingliches Nutzungsrecht (redlich) erworben wurde. Ding-liche Nutzungsrechte an volkseigenen Grundstücken wurden nichtdurch Rechtsgeschäft erworben, sondern durch staatlichen Hoheitsaktverliehen (§ 287 ZGB). Für die Anwendbarkeit des § 4 Abs. 2 Satz 1VermG kommt es entscheidend darauf an, ob der Erwerbsvorgangseiner Art nach die Prüfung der Redlichkeit des Erwerbers zulässt(BVerwG, Beschl. v. 14.2.1997, aaO; Beschl. v. 27.2.1995 – Buchholz428 § 4 VermG Nr. 16). Wie bei der Verleihung eines dinglichenNutzungsrechts musste der Erwerber bei der Zuteilung von Boden-reformland mitwirken. Seine Redlichkeit bei dieser Mitwirkung kanngeprüft werden (BVerwG, VIZ 2000, 526 [527] = NJ 2000, 499 [Leits.] ).

e) Der Beigeladene und seine Mutter sind aufgrund von Art. 233 § 11Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 EGBGB als Eigentümer in das Grundbucheingetragen worden. Ob sie für das streitige Grundstück zuteilungs-fähig waren, hat das VG nicht weiter geprüft. Daher ist der Rechtsstreitzur Nachholung der dazu erforderlichen Feststellungen an das VGzurückzuverweisen. Das VG wird insbes. den Einwendungen weiternachzugehen haben, welche die Kl. gegen die Zuteilungsfähigkeit desBeigeladenen und seiner Mutter erhoben haben. Dabei kann gem.Art. 233 § 12 Abs. 2 EGBGB zwischen dem Wohnhaus und den für dieLand- oder Forstwirtschaft genutzten Grundstücken zu unterscheidensein.

Sollten der Beigeladene und/oder seine Mutter für die streitigen Flur-stücke zuteilungsfähig gewesen sein, kommt es für den Restitutions-ausschluss auf die Redlichkeit des Vaters des Beigeladenen bei derZuteilung des Bodenreformeigentums an. Das VG hat sich mit dieserFrage zwar befasst, aber nur eine vorläufige Einschätzung nachAktenlage abgegeben. Es wird vor allem dem Hinweis der Kl. nach-gehen müssen, der Vater der Beigeladenen habe nicht zu dem Kreis derPersonen gehört, denen Land aus dem Bodenfonds zuzuteilen war.Nach der VO über die landwirtschaftliche Bodenreform v. 10.9.1945(Amtl. Nachr. Sachsen, S. 28) sollte das Land aus dem Bodenfondsvergeben werden an bereits bestehende Bauernhöfe unter 5 ha Größe,an landlose Bauern, Landarbeiter und kleine Pächter sowie an Umsied-ler und Flüchtlinge (Art. I Nr. 2 Buchst. a-c). Der Vater des Beigela-denen arbeitete nach Angaben der Kl. als Strumpfwirker. Arbeitern undAngestellten konnten zum Zwecke des Gemüseanbaus kleine Grund-stücke (Parzellen) zur Verfügung gestellt werden. Die Zuweisung einerHofstelle von hier 10 ha Größe war für sie jedenfalls nach dem Wort-laut der Bestimmungen nicht vorgesehen.

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Die Kl. haben weiter vorgetragen, bereits vor der Übergabe des Grund-stücks von der sowjetischen Militärverwaltung an deutsche Stellen, jeden-falls vor Ausschreibung des Grundstücks zur Verteilung habe der dama-lige Vorsitzende der Kreisbodenkommission den Besitz mit dem Vater desBeigeladenen abgeschritten, offenbar zum Zwecke späterer Zuteilung andiesen. Der Vater des Beigeladenen sei ebenso wie der Vorsitzende derOrtsbodenkommission Mitglied der SED gewesen. Nach Umzug auf dieentzogene Hofstelle habe der Vorsitzende der Kreisbodenkommission dieWohnung der Familie des Beigeladenen übernommen. Der Vater desBeigeladenen habe, wenn überhaupt, sich erst am letzten Tag um die Ver-gabe von Land aus dem entzogenen Grundbesitz beworben. Ihm seiensofort die jetzt streitigen Flurstücke, für die andere Bewerbungen vorlagen,zugeteilt worden. Sollte der Vater des Beigeladenen nicht zu dem Per-sonenkreis gehört haben, die für die Zuteilung einer Neubauernstelle inBetracht kamen, könnten die weiteren Umstände die Vergabe einersolchen Siedlerstelle an ihn als sittlich anstößige Manipulation und damitseinen Erwerb als unredlich erscheinen lassen.

� 04.3 – 3/01

Vermögensrecht/Restitutionsanspruch/Anmeldung/WirksamkeitBVerwG, Urteil vom 18. Oktober 2000 – 8 C 13/99 (VG Meiningen)

VermG §§ 1 Abs. 1 Buchst. b, 30, 30a; BGB §§ 133, 164, 167

1. Bei Verletzung gesetzlicher Auslegungsregeln durch das Tatsachen-gericht kann das Revisionsgericht die Auslegung einer Willenserklä-rung selbst vornehmen, wenn weitere tatsächliche Feststellungennicht erforderlich sind (Bestätigung der bish.Rspr.)2. Von einer wirksamen Bevollmächtigung zur Anmeldung eines ver-mögensrechtlichen Anspruchs ist auszugehen, wenn die Auslegungdes Anmeldeschreibens einschließlich der darin in Bezug genomme-nen Schriftstücke ergibt, dass der Rechtsinhaber hinter der Anmel-dung der Rückerstattungsforderung steht.

Anm. d. Redaktion: Siehe dazu auch BVerwG, Urt. v. 24.6.1999, NJ 1999,609 (bearb. v. Schmidt).

� 04.4 – 3/01

Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme/Abgrenzung von Sanierungs-maßnahmen/GemeindebefugnisseBVerwG, Beschluss vom 2. November 2000 – 4 BN 51/00 (OVG Berlin)

BauGB § 165

Die Gemeinde ist befugt, ein baulich genutztes sanierungsbedürftigesGebiet, das innerhalb eines größeren, grundlegend neu zu struk-turierenden Bereichs liegt, in den Bereich einer Entwicklungsmaß-nahme gem. § 165 BauGB einzubeziehen. Ob die Gemeinde in einemsolchen Gebiet Sanierungsmaßnahmen gem. § 136 ff. BauGB aufgrundeiner Sanierungssatzung durchführt oder das Gebiet in den größerenZusammenhang einer Entwicklungsmaßnahme (hier: Entwicklungs-maßnahme Rummelsburger Bucht in Berlin) einbezieht und in diesemRahmen die erforderlichen städtebaulichen Maßnahmen (der Anpas-sung, § 170 BauGB) in Angriff nimmt, obliegt – im Rahmen der gesetz-lichen Voraussetzungen – ihrer Entscheidung (im Anschl. an BVerwG,Urteil v. 3.7.1998 – 4 CN 5/97 – Buchholz 406.11 § 165 BauGB Nr. 4 =DVBl 1998, 1294 = NVwZ 1999, 407 = NJ 1999, 100 [bearb. v. Battis]).

� 04.5 – 3/01

Versorgungsanspruch/Beamter/ruhegehaltfähige Dienstzeit/Nichtbe-rücksichtigung von in der DDR zurückgelegten Zeiten/GleichheitssatzBVerwG, Urteil vom 16. November 2000 – 2 C 23/99 (OVG Lüneburg)

BeamtVG §§ 12, 12b Abs. 1, 67 Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 1, 33 Abs. 5

§ 12 Abs. 1 BeamtVG, wonach Ausbildungszeiten und andere Vor-zeiten, die der Beamte vor dem 3.10.1990 in der ehem. DDR zurück-

gelegt hat, bei Erfüllung bestimmter rentenrechtlicher Voraussetzun-gen nicht als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden, istverfassungsgemäß.

Anm. d. Redaktion: Der Kl. des Verfahrens hatte von 1965-1970 an der Hum-boldt-Universität zu Berlin studiert und war danach an einem Institut tätig,wo er promovierte und sich habilitierte. Zum 1.4.1994 wurde er als Univer-sitätsprofessor in den Niedersächsischen Landesdienst übernommen. Die Bekl.erkannte die nach dem 3.10.1990 liegenden Zeiten in vollem Umfang und diedavor liegenden Zeiten für die Promotion im Umfang von zwei Jahren alsruhegehaltfähig an. Die auf die Anerkennung auch der weiteren vor dem3.10.1990 liegenden Zeiten gerichtete Klage des Kl. blieb in allen Instanzenerfolglos; seine Revision wurde vom BVerwG zurückgewiesen. Das BVerwG hat dazu ausgeführt: »Nach § 12b Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 iVm§ 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG ist die Mindestzeit der vorgeschriebenenAusbildung einschl. der üblichen Prüfungszeit, die der Beamte vor dem3.10.1990 im Beitrittsgebiet zurückgelegt hat, nicht ruhegehaltfähig, soferndie allgemeine Wartezeit für die gesetzliche Rentenversicherung erfüllt ist.Unter diesen Voraussetzungen bleiben gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2iVm § 67 Abs. 2 BeamtVG auch die dort genannten Zeiten unberücksichtigt… Entgegen der Auffassung der Revision ist § 12b BeamtVG mit Art. 33 Abs. 2GG vereinbar. Der Anspruch auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amtnach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung wird nicht durch dieErwartung unterschiedlich hoher Versorgungsbezüge beeinträchtigt … § 12bBeamtVG steht im Einklang mit Art. 3 Abs. 1 GG … Der Besitz einer aufDienstzeiten in der ehem. DDR beruhenden und in die Rentenversicherungübergeleiteten rentenrechtlichen Versorgungsanwartschaft ist ein zulässigerDifferenzierungsgrund.«

� 04.6 – 3/01

Beamtenrecht/Konkurrentenklage/Berücksichtigung schwerbehin-derter BewerberOVG Magdeburg, Beschluss vom 30. Mai 2000 – B 3 S 391/99 (OVG Mag-deburg)

GG Art. 3 Abs. 3 Satz 2, 33 Abs. 2; SchwbG § 50 Abs. 1;BG LSA § 8 Abs. 1; PersVG LSA §§ 8, 44 Abs. 6; VwGO §§ 121, 123

1. Zur Zulässigkeit eines Antrags auf Abänderung eines einstweiligenAnordnungsbeschlusses sowie zu den Voraussetzungen einer Abän-derung.2. Die Zuständigkeit des OVG für das Abänderungsverfahren istjedenfalls dann gegeben, wenn in einem Konkurrentenstreit eineHauptsache noch nicht anhängig ist und das OVG selbst die einst-weilige Anordnung erlassen hat.3. Dem Rechtsbehelf eines Mitbewerbers gegen eine (verfahrens-)feh-lerhafte Auswahlentscheidung kann dadurch abgeholfen werden,dass entweder eine (verfahrens-)fehlerfreie Auswahlentscheidung imRahmen des Widerspruchsverfahrens erfolgt oder aber ein sog.überholender (Zweit-)Bescheid erlassen wird, mit dem eine emeuteAuswahlentscheidung getroffen wird.4. Es steht im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn, ob er imRahmen des Widerspruchsverfahrens bzw. anlässlich des Erlasseseines überholenden (Zweit-)Bescheids aktuelle dienstliche Beurtei-lungen einholt und bei freigestellten Personalratsmitgliedern eineneuerliche (fiktive) Nachzeichnung der letzten dienstlichen Beurtei-lung vornimmt, wie sie im Hinblick auf §§ 8, 44 Abs. 6 Satz 1 PersVGLSA geboten ist. Es sind hierbei allerdings die einschlägigen Verwal-tungsvorschriften zu berücksichtigen, soweit hierdurch das Ermessengebunden wird.5. Die nach §§ 8, 44 Abs. 6 PersVG gebotene Nachzeichnung desberuflichen Werdegangs freigestellter Personalratsmitglieder bein-haltet nach ihrem Zweck und ihrer Rechtsnatur keine dienstlicheBeurteilung im Sinne laufbahnrechtlicher Vorschriften. Sie ist dem

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Neue Justiz 3/2001160

Betroffenen – anders als dienstliche Zeugnisse im förmlich ausgestat-tenen Beurteilungsverfahren – nicht zu eröffnen und zur Personalaktezu nehmen. Allerdings ist ihm zur Nachzeichnung im Rahmen einesAuswahlverfahrens vor der Personalentscheidung rechtliches Gehörzu gewähren.6. Eine einmal erfolgte Nachzeichung hat keinen dienstrechtlichenBestand. Neuere (aktuelle) Nachzeichnungen müssen daher nicht aufden Feststellungen in vorausgegangenen Nachzeichnungen »auf-bauen« bzw. hinsichtlich des (fiktiven) Leistungsbildes »fortgeschrie-ben« werden; sie werden vielmehr jeweils anlassbezogen vorgenom-men, wobei als Bezugsgröße stets die letzte ,»reguläre« (planmäßige)Beurteilung heranzuziehen ist. Im Hinblick auf den Regelungsgehaltdes § 8 Satz 1 PersVG LSA erscheint indessen fraglich, ob die Nach-zeichnung zu einer Verschlechterung des Leistungsbildes gegenüberden durch die letzte (Regel-)Beurteilung ausgewiesenen Leistungenführen darf.7. Die nach § 11 Abs. 3 LVO LSA, § 25 Abs. 2 SchwbG iVm Ziff. 7.1 u. 7.2des Fürsorgeerlasses LSA und Ziff.5.7 der BeurteilungsAV LSA erfor-derliche Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei der Erstel-lung dienstlicher Beurteilungen ist bei der Nachzeichnung der Leis-tungen eines freigestellten Personalratsmitglieds nicht veranlasst.8. Gelangt die zur Auswahlentscheidung berufene Stelle aufgrunddes anzustellenden Leistungsvergleichs zu dem Ergebnis, dass meh-rere Bewerber nach Eignung, Leistung und fachlicher Leistung für dasBeförderungsamt »im Wesentlichen gleich« geeignet sind bzw. nurein »geringfügiger Beurteilungsunterschied« besteht, so könnenneben dem Leistungsprinzip auch sonstige Auswahlkriterien zumZuge kommen. Dies gilt – ungeachtet der in diesen Fällen bestehen-den Förderungsaufgabe des Dienstherrn – auch bei einer Konkurrenzmit einem schwerbehinderten Bewerber. Vielmehr ist im konkretenEinzelfall eine sachgerechte Ermessensentscheidung zu treffen, ohnedass der Umstand der Schwerbehinderung zugleich eine Ermessens-bindung im Sinne eines leistungsbezogenen Differenzierungsverbotsbewirkt.

Problemstellung:Dieser Beschluss ändert im vorläufigen Rechtsschutzverfahren einenBeschluss des OVG aus dem Jahr 1998 ab: Auf eine Konkurrentenklagehin wurde damals dem jetzigen Ast. vorläufig zugunsten des iSd § 1SchwbG behinderten Ag. untersagt, die damalige (nichtbehinderte)Beigeladene zu befördern. Beide Bewerber hatten in dienstlichenBeurteilungen dieselbe Notenstufe erreicht.

Problematisch an dem abändernden Beschluss ist, ob das Gericht beider summarischen Prüfung die behördliche Ermessensausübungzutreffend überprüft und dabei insbes. die Schwerbehinderteneigen-schaft des Ag. auch in der verfassungrechtlichen Dimension ausrei-chend gewürdigt hat.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Der Antrag auf Abänderung der einstweiligen Anordnung von 1998(die Hauptsache ist noch nicht anhängig) hat Erfolg, weil sich dieSachlage nachträglich aufgrund aktueller dienstlicher Beurteilungenbzw. Nachzeichnungen (§§ 8, 44 Abs. 6 PersVG LSA) der beiden Bewer-ber so verändert habe, dass der Anordnungsgrund entfallen sei und dieBehörde eine neue Entscheidung zugunsten der damaligen Beige-ladenen habe treffen können. Dies könne entweder durch Erlass einesüberholenden Zweitbescheides – wie hier – oder durch eine neueAuswahlentscheidung im Rahmen des Widerspruchsverfahrensgeschehen. Ferner lägen keine durchgreifenden rechtlichen Mängelder Auswahlentscheidung, insbes. keine Verletzung der Beförderungs-grundsätze, vor, wenngleich das Gericht in verfahrensrechtlicherHinsicht (§ 45 VwVfG LSA) einige Bedenken aufzeigt. Der Senat führtaus, grundsätzlich stehe die Entscheidung im behördlichen Ermessen;hinsichtlich der hierzu nach Art. 33 Abs. 2 GG, § 8 Abs. 1 Satz 2 BG

LSA erforderlichen Beurteilung habe die Behörde einen Beurteilungs-spielraum. Allerdings seien die Kriterien des § 8 Abs. 1 BG LSA insoweitbindend, als die Auswahl allein aufgrund eines auf aktuellen Ein-schätzungen basierenden Leistungsvergleichs stattfinden dürfe. Nurwenn mehrere Bewerber »im Wesentlichen gleich geeignet« seien,könnten sonstige sachliche Kriterien berücksichtigt werden.

Ob aber ein geringfügiger oder deutlicher Unterschied in der Beur-teilung mehrerer Bewerber vorliegt, sei eine Einzelfallentscheidung,bei der ein besonderes Gewicht auf eine aktuelle dienstliche Beurtei-lung, zu deren Bewertung dann auch frühere Beurteilungen hinzuzu-ziehen sind, liege, so dass hier auf die aktualisierten Einschätzungendes Ag. und der damaligen Beigeladenen abzustellen sei. Weiter ist dasOVG der Ansicht, die von dem Ag. vorgetragenen Bedenken gegen diebeiden Beurteilungen – sie beruhen auf sachfremden Erwägungen, derDienstherr und die Schwerbehindertenvertretung hätten angehörtwerden müssen – griffen nicht durch.

Die Überprüfung falle auch dann zu Lasten des Ag. aus, wenn diefür ihn nachteilige letzte Nachzeichnung unberücksichtigt bleibe.Denn die Bewerber seien trotz gleicher aktueller Benotung mit »sehrgut« nicht im Wesentlichen gleich geeignet, da die damalige Beige-ladene aufgrund weiterer Beurteilungsmerkmale und Zwischennotenin der Gesamtschau einen Leistungsvorsprung habe. Zudem verfügesie über – in der Ausschreibung allerdings nicht verlangte – Zusatz-kenntnisse. Selbst wenn sie aber gleich geeignet wären, sei dieEntscheidung nicht fehlerhaft, da die Auswahl der zusätzlichen Krite-rien im behördlichen Ermessen liege. Grundsätzlich begrenze dasSozialstaatsgebot, das sich auch in der Fürsorge des Dienstherrn fürSchwerbehinderte manifestiert, das in Art. 33 GG, § 8 BG LSAnormierte Leistungsprinzip. Dabei wirke das »Benachteiligungs-verbot« als strikte Ermessensgrenze, die hier jedoch nicht berührt sei,da es sich um eine Förderung Schwerbehinderter handele und dieBindung insofern schwächer sei. Die Auswahl sei nicht immer dannermessensfehlerhaft, wenn sie zuungunsten eines behindertenBewerbers ausfalle, denn die Schwerbehinderteneigenschaft sei wederAuswahlkriterium noch leistungsbezogenes Differenzierungsverbot.Andernfalls müsste der Dienstherr das mit der Stellenbesetzung zuerreichende Verwaltungsziel hinter die Förderung Schwerbehinderterzurückstellen.

Kommentar:Die Entscheidung ist vor allem hinsichtlich der Würdigung der recht-lichen Stellung des behinderten Ag. bedenklich. Grundsätzlichzutreffend ist die Darstellung der eingeschränkten gerichtlichen Über-prüfung dienstrechtlicher Beurteilungen (BVerwGE 21, 127, 129; 60,245; 97, 128, Anm. Schnellenbach, ZBR 1995, 237; OVG Münster,DÖD 1997, 43; OVG Koblenz, NVwZ-RR, 1993, 420; VGH München,ZBR 1994, 84; Wind/Schimana/Wichmann, Öffentliches Dienstrecht,4. Aufl. 1988, S. 227 ff.). Hier liegt die Konstellation zweier nach denGrundsätzen des Art. 33 Abs. 2 GG, § 8 BG LSA als im Wesentlichengleich geeignet beurteilten Bewerber vor. In diesen Fällen führt derBeurteilungsspielraum zwangsläufig dazu, die Entscheidung aufweitere Kriterien, die grundsätzlich im behördlichen Ermessen stehen,zu stützen. Allerdings gilt dies nur dann, wenn sich nicht aus anderengleich- oder höherrangigen Normen eine Rangfolge in der Anwen-dung und Gewichtung der zusätzlichen Kriterien ergibt. ZugunstenBehinderter liegt eine Wertentscheidung des Gesetzgebers in demRegelungsgehalt des hier anwendbaren SchwbG. Auch aus § 50 Abs. 1SchwbG folgt, dass das Gesetz für den öffentlichen Dienst unmittel-bar gilt. Der öffentliche Dienst soll eine Vorbildfunktion bei Beschäf-tigung und Förderung Behinderter einnehmen, denn das größteHindernis für die nach § 50 Abs. 1 SchwbG gebotene Beschäftigungund Förderung Schwerbehinderter sind die gesetzlichen Bestim-mungen des Beamtenrechts (vgl. Cramer, SchwbG, 5. Aufl., § 50 Rz 5;Neumann/Pahlen, SchwbG, 8. Aufl., § 50 Rz 5).

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Da allerdings gesetzlich nicht fixiert wird, wie diese besondereBerücksichtigung Behinderter realisiert werden soll, erfolgt eineKonkretisierung auf bundes- und landesrechtlicher Ebene durch auchin der Entscheidung angesprochene »Fürsorgeerlasse« (für Sachsen-Anhalt durch Richtlinie v. 12.2.1997, MBl. S. 612); diese sehen denVorrang schwerbehinderter Bewerber bei entsprechender Qualifika-tion vor. Zwar handelt es sich um Verwaltungsvorschriften, die somitkeine unmittelbare Außenwirkung haben, allerdings gilt dies nicht fürdie insoweit ohnehin der Gesetzeslage entsprechenden Bestimmung,Schwerbehinderte bei ansonsten gleicher Qualifikation bei Einstellungund Beförderung zu bevorzugen. Da Beurteilungen für die Beförderungeine entscheidende Bedeutung haben, müssen die Fürsorgeerlasse demRechnung tragen und Mindestanforderungen für die Berücksichtigungder Behinderung angeben.

§ 1 LVO LSA (VO über die Laufbahnen der Beamten im LandSachsen-Anhalt v. 15.8.1994, GVBl. LSA S. 920) nennt daher als Beför-derungskriterien allein die in § 8 Abs. 1 BG LSA normierten. Für dieBeurteilung Schwerbehinderter wird dies in § 11 allerdings dahin-gehend korrigiert, dass bei der Beurteilung eine behinderungsbedingteMinderung der Arbeitsleistung zu berücksichtigen ist (BVerwGE 26, 8;BVerwG, ZBR 1988, 219; OVG Münster, ZBR 1986, 365; VG Berlin,DÖD 1992, 67; OVG Lüneburg, PersV 73, 52; Schröder/Lemhöfer/Krafft, Laufbahnrecht, Rz 15 zu § 13 BLV; Schnellenbach, DienstlicheBeurteilung, 2. Aufl., Rz 331). Insofern wirkt das Benachteiligungs-verbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG durchaus als leistungsbezogenesDifferenzierungsverbot. Ob zudem – wie das Gericht meint – aufgrunddieser Rechtslage die Verwaltungsziele hintangestellt werden müssen,erscheint mehr als fraglich, jedenfalls ist die Wertentscheidungzugunsten Behinderter mit dem SchwBG, der GG-Änderung 1994 undauch durch die Entscheidungen des Landesgesetzgebers in Sachsen-Anhalt intendiert.

Hier ist nicht die Berücksichtigung der Behinderung strittig, wohlaber die mögliche Einschränkbarkeit des Leistungsprinzips. Geradeim öffentlichen Dienst ist § 14 SchwBG wegen des Übermaßverbots,des Sozialstaatsgebots und Art. 3 Abs. 1 GG so auszulegen, dass beigrundsätzlich wesentlich gleicher Qualifikation ein Schwerbehin-derter auch befördert werden muss (GK SchwbG-Großmann, § 14Rz 147, 149).

Damit ist der Ermessensspielraum zugunsten eines mindestens annä-hernd gleichqualifizierten schwerbehinderten Bewerbers beschränkt,so dass nur die Einstellung dieses Bewerbers als sachlich allein richtigeEntscheidung in Betracht kommen kann (Kanz, Schwerbehinderten-eigenschaft und Arbeitsrecht, Berlin (West) 1978, S. 6; GK SchwbG-Großmann, § 50 Rz 195 mwN). Die Schwerbehinderteneigenschaft istsomit nicht nur ein beliebiges zusätzliches Kriterium, sondern von derBehörde zwingend zu berücksichtigen. Eine Ausnahme kann sich nurdaraus ergeben, dass andere – gleichrangige – Normen die Verpflich-tung zur Berücksichtigung auch anderer benachteiligter Gruppen(hier: Frauen) anordnen. Diesen Aspekt hat das Gericht jedoch garnicht in Erwägung gezogen. Allerdings würde in diesem Fall auch dieRegelung des § 44 SchwBG greifen.

Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG wird ebenfalls nicht gewürdigt: Eine Behin-derung darf kein negatives Differenzierungskriterium darstellen, lässtsehr wohl aber eine positive Differenzierung – auch im Kontext desArt. 33 Abs. 2 GG – zu. Dies ergibt sich zudem aus der grundlegendenEntscheidung des BVerfG zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (NJW 1998, 131,132). Die vom Gericht angenommene schwächere Bindung hinsicht-lich der Förderung bezieht sich nicht primär auf die positive Diffe-renzierung, sondern auf aus dem Benachteiligungsgebot folgendeoriginäre Leistungansprüche.

Schließlich hat das OVG Art. 38 der Landesverfassung, der eineStaatszielbestimmung und einen Förderauftrag zugunsten Behinderternormiert, unberücksichtigt gelassen.

Dr. Bettina Theben, Humboldt-Universität zu Berlin

� 04.7 – 3/01

Baugenehmigungsfiktion/BauantragsunterlagenOVG Greifswald, Beschluss vom 4. August 2000 – 3 L 241/99 (VG Greifswald)

LBauO M-V § 63 Abs. 7

1. Eine Baugenehmigungsfiktion nach § 63 Abs. 7 LBauO kann nichteintreten, wenn die Bauantragsunterlagen in einem entscheidendenPunkt nicht vollständig eingereicht worden sind.2. Jedenfalls dann, wenn die vorgelegten Bauantragsunterlagen ineiner solchen Weise defizitär sind, dass sich das Bauvorhaben in ent-scheidenden Punkten nach ihnen nicht hinreichend sicher bestimmenlässt (hier: fehlende Schnitte der Gebäude), bedarf es keines behörd-lichen Hinweises auf die Unvollständigkeit, um den Eintritt der Fiktionzu verhindern.

Problemstellung:Der Kl. stellte den Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung fürdie Errichtung von zwei Fertigteilbungalows als Ferienwohnungen.Mehr als drei Monate nach Eingang des Bauantrags lehnte der Bekl.die Erteilung der Baugenehmigung ab, weil das Vorhaben im Außen-bereich liege und öffentliche Belange beinträchtige. Nach Ansicht desBekl. sei die Genehmigungsfiktion nach § 63 LBauO nicht eingetreten,da die Antragsunterlagen unvollständig seien und insbes. nicht eindeu-tig erkennen ließen, welche Dachform die Vorhaben haben sollten.

Auf den Widerspruch des Kl. hob der Bekl. seinen Ablehnungs-bescheid auf, nahm mit Wirkung für die Vergangenheit die durchFiktion als erteilt geltende Baugenehmigung zurück und lehnte denBauantrag ab. Der Bekl. vertrat die Auffassung, die Baugenehmigungs-fiktion sei trotz der Mängel der Bauvorlagen eingetreten, da der Kl. überletztere nicht informiert wurde. Die Baugenehmigung sei abzulehnen,weil im Außenbereich Ferienhäuser nach § 35 Abs. 1 BauGB nichtprivilegiert und damit unzulässig seien, denn ihre Ausführung undBenutzung beeinträchtige öffentliche Belange iSd § 35 Abs. 2 u. 3 BauGB.

Die gegen den Widerspruchsbescheid gerichtete Klage wies das VGim Wesentlichen ab. Nach dessen Ansicht sei die Genehmigungs-fiktion zwar eingetreten, dem Vorhaben ständen aber öffentlich-recht-liche Vorschriften entgegen.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Das OVG sah den Kl. nicht als in seinen Rechten verletzt. Die Bau-genehmigungsfiktion, die Gegenstand einer Rücknahmeentscheidunghätte sein können, sei – entgegen der Auffassung des VG – nicht nach§ 63 Abs. 7 LBauO eingetreten, da der Kl. die Bauantragsunterlagennicht vollständig eingereicht hätte. Entgegen § 3 Abs. 2 Nr. 3 Bau-PrüfVO habe er den Unterlagen nicht die Schnitte beigefügt, die dieHöhe des Fußbodens, die Geschoßhöhe und die lichten Raumhöhensowie die Dachneigungen darstellten. Es fehlten zudem die Ansichtenaus allen vier Himmelsrichtungen und die Ansichten der Dachform.Auch enthalte der Antrag keine Baubeschreibung iSv § 4 BauPrüfVO.

Nicht entscheidend sei, dass die Baubehörde den Kl. auf die Unvoll-ständigkeit nicht hingewiesen habe. Die vom Kl. vorgelegten Unter-lagen seien derart defizitär, dass sich das Bauvorhaben in entschei-denden Punkten nicht hinreichend sicher bestimmen lasse. Jedenfallsin einem solchen Fall bedürfe es keines behördlichen Hinweises auf dieUnvollständigkeit, um den Eintritt der Fiktion zu verhindern.

Im Übrigen sei die Baugenehmigung nicht zu erteilen, da Aus-führung und Benutzung des im Außenbereich gelegenen Vorhabensöffentliche Belange iSd § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtige.

Kommentar:Vor dem Hintergrund der Ausführungen des OVG, vor allem aber imHinblick auf den Wortlaut des § 63 Abs. 7 LBauO kann die erst-

Verwaltungsrecht

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Neue Justiz 3/2001162

instanzliche Entscheidung, mit der angenommen wurde, dass dieGenehmigungsfiktion eingetreten sei, nicht überzeugen. Schon diegesetzlichen Regelungen lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschenübrig. In § 63 Abs. 7 Satz 1 LBauO M-V heißt es unzweideutig:

»Über den Bauantrag ist innerhalb von drei Monaten nach Eingangdes vollständigen Antrags zu entscheiden; die Bauaufsichtsbehördekann diese Frist aus wichtigem Grund um bis zu einem Monat ver-längern. Die Genehmigung gilt als erteilt, wenn über den Bauantragnicht innerhalb der nach Satz 1 maßgeblichen Frist entschieden wor-den ist.«

Schon der Gesetzestext weist, ohne dass es eines großen Argumen-tationsaufwandes bedarf, darauf hin, dass nur ein vollständiger Antragdie Drei-Monats-Frist auslöst. Läuft die Frist also nicht an, wenn derAntrag unvollständig ist, so kann der Fristablauf eine Genehmigungnicht fingieren. Selbst für eine Differenzierung zwischen dem Fehlenwesentlicher und unwesentlicher Angaben im Bauantrag oder zwi-schen erfolgten oder unterbliebenen Hinweisen der Genehmigungs-behörde lässt § 63 Abs. 7 LBauO keinen Raum. Die Entscheidung desOVG bestätigt die klare Rechtslage, die bereits nach dem Wortlaut desGesetzes besteht.

Rechtsanwalt Dr. Christian-W. Otto, Berlin

05 ARBEITSRECHT

� 05.1 – 3/01

Beamtenbesoldung im Beitrittsgebiet/»Mobilitäts-Zuschuss«/Befähi-gungsvoraussetzungen/Dienstordnungs-AngestellterBAG, Urteil vom 24. Februar 2000 – 6 AZR 611/98 (LAG Mannheim)

BBesG § 73; 2. BesÜV §§ 2, 4; GG Art. 3

Der Begriff der Befähigungsvoraussetzungen in § 4 der 2. BesÜVbetrifft die Vor- und Ausbildungsvoraussetzungen einer Laufbahn.Diese müssen alle in den alten Bundesländern erworben sein. Diesfolgt aus dem Zweck der Norm.

Anm. d. Redaktion: Mit seiner Entscheidung folgt der Senat der Auffassungdes BVerwG (BVerwGE 101, 116 = NJ 1996, 651, Urt. v. 11.3.1999, NJ1999, 604 [bearb. v. Fassbender], Urt. v. 20.1.2000, NJ 2000, 267).A.A. LAG Halle, Urt. v. 31.3.1999 (Revision eingelegt), NJ 2000, 220 (bearb.v. Fassbender).

� 05.2 – 3/01

Fristlose Kündigung/personalvertretungsrechtliches Mitbestimmungs-verfahren/Zwei-Wochen-FristBAG, Urteil vom 8. Juni 2000 – 2 AZR 375/99 (LAG Berlin)

BGB § 626 Abs. 2; PersVG Bln §§ 79 ff.; SchwbG § 21 Abs. 5

1. § 21 Abs. 5 SchwbG 1986 ist analog anzuwenden, wenn vor Aus-spruch einer außerordentlichen Kündigung ein personalvertretungs-rechtliches Mitbestimmungsverfahren wie das in §§ 79 ff. PersVG Blngeregelte Verfahren durchzuführen ist (Bestätigung von BAGE 43, 368).2. Hat der Arbeitgeber innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGBsowohl die erforderliche Zustimmung des Personalrats beantragt alsauch bei verweigerter Zustimmung das weitere Mitbestimmungs-verfahren eingeleitet, so kann demgemäß die Kündigung auch nachAblauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgen, wenn sie unverzüglichnach Erteilung der Zustimmung erklärt wird.3. Es reicht nicht aus, dass der Arbeitgeber lediglich kurz vor Ablaufder Zwei-Wochen-Frist beim Personalrat die Zustimmung zur Kündi-gung beantragt und nach Ablauf der Frist bei verweigerter Zustim-mung das weitere Mitbestimmungsverfahren einleitet.

� 05.3 – 3/01

Zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung/Verschaffungs-anspruch/Austritt aus einer kommunalen ZusatzversorgungskasseBAG, Urteil vom 29. August 2000 – 3 AZR 201/00 (LAG Rostock)

BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen; BAT/BAT-O § 46; TV über die Versorgung der Arbeitnehmer kommunaler Verwaltun-gen und Betriebe (VersTV-G) § 5 Abs. 2 Buchst. b

1. § 46 BAT/BAT-O gibt den nach dem Versorgungstarifvertrag ver-sicherungspflichtigen Arbeitnehmern einen Anspruch auf Verschaf-fung einer Versorgung nach Maßgabe des Versorgungstarifvertragsund der Satzung der Zusatzversorgungskasse. Er richtet sich zwar inerster Linie darauf, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in derZusatzversorgungskasse versichert. Geschieht dies nicht, kann derArbeitnehmer aber zumindest verlangen, dass der Arbeitgeber ihmdie tarifvertraglich geschuldete Zusatzversorgung selbst verschafftoder in anderer Weise für eine nach Art und Umfang gleiche Versor-gung sorgt. Auch insoweit handelt es sich um einen insolvenz-geschützten tarifvertraglichen Erfüllungsanspruch.2. Die Versicherungspflicht bei einer öffentlich-rechtlichen Zusatz-versorgungskasse kann nach § 5 Abs 2 Buchst. b VersTV-G dannentfallen, wenn der Arbeitnehmer eine Anwartschaft oder einenAnspruch auf lebenslängliche Versorgung und Hinterbliebenen-versorgung hat. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn derArbeitgeber eine Versorgung außerhalb des Versorgungstarifvertragsunter Einschaltung einer Unterstützungskasse verspricht, die zudemalternativ Alterskapital oder eine wertgleiche monatlich lebensläng-lich zahlbare Altersrente sowie nur im Falle des Todes des Arbeit-nehmers während der aktiven Dienstzeit ein einmalig zu zahlendesHinterbliebenenkapital vorsieht.

Problemstellung:Streitig ist die Verpflichtung der Bekl., die Kl. nach dem 1.1.1999 inder Kommunalen Zusatzversorgungskasse Mecklenburg-Vorpommern(ZMV) zu versichern oder ihr jedenfalls im Versorgungsfall die Ver-sorgungsleistungen zu verschaffen, die ihr zustünden, wenn sie bei derZMV versichert worden wäre.

Die Kl. ist seit dem 1.9.1983 bei der Bekl. und ihrer Rechtsvorgän-gerin beschäftigt. Beide Parteien sind tarifgebunden. Das Arbeitsver-hältnis bestimmt sich nach dem BAT-O und den diesen ergänzenden,ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen. Nach § 46 BAT-O habenArbeitnehmer einen Anspruch auf Versicherung unter eigener Betei-ligung zum Zwecke einer zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenen-versorgung nach Maßgabe eines besonderen Tarifvertrags. Seit dem1.1.1997 findet auch im Beitrittsgebiet der TV über die Versorgung derArbeitnehmer kommunaler Verwaltungen und Betriebe v. 6.3.1967(VersTV-G) Anwendung. Danach ist der Arbeitnehmer vorbehaltlichder §§ 5 u. 6 bei der kommunalen Zusatzversorgungseinrichtungzu versichern. Die Parteien streiten darüber, ob diese Pflicht desArbeitgebers nach § 5 Abs. 2b VersTV-G durch eine andere Form derVersorgung ersetzt worden ist. Die maßgebliche Tarifvorschrift lautet:

Ȥ 5 Ausnahmen von der Pflicht zur Versicherung

(2) Nicht zu versichern ist ferner ein Arbeitnehmer, der …b) nach einem Tarifvertrag, einer Ruhelohnordnung oder einer entspre-chenden Bestimmung für den Fall der Dienstunfähigkeit oder des Errei-chens einer Altersgrenze eine Anwartschaft oder einen Anspruch aufeine vom Arbeitgeber zu gewährende lebenslängliche Versorgung undHinterbliebenenversorgung auf der Grundlage des nach der Regelungruhegeldfähigen Arbeitsentgelts und der Dauer der Dienstjahre,Betriebszugehörigkeit oder dgl. hat oder …«

Der Streit der Parteien wurde dadurch ausgelöst, dass die Bekl. ihreMitgliedschaft in der ZMV zum 31.12.1998 gekündigt hatte. Für dieZeit ab dem 1.1.1999 meldete die Bekl. die Kl. ebenso wie ihre sonsti-gen Beschäftigten bei der Unterstützungskasse für Krankenhäuser in

Rechtsprechung Verwaltungsrecht

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163Neue Justiz 3/2001

Mecklenburg-Vorpommern e.V. (UMVK) an. Nach dem Leistungsplander Unterstützungskasse wird die Versorgungsleistung wahlweise inForm einer Einmalzahlung oder einer wertgleichen, lebenslänglichzahlbaren monatl. Altersrente gewährt. Darüber hinaus verspricht dieKasse »während der aktiven Dienstzeit des Begünstigten ein einmaligzu zahlendes Hinterbliebenenkapital im Falle seines Todes und einemonatliche Rente im Falle der Dienstunfähigkeit«. Die Begünstigtenhaben nach dem Leistungsplan keinen Rechtsanspruch auf Versor-gungsleistungen.

Im Nov. 1998 unterzeichnete die Kl. eine Formularerklärung, in deres u.a. heißt:

»Auf die bisherige Zusage aus der ZVK-Versorgung verzichte ich hiermitausdrücklich. Die Versorgung im Rahmen der UMVK tritt an die Stelleder am 31.12.1998 beendeten Zusatzversorgung im Rahmen der Zusatz-versorgungskasse Mecklenburg-Vorpommern, die nicht weitergeführtwerden kann. Mit dem Abschluss einer Rückdeckungsversicherung auf mein Lebenbin ich einverstanden. Die Beitragsleistung erfolgt ausschließlich durchmeinen Arbeitgeber.«

Mit ihrer Klage verlangt die Kl., dass die Bekl. die Versicherung bei derZMV fortsetzt. Die bei der UMVK abgeschlossene Kapitallebensver-sicherung unterscheide sich grundsätzlich von der Versicherung in derKommunalen Zusatzversorgung.

AG und LAG haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Bekl. war teilweise begründet.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Die Bekl. sei entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht ver-pflichtet, die Kl. entsprechend ihrem Hauptantrag in der ZMV tatsäch-lich zu versichern. Dies sei der Bekl. aufgrund der Beendigung ihrerMitgliedschaft in der ZMV unmöglich. § 46 BAT-O gebe zwar – eben-so wie § 46 BAT – nach seinem Wortlaut einen Anspruch auf Versi-cherung. Die Bekl. könne diese Verpflichtung jedoch nicht erfüllen.Voraussetzung für eine Versicherung von Arbeitnehmern bei der ZMVsei die Mitgliedschaft der Arbeitgeberin in dieser Zusatzversorgungs-kasse (§ 14 Abs. 2 der ZMV-Satzung). Die Bekl. sei aber seit dem1.1.1999 nicht mehr Mitglied der ZMV. Die Bekl. könne auch nichteinseitig die Voraussetzungen für eine Versicherung der Kl. schaffen.Sie könne die Mitgliedschaft nicht durch bloßen Beitritt wiedererlan-gen. Erforderlich sei vielmehr eine Aufnahme der Bekl. in die Zusatz-versorgungskasse, über die die ZMV nach pflichtgemäßem Ermessenzu entscheiden hat (§ 11 Abs. 1 der Satzung).

Die Bekl. sei aber entsprechend dem Hilfsantrag der Kl. verpflichtet,diese im Versorgungsfall so zu stellen, als wäre sie in der ZMV versi-chert gewesen. Nach st.Rspr. des BAG ergebe sich aus § 46 BAT bzw.BAT-O für die nach Versorgungstarifvertrag versicherungspflichtigenArbeitnehmer ein Anspruch gegen ihren Arbeitgeber auf Verschaf-fung einer Versorgung nach Maßgabe des Versorgungstarifvertragsund der Satzung der Zusatzversorgungskassen (vgl. nur BAGE 79, 236,249 f.; 82, 193; 91, 73, 75). Bei diesem Verschaffungsanspruch handelees sich um einen tarifvertraglichen Erfüllungsanspruch. Er richte sichzwar in erster Linie darauf, dass der Arbeitgeber den versicherungs-pflichtigen Arbeitnehmer in der Zusatzversorgungskasse versichert.Geschehe dies aber nicht, ändere dies nichts daran, dass der Arbeit-nehmer weiterhin einen tarifvertraglichen Erfüllungsanspruch hat.Er könne zumindest verlangen, dass der Arbeitgeber die tarifvertraglichgeschuldete Zusatzversorgung selbst verschafft oder in anderer Weisefür eine nach Art und Umfang gleiche Versorgung sorgt.

Die Pflicht, die Kl. nach Maßgabe der Versorgungstarifverträge fürden öffentlichen Dienst zu versichern, bestehe jedenfalls deshalbweiter, weil die Zusatzversorgung über die UMVK keinen Versorgungs-anspruch gebe, der den Mindestanforderungen des § 5 Abs. 2 Buchst. bVersTV-G genüge. Die Bestimmung verlange, dass den Arbeitnehmernein Anspruch auf Versorgung eingeräumt wird. Der Leistungsplan dervon der Bekl. eingeschalteten Unterstützungskasse schließe einen

Rechtsanspruch auf die in Aussicht gestellten Versorgungsleistungenaber gerade aus, wie dies für eine Unterstützungskasse typisch ist.Zwar habe das BAG in st.Rspr. auch bei einer Versorgung unter Ein-schaltung einer Unterstützungskasse über den Wortlaut der Versor-gungsrichtlinien und den Wortgebrauch des Gesetzgebers (vgl. nur§§ 1 Abs. 4, 2 Abs. 4, 4 Abs. 2 BetrAVG) hinaus einen Rechtsanspruchgegen eine Unterstützungskasse anerkannt. Dieser Anspruch könnejedoch schon aus sachlichen Gründen widerrufen werden (BAGE 46,80, 90; 61, 273). Wenn die Tarifvertragsparteien in § 5 Abs. 2 Buchst. bVersTV-G demgegenüber den Begriff des Anspruchs verwenden, ver-langen sie einen der Rechtsposition gegenüber einer öffentlich-recht-lichen Zusatzversorgungskasse gleichwertigen Anspruch. Diesen gebeeine Unterstützungskasse schon wegen der leichteren Abänderbarkeitihrer Richtlinien nicht.

Der Leistungsplan der UMVK erfülle die Voraussetzungen des § 5Abs. 2 Buchst. b VersTV-G darüber hinaus auch deshalb nicht, weil erkeinen Anspruch auf lebenslängliche Versorgung und Hinterbliebe-nenversorgung gebe. Ein Anspruch auf lebenslängliche Versorgung iSdTarifvertrags werde nur dann begründet, wenn die Versorgung regel-mäßig durch Rentenzahlung erfolge, wie dies nach dem VersTV-G undder Satzung der Zusatzversorgungskasse der Fall sei. Nur dann sei dieErfüllung der von den Tarifvertragsparteien angestrebten sozialpoli-tischen Ziele sichergestellt. Der Leistungsplan der UMVK sehe dem-gegenüber eine Versorgung durch Zahlung eines Alterskapitals oderdessen wertgleiche Verrentung vor.

Da es sich bei dem Verschaffungsanspruch der Kl. um einen tarif-vertraglichen Erfüllungsanspruch handele, habe die Kl. durch ihreErklärung vom Nov. 1998 nicht auf diesen Anspruch wirksam verzich-ten können. Die Tarifvertragsparteien hätten dem nicht zugestimmt(§ 4 Abs. 3 TVG).

Kommentar:Die zusätzliche Altersversorgung für die Arbeitnehmer des öffent-lichen Dienstes hat eine lange Tradition. Im Tarifgebiet Ost gilt sie erstseit dem 1.1.1997. Durch den Tarifvertrag v. 1.2.1996 zur Einführungder Zusatzversorgung im Tarifgebiet Ost (TV EZV-O) wurde der Gel-tungsbereich der Versorgungs-Tarifverträge entsprechend erweitert.Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes der DDR, die nach dem 3.10.1990im Geltungsbereich des Westtarifs (BAT oder eine andere Regelung)weiterbeschäftigt wurden, hatten bereits ab dem Zeitpunkt, in dem sieim Westen tätig waren, einen Anspruch auf die Zusatzversorgung. DieZusatzversorgungseinrichtung VBL (Versorgungsanstalt des Bundesund der Länder) hatte allerdings im Jahre 1995 ihre Satzung dahinge-hend geändert, dass vor dem 3.10.1990 im Beitrittsgebiet zurückgelegteZeiten bei der Berechnung der Zusatzversorgung nicht mitrechnensollen. Die Rechtswirksamkeit dieser Satzungsänderung ist umstritten.Der BGH hat jüngst entschieden, dass sich die VBL jedenfalls gegenübereinem Versorgungsberechtigten, der vor der Satzungsänderung gemäßdem Westtarif in den öffentlichen Dienst übernommen und zur Ver-sicherung bei der VBL angemeldet worden war, nicht auf diese Satzungs-änderung berufen kann, so dass die Zeiten in der DDR zu berücksichti-gen sind (BGH, NJ 2001, 41). Dies hat der BGH aus § 242 BGB abgeleitet.Ob die Satzungsänderung insgesamt rechtswirksam ist, hat er offengelassen. Diesbezüglich ist aber noch ein Revisionsverfahren zur Ent-scheidung des OLG Karlsruhe v. 3.2.2000 (NJ 2000, 430 = BetrAV 2000,225 m. abl. Anm. von Puskás) beim BGH anhängig (IV ZR 61/00).

Nach den Versorgungs-Tarifverträgen hat der Arbeitgeber denArbeitnehmer so zu versichern (Pflichtversicherung), dass der Pflicht-versicherte eine Anwartschaft auf eine dynamische Versorgungsrentefür sich und seine Hinterbliebenen im Rahmen einer Gesamtversor-gung erwerben kann. Die zusätzliche Alters- und Hinterbliebenen-versorgung wird nicht vom Arbeitgeber unmittelbar, sondern von derZusatzversorgungseinrichtung gewährt. Im Verhältnis zur Zusatzver-sorgungseinrichtung ist der Angestellte Versicherter und bei Eintritt

Arbe i t s recht

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Neue Justiz 3/2001164

des Zusatzversorgungsfalls Bezugsberechtigter (für Rechtsstreitigkeitenmit der Zusatzversorgungseinrichtung ist deshalb auch nicht derRechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben). Wenn die den Arbeit-geber treffende Zusatzversicherungspflicht nicht, zu spät oder schlechterfüllt wird und dadurch kein Anspruch oder nur ein Anspruch aufeine geringere Rente bei der Zusatzversorgungseinrichtung begründetwird, macht sich der Arbeitgeber schadensersatzpflichtig (hierfür istder Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben).

Ähnlich verhielt es sich in dem vom BAG entschiedenen Streitfall:Die Kl. hatte an sich einen Erfüllungsanspruch auf die Versicherungin der Zusatzversorgungseinrichtung ZMV. Die Erfüllung war aber derBekl. unmöglich, weil sie dort nicht mehr Mitglied war. Mit der Ver-sicherung in der UMVK konnte die Bekl. dem Erfüllungsanspruchnicht rechtmäßig nachkommen, weil diese Versicherung nicht dentariflichen Anforderungen entsprach. Deshalb sprach das BAG der Kl.einen Verschaffungsanspruch direkt gegen den Arbeitgeber zu. Dieser»Verschaffungsanspruch« stellt nach Auffassung des BAG nicht einenSchadens-, sondern einen tarifvertraglichen Erfüllungsanspruch dar.Eine Flucht in eine Zusatzversorgung minderer Art und Güte ist demöffentlichen Arbeitgeber also versperrt.

Literaturhinweis:Kiefer, ZTR 1996, 97 ff.; von Puskás, ZTR 2000, 193 ff.

RiArbG Thomas Lakies, Berlin/Erfurt

� 05.4 – 3/01

Vergütung/Betriebsvereinbarung/GleichbehandlungLAG Berlin, Urteil vom 30. August 2000 – 17 Sa 582/00 (ArbG Berlin)(Revision eingelegt; Az. 1 AZR 672/00)

BetrVG § 75

1. Die Regelung in einer Betriebsvereinbarung, wonach die Entgelt-höhe allein von dem Wohnort des Arbeitnehmers an einem bestimm-ten Stichtag (2.10.1990) abhängt, verstößt gegen § 75 Abs. 1 BetrVGund ist daher unwirksam.2. Vollzieht der Arbeitgeber die unwirksame Regelung, kann derbenachteiligte Arbeitnehmer auch für die Vergangenheit die höhereVergütung beanspruchen.

Anm. d. Redaktion: Bei der Bekl., einer Nachfolgegesellschaft der Treuhand-anstalt, sind ca. 1.100 Mitarbeiter beschäftigt, von denen ca. 10% aus denalten Bundesländern stammen. Alle Mitarbeiter sind in der im Ostteil Berlinsgelegenen Zentrale oder in einer der in den neuen Ländern gelegenen Nieder-lassungen tätig. In einer Betriebsvereinbarung v. 15.1.1996 erfolgte dieEingruppierung der Mitarbeiter in insges. zehn Gehaltsgruppen, die jeweilsGehaltsspannen zugeordnet wurden. Hierzu heißt es in Nr. 3.2 der Vereinbarung:»Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren ständiger Wohnsitz am2.10.1990 in den alten Bundesländern oder in West-Berlin lag, existiert zur Zeiteine zweite Spanne, deren Obergrenze um den Prozentsatz höher ist, der demAbstand zwischen den West- und den Ost-Gehältern im Öffentlichen Dienstder Bundesrepublik Deutschland entspricht.« Der aus den neuen Bundesländern stammende Kl. hatte mit seiner Klage die Zah-lung einer Vergütungsdifferenz gefordert, die ihm aufgrund der »GehaltstabelleMitarbeiter alte Bundesländer« zustehe. Das ArbG hat der Klage entsprochen.Das LAG hat auf die Berufung der Bekl. die Auffassung des ArbG bestätigt, dassdie Einführung einer zweiten Gehaltsspanne für aus den alten Bundesländernstammende Mitarbeiter gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungs-grundsatz verstößt. Die Bekl. könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dassdie getroffene Regelung lediglich eine Übergangsregelung bis zur Angleichungder Ost-Gehälter im Öffentlichen Dienst darstelle, da dieser Zeitpunkt nichtabsehbar sei. Nr. 3.2 der Vereinbarung führe daher »auf unabsehbare Zeit zueiner unterschiedlichen Vergütung der Mitarbeiter der Bekl. bei gleicher Arbeits-leistung, zumal die Regelung auch bei jeder Neueinstellung angewendet wird«.

06 SOZIALRECHT

� 06.1 – 3/01

Arbeitsförderungsrecht/Arbeitslosenhilfe/Leistungshöhe/Bemessungs-entgelt/Bindungswirkung des Bewilligungsbescheids über Arbeitslosen-geldBSG, Urteil vom 29. Juni 2000 – B 11 AL 89/99 R (LSG Berlin)

AFG §§ 112 Abs. 2 Satz 1 (idF v. 30.6.1989), Abs. 7, 136 Abs. 2 Nr. 1,139a Abs. 2

Arbeitslosenhilfe ist auch dann nach dem materiell-rechtlich festzu-stellenden Bemessungsentgelt zu bemessen, wenn dieses für dasArbeitslosengeld fehlerhaft nicht berücksichtigt worden ist. (nicht-amtlicher Leitsatz)

Problemstellung:Die Entscheidung betrifft die Höhe der Arbeitslosenhilfe (Alhi) nachvorherigem Bezug von Arbeitslosengeld (Alg). Streitig war, ob für dieAlhi-Bemessung das beim Alg tatsächlich berücksichtigte oder das vonRechts wegen zu berücksichtigende Bemessungsentgelt maßgebend ist.

Der Kl. stand nach Jahren ohne beitragspflichtige Beschäftigungvom 1.7.1990 bis 30.9.1991 in einem Beschäftigungsverhältnis alsAußendienstmitarbeiter gegen Fixum und Provision. Vom 1.10.1991bis 23.2.1992 war er dann arbeitsunfähig erkrankt und bezog Kran-kengeld. Im Febr. 1992 meldete er sich arbeitslos. Die vom letztenArbeitgeber ausgestellte Arbeitsbescheinigung v. 30.10.1991 enthieltfür die Lohnabrechnungszeiträume Juli 4.462,54 DM, Aug. 5.728,90DM und Sept. 6.500 DM Bruttoarbeitsentgelt. Dementsprechend gingdie bekl. Bundesanstalt für Arbeit (BA) für die Bemessung des Alg ab24.2.1992 von einem durchschnittl. Monatsentgelt von 5.563,81 DMund einem der Berechung der Leistungshöhe zugrunde zu legendenwöchentl. Bemessungsentgelt von 1.280 DM aus und bewilligte aufdieser Grundlage Alg. Der Kl. legte daraufhin eine neue Arbeits-bescheinigung v. 25.3.1992 vor, die für Sept. 1991 ein höheres Arbeit-sentgelt von 9.226,65 DM auswies. Auf eine Nachfrage der BA teilte derfrühere Arbeitgeber mit, die Provisionsabrechnung für Sept. sei erst imOkt. 1991 erfolgt; das Arbeitsentgelt für Juni 1991 habe 3.834,84 DMbetragen. Daraufhin erließ das Arbeitsamt einen Änderungsbescheid,in welchem ein Bemessungszeitraum von Juni bis Aug. 1991 miteinem monatl. Durchschnittsentgelt von 4.675,43 DM und einemwöchentl. Bemessungsentgelt von 1.080 DM (ab 1.10.1992 angepasstauf 1.150 DM) zugrunde gelegt wurde.

In einem gegen diese Regelung gerichteten Sozialgerichtsprozessnahm die BA den Änderungsbescheid wegen fehlender Ermessens-ausübung zurück und stellte den ursprünglichen Bewilligungsbescheidwieder her. Der Kl. bezog das Alg nach einem wöchentl. Bemessungs-entgelt, das ab 1.10.1992 bis zur Erschöpfung des Anspruchs am22.12.1992 auf 1.360 DM dynamisiert war. Bei der Bemessung derAnschluss-Alhi ab 23.12.1992 ging die BA nunmehr von dem im Bemes-sungszeitraum Juni bis Aug. 1991 erzielten Durchschnittsentgelt von4.675,43 DM und einem dynamisierten wöchentl. Bemessungsentgeltvon 1.150 DM als dem für die Bemessung des Alg zuletzt richtigerweisemaßgebenden Entgelt aus und bewilligte entsprechend die Alhi.

Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Kl. blieb erfolglos. Auchdie anschließende Klage vor dem SG und die Berufung vor dem LSGhatten keinen Erfolg. Die Gerichte bestätigten die Auffassung der BA,das materiell richtige Bemessungsentgelt sei nach dem im Bemessungs-zeitraum von Juni bis Aug. 1991 erzielten durchschnittl. Monatsent-gelt von 4.675,43 DM zutreffend ermittelt.

Die Revision des Kl. blieb ebenfalls erfolglos.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Der Zahlbetrag der Alhi wird nach § 136 Abs. 1 AFG durch einenVomhundertsatz des Netto-Arbeitsentgelts bestimmt. In den Fällen, in

Rechtsprechung Arbei t s recht

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165Neue Justiz 3/2001

denen der Vorbezug von Alg während der Vorfrist anspruchsbegrün-dend wirkt, ist grundsätzlich das Arbeitsentgelt maßgebend, nach demsich zuletzt das Alg gerichtet hat (§ 136 Abs. 2 Nr. 1 AFG).

Auf den ersten Blick spricht der Wortlaut für die Ansicht, maß-gebend für die Anschluss-Alhi sei das Arbeitsentgelt, welches derBemessung des Alg tatsächlich zugrunde gelegen hat. Im Hinblick aufdie geschichtliche Entwicklung und systematischen Zusammenhängekann diese Ansicht jedoch nicht überzeugen. Der Gesetzgeber desAFG hat die Regelung des § 148 Abs. 1 Nr. 1 des Ges. über die Arbeits-vermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) übernommen.Die Praxis zu dieser Vorschrift scheint das tatsächliche (auch falsche)Bemessungsentgelt für das Alg auch für die Anschluss-Alhi als bindendangesehen zu haben. Eine Bindungs- oder Feststellungswirkung fehler-haft festgestellten Bemessungsentgelts des Alg für die Bemessung derAlhi wurde möglicherweise wegen der nach der damaligen Gesetzes-lage bestehenden freien Rücknehmbarkeit fehlerhafter begünstigen-der Verwaltungsakte für die Zukunft als unproblematisch angesehen.Vertrauensschutz des rechtswidrig Begünstigten griff nur gegenüberder Rückforderung zu Unrecht empfangener Leistungen ein. DurchArt. II § 2 Nr. 1 SGB X v. 18.8.1980 (BGBl. I S. 1469) wurde § 151 Abs. 1AFG aF gestrichen. Damit wurde der Grundsatz freier Rücknehmbar-keit von Leistungsbewilligungen (für die Zukunft) auch im Arbeits-förderungsrecht eingeschränkt. Die Korrektur rechtswidriger Leistungs-bewilligungen fand nunmehr – bis zum In-Kraft-Treten des § 152Abs. 2 AFG idF des 1. Ges. zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs-und Wachstumsprogramms v. 21.12.1993 (BGBl. I S. 2353) – alleinnach den Maßstäben des § 45 SGB X statt. Kennzeichnend für dieseist, dass Vertrauensschutzgesichtspunkte nach § 45 Abs. 2 SGB X sichschon gegenüber der Rücknahme der rechtswidrigen Leistungsbewil-ligung ins Feld führen lassen und die Rücknahme nicht zwingendgeboten, sondern für die Zukunft oder die Vergangenheit grundsätz-lich in das Ermessen des Sozialleistungsträgers gestellt ist. Dies bedeu-tet, dass im Einzelfall auch rechtswidrige Bewilligungsbescheide Bestandhaben können. Wegen der veränderten Rechtslage im Vergleich zumZeitpunkt des Erlasses von § 136 Abs. 2 Nr. 1 AFG ist nicht mehrgewährleistet, dass die Bemessung des Alg der Rechtslage entspricht.

Gegen eine in der Rspr. des BSG erwogene Bindungs- oder Feststel-lungswirkung des für das Alg maßgebenden Bemessungsentgeltsspricht auch, dass der Gesetzgeber durch das 4. Ges. zur Änderung desAFG v. 12.12.1977 (BGBl. I S. 2557) für die Alhi Bewilligungszeiträumeeingeführt hat, wonach die Alhi jeweils für längstens ein Jahr bewil-ligt werden soll. In § 139a Abs. 2 AFG ordnet das Gesetz vor einererneuten Bewilligung ausdrücklich die Prüfung der Voraussetzungendes Anspruchs auf Alhi an. Die Rspr. hat daraus gefolgert, bei derWeiterbewilligung seien alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grundeund der Höhe nach ohne Bindung an frühere Bescheide zu überprüfen(BSG, SozR 3-4100 § 136 Nr. 3; BSGE 82, 198, 211 = SozR 3-4100 § 242Nr. 1; BSG, SozR 3-4100 § 138 Nr. 13).

Die aufgezeigte Rechtsentwicklung und die erörterten systemati-schen Zusammenhänge sprechen dafür, als Bemessungsentgelt für dieAlhi nach § 136 Abs. 2 Nr. 1 AFG dasjenige Arbeitsentgelt anzusehen,nach dem das Alg zuletzt von Rechts wegen zu bemessen war. Aus derBindungswirkung des Bewilligungsbescheids über Alg lässt sich ande-res nicht entnehmen. Nach st.Rspr. beschränkt sich die Bindungswir-kung von Bewilligungsbescheiden über Leistungen bei Arbeitslosigkeitauf den Verfügungssatz, d.h. die Entscheidung über Art, Dauer (Beginnund Ende) und Höhe einer Leistung. Begründungselemente derEntscheidung nehmen auch dann nicht an der Bindungswirkung teil,wenn sie – wie das Bemessungsentgelt für die Leistungshöhe –wesentlicher Bestandteil der Begründung sind.

Der im Schrifttum vertretenen Ansicht, in der erstmaligen Bewilli-gung von Alg sei typischerweise eine Regelung über das Stammrechtenthalten, aus dem der Leistungsanspruch erwachse (Gagel/Ebsen,AFG, § 136 Rn 31; diess., SGB III, § 200 Rn 12), kann sich der Senat

nicht anschließen. Der Senat hat bereits entschieden, dass das Stamm-recht Ausdruck einer materiellen Rechtslage ist, nicht aber durch denBescheid über die Bewilligung von Alg konstitutiv zuerkannt wird(BSGE 75, 235, 237 = SozR 3-4100 § 100 Nr. 5). Das Stammrecht istdeshalb gerade nicht geeignet, für den Leistungsberechtigten weiter-gehende Ansprüche zu begründen, als ihm von Rechts wegen zustehen.

Das Arbeitsentgelt, nach dem sich zuletzt das Alg gerichtet hat(§ 136 Abs. 2 Nr. 1 AFG), ist mithin aufgrund der tatsächlichenFeststellungen des LSG nach § 112 AFG in der zum Zeitpunkt desLeistungsfalls (Febr. 1992) geltenden Fassung zu ermitteln. Nach § 112Abs. 1 Satz 1 AFG ist das Arbeitsentgelt maßgebend, welches derArbeitslose im Bemessungszeitraum durchschnittl. in der Stundeerzielt hat. Der Bemessungszeitraum umfasste nach § 112 Abs. 2 Satz 1AFG in der bis zum 31.12.1993 geltenden Fassung die beim Ausschei-den des Arbeitslosen abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume derletzten drei Monate der die Beitragspflicht begründenden Beschäfti-gungen vor der Entstehung des Anspruchs, in denen der ArbeitsloseArbeitsentgelt erzielt hat. Dies sind hier die Monate Juni bis Aug.1991. Für Sept. 1991 war die Provision noch nicht abgerechnet, so dasseine vollständige Abrechnung des Arbeitsentgelts für diesen Monatbeim Ausscheiden des Kl. noch nicht vorlag. Erst wenn das erarbeiteteArbeitsentgelt vollständig errechnet ist, so dass es ohne weiteres anden Arbeitnehmer ausgezahlt werden kann, ist der Lohnabrech-nungszeitraum iSd § 112 Abs. 2 Satz 1 AFG abgerechnet. An der Fest-legung des Bemessungszeitraums nach diesem Merkmal hat sich durchden Wandel der Rspr. zum sog. Zuflussprinzip nichts geändert (BSGE76, 162, 164 = SozR 3-4100 § 112 Nr. 22).

Im konkreten Fall liegen die Voraussetzungen für eine von der Regel-bemessung abweichende Feststellung eines fiktiven Bemessungs-entgelts nach § 112 Abs. 7 AFG nicht vor. Es fehlt am Merkmal derunbilligen Härte.

Kommentar:Der Entscheidung des BSG ist zwar noch zum AFG ergangen; ihrkommt aber unter der Geltung des am 1.1.1998 in Kraft getretenenSGB III gleichermaßen Bedeutung zu. Der nunmehr maßgebliche§ 200 Abs. 1 SGB III hat inhaltlich die vorher im § 136 Abs. 2 AFG ent-haltene Regelung übernommen, wonach für die Alhi das Bemes-sungsentgelt maßgeblich ist, nach dem das Alg zuletzt bemessenworden ist. Das BSG hat eine klare Position dahingehend bezogen,dass damit eine Bemessung nach dem materiell-rechtlich festzustel-lenden Bemessungsentgelt gemeint ist, auch wenn bei der bindendenAlg-Bewilligung tatsächlich etwas anderes zugrunde gelegt wurde. ImErgebnis dürfte damit der bisherige Meinungsstreit keine praktischeRelevanz mehr haben.

Im Zusammenhang mit der Alhi-Bemessung ergibt sich allerdingsnun Anlass für einen neuen Streit, der praktisch alle Bezieher die-ser Leistung betrifft. Durch das Einmalzahlungs-NeuregelungsG v.21.12.2000 (BGBl. I S. 1971) ist eine Änderung des § 200 Abs. 1 SGB IIIerfolgt, wonach bei der Bemessung der Alhi das Bemessungsentgelt,nach dem das Alg zuletzt bemessen worden war, nur noch »vermin-dert um den Betrag, der auf einmalig gezahltem Arbeitsentgelt beruht«berücksichtigt wird. Der Wortlaut der Vorschrift ist zwar eindeutig.Es spricht aber viel dafür, dass diese, die Bezieher von Alhi benachtei-ligende Regelung, gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GGverstößt (vgl. Gagel, NZS 2000, 591 ff.).

RiLSG Klaus Lauterbach, Halle/Saale

� 06.2 – 3/01

Rentenüberleitungsrecht/Anrechnung von Arbeitsjahren/Nichtdyna-misierung und Abschmelzung des Auffüllbetrags/Eigentumsgarantie/GleichbehandlungBSG, Urteil vom 29. Juni 2000 – B 13 RJ 29/98 R (LSG Berlin)

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Neue Justiz 3/2001166

SGB VI §§ 307a, 315a; RAnglG § 2; GG Art. 3 Abs. 1, 14 Abs. 1

1. Die mit der Rentenüberleitung erfolgte Nichtberücksichtigung derden Höchstwert von 51 Arbeitsjahren übersteigenden Arbeitsjahre,die nach DDR-Recht der Rentenberechnung zugrunde gelegt wordenwaren, ist Teil der vom Gesetzgeber getroffenen Systementschei-dung. Sie überschreitet nicht den hierbei gegebenen Gestaltungs-spielraum des Gesetzgebers und ist verfassungsgemäß.2. Auch die Nichtdynamisierung und spätere Abschmelzung desAuffüllbetrags begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.Die Abschmelzung der Auffüllbeträge ist nicht als eine gegen Art. 3Abs. 1 GG verstoßende Benachteiligung der von der Rentenüber-leitung im Beitrittsgebiet erfassten Rentner anzusehen. Vielmehr wirdsie von dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzgeradezu verlangt, weil ein weiteres Festhalten an den Auffüllbeträ-gen zu einer ungerechtfertigten Besserstellung der Rentner im Beitritts-gebiet führen würde. (Leitsätze der Redaktion)

Die in Berlin-Ost wohnhafte Kl. bezog aufgrund des Bescheids des FDGBv. 11.4.1990 ab 1.6.1990 Altersrentenleistungen i.H.v. insges. 632 M(550 M Altersrente aus der SV und 82 M Zusatzaltersrente aus der FZR).Der Berechnung lagen 43 Jahre versicherungspflichtiger Beschäftigungsowie fünf Zurechnungsjahre wegen (langjähriger) versicherungs-pflichtiger Beschäftigung und neun Zurechnungsjahre für drei Gebur-ten zugrunde. Zum 1.7.1990 wurden die Renten auf insges. 755 DMangehoben. Aufgrund weiterer Rentenanpassungen erhöhte sich derGesamtzahlbetrag der Rente zum 1.7.1991 auf monatl. 1.000 DM.

Mit Bescheid v. 27.11.1991 wurden die Altersrentenleistungen auf-grund des ab 1.1.1992 geltenden neuen Rentenrechts in eine Regel-altersrente nach dem SGB VI umgewandelt und die Rentenhöhe ab1.1.1992 unter Berücksichtigung eines Auffüllbetrags von 148,03 DMauf insges. 1.175,65 DM festgesetzt.

Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch machte die Kl. geltend,die bislang zugrunde gelegten 14 Jahre Zurechnungszeiten seien zuUnrecht weggefallen. Außerdem seien bei der Rentenumstellung imJuli 1990 lediglich 51 anstelle von 57 Versicherungsjahren berück-sichtigt worden. Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Zwischen-zeitlich wurde die Regelaltersrente jeweils zum 1.7. und 1.1. eines Jahresangepasst. Bei den Rentenanpassungen zum 1.1.1996 u. 1.7.1996wurde der bis dahin in unveränderter Höhe gezahlte Auffüllbetragzunächst auf 118,42 DM und dann auf 98,37 DM vermindert.

Das LSG hat die Berufung der Kl. zurückgewiesen und die Klagengegen die Rentenanpassungsmitteilungen zum 1.1.1996 u. 1.7.1996abgewiesen.

Mit der Revision rügte die Kl., dass sie durch die von der Bekl. vorge-nommene Rentenberechnung in ihren durch Art. 3 u. 14 GG geschütz-ten Grundrechten verletzt werde. Sie hat im Wesentlichen vorgetragen:

Unter Einschluss der neun Zurechnungsjahre für ihre drei Kinder und derfünf Zurechnungsjahre für langjährig versicherte Beschäftigte habe sie nachDDR-Recht insges. 57 Arbeitsjahre aufzuweisen. Bei der Rentenberechnungnach § 307a SGB VI seien ihr aber nur 43 Arbeitsjahre anerkannt worden.Dies habe zu einer unverhältnismäßigen Schlechterstellung sowohl gegen-über vergleichbaren Bestandsrentnern aus dem Westen als auch gegenüberZugangs- und Bestandsrentnern mit zusätzlicher freiwilliger Altersversor-gung der Intelligenz aus dem Osten geführt. Entgegen Art. 3 GG liege eineverfassungswidrige Ungleichbehandlung und entgegen Art. 14 GG eineEnteignung von in der DDR erworbenen und nunmehr an die neuen wirt-schaftlichen Verhältnisse anzupassenden Ansprüchen vor. Der durch denneuen Bescheid v. 27.11.1991 erfolgte Eingriff in die nach dem DDR-Rechtanerkannte Rechtsposition könne nicht mit Hinweis auf § 307a Abs. 12SGB VI gerechtfertigt werden. Mit In-Kraft-Treten des RentenreformG 1992(RRG 1992) und des Renten-ÜberleitungsG (RÜG) erfolge die Renten-berechnung für alle Rentner nach für sie i.d.R. ungünstigen Kriterien. Dieunterschiedlichen Besitzschutzregelungen wie auch die Auffüllbeträgegewährten keinen echten und dauerhaften Besitz- oder Vertrauensschutz.

Die fehlende Dynamisierung des Auffüllbetrags habe bei den Rentnernzu einer unverhältnismäßigen Verschlechterung gegenüber den Lohn- undGehaltsempfängern geführt und die ab 1.1.1996 begonnene Abschmel-

zung des Auffüllbetrags sei eine schrittweise ersatzlose Liquidierung. Damitsei die zugesicherte Realwertgarantie nicht eingehalten. Die Nichtdyna-misierung des Auffüllbetrags komme einer gegen Art. 14 GG verstoßendenRentenkürzung gleich. Die Abschmelzung des Auffüllbetrags hätte erstbeginnen dürfen, wenn der aktuelle Rentenwert Ost den aktuellen Ren-tenwert West erreicht und die Arbeitseinkommen und Renten im Ostendenen im Westen entsprochen hätten. Entgegen den früheren Einschät-zungen des Gesetzgebers sei dies 1996 noch nicht der Fall gewesen. Durchdie Nichtdynamisierung und erst recht durch die Abschmelzung des Auf-füllbetrags sei das Verfassungsgebot des Art. 72 Abs. 2 GG, die Einkommenund die Lebenslage der Bürger der unterschiedlichen Bundesländer schritt-weise anzugleichen, verletzt worden.

Die Revision hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:II. … In der Sache hat das LSG rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Bekl.mit den angefochtenen Bescheiden die Rentenansprüche der Kl. ent-sprechend den gesetzlichen Vorschriften festgestellt hat und die Kl.keinen Anspruch auf eine höhere bzw. anders berechnete Rente besitzt.Durch die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften ist die Kl. in ihrenverfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen nicht beeinträchtigt.

Die zum 1.7.1990 vorgenommene Umstellung und Angleichung der… ab 1.6.1990 gewährten Renten entsprach den gesetzlichen Bestim-mungen und lässt eine Verletzung von Rechten der Kl. nicht erkennen.Insbesondere ist aus den gesetzlichen Bestimmungen kein Anspruchauf Dynamisierung der Altersrenten aus der SV und FZR zum 1.7.1990unter Berücksichtigung von 57 Arbeitsjahren (…) zu begründen.Rechtsgrundlage für die Umstellung und Angleichung der Renten ausder SV und FZR war das RAnglG/DDR v. 28.6.1990, mit dem die DDRim Wesentlichen die zuvor in dem Vertrag über die Schaffung einerWährungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepu-blik Deutschland und der DDR v. 18.5.1990 (BGBl. II S. 537) festge-legten rentenrechtlichen Regelungen umgesetzt hat (…). …

Die Angleichung der Renten der Kl. bestimmte sich nach § 2 Abs. 1RAnglG/DDR, weil die Kl. bereits eine Altersrente aus der SV sowie eineZusatzaltersrente aus der FZR erhielt. Nach § 2 Abs. 1 RAnglG/DDRwurden die Renten in Abhängigkeit vom Jahr des Rentenbeginns undder Anzahl der Arbeitsjahre entsprechend der in der Anlage festgesetz-ten Prozentsätze erhöht. Für den Fall, dass die Renten nicht zu erhöhenwaren, wurden sie in der bisherigen Höhe in DM weitergewährt.

Gem. der Tabelle zur Erhöhung der Renten in der Anlage zu den§§ 2 u. 10 dieses Gesetzes waren die bislang der Kl. gewährten Rentenum 19,37 v.H. zu erhöhen. Dieser Prozentsatz ergab sich aus demzugrunde zu legenden Zugangsjahr 1990 und dem von der Kl. erreich-ten Höchstwert von 51 Arbeitsjahren. Ausgehend von den bis dahingewährten Rentenleistungen i.H.v. 632 M wurden die Renten der Kl.auf den Gesamtzahlbetrag von 755 DM (anstelle von M) festgesetzt.

Entgegen der Auffassung der Kl. ist mit dem Umstellungsbescheidkeine Kürzung ihrer im Rentenbescheid v. 11.4.1990 anerkannten57 Arbeitsjahre vorgenommen worden. Grundlage für die Renten-anpassung blieb vielmehr der Ausgangsbescheid v. 11.4.1990, dessenZahlbetrag von insges. 632 M sich unter Berücksichtigung von57 Arbeitsjahren errechnet hatte. Dieser Berechnungsmodus wurdedurch die Anpassung nach dem RAnglG/DDR nicht geändert, weilsich die Ausgangswerte noch nach den rechtlichen Bestimmungen desbis dahin geltenden DDR-Rechts, einschl. der Mindestrenten- undMindestbetragsregelungen, richteten (Michaelis/Reimann, DAngVers1990, 293, 297). Die von der Kl. kritisierte Berücksichtigung von nur51 Arbeitsjahren war lediglich von Bedeutung für die Bestimmung desProzentsatzes der Angleichung der Altersrenten.

Eine Verpflichtung zur Berücksichtigung weiterer Arbeitsjahre bei derBestimmung des Angleichungssatzes ergibt sich nicht aus dem StaatsV,soweit dieser überhaupt Prüfungsmaßstab sein kann. (wird ausgeführt)

Die verfassungsrechtlichen Einwendungen der Kl. gegen die Nicht-berücksichtigung der zusätzlichen, den Höchstwert von 51 Arbeits-jahren übersteigenden Arbeitsjahre, die nach dem Recht der DDR der

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Rentenberechnung zugrunde gelegt worden waren, können schondeshalb nicht durchgreifen, weil die Anwartschaften und Ansprücheder ehem. DDR bis zum Beitritt nicht dem Grundrechtsschutz des GGunterfielen. Das GG galt nicht in der DDR und ist im Beitrittsgebietauch nicht rückwirkend in Kraft getreten (…). Ungeachtet dessen wäreauch unter Zugrundelegung der grundgesetzlich geschützten Rechts-positionen eine Verletzung von bundesdeutschem Verfassungsrechtnicht erkennbar. Ein Eingriff in durch Art. 14 GG geschützte Rechts-positionen scheidet aus, weil die Kl. aufgrund der Regelungen desRAnglG/DDR eine um 19,37 v.H. höhere Rente erhielt und diese Rentezum gleichen Zeitpunkt von M der DDR auf DM umgestellt wurde, waseine zusätzliche reale Wertsteigerung der bis dahin gezahlten Rentebedeutete (so bereits BSGE 78, 41, 49 = SozR 3-8120 Kap. VIII H. IIINr. 9 Nr. 5). Soweit die Kl. ferner zum Ausdruck bringt, bei der Renten-angleichung habe sie eine Ungleichbehandlung erfahren, so ergebensich keine Anhaltspunkte dafür, dass sie tatsächlich gegenüber ande-ren vergleichbaren Personengruppen ungerechtfertigt benachteiligtworden sein könnte. Im Hinblick auf das Ziel des RAnglG/DDR, dieBeitrags- bzw. Lohnbezogenheit der Rente stärker zu betonen, erscheintes sachgerecht, dass Renten, bei denen nach dem Rentenrecht der DDRmehr als 51 Arbeitsjahre zur Anrechnung gekommen waren, unterBerücksichtigung dieser zusätzlichen Arbeitsjahre nicht mit einemnoch höheren Prozentsatz angeglichen wurden. Ein Versicherungs-verlauf von mehr als 51 Arbeitsjahren konnte selbst bei Rentnern, dieerst mit 65 Jahren Rentner wurden, praktisch nur durch die Berück-sichtigung von Zurechnungsjahren erreicht werden. Andererseitswurde – wie auch bei der Kl. – der Höchstangleichungssatz auch danngewährt, wenn die 51 Arbeitsjahre nur unter zusätzlicher Berücksich-tigung von Zurechnungszeiten erfüllt worden waren. Eine noch stär-kere Berücksichtigung von Zurechnungszeiten hätte nicht nur das Zielverfehlt, möglichst bald eine Angleichung an die mehr beitrags- undlohnbezogenen westdeutschen Renten herbeizuführen, sondern zudemdiejenigen ostdeutschen Rentner in kaum zu vertretendem Maßebegünstigt, die neben mit Beiträgen belegten Versicherungs-/Arbeits-jahren eine besonders hohe Zahl von – beitragsfreien – Zurechnungs-jahren nach dem Recht der DDR anerkannt bekommen hatten. …

Vom LSG ist weiter zu Recht entschieden worden, dass die mitBescheid v. 27.11.1991 zum 1.1.1992 vorgenommene Umwertung undAnpassung der Altersrenten in die jetzige Regelaltersrente nach demab 1.1.1992 geltenden neuen Rentenrecht fehlerfrei vorgenommenworden ist. (wird ausgeführt)

Der zum Ausgleich einer Differenz zwischen der SGB VI-Rente undden bis zum 31.12.1991 gezahlten Renten geleistete Auffüllbetrag istnach Maßgabe des § 315a SGB VI zutreffend festgesetzt und ab1.1.1996 abgeschmolzen worden. § 315a Satz 1 SGB VI sieht vor, dassein Auffüllbetrag in der Höhe der Differenz geleistet wird, wenn derfür den Berechtigten nach Anwendung von § 307a SGB VI ermittelteMonatsbetrag der Rente für Dez. 1991 niedriger ist als der für densel-ben Monat ausgezahlte. Bei dem durchzuführenden Vergleich werdendie für Dez. 1991 nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets geleiste-ten Rentenbeträge zuvor um 6,84 v.H. erhöht (§ 315a Satz 2 Halbsatz 1SGB VI). … Entsprechend dieser Regelung ergab sich bei der Kl. einAuffüllbetrag i.H.v. 148,03 DM, der bei allen weiteren Anpassungen biszum 31.12.1995 unverändert beibehalten wurde.

§ 315a Satz 4 SGB VI sah jedoch von Beginn an vor, dass der Auf-füllbetrag vom 1.1.1996 an bei jeder Rentenanpassung um ein Fünf-tel des Auffüllbetrags, mindestens aber um 20 DM, vermindert werdensollte. Durch die Verminderung durfte der bisherige Zahlbetrag derRente nicht unterschritten werden. Ein danach verbleibender Auffüll-betrag war bei den folgenden Rentenanpassungen im Umfang dieserRentenanpassungen abzuschmelzen (§ 315a Satz 5 SGB VI). Aufgrunddieser Bestimmung betrug der Auffüllbetrag bei der Rentenanpassungzum 1.1.1996 nur noch 118,42 DM und bei der Rentenanpassung zum1.7.1996 noch 98,37 DM. …

Der erkennende Senat vermochte sich nicht von der behauptetenVerfassungswidrigkeit der angewandten Vorschriften zu überzeugen.Dies gilt sowohl für die nach § 307a SGB VI vorgenommene Umwer-tung der nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets festgestellten undfür Dez. 1991 ausgezahlten Altersrenten in die Regelaltersrente alsauch für die von der Kl. angegriffene Nichtdynamisierung undAbschmelzung des Auffüllbetrags. Weder ist mit der Anwendung derangegriffenen Rechtsvorschriften ein Eingriff in über Art. 14 GGgeschützte Eigentumspositionen der Kl. verbunden, noch liegt imVergleich zu anderen Personengruppen eine die Kl. benachteiligende,ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vor.

Gegen die gem. § 307a SGB VI vorgenommene Umwertung beste-hen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1GG ergab sich für den bundesdeutschen Gesetzgeber keine Verpflich-tung, das Altersversorgungssystem der DDR beizubehalten. Er warnicht gehindert, dieses System in einer ihm geeignet erscheinendenForm in das Rentenversicherungssystem der Bundesrepublik Deutsch-land einzugliedern (BVerfGE 100, 1, 39 = SozR 3-8570 § 10 Nr. 3 = NJ1999, 356) … Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG lässt es jedoch nicht zu, dass dieUmstellung mit Einbußen einhergeht, die dem Grundsatz der Ver-hältnismäßigkeit widersprechen und Eigentumspositionen in unzu-mutbarer Weise schmälern (BVerfGE 100, 1, 39 f.; zur Verfassungs-gemäßheit der sog. Systementscheidung siehe auch BSG, SozR 3-2600§ 315a Nr. 1 und die dort zitierten weiteren Entscheidungen).

Bei Anlegung dieser Maßstäbe kann von einem Eingriff in eineeigentumsgeschützte Position der Kl. durch die zum 1.1.1992 vorge-nommene Umwertung ihrer Altersrenten nicht gesprochen werden.Die Kl. hat zu keinem Zeitpunkt eine geringere Rente erhalten, als ihrnach dem Rentenrecht der DDR zugestanden hätte. Soweit die nachdem Rentenrecht des SGB VI umgewertete Rente zum 1.1.1992 gerin-ger war als die – bis dahin bereits dynamisierte – Rente des Beitritts-gebiets, hat die Kl. keinen Verlust erlitten, weil durch die Gewährungdes Auffüllbetrags der Zahlbetrag der bis Dez. 1991 zustehendenRenten nicht unterschritten, sondern deutlich überschritten wurde.

Die Kl. sieht im Wesentlichen ihre Rechtsposition dadurch beein-trächtigt, dass bei der Umwertung nach § 307a SGB VI nur noch43 Arbeitsjahre anstelle der nach dem Recht der DDR berücksichtigten57 Versicherungs- bzw. Arbeitsjahre zugrunde gelegt worden sind. Dieseunterschiedliche Bewertung der Zurechnungszeiten nach dem frühe-ren Recht des Beitrittsgebiets und nunmehr nach dem Recht des SGB VIist jedoch Teil der vom Gesetzgeber getroffenen Systementscheidungund überschreitet nicht den hierbei gegebenen Gestaltungsspielraumdes Gesetzgebers (vgl BVerfGE 100, 1, 37 f.). Die genannten Zurech-nungszeiten wurden bewusst nicht in das Recht des SGB VI übernom-men, weil sie längerfristig zu einem unverhältnismäßig hohen Anstiegder Renten aus dem Beitrittsgebiet geführt hätten (vgl. hierzu Diel, in:Hauck, SGB VI, § 307a Rn 4). Während diese Zurechnungszeiten imRentenrecht der DDR nur relativ geringe finanzielle Auswirkungengehabt haben (…), hätten sie aufgrund der anderen Bewertung solcherZeiten nach dem Recht des SGB VI geradezu überproportionale Vor-teile für die Bestandsrentner aus dem Beitrittsgebiet gebracht (siehehierzu Rische, DAngVers 1991, 229, 230; Ruland, DRV 1991, 518, 524).Der Gesetzgeber durfte sich daher dazu entschließen, bei den früherenDDR-Renten die Beitrags- und Lohnbezogenheit mit der Umwertungebenfalls stärker zu betonen (vgl. Diel, aaO, § 315a Rn 2, 19 f.).

Die Argumentation der Kl. übersieht, dass dem von ihr gerügtenNachteil eine Reihe von Vorteilen gegenüberstehen, die mit demdurch den Beitritt der DDR herbeigeführten Systemwechsel verbundensind. Zum einen waren die in der DDR gezahlten Renten nicht dyna-misiert und unterlagen nur ungenügenden Anpassungen an die allge-meine Einkommensentwicklung, zum anderen waren die Zahlungs-versprechungen der früheren Sozialversicherung der DDR durch derenfaktischen Staatsbankrott praktisch wertlos geworden (so bereits BSGE78, 41, 48 = SozR 3-8120 Kap. VIII H. III Nr. 9 Nr. 5, u. BSGE 81, 1, 14

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Neue Justiz 3/2001168

= SozR 3-8120 Kap. VIII H. III Nr. 9 Nr. 14). Aufgrund der Verein-barungen im StaatsV und im EinigungsV sowie der damit von derBundesrepublik Deutschland eingegangenen Zahlungsversprechenwurden die Bestandsrenten der DDR innerhalb kurzer Zeit mehrfachangepasst. Bei diesen Anpassungen waren der Kl. … noch die für siegünstigen Zurechnungszeiten von 14 Jahren zugute gekommen, weilBasis der Anpassungen immer der Ausgangsbescheid v. 11.4.1990 war.

Im Übrigen ist auch nach dem Recht des SGB VI ein Teil der wegge-fallenen Zurechnungszeiten dadurch kompensiert worden, dass für die dreiKinder zusätzliche 2,25 persönliche Entgeltpunkte angerechnet wordensind, wobei diese Entgeltpunkte ungeachtet gleichzeitig zurückgelegterArbeitsjahre additiv zugrunde gelegt wurden (zur additiven Berücksichti-gung der zusätzlichen Entgeltpunkte siehe Polster, in: Kasseler Komm.,§ 307a SGB VI Rn 9; Diel, aaO, § 307a Rn 48), was bei den zum damaligenZeitpunkt gezahlten westdeutschen Renten noch nicht der Fall war (…).

In Anbetracht dessen, dass durch das Übergangsrecht die Bestands-renten aus der SV und der FZR bereits um etwa 66 v.H. angehobenworden waren (BVerfGE 100, 1, 57) und auf dieser Basis einen Bestands-schutz erhielten, kann insges. gesehen nicht von einem Eingriff in eineeigentumsgeschützte Rechtsposition der Kl. ausgegangen werden,zumal auch in der Folgezeit die Bestandsrenten der DDR durch die inkurzen Abständen erfolgten Anpassungen zunehmend dem Renten-niveau der alten Bundesländer angeglichen wurden. Bei einer Gesamt-schau der letztlich erreichten Besserstellung und Angleichung derBestandsrenten an fast das Niveau der alten Bundesländer könnennicht einzelne Faktoren, deren Berücksichtigung zu einer noch wei-tergehenden Besserstellung geführt hätte, herausgegriffen werden, umeinen Eingriff in durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtspositionenbegründen zu wollen … Soweit in den Urteilen des BVerfG v. 28.4.1999die verfassungsrechtliche Prüfung der Überführung von verschiede-nen Versorgungsleistungen anstand, hat das BVerfG gerade die Umwer-tung der Bestandsrenten aus der SV und der FZR zum Maßstab genom-men (vgl. BVerfGE 100, 1, 39; vgl. auch Diel, aaO, § 315a Rn 51).Ob die Ausführungen des BVerfG darüber hinaus so zu verstehen sind,es habe die Umwertung nach § 307a SGB VI einer echten verfassungs-rechtlichen Bewertung unterzogen und sei zu dem Ergebnis gekom-men, die pauschalen Umwertungen seien mit dem GG vereinbar(so Diel, aaO, § 315a Nr. 51), kann dahinstehen. Jedenfalls hat dasBVerfG bei der Heranziehung dieser Regelungen als Vergleichsmaßstabfür die Beurteilung der den Bestandsrentnern aus Zusatz- und Sonder-versorgungssystemen zugesagten Zahlbetragsgarantie keinerlei Zweifelan der Verfassungsgemäßheit der pauschalen Umwertung nach § 307aSGB VI zu erkennen gegeben (vgl. insbes. BVerfGE 100, 104, 133 f. =SozR 3-2600 § 307b Nr. 6 = NJ 1999, 367).

Die gem. § 307a SGB VI durchgeführte Umwertung verletzt die Kl.auch nicht in ihrem Recht auf Gleichbehandlung nach Art. 3 GG. Fürdie vom Gesetzgeber bei der Umwertung vorgenommene Differenzie-rung in Bestandsrentner und Zugangsrentner – letztere nochmals nachZugangsjahren unterschieden – gibt es sachliche Gesichtspunkte. ImHinblick auf die Vielzahl der umzuwertenden Bestandsrenten mussteein pauschalierter und maschinengerechter Modus gefunden werden,der es den Rentenversicherungsträgern ermöglichte, die Rentenzeitgerecht umzuwerten und anzupassen (…). Wenn nunmehr beiden Rentnern aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen aufgrundder Entscheidung des BVerfG v. 28.4.1999 (BVerfGE 100, 104, 134 f.)und der daraufhin ergangenen weiteren Entscheidungen des BSG(BSGE 84, 156, 176 ff. = SozR 3-2600 § 307b Nr. 7; BSGE 84, 180, 184= SozR 3-2600 § 307b Nr. 8 = NJ 2000, 277) eine Vergleichsberechnungdahingehend durchzuführen ist, ob für die Bestimmung der persön-

lichen Entgeltpunkte, das Einkommen nur der letzten 20 Jahre oderdas des gesamten Versicherungslebens zu berücksichtigen ist, so bedarfes hier keiner Entscheidung, ob den Bestandsrentnern aus der SV undder FZR ein vergleichbares Recht eingeräumt werden müsste. Wederaus dem Vorbringen der Kl. noch aus den Akten ergeben sich konkreteHinweise darauf, dass sich bei einer Berücksichtigung des gesamtenVersicherungslebens eine für die Kl. günstigere Rente ergeben könnte.

Die von der Kl. vorgebrachten verfassungsrechtlichen Einwändegegen die Nichtdynamisierung und spätere Abschmelzung des Auffüll-betrags greifen ebenfalls nicht durch. Der Auffüllbetrag ist nichtBestandteil der umgewerteten Rente, sondern gehört zu den Zusatz-leistungen (so auch Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversiche-rung der Arbeiter und Angestellten, § 315a SGB VI Anm. 5; Diel, aaO,§ 315a Rn 5) und bezweckt in Fortführung und Erweiterung des sich ausArt. 30 EV ergebenden Vertrauensschutzgedankens die Vermeidungeiner wirtschaftlichen Schlechterstellung der von der Rentenüberleitungim Beitrittsgebiet erfassten Rentner und Anwartschaftsberechtigten derSV und der FZR (so bereits BSG, SozR 3-2600 § 315a Nr. 1). Es ist schonzweifelhaft, ob der Auffüllbetrag als eine bestandsschützende Leistungeigener Art überhaupt der Eigentumsgarantie unterliegt (BSG, SozR 3-2600 § 315a Nr. 1). Doch selbst wenn dies bejaht wird, liegt ein Eingriffin eine eigentumsgeschützte Rechtsposition nicht vor, weil wederdurch die fehlende Dynamisierung noch durch die Abschmelzung eineMinderung des einmal gewährten Zahlbetrages der Rente eintretenkann und für den streitigen Zeitraum auch nicht eingetreten ist.

Wie das BSG bereits ausgeführt hat (vgl. BSG, SozR 3-2600 § 315aNr. 1), ist die Abschmelzung der Auffüllbeträge auch nicht als gegenArt. 3 Abs. 1 GG verstoßende Benachteiligung anzusehen. Vielmehrwird sie von dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrund-satz geradezu verlangt. Ein weiteres Festhalten an den Auffüllbeträgenwürde zu einer ungerechtfertigten Besserstellung der Rentner imBeitrittsgebiet führen.

An dieser verfassungsrechtlichen Beurteilung hat sich nichts durchdie Entscheidung des BVerfG v. 28.4.1999 (BVerfGE 100, 104) zurDynamisierung des garantierten Zahlbetrages für Bestandsrentner mitAnsprüchen aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen geändert.Gerade im Rahmen eines Vergleichs der Bestandsrentner aus Zusatz-und Sonderversorgungssystemen mit den Bestandsrentnern aus derSV und FZR hat das BVerfG ausgeführt, dass bei letzteren in dem Auf-füllbetrag nach § 315a SGB VI die bis zum 31.12.1991 wirksam gewor-denen Rechtsänderungen und Rentenanpassungen durch das RAnglG/DDR sowie die 1. und 2. RAV Berücksichtigung gefunden haben,während sich bei bestimmten Zusatz- und Sonderversorgten zwischen-zeitliche Rentenerhöhungen infolge ihrer nach den Rentenanpas-sungsVO vorzunehmenden Anrechnung nicht auswirkten. Außerdemist der Kl. die Dynamisierung ihrer SGB VI-Rente ab 1.1.1992 unein-geschränkt zugute gekommen, da ihr der Auffüllbetrag bis 31.12.1995in vollem Umfang zusätzlich gewährt worden ist.

Wenn die Kl. schließlich vorbringt, eine Abschmelzung des Auf-füllbetrags habe frühestens zum Zeitpunkt der völligen Angleichungdes Rentenniveaus in Ost und West vorgenommen werden dürfen, soverkennt sie den Charakter des Auffüllbetrags als eigentliches Besitz-schutzinstrument, mit dem die dem bundesdeutschen Rentenrechtsystemfremden Berechnungsfaktoren für Bestandsrentner aus demBeitrittsgebiet noch vorübergehend wirksam blieben. Die Auffüll-beträge dienten nicht der Anpassung des (niedrigeren) RentenniveausOst an das Rentenniveau West. Dieses Ziel sollte von Beginn an durchdie für das Beitrittsgebiet höheren Anpassungssätze erreicht werden.

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VIINeue Justiz 3/2001

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