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1 Linguistische Werkstatt Nominalisierungen im Sprachvergleich. Ein Phänomen zwischen Syntax, Semantik und Morphologie. Simone Heinold Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Linguistik [email protected]

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Linguistische Werkstatt

Nominalisierungen im Sprachvergleich. Ein Phänomen zwischen Syntax, Semantik und Morphologie.

Simone HeinoldGoethe-Universität Frankfurt am Main

Institut für [email protected]

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Das Phänomen "Nominalisierungen"● Deverbale Nominalisierungen stellen aus verschiedenen Perspektiven ein interessantes

Phänomen dar.

● Semantik: Wie Verben (bzw. VPs) können sie Ereignisse ausdrücken.

(1) a. Caesars Truppen zerstörten die Stadt.b. Die Zerstörung der Stadt durch Caesars Truppen...

● Anders als Verben gelten Nomen jedoch als tempuslose Formen (Comrie 1985). Auch scheinenNominalisierungen andere Eigenschaften zu haben, die mit dem Ablauf der Handlung zusammenhängen (Aspektualität), die vom zugrundeliegenden Verb ausgedrückt wird.

(2)a. ?Die Zerstörung der Stadt durch Caesars Truppen fand kein Ende. - Vorgangb. Das Zerstören von Städten durch Caesars Truppen fand kein Ende. - Vorgangc. *Das Zerstören/die Zerstörung konnte am nächsten Morgen begutachtet werden. - Resultat

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Das Phänomen "Nominalisierungen"

● Syntax: Sie können wie VPs Argumente realisieren oder nicht. Je nach Struktur, Quantifizierung und Einbettung im Satz können sich Bedeutungsunterschiede ergeben.

(3)a. Das Bekleben der Wand dauerte mehrere Stunden. - Vorgangb. Das Bekleben ___ dauerte mehrere Stunden. - Vorgangc. *Das Bekleben ___ wurde entfernt. - Objektd. Aber: Die Beklebung ___ wurde entfernt. - Objekt

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Das Phänomen "Nominalisierungen"

● Morphologie: In den meisten Sprachen gibt es mehrere produktive Suffixe (oder auch zusätzlich Konversion), um deverbale Nominalisierungen abzuleiten. Oft entstehen dadurch viele Doubletten, die den Wortschatz aufblähen.

● Um die Koexistenz einer so großen Anzahl an Formen zu rechtfertigen, müssen unterschiedliche semantische Eigenschaften für die verschiedenen Suffixe angenommen werden.

● Beispiele aus dem Französischen, wo es eine extrem hohe Anzahl an Doubletten gibt, die (obwohl vom selben Verb abgeleitet) mehr oder weniger unterschiedliche Bedeutungen haben können:

(4) gonflage/gonflement - gonfler qc. - etwas aufpumpen (trans.)- gonfler – anschwellen (intrans./unakk.)

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Aufbau

1. Das Phänomen "Nominalisierungen"

2. Nominalisierungen in der Literatur2.1 Formale Analyse von Nominalisierungen2.2 Nominalisierungen im Kontext

3. Das Deutsche und das Englische: regelmäßige Wortbildung und Restriktionen zur Bildbarkeit

4. Das Französische: Unregelmäßige Wortbildung und diachrone semantische Analyse

5. Schluss

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2 - Nominalisierungen in der Literatur

2. Nominalisierungen in der Literatur2.1 Formale Analyse von Nominalisierungen

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2 - Nominalisierungen in der Literatur

● Chomsky 1970: "Remarks on Nominalization"Analysiert Gerundien vs. Nominalisierungen:

(5)a. John refused the offer. (Satz)b. John's refusing the offer (Gerundium)c. *The refusing the offer (Gerundium)d. John's eagerness to please (Nominalisierung)e. The eagerness to please (Nominalisierung)f. The proof of the theorem (Nominalisierung)g. The destruction of the city by the enemy (Nominalisierung)

→ Nominalisierungen können John durch Det ersetzen (interne Struktur einer NP), lassen Adjektive zu, schließen Argumente mit of-PP an, demontieren den Agens als by-PP. Jedoch sind sie in ihrer Produktivität beschränkt und semantisch nicht immer regelmäßig. Können sie wirklich in Bezug gesetzt werden zur unterliegenden (durch das Verb ausgedrückten) Proposition?

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2 - Nominalisierungen in der Literatur

● Grimshaw 1990: "Argument Structure"Behandelt hautptsächlich die syntaktischen Eigenschaften von Nominalisierungen; Argumentvererbung; Verlinkung von syntaktischen Eigenschaften und bestimmten Derivationsprozessen: engl. -ation vs. -ing vs. Zero-Derivation

(6)a. The forming of the nominal by the speakers took a long time.b. The formation of the nominal by the speakers took a long time.c. *The form of the nominal by the speakers took a long time.d. *The forming by the speakers took a long time.e. The formation took a long time.

● Semantische Analyse in: a) Complex Events: (Event1CAUSER (Event2CHANGE OF STATE)) → (6a), (6b)b) Simple Events: (Event1CAUSER) → (6e)c) Results → (6c)

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2 - Nominalisierungen in der Literatur

● Grimshaw 1990: "Argument Structure"Weist den verschiedenen Klassen von Nominalisierungen folgende Eigenschaften zu

Syntactic Properties of Nominalisations According to Alexiadou/Grimshaw 2008

● Wichtig: Aspektuelle Eigenschaften von Nominalsisierungen; Zusammenhang zwischen Aspekt und Zählbarkeit (Sg/Pl).

Result/Simple Event Nominals Complex Event Nominalsa.b.c.d.e.f.g.

h.

Non-θ-assigner. No obligatory argumentsNo (complex) Event readingNo agent-oriented modifiersSubjects are possessivesBy-phrases are non-argumentsNo implicit argument controlNo aspectual modifiersModifiers like frequent, constant only with pluralMay be plural

θ-assigners. Obligatory argumentsComplex Event readingAgent-oriented modifiersSubjects are argumentsBy-phrases are argumentsImplicit argument controlAspectual modifiersModifiers like frequent, constant appear with singularMust be singular

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2 - Nominalisierungen in der Literatur● Uth 2008, Heinold 2008 & Alexiadou et al. 2009:

Betrachten französische, deutsche, englische und rumänische Nominalisierungen; die aspektuellen Eigenschaften, die die Nominalisierungen aufweisen, scheinen zum großen Teil durch die Nominalisierungssuffixe selbst ausgelöst zu werden.

Tabelle aus Heinold 2011a, 31.

Sprache Morphologie Aspektuelle Eigenschaft

Französisch -age durativ-ment terminativ-tion terminativ

Deutsch -en durativ-ung terminativ

Englisch -ing durativ-ation terminativ

Rumänisch Supinum durativInfinitiv terminativ

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2 - Nominalisierungen in der Literatur

Untersuchungsgegenstand der eher formalen Literatur zu Nominalisierungen:

● syntaktische/semantische Eigenschaften der Nominalisierungen● Derivationssuffixe als Träger von aspektueller Information● syntaktische/semantische/morphologische Komposition der NP● Regelmäßigkeiten in der Derivation; davon abgeleitete unregelmäßige Bedeutungen● Zusammenhang von Aspekt (V) und Zählbarkeit (N)

Methoden:

● Meist NPs außerhalb von Kontext● Grammatikalität von Konstruktionen● Syntaktische Tests

Andere, hier nicht besprochene Literatur zum Thema: Abney 1987, Alexiadou 2009, 2001 a,b, Alexiadou/Grimshaw 2008, Borer 2005, 2003, 2001, 1994, 1993, Brandtner 2008, Ehrich/Rapp 2000, Heinold 2011a, Iordăchioaia/Soare 2008, Lieber 2004, Meinschaefer 2004, Schäfer 2008, Uth 2010, Yoon 1996.

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2 - Nominalisierungen in der Literatur

2. Nominalisierungen in der Literatur2.2 Nominalisierungen im Kontext

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2 - Nominalisierungen in der Literatur

● Blume 2004 & Kaufmann 2005: Stellen fest, dass die Interpretation von Ereignisnominalisierungen sich je nach syntaktischem Kontext ändern kann. Semantische Effekte wie z.B. eine Gewohnheits-, Kontrastiv- oder generische Lesart von Ereignissen, ebenso wie die Opposition Aktivität/Ereignis, hängen häufig von der Realisierung oder Unterdrückung des internen Arguments ab.

(7)a. Der Austausch von alten Heizkörpern gegen moderne erleichtert der Hausfrau auch die tägliche Arbeit durch bequemeres Reinigen.b. Die Schlösser wurden in einen normalen Sicherheitsbeschlag – ein äußeres Metallschild, das ein Schloss gegen gewaltsames Aufbrechen schützen soll – eingebaut.

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2 - Nominalisierungen in der Literatur

● Spranger/Heid 2007: Sortale Kontexte von NominalisierungenAnhand der Kontexte, in die die Nominalisierungen eingebettet sind, kann man erkennen, welche semantischen Eigenschaften sie haben. Unterscheidung in Nominalisierungen als Subjekte/Objekte von Sätzen, Einbettung unter Verben, Modifikatoren.

Beispiele für Kontexte1 Nominalisierungen als Subjekte: Messung geht weiter2 Nominalisierungen als Objekte: Messung aufnehmen,

fortsetzen, abschließen3 Adjektive: fortlaufende, kontinuierliche Messung4 Temporale PPs: während der Messung5 Messung anordnen, vorschreiben, veranlassen6 Messung findet statt, Messungen durchführen7 Messungen an Straßen, Messungen im Sommer

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2 - Nominalisierungen in der Literatur

Untersuchungsgegenstand der Literatur zu Nominalisierungen im Kontext:

● In welchen Kontexten kommen welche Nominalisierungen häufig vor?● Zusammenhang von Kontexten und (aspektueller) Interpretation von

Nominalisierungen● Kontexte als Aspektindikatoren● Welche Rolle spielt Argumentrealisierung im Bezug auf die Interpretation?

Methoden:

● Meist eingebettete NPs● Oft Korpusdaten

Andere, hier nicht besprochene Literatur zum Thema: Barque et al. 2009, Brandtner 2008, de Swart 1998, Ehrich/Rapp 2000, Haas et al. 2008, Heinold 2011a,b, 2009, Uth 2008.

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3 – Das Deutsche und das Englische

3. Das Deutsche und das Englische: regelmäßige Wortbildung und Restriktionen zur Bildbarkeit

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3 – Das Deutsche und das Englische

● Im Englischen sind vor allem zwei Derivationsprozesse zur Bildung von nomina actionis äußerst produktiv: -ing, -(at)ion.

● Die Ableitung mit -ing ist für alle englischen Verben anwendbar; -(at)ion is beschränkt auf lateinische Basen. (Plag 1999, 2003)

(8)a. Destruction, suffocation, examination, activation, abstraction, creation, ... b. *Workation, *singation, *runation, *laughation, ...c. Destroying, suffocating, examining, activating, abstracting, creating, working, sining, running, laughing,...

● Aspektuell hat -ing durative, -(at)ion terminative Eigenschaften (z.B. Alexiadou 2001a, Alexiadou et al. 2009).

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3 – Das Deutsche und das Englische

● Hierzu gibt es nur wenige Ausnahmen, die dann auch häufig Ableitungen von Nomen sind oder das Resultat eines Vorgangs bezeichnen: timbering, walling, building,...

● Nur Nominalisierungen mit Ereignisinterpretation haben aspektuelle Eigenschaften. Doch wie kommen diese zustande?

● Bei den Ableitungen mit Ereignisinterpretation scheinen nicht nur die Suffixe, sondern auch die Quantifizierung des Objekts eine Rolle für die Interpretation der NP zu spielen.

(9)a. The destroying of the city → Vorgang: When did x take place?b. The destruction (of the city) → Vorgang oder Resultat: He took a photo of x.c. The destruction of ø cities → Vorgangd. The destoying of ø cities → Vorgang

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3 – Das Deutsche und das Englische

● Ebenso scheint es wichtig zu sein, welche Eigenschaften das Basisverb hat:

(10)a. The destroying of the city – destroy: dynamischb. The knowing of death – know: statisch

(Manche Literatur, wie Demske 1999: -ing nicht möglich mit statischen Verben; jedoch Beispiele in Textkorpora gefunden).

● Zwischenfazit: Insgesamt scheinen drei Faktoren für die Interpretation von nominalen Ereignissen eine Rolle zu spielen:

- Basisverb: statisch/dynamisch?- Suffix: abgeschlossen/nicht abgeschlossen?- Objekt: spezifisch quantifiziert/nicht-spezifisch quantifiziert?

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3 – Das Deutsche und das Englische

● Hierfür entwirft Heinold 2011 ein aspektuelles Kompositionssystem, welches auf Verkuyls 1972 Analyse der VP basiert. Dieses bezieht lexikalische aber auch kontextuelle Faktoren mit ein.

● Jeder der 3 Bausteine für die Komposition einer Ereignis-NP ist mit einem semantischen Feature assoziiert (Terminologie Verkuyl 1972):

1) Basisverb: [+/- ADD TO]: to destroy, to paint, to walk, to sing, to build... vs. To know, to love, to be, to hope, to fear,... Dieser Wert wird im Lexikon für jedes Verb festgelegt (unveränderbar).

2) Suffix: [+/- ADD TO]: -ation vs. -ing. Auch dieser Wert wird im Lexikon für die Suffixe festgelegt. Sobald eine Ereignissemantik ausgedrückt wird (siehe Kontext), wird der Wert evaluiert und fließt in die Gesamtinterpretation der NP mit ein. Bei nicht-Ereignisinterpretationen spielt er keine aspektuelle Rolle.

3) Internes Argument: [+/- SQA]: the, a, five, a glass of,... vs. Kein/Indefinit-PL-Det, no... Dieser Wert wird im jeweiligen Kontext festgelegt.

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3 – Das Deutsche und das Englische

● Nach Verkuyl erfolgt eine Kombination und Auswertung der Aspektualität in der VP nach dem sogenannten Plus-Prinzip:

a. Terminativer Aspekt [+T ]: entsteht nur, wenn alle Bausteine Plus-Werte aufweisenb. Durativer Aspekt [-T]: entsteht, sobald ein einziger Wert (egal welcher) einen Minus-Wert aufweist

● Durativer Aspekt ist für Verkuyl 1993 der aspektuelle "garbage can".

● Vorteil dieses Systems: Aspekt ist keine rein lexikalische oder rein syntaktische Eigenschaft, die wie ein Kopf fungiert und einfach durch Morphologie oder Syntax "zwischengeschaltet" wird, sondern ein zusammengesetzes Konstrukt, was die lexikalische UND die syntaktische Ebene mit einschließt und auch zu großen Teilen vom Kontext abhängt. (siehe auch Krifka 1989)

● Nachteile: für manche Verbklassen sind die jeweiligen Werte nicht so eindeutig zu bestimmen: push a cart.

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3 – Das Deutsche und das Englische● Beispiele aus dem Englischen:

(11)a. The destroy + ion + of the city [+ADD TO] + [+ADD TO] + [+SQA] → [+T] in der gesamten NPb. The destroy + ion + of cities

[+ADD TO] + [+ADD TO] + [-SQA] → [-T] in der gesamten NPc. The destroy + ing + of the city

[+ADD TO] + [-ADD TO] + [+SQA] → [-T] in der gesamten NPd. The destroy + ing + of cities [+ADD TO] + [-ADD TO] + [-ADD TO] → [-T] in der gesamten NP

● Beispiele aus dem Deutschen:

(12)a. Die Bemalung der Wand: [+T]b. Die Bemalung von Wänden: [-T]c. Das Bemalen der Wand: [-T]d. Das Bemalen von Wänden: [-T]

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3 – Das Deutsche und das Englische● Auch im Deutschen funktioniert diese Analyse, weil wie im Englischen, die Wortbildung, v.a. mit

den Hauptderivationsprozessen sehr regelmäßig ist.

● Hierbei wird -ung mit dem Featurewert [+ADD TO] und -en mit [-ADD TO] assoziiert. Interessant ist, dass sich trotz des gemeinsamen Ursprungs von engl. -ing und deutsch -ung gegensätzliche aspektuelle Eigenschaften entwickelt haben. Hierbei fand ein systematischer aspektueller Shift im Mhd statt (Demske 1999):

(13)a. Mdh: hoerunge, sehunge, schouwunge, harrunge, vurhtunge, wünschungeb. Nhd: *Hörung, *Sehung, *Schauung, *Harrung, *Fürchtung, *Wünschung

● Im Nhd hat das Suffix -ung eine [+ADD TO] Eigenschaft angenommen und scheint nicht mehr mit Verben der Klasse [-ADD TO] kompatibel.

● In Heinold 2011a sowie in anderen neueren Arbeiten zum Deutschen (z.B. Scheffler 2005) werden die nominalisierten Infinitive als V+en-Suffix analysiert. Hierbei repräsentiert -en einen Derivationsprozess mit besonderen aspektuellen Eigenschaften, nämlich [-ADD TO], während eine ("morphologische") Konversion (Eisenberg 1998) die Eigenschaft [+ADD TO] repräsentiert: das Laufen vs. Der Lauf

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3 – Das Deutsche und das Englische

● Intransitive Verben: Verkuyl 1972, 1993:Wenn kein internes Argument realisiert wird, wird ein [-SQA]-Wert berechnet, weil die Spezifizierung des Pfades fehlt, der für ein terminatives Ereignis komplett durchlaufen werden müsste.

● Dies ist auch der Fall, wenn bei transitiven Verben das interne Argument ausgelassen wird. (Heinold 2011)

● Bei unakkusativen Verben, zählt der [SQA]-Wert des grammatischen Subjekts.

(14)a. Das Sing-en _____ des Kindes: [+ADD TO] + [-ADD TO] + [-SQA] = [-T]b. Das Verblüh-en der Blume: [+ADD TO] + [-ADD TO] + [+ SQA] = [-T]

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3 – Das Deutsche und das Englische

Zusammenfassung:

● Im Deutschen und im Englischen ist die Bildung von Ereignisnominalisierungen, speziell durch die sehr produktiven Prozesse, -ing/-(at)ion und -ung/-en, regelmäßig.

● Die Interpretation unterliegt dem Prinzip der Aspektkomposition und beinhaltet lexikalische sowie syntaktische Features.

● Nicht-Ereignis-Interpretationen können (in Falle einer verbalen Basis) jedoch zur aspektuellen Eigenschaft des Suffixes in Bezug gesetzt werden. So existieren Resultatslesarten nur mit -ung bzw -ation-Nominalisierungen, die Abgeschlossenheit bzw Dynamik ausdrücken können.

● Restriktionen zur Bildbarkeit bestimmter Ns sind: Herkunft der Basis & aspektuelle Eigenschaften der 3 Bausteine.

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4 – Das Französische

4. Das Französische: Unregelmäßige Wortbildung und diachrone semantische Analyse

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4 – Das Französische

● Im Gegensatz zum Englischen und Deutschen erscheint die Bildung der französischen Nominalisierungen semantisch und morphologisch relativ willkürlich.

● Es gibt viele Dobletten, speziell der drei hochproduktiven Prozesse: -age, -(t)ion und -ment. Diese unterscheiden sich häufig dahingehend, welche syntaktische Variante eines Verbs als Basis zugrunde liegt (Dubois 1962, Dubois/Dubois-Charlier 1999).

● Mit vielen dieser Ableitungen besteht gar keine Ereignislesart, sondern Objekt-, Resultat-, Ort-, Zustand-, und andere Interpretationen (Lüdtke 1978, Heinold 2005).

● Desweiteren unterscheiden sich die Doubletten auch häufig in ihrer Zugehörigkeit zu Spezialvokabular oder in der Beschränktheit auf bestimmte Kontexte.

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4 – Das Französische

● Beispiele für französische Doubletten (Heinold 2011a, 127):

(15)a. Le blanchissage du sucre semble requérir de nombreux produits chimiques.b. [...] il serait possible de s'opposer au blanchissement de cheveu,...→ blanchissage: transitive; blanchissement: anticausative reflexiveDeutsch: weiß machen vs. Weiß werden

(16)a. On vous offre aussi le gonflage de la roue de secours.b. Il est survenu un léger gonflement de la partie supérieure droite de la face...→ gonflage: transitive; gonflement: anticausative reflexiveDeutsch: aufpumpen vs. Anschwellen

(17)le barrage – der Damm; le décrochage – das (schulische) Zurückbleiben hinter der Klasse; le doublage – das Synchronisieren eines Films; le raffinage – Verfeinern von Erdöl; etc.

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4 – Das Französische

● Daher waren frühere Arbeiten zu französischen Nominalisierungen eher deskriptiv und versuchten die ganze Breite der syntaktischen und semantischen Besonderheiten darzustellen.

● Eine diachrone (korpusbasierte) Analyse zeigt jedoch, dass die Bedeutung der konkurrierenden Suffixe eine systematische Entwicklung aspektueller Eigenschaften durchlaufen hat bzw. immer noch durchläuft.

● Uth 2008:-age von lat. -aticu: N>Adj-Suffix mit "type"-Interpretation: census terraticus: Steuer auf LandAfz: -age: N>Adj und N>N häufigste Funktion; nur selten V>N.Semantik der N-Ableitungen: Gruppen-/Massennomen

(18) toutes mes bestes et le meilleur porc du porcageAlle meine Tiere und die besten Schweine meiner Schweineherde→ -age ist ein Pluraloperator, der seine Funktionsdomäne gewechselt hat. Im Afz war er auf Nomen anwendbar. Im Nfz auf Ereignisse!

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4 – Das Französische

● Altfranzösisch:

porc + age porc1 porc2 porc3 porc4

porc5...... porcx

● Neufranzösisch:

miaul + age miau1 miau2 miau 3 miau4

miau5 .... miaux

● Das Suffix -age sorgt dafür, dass Nomen Plural- bzw. Masseninterpretation bekommen und Ereignisse eine durative Semantik. Uth 2008, 2011.

● Die Suffixe -ment und -(at)ion hingegen werden schon im lat. bzw afz. für terminative Ereignisse benutzt.

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4 – Das Französische

● Im Gegensatz zu -ing oder -en im Englischen und Deutschen hat sich -age im Französischen jedoch noch nicht so vollständig etabliert.

● Jedoch wird der Prozess immer produktiver, wohingegen -ment in seiner Produktivität stark zurückgeht (Heinold 2005, 2011).

● Daher wird in Heinold 2011 für -age ein schwaches Feature [-add to] angenommen, welches sich einfacher in nicht-Ereignis-Kontexte umleiten lässt.

(19)a. Le pass + age: kein Ereignis, aber die Pluralsemantik von -age besteht dennoch in der Bedeutung fort → Ort, umgeben von mehreren Wänden, den man passiertb. L'attel + age: → Ding, aus mehreren Teilen bestehtend, das zum Anschirren genutzt wird (Deutsch: Ge-schirr)c. Le plum + age → Ding, das aus mehreren Federn besteht (Deutsch: Federkleid)

● Prognose: -age wird sich immer weiter auf die [-ADD TO]-Ereignissemantik spezialisieren, weil solch ein Suffix im Französischen bisher fehlt.

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4 – Das Französische

Fazit:

● Historisch koexistieren im Französischen mehrere Prozesse zur Bildung von nomina actionis.

● Diese unterscheiden sich hauptsächlich nach Register oder syntaktischen Eigenschaften.

● Die aspektuelle Opposition der Konkurrenten entwickelt sich erst ab dem Afz für V>N-Ableitungen und ist auch im Nfz noch nicht vollständig etabliert.

● -Age wird immer produktiver (v.a. in der Umgangssprache), wohingegen die Produktivität von -ment stark zurück geht.

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6 - Schluss

6. Schluss

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6 - Schluss● In Sprachen, in denen mehrere deverbale Derivationsprozesse koexistieren, die

nomina actionis ableiten, besteht zwischen diesen oft eine aspektuelle Opposition: deutsch, englisch, französisch, rumänisch, spanisch,...

● Es gibt Suffixe, die durative Eigenschaften haben, und welche, die terminative Eigenschaften haben.

● Je nach theoretischem Ansatz spielen die Suffixe in der Interpretation der Ereignis-NP eine unterschiedlich wichtige Rolle.

● Hier (Heinold 2011) wurde die Sichtweise vertreten, dass das Nominalisierungssuffix nur eine von drei Komponenten ist, die zur Aspektkomposition in der NP beitragen und dass sein Beitrag lexikalisch-semantischer Natur ist.

● Diachron kann sich die Interpretation von Suffixen ändern. Dies kann Auswirkungen auf das ganze Derivationssystem haben.

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6 - Schluss

● Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

● Literatur auf dem Handout.