8
Norwegen – Länderspezifische Infos Landeskunde: Staat, Geografie, Bevölkerung, Wirtschaſt und Sprache Handlungshilfe für die Beratung ausländisch geführter Unternehmen Länderprofil Norwegen Norwegischer Name: Kongeriket Norge/Noreg (Königreich Norwegen) Staatsform Der Staat Norwegen ist eine konstitutio- nelle Monarchie, verfügt folglich über ein Parlament und einen König. Diese Staats- form, bei der das demokratisch gewählte Parlament Gesetz gebend ist und der Mo- narch Gesetz ausführend ist (also diese unterzeichnet), existiert seit 1814. Seit 1991 ist Harald V. König von Norwegen. Norwe- gen ist ein Wohlfahrtsstaat par excellènce. Es hat zum Beispiel ein verstaatlichtes Ge- sundheitssystem und viele Förderungen im Bereich Schule und Studium. Geografie Größe: 323.802 km 2 (Platz 67 weltweit) 1 . Im Vergleich: etwas kleiner als Deutschland (367.022 km 2 ) Klima: Gemäßigtes Klima im Osten, an der Westküste sehr regnerisch; je weiter man ins Landesinnere kommt, desto kälter wird es und desto weniger Niederschlag fällt; im Norden eisige Temperaturen Norwegen besteht neben einem Festland- Anteil, auf dem sich die Hauptstadt Oslo befindet, aus zahllosen (über 50.000) Inseln und Fjorden und verfügt damit zu- sammengerechnet über mehr als 25.000 km Küste. Die Landschaſt ist bergig mit fruchtbaren Tälern im Süden bis hin zu Gletscherlandschaſten und arktischer Tundra im hohen Norden. Zwei Drittel der Fläche Norwegens sind Gebirge, höchster Berg ist der Galdhøpiggen mit 2.469 m. Zu Norwegen gehört auch die im Nord- polarmeer gelegene Insel Svalbard (mit Spitzbergen). In Nordnorwegen herrscht im Sommer die Mitternachtssonne, es wird auch nachts nicht dunkel. Im Winter dagegen ist Polarnacht, das heißt, auch tagsüber bleibt es dunkel. Bevölkerung Einwohner: (Stand Juli 2010), 4.676.305 Geburtenrate: 1,77 Kinder/Frau In Norwegen leben auch heute noch ca. 60.000 Samen, ein indigenes Volk, das auch in Teilen von Finnland, Schweden, Russland und der Ukraine heimisch ist. Wirtschaſt BSP in Anteilen: (Zahlen aus 2009) Landwirtschaſt: 2,1 % Industrie: 40,1 % Dienstleistung: 57,8 % Export: Platz 31, Summe aller Exporte in US-$: 137 Billionen (Zahl aus 2010) Arbeitslosenrate: 3,7 % Elektrizität: 128,8 Billionen kWh Verbrauch (2008), Platz 26 weltweit, ebenfalls Platz 26 in der Produktion Sprache In Norwegen gibt es zwei offizielle Lan- dessprachen. Sie heißen Bokmål (Buch- sprache, alter Begriff: Riksmål, Reichs- sprache) und Nynorsk (Neunorwegisch). Beide Sprachen werden in der Schule ge- lehrt und in der öffentlichen Verwaltung, im Radio und Fernsehen und so weiter ge- sprochen. Bücher und Zeitungen werden ebenfalls in beiden Sprachen veröffent- licht. Während Bokmål eine über 600jäh- rige schriſtsprachliche Tradition mit Wurzeln in der dänisch-norwegischen Per- sonalunion hat, ist Nynorsk eine Kunst- sprache. Sie wurde von Ivar Aasen, einem Linguisten, Mitte des 19. Jahrhunderts erfunden. Ziel war es, die alten west- und zentralnorwegischen Dialekte zu bewah- ren. Zudem ist die samische Sprache in einigen Bezirken als dritte Sprache offizi- ell anerkannt. Norweger beherrschen also von vorneherein mindestens 2 Sprachen.

Norwegen – Länderspezifische Infos Harald V. König von Norwegen. ... (2008), Platz 26 weltweit, ebenfalls Platz 26 in der Produktion Sprache In Norwegen gibt es zwei offizielle

  • Upload
    lyquynh

  • View
    214

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Norwegen – Länderspezifische Infos Harald V. König von Norwegen. ... (2008), Platz 26 weltweit, ebenfalls Platz 26 in der Produktion Sprache In Norwegen gibt es zwei offizielle

Norwegen – Länderspezifische InfosLandeskunde: Staat, Geografie, Bevölkerung, Wirtschaft und Sprache

Handlungshilfe für die Beratung ausländisch geführter Unternehmen→ Länderprofil Norwegen

Norwegischer Name: Kongeriket Norge/Noreg (Königreich Norwegen)

▪ StaatsformDer Staat Norwegen ist eine konstitutio-nelle Monarchie, verfügt folglich über ein Parlament und einen König. Diese Staats-form, bei der das demokratisch gewählte Parlament Gesetz gebend ist und der Mo-narch Gesetz ausführend ist (also diese unterzeichnet), existiert seit 1814. Seit 1991 ist Harald V. König von Norwegen. Norwe-gen ist ein Wohlfahrtsstaat par excellènce.Es hat zum Beispiel ein verstaatlichtes Ge-sundheitssystem und viele Förderungen im Bereich Schule und Studium.

▪ GeografieGröße: 323.802 km2 (Platz 67 weltweit)1. Im Vergleich: etwas kleiner als Deutschland (367.022 km2)Klima: Gemäßigtes Klima im Osten, an der Westküste sehr regnerisch; je weiter man ins Landesinnere kommt, desto kälter wird es und desto weniger Niederschlag fällt; im Norden eisige Temperaturen

Norwegen besteht neben einem Festland-Anteil, auf dem sich die Hauptstadt Oslo befindet, aus zahllosen (über 50.000) Inseln und Fjorden und verfügt damit zu-sammengerechnet über mehr als 25.000 km Küste. Die Landschaft ist bergig mit fruchtbaren Tälern im Süden bis hin zu Gletscherlandschaften und arktischer Tundra im hohen Norden. Zwei Drittel der Fläche Norwegens sind Gebirge, höchster Berg ist der Galdhøpiggen mit 2.469 m.

Zu Norwegen gehört auch die im Nord-polarmeer gelegene Insel Svalbard (mit Spitzbergen). In Nordnorwegen herrscht im Sommer die Mitternachtssonne, es wird auch nachts nicht dunkel. Im Winter dagegen ist Polarnacht, das heißt, auch tagsüber bleibt es dunkel.

▪ Bevölkerung Einwohner: (Stand Juli 2010),4.676.305Geburtenrate:1,77 Kinder/Frau

In Norwegen leben auch heute noch ca. 60.000 Samen, ein indigenes Volk, das auch in Teilen von Finnland, Schweden, Russland und der Ukraine heimisch ist.

▪ WirtschaftBSP in Anteilen: (Zahlen aus 2009)Landwirtschaft: 2,1 % Industrie: 40,1 % Dienstleistung: 57,8 % Export: Platz 31, Summe aller Exporte in US-$: 137 Billionen (Zahl aus 2010)Arbeitslosenrate: 3,7 %

Elektrizität: 128,8 Billionen kWh Verbrauch (2008), Platz 26 weltweit, ebenfalls Platz 26 in der Produktion

▪ SpracheIn Norwegen gibt es zwei offizielle Lan-dessprachen. Sie heißen Bokmål (Buch-sprache, alter Begriff: Riksmål, Reichs-sprache) und Nynorsk (Neunorwegisch). Beide Sprachen werden in der Schule ge-lehrt und in der öffentlichen Verwaltung, im Radio und Fernsehen und so weiter ge-sprochen. Bücher und Zeitungen werden ebenfalls in beiden Sprachen veröffent-licht. Während Bokmål eine über 600jäh-rige schriftsprachliche Tradition mit Wurzeln in der dänisch-norwegischen Per-sonalunion hat, ist Nynorsk eine Kunst-sprache. Sie wurde von Ivar Aasen, einem Linguisten, Mitte des 19. Jahrhunderts erfunden. Ziel war es, die alten west- und zentralnorwegischen Dialekte zu bewah-ren. Zudem ist die samische Sprache in einigen Bezirken als dritte Sprache offizi-ell anerkannt. Norweger beherrschen also von vorneherein mindestens 2 Sprachen.

Page 2: Norwegen – Länderspezifische Infos Harald V. König von Norwegen. ... (2008), Platz 26 weltweit, ebenfalls Platz 26 in der Produktion Sprache In Norwegen gibt es zwei offizielle

Personenorientierung

(enthält Aspekte von Gruppen-, Harmonie- und Konsensorientierung)

In Norwegen ist die Zugehörigkeit zu Gruppen sehr wichtig, der Gemein-schaftssinn ist ausgeprägt. Gruppenzu-gehörigkeiten sind auf verschiedenen Ebenen angesiedelt, zum Beispiel kann man sich gleichzeitig den unterschied-lichen Gruppen „Familie“, „Freundes-kreis“, „Arbeitskollegium“ usw. zu-gehörig fühlen. Auch im Arbeitsleben herrscht eine starke Personenorientie-rung. Als Teil der „Wir-Gruppe“ kann jeder Norweger sich der Solidarität und Unterstützung der anderen Gruppenmit-glieder sicher sein. Da in einer Gruppe gute zwischenmenschliche Beziehun-gen die Basis bilden, ist es ein norwegi-sches Bestreben, Harmonie herzustellen und zu bewahren. Bei Entscheidungen wird ein Konsens angestrebt, d.h. man versucht, alle Beteiligten zufrieden zu stellen und deren Gesicht zu wahren. In der Praxis führt das zu häufigen Team-sitzungen und wichtigen informellen Gesprächen. Emotionen – positiv wie negativ – äußert man nur sehr zurück-haltend, die Kommunikation ist indirekt und das Konfliktverhalten eher bedäch-tig und reserviert.

▪ Fallbeispiel4: Herr Konrad ist zurzeit an der Organisa-tion eines Ausstellungsprojektes in Oslo beteiligt, das von einer Gruppe Norweger und einer Gruppe Deutscher gemeinsam organisiert wird. Gleich zu Beginn müs-sen Sponsorengelder gesammelt und Ausstellungsstätten in beiden Ländern gefunden werden. Die norwegischen Kol-legen haben schnell Erfolg im eigenen Land, jedoch basieren ihre Abschlüsse

Norwegen – Kulturstandards und kulturelle Dimensionen2

auf informellen Absprachen und gegen-seitigem Vertrauen, meist kennt man sich. Sie können ihren deutschen Kolle-gen nicht ein einziges Stück Papier vorle-gen. Herrn Konrad und seinen deutschen Kollegen ist das unbegreiflich: Natürlich findet er es toll, dass seine norwegi-schen Kollegen mit Hilfe ihres Bezie-hungsnetzwerkes so gute Sponsoren und Räumlichkeiten akquiriert haben, aber trotzdem muss man seiner Meinung nach doch schriftliche Verträge abschlie-ßen, um sich abzusichern und im Notfall „etwas in der Hand zu haben“.

▪ Hintergrund: Geschäftliche Beziehungen basieren in Norwegen oftmals auf mündlichen Ab-

In Norwegen werden Verträge oft nur mündlich geschlossen Quelle: Fotolia

sprachen, nicht auf schriftlichen Fixie-rungen. Für die norwegischen Kollegen ist insofern das Wort der Sponsoren und Kooperationspartner absolut aus-reichend. Herr Konrad sollte diesen Absprachen deshalb vertrauen. Der deutsche Usus, nach dem man nicht Personen, sondern Institutionen und Systemen vertraut, gilt in Norwegen nicht. Bestünde Herr Konrad auf schrift-lichen Verträgen, würde er die Norweger brüskieren, denn: Wer dem Wort des an-deren nicht vertraut, der gilt selbst nicht als vertrauenswürdig. Stabile persönli-che Beziehungen zu Geschäftspartnern sind also besonders wichtig, und die Investition in den Aufbau dieser Netz-werke lohnt sich.

Wichtigste Kulturstandards nach Thomas3 sind ▪ Gruppenorientierung, Harmonieorientierung, Konsens-orientierung, ▪ verdeckte Hierarchien, soziale Gleichheit, ▪ direkte/indirekte Kommunikation und ▪ geringe Bedeutung von Struktur und Planung, Gleichwertigkeit von Arbeit und Privatleben. Hier finden Sie kurz nach Themenfeldern zusammengefasst, wie sich diese Kulturstandards äußern. Fallbeispiele verdeutlichen, wie es im Berufsleben durch die Kulturstandards – die ganz anders als die deutschen sind – zu Missverständnissen kommen kann. Im Anschluss wird aufgelöst, was der Situation zugrunde lag. Ergänzt werden die Kulturstandards durch grundlegende Informationen zu, ▪ Gender (Frauen-/Männerrol-len) und ▪ Körperdistanz/nonverbaler Kommunikation. Verhaltenstipps („Dos“ und „Don‘ts“) runden die Informationen ab.

2

Handlungshilfe für die Beratung ausländisch geführter Unternehmen – Länderprofil Norwegen

Page 3: Norwegen – Länderspezifische Infos Harald V. König von Norwegen. ... (2008), Platz 26 weltweit, ebenfalls Platz 26 in der Produktion Sprache In Norwegen gibt es zwei offizielle

▪ Fallbeispiel5: Herr Andresen ist Wissenschaftler an ei-ner Universität in Norwegen. Anlässlich einer offiziellen Festlichkeit, bei der zwei bedeutende norwegische Minister anwe-send sind, erlebt er folgende Situation: In seiner Ansprache begrüßt der Rektor, Herr Bakke, die beiden Minister und re-det diese dabei mit Du und Vornamen an. Herr Andresen ist entsetzt: Für ihn ist das eine Unverschämtheit und Respektlo-sigkeit! Auch dass die Minister gar nicht darauf reagieren, verblüfft ihn. Er erwar-tete, dass sie auf dem Fuß kehrt machten und nach Hause fuhren. Da sie das nicht taten, verloren sie bei ihm deutlich an Respekt. Er versteht das Ganze nicht.

▪ Hintergrund: In Norwegen wurden in den 1970er Jahren sowohl die „Sie“-Anrede als auch die Ver-wendung akademischer Titel abgeschafft. Die soziale Gleichheit, die in Norwegen gelebt wird, spiegelt sich hier wider: Kom-munikation soll immer auf Augenhöhe stattfinden. Dass die Minister in der Hi-erarchie höher stehen, wird nicht offen-sichtlich. Herr Bakke äußert seinen Res-pekt unterschwelliger, zum Beispiel durch nonverbale Aspekte oder seinen Tonfall.

Hierarchieorientierung

(enthält Aspekte von verdeckte Hierarchien, soziale Gleichheit)

Grundlegend für die norwegische Gesell-schaftsordnung sind soziale Gleichheit und Gleichberechtigung. Alle Norweger, unabhängig von Geschlecht, Herkunft und so weiter empfinden sich als gleich-wertige Mitglieder der Gesellschaft. Es ist nicht erwünscht, sich durch Status-symbole oder ähnliches aus dem Kollek-tiv hervorzuheben. Auch im beruflichen Kontext zeugen die flachen Hierarchien und egalitären Strukturen von der aus-geprägten sozialen Gleichheit. Entschei-dungsbefugnisse sind nicht einer Füh-rungsriege vorbehalten, sondern breit auf allen Ebenen verteilt. Titel werden in der Anrede nicht verwendet, um kei-ne Sonderstellungen zu schaffen. Au-toritäres Verhalten wird abgelehnt, Ar-beitsanweisungen als Bitten formuliert und Abläufe flexibel, nicht nach festen Organisationsstrukturen, gehandhabt. Norwegens einzigartige Historie, in der nie eine Feudalherrschaft vorkam und demokratische und egalitäre Strukturen eine tiefe Verwurzelung haben, ist für die Kulturstandards verdeckte Hierarchi-en und soziale Gleichheit maßgeblich.

Direkte / indirekte Kommunikation

Norweger kommunizieren sehr indirekt. Kritik wird nicht offen geäußert und auch nie vor Dritten ausgesprochen. Sie wird subtil, manchmal mithilfe leiser Ironie oder in Frageform, geäußert. Nach E. T. Hall gehört Norwegen zu den high con-text-Kulturen6. Eine offene Austragung von Konflikten wird ebenso vermieden wie kontroverse Diskussionen. Auch ex-pressives, lautes Sprechen ist unüblich. Man spricht zudem langsamer und die Intonation ist melodischer als im Deut-schen7. Norweger sind auch hinsichtlich der Quantität der geäußerten Informa-tion zurückhaltender, d. h. die Redean-teile sind geringer. Man „macht nicht viele Worte“. Norweger erschließen sich Zusammenhänge aus dem Kontext des Gesagten: Es ist mindestens genauso wichtig, wie etwas gesagt wird, wie was gesagt wird.

In Norwegen gilt soziale Gleichheit ohne Abstufungen nach Alter oder Herkunft Quelle: Fotolia

3

Handlungshilfe für die Beratung ausländisch geführter Unternehmen – Länderprofil Norwegen

Page 4: Norwegen – Länderspezifische Infos Harald V. König von Norwegen. ... (2008), Platz 26 weltweit, ebenfalls Platz 26 in der Produktion Sprache In Norwegen gibt es zwei offizielle

Zeitorientierung

(enthält Aspekte von geringe Bedeutung von Struktur- und Planung und Gleich-wertigkeit von Arbeit und Privatleben)

Norweger gehen mit zeitlichen Ressour-cen und Planungen generell flexibler um als Deutsche. Ein Sprichwort besagt: „Ting tar tid“ – Dinge brauchen ihre Zeit. Die Erstellung konkreter Zeitpläne und Deadlines ist weniger üblich. Diese „un-strukturierte“ Herangehensweise – zum Beispiel im Projektmanagement – führt in der interkulturellen Begegnung mit Deutschen öfters zu Reibungen. Rücken Abgabetermine näher, stellt sich jedoch heraus, dass die norwegische „Planlo-sigkeit“ ebenfalls zielführend ist. Durch die Aktivierung von Netzwerk-Partnern können zum Beispiel Projekte dann ganz plötzlich „im Handumdrehen“ fer-tiggestellt werden.

Hinzu kommt, dass Norwegern ihr Pri-vatleben sehr wichtig ist. Die Prioritä-tensetzung ist anders, man macht bei-spielweise pünktlich Feierabend und ungern Überstunden, denn Freizeit und Privatleben nehmen einen großen Stel-lenwert ein. Man arbeitet, um zu leben, nicht umgekehrt. Norweger haben bis zu 5 Wochen bezahlten Urlaub.

Gender (Frauen-/Männerrollen)

(enthält den Aspekt soziale Gleichheit)

In Norwegen herrscht eine ausgeprägte Gleichstellung der Geschlechter. Dies ist ein Aspekt des Kulturstandards sozi-ale Gleichheit. Als erstes Land der Welt etablierte Norwegen 1993 den Vater-schaftsurlaub. Ganz selbstverständlich sind Norwegerinnen in allen beruflichen und politischen Positionen vertreten, es gibt gesetzliche Frauenquoten (auch für Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften) und im norwegischen Parlament sind Frauen aktuell in der Überzahl. Die hohe Arbeitsmarktbeteiligung norwegischer Frauen bei gleichzeitig vergleichsweise hoher Geburtenrate zeugt davon, dass die Vereinbarung von Familie und Beruf in Norwegen besonders gut ermöglicht wird.

▪ Fallbeispiel8: Herr Meyer ist in Norwegen bei einem Meeting mit Geschäftspartnern. Der nor-wegische Kollege Herr Andersson möch-te sich nach 1 ½ Stunden Besprechung plötzlich verabschieden. Er müsse nun seine kleine Tochter aus dem Kinder-garten abholen, so seine Begründung. Ganz selbstverständlich drückt er Herrn Meyer die Hand und will den Bespre-chungsraum verlassen. Herr Meyer ist konsterniert – sie sind noch „mitten-

drin“ und es gäbe durchaus noch ei-niges zu besprechen. Er fragt deshalb Herrn Andersson, ob denn nicht sei-ne Frau die Tochter abholen könne, es gäbe doch noch wichtige Punkte auf der Agenda. Herr Andersson schaut ihn verblüfft und sogar etwas wütend an und verneint. Er verlässt das Meeting. Herr Meyer versteht das nicht, er findet Herrn Andersson unverschämt, denn er ist schließlich extra angereist und wird nun wegen so einer „Ausrede“ allein gelassen.

▪ Hintergrund:In Norwegen wurden bereits in den 1970er Jahren umfassende Gleich-stellungsgesetze erlassen. Es ist ganz selbstverständlich, dass sich Paare Aufgaben in der Familie teilen und beide Partner berufstätig sind. Herrn Meyers Vorschlag, seine Frau könne doch die Tochter abholen, empfindet Herr An-dersson seinerseits als Unverschämt-heit – es ist eine Herabsetzung seiner Frau und Missachtung des egalitären Rollenverständnisses. Herr Meyer ver-liert nun bei Herrn Andersson erst ein-mal an Achtung. Er sollte realisieren, dass die Gleichberechtigung eine wich-tige Basis der norwegischen Gesell-schaft darstellt. Es ist also keineswegs unhöflich von Herrn Andersson, das Meeting zu verlassen – es ist schlicht seine Aufgabe als Familienvater.

Gleichberechtigung in der norwegischen Familie Quelle: Fotolia

4

Handlungshilfe für die Beratung ausländisch geführter Unternehmen – Länderprofil Norwegen

Page 5: Norwegen – Länderspezifische Infos Harald V. König von Norwegen. ... (2008), Platz 26 weltweit, ebenfalls Platz 26 in der Produktion Sprache In Norwegen gibt es zwei offizielle

Körperkontakt und nonverbale Kommunikation

In Norwegen ist die interpersonale Di-stanz durchschnittlich größer als in Deutschland. Das heißt, man hält mehr räumlichen Abstand zu seinem Ge-sprächspartner und berührt sich auch eher selten. Kennt man sich nicht, wird auf Körperkontakt verzichtet. Gestik und Mimik sind zurückhaltender und werden spärlicher eingesetzt. Die Zurückhaltung der Norweger kann zunächst reserviert wirken.

Teambesprechung, bei der jeder genug Platz für sich hat Quelle: Fotolia

5

Handlungshilfe für die Beratung ausländisch geführter Unternehmen – Länderprofil Norwegen

Page 6: Norwegen – Länderspezifische Infos Harald V. König von Norwegen. ... (2008), Platz 26 weltweit, ebenfalls Platz 26 in der Produktion Sprache In Norwegen gibt es zwei offizielle

• Pflegen Sie Kontakte und nehmen Sie sich Zeit für den Aufbau von Netz-werken! Persönliche Beziehungen und die Aufnahme in „Gruppen“ sind wichtig

• Beachten Sie die indirekte Kommu-nikation: Norweger beginnen Aussa-gen, vor allem bei Kritik, oft mit ei-ner Abwertung/Abschwächung, wie zum Beispiel „Wahrscheinlich habe ich unrecht, aber…“. Dies ist kein Zei-chen von Unsicherheit, sondern dient der Wahrung des Gesichts ihres Ge-sprächspartners

• Gesprächsthemen sind – wenn man sich auf der Straße begegnet oder bei informellen Anlässen – nicht Beruf-liches, sondern Freizeitaktivitäten, Wetter, (Winter-)Sport und so weiter. Das ist ein Effekt der Trennung von Ar-beits- und Privatleben. Tabu sind kri-tische Themen, wie zum Beispiel der Walfang oder das hohe Preisniveau

• Akzeptieren Sie die flachen Hierarchi-en und dass Ihre norwegischen Ge-schäftspartner Sie gegebenenfalls Duzen oder Titel weglassen

• Verwenden Sie in der Anrede beide Vornamen Ihres Gesprächspartners. In Norwegen sind zwei Vornamen ver-breitet, und es ist üblich, immer bei-de zu nennen (zum Beispiel Per Olof)

• Bei einer Einladung bedankt man sich nach dem Essen. Üblicherwei-se tippt man dazu das Glas mit dem Messer an und sagt “Takk” (Danke) beziehungsweise “Takk for maten” (Danke für das Essen). In norwegi-schen Familien ist diese traditionelle Geste immer üblich

• Ausufernd langer Small-Talk zu Ge-sprächseinstieg ist eher unüblich, man begrüßt sich, spricht kurz und übergibt gegebenenfalls seine Visi-tenkarte

• Vermeiden Sie geringe Körperdistanz und Körperkontakt

• Kommen Sie nicht unpünktlich zu Ter-minen; bei Verspätungen ist ein Tele-fonanruf angesagt

Dont‘s

Dos

• Drängen Sie Norwegern keine engen Zeitpläne oder ähnliches auf; die Ar-beit wird anders strukturiert

• Vermeiden Sie direkte Kritik, ganz be-sonders vor anderen (führt zu Ge-sichtsverlust!). Im Beratungsge-spräch, speziell beim Rundgang, Mängel vorsichtig benennen!

• Konflikte nie offen austragen, gege-benenfalls 4-Augen-Gespräch su-chen, und auch dann Kritik vorsichtig formulieren (zum Beispiel „Wäre es nicht auch eine gute Idee, wenn…“)

• Nehmen Sie es nicht persönlich, wenn es etwas länger dauert, bis Sie von Norwegern nach Hause eingela-den werden oder in einen Freundes- und Bekanntenkreis integriert wer-den. Man geht zwischenmenschliche Beziehungen zurückhaltender an

Freizeitaktivitäten – ein beliebtes Thema für den Smalltalk Quelle: Fotolia

6

Handlungshilfe für die Beratung ausländisch geführter Unternehmen – Länderprofil Norwegen

Page 7: Norwegen – Länderspezifische Infos Harald V. König von Norwegen. ... (2008), Platz 26 weltweit, ebenfalls Platz 26 in der Produktion Sprache In Norwegen gibt es zwei offizielle

▪ Ergänzung: UnsicherheitsvermeidungDa das Thema „Sicherheit“ im Kontext der Arbeit der Unfallversicherungsträger be-sondere Wichtigkeit hat, ist im Folgenden die Grafik für die Kulturdimension „Un-sicherheitsvermeidung“ nach Hofstede9 abgebildet.

0102030405060708090

100Unsicherheitsvermeidung

NorwegenDeutschland

50 %

65 %

Unsicherheitsvermeidung Deutschland vs. Norwegen

Erklärung: In Norwegen ist die Unsicherheitsvermei-dung etwas geringer als in Deutschland. Obwohl der Index mit 50 im Mittelfeld liegt, ist dieser Wert im Vergleich zu allen untersuchten Länder eher gering (Platz 57 von 74 Ländern, Deutschland: Platz 43). Die dementsprechend höhere Toleranz gegenüber unstrukturierten, „lockeren“ Situationen zeigt sich zum Beispiel bei dem in Norwegen üblichen Duzen und Weglassen von akademischen Titeln. Auch Beschilderungen sind weniger expli-zit; in der norwegischen Natur wird man vergeblich nach Schildern für Wander-wege suchen. Das in Norwegen geltende sogenannte Jedermannsrecht (Allemanns-retten) gesteht jedem die freie Bewegung (zu Fuß) in der Natur zu, das heißt auch die Überquerung von Grundstücken, frei-es Zelten bis zu 2 Tagen, Beerenpflücken auf nicht umzäuntem Gebiet usw. unab-hängig von den Besitzrechten am Grund-stück10. Deutschen, die Privateigentum gewöhnlich durch Zäune oder ähnliches abgrenzen, ist dieser Umgang mit Raum eher unbekannt. Norweger können hier mit sehr viel mehr Unsicherheit umgehen. Es gibt also ein geringeres Bedürfnis nach Regeln und Vorschriften im öffentlichen Leben.

Hier wird vom norwegischen Jedermannsrecht Gebrauch gemacht Quelle: Fotolia

Fazit: Die Vorstellungen von Sicherheit im tech-nischen Sinne sind bei Norwegern und Deutschen ähnlich. Im Hinblick auf das Sicherheitsbedürfnis in der sozialen In-teraktion gibt es jedoch einige Unter-schiede. In Norwegen existieren weniger Reglementierungen und es herrscht ein egalitärer Umgang miteinander. Gleich-zeitig achtet man sehr auf zwischen-menschliche Harmonie. Folglich stellen in der interkulturellen Begegnung von Nor-wegern und Deutschen nicht die techni-schen Sicherheitsvorstellungen ein mög-liches Konfliktfeld dar, sondern vielmehr die zurückhaltend-indirekte norwegische versus die kritisch-direkte deutsche Kom-munikation über diese Sicherheitsvorstel-lungen.

7

Handlungshilfe für die Beratung ausländisch geführter Unternehmen – Länderprofil Norwegen

Page 8: Norwegen – Länderspezifische Infos Harald V. König von Norwegen. ... (2008), Platz 26 weltweit, ebenfalls Platz 26 in der Produktion Sprache In Norwegen gibt es zwei offizielle

Länderprofil Norwegen – Handlungshilfe für die Beratung ausländisch geführter Unternehmen

Herausgegeben von: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e,V. (DGUV)Mittelstraße 51, D-10117 Berlin

Entwicklung:Alexander ReebJudith Reeb IKUD Seminare

Dr. Ulrike BollmannInstitut für Arbeit und Gesundheit der DGUV

Gestaltung: Alexandra ShatupInstitut für Arbeit und Gesundheit der DGUV, Bereich Grafik & Layout

Quellennachweis:

1 Alle statistischen Angaben: vgl. cia-worldfactbook, https://www.cia.gov 2 Definitionen siehe Anhang3 Vgl. Pahlke, Jette Katrin/Thomas, Alexander (2009): Beruflich in Norwegen. Trainingsprogramm für Manager, Fach- und Führungskräfte4 Gekürzt nach: Pahlke/Thomas (2009): S. 665 Gekürzt nach: Pahlke/Thomas (2009): S. 21f.6 Hall, E.T. (1959): The Silent Language7 Vgl. Opitz, Stephan (1997): Interkulturelle Kompetenz Skandinavien-Deutschland: Ein Handbuch für Fach- und Führungskräfte, S. 15f.8 Eigenes Archiv IKUD® Seminare9 Hofstede, Geert (2009): Lokales Denken, globales Handeln, Interkulturelle Zusammenarbeit und globales Management. Grafik: Eigene Darstellung IKUD® Seminare10 Das Jedermannsrecht ist im „Gesetz über das Leben im Freien“ vom 28. Juni 1957 festgeschrieben11 Vgl. Aschehoug und Gyldendals Norwegische Enzyklo- pädie/Aschehoug og Gyldendals Store Norske leksikon (übers. von Kristin Natvig Aas , zitiert nach http://www.norwegen.no/About_Norway/policy/ Sozialsystem/insurance/, Stand: 26.01.2011

Ergänzung: Sicherheit und Gesundheits-schutz Bereits 1895 wurde die norwegische Un-fallversicherung für Fabrikarbeiter eta-bliert, die schrittweise auch auf andere Berufe übertragen wurde. Es folgten die Einführung von Krankengeld, Altersver-sorgung (1936), Arbeitslosengeld (1939), Leistungen bei Berufsunfähigkeit (1960) und Leistungen für Witwen und allein er-ziehende Mütter (1964). Im Jahr 1967 wur-den die vor dem Zweiten Weltkrieg einge-führten Sozialleistungen zur Staatlichen Sozialversicherung zusammengeführt11.

Als ein Beispiel für die Sicherheitsvorstel-lungen im technischen Bereich können die strengen Vorschriften auf Ölplattfor-

men dienen: Alle Arbeiter auf Norwegens Ölplattformen müssen ein umfangreiches Sicherheitstraining absolvieren, die Trai-ningseinheiten werden sechsmal geübt und alle 4 Jahre wiederholt.

In Norwegen sind alle Bürger und alle arbeitenden Menschen automatisch in der Staatlichen Norwegischen Sozialver-sicherung versichert. Dies ist ein umfas-sendes staatliches Versicherungssystem, das die Mitglieder u. a. zu Renten und Unterstützung im Zusammenhang mit (Industrie-)Unfällen, Krankheit, Schwan-gerschaft, Geburt und Beerdigungen be-rechtigt.

Die Arbeit auf Ölplattformen ist gefährlich und hat strenge Vorschriften Quelle: Fotolia

Handlungshilfe für die Beratung ausländisch geführter Unternehmen – Länderprofil Norwegen